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N°33 Donnerstag bis Mittwoch 13. bis 19.8.2009 www.kulturagenda.be
Orgelspaziergang in den Berner Kirchen
Quirine Viersen spielt an den Murten Classics
Sie treten an wider den tierischen Ernst ihres Images und der Liturgie: die Organistinnen und Organisten um Jürg Brunner (2. v. l) und Erwin Messmer (5. v. l.). Selten sind die Kirchen so gut gefüllt wie beim musikalischen Rundgang.
Die Niederländerin war vor Patricia Kopatchinskaja die erste Trägerin des hoch dotierten CSAwards und gehört dieses Jahr zu den Nordlichtern über dem Murtensee.
Schabernack von der Empore
Nordlichtgestalten
Wenn in hiesigen Kirchen Hochzeitsmärsche kopfstehen und Klingeltöne aus den Pfeifen schallen, dann geht der Berner Orgelspaziergang in die sechste Runde. Unter dem Titel «p’Villfalt» umrahmen die Organistinnen und Organisten der Stadt Bern Erwin Messmers humoristisch-besinnliche Texte mit allerhand instrumentalem Augenzwinkern.
Die Murten Classics stossen gen Norden vor. Der künstlerische Leiter Kaspar Zehnder startet mit Mendelssohn, Schumann und von Weber in die 21. Ausgabe. Mit Cellistin Quirine Viersen ist eine gute Freundin der Musikfestwochen mit von der Partie.
Immer am dritten Samstag im August weicht die Beschaulichkeit der Stadtberner Gotteshäuser einem bunten Treiben. Über tausend Besucherinnen und Besucher drängen sich jeweils durch die engen Portale und bevölkern die hölzernen Kirchenbänke. Die Grundidee des Anlasses ist einfach: In einer Art Volkswanderung durch die Altstadt begibt sich das Publikum von Kirche zu Kirche, wo jeweils halbstündige Etappenkonzerte stattfinden. Und weiter gehts zur nächsten Station.
für den diesjährigen Anlass komponierten Stück über den Nokia-KlingeltonWiedererkennungseffekt garantiert – wird der eigene Berufsstand augenzwinkernd auf die Schippe genommen. Auch der mindestens an jeder zweiten Trauung verlangte Mendelssohn’sche Hochzeitsmarsch wurde kurzerhand zum Ensemblestück für zwölf Instrumente umfunktioniert. In dieser Form wird er unter Beteiligung aller Aufführenden als fulminantes Finale in der Heiliggeistkirche erklingen.
Capriccio sopra Nokia Auch wenn die Schauplätze des fünfteiligen Konzertmarathons anderes vermuten lassen, am Orgelspaziergang wird keine Kirchenmusik im engeren Sinne zu hören sein. Im Gegenteil. Es ist erklärte Absicht der Ausführenden, ihr musikalisches Können und die Möglichkeiten ihres Instruments für einmal ausserhalb des liturgischen Rahmens zu präsentieren. «Wir möchten den ganzen Facettenreichtum der Orgel aufzeigen», sagt Jürg Brunner, Organist der Heiliggeistkirche und Initiant des Anlasses. Ermutigt durch die Erfolge der vergangenen Jahre, hat er zusammen mit Thomas Leutenegger auch den diesjährigen Orgelspaziergang auf die Beine gestellt. Tatsächlich hält das musikalische Programm, was der Titel «p’Villfalt» verspricht: Neben bunt durcheinander gewürfelten Orgelwerken und Orgelarrangements aus fünf Jahrhunderten gibt es diverse Improvisationen und andere Überraschungen zu hören. Nicht nur im von Jürg Brunner eigens
Lyrisch-musikalisches Wechselspiel Eigentlicher Auf hänger der diesjährigen Ausgabe sind indes nicht Windwerk und Pfeifen, sondern die Texte des Berner Lyrikers und Organisten Erwin Messmer. Wie in den Jahren davor sind die Konzerte nicht rein musikalischer Natur, sondern als Interaktionen von Wort und Ton konzipiert. So beziehen sich deren Titel thematisch auf Messmers Gedichte und Kurzprosa: «DriveInnigkeit – Drive-Outigkeit» ist in der Dreifaltigkeitskirche angesagt, wo der Spaziergang seinen Anfang nimmt, während sich im Münster tierische Protagonisten zum «Bestiarium divinum» zusammenfinden. Betrachtungen über die Liebe und das Pariser Lebensgefühl in der Nydegg- bzw. der Französischen Kirche schlagen schliesslich die Brücke zum wohl abenteuerlichsten letzten Konzertteil in der Heiliggeistkirche. Hierzu sei nur verraten, dass es jede Menge breitesten St.-Galler-Dialekt zu hören gibt. Erwin Messmer ist gebürtiger Ostschweizer und allein schon seine Lyrik ist den Besuch der Konzerte
wert. Scheinbar nüchtern beschreibt er Alltagssituationen, die durch eine unerwartete Wendung aus den Fugen geraten und ins Groteske verkehrt werden: eine höchst amüsante Angelegenheit mit Tiefgang. Schwellenängste abbauen «Die Orgel muss endlich ihr verstaubtes Image verlieren», ist Jürg Brunner überzeugt. Bei vielen Leuten wecke der Klang des Instruments negative Erinnerungen an langfädige, triste Abdankungen oder serbelnden Gemeindegesang. «Dabei geht oft vergessen, dass sie bis ums Jahr 1000 ein rein profanes Instrument war und nur in unserer christlichen Kultur so stark mit der Kirche verbunden ist.» In diesem Sinne soll auch der sechste Berner Orgelspaziergang dazu beitragen, Vorurteile zu revidieren. Ein erster Schritt in diese Richtung könnte die Vorstellung sein, dass schon die Gla diatoren in römischen Kampfarenen mit Vorliebe zu Orgelklängen aufein ander losgingen. Wie im alten Rom ist der Eintritt am Orgelspaziergang übrigens frei. Der Erlös der Kollekte fliesst in die Restaurierung der historischen Goll-Orgel in der Kirche St. Peter und Paul. Gisela Trost \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Dreifaltigkeitskirche, 12 Uhr Münster, 13 Uhr Nydeggkirche, 14 Uhr Französische Kirche, 15.30 Uhr Heiliggeistkirche, 16.30 Uhr Sa., 15.8.
«Nordlicht» heisst das Murten-Programm, doch allzu sehr drängt es das Festival dann doch nicht in den Norden, zumindest nicht zum Auftakt. Im ersten Sinfonie-Konzert der Murten Classics spielt das Bieler Orchester Werke von deutschen Romantikern: zuerst die Ouvertüre zur Oper «Oberon» von Carl Maria von Weber, zuletzt die Ouvertüre und Bühnenmusik zu Shakespeares «Sommernachtstraum» von Felix Mendelssohn Bartholdy. Und dazwischen tritt Quirine Viersen als Solistin des Cellokonzertes in a-Moll von Robert Schumann auf. Familientreffen in Murten Die Holländerin war im Jahr 2000 die erste Gewinnerin des Credit-SuisseAwards, ein mit 75000 Franken hoch dotierter Preis. Wie die Jury damals hält auch der künstlerische Leiter Kaspar Zehnder viel von der Musikerin: «Sie zählt zu den tollsten jungen Cellistinnen.» Viersen gehöre zur «Murten-Familie», zu den Musikerinnen und Musikern, die hier schon vor ihrem Durchbruch auftraten, eine Freundschaft mit dem Festival pflegen – und deshalb auch für eher tiefe Gagen auftreten. Diese Familie soll ausgebaut werden. Darum tritt jedes Jahr ein «Artist in Residence» mehrmals auf und gibt dem Festival ein Gesicht. Aktuell ist es der Pianist Henri Sigfridsson. «Er spielte bei uns bereits ein Kammerkonzert und hat sowohl musikalisch als auch menschlich zum Festival gepasst», sagt Kaspar Zehnder über den Finnen. In Murten tritt er als Erstes mit Kammermusik auf: In der Französischen Kirche
spielt er Robert Schumann (Klaviertrio Nr. 2 F-Dur, op. 80), Franz Berwald (Klaviertrio Nr. 3 d-Moll) und Johannes Brahms (Klaviertrio Nr. 1 H-Dur, op. 8). Mit der britischen Geigerin Katherine Gowers und Quirine Viersen begleiten ihn zwei weitere Nordlichter. Schöner Hof mit fragiler Akustik Die Murten Classics leben nicht nur von den guten Beziehungen, sondern vor allem auch vom malerischen Schlosshof mit Seeblick und hoher Zuschauerkapazität. Dort lässt Kaspar Zehnder Werke für ein breiteres Publikum aufführen, so die Sinfoniekonzerte. Bei aller Pracht hält der Hof aber auch Tücken bereit: «Er verfügt über eine sehr transparente und fragile Akustik. Partituren mit Bläsern gehen gut, aber ein KammermusikStreichquartett hat seine liebe Mühe.» Während das Festival im Schlosshof weitgehend auf Experimente verzichtet, sind unter «Offen für Neues» im Beaulieu die spezielleren Programmpunkte untergebracht. Der erste widmet sich am Samstag der Märchenwelt des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen (1805–1875). Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Sinfoniekonzert mit Quirine Viersen: Schlosshof, Murten. Do., 13.8., und Fr., 14.8., 20 Uhr Musikalische Lesung Hans Christian Andersen: Kultur im Beaulieu, Murten. Sa., 15.8., 17 Uhr Klaviertrio mit Sigfridsson und Viersen: Französische Kirche, Murten. Di., 18.8., 20 Uhr www.murtenclassics.ch