Berner kulturagenda 2009 N° 34

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Mirco Rederlechner

Nachlass Walter Nydegger / Staatsarchiv des Kantons Bern

N°34 Donnerstag bis Mittwoch 20. bis 26.8.2009 www.kulturagenda.be

Fotoausstellung Walter Nydegger im Kornhausforum

Michel Gammenthaler in der Cappella

Als kühler Beobachter hielt der freie Pressefotograf Walter Nydegger Brände, Überschwemmungen und Unfälle fest – hier den ersten tödlichen auf dem Autobahnabschnitt beim Grauholz.

Mit einer Mischung aus Magie, Komik und Schauspiel beschwört Michel Gammenthaler die Zeit und unser Zeitempfinden.

«Photo: W. Nydegger»

Augenblick, verweile

Der nüchterne Blick von Walter Nydegger hat die Berner Zeitungen in der Nachkriegszeit geprägt. Der Fotoreporter hielt nicht nur Unfälle fest, er war auch zur Stelle, wenn Stapi Tschäppät mit Missen posierte oder Demonstrationen über den Bundesplatz zogen.

Schwarzweissfotos aus, wie sich wohl das Leben im Bern Nydeggers angefühlt haben könnte.

Was macht die Zeit in ihren freien Minuten? Der Komiker, Magier und Schauspieler Michel Gammenthaler geht dieser Frage auf eigene Weise nach: als Numerologe Volker oder Zaubererwitwe Hedy in seiner dritten Produktion «Zeitraffer».

Bernhard Giger, der Leiter des Kornhausforums, ausgewählt. Auf den ersten Blick wirken Nydeggers Bilder, auf denen er Jahrzehnte Berner Geschichte festgehalten hat, klein und in der Galerie des Kornhauses etwas erdrückt. «Es sind Pressebilder. Die Leute bekamen sie damals in dieser Grösse zu sehen», sagt Giger dazu. Man möchte noch viel mehr sehen von diesem Bern der steifen Anzüge. Aus der Zeit der 10 000-ZylinderhutDemon­strationen auf dem Bundesplatz. Denn diese Bilder versetzen einen ins Schwärmen. Bei älteren Semestern wecken sie offensichtlich nostalgische Gefühle, jüngere malen sich vor den

Noch mehr angewandte Fotografie Bernhard Giger war es bei seinem Stellenantritt Anfang Jahr ein Anliegen, im Kornhausforum auch angewandte Fotografie zu zeigen. Nydegger macht den Anfang und begründet die Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv, in dessen Fotoabteilung noch so manche Trouvaille auf die Präsentation wartet. Nächstes Jahr soll der Reportagenfotograf Albert Brinkler ausgestellt werden. Bernhard Giger hat bei ihm die Lehre gemacht. Michael Feller

Es ist bekannt, dass ein Zauberkünstler eigentlich nur mit Tricks arbeitet, aber man gibt sich der Illusion gerne hin. Michel Gammenthaler inszeniert seine Kunststücke nämlich so gekonnt, dass man sich nicht mehr sicher ist, ob man nun einen Stand-up-Comedian, einen Zauberer oder einen Schauspieler vor sich hat. Und eigentlich spielt das auch gar keine Rolle – solange man verzaubert wird.

Autounfälle und der Schah von Persien Nydegger war ein Handwerker, kein Künstler. Seine Bildkompositionen sind solide, aber nicht um jeden Preis raffiniert. Eine Ausnahme ist indes das Foto des ersten Unfalls auf dem GrauholzAutobahnteilstück: In einer kühlen Poesie der Zerstörung erinnert es an die Unfallbilder des Malers Dirk Skreber (der allerdings grossformatig und erst viel später gearbeitet hat und es immer noch tut). Walter Nydegger drückte nicht nur bei Autounfällen ab. Er war auch bei allen anderen Ereignissen zugegen, die ein gut verkäufliches Bild versprachen. Stadtpräsident Reynold Tschäppät war (wie sein Sohn heute) auf vielen Fotos präsent, auf einem posiert er (etwas steifer als sein Sohn heute) mit MissSchweiz-Kandidatinnen. Staatsgäste wie Schauspielerin Grace Kelly oder der Schah von Persien schritten durch Nydeggers Fadenkreuz. Auf anderen Bildern kommt Nydeggers Faszination für die Tierwelt zum Ausdruck. Er war mit seiner Kamera öfters Gast im Tierpark. Nun ist im Kornhausforum erstmals eine grössere Ausstellung von Walter Nydeggers Fotos zu sehen. Rund 70 hat

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Kornhausforum, Bern Ausstellung bis 5.9. www.kornhausforum.ch

Nachlass Walter Nydegger / Staatsarchiv des Kantons Bern

Manchmal trug er nur einen Mantel über seinem Nachthemd, wenn er ausrückte. Auf dem Motorrad ritt Walter Nydegger (1912–1986) durch die Nacht zum Unfallort. Oft war er als Erster dort. Das Blut und die entstellten Körper schienen ihn kalt zu lassen. Er verrichtete seine Arbeit sachlich, und so waren auch seine Bilder. «Photo: W. Nydegger» stand darunter, wenn sie in der Zeitung erschienen.

Nydegger hatte auch ein Auge für Tiere: Schwäne bei der Kappelenbrücke.

«Uns fehlt die Zeitewigkeit» In «Zeitraffer» schlüpft Gammenthaler wie in seinen ersten beiden Soloprogrammen in verschiedene Rollen, ist mal der Seher Dimitri, mal der Numerologe Volker oder die Zaubererwitwe Hedy. «Warum läuft unser Leben wie im Zeitraffer? Warum dehnt sich die Zeit immer nur beim Zahnarzt? Wie viel Zins kriegt man auf gesparte Zeit?» Gammenthaler verspricht Antworten auf diese quälenden Fragen. Er hat das Stück geschrieben, als ihm die Zeit selbst andauernd zu knapp war. Heute ist es ein verbreitetes Phänomen: Man gesteht sich erst mit Mitte dreissig ein, endgültig erwachsen zu sein, und dann steht auch schon die erste Midlifecrisis an. Irgendwie scheint das Zeitempfinden durcheinandergeraten zu sein. «Ich glaube, dass uns heute ein Gefühl von Zeitewigkeit fehlt», erklärt sich Gammenthaler sein Bedürfnis nach der Auseinandersetzung mit dem Thema Zeit. «Früher waren die sechs Wochen Sommerferien eine lange Strecke, jetzt ist immer alles in kleine, übersichtliche Portionen unterteilt.» Wenn eben nur noch der Zahnarztbesuch ewiglich er-

scheint, entsteht ein Mangel an positivem Ewigkeitsempfinden. Gammenthaler scheint mit diesem Thema den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Traumberuf Zauberkünstler Mit sieben Jahren beschloss Michel Gammenthaler, Zauberer zu werden. Nach der Schule ergriff er jedoch vorerst eine ganze Reihe von Berufen vom Reise­ büroangestellten, Journalisten, Per­sonalberater bis zum Barkeeper in einer Business-Bar. In dem Lokal verkehren Leute, von denen man sagen kann, dass sie es zu etwas gebracht haben. Beim Cocktailmixen erfuhr Gammenthaler wie jeder gute Barkeeper von den Träumen, Wünschen und Sorgen seiner Gäste. Überrascht stellte er fest, dass sich die meisten lieber in einem ganz anderen Beruf verwirklicht hätten. Da es ihm selbst nicht anders ging, zog er die Konsequenz und kündigte, um Zauberkünstler zu werden. Mittlerweile steht der 37-Jährige seit über zehn Jahren auf der Bühne und hat diverse Preise für sein Schaffen bekommen, darunter auch als bisher einziger Schweizer den Festivalpreis «Arosa Schneestern». Er ist froh, dass die Leidenschaft über die Vernunft gesiegt hat. «Ich würde jedem eine Leidenschaft wünschen», sagt er, «dabei ist es im Grunde ganz egal, welche.» Nina Heinzel ng osu erl V \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

La Cappella, Bern Mo., 24.8., Di., 25.8. und Mi., 26.8., 20 Uhr www.la-cappella.ch


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