Berner kulturagenda 2009 N° 46

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ZVG

Severin Nowacki

N°46 Donnerstag bis Mittwoch 12. bis 18.11.2009 www.kulturagenda.be

Samplerpräsentation «Schweizer Volks Pop» in der Mühle Hunziken

«Das Versprechen» im Theater an der Effingerstrasse

Die drei Pflanzplätzler Simon Dettwiler, Thomas Aeschbacher und Jürg Nietlispach (v.l.) haben ihre Volksmusik längst befreit – und das Terrain für die Verbindung mit Rock vorbereitet.

Gritli Moser ist tot, ermordet. Der Kommissär Matthäi (Gilles Tschudi) nimmt sich der Sache an, und stellt dem Täter mit einem Lockvogel eine Falle. Doch er wartet vergeblich auf den Mörder.

Musik fürs Volk

Der Wald steht weiss und schweiget

Auf der CD «Schweizer Volks Pop», die in der Mühle Hunziken präsentiert wird, mischen Interpreten unterschiedlicher musikalischer Herkunft Volksmusik mit Rock. Diese Kombination war lange Zeit undenkbar. Jetzt kommt zusammen, was sich an Popularität ebenbürtig ist.

Regisseur Markus Keller bringt «Das Versprechen» von Friedrich Dürrenmatt auf die Bühne des Theaters an der Effingerstrasse. Wenig innovativ, aber solid inszeniert er die Geschichte rund um Mord, Moral und Machtmissbrauch. Gilles Tschudi gibt darin den Kommissär Matthäi.

Plötzlich war Swissness überall, prangte das Schweizer Kreuz auf T-Shirts, Taschen, Turnschuhen und Ohrringen. Es war, bei allem Patriotismus, etwas nervig, befreite die Landesflagge aber aus der politischen Vereinnahmung. Inzwischen sind die Turnschuhe ausgetragen und die T-Shirts zieht man nur noch für Spiele der Fussballnati an. Die Swissness jedoch rollt weiter, nur subtiler. Auf der Linie Eicher-Ochsner-Steinberg-Bligg Zum Beispiel auf dem Sampler «Schweizer Volks Pop». Er bündelt eine Entwicklung, die es bis an die Spitze der Hitparade geschafft hat: die Verbindung von Volksmusik und Rock. «Stephan Eicher machte das ja schon in den Neunzigern», bestätigt Thomas Aeschbacher vom Trio Pflanzplätz, «aber man findet es auch bei Patent Ochsner, Steinberg oder aktuell bei Bligg. Natürlich sind Volksmusik und Rock weiterhin getrennte Welten, aber es gibt mehr Berührungspunkte als früher.» Auf dem Album «Schweizer Volks Pop» kommt Pflanzplätz gleich drei Mal zum Zug. Zum einen mit einer Eigenkomposition Aeschbachers, zum anderen als Begleitband für Rockzipfel und Trummer, mit denen das Trio zwei Klassiker der Schweizer Popmusik covert: «S ungnaui Heiweh» (Fischhohl) und «Handtäschlifrau» (Frostschutz). Der Journalist und Radiomoderator Eric Facon, als treibende Kraft für den Sampler verantwortlich, wollte nicht nur altes Liedgut in neuem Gewand präsentieren, sondern einen Bogen schlagen zu neuen Formen von «Volksmusik».

Aeschbacher stammt aus einer «Volksmusikdynastie, sozusagen». Das ÖrgeliVirus lasse sich bis zu einem Urgrossonkel zurückverfolgen, der im Emmental langnauerte, und auch die Töchter habe es schon ergriffen. Bei so viel Tradition erstaunt Aeschbachers Antwort umso mehr, wie er denn zur starr reglementierten Volksmusik gekommen sei. «Mir gefällt die Freiheit, mit diesen Instrumenten und volkmusikalischen Mustern ein Stück zu arrangieren, neu zu gestalten oder zu kreieren.» Aber, gibt er zu, diese Ansicht hätten vor zehn Jahren nicht viele geteilt.

Ein Trench-Coat, ein Filzhut und eine Zigarette: fertig ist der Detektiv, wie man sich ihn landläufig vorstellt. Der Regisseur Markus Keller bemüht sich nicht um eine Modernisierung, sondern lässt Friedrich Dürrenmatts Justiz­ drama «Das Versprechen» zu jener Zeit spielen, als es geschrieben wurde: 1958. Anno dazumal sahen Kriminalbeamte wohl wirklich noch so aus. Das Theaterstück entstand aus Dürrenmatts Drehbuch zum Krimi «Es geschah am helllichten Tag», der mit Heinz Rühmann und Gert Fröbe in den Hauptrollen verfilmt wurde.

Bald schon Heavy-Ländler? Jetzt sind so unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler auf der CD versammelt wie das Duo Edeldicht und Dänu Extrem, Trummer und Bergerausch, Pflanzplätz und die Kummerbuben oder Patent Ochsner und Betinko. Trotzdem reihen sich ihre unterschiedlichen Interpretationen von Volksmusik stimmig aneinander. Die «wahnsinnigen Berührungsängste» seien gefallen, sagt Eric Facon, Volksmusik nicht mehr politisch «besetztes Terrain». Und der Sampler wahrscheinlich nur ein Anfang. «Das Spektrum ist noch nicht ausgereizt», meint Aeschbacher dazu. «Wer beispielsweise auch einen Draht zu Metal hat, wird früher oder später eine Verbindung herstellen.» Silvano Cerutti

«Requiem auf den Kriminalroman» Das Fundament zum Stück war mit dem Filmplot gelegt. Kurz bevor Kommissär Matthäi in Pension gehen will, wird ein totes Mädchen im Wald gefunden. Matthäi verspricht der Mutter des ermordeten Mädchens, den Täter zu schnappen. Er ist überzeugt, dass es ihm gelingt, wenn Ort und Köder stimmen, und übernimmt eine Tankstelle in Chur. Dort lebt er mit der «stadtbekannten Dame» Heller und deren Tochter Annemarie. Der Fall «Gritli Moser» wird für den Kommissar zur Obsession, und schliesslich scheut er nicht davor zurück, Annemarie ohne das Wissen ihrer Mutter als Lockvogel einzusetzen. Dürrenmatt war mit dem Film zwar zufrieden, hielt es jedoch für unrealistisch, dass der Mörder am Ende gefasst wurde. Der Schluss, bei dem die Gerechtigkeit siegt, war ihm von den Produzenten aufgedrängt worden. Aus

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Mühle Hunziken, Rubigen Sa., 14.11., 21 Uhr www.muehlehunziken.ch

diesem Grund schrieb er ein Jahr später schliesslich die Erzählung «Das Versprechen», die er als «Requiem auf den Kriminalroman» bezeichnete. Wie «Warten auf Godot» Tatsächlich werden in «Das Versprechen» viele Erwartungen der Zuschauerinnen und Zuschauer beerdigt und Genre-Regeln gebrochen: Kommissär Matthäi kann sein Versprechen nicht einhalten, der Täter kommt vielmehr durch einen banalen Zufall zu Tode, ohne je gefasst worden zu sein. Regisseur Markus Keller hat sich in seiner Inszenierung am Effingertheater für die dramatische Version entschieden und lässt seinen Kommissär Matthäi etwas versprechen, was er nicht einhalten kann. Wer Sean Penns «The Pledge» von 2001 im Kopf hat, denkt natürlich an Jack Nicholsons Darstellung des innerlich kaputten Detektivs, der ebenfalls – erstmals in einer Filmversion – kläglich scheitert. Gilles Tschudis solide Darstellung des Kriminalbeamten wirkt weniger verstörend, bleibt aber nicht ohne Abgründe. Der Schauspieler über Matthäi: «Er wartet auf etwas, das nicht kommt. Aber er ist trotzdem überzeugt, irgendwann kommt es. Das ist wie ‹Warten auf Godot› von Beckett.» Eine sinnlose Sache also, denn der Mörder, auf den er wartet, ist bereits tot. Angestaubt und Overacted Der Text von Dürrenmatt bleibt spannend, doch ein bisschen Mut in Markus Kellers allzu verstaubt daherkommen-

der Inszenierung hätte nicht geschadet. Schliesslich verschwinden auch heute noch Kinder, das Stück an der Aktualität zu messen, wäre ein Leichtes, ohne dabei in bemühende Modernisierungsfallen zu tappen. Wenn Annemarie Hula-Hoop tanzt, um damit die Sechzigerjahre aufleben zu lassen, wähnt man sich im Schultheater. Während die Herren Kriminalbeamten glaubwürdig wirken, sind die Frauenrollen schlechter besetzt. Frau Moser (Christiane Wagner) reagiert sehr unglaubhaft, als sie vom Tod ihres Kindes erfährt. Und Frau Heller (Karo Guthke) im Schlampenlook verfällt mit durchdringendem Geschrei in plumpes Overacting. Black Box vor dem Dunkelwald Die Bühne hingegen ist in ihrer Einfachheit und Effektivität gelungen. Da stehen ein paar weisse Bäume, die den Wald andeuten. Wenn Matthäi von Schuldgefühlen geplagt wird und Visionen hat, werden die Bäume in violettes Licht getaucht und unheimliche Musik lässt uns wissen, dass dieser weisse Wald zwar schweigt, aber mehr weiss. Eine «Black Box» wird je nach Situation zum Büro der Kriminalbeamten, zur Tankstelle oder zum Haus von Gritli Mosers Mutter und schafft so eine Zeitlosigkeit, die auch dem Rest des Stückes gutgetan hätte.

Helen Lagger

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Das Theater an der Effingerstrasse, Bern Do., 12.11., bis Sa., 14.11., Di., 17.11., und Mi., 18.11., 20 Uhr Weitere Vorstellungen bis 6.12. www.dastheater-effingerstr.ch


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