ZVG
Annette Boutellier
N°50 Donnerstag bis Mittwoch 10. bis 16.12.2009 www.kulturagenda.be
Das Swiss Jazz Orchestra mit «Buebetröim II» im Bierhübeli
«Die verzauberten Brüder» im Stadttheater
Gewöhnlich leben seine Songs von Gitarre, Bass und Schlagzeug, nun weiss er eine ganze Bigband hinter sich: Adrian Stern, der Oberträumer der Schweizer Musikszene.
Die mutige Mutter Wassilissa (Sabine Martin, Zweite von rechts) nimmt es mit der dummen Hexe Baba Jaga (Heiner Take, rechts) auf, um ihre verzauberten Söhne zu retten. Sie sind zu Ahornbäumchen erstarrt.
Das Träumen geht weiter Poetisches Theater mit furzender Hexe Bubenträume sind laut und aus Blech gemacht. Doch hier handelt es sich nicht um schnelle Autos, sondern um eine brillante Big Band, die ihren Klangkörper der Schweizer Rock- und Popprominenz für eine musikalische Spritztour zur Verfügung stellt. Die montäglichen Bigband-Jazz-Nights sind mittlerweile zur festen Institution im Berner Musikkalender geworden. Seit nunmehr sechs Jahren tritt das Swiss Jazz Orchestra (SJO) Woche für Woche mit einem wechselnden Programm im Bierhübeli auf. Plötzlich viel Aufmerksamkeit Neben dem Montagsprogramm und der Pflege der grossen Bigband-Literatur bringt das Swiss Jazz Orchestra immer wieder Spezialprogramme auf die Bühne. Grosses Aufsehen erregte vor zwei Jahren das Projekt «Buebetröim»: Das Swiss Jazz Orchestra lud mit Büne Huber, Polo Hofer, Kuno Lauener und weiteren Sängerinnen und Sängern fast die gesamte Prominenz der Schweizer Rock- und Popszene zum musikalischen Stelldichein. Die Gäste liessen ihre Hits vom Swiss Jazz Orchestra mit Jazz veredeln: Imposant, wenn Büne Hubers «Scharlachrot» plötzlich von einem fast zwanzigköpfigen Orchester in den Saal geschmettert wird. Das Projekt wurde ein voller Erfolg. Das Swiss Jazz Orchestra hatte endlich die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit, wie sie sonst nur Popstars vergönnt ist – und ein Album in der Hitparade. Die Popstars ihrerseits hatten einen grossen und beeindruckenden Klangkörper zur Verfügung und konnten aus dem Vollen schöpfen: Für wen war es wohl der grös sere Bubentraum? Jetzt legt das Swiss Jazz Orchestra mit «Buebetröim II» nach. Auf der Gästeliste stehen nicht mehr ganz so glamouröse Namen, doch sie lässt sich trotzdem sehen: Sina, Freda Goodlet, Heidi Happy sind dabei, genauso wie Gigi Moto, Rit-
schi, Marc Sway, Michael von der Heide und Adrian Stern. Für die zweite Buebetröim-Ausgabe hat das SJO die Songs stärker bearbeitet. Musikalisch zahlt sich das aus. Da die Stücke damit aber auch jazziger wurden, bleibt abzuwarten, wie sehr das Nachfolgeprojekt an die kommerziellen Erfolge anknüpfen kann. Fehlende Experimentierfreudigkeit Das Swiss Jazz Orchestra versammelt unter der Leitung von Stephan «Gesa» Geiser eine Reihe herausragender Musikerinnen und Musiker. Gerade angesichts des ausgezeichneten Klangkörpers ist es bedauernswert, dass das Orchester nicht öfter experimentiert und meist auf altbewährte Bigbandkost setzt, die es allerdings brillant spielt. Andere Orchester gehen da weiter: Das junge Lucerne Jazz Orchestra oder Kaspar Ewalds Exorbitantes Kabinett pflegen einen unverkennbaren Stil, was Komposition und Arrangements angeht, und fördern junge Komponisten. Doch auch das Swiss Jazz Orchestra beschreitet hie und da neue musikalische Pfade: Die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Jim McNeely, der für die Bigband ein Programm zu Bildern von Paul Klee schrieb, zeigte, dass Innovatives durchaus möglich wäre. Mit verjazzten Popsongs erfindet die Bigband das Rad sicher nicht neu. Doch der Versuchung, den Hitparadenflitzer nochmals aus der Garage zu nehmen, konnte das Swiss Jazz Orchestra wohl einfach nicht widerstehen. David Loher \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Bierhübeli, Bern. Mo., 14.12., 20 Uhr www.bierhuebeli.ch
«Die verzauberten Brüder» von Jewgeni Schwarz heisst das diesjährige Weihnachtsmärchen am Stadttheater. Rosmarie Vogtenhubers Inszenierung stellt die poetische Sprache ins Zentrum. Die selbstverliebte Hexe Baba Jaga ist der Star der Kinder. Statt auf ein Meer grau melierter Häupter blickt man an diesem Donnerstag um 10 Uhr morgens im Stadttheater Bern auf eine bunte Horde zappeliger Kinder. Das Weihnachtsmärchen «Die verzauberten Brüder» feiert Premiere. Die Aufregung bei den Kleinen ist gross, der Lärmpegel entsprechend hoch. Als das Licht ausgeht, werden ein paar schrille Schreie ausgestossen, bevor die Menge ehrfürchtig verstummt. Ein russisches Kinderlied ertönt, und singend stimmen ein Hund, ein Bär und eine Katze die vorfreudigen Kinder aufs Theater ein. Langsam hebt sich der grüne Blättervorhang und gibt den Blick auf Christoph Wagenknechts ansprechendes Bühnenbild frei. Der Boden ist mit einem herbstlichen Blätterteppich ausstaffiert, drei Baumstämme ragen in den Bühnenhimmel. Im Hintergrund stehen zwei kleine Bäume mit traurigen Gesichtern. Um sie wird sich in den nächsten zwei Stunden alles drehen. Sie sind die beiden in Ahornbäumchen verzauberten Brüder Fjodor und Igor, die stumm und still im Wald der Hexe Baba Jaga herumstehen. Wassilissas Mission impossible Bald taucht die besorgte Mutter Wassilissa (Sabine Martin) im Wald auf, um ihre Söhne zu suchen und zu retten. Zusammen mit Mischka, dem Bären (Gunther Kaindl), Kater Kotofej Murlewitsch (Jonathan Loosli) und dem Hund Scharik (Nina Kohler) nimmt sie es mit der Hexe auf. Iwanuschka (Andri Schendardi), der selbsternannte Held und dritte Sohn Wassilissas, unterstützt
die schwierige Mission tatkräftig mit Steinschleuder und Hundeleine. Nebst «Die Schneekönigin» und «Der Drache» gehört «Die verzauberten Brüder» auf heutigen und hiesigen Bühnen zu den meistgespielten Stücken des russischen Autors Jewgeni Schwarz (1896– 1958). Mit der Verzauberung bediente er sich im Jahr 1953 eines typischen Märchenstoffes und bettete ihn in Elemente der russischen Folklore ein. Mit den Figuren in seinen Märchenstücken prangerte Schwarz die ideologischen und politischen Verhältnisse seiner Zeit an. So fielen seine für die Demokratie plädierenden Stücke denn auch der Zensur der damaligen Sowjet union zum Opfer und wurden von den Theaterbühnen verbannt. Erst 1958 traten die Märchen ihren Siegeszug durch die sowjetischen und westeuropäischen Theaterhäuser an. Ein Herz für die Hexe «Das Stück hat mich vor allem durch die poetische Sprache und mit seiner dichten Geschichte begeistert», sagt Rosmarie Vogtenhuber, die für die Inszenierung am Stadttheater verantwortlich zeichnet. Als Textgrundlage diente ihr die Übersetzung von Rainer Kirsch. Mit annähernd zwei Stunden Dauer, komplexen Neben- und Vorgeschichten und einzelnen, langen Monologen verlangt das Märchenstück den Kindern einiges an Aufmerksamkeit ab, auch wenn der politische Aspekt weitgehend ausgeblendet wird. «Geschichten brauchen ihre Zeit. Und Kinder können sich besser konzentrieren, als man ihnen zutraut», ist Vogtenhuber überzeugt, was
sich an der Premiere zum grössten Teil bewahrheitet. Auch in den ruhigeren Szenen, in denen es weder knallt noch raucht, folgen die kleinen Zuschauer aufmerksam den Worten der Schauspielerinnen und Schauspieler. Eine willkommene Abwechslung bieten die musikalischen Einlagen. Jewgeni Schwarz’ Lieder erklingen in einer Vertonung von Michael Frei und immer wieder stimmen die Protagonisten das russische Kinderlied an. Christoph Wagenknechts farbige, sich an die russische Folklore anlehnenden Kostüme und das Hexenhaus auf acht Hühnerbeinen sind echte Hingucker. Doch die grösste Faszination für die Kinder geht von der Hexe aus. Baba Jaga ist der unumstrittene Star der Inszenierung. Heiner Take läuft in roten Stöckelschuhen und gleichfarbiger Pumphose zur Hochform auf, dass es eine wahre Freude ist; nicht nur für die Kinder. Nebst dem Bösen verkörpert die Figur der Hexe durch ihre schusselige, selbstverliebte Art vor allem das Dumme. Und Furzen liegt ihr besser als Zaubern. Wie in der Inszenierung Vogtenhubers gut zur Geltung kommt, hat «Die verzauberten Brüder» weit mehr zu bieten als den Kampf zwischen Gut und Böse. Die Regisseurin legte den Fokus auf die Themen Freundschaft und Familie. «Russische Märchen malen nicht einfach schwarzweiss», sagt sie, «bei den Gebrüdern Grimm ist am Ende alles Böse tot. Bei Schwarz ist das anders.» Zum Glück. Es wäre traurig, wenn die Hexe sterben müsste. Denn man hat die furzende, dümmliche Baba Jaga irgendwie ins Herz geschlossen. Simone Tanner \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Stadttheater, Bern. Mi., 16.12., 15 Uhr Weitere Aufführungen bis 7.2. www.stadttheaterbern.ch