ZVG
Heikki Tuuli
N°10 Donnerstag bis Mittwoch 11. bis 17.3.2010 www.kulturagenda.be
Marc Sway spielt in der Alten Moschti Mühlethurnen
Olli Mustonen mit «Finlandia(e)» beim Berner Symphonieorchester
Kräftiges Haar, kräftige Stimme, kraftvolle Auftritte: Energiebündel Marc Sway tauft sein drittes Album, «Tuesday Songs», in «Kleiner-Club-Atmosphäre» im Gürbetal.
Der vielseitig begabte Musiker aus dem Land der tausend Seen gastiert zum ersten Mal in Bern. Im Gepäck hat der Pianist, Dirigent und Komponist eine eigene Sonate, ein Klavierkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart und zwei Werke von Jean Sibelius.
Laune auf Hochplateau Ein strahlend helles Nordlicht Mit seinem grossartigen Stimmorgan, einem Händchen fürs geschickte Networking und dem Vertrauen auf die Leichtigkeit des Seins hat Marc Sway sein stärkstes Album geschrieben. «I’m a Go-Getter» – wahrscheinlich trifft der Songtitel vom neuen Album «Tuesday Songs» das Wesen des Marc Sway nicht schlecht: Er geht hin und kriegt, was er will. Dabei kann er sich auf sein Bauchgefühl verlassen, dank dem er im Musikgeschäft seine Leichtigkeit behält, die in seinen Songs allgegenwärtig ist. Der Bauch sagt Sway auch, wann er andere Wege einschlagen muss. So hat er sich von Manager Lou Pearlman getrennt, weil ihm die Glamourwelt von dessen Boyband-Imperium nicht zusagte. Wenig später wurde Pearlman wegen schweren Betrugs verhaftet. Geballte Fröhlichkeit Marc Sway stellte sein Händchen bei der Wahl der Mitarbeiter auch 2007 unter Beweis. Er landete mit dem Song «Hemmigslos liebe», den er für den Idée-Suisse-Musikstar Fabienne Louves schrieb und mit ihr im Duett sang, seinen grössten Schweizer Hit. Auf seinem neuen Album «Tuesday Songs» singt der Sohn eines Schweizers und einer Brasilianerin nur noch englisch und portugiesisch. Gut vertreten sind die Denk-positiv-Songs, sie heissen «Keep Your Head High» oder «Keep Smiling». Sie zu hören, ist wie autogenes Training mit Rockgitarre: Songs von Sway aus dem Radiowecker lassen einen den Tag mit einer soliden Einstellung starten – mit Leichtigkeit, Zuversicht und Liebe. Marc Sway serviert leichte Kost mit teils kalorienarmen Botschaften und weiss: «Für das Feuilleton bin ich zu fröhlich.» Der Zürcher zeigt auf seinem neuen Album durchaus auch eine etwas nach-
denklichere Seite. So im melancholischen «I Keep Up Losing Myself». Doch das bleiben rare Einschnitte im Hochplateau der guten Laune. Das eingangs erwähnte «I’m a Go-Getter» sticht aus den soliden Popsongs heraus. Das liegt nicht zuletzt an den acht Takten Intro, bei denen man erst irritiert an Sophie Hunger denkt und dann sieht, dass da deren Posaunist Michael Flury Blech und Dämpfer im Spiel hatte. Sway holt sich die richtigen Leute ins Boot Für die Texte hat Sway sich bei Sékou Neblett Rat geholt. «Er hat meine Ideen genau auf den Punkt gebracht», schwärmt er vom erfahrenen US-Amerikaner, der Ende der 90er-Jahre bei Freundeskreis mitmischte und damit einen gewissen Anteil an der Entwicklung des Deutschraps hatte. Mit der geglückten Auswahl von Musikern und einem kleinen Produzententeam hat Sway sein bisher bestes Album aufgenommen. Es zeigt sich, dass er am besten fährt, wenn er sich auf seinen eigenen Riecher für den lockeren Popsong verlässt. Dass zu viele «Erfolgsgaranten» von der Plattenfirma den Brei auch ganz schön übersüssen können, war bei seinem Debütalbum «Marc’s Way» exemplarisch zu hören. Seither hat sich vieles getan, Marc Sway hat geheiratet, ist dreissig und Vater geworden. Schön, dass ihn die Reife nicht seine Leichtigkeit gekostet hat. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Alti Moschti, Mühlethurnen Sa., 13.3., 20.30 Uhr www.alti-moschti.ch
Olli Mustonen ist der finnische Shooting Star der klassischen Musik. Als Pianist und Dirigent ist er weltweit ebenso begehrt wie als Komponist. Mit dem Berner Symphonieorchester (BSO) zieht das Multitalent alle seine Register. Die Rentiere kauen friedlich Flechten und Moos, ein Vogel kreist still über dem See. Im einsamen Holzhaus am Ufer sitzt Olli Mustonen an seinem Flügel. So stellt sich das innere Auge den finnischen Starpianisten, Dirigenten und Komponisten vor. Und hat gar nicht so unrecht dabei. «Unsere nächsten Nachbarn wohnen 5 Kilometer entfernt», verrät Mustonen. Mitten in den unendlichen Wäldern, weit weg von der Stadt, «inspirieren mich der Klang von Wind und Regen, das Vogelgezwitscher und die Insekten». Die vielfältig klingende Ruhe und Kraft der Natur will der 42-Jährige zu Musik gerinnen lassen. Seine Wohnsituation bezeichnet er als typisch für Finnland. Seit Handyhersteller Nokia der Wirtschaft des Landes einen gehörigen Schub gegeben hat, kann sich fast jeder ein Ferienhaus an einem der 50000 bis 70000 Seen leisten. «Im Sommer», berichtet Mustonen, «sind die Städte fast leer, die Leute fahren in die Natur, die dann geradezu explodiert.» Verbundenheit mit der Natur Während Olli Mustonen von seiner heimatlichen Idylle erzählt, sitzt er in einem Taxi, das ihn zum Münchner Flughafen bringt. Zuvor hat der umtriebige Klassik-Jetsetter an vier aufeinanderfolgenden Abenden in Deutschland und in Südtirol gespielt. Nun fliegt er für einen Tag nach Hause. Um seine Frau zu sehen, die in wenigen Wochen ihr erstes Kind erwartet. Mit frischer Wäsche und einem Stapel Partituren wird Mustonen anschliessend in Bern eintreffen. Zum ersten Mal in unserer Stadt, spielt er mit
dem Berner Symphonieorchester eines seiner eigenen Werke: Jehkin Iivana. Die Orchesterfassung dieser Sonate von 2007 ist erstmals in der Schweiz zu hören. Zu Gast im «Märchenland» Schweiz «Die Schweiz mit ihren faszinierenden Bergen ist für mich ein richtiges Märchenland», sagt Mustonen. «Und ich glaube, die Schweizer und die Finnen verbindet, dass sie zwar in einem technisch sehr weit entwickelten Staat leben, aber die Nähe zur Natur nicht verloren haben. Diese Gewissheit, Teil von etwas Grösserem zu sein, möchte ich auch in meiner Musik zum Ausdruck bringen.» Mustonens Sonate ist dem Musiker Jehkin Iivana gewidmet, der von 1843 bis 1911 lebte, einer der letzten Vertreter des alten Runengesangs und ein Meister des Spiels auf dem Nationalinstrument Kantele war, einem sagenumwobenen, einer Zither ähnlichen Zupfinstrument. In Finnland erleben die seit über zwei Jahrtausenden überlieferten Volksdichtungen eine Renaissance. Mustonen vergleicht im Gespräch seinen eigenen Beruf mit dem des legendären Runensängers: «Wir sind ein wenig wie die Weisen früherer Tage – wir geben die Tradition weiter und verhelfen dem Überlieferten, in der modernen Zeit ein eigenes Leben zu entwickeln.» «Klassische Musik ist kein Museum» Olli Mustonens Interpretationen sind stürmisch und zupackend und erinnern in ihrer Radikalität an Glenn Gould. Er besticht durch seine brillante Technik und seinen ebenso mitreissenden wie
eigenwilligen Stil. Mustonen ist bekannt dafür, dass die von ihm gespielte Musik bei jedem Konzert so klingen soll, als handle es sich um eine Uraufführung. Mit dem BSO spielt Mustonen auch W. A. Mozarts Klavierkonzert Nr. 11 in F-Dur, KV 413. Die grossen Komponisten der Musikgeschichte hätten, wie die nordischen Schamanen und Hexer, sehr viel Weisheit besessen, die in ihrer Musik bis heute mitschwinge, ist der Finne überzeugt. Aber die Interpreten seien gefordert, sich selbst einzubringen: «Klassische Musik ist kein Museum!» Das bedeutet jedoch nicht den Zugang mit der Brechstange: «Mozart ist so genial und so inspirierend – da muss ich nicht viel machen.» Hommage an den Übervater Sibelius Zum Abschluss des Konzertes huldigen Orchester und Stargast mit der Symphonie Nr. 6 in d-Moll und der symphonischen Dichtung «Finlandia» dem Übervater der finnischen Musik, Jean Sibelius. Mit seiner 1899 uraufgeführten Tondichtung hat der damals noch junge Komponist nicht nur eines der populärsten Bravourstücke der Spätromantik, sondern vor allem ein nationales Denkmal für sein zu jener Zeit von Russland besetztes Land geschrieben. Eine Komposition sei für ihn, so Mustonen, wie ein Brief von einem Musiker an den anderen. «Musiknoten sind für mich ein Schatten. Es geht darum, das dreidimensionale, farbige Klangbild wiederzuerwecken, das der Komponist geschaffen hat.» g Christoph Hoigné sun
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Kultur-Casino, Bern Do., 11.3., und Fr., 12.3., 19.30 Uhr www.bsorchester.ch