Heikki Tuuli
ZVG
Yvonne Boehler
4 Seiten Museumsnacht-Extra
N°11 Donnerstag bis Mittwoch 18. bis 24.3.2010 www.kulturagenda.be
Nguru geben eines ihrer seltenen Konzerte im Berner Gaskessel
Die Nationalbibliothek feiert Erica Pedrettis 80. Geburtstag
Seit 1996 mischen sie im Schweizer Ska-Karussell mit, seit 2004 in leicht veränderter Besetzung mit Sänger Carlo Egle (vorne). Der Gitarrist Gian Caduff (rechts) drückt Nguru in Lyrics und Sound seinen Stempel auf.
Ehrung für eine wichtige Stimme in der Literatur: Die Publizistin Beatrice von Matt hält die Geburtstagsrede für Pedretti, die Autorin liest aus ihrem eben erschienenen Buch «Fremd genug».
Bündner Ska braucht das Land
Fiktion und Biografie
Es gibt sie noch, die Bündner Band Nguru, eine der erfolgreichsten Ska-Formationen der Schweiz. Im Gaskessel lassen sie zusammen mit drei anderen Bands den «Ska wie zu alten Zeiten» aufleben.
Mit einer Hommage zum 80. Geburtstag ehrt die Nationalbibliothek Erica Pedretti. Die Schriftstellerin, Objektkünstlerin und Malerin wurde als Jugendliche aus ihrer Heimat vertrieben. Fragen der Identität ziehen sich durch Leben und Werk.
Von der Studiparty zum Open Air Anno 1996 fanden sich die Jungs, damals im Alter von 16 bis 18 Jahren, zu einer Ska-Band zusammen. Das Erfolgsrezept der jungen Bündner? «Wir waren mit die Ersten, die sich hierzulande vom traditionellen Ska abwandten und den Trend aus den Staaten aufnahmen, Rock und Punk einzumischen», sagt Gian Caduff rückblickend. Er ist als Gitarrist seit Anbeginn dabei. Die Geschichte der Band schreibt sich so: Die Bündner beginnen als Partyband, auf die das Schweizer Ska-Label Leech Records aufmerksam wird. Die ersten Platten bringen Aufmerksamkeit und Anerkennung aus der Szene im In- und Ausland, und die Gruppe wird zur Vorband grosser internationaler Ska-Gruppen. Mit der Zeit spielen sie selber in immer grösseren Clubs und treten schliesslich an den grossen Open Airs des Landes auf, etwa am Gurtenfestival. «Das war sicher ein Höhepunkt, vor so grossem Publikum zu spielen», sagt Caduff. Dennoch sind ihm auch Konzerte in Clubs in sehr gu-
ter Erinnerung, mit kleinem, aber interessiertem Publikum. Gleichwohl sind Nguru immer «Hobbymusiker» geblieben; alle sechs Bandmitglieder gehen hauptberuflich einer anderen Tätigkeit nach. Caduff beispielsweise arbeitet zu hundert Prozent als Jurist. «Da bleibt uns wenig Zeit für die Musik. Wir spielen nur noch etwa 15 Konzerte pro Jahr, mehr können und wollen wir nicht investieren», sagt er. Trotzdem: «Es macht einfach Spass, gemeinsam unterwegs zu sein und live zu spielen. Auch weil der Erfolg immer noch da ist. Es ist ein tolles Hobby.» Rockiger und gitarrenlastiger Dennoch sind die «alten Zeiten» vorbei, als der Ska ein sehr breites Publikum ansprach, erzählt Caduff. «Seit etwa vier Jahren hat der Trend abgenommen, und das Publikum ist wieder spezifischer, auch älter geworden.» In dieser ZVG
«Skaskessel» heisst es, wenn sich im ehemaligen Gasreservoir Berns an einem Abend verschiedene Ska-Aromen entfalten. Nicht von ungefähr erschallt unter der Kuppel mit der Band Zirka bernischer Ska-Punk, klingen die ironischhintergründigen Mundart-Texte von Tobin Taxi oder kracht der rohe Ska der Kanadier-Gruppe The Beatdown. Zugpferd des Abends ist jedoch die Bündner Band Nguru, die ihr Publikum seit über zehn Jahren mit ihrer Interpretation des jamaikanischen Off beats mitreisst.
Mundart-Ska aus Bern: Tobin Taxi.
Zeit hat sich auch in der Band einiges verändert. 2004 stieg Frontmann Matthias Tscharner aus, um als Singer-Songwriter eigene Wege zu gehen. Carlo Egle, der neue Sänger, brachte neue stimmliche Möglichkeiten mit in die Band. Und Gian Caduff schrieb fortan die meisten Lieder inklusive Texte. Als Gitarrist hat er den Stil der Band geprägt, der seit dem vierten und letzten Album, «With Bleeding Hearts Through Burning Skies», von 2007 viel rockiger und gitarrenlastiger daherkommt. Auch das hält die Gruppe bei der Stange: die Lust, Neues auszuprobieren und sich weiterzuentwickeln. Am Konzert im Gaskessel werden Nguru jedoch auch ältere Stücke spielen mit den für die Gruppe typischen Reggae-, Dub- und Funk-Elementen. Eine Mischung, die den «Skaskessel» garantiert zum Brodeln bringt. Felicie Notter \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Gaskessel, Bern Fr., 19.3., 21.30 Uhr www.gaskessel.ch
Was passiert, wenn dem Mensch das Recht abgesprochen wird, zu sein, wer er ist? Eine beinahe absurde Frage, möchte man meinen – so selbstverständlich scheint uns, nicht fundamental infrage gestellt zu werden. Erica Pedretti wurde infrage gestellt, und dies mehrfach. Sie wurde aus der Tschechoslowakei vertrieben, und in der Schweiz durfte sie erst im zweiten Anlauf bleiben. Das Wort «Heimat», sagt sie, benutze sie eigentlich nur in Anführungszeichen. Deutsch wurde verboten Pedretti kam 1930 als Erika Schefter in Sternberg in Nordmähren zur Welt, einem Teil der ehemaligen Tschechoslowakei, in dem Deutsch gesprochen wurde. Vor der Besetzung durch Nazideutschland lebten die tschechische und die deutschsprachige Bevölkerung mehr oder weniger friedlich zusammen, doch nach Kriegsende konnte einem für einen deutschen Satz der Kopf eingeschlagen werden. Wie vorher den Tschechen, war jetzt den Deutschsprachigen der Besuch des Gymnasiums verweigert, und schliesslich wurden sie aus der Tschechoslowakei vertrieben. Mit einem Rotkreuztransport gelangten Erika und ihre drei Geschwister in die Schweiz, das Land der Grossmutter. Mehr als eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis erhielt sie jedoch nicht und musste fünf Jahre später, mit zwanzig, in die USA emigrieren. 1952 konnte sie zurückkehren, da sie den Maler und Bildhauer Gian Pedretti heiratete. Die beiden arbeiteten und lebten mit ihren fünf Kindern im Engadin, bevor sie 1974 nach La Neuve-
ville am Bielersee übersiedelten, eine Landschaft, die Pedretti ein wenig an Mähren erinnert. Besorgt über die Rhetorik Pedretti, die neben ihrem erlernten Beruf als Silberschmiedin zunehmend als Bildhauerin und Malerin arbeitete, entwickelte zum Teil aus diesen Erfahrungen ihre Literatur. Mit einer höchst präzisen Sprache, scharf umrissenen, oft mehrfach verwobenen und sich dem Anekdotenhaften verweigernden Erinnerungen stellt sie grundsätzliche Fragen. Wie lebt man – und sei es im Paradies – mit den erlebten Schrecken? Wie authentisch ist eine Erinnerung? Immer wieder bricht Pedretti in ihrer Skepsis den eigenen Text, reflektiert den eigenen Arbeitsprozess entlang der Grenze von Fiktion und Biografie. Zentral auch die Frage, wie sich die Vergangenheit in die Gegenwart auswirkt. Sie, die Diskriminierung selber erfahren hat, äussert sich lobend über die Schweizer Tradition der Toleranz, die ja nicht immer leichtfalle. Und es erstaunt nicht, dass sie sich besorgt zeigt über den derzeitigen Ton in der Politik, der Hass schüre. Pedretti, die ihr Werk meist aus eigenen, oft bösen Erfahrungen schöpft, kann für solche rhetorische Strategien kein Verständnis aufbringen. Silvano Cerutti \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
• Nationalbibliothek, Bern Mi., 24.3., 18 Uhr • Lesung an der Nacht der unabhängigen Buchhandlungen: Kornhausforum, Bern Sa., 27.3., 20 Uhr