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Marie Taillefer
DOPPELNUMMER 2 Wochen Kultur
N°13/14 Donnerstag bis Mittwoch 1. bis 14.4.2010 www.kulturagenda.be
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Solange La Frange tritt im Bierhübeli auf
Knuth & Tucek versetzen die Cappella nach «Neurotikon»
Tristan Basso, Julie Hugo und Luca Manco (v.l.) sind drei wilde Vögel. Weil sie sich nicht nur mit fremden Federn schmücken wollten, wurden sie vom DJ-Kollektiv zur Band. Wobei sie gelegentlich noch immer an den Plattentellern stehen. Auch in Bern nach dem Auftritt von Birdy Nam Nam.
Die beiden Kabarettistinnen Nicole Knuth (vorn) und Olga Tucek nehmen in bösen Liedern Freund, Feind und Heimat auf die Schippe.
Elektropunk trifft Extravaganz
Bergab aufwärts
Sie haben Gitarren, Bass, Beats, Synthesizer und ein sicheres Gespür für die stilvolle Trash-Ästhetik. Solange La Frange ist mit ihrem ersten Album auf Tournee. Die Band kennt nur ein Ziel: die wilde Fete.
Nicole Knuth und Olga Tucek nehmen ihr Publikum in der Cappella mit auf die Reise ins «Neurotikon» und nennen ihr Kabarett «Heimatfilmtheater». Die vielleicht bissigste Liebeserklärung an die Schweiz.
Sie krachen und kreischen Bereits im ersten Stück des Albums, in «Love Affair», bringt das Trio dieses Konzept auf den Punkt. Mit krachendem Rhythmus und mit der immer wieder aufreizend kreischenden Stimme von Frontfrau Julie Hugo. Dazu besingen harte Gitarrenriffs die Gefühlswirren der thematisierten Liebesaffäre. Ein pulsierender Einstieg, der gleich auf die Aktivierung der Extremitäten abzielt. Und in hohem Tempo geht es weiter. Leise Töne finden höchstens für den kurzfristigen Spannungsauf bau Verwendung. Solange La Frange hält die Spannung aber auch mittels überraschender Kurven und Kanten in den Songs hoch. Das Trio – zur Sängerin gesellen sich Tristan Basso (Keyboard) und Luca Manco (Gitarre, Bass) – nimmt sich die Freiheit, Versatzstücke mit gegensätzlicher Intensität und unterschiedlichem Rhythmus wild zu kombinieren, etwa im Song «Morse». Und doch klingt das Produkt daraus kompakt – weil Solange la Frange erfrischend kompromisslos vorgeht. Ein Konzert der Gruppe vergisst man nicht so schnell wieder. Nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen ihrer Extravaganz: Es kann vorkommen, dass
die Herren auf der Bühne nur Strumpfhosen tragen. Das sieht nicht schön aus, doch weil die Trash-Ästhetik Programm ist, passt das dennoch. Eine schrille Show lässt sich mit der äusserst aktiven Julie Hugo sowieso nicht vermeiden. Mit ihrer Energie würde diese Band selbst eine Nilpferdherde zum Tanz animieren. Wem der leicht überdrehte Tanzbetrieb allerdings nicht von vornherein zusagt, wird nach einigen Songs etwas Abwechslung herbeisehnen, zum Beispiel einen Tempowechsel. Vom DJ-Duo zur Band – und zurück Solange La Frange existiert bereits seit 2002, hat sich jedoch seit dem Beginn stark gewandelt. Die Kunststudentin Julie Hugo und der Kunststudent Tristan Basso schlossen sich zu einem DJ-Duo zusammen und legten ihre Techno- und Punkplatten auf. 2006 begnügten sich die beiden nicht mehr mit dem Abspielen fremder Platten. Bassist Luca Manco
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Bierhübeli, Bern. Do., 8.4., 21.45 Uhr www.bierhuebeli.ch
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«I’am Wild» und «Give Me a Reason to Yeah Yeah» – die Songtitel des ersten (namenlosen) Albums von Solange La Frange geben den Inhalt der Platte vor: wilde Fete. Die Band aus Vevey macht Elektropunk, der nach richtigen Instrumenten klingt. Will heissen: verzerrte Gitarren fürs Tanzparkett, angereichert mit Elektronik aus dem Synthesizer.
stiess dazu. Nun war Solange La Frange eine Band und produzierte erste eigene Songs. Nach vier Jahren ist das Debütalbum fertig. Und damit treten die drei bereits in relativ grossen Sälen auf. Den raschen Erfolg verdankt Solange la Frange nicht nur ihrer sehr populären Partymusik, sondern auch dem Label Gentlemen Records aus Lausanne, das die Westschweizer Musiklandschaft hervorragend vernetzt. Das Plattenlabel von Christian Fighera vertreibt neben vielen eher unbekannten Bands auch Künstler wie Favez, The Young Gods oder Eric Truffaz. Auch die Sängerinnen Emily Loizeau und Sophie Hunger (siehe Bericht Seite 9) nehmen die Dienste der Gents in Anspruch. Im Bierhübeli heizt Solange la Frange als Vorband der französischen DJ-Gruppe Birdy Nam Nam ein. Und weil der Band die Puste nicht so schnell ausgeht, hängt sie noch ein DJ-Set an. Feiern können die Romands, unglaublich. Michael Feller
Sie spielen mit ihren vier Plattentellern wie mit vier Instrumenten zusammen: Birdy Nam Nam.
Kennen gelernt haben sich die beiden Schweizer Satirikerinnen Nicole Knuth und Olga Tucek bei einem gescheiterten Theaterprojekt vor sechs Jahren. Als Tucek etwas später einen Auftritt als Sängerin bei einem Geburtstagsfest auf dem Sustenpass nicht allein bestreiten wollte, lud sie Knuth kurzerhand ein mitzukommen. Die fand wiederum, zu den Liedern müsse man auch eine Geschichte erzählen, weshalb man auf den Sustenpass gekommen sei. Seither arbeiten sie zusammen und seither «geht es abwärts. So hoch oben sind wir nie mehr aufgetreten», sagt Nicole Knuth und lacht. «Das ist doch abstrus» Erfolgsmässig geht es für das Duo jedoch aufwärts. In ihrem aktuellen Programm, «Neurotikon», erzählen sie «von einem Ort, an den man hinreist und unterwegs seinem persönlichen Neurotikon begegnet. Das geht so Richtung Sittengemälde, wenn ich dieses grosse Wort verwenden darf», erklärt Knuth augenzwinkernd. Der Begriff «Heimatfilmtheater», mit dem sie ihre Arbeit umschreiben, beziehe sich vor allem auf die Art, wie sie auf der Bühne erzählten: «Sehr filmisch, mit Schnitten, Figuren und Landschaftsbetrachtungen.» Viel mehr als die Form zeichnet die Auftritte von Knuth & Tucek jedoch die ansteckende Lust aus, sich über alles und jeden, die eigene Befindlichkeit inklusive, lustig zu machen. Im Lied «Männer mit Bärten» etwa überzieht das Duo selbst Säulenheilige der Kultur wie Sigmund Freud mit beissendem Spott. Die beiden sind mit Gusto böse, weil sie oft
von der Selbstbeobachtung ausgehen. Man rege sich auf, wenn es in der Migros ein Produkt nicht mehr vorrätig habe, sagt Knuth, «am Abend, kurz vor acht. Das ist doch abstrus». Die Überbewertung der eigenen Person bietet dabei nicht nur den Nährboden für Satire, sondern eben auch für Neurosen. Grosse Kabarett-Tradition «Heute legt man sich mit allen an», bestätigt Knuth den Wandel in der Satire seit dem Fall der Mauer. «Ich brauche den Begriff nicht gerne, weil er mit Steineschmeissen verbunden wird, aber das ist schon etwas Anarchistisches. Das steht für mich in der Tradition des Hofnarrs, der sich bei allen etwas unbeliebt machte, wenn er der Gesellschaft den Spiegel vorhielt.» Trotzdem: Böse Worte mussten sich die beiden nach einem Auftritt noch nicht anhören. Die Schweiz habe eine sehr grosse Kabarett-Tradition, die wohl aus der Weltkriegs-Zeit herrühre, als die Schweiz das einzige Land war, in dem man noch Kabarett machen durfte. Diese Wertschätzung der Satire ist bis heute vorhanden: «Selbst von Leuten, von denen ich mit Sicherheit weiss, dass sie politisch nicht meiner Meinung sind, höre ich oft: ‹Super, dass sie das gesagt haben.› Das ist toll und überrascht mich immer wieder von Neuem», schwärmt Knuth. Na, wenn das mal keine Liebeserklärung an die Schweiz ist. Silvano Cerutti \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
La Cappella, Bern Mi., 31.3., Do., 1.4., Sa., 3.4., 19.30 Uhr www.la-cappella.ch