Michelle Andrey
Christoph Hoigné
N°20 Donnerstag bis Mittwoch 20. bis 26.5.2010 www.kulturagenda.be
Steff la Cheffe tauft ihr Debütalbum im Dachstock
«Fische in Griechenland …» wird im Tojo uraufgeführt
Was für ein Rhythmusgefühl, was für ein Gesicht: Stefanie Peter aus dem Breitenreinquartier steht im Goldregen der grossen Aufmerksamkeit. Was nicht ohne Folgen bleibt – ihre Platte ist direkt auf Platz 7 der Schweizer Hitparade eingestiegen.
Fischstäbchen und andere Kindheitserinnerungen haben Milena Keller, Helena Hebing, Deborah Imhof und Valérie Keller (von links) zu ihrem neuen Stück inspiriert.
Eine Jonglage mit Rollen und Bildern Fischstäbchen mit Mayo Als Beatbox-Championne hat Steff la Cheffe auf sich aufmerksam gemacht, als Rapperin präsentiert sie ihr erstes Album, «Bittersüessi Pille». Es ist das gelungene und zwischendurch betörende Debüt einer abgeklärten 23-Jährigen. Sie ist kaum zu stoppen, im Gespräch nicht und vermutlich auch als Musikerin nicht. Stefanie Peter, das «Meitschi us em Breitsch», beantwortet im Gespräch die Fragen gründlich. Selbstbewusst und erstaunlich abgeklärt spricht die 23-jährige Frau, wirkt dabei oft ernst und überlegt, trotz weitgehenden Verzichts auf Redepausen. Steff la Cheffe hat etwas zu sagen. Zum Beispiel über ihre Rolle im testosterondominierten Rapzirkus. Sie hat in ihren Anfängen mit Aussagen wie «schon noch gut – für eine Frau» umgehen lernen müssen. Heute erhält sie Aufmerksamkeit, weil sie sich in einer Männerdomäne behauptet. «Ich weiss, dass der Erfolg auch damit zusammenhängt, dass ich eine Frau bin», sagt sie. Eine Zeit lang habe sie das gestresst, nun nimmt sie ihre Rolle locker: «Wenn ihr mir den Frauenbonus nachwerft, dann nehme ich ihn.» Die Beatbox hat Türen geöffnet Also packt sie die Chancen, die sich dadurch bieten. Nachem sie letztes Jahr Vizeweltmeisterin im Beatboxen wurde, öffneten sich die Türen: Der Harfenist Andreas Vollenweider wurde auf die Mund-Perkussionistin aufmerksam und baute sie kurzerhand in sein Programm ein. Cathy Marston, die BallettChefin des Stadttheaters Bern, realisierte mit ihr ein Kurzstück, das Anfang Jahr in den Vidmarhallen aufgeführt wurde. Schon bevor ihr erstes Album erschienen ist, hat sie also mit der Beatbox über die Hip-Hop-Szene hinaus von sich reden gemacht. Auf Steff la Cheffes Debüt, «Bittersüessi Pille», ist die Beat-
box leider nur eine Randerscheinung; die Künstlerin konzentriert sich auf ihr zweites Standbein, den Rap. Das war kein gewollter Entscheid: «Ich war mit den meisten Beatbox-Aufnahmen einfach nicht zufrieden», sagt sie. Der Zürcher Reaggae-Musiker und Produzent Dodo Jud hat dem Album die musikalische Handschrift gegeben und zusammen mit Steff la Cheffe eine HipHop-Platte produziert, die «nicht nur Szenen-Heads» ansprechen, sondern in die Breite wirken soll. Was für eingefleischte Hip-Hopper womöglich zu poppig klingt, kommt an: Das Album stieg direkt auf Platz 7 der Hitparade ein. Ob poppig oder nicht: Steff la Cheffe verfügt über ein grossartiges Rhythmusgefühl, hat Flow, wie man so schön sagt. Als wäre der Breitsch ein Zürcher Quartier Wie Dodo Jud auf la Cheffe aufmerksam wurde, erzählt er im Titeltrack gleich selbst. Er war mit seiner Frau im Sous le Pont, auf der Suche nach neuer Musik: «Steff la Cheffe uf de Bühni dert, gaht so ab, dass ichs nümme gseh. Mini Frau seit, die muesch produziere und ich säg, ja, ich wird produziere.» Die beiden kamen ins Gespräch und die Zusammenarbeit nahm ihren Lauf. Bei der Produktion von «Bittersüessi Pille» hat sich zwischen Dodo Jud und la Cheffe eine konstruktive Streitkultur entwickelt. «Dodo und ich hatten immer wieder Auseinandersetzungen darüber, wie das Album klingen sollte.» Auffallend ist, dass unter den mitwirkenden Gästen kein einziger Berner ist. Die üblichen verdächtigen, die Rapper Greis, Baze
oder der Beatproduzent SAD wären zu erwarten gewesen. Doch Steff la Cheffe wollte sich ohne den Hebel der klingenden Namen aus der Berner Szene behaupten. Stattdessen ist das Zürcher Rap-Urgestein EKR vertreten (er könnte ihr Vater sein!) oder in einem Song Chamber Soul mit Brandy Butler – diese Band kommt ebenfalls aus Zürich. Von der Erotik der Küchenausstattung Auch wenn nicht alle Songs inhaltlich gleich zwingend und gleich dicht sind: Es ist ein gelungenes Album mit einigen Perlen. Steff la Cheffe ist immer dann am stärksten, wenn sie eine Portion Humor in ihre Texte packt. Etwa in «Hr. Dokter», in dem sie um eine Geschlechtsumwandlung bettelt («Dokter, Dokter, i bruche es Schnäbi, zum Rappe u so wärs drum würklich scho no gäbig»), was ihr «Dr. Dodo» dann aber ausredet. Ein weiterer Höhepunkt aus dem Bereich unter der Gürtellinie ist «Chum i mini Chuchi», bestimmt der erotischste Rapsong über Sex, der je in der Deutschschweiz geschrieben wurde. Eine ganze Küchenausstattung muss für zweideutige Metaphern hinhalten. Das gibt rote Ohren beim Anhören! «Wenn ein Track über Sex zu eindeutig ist, wirkt er plump, und das macht mich nicht an», sagt Steff la Cheffe. Ganz klar: Sie liebt es, mit ihren Reizen und dem Frauenbild zu jonglieren, dass Frauen und Männern der Atem stockt. Was für eine Erfrischung für den HipHop, der sich in den letzten Jahren mit allzu viel augenzwinkerfreiem Machogehabe in eine gar reaktionäre Richtung zu bewegen drohte. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Dachstock der Reitschule, Bern Sa., 22.5., 22 Uhr www.dachstock.ch
Die Mitglieder des Berner Theaterkollektivs Sans Cible schreiben gemeinsam Texte, führen gemeinsam Regie und stehen auch zusammen auf der Bühne. Im neuen Stück lassen vier junge Frauen das Publikum in ihren alten Tagebüchern lesen. Fischstäbchen mit Mayo, die Angst vor dem Alleinsein oder der Traum, eine Zauberfee zu sein, bestimmten den kindlichen Alltag von Helena Hebing und ihren drei Kolleginnen. Nachzulesen ist das in den alten Tagebüchern der vier jungen Theatermacherinnen und Mitgliedern des Kollektivs Sans Cible. Die Tagebucheinträge bilden die Basis ihres Stücks «Fische in Griechenland … und dann mussten wir die kranke Wildsau pflegen». Tagebuch als künstlerische Quelle «Wir wollten schon lange etwas mit unseren Tagebüchern machen», erklärt Helena Hebing. Jetzt, wo sie alle von zu Hause ausgezogen sind, sei der richtige Moment gekommen. Während dreier Monate haben sie in den Büchern geblättert, sich gegenseitig vorgelesen, herausgestrichen und nach Gemeinsamkeiten gesucht. «Zu Beginn war das schon ziemlich intim», gibt Hebing zu, «aber mit der Zeit wurden die Tagebücher zur künstlerischen Quelle.» Schliesslich galt es, den einzelnen Sequenzen und Themen einen Rahmen zu geben. So treffen sich nun auf der Bühne vier junge Erwachsene und erinnern sich an den Tag, als sie sich geschworen haben, mit zwanzig gemeinsam abzuhauen. Die Zeit ist reif, das Versprechen in die Tat umzusetzen. Laufend wird im Stück zwischen zwei Ebenen, zwischen der Kindheit und dem Jetzt, hin- und hergesprungen. Eine zusätzliche Facette beleuchten die eingespielten Videosequenzen. Darin sprechen die Protagonistinnen über ihre Träume und Ängste.
Da die vier Theatermacherinnen gleichzeitig Regie führen und spielen, war es nicht ganz einfach, Abstand zu nehmen. Deshalb warfen der Regisseur Dirk Vittinghoff und Noo Steffen, Mitbegründerin von Sans Cible, einen kritischen Blick von aussen auf die Inszenierung. Helena Hebing ist froh um Tipps und Anregungen: «Ich lerne bei jeder Produktion etwas Neues dazu.» Mit dem Theater aufgewachsen Die 21-Jährige ist in einer Theaterfamilie aufgewachsen und stand bereits im zarten Alter von fünf Jahren zum ersten Mal auf der Bühne. Als Aktive bei den Jugendtheaterclubs der Jungen Bühne Bern war sie auch bei der Gründung von Sans Cible 2005 mit von der Partie. «Theater gehört für mich einfach zum Leben dazu», sagt sie. Doch die vielseitig talentierte und interessierte Frau will nicht unbedingt Schauspielerin werden. Im Moment interessiert sie der ganze organisatorische Bereich des Theaters mehr. Aber auch die Technik fasziniert sie. Mit Sans Cible könne sie in allen Bereichen tätig sein. Es sprudelt nur so aus ihr heraus, wenn sie von ihren Plänen mit dem Theaterkollektiv spricht. Das Sprechen hat mittlerweile auch das Tagebuchschreiben abgelöst: «Das geht mir viel zu langsam. Wenn mich heute etwas beschäftigt, dann spreche ich darüber.» Simone Tanner \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Tojo Theater in der Reitschule, Bern Fr., 21.5., und Sa., 22.5., jeweils 20.30 Uhr. So., 23.5., 19 Uhr www.tojo.ch