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Christoph Hoigné
N°25 Donnerstag bis Mittwoch 24. bis 30.6.2010 www.kulturagenda.be
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Bruno Bieri spielt im Rosengarten und in der Nydeggkirche
Pfannestil Chammer Sexdeet spielt in der Cappella
Das Hang ist ein Instrument, nach dem man sich umdreht. In Kombination mit dem Alphorn aus Kunststoff und dem Obertongesang aus der Kehle tut Bruno Bieri zweierlei: Er unterhält sein Publikum mit Humor und sucht es zugleich zu sensibilisieren für die Zwischentöne in Musik und Leben.
Nichts ist zu belanglos für das Pfannestil Chammer Sexdeet, das eigentlich ein Trio ist: Res Wepfer (vorne), Reto Baumgartner und Lisa Gretler singen von Abstrusem und Unspektakulärem.
Er führt Naturtöne im Schilde
Barden des Alltags
Bruno Bieri musiziert mit Naturtönen und Obertongesang. Dabei spielt ein begehrtes Berner Instrument die Hauptrolle: das Hang. Vor zehn Jahren wurde es am Aarehang von zwei Instrumentenbauern erfunden.
In neuer Formation tritt das Pfannestil Chammer Sexdeet in der Cappella auf. Gewohnt witzig und scharfzüngig rechnet das komödiantische Musikkabarett mit dem Alltag ab: «Quitt – aber hallo» heisst das neue Programm.
Bruno Bieri hat zwei Gesichter. Wenn er im Rosengarten-Café über seine Musik erzählt, bleibt er ernst. Er sucht nach präzisen Formulierungen, denn es liegt ihm am Herzen, richtig verstanden zu werden. Die unnatürliche Gesprächsform des Interviews scheint ihm dabei nicht richtig zu behagen. Und doch gibt Bieri bereitwillig Auskunft, spricht von Obertönen und der Magie der Quinten. Seine Beschäftigung mit der Musik reicht tief. Die Entstehung von Klängen und ihre Wirkung auf Menschen sind Themen, die den Hang-Pionier bewegen. Dann, als er die Schokoladentorte für ein paar Minuten stehen lässt und draussen im Nieselregen für den Fotografen posiert, kommt plötzlich sein Humor zum Vorschein. Kaum spielt er auf dem Hang, bleiben die Leute stehen, fasziniert vom Instrument, das nicht nur aussergewöhnlich aussieht, sondern auch bezaubernde Klänge von sich gibt. Bieri witzelt mit seinem Publikum, unterhält Kinder und Mütter und gibt Auskunft. Ein Hang ist ein Exot. «Sein Ton löst etwas aus in den Leuten», sagt Bruno Bieri. Wenn er auf seinem UFOförmigen Blechinstrument spiele, sehe er immer wieder Tränen in den Augen seiner Zuhörer.
tierten dort mit Steel Pans, als Bruno Bieri Ende der 1990er-Jahre erstmals ihre Werkstatt betrat. Wenig später entstanden die ersten Hanghang – so heissen sie in der Mehrzahl. Bieri hörte davon und besuchte die Instrumentenbauer aufs Neue. Er war sogleich begeistert vom Klang und erstand sich sein erstes Hang. Noch heute werden die Hanghang ausschliesslich in der Engehalde in beschränkter Stückzahl produziert. 6000 Instrumente sind es bis jetzt. Ginge es nach der Nachfrage, wären es weit mehr. Doch dies ist nicht im Sinn der Erbauer, die um eine behutsame Verbreitung ihrer Schöpfung besorgt sind. Die Verwandtschaft mit dem Steel Pan ist zu hören, auch wenn das Hang nicht mit Schlägeln gespielt wird. Wie beim Instrument aus Trinidad bilden ins Blech eingehämmerte Tonfelder verschiedene Töne. Der Klang ist aber viel facettenreicher, was Bieri gleich demonstriert. Neben dem Grundton schwingen auch die Oktave und die darüberliegende Quinte mit, was wir als reichen Klang wahrnehmen. Dies entspricht der Gesetzmässigkeit von Naturtönen, wie man sie auch vom Jodel oder vom Alphorn kennt. Bruno Bieri spricht von der «Quintessenz» – die Quinte macht den Ton, macht die Musik.
Steel Drums am Aarehang Das Instrument wurde vor zehn Jahren erfunden. Der Name Hang rührt einerseits daher, dass es mit den Händen gespielt wird. Der zweite Grund: Es entstand am Aarehang in der Berner Engehalde. Seine zwei Erfinder, Felix Rohner und Sabina Schärer, experimen-
Ernst und zugleich humorvoll Schon bald begann Bieri mit seiner Neuanschaffung aufzutreten. Mit Hang, Gesang und Alphorn kreiert er seine «Betonungen», wie er die Konzerte gerne nennt. Bei seinen Auftritten versucht er stets, die zwei Seiten in sich zu kombinieren, das Ernste und die Iro-
nie. Je nach Publikum erzählt er, der in einem Teilpensum an der Pädagogischen Hochschule Solothurn unterrichtet, Wissenswertes zu seiner Musik und lockert das Konzert mit humorvollen Metaphern auf. Diese Woche tritt Bruno Bieri gleich zweimal auf, in der Nydeggkirche vor der Kurt-Marti-Lesung (siehe Artikel Seite 3) und einen Tag später im Rosengarten. In der Nydeggkirche nicht mit seinem bewährten Soloprogramm, sondern im Zusammenspiel mit dem Litauer Lionius Treikauskas. Mit ihm und dessen Streichquintett hat er in den letzten Monaten die CD «From silence …» aufgenommen. Einige der Kompositionen von Treikauskas und Bieri werden nun zum ersten Mal zu hören sein, allerdings in verkleinerter Formation, im Duo. Die Zufallsbegegnung zwischen den Tönen Bruno Bieri spielt sein Hang auch immer mal wieder in der Stadt. «Ich möchte den Menschen Momente geben, in denen sie die Zwischentöne der Musik und des Lebens spüren können», sagt er. So kam er zu vielen Geschichten und auch zur Zusammenarbeit mit den litauischen Spitzenmusikern um den Cellisten Lionius Treikauskas. Dieser hörte Bieri in Zürich während einer Probepause auf der Strasse. Die beiden kamen ins Gespräch. Daraus ergab sich die Freundschaft, aus der das Zusammenspiel von Hang, Obertongesang und Streichquintett gewachsen ist. Das Hang, organisch eingebettet in eine Formation der klassischen Musik – eine Premiere. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
8. Nydeggnacht in der Nydeggkirche, Bern. Fr., 25.6., 20 Uhr Hang & Xang im Rosengarten, Bern Sa., 26.6., 13.30 Uhr
«Wirklich! Es herrscht Kotaufnahmepflicht! Das habe ich nicht erfunden!» Frontmann Res Wepfer erzählt, wie er auf einem Spaziergang durch Rapperswil auf diesen in Blech gestanzten Ordnungsbefehl gestossen ist. Geworden ist daraus Nummer vier der CD zum neuen Programm, «Quitt – aber hallo». «Kotufnahmepflicht» erzählt davon, wie merkwürdig es sei, dass man «s halb uufggässne Würstli eifach so an Bode rüere» und «de Choitschgi usespoize oder choderen» könne, aber überall nur «Kotufnahmepflicht» angeordnet wird. Das ist die Welt des Pfannestil Chammer Sexdeet: Im Fokus stehen abstruse Gegebenheiten und oft übersehene Kleinigkeiten des Alltags, denn Res Wepfer ist scharfer Beobachter seiner Umwelt. Der Texter und Komponist macht daraus komödiantische Lieder, die von ihrer Poesie, vom Subtilen und von einem Schuss Selbstironie leben. Wohlbekannter Pfannestil Auf den Deutschschweizer Kleinkunstbühnen ist die Zürcher Musikgruppe eine feste Grösse. Bereits seit 1990 tritt sie erfolgreich auf. Zwölf abendfüllende Programme, sechs CDs und der Gewinn von bedeutenden Kleinkunstpreisen wie dem Salzburger Stier 2002 sind der Ertrag dieser Jahre. Die Besetzungen wechseln aber häufig: Wepfer (Gesang, Gitarre) ist die einzige personelle Konstante. Zur neuen und sechsten Formation mit Lisa Gretler (Gesang, Piano) und Reto Baumgartner (Gesang, Kontrabass) sagt er: «Jeder bringt etwas Neues ins Gemeinsame ein.» Musikalisch dürfen sich Fans aber aufs Altbekann-
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te verlassen: «Der Stil ist halt einfach Pfannestil», sagt Wepfer und bestätigt, dass das Neue am zwölften Programm vor allem die Themen der Lieder sind: «Denn kulturelle Produkte sind immer ein Gegenwartskommentar.» Bundesrat spielt Tschau Sepp «Quitt» bezieht sich auf «fertig (sein); abrechnet (haben)». Das tut Wepfer auf witzige und feinsinnge Art. Sei es mit der Politik, wenn er in «Bundesrat» erzählt, wie dort die Karten durch TschauSepp spielen verteilt werden, während für rauchfreie Kindergärten und «Suppe für alle» demonstrierende Leute Leibstadt stürmen. Oder seien seine Lieder gesellschaftliche Abrechnungen, wenn er sich in «Ich weiss nöd rächt» über den Dienstagabend-Krimi oder Alltagspflichten wie die wöchentliche Papierentsorgung belustigt. Man kann darüber herzhaft lachen oder auch etwas ins Grübeln kommen. Denn irgendwie ist der Alltag ja auch todernst. Wepfer ist mit beiden Reaktionen zufrieden: «Meine Aufgabe ist es nur, das Publikum auf das Kleine und Gewöhnliche aufmerksam zu machen.» Das gelingt dem Pfannestil Chammer Sexdeet: Man hört sich die Lieder an und denkt: «Genau so ist es», auch wenn man selbst nie auf solch kuriose Belanglosigkeiten gekommen wäre. Oder wer hat schon mal über ein Ordnungsschild für Kotaufnahmepflicht nachgedacht? Regine Gerber \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
La Cappella, Bern Do., 24.6., bis Sa., 26.6., 20 Uhr www.la-cappella.ch