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N°29 Donnerstag bis Mittwoch 22. bis 28.7.2010 www.kulturagenda.be
«Warten auf Godot» im grossen Bärengraben
Deborah Lanz hebt ab mit dem «Alpenrosentango»
Mit gefangenen Tieren hat der Mensch (Marcus Signer als Estragon) das Futter gemein, nicht aber die Gründe für sein Verharren vor Ort.
Die umtriebige Oberländerin bringt das Freilichttheater auf die Alp und lädt das Publikum auf der Schynigen Platte zum Träumen ein. Stephanie Glaser hat sie jüngst mit 60 000 Franken aus dem Förderpreis der Bürgi-Willert-Stiftung unterstützt. ng osu
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Godot statt Rüebli
«Gute Ideen habe ich noch viele!»
Wo früher die Bären auf Rüebli warteten, warten diesen Sommer zwei Landstreicher auf Godot. Michael Oberer führt im Bärengraben Regie in Samuel Beckets Theaterklassiker. Das Publikum wartet im Graben mit, während Finn an die Tür poltert.
Die Krankenschwester, Zugbegleiterin, Schauspielerin und Unternehmerin Deborah Lanz macht in der Theaterwelt Furore. Mit dem Stück «Alpenrosentango» hebt sie ab – auf die Schynige Platte, die eine atemberaubende Kulisse bietet.
Rund zehn Jahre mussten der Berner Regisseur Michael Oberer und der Schauspieler Alexander Muheim warten, bis sie ihre Idee realisieren konnten, im Bärengraben ein Theaterstück zu inszenieren. Damals drehten dort die Bären noch ihre Runden und an eine kulturelle Nutzung durch den Menschen war nicht zu denken. Als der Bärenpark Tatsache wurde, klopften sie bei Bernd Schildger an. Der Bärenparkdirektor war begeistert von ihrer Idee und unterstützte in der Folge das Projekt tatkräftig. Bald wird Premiere gefeiert. Gefangen im Bärengraben Oberer und Muheim arbeiten seit vielen Jahren zusammen. Die beiden Theatermacher haben Erfahrung mit Freilichttheater und speziellen Spielstätten. Mit dem Theater Elch haben sie schon das Anatomische Institut der Universität Bern oder den Bremgartenfriedhof bespielt. Dennoch ist Alexander Muheim vom Bärengraben schwer beeindruckt: «Von oben wirkt alles so überschaubar. Wenn man unten steht, ist es gewaltig.» Die Wahl des Stücks war schnell klar. «Man kann nicht alles spielen an diesem Ort», sagt Michael Oberer. Samuel Becktes «Warten auf Godot» sei prädestiniert für den Graben. Die Hauptrollen im 1952 erschienenen Stück, das längst zum Klassiker geworden ist, spielen die zwei Landstreicher Wladimir (Horst Krebs) und Estragon (Marcus Signer). Zusammen warten sie auf Godot. Wer dieser Godot ist und warum die beiden auf ihn warten, bleibt unklar. Zwei Akte lang schlagen sich die Vagabunden die Zeit um die Ohren mit Plaudern,
Streiten und Warten. Gesellschaft leisten ihnen Pozzo (Uwe Schönbeck) und sein Sklave Lucky (Alexander Muheim). Zwischendurch taucht ein kleiner Junge auf, der den Wartenden mitteilt, dass Godot sich verspäte. Doch kommen wird er nie. Das Warten und Hoffen steht sinnbildlich für die menschliche Existenz, die Suche nach dem Sinn des Lebens. «Diese Ausweglosigkeit, das Gefangensein im Alltag, widerspiegelt der Bärengraben perfekt», sagt Michael Oberer. Finn poltert, die Kleinen weinen An die Schauspieler stellt der Graben hohe Anforderungen. Bühnenbild ist der rund 30 Meter lange Steinhügel, vor dem das Publikum postiert ist. «Wir müssen viel grösser spielen. In Gestik und Sprache muss man ganz klar sein, kleine Dinge ertrinken», weiss Co-Leiter Muheim, der auch die Rolle des Lucky spielt. Die Bären riecht man noch im Graben. Und zwischendurch machen sie sich auch akustisch bemerkbar, sagt Muheim. Finn poltere schon mal an seine Gittertür, Urs und Berna höre man manchmal weinen. Sorgen macht Muheim auch etwas ganz anderes: «Jetzt beginnt die Zeit der Nackenstarre. Ab Freitag richte ich jeden Morgen den Blick gen Himmel und hoffe, dass das Wetter hält.» Nichts anderes bleibt übrig als hoffen und warten. Warten auf «Warten auf Godot» im Bärengraben. Simone Tanner \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Bärengraben, Bern. Premiere: Fr., 23.7., 20.15 Uhr. Aufführungen bis 15.8. www.baerengrabentheater.ch
«Ich bin eine Herzblutoberländerin», sagt Deborah Lanz. Und mitten ins Herz des Berner Oberlands führt sie die Besucherinnen und Besucher ihrer aktuellen Produktion «Alpenrosentango»: Das Freilichttheater findet auf der Schynigen Platte auf 1542 Meter über Meer statt mit einem Stück, das zum Träumen einlädt. Lanz selber spielt eine tragende Rolle. Krankenschwester und Unternehmerin Dabei hat Deborah Lanz zunächst die Ausbildung zur Krankenschwester gemacht und arbeitet heute noch auf dem Beruf. Es war ihr aber von Anfang an klar, dass sie noch weiter gehen würde. Die einzige Schwierigkeit beim Umsatteln habe darin bestanden, sich zu entscheiden, ob es nun Gesang oder Schauspiel sein sollte – aufgenommen wurde Lanz an beiden Schulen. Schliesslich konnte sie direkt ins Hauptstudium an der Schauspielschule in Freiburg im Breisgau einsteigen, weil sie zuvor bereits in verschiedenen Musicals mitgewirkt hatte. Seither hat sie in rund zehn Produktionen mitgespielt, gesungen und getanzt. Doch sie ging noch einen Schritt weiter: Mittlerweile ist Lanz mit ihrer eigenen Firma «Art7theater» zur Unternehmerin geworden. Unter deren Dach laufen einerseits ihre eigenen Produktionen wie das Freilichttheater auf der Alp Breitlauenen, andererseits bietet Lanz dort auch Theater-Workshops für Kinder und Erwachsene an. Nach einigen Jahren im Ausland kam die heute 32-jährige Deborah Lanz zurück ins Berner Oberland: «Da habe ich
gespürt: Hier gehöre ich hin.» Sie zog nach Unterseen und liess sich bei den Jungfraubahnen als Zugbegleiterin auf der Bahn zur Schynigen Platte ausbilden. Hier entstand die Idee zum Freilichttheater in luftigen Höhen. Tango, der ins Leben zurückführt Als Projektleiterin nahm sie mit ihrem Konzept den Weg durch zahlreiche Instanzen auf sich – «ein Geduldsakt hoch zehn», so Lanz. Nunmehr standen die Koordination mit Partnern wie den Jungfraubahnen an oder praktische Arbeiten wie der Bau der Tribüne im steilen Gelände. Das Gerüst fuhr Lanz selber während der Nacht mit der Bahn auf die Alp hinauf. «Es war der Hammer», erinnert sie sich. Heute sind 135 Leute in ihr Projekt involviert. Da sei es wichtig, sowohl verständnisvoll und geduldig zu sein als auch führen zu können. Dieser Spagat gelinge ihr eigentlich ganz gut, sagt Lanz. Seit beinahe zwei Jahren arbeite sie neben dem Krankenschwestern-Job intensiv an dem Projekt. «Es war megastreng, aber ich habe unglaublich viel gelernt», sagt sie. Identifikation, die leicht fällt Nebst der organisatorischen Herkulesarbeit spielt Deborah Lanz die Rolle der Natascha, eine tragende Rolle, in einem Stück, in dem es keine eigentlichen Hauptrollen gebe. Grundsätzlich müsse sie sich als Schauspielerin mit allen Rollen identifizieren können, das sei ihr Anspruch, sagt Lanz. Die Natascha komme ihr jedoch entgegen, weil sie auch Charakterzüge von sich selbst einbringen könne: «Sie ist sehr verträumt.»
In der Geschichte von Hansjörg Schneider, die auf einer Alp spielt, trifft Natascha auf einen jungen Mann, der nicht mit dem Leben zurechtkommt. «Die Menschen, denen er begegnet, sind ein Spiegel der Gesellschaft», sagt Lanz. Mit ihrem Temperament und der Liebe zum Tango gelingt es Natascha, dem jungen Stephan (Patricio Gaffo) näher zu kommen. «Es gibt Musik, einige Tanzpassagen und Gesang, aber es ist kein Musical», versucht Deborah Lanz die Form ihrer Produktion zu umreissen. Stephanie Glaser als Patronin Für den «Alpenrosentango» hat Deborah Lanz die 90-jährige Schauspielerin Stephanie Glaser («Die Herbstzeitlosen») als Patronin angefragt. Glaser hatte 1984 in der Uraufführung des Stücks die Natascha gespielt. «Ich finde es wichtig, dass sich Künstler gegenseitig unterstützen», so Lanz. «Inzwischen ist eine schöne Freundschaft entstanden.» Kürzlich wurde Glaser mit dem Kulturpreis der Bürgi-Willert-Stiftung für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Wie dies die Stiftung vorsieht, hat sie die stattliche Preissumme von 60 000 Franken weitergegeben: an Deborah Lanz. «Das ist für mich tausend Mal mehr als ein Sechser im Lotto», sagt Lanz. «Es ist eine riesige Ehre.» Das Geld werde sie in ihre nächsten Projekte stecken. «Gute Ideen habe ich noch viele!» Felicie Notter \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Alp Breitlauenen, Schynige Platte Do., 22.7. (Premiere), Fr., 23.7., Sa., 24.7., jeweils 19.30 Uhr Weitere Spieldaten bis 28.8. www.alpenrosentango.ch