Philipp Zinniker
Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag
N°5 Donnerstag bis Mittwoch 4. bis 10.2.2010 www.kulturagenda.be
Martin Suter liest im Theater National in Bern
«Auf ein Wort»: Bern Ballett tanzt vier kurze Choreografien
Der erfolgreichste und meistgelesene Autor der Schweiz hat seiner Heimat schon lange den Rücken gekehrt. Martin Suter lebt mit seiner Familie in Spanien und Guatemala. Auf seiner Lesetour macht der 61-Jährige auch halt in Bern und stellt seinen neuen Roman, «Der Koch», vor.
Das Berner Ballettensemble zeigt, dass es keine Berührungsängste vor zeitgenössischer Musik kennt. Im Hintergrund Beatbox-Championne Steff la Cheffe.
Kochkunst, Sex und Waffenhandel
Ballett feat. Beatboxing
Ob Romane, Drehbücher oder Songtexte, was Martin Suter schreibt, wird zu Gold. Sein neuster literarischer Streich, «Der Koch», führt bereits die Bestsellerliste an. Ein süffiger, gut konstruierter Roman, der sein politischster, aber nicht sein bester ist.
Vier Uraufführungen, vier Choreografen, ein Thema: «Bewegung und Text». Das Ensemble des Bern Ballett zeigt sich im neuen Programm, «Auf ein Wort», vielseitig und wird unter anderen von der Berner Beatboxerin Steff la Cheffe live begleitet.
Martin Suters Romanfiguren sind Antihelden. Da macht auch der Protagonist in «Der Koch» keine Ausnahme. Der Einzelgänger Maravan ist ein tamilischer Asylbewerber und arbeitet als Tellerwäscher in der Küche eines Zürcher Gourmetlokals. Ein Handlanger, obwohl er die ganze Küchenbrigade des «Chez Huwyler» locker an die Wand kochen könnte. Denn seine Leidenschaft gehört seit seiner Kindheit in Sri Lanka der Kochkunst. Die Grosstante Nangay führte ihn in die Welt der ayurvedischen und aphrodisischen Küche ein.
rea und wenig später seinen Job im «Huwyler». Auch Andrea wird gekündigt. Doch die Macherin nimmt ihr gemeinsames Schicksal gleich selbst in die Hand: «Love Food» heisst die zündende Idee. Mit Maravan als «SexKoch» und sich selbst als Kellnerin zieht sie ein Liebesmenü-Catering der aphrodisierenden Art auf. Endlich kann Maravan tun, was er am besten kann. Das Kochen tröstet ihn nicht mehr allein über sein Heimweh und die Sorge um seine Familie im Bürgerkrieg hinweg, sondern rettet ihn auch aus seiner finanziellen Notlage.
Schützenhilfe für den Aussenseiter Sein Talent bleibt den Küchenkollegen nicht verborgen. Es ist Anlass für Neid und Missgunst. Maravan wird herumbefohlen und erniedrigt. Die von allen begehrte schöne Kellnerin Andrea kann das nicht länger mitansehen und wirft sich für den Küchengehilfen in die Bresche. Vor dem verdatterten Küchenteam lädt sie sich nach ihren Sympathiebekundungen für den Aussenseiter gleich selbst bei Maravan zum Essen ein. So kommt es, dass Andrea das erste Opfer seiner kulinarischen Verführungskünste wird: «Es war, als könnte sie jedes Gewürz herausschmecken. Als würde jedes einzeln explodieren und das Ganze sich zu einem sich immer wieder neu formierenden Feuerwerk entfalten.» Ob dem Liebesmenü vergisst die Lesbe sogar ihre sexuelle Ausrichtung und landet bei Maravan im Bett. Nach der gemeinsamen Nacht verliert Maravan prompt das Herz an And-
Schnörkellos und sinnlich Die Passagen, in denen Suter Maravans Zubereitung der Speisen beschreibt, gehören zu den schönsten und besten des Romans. Mit einer bildhaften, aber schlichten Sprache und vielen Vergleichen fasst der Autor die Sinnlichkeit des Kochens in Sätze, an denen man sich nicht sattlesen kann: «Wenn er Austern öffnete, sah es aus, als täten sie sich freiwillig für ihn auf.» Wie in all seinen Büchern beweist Martin Suter auch in diesem Roman seinen Perfektionismus in Sachen Recherche. Ob Bürgerkrieg in Sri Lanka oder Gastroszene in Zürich, er weiss, wovon er schreibt, und lässt dieses Wissen glaubhaft in die gut aufgebaute Geschichte einfliessen. Zwischen März 2008 und April 2009 spielend, thematisiert «Der Koch» auch die Wirtschaftskrise. Die Kunden der diskreten, aber teuren aphrodisischen Liebesmenüs sind nämlich die Akteure der Schweizer Wirtschaftselite. Und
diese kommt schlecht weg bei Suter. Aus seiner kapitalismuskritischen Haltung hat der in Spanien und Guatemala lebende Autor noch nie einen Hehl gemacht. Aber dass er sie so explizit in einem Roman äussert, ist neu. Leider ist sie etwas platt geraten: Auf der einen Seite stehen die bösen Banker, die ihre Geschäfte auf Kosten des armen Asyl bewerbers auf der andern Seite tätigen. Bei aller Schwarz-Weiss Malerei, so politisch hat man Martin Suter noch nie gelesen. Kurz nach der Abstimmung zum Schweizer Waffenexport thematisiert er den illegalen Waffenhandel. Kaum gelesen – schon vergessen Abgesehen davon ist der jüngste Roman des Autors, der zuletzt mit dem Drehbuch zum Film «Giulias Verschwinden» für Aufsehen gesorgt hat, vor allem eine schöne und spannende Geschichte. Perfekt konstruiert und süffig geschrieben, wie man es von Suter kennt und liebt. Kurzweilig und erhellend in Sachen tamilischer Kultur und Küche. «Der Koch» mundet. Einen lang anhaltenden Abgang hat das Buch aber nicht. So gerne man es liest, so schnell wird es wieder vergessen sein. Für nachhaltigere Freuden – Gaumenfreuden und andere – sorgen jedoch die hinten im Buch abgedruckten Rezepte von Maravan.
Simone Tanner
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Martin Suter: «Der Koch» Diogenes Verlag, Zürich 2010 320 Seiten 38.90 Franken Theater National, Bern Fr., 5.2., 20 Uhr www.diogenes.ch
Was war zuerst: das Wort oder die Bewegung? In fliessenden Drehungen umtanzen sich Tänzerinnen und Tänzer im Duett. Zischlaute und Klänge erzeugen akustische Dynamik. Die Bewegungen der Tanzenden mehren und vermengen sich: Gesten der Liebe entstehen, neckische Posen. Befehle werden erteilt: Arabesque! Pas de basque! Das übliche Ballettvokabular eben. Dann plötzlich: Wave, Welle! Welche Wörter lassen sich sonst noch tanzen? Und jetzt legt sie los: Steff la Cheffe, die junge Berner Beatbox-Vizeweltmeiste rin, schnalzt, zischt und trommelt mit Zunge und Lippen ein ganzes Orchester im Sologang. Eine Tänzerin dreht sich zuckend wie eine gescratchte Schallplatte, um ihren Tanz in ballettesken Breakdance kulminieren zu lassen. Die Sopranistin Mélanie Adami mischt sich stimmlich ein und ergänzt mit klassischen Klängen die Komposition von Dave Maric. «And our faces vanish like water» heisst die neuste Choreografie von Cathy Marston, Leiterin des Bern Ballett. Als Inspiration diente das Gedicht «The Art of Poetry» des argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges. Das 15-minütige Stück verwebt gesprochene, gesungene und körperliche Sprache miteinander. Schnitt und Montage Dass sich Marston für ihre Choreografien von literarischen Vorlagen inspirieren lässt, ist nicht neu. Und doch sagt sie: «Dies ist kein typisches CathyStück.» Anstatt einzelne Wörter mit ihren Bedeutungen als Ausgangslage zu nehmen, zerstückelte sie Borges Ge-
dicht und schnitt einzelne Wörter heraus. Ebenso verfuhr sie mit den Bewegungen der Tänzer und Tänzerinnen. So hat sich spielerisch ein neuer Stil oder vielmehr eine neue Körpersprache entwickelt. Der Beat dazu, der Puls, kommt von Steff la Cheffe. Marston ist überzeugt: «Die Zusammenarbeit mit Musikern aus Bern ist wichtig und wertvoll.» Eine nächste Produktion gemeinsam mit den Kummerbuben sei schon in Planung. Cathy Marston hat weiter drei Gast-Choreografen eingeladen, sich mit dem Thema «Bewegung und Text» auseinanderzusetzen. «Ich suche immer Gäste, die etwas Ungewöhnliches schaffen», erzählt Marston, «das ist eine Herausforderung für die Tänzer – und das ist gesund.» Die aus Frankreich stammende Choreografin Corinne Rochet stellt in ihrem Stück die Frage, wie sich die richtigen Worte finden lassen. Der französische Choreograf Medhi Walerski liess sich von der Bewegung der Sprache inspirieren. Das extremste Stück des Abends stammt jedoch vom Engländer Mark Bruce: «Crimes of passion». Er mischt Bewegungen aus dem Varieté mit Hardcore-Cheerleading und Punkmusik. Das vermeintlich glamouröse Showbiz wird vorgeführt und sieht plötzlich brutal und hohl aus, wenn PJ Harvey den Soundtrack dazu liefert. Dämonisch, makaber – und komisch. Was war nun zuerst: das Wort oder die Bewegung? Cathy Marston lächelt. Anna Serarda Campell \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Vidmar 1, Liebefeld. So., 7.2., 18 Uhr. Weitere Vorstellungen bis 19.3. www.stadttheaterbern.ch