STRASSENGESCHICHTEN
Straßennamen als Spiegel der Zeit Der Krieg ist der Vater aller Dinge. So formulierte der griechische Philosoph Heraklit eine seiner bekanntesten Thesen. Auch wenn er damit nicht in erster Linie bewaffnete Konflikte meinte, so gehen doch viele Erfindungen oder zumindest deren Popularität auf Kriege zurück. Ob Teebeutel, Kugelschreiber oder „Mensch ärgere dich nicht“, sie alle verdanken ihren Erfolg einem der beiden Weltkriege.
Hausnummer aus dem 19. Jahrhundert
Auch die Hausnummern, genauer Konskriptionsnummern – entfernte Verwandte der Straßennamen – besitzen einen militärischen Hintergrund. Ein Herrscher behielt den Überblick über seine Untertanen, indem er jede Person einem bestimmten Haus zuordnete. Im Laufe des 18. Jahrhunderts setzte sich deshalb in mehreren europäischen Ländern die Idee durch, die Gebäude innerhalb eines Ortes durchzunummerieren. Straßennamen gab es kaum, aber eine Nummer für jedes Haus war zunächst ausreichend. Auf dem wahrscheinlich bekanntesten Türschild in Köln steht 4711 – heute noch Markenname für Echt Kölnisch Wasser. Maria Theresias Volkszählung
Auch in den habsburgischen Ländern wollte man die Verwaltung in Dörfern und Städten verbessern. Dazu erließ Maria Theresia im Frühjahr 1770 ein Patent mit der Bezeichnung „Allgemeine Seelen-, Zugviehes- und Häuserbeschreibung“. Diese Seelenkonskription, heute würden wir 10
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Eine der bekanntesten Hausnummern der Welt
Volkszählung sagen, sollte die steuerliche und vor allem militärische Organisation effizienter gestalten. Rekruten konnten damit erfasst und im Kriegsfall leichter gefunden und eingezogen werden. Dafür reisten mehrköpfige Kommissionen durch die Ortschaften und befragten in jedem Haus die darin lebenden Menschen, wie sie hießen und wie alt sie waren. Die Angaben wurden in eine Tabelle eingetragen, gleichzeitig versah man das Haus mit einer Nummer. In Tirol und Vorderösterreich hatte man dies bereits drei Jahre zuvor angeordnet und die Zahlen mit roter Farbe neben oder über die Haustür aufgemalt. Auf die Besitzverhältnisse wurde keine Rücksicht genommen: „Alle Häuser, sie mögen frey oder bürgerlich seyn, müssen in einer Reyhe fortnumeriert werden“, heißt es in einer Verordnung. Dieser modern anmutende Ansatz war manchen Adligen wenig genehm. Auch gab es hie und da Widerstand gegen die Symbole des Staates und ihren militärischen Zweck. Wer sie auskratzte, mit Dreck beschmierte oder un-
kenntlich machte, wurde mit einer Geldstrafe belegt. Das Unternehmen „Hausnummerierung“ passte vortrefflich ins Zeitalter der Aufklärung und dem Wunsch nach Ordnung und Klassifikation. Ausgangspunkt und damit Nr. 1 war eine zentrale Stelle, meist der Hauptplatz des Ortes. Jedes weitere von Menschen bewohnte Gebäude erhielt eine fortlaufende Nummer. Wohnhäuser, Heime, Rathäuser, Pfarrhöfe und Klöster gehörten dazu, nicht aber Kirchen, Scheunen und Ställe. So konnte jedes Gebäude eindeutig identifiziert werden. Probleme ergaben sich allerdings bei Neubauten. Da diese die nächste freie Nummer erhielten, konnte es vorkommen, dass sich zwischen Nr. 15 und 16 die 231 schob. Entsprechend schwierig war es, neue Gebäude ohne gute Ortskenntnis zu finden. Eine Lösungsmöglichkeit bestand darin, in bestimmten zeitlichen Abständen den gesamten Ort neu zu nummerieren. Das war aufwändig. Zudem mussten Listen mit den alten und neuen Nummern angelegt werden, um bei früheren Protokollen und Verordnungen
nicht vollkommen den Überblick zu verlieren. Um diese Schwierigkeiten zu reduzieren, ging man ab dem 19. Jahrhundert dazu über, Ortschaften gassen- und straßenweise zu katalogisieren. Neben den Zahlen brauchte es nun auch Bezeichnungen für die einzelnen Straßen. In den meisten Städten existierten diese schon seit dem Mittelalter – auch wenn sich nur selten ein Name bis heute erhalten hat. Oft verwiesen die Namen auf eine Handwerkszunft, eine Bevölkerungsschicht oder eine Funktion. Man denke an die Binder-, Gerber- und Fleischgasse in Bozen oder an den Rennweg und den Kornplatz in Meran. Die Moden der Namen
Die Geschichte der Straßennamen offenbart, dass jede Epoche bestimmten Moden unterliegt, wie oder wonach man die Straßen benennt. Der Zeitgeist macht auch vor Pflastersteinen nicht Halt. Waren es zunächst, wie erwähnt, einzelne Berufsgruppen oder Heilige, die in den Benennungen auftauchten, ging man ab dem Zeitalter des