UPDATE Standpunkte
DAS FREIBAD
Was genau ist dieser Ort zwischen POOL UND POMMESBUDE: Deutschlands Vergnügungsparadies für alle – oder ein Kosmos spießigen Kartoffeltums?
PRO
Vor ein paar Jahren bekam Campino Ärger, weil er mit Kumpels nachts in ein Dresdner Freibad einstieg. Vorher hatten die Toten Hosen nebenan ein Stadionkonzert gespielt. Deutschlands größter Rockstar hätte danach ein Bommerlunder-Gelage feiern können, mit den VIPs schäkern oder mal früh schlafen gehen. Aber nein, er ging ins Freibad. Weil er natürlich eines weiß: In Sommernächten ist es kaum irgendwo in Deutschland schöner. An Sommertagen natürlich auch. Das liegt nicht nur am maßlos unterschätzten Vergnügen, das eine Partie Tischtennis-Rundlauf mit Fremden bietet. Oder eine gelungene Arschbombe vom Dreier. Oder eine misslungene vom Zehner (wenn man Zuschauer ist). Es liegt vor allem daran, dass du im Freibad ganz du selbst sein kannst. Es ist ein so entwaffnend unglamouröser Ort mit einem so herrlich unaufgeregten Publikum, dass du dich sofort wohlfühlst. Mit Hornhaut an den Füßen, Sonnenbrand an der Nase, Winterspeck an den Hüften. Alles egal. Menschen trainieren für einen Beach-Body. Ihre Freibad-Figur ist den meisten egal. Zwischen Babybecken, Pommesbude und Sprungturm ist jeder schlicht bei sich. Und die ganze Stadt beieinander. Im Münchner Ungererbad konnte man in den 80er-Jahren mit Heiner Lauterbach Fußball spielen. Oder vom dicken Frankie aus der Siebten eins auf die Nase kriegen. Beide waren immer da. Dazu Anzug- und Blaumannträger, Cabrio- und Bonanzarad-Fahrer, Rentner, Schwörer, Schwabinger. Zum Glück sind sie es heute noch. Denn in einer Gesellschaft, die zunehmend in Grüppchen zerfällt, hilft uns das Freibad zu verstehen: Wir wollen im Grunde doch alle nur das Gleiche – ein bisschen Spaß und noch ein Calippo.
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CONTRA
NINA HABRES mag nur trinkbare „Swimming Pools“
Ich liebe Pommes. Gerne auf dem Volksfest, im Nobelrestaurant, im Schnellrestaurant, im Sitzen, im Stehen, im Gehen, von mir aus auch matschig geliefert. Aber an 2818 Orte in Deutschland bringt mich nicht einmal die weltbeste Portion Pommes: in eines der vom Bäderatlas gezählten „Freibadangebote“. Freibäder sind wie ein Alman-Wimmelbuch. Ein reales Suchbild, in dem man jede Ausprägung des spießerdeutschen Kartoffeltums findet. Los geht’s mit der Verbissenheit, möglichst früh am Freibad zu sein, um nicht nur einen guten Parkplatz zu bekommen (nah am Eingang und später noch schattig), sondern auch auf der Liegewiese ein nettes Plätzchen zu ergattern (nah am Klo, aber nicht zu nah, später auch noch schattig, weil’s in der Sonne „echt zu heiß“ wird). Kaum angekommen, werden die in Tupperboxen mitgebrachten Kekse, Apfelschnitze und Snack-Karotten den Kids marktschreierisch angepriesen. Die wollen aber keine halbe Stunde nach dem Essen warten, sondern lieber direkt ins Wasser. Dort zieht immer jemand seine Bahnen durch das mit einem Film aus Sonnencreme überzogene Wasser, und mindestens einer fragt sich, warum die Stelle, an der er gerade schwimmt, so warm ist. Ein anderer weiß es. Macht man sich zur obligatorischen Portion Pommes zum Kiosk auf, schlängelt man sich zu nah an zu vielen zu nackten Körpern vorbei, von denen man sonst Abstand halten würde, tänzelt um Wespen, die sich um runtergetropftes Calippo im Gras kümmern, und wird mit Blicken gekillt, sobald man auch nur den Zipfel eines Handtuchs mit dem kleinen Zeh berührt. Ist auch klar, Fußpilz gibt’s im Freibad gratis zur Tageskarte. Auch wenn mir sonst für Pommes kein Weg zu weit ist – den hier trete ich nicht an.
ILLUSTRATION: LENNART GÄBEL FÜR PLAYBOY. FOTOS: PLAYBOY (2)
ALEXANDER NEUMANN-DELBARRE mag auch Swimmingpools bei Nacht