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R. Fischer
from Jahrbuch 2008
by bigdetail
gungserklärung abgegeben hatten. Die Probandengruppe wurde anschließend randomisiert und in 2 Gruppen aufgeteilt (Colostrum-Gruppe, n= 12; PlaceboGruppe, n= 13). Das Studienprotokoll wurde von der Ethikkommission der Medizinischen Universität Innsbruck genehmigt.
2.Bovines Colostrum/Placebo (Produktbeschreibung/Einnahmeprotokoll/-
Studiendesign) Bei dem Test-Präparat (Fa. Meggle) handelte es sich um Kau-Lutschtabletten (Vertriebsagentur: Walter Thurnwalder), welche aus dem Pulver einer innerhalb der ersten 12 Stunden nach der Geburt des Kalbes (post partum) vom Muttertier gesammelten Erstmilch hergestellt wurde. Eine derartige Vorgehensweise sichert dem Produkt einen besonders hohen Gehalt an immunaktiven Substanzen und Wachstumsfaktoren, da in der wissenschaftlichen Literatur bekannt ist, dass nur innerhalb der ersten 24 Stunden post partum eine maximale Konzentration an Inhaltsstoffen zu erwarten ist und danach ein deutlicher quantitativer Abfall im zeitlichen Verlauf stattfindet (9). Das Placebo-Präparat (Fa. Meggle) wurde ebenfalls als Kau-Lutschtablette (in vergleichbarer Farbe, Form und Konsistenz) den Probanden dargeboten, jedoch ohne Colostrum-Beimengungen. Um die Kriterien eines Doppelblind-Designs zu gewährleisten wurde den beiden Ärzten, welche vor Ort die Feldstudie koordinierten und betreuten, 2 mit Buchstaben kodierte Behälter (A und B, je 1 Behälter mit dem Colostrum-Präparat und 1 Behälter mit dem Placebo-Präparat) sowie eine dementsprechend kodierte Teilnehmerliste (Gruppe A und Gruppe B) ausgehändigt. Die Interventionsgruppe (Colostrumgruppe) nahm während des Zeitraums der Ski-Expedition (ca. 3 Wochen) jeweils morgens und abends 1 Colostrum-Tablette, während die Placebogruppe (Kontrollgruppe) im gleichen Zeitraum und in gleicher Weise die Placebo-Tabletten zu sich nahm. Die Einnahme (Colostrum/Placebo) startete direkt nach Abschluss der Baseline-Untersuchung (t0).
3. Fragebögen/Scoring-Systeme Infekte des Magen-Darm-Traktes (Gastrointestinaler Infekt-Score, GITIS) Zur Erfassung der Infektsymptomatik des Magen-Darm-Traktes zu bestimmten Zeitpunkten diente ein spezieller Symptomatik-Fragebogen (GITIS), welcher in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik für Gastroenterologie der Medizinischen Universität Innsbruck (Univ.-Prof. Dr. med. Robert Koch) erstellt wurde, wobei in der Konzeption ein besonderes Augenmerk auf die einfache und schnelle Erhebbarkeit und damit auf die Einsetzbarkeit in Feldstudien gelegt wurde.
Der Fragebogen setzte sich aus 8 verschiedenen Merkmalen (Items) zusammen, welche sich häufig bei gastrointestinalen Infekten verändern (Stuhlfrequenz/24Std., Stuhlkonsistenz, Stuhlmenge) bzw. neu auftreten (Blutbeimengungen, Bauchschmerzen, Windabgänge, Übelkeit/Erbrechen, Fieber) können. Die einzelnen Items (mit Ausnahme der Stuhlfrequenz/24h) wurden zusätzlich anhand einer Zahlenskala von 0 bis 3 hinsichtlich ihrer Ausprägung (Intensität) eingeteilt. Dabei wurde ein Anstieg des Symptomatik-Scores ≥6 als gastrointestinale Erkrankung bzw. Infekt gewertet.
Akute Bergkrankheit (Lake Louise Scoring System, LLSS) Das Lake Louise Scoring System (LLSS) wurde im Zuge des 1991 in Lake Louise abgehaltenen Hypoxia-Symposiums zur Standardisierung der Symptomatik der akuten Höhenkrankheit (AMS) entwickelt. Das LLSS besteht aus 3 Erhebungsabschnitten (1. Subjektiver Fragebogen, 2. Objektive klinische Beurteilung, 3. Funktionsprüfung) und ist mittlerweile ein international häufig eingesetztes, durch Studien mehrfach validiertes Scoring-System zur Erfassung der AMS-Inzidenz und zur Beurteilung des Schweregrades der AMS-Symptomatik (13, 14). Der subjektive LLSS gliedert sich in fünf Merkmale bzw. Symptome (Kopfschmerz, gastrointestinale Symptome, Müdigkeit/Schwäche, Schwindel, Schlafstörungen) der akuten Bergkrankheit (Acute Mountain Sickness, AMS), wobei anhand einer Zahlenskala von 0 bis 3 der Schweregrad dieser Symptome (von 0= keine Symptomatik bis 3= schwere Symptomatik) festgelegt wird. Im Zuge der Feldstudie wurde vor allem der subjektive Abschnitt des LLSS erhoben, wobei ein Gesamtscore von ≥4 in einer Höhe von ≥2500m ü. NN. (Schwellenhöhe) als Vorliegen einer akuten Bergkrankheit gewertet wurde.
4.Basisparameter in Ruhe (Blutdruck, Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung,
Körperkerntemperatur) Der Blutdruck wurde mittels elektronischer Messung (Omron M5 Professional) nach dem Riva-Rocci-Prinzip in standardisierter Vorgehensweise am Oberarm bestimmt. Die Herzfrequenz wurde mit Hilfe einer EKG-genauen Pulsuhr (Polar S810i) erfasst und die arterielle Sauerstoffsättigung anhand eines tragbaren Pulsoxymeters (PulseOx 5500) am Finger des Probanden abgelesen. Die Körperkerntemperatur wurde mit Hilfe eines in den äußeren Gehörgang des Probanden eingeführten Infrarotsensors (Braun ThermoScan IRT 4520) nahe am Trommelfell gemessen. Diese so genannte epitympanale Temperaturmessung wurde neben der klinischen Anwendung in der Intensivmedizin auch bereits bei Feldmessungen zur Bestimmung der Körperkerntemperatur herangezogen (15).
5. Datenerhebung/Messung/Statistik Die Untersuchungen wurden von 2 Ärzten vor Ort zu unterschiedlichen Zeitpunkten während der Ski-Expedition durchgeführt. Die Eingangsuntersuchung (t0) fand direkt nach Ankunft am Ausgangsort der Expedition (Bishkek, Kirgisistan) in Tal Lage (800m ü. NN.) statt. Weitere Untersuchungen folgten während der 3-tägigen Anreise ins Basislager (Zeitpunkt t1), direkt (akut) nach Ankunft im Basislager (Zeitpunkt t2), nach einer Übernachtung im Basislager (subakut, Zeitpunkt t3) sowie nach einer weiteren Nacht im Basislager (Zeitpunkt t4) und vor dem endgültigen Verlassen des Basislagers (Zeitpunkt t15). Auch auf der Rückreise wurden weitere Untersuchungen durchgeführt (Zeitpunkte t16-t21). Die Abschlussuntersuchung erfolgte schließlich wieder am Ausgangsort der Expedition (Bishkek) kurz vor der Heimreise (Zeitpunkt t22). Zu den gegebenen Zeitpunkten wurden die beiden Scores (LLSS, GITIS) sowie die aktuelle Medikamentenanamnese erhoben und die Basisparameter in Ruhe (Herzfrequenz, Blutdruck, arterielle Sauerstoffsättigung, Körpertemperatur) mit Hilfe der jeweiligen Messgeräte bestimmt. Da für die Bestimmung der Basisparameter neben der standardisierten Vorgehensweise auch eine standardisierte Ruheposition erforderlich war, wurden alle Messungen in einer aufrecht sitzenden Position durchgeführt. Die statistische Auswertung erfolgte mittels SPSS-Software 16.0. Zum Vergleich der beiden Gruppen (Colostrum, Placebo) untereinander bezüglich der erhobenen Messparameter wurde nach Testung auf Normalverteilung (KS-Test) der Student-t-Test für unabhängige Stichproben herangezogen. Die aus den Scores (LLSS, GITIS) ermittelte Infekt- und AMS-Inzidenzen zu unterschiedlichen Zeitpunkten der beiden Gruppen wurden mit Hilfe des Chi-Quadrat-Tests (bei einer erwarteten Häufigkeit≤ 5 ➝ Exakter Test nach Fisher) miteinander verglichen. Mögliche Zusammenhänge zwischen einzelnen Erhebungen wurden mittels Korrelationsanalysen überprüft. Bei einem 95% Konfidenzintervall wurde ein P-Wert< 0,05 als statistisch signifikant gewertet.
ERGEBNISSE
Die Untersuchungen während der 3-wöchigen Ski-Expedition erfolgten dabei zu mehreren Zeitpunkten und in unterschiedlichen Höhen (Abb.1). Der Ergebnisteil gliedert sich in folgende 2 Abschnitte: 1. Baseline-Untersuchung in Tal Lage (t0); 2. Höhenuntersuchungen während der Anreise zum Basislager (t1) und im Basislager (t2-t4, t15) sowie Untersuchungen in Tal Lage (t16-t21, t22) nach Abreise aus dem Basislager (Abb.1).
Abb.1 Höhenprofil der Ski-Expedition mit Untersuchungsorten (Rahmen) zu unterschiedlichen Untersuchungszeitpunkten (Pfeile): t0= Baseline-Untersuchung in Tal Lage, t22= Abschluss-Untersuchung in Tal Lage, t1= 1. Höhenuntersuchung, t2= Untersuchung im Basislager (akut), t3= Untersuchung im Basislager (subakut), t4= Untersuchung im Basislager kurz vor Aufbruch in das Höhenlager 1, t15= Untersuchung im Basislager kurz vor Abreise, t16-t21= Untersuchungen nach Verlassen des Basislagers.
1.Baseline-Untersuchung in Tal Lage (t0) An der Feldstudie nahmen insgesamt 25 gesunde und gut trainierte HöhenbergsteigerInnen (23 Männer, 2 Frauen) im Alter zwischen 26 (Minimum) und 63 (Maximum) Jahren teil. In der nachfolgenden Tabelle (Tab.1) sind die anthropometrischen Charakteristika (Körpergröße, Körpergewicht, BMI) sowie die gemessenen physiologischen Parameter in Ruhe (Herzfrequenz, Blutdruck, arterielle Sauerstoffsättigung, Körperkerntemperatur) der beiden Gruppen (Colostrum, Placebo) dargestellt. Es ergaben sich in der Baseline-Erhebung keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen bezüglich dieser Parameter.
TABELLE 1 Baseline-Untersuchung (anthropometrische Charakteristika/Basisparameter)
Anthropometrische Daten Gruppe A (n=12) Gruppe B (n=13) Mittelwert (Standardabweichung) P-Wert
Alter, Jahre 47 (11) 46 (8) 0,373 Körpergröße, cm 177 (6) 180 (6) 0,149 Körpergewicht, kg 73 (10) 76 (9) 0,404 BMI, kg m-2 23,3 (2,4) 23,4 (1,8) 0,938
Physiologische Parameter in Ruhe
Herzfrequenz, Schläge min-1
73 (12) 69 (10) 0,373 Blutdruck systolisch, mmHg 131 (15) 133 (12) 0,760 Blutdruck diastolisch, mmHg 77 (12) 78 (11) 0,972 Arterielle Sauerstoffsättigung, % 97 (1) 98 (1) 0,101 Körperkerntemperatur, °C 36,8 (0,3) 36,6 (0,3) 0,281
Vergleich der Mittelwerte (Standardabweichungen) beider Gruppen (Colostrum, Placebo) bezüglich anthropometrischer Charakteristika und physiologischer Basisparameter. Student-t-Test für unabhängige Stichproben, Konfidenzintervall: 95%; * P-Wert< 0,05.
2. Höhenuntersuchungen (t1-t4, t15) und Nachfolgeuntersuchungen in Tal Lage (t16-t21, t22) Basisparameter in Ruhe Nach akuter Höhenexposition während des Aufstiegs zum Basislager (4.500m ü. NN) kam es in beiden Gruppen (Colostrum, Placebo) zu den aus der Literatur bereits bekannten typischen Veränderungen der Parameter des Lunge-Herzkreislaufsystems in Ruhe (Abb. 2). So folgte einem signifikanten Abfall der arteriellen Sauerstoffsättigung (Mittelwert aus allen Probanden (MW) ±Standardabweichung (S), t0 97 ±1 % vs. t2 79 ±5 %, P-Wert< 0.001)) ein signifikanter Anstieg der Herzfrequenz (t0 71 ±11 S/min vs. t2 87 ±12 S/min, P-Wert< 0.001) und des systolischen Blutdrucks (t0 132 ±13 mmHg vs. t2 151 ±20 mmHg), welche sich nach Rückkehr in Tal Lage (t22) wieder normalisierten. Bezüglich der Körperkerntemperatur (t0 36,7 ±0,3 °C vs. t2 36,8 ±0,7 °C, P-Wert= 0,363)
ergaben sich im gleichen Beobachtungszeitraum keine signifikanten Veränderungen. Interessanter Weise wies die Colostrum-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe während des kritischen Zeitpunkts signifikant erhöhter gastrointestinaler Erkrankungshäufigkeit (t3,Abb.3) sowohl eine tendenziell niedrigere Körperkerntemperatur als auch höhere arterielle Sauerstoffsättigung auf (t3,Abb.2).
Abb.2 Vergleich der Basisparameter in Ruhe (A= Systolischer Blutdruck (SBP), B= Arterielle Sauerstoffsättigung (SaO2), C= Herzfrequenz (HR), D= Körperkerntemperatur (ET)) zu unterschiedlichen Zeitpunkten (t0= Ausgangspunkt in Tal Lage, t1-t4= Höhenexpostion, t22= Endpunkt erneut in Tal Lage) innerhalb der Gesamtgruppe (t, grüne Kurve), der Colostrum-Gruppe (c, blaue Kurve) und der Placebo-Gruppe (p, rote Kurve). Signifikanter Abfall der SaO2 und signifikante Anstiege des SBP und der HR in beiden Gruppen von t0 nach t2. Tendenziell höhere SaO2 und niedrigere ET zum Zeitpunkt t3 in der Colostrum-Gruppe. Student-t-Test bei abhängigen Stichproben, Konfidenzintervall: 95%, * P-Wert < 0,001.
AMS- und Infekthäufigkeit (LLSS, GITIS) Die anhand des GITIS ermittelte gastrointestinale Erkrankungshäufigkeit stieg in den ersten Tagen während der Anreise zum Basislager in der Placebo-Gruppe kontinuierlich an (Abb. 3) und erreichte am 2. Tag im Basislager (t3) im Vergleich zur Colostrum-Gruppe einen signifikant höheren Wert (54% vs. 8%, PWert< 0,05). Die AMS-Inzidenz (nicht abgebildet) war zu diesem Beobachtungszeitpunkt (t3) in beiden Gruppen ident. Im weiteren Verlauf der Ski-Expedition reduzierte sich die gastrointestinale Erkrankungshäufigkeit in beiden Gruppen deutlich und es ergaben sich zu den nachfolgenden Beobachtungszeitpunkten diesbezüglich keine weiteren signifikanten Unterschiede. Bezüglich der Zusammenhangsprüfung zwischen der Inzidenz von AMS und der GIT-Erkrankungshäufigkeit ergab sich im Beobachtungszeitraum t1-t4 lediglich zum Zeitpunkt t1 eine geringe Korrelation (Spearman Korrelationskoeffizient r= 0,406, P-Wert< 0,05) zwischen LLSS und GITIS innerhalb der gesamten Teilnehmergruppe (Colostrum und Placebo). Insgesamt ergab sich für die Colostrum-Gruppe innerhalb des 3-wöchigen Beobachtungszeitraums eine im Vergleich zur Placebo-Gruppe um 36% reduzierte (64% vs. 100%) kumulierte Erkrankungshäufigkeit (= Quotient aus der Summe der einzelnen Erkrankungsfälle innerhalb der jeweiligen Gruppe über den gesamten Beobachtungszeitrum und der Gesamtteilnehmerzahl (n= 25) in Prozent)).
Abb.3 Gastrointestinale Erkrankungshäufigkeit im Zeitverlauf (t1-t22) der Expedition. Prozentueller Inzidenz-Vergleich zwischen Colostrum-Gruppe (blaue Kurve) und Placebo-Gruppe (rote Kurve). Exakter Test nach Fisher, Konfidenzintervall: 95%, * P-Wert< 0,05.
DISKUSSION
In der vorliegenden Feldstudie zeigte sich in den ersten Tagen der Expedition eine temporär signifikant reduzierte gastrointestinale Erkrankungshäufigkeit in der Colostrum-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe bei vergleichbarer AMS-Inzidenz innerhalb der beiden Gruppen. Insgesamt ergab sich somit eine deutliche Reduktion der kumulierten gastrointestinalen Erkrankungshäufigkeit in der Colostrum-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe.
Bovines Colostrum zur Infektprophylaxe Die aktuelle Feldstudie demonstriert wiederum, dass gastrointestinale Erkrankungen während derartiger Expeditionen vor allem in den ersten 3-9 Tagen nach Reisebeginn durchaus keine Seltenheit darstellen und bestätigt damit frühere Untersuchungen (1-3, 5). Einen möglichen Erklärungsansatz liefert die bereits eingangs geschilderte Hypothese der Kombination aus stressoreninduzierter Kompromittierung menschlicher Immunabwehrfunktionen (erhöhte Infektanfälligkeit) und einer qualitativ (Erregerspektrum) und quantitativ (Erregermenge) veränderten Pathogen-Last. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie, welche auf eine reduzierte gastrointestinale Infekthäufigkeit durch prophylaktische orale BC-Supplementation hindeuten, unterstützen somit die Hypothese, dass BC möglicherweise auch den Menschen und im weiteren Sinn den Höhenbergsteiger vor Infekten schützen kann. Da in der wissenschaftlichen Literatur diesbezüglich noch keine direkt vergleichbare Studie an diesem Personenkollektiv existiert, müssen klinische Studien zum Vergleich herangezogen werden. Vorweg sei hierbei die Problematik angesprochen, dass sich bis dato noch kein einheitlicher Herstellungs-Konsens für einen BC-Standard etabliert hat, wodurch es zu gravierenden Unterschieden hinsichtlich der Zusammensetzung der Inhaltsstoffe der verwendeten BC-Produkte kommt. Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass bei einem Großteil der bis dato publizierten Prophylaxe-Studien so genanntes „Hyperimmune bovine colostrum“ (HBC) verwendet wurde, welches durch Immunisierung der Mutterkuh gegen ein spezifisches Pathogen gewonnen wurde. Das HBC zeichnet sich mitunter durch einen höheren Erreger-spezifischen Antikörper-Titer gegenüber BC von nicht-immunisierten Kühen aus (9). Die zuvor genannten Problematiken spiegeln sich somit auch in den heterogenen Studienergebnissen wieder, wobei aber durchaus eine mögliche prophylaktische Wirkung von hochwertigem BC gegenüber gastrointestinalen Infekten herauszufiltern ist (11). Der mögliche Wirkmechanismus von BC bezüglich der Prävention von gastrointestinalen Infekten ist ebenfalls Gegenstand aktueller Forschung. Bovines Colostrum schützt das junge Kalb vor opportunistischen Infekten mitunter durch eine passive Immunisierung mit Immun-
globulinen der Subtypen IgG (größter Anteil), IgA und IgM. Als eine mögliche Wirkungsschiene von BC zur gastrointestinalen Infektabwehr beim Menschen wäre daher ebenfalls eine passive Immunisierung durch BC-Immunglobuline denkbar. Mit Hilfe von radioaktiv markierten Immunglobuline aus BC konnte an gesunden Probanden nachgewiesen werden, dass ca. 19% der verabreichten Immunglobuline den Intestinalraum intakt erreichten (16). In Zusammenhang mit akuter Höhenexposition weisen Daten aus wissenschaftlichen Studien an Tieren und Menschen vor allem auf eine Beeinträchtigung der T-Zellfunktion hin (7), welche mitunter auch für die intestinale Abwehr von pathogenen Bakterien wie etwa E.coli eine wichtige Rolle spielt (17). Interessanter Weise konnte eine mikrobielle Untersuchung zeigen, dass es in der Darmflora von Höhenbergsteigern während der Höhenexposition tatsächlich zu einer Verschiebung der Mikroflora in Richtung einer Zunahme potentiell pathogener Bakterien (unter anderem auch E.coli) kommt (4). Umgekehrt ergab eine Studie an Mäusen, dass oral verabreichtes BC intestinale (intraepitheliale) Lymphozyten dahingehend stimuliert sich in T-Helferzellen vom Typ I (Th1) zu transfomieren, wodurch möglicherweise eine verbesserte Th2-mediierte Infektabwehr induziert wird (18). Ein weiterer möglicher Wirkungsansatz wäre über unspezifische antimikrobiell und antiviral wirksame Komponenten im BC, wie etwa Lactoferrin und Lactoperoxidase gegeben (19). So soll etwa bovines Lactoferrin, ein Eisen bindendes multifunktionales Glykoprotein des Komplementsystems, durch Immunmodulation sowohl im Intestinaltrakt als auch systemisch zu einer gesteigerten unspezifischen Infektabwehr beitragen (20). Eine weitere an Mäusen durchgeführte Studie konnte zeigen, das bovines Lactoferrin protektiv gegenüber Lipopolysaccharid (LPS)-inuzierter Diarrhoe wirkt (21). Auch die im BC reichlich vorhandenen Wachstumsfaktoren könnten zu einer gesteigerten Regenerationsfähigkeit der humanen intestinalen Schleimhaut beitragen, wodurch die intestinalen Schutzbarrieren gestärkt werden würden. Damit könnte BC auch den Nebenwirkungen von bestimmten Medikamenten, wie etwa jenen der nichtsterioidalen Antiphlogistika (NSAID), welche gerne von Höhenbergsteigern zur Linderung von Höhenkopfschmerzen verwendet werden (22), entgegen wirken. Eine Studie an Ratten konnte dazu zeigen, dass BC die durch NSAID ausgelösten lokalen Entzündungen und Permeabilitätsstörungen im Gastrointestinaltrakt reduziert (23). Zusätzlich soll BC auch antioxidative Eigenschaften aufweisen, wobei es hierzu noch genauerer Analysen bedarf (24). Generell scheint BC somit eine antiinflammatorische Wirkung zu haben, was auch ein möglicher Erklärungsansatz für die in der Literatur beschriebenen positiven Effekte von BC bei entzündlichen GIT-Erkrankungen sowie bei NSAID- und Chemotherapeutika-induzierten Entzündungen der Darmschleimhaut sein könnte (25). In
Anbetracht der vielseitigen, teils mit experimentellen und klinischen Studien an Tieren und Menschen untermauerten, möglichen Infektabwehrmechanismen von BC, legt eine potentielle Wirksamkeit von BC zur Infektprophylaxe somit auch bei Höhenbergsteigern nahe, wobei vermutlich wiederum ein Kompendium aus mehreren lokalen und systemischen Wirkkomponenten von BC daran beteiligt ist. Es bedarf aber noch weiterer kontrollierter Studien an Höhenbergsteigern unter Verwendung von standardisiert hergestelltem BC, um eine bessere Aussagekraft diesbezüglich erreichen zu können.
Bovines Colostrum und AMS Obwohl in der wissenschaftlichen Literatur Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten der akuten Bergkrankheit (AMS) und der Inzidenz von Infekt-Symptomen existieren (1), konnte in der aktuellen Studie nur zu einem Zeitpunkt eine geringe Korrelation zwischen AMS-Inzidenz und gastrointestinaler Infektsymptomatik nachgewiesen werden. Allerdings wurden in der aktuellen Studie nur die ersten 4 Tage in Hypoxie miteinander verglichen, womit natürlich nur ein relativ kurzer Beobachtungszeitraum vorliegt. Außerdem wurde in der vorangegangenen Studie im Gegensatz zur vorliegenden Studie die Gesamthäufigkeit von Infektsymptomen erhoben, welche damit (neben der gastrointestinalen Infekthäufigkeit) auch die respiratorischen Infektsymptome inkludierte. Somit könnte vielleicht die respiratorische Infekt-Inzidenz für den gefundenen Zusammenhang mit der AMS-Inzidenz primär verantwortlich gewesen sein. Tatsächlich konnte eine Studie an jungen Ratten zeigen, dass eine milde virale Infektion der Atemwege mit einer erhöhten Anfälligkeit für das Höhenlungenödem (High Altitude Pulmonary Edema, HAPE), einer schweren Manifestation der AMS verbunden war (26). Es bedarf also noch weiterer Studien, welche sich dieser Thematik detaillierter widmen. Generell muss eine mögliche Symptom-Überlappung zwischen AMS und opportunistischen Infekten mit in Betracht gezogen werden (27), welche letztendlich auch zu Fehldiagnosen in beide Richtungen führen können (28) und damit auch die tatsächlichen Inzidenzen verfälschen. Inwieweit eine prophylaktische Einnahme von BC möglicherweise auch vor den bei Höhenbergsteigern häufig beobachteten Infekten der oberen Atemwege schützen kann ist ebenfalls noch nicht geklärt und bleibt eine interessante Fragestellung für zukünftige Studien. In der vorliegenden Studie zeigte die Colostrum-Gruppe während der ersten Tage in Hypoxie eine tendenziell höhere arterielle Sauerstoffsättigung im Vergleich zur Placebo-Gruppe, was spekulativ betrachtet, ein möglicher indirekter Hinweis auf eine reduzierte respiratorische Infekt-Präsenz sein könnte. Ferner konnte eine aktuelle Studie anhand der Auswertung von selbst geführten Tagebüchern von Probanden, welche an
randomisierten und Placebo-kontrollierten Doppelblind-Studien mit BC teilnahmen zeigen, dass eine regelmäßige Einnahme von BC über mehrere Wochen zu einer reduzierten Infekt-Inzidenz der oberen Atemwege führte (29). Einen möglichen Erklärungsansatz für diese Beobachtung liefert dabei eine weitere Studie, die anhand von Läufern zeigen konnte, dass eine Einnahme von BC über mehrere Wochen zu einem signifikanten Anstieg von sekretorischem IgA, welches bekanntlich vor Infekten der oberen Atemwege schützt, im Speichel dieser Athleten führte (30).
Limitationen der Feldstudie
Die vorliegende Feldstudie weist mitunter auch Limitationen auf. Die Hauptlimitation ergibt sich hinsichtlich der Erhebung der gastrointestinalen Infekt- bzw. Erkrankungshäufigkeit mittels eines neu konzipierten Symptomatik-Fragebogens (GITIS). Obwohl sich dieser Fragebogen in der praktischen Anwendung als einfach und schnell durchführbar erwiesen hat und damit für Feldstudien bestens geeignet ist, bedarf es hierbei noch zusätzlicher Vergleiche mit bereits validierten klinischen gastrointestinalen Symptomatik-Fragebögen wie etwa der Gastrointestinal Symptom Rating Scale (GSRS), welche unter standardisierten Bedingungen durchgeführt werden (31). Da ferner kein direkter Erregernachweis nach positiver Infekt-Symptomatik (GITIS ≥ 6) erstellt werden konnte, war ein Kausalschluss hinsichtlich des Vorliegens eines gastrointestinalen Infekts nicht eindeutig möglich, da andere Ursachen nicht ausgeschlossen werden konnten. Auch die Probandenzahl war relativ klein und es bedarf deshalb noch zusätzlicher derartiger Studien, um die statistische Aussagekraft weiter verbessern zu können. Aufgrund der beim Höhenbergsteigen üblichen Mehrlagerstrategie und der damit verbundenen Aufspaltung der Gesamtgruppe in Kleingruppen, war es ferner nicht möglich ein lückenloses Infekt-Monitoring während des gesamten 3wöchigen Expeditionszeitraums gewährleisten zu können. Im Unterschied zu Laborstudien herrschen bei Feldstudien generell weniger standardisierte Verhältnisse während der jeweiligen Erhebungen und Messungen, wodurch es zu einer Zunahme der Fehlerquellen bei derartigen Studien kommen kann.
DANKSAGUNG
Das Colostrum-Projekt 2008 konnte letztendlich nur aufgrund der freiwilligen Teilnahme jener 26 Bergsteiger und BergsteigerInnen (siehe Foto) realisiert werden. Besonderer Dank gilt dabei Herrn Dr. Daniel Bach für die tatkräftige Unterstützung während der wissenschaftlichen Erhebungen vor Ort.
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