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Editorial
Ich blättere den Kalender 7 Monate zurück. Wir stecken mitten in der (ersten?) Coronakrise. In China, in Russland, in unserer demokratisch regierten Schweiz, in den USA, fast weltweit herrscht auf Strassen und Plätzen vor allem eines: Ruhe. Überall wird das öffentliche Leben mehr oder weniger stillgelegt und die für den Menschen so wichtigen physischen Kontakte gekappt. Die Regierungen führen ihre Bevölkerung durch die Pandemie und die Krise. Die Art und Weise der Kommunikation ist sehr unterschiedlich. Die Massnahmen sind jedoch von Ost bis West, von Nord bis Süd fast überall dieselben. Auch die Führungsinstrumente gleichen sich. Vielleicht nicht auf den ersten Blick. Schaut man aber etwas genauer hin, wird das Bild der klaren Unterschiede zusehends unschärfer und verwaschen, ja schon eher unerkennbar. Stattdessen merken wir, dass sich China und unsere freiheitliche Schweiz in mancherlei Hinsicht doch ähnlicher sind, als es manchem lieb ist. Während wir plötzlich merken, dass nicht nur die chinesische, sondern auch unsere Industrie (mit chinesischen Maschinen) Schutzmasken produzieren kann, nutzt unsere Politik die Gunst der Stunde. Was in China schon ganz normal ist, mit harter Hand durchgesetzt und offen kommuniziert wird, wird in unserer ach so heilen Schweizer Welt klammheimlich hinter dem Rücken der Datenschützer und der gesamten Bevölkerung eingeführt. Die Überwachung dank der Handylokalisierung. Die Sache eilt und deswegen ist es absolut legal und unbedenklich, dass der Datenschützer erst später einmal darüber informiert wird. Die Daten sind natürlich anonymisiert und lassen keinerlei Rückschlüsse auf Einzelpersonen zu (Quelle: www.srf.ch am 30.3.2020). «10vor10» berichtet am 25.3.2020, dass die ETH in Lausanne und Zürich mit Hochdruck an einer App nach asiatischem Muster arbeiten, welche uns warnt, wenn eine Person in unserer Nähe gemäss Big-Data-Analyse eventuell krank sein könnte, wie alt sie ist, welches Geschlecht sie hat und wie weit sie von uns entfernt ist. So könnten wir uns dann von einer digitalen Denkzentrale gefahrlos quasi durch den Tag lenken lassen. Jean-Pierre Hubaux, Professor für Datensicherheit an der EPFL Lausanne, betont, dass diese Infrastruktur (aus Datenschutzgründen) wieder weggeworfen werden muss, sobald die Pandemie vorbei ist. So weit, so gut. Doch die nahe Vergangenheit lehrte uns immer wieder, dass einmal erfasste Daten auch irgendwo gehamstert und noch lange irgendwie genutzt werden. Ob dann den Datenhamstern geglaubt werden kann oder soll, dass alle Daten zuerst anonymisiert und später auch noch gelöscht werden, sei unter solchen Vorzeichen einmal jedem selbst überlassen. Digitale Lösungen haben zweifelsohne viele Vorteile und vereinfachen verschiedenste Abläufe. In einer vertrauensvollen Umgebung bilden sie eine grosse Unterstützung. Fehlt das gegenseitige Vertrauen, so können digitale Lösungen mit ihren im Hintergrund oft fast unerschöpflichen Möglichkeiten aber eine gewisse Gefahr des Misstrauens bergen. Denn es werden damit unweigerlich riesige Datenmengen irgendwohin preisgegeben und sind weder zu kontrollieren noch zurückzuziehen. Die Kontrolle über digitale Daten wird zunehmend mit Macht über andere Menschen gleichgesetzt. Die Datenbesitzer freut’s. Kommuniziert werden die Vorteile dieser Errungenschaft. Wie sich die Datenlieferanten dabei fühlen, scheint Nebensache zu sein. Ich behaupte, dass wir (nicht erst seit Covid-19) wieder lernen müssen, miteinander zu reden, nicht nur zu überreden. Bei einer Besprechung sollte allen gleiches Gehör geschenkt werden. Es geht nicht nur darum, sein Gegenüber zu BEsprechen!
Redaktor Jörg Clavadetscher
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