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Die Buche aus einer persönlichen Perspektive
Als Bündner Waldfachfrau oder Forstmann ist dir die Buche wahrscheinlich nicht so nah, spielt sie doch bei dir keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Ganz anders in meiner ursprünglichen Heimat, dem Luzernischen und im Bernbiet. Gerne berichte ich dir hier von sehr speziellen Erkenntnissen.
U. Mühlethaler
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Es ist ein wunderbarer Dezembernachmittag im Süden Kretas (da gibt es zwar keine Buchen, dafür sehr viele Olivenbäume). Zusammen mit dem Griechen Konstantin und Andreas, einem ausgewanderten Deutschen, sitze ich in meinem Garten beim sonntäglichen Barbecue – ich in kurzen Hosen und T-Shirt notabene. Andreas erzählt von seinem ursprünglichen Auswanderungsziel Chalkidiki, östlich von Thessaloniki. Da erinnere ich mich an eine wissenschaftliche Exkursion zum Thema Buchen in jener Region, an der ich im Rahmen einer europäischen Expertengruppe (COST Action E52) teilneh-
Abb.1: Vitaler Buchenwald in den Nebrodibergen in Sizilien.
(Alle Bilder: U. Mühlethaler)
men durfte. Dort ging es um das Vorkommen von Fagus moesiaca als Mischform der orientalischen Buche aus dem Iran und der europäischen Buche. Der Expertendiskurs drehte sich um die Frage, ob es sich um eine eigene Art oder eine Unterart von Fagus sylvatica handelt. Nun kann man sich getrost fragen: Ist diese Unterscheidung relevant? Für die italienischen Kolleginnen und Kollegen war dies schon sehr wichtig, denn sie beanspruchen die südlichsten Buchenvorkommen für sich, die in Siziliens Nebrodi-Bergen etwa auf dem 38. Breitengrad liegen (Abb. 1). Auch diese durfte ich im Rahmen einer botanischen Studienreise im April 2011 besuchen, schön vitale Buchenbestände, allerdings auf 1300 m ü. M. mit reichlich Regen im Frühling. Genau in dieser Zeit übrigens erlebte die Schweiz einen der heissesten und trockensten Frühlinge, inklusive verheerendem Waldbrand in Visp! Mich interessierten jedoch schon ein paar Jahre vorher die extremsten Buchenstandorte, möglichst weit unten im Süden und in möglichst tiefen Lagen. Denn eine Frage trieb mich um: Wie kann es sein, dass alte Buchen bei uns unter Hitze und Sommertrockenheit leiden, ja sogar absterben, sie jedoch im Süden Europas durchaus so gute Lebensbedingungen vorfinden, dass sie andere Baumarten erfolgreich verdrängen können? Zuerst wurde ich auf dem Monte Faito fündig, einem markanten Aussichtsberg zwischen Neapel und Sorrento. Wenn man hochfährt, hat es auf der Südseite Macchia und am Nordhang Kastanienwälder. Auf 1000 m ü. M. ändert sich die Situation schlagartig und ein geschlossener Buchenreinbestand überzieht den Bergrücken. Obwohl ein Inselvorkommen, ist es kaum wahrscheinlich, dass irgendjemand diesen Wald früher einmal gepflanzt hatte. Es dürfte sich um ein natürliches Relikt handeln. An diesem Standort wird es in den Sommermonaten auch sehr heiss und trocken. Von September bis April hingegen sorgen Gewitter und die normalen Winterniederschläge für eine ausreichende Wasserversorgung, was das Vorkommen der Buche plausibel macht. Ende August 2012 konnte übrigens ein grossflächiger Waldbrand auf der Südseite, genau an der Grenze zu diesem Buchenwald, gestoppt werden – ein interessanter Zusammenhang, finde ich. Aber immer noch auf 1000 m Höhe – gibt es keine tiefer gelegenen Buchenwälder im Süden? Doch! Ein befreundeter Agronomie-Ingenieur zeigte mir Buchenwälder im Hinterland Neapels, in der Nähe von Avellino, am Monte Terminio. Hier starten die geschlossenen Buchenwälder bei 530 m ü. M., charakterisiert durch grosse Sommertrockenheit und die recht guten Niederschlägen im Winterhalbjahr. Übrigens sind vereinzelt Weisstannen im Nebenbestand beigemischt. Was mich dort am meisten erstaunt hat, ist das Jahrringbild der Buchen auf frisch geschnittenen Stöcken (Abb. 2): Sehr breite Jahrringe im dichten Bestand zeugen von grosser Wuchsfreudigkeit. Wie kann das sein, wenn doch der Baum im Sommer seine Ressourcen sparsam einsetzen muss und im Winter ebenfalls kahl dasteht? Meine Hypothese: Das Wachstum geschieht früh im Frühling mit unglaublicher Geschwindigkeit. Danach ist der Baum mit der Reifung der Samen beschäftigt, die er allenfalls vorzeitig fallenlässt, wenn es zu trocken wird. So war es im Herbst 2009 leider nicht möglich, an diesem Standort keimfähige Bucheckern für einen Saatversuch zu sammeln, denn die zahlreichen Hüllen am Boden waren mehrheitlich leer. Wir mussten bis auf gut 1000 m hochfahren, um geeignetes Material für den wissenschaftlichen Buchensaatversuch sammeln zu können. Und damit sind wir bei meinem Herzensprojekt, dem Buchensaatprojekt an der HAFL (Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaft) in Zollikofen – ich hoffe ich langweile euch liebe Leserinnen und liebe Leser nicht zu sehr mit meinen halb-wissenschaftlichen Überlegungen und Beobachtungen. Halbwissenschaftlich? Leider ja, denn es kam nie zu einer peer-reviewten Publikation in
Abb.2: Stock einer 34-jährigen Buche im Hinterland von Neapel, gewachsen in einem dichten Bestand. Die Jahrringbreiten hatten mich sehr überrascht!
einem wissenschaftlichen Fachblatt. Was wollten wir untersuchen? Ausgangspunkt waren genetischen Analysen der Buchenwanderung nach der letzten Eiszeit, verknüpft mit der Verwandtschaft der Buchenpopulationen. Diese zeigten nämlich, dass unsere Buchen ziemlich sicher aus dem Raum Slowenien via Österreich zu uns und nach Westeuropa gewandert sind. Ein zweiter Strang startete ganz unten in Süditalien, wanderte via Apennin nach Norden, wurde jedoch im Raum Bologna – Genua gestoppt. Wir vermuteten also, dass die genetisch etwas anderen «Italiener» gegenüber Trockenstress toleranter sein könnten als unsere heimischen «Weicheier». So sammelte ich mit meinem Team mit viel Leidenschaft im Herbst 2009 Zehntausende von Bucheckern (rund 1000 pro Baum). Ziemlich matchentscheidend für die spätere Einlagerung war, dass die gesammelten Samen sofort am Abend ausgebreitet und so gut wie möglich in der Umgebungsluft getrocknet wurden, um dem Schimmelpilz vorzubeugen. Das Versuchsdesign umfasste pro Bestand sechs Mutterbäume im Abstand von mindestens einer Baumlänge. Diese Bestände sollten im klimatischen Grenzbereich des natürlichen Buchenvorkommens einer Region liegen. Pro Region wurden zwei Bestände ausgewählt, einer mit Süd- und einer mit Nordexposition. Insgesamt sammelten wir
Abb. 3: Buchensaat-Versuchsfläche in Osterfingen SH im August 2011: Nach dem extrem trockenen Frühling gab es beinahe einen Totalausfall. Ein paar Sämlinge von 2010 mit italienischen Provenienzen überlebten, die Einheimischen versagten.
in drei Regionen Italiens (Avellino, Florenzer Apennin, W-Ligurien), in drei Regionen der Schweiz (Osterfingen SH, Brienzersee, Monte San Giorgio) und in einer Region im NW von Slowenien. Dank einer hervorragenden Zusammenarbeit mit dem Pflanzgarten Lobsigen konnten wir das Saatgut unter idealen Bedingungen lagern, denn wir wollten die Saat auf zwei Jahre verteilt ausbringen. Die Keimfähigkeit im Labortest nach einem Jahr Lagerung war denn auch praktisch identisch mit jener der sofort verwendeten Bucheckern. Wo haben wir nun unser wertvolles Saatgut getestet? Einerseits musste es in der Nähe der Schweizer Mutterbäume sein, denn dort sollte es den «Einheimischen» besonders wohl sein – oder nicht? Zusätzlich haben wir einen trockenheitsgefährdeten Standort bei Kappelen im Berner Seeland und ein Grenzstandort zum Flaumeichenwald bei Ardon im Wallis ausgewählt. Wegen Mäusen in Kappelen und Föhnsturmschäden in Oberried am Brienzersee mussten wir leider die zwei Standorte nach einem Jahr aufgeben. Die übrigen drei Standorte haben recht gut funktioniert. Zusätzlich gab es einen künstlichen Trockenstressversuch im Pflanzgarten Lobsigen. Der Lobsiger Versuch war eigentlich schon fast überflüssig, denn die dramatischsten Resultate erhielten wir im zweiten Versuchsjahr, nach dem erwähnten extremen Frühling 2011: Dieser war der-
art trocken und warm, dass auf den Versuchsflächen im Wald fast keine neuen Buchen gekeimt waren. Was geschah aber mit den jungen Buchen, die wir im Jahr davor gesät hatten? Nun das war wirklich spannend: Zwar hatten Ende des ersten Jahres die Keimlinge aus der Schweiz und vor allem aus Slowenien die Nase vorne, bezüglich Grösse sowie Anzahl Blättern und Knospen. Mit einer Ausnahme: Die «Einheimischen» aus Osterfingen versagten fast vollständig, auch zu Hause! Die Brienzer und Tessiner waren bei ihnen zu Hause ebenfalls nicht die Besten. Die «Italiener» wuchsen eher kümmerlich und blieben kurz. Aber oh Wunder: Sie überlebten eben diesen extremen zweiten Frühling am besten, während die hochgeschossenen «Schweizer» und «Slowenen» zum grössten Teil ausfielen! Aus diesen Beobachtungen wage ich, folgende Schlüsse zu ziehen: 1. Die lange in der forstlichen Lehre eingeprägte
Maxime, dass das vor Ort vorhandene Erbgut am besten an die lokalen Gegebenheiten angepasst sei, stimmt zumindest für Buche nicht. 2. Als Vorsorgeprinzip würde es nicht schaden, in unseren Buchenwäldern die Naturverjüngung mit eingepflanzten Provenienzen aus dem
Raum Italien, Griechenland und südlichen Balkan zu ergänzen. Etwa 50–100 Jungbäume pro
Hektare Jungwald könnten bereits genügen. Unabhängig vom Saatversuch, jedoch aus weiteren langjährigen Beobachtungen noch eine weitere Hypothese, die Hoffnung macht: Junge Buchen von heute, die sich unter den bereits stark veränderten klimatischen Bedingungen durchgesetzt haben, sind ziemlich sicher genetisch besser gerüstet als ihre Eltern. Allerdings gibt es klare Grenzen für die Zukunft der Buchen – auch in heute noch vitalen Beständen. Kritisch ist der Trockenstress vor allem im Frühling, wenn die Bäume austreiben und Holz anlegen. Auch der Erfolg der Saat nach einem Mastjahr hängt hauptsächlich von der Witterung im Frühling ab. Schnellwachsende adulte Buchen auf gut wasser- und nährstoffversorgten Böden sind stärker gefährdet als ihre Artgenossen auf Trockenstandorten. Das klingt zunächst paradox, ist jedoch auf die reduzierte Wurzelbildung zurückzuführen: Wozu denn auch ins Wurzelwachstum investieren, wenn normalerweise genügend Wasser und Nahrung vorhanden ist? Generelle Angaben zur Lebensweise der Buche, den ökologischen Ansprüchen und sonstigen Eigenschaften findest du in deinen (alten) Lehrmitteln, in modernen Apps und auf Internet. Die Buche ist ein wunderbarer Baum, sei es als Teil der Waldökosysteme, sei es in der Verarbeitung zu sehr schönen und nützlichen Holzprodukten (ich weiss, derzeit ist Eiche Trumpf, aber das ändert sich bestimmt wieder einmal). Tragen wir Sorge dazu, ihre Lebensgrundlage so gut wie möglich zu erhalten, und haben wir den Mut, auch mal einen «verrückten» waldbaulichen Versuch zu starten!