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über 9 Jahre
Entwicklung im Buchenurwald Uholka-Schyrokyi Luh über 9 Jahre
J. Stillhard, M. Abegg, P. Brang, M. Hobi
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Die Buche (Fagus sylvatica L.) wäre ohne menschlichen Einfluss in West- und Mitteleuropa eine der am weitesten verbreiteten Baumarten. Diese weite Verbreitung lässt sich auf die breite ökologische Nische der Buche zurückführen; sie erträgt unterschiedliche Wasserverfügbarkeit und chemische Bodeneigenschaften und ist sehr schattentolerant. Die Buche wächst zudem in Wäldern, in welchen das Absterben von einzelnen Bäumen vorherrscht und grossflächige Störungen sehr selten sind. Dies führt zu dunklen Beständen, in denen die Buche über grosse Flächen fast rein vorkommt. In Wäldern der temperierten Zone in Nordamerika befinden sich von kleinräumigen Störungen geprägte Wälder auf grösserer Fläche in einem Gleichgewichtszustand. Dabei werden Biomasse und Stammzahl der absterbenden Bäume durch das Wachstum der überlebenden Bäume und den Einwuchs neuer Bäume kompensiert. In West- und Mitteleuropa sind vergleichbare Studien zum Gleichgewichtszustand von Wäldern nur schwer durchführbar, da ein Grossteil der leicht zugänglichen Wälder in den vergangenen Jahrhunderten stark durch den Menschen verändert wurde. Es gibt darum nur noch sehr wenige natürliche Wälder und zumeist nur kleine Urwaldrelikte. Der grösste noch existierende zusammenhängende Buchenurwald in West- und Mitteleuropa ist
Abb.1: a) Lage des Buchenurwalds von Uholka-Schyrokyi Luh (blau) in Europa, grün hinterlegt das Verbreitungsgebiet der Buche. b) Lage der 238 Probeflächen im Buchenurwald Uholka (im Süden) und Schyrokyi Luh (im Norden) hinterlegt mit einem digitalen Höhenmodell.
der Buchenurwald von Uholka-Schyrokyi Luh in Transkarpatien im Westen der Ukraine (Abb. 1). Er erstreckt sich über eine Fläche von 100 km² und einen Höhengradienten von 400 bis 1350 m ü. M. und ist Teil des Karpaten-Biosphärenreservats (Commarmot et al. 2013). Der Urwald besteht aus zwei ähnlich grossen Waldkomplexen, den Urwäldern von Uholka und Schyrokyi Luh (Abb. 1). Seit dem Jahr 1999 erforscht die Eidgenössische Forschungsanstalt WSL diese Wälder in Kooperation mit mehreren ukrainischen Partnern. Im Jahr 2000 wurde eine erste Kernfläche von 10 ha im Waldkomplex von Uholka eingerichtet und seither alle 5 Jahre wieder aufgenommen. Diese Fläche erlaubt Einblicke in die Bestandesentwicklung von Buchenurwäldern, ist aber nicht repräsentativ für den gesamten Wald. Um ein besseres Verständnis der Waldstruktur im ganzen Urwald zu erhalten, hat die WSL 2010 eine Stichprobeninventur durchgeführt (Hobi et al. 2015). Im Jahre 2019 wurde diese Inventur auf 238 Probeflächen, welche innerhalb der streng geschützten Zone des Waldes von 72 km² liegen, wiederholt (Stillhard et al. 2022). Die zwei Inventuren sind eine einmalige Chance, um Referenzwerte für Buchenurwälder zu gewinnen. Auf den Probeflächen von 500 m² wurden alle Bäume mit einem Brusthöhendurchmesser (BHD) ab 6 cm gemessen. Auf drei Verjüngungsprobeflächen wurden alle Bäumchen mit einer Höhe von 10–39,9 cm (10 m²-Probekreis), 40–129,9 cm (20 m²-Probekreis) bzw. einem BHD von 0–5,9 cm
Abb. 2: Blick über den Buchenurwald von Schyrokyi Luh.
(Bild: J. Stillhard).
Abb. 3: Durchmesserverteilung der lebenden Bäume bei den Inventuren 2010 und 2019. Die erste BHD-Stufe umfasst alle Bäume mit einem BHD von 6-9 cm, die letzte Stufe alle Bäume mit einem BHD ≥ 80 cm. Die restlichen Stufen sind je 10 cm breit. Die Fehlerbalken zeigen den Bereich des Schätzintervalls.
(50 m²-Probekreis) erfasst. Zusätzlich wurden Informationen zur Bestandesstruktur wie die Oberhöhe und der Deckungsgrad der verschiedenen Schichten erhoben. Das liegende Totholz wurde auf drei Linientransekten von 15 m Länge erfasst. Basierend auf diesen Daten wurden Kennzahlen wie die Stammzahl, die Basalfläche und der Vorrat und deren Veränderung geschätzt. Die angegebenen Schätzintervalle sind so zu interpretieren, dass die «wahren» Werte mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % innerhalb des Intervalls liegen. Die Bestandesstruktur und die Baumartenzusammensetzung haben sich innerhalb der neun Jahre zwischen den beiden Inventuren kaum verändert. So fanden sich in der Inventur 2010 441 (± 25,6) lebende Bäume pro ha mit einem Volumen von 578,9 (± 29,7) m³ pro ha, in der zweiten Inventur 458 (± 7,5) lebende Bäume pro ha mit einem Volumen von 584 (± 28,7) m³ pro ha. Die Werte für den Vorrat sind damit wesentlich höher als der im LFI 4 in Beständen mit mehr als 75% Deckungsgrad der Buche in den Voralpen gefundenen 463 m³/ha. Die Baumartenzusammensetzung blieb mit einem Anteil der Buche an der Gesamtstammzahl von 97,9 (± 0,4) % im Jahr 2010 und 97,1 (± 0,7) % im Jahr 2019 ebenfalls unverändert. Auch in der Verjüngung ist die Buche die wichtigste Baumart; in der Höhenklasse von 10 bis 39,9 cm ist deren Anteil mit rund 80% (2010: 75,8%, 2019: 85,1%) allerdings geringer als im Baumbestand. Bereits ab der Höhenklasse von 40 bis 129,9 cm macht die Buche aber mehr als 90% der Stammzahl aus. Die BHD-Verteilung der Bäume ist stark rechtsschief, das heisst es gibt viel mehr dünne als dicke Bäume (Abb. 3).
Tote Bäume sind deutlich seltener als lebende: 2010 gab es pro ha 30,2 (± 5,0) tot stehende Bäume, 2019 noch 25,9 (± 4,3). Das stehende Totholzvolumen lag im Jahr 2010 bei 21,7 (± 5,1) m³ pro ha und im Jahr 2019 leicht höher bei 26,3 (± 7,1) m³ pro ha. Viel höher war das Volumen des liegenden Totholzes, welches 2010 146,2 (± 16,9) und 2019 154,5 (± 21,1) m³ pro ha erreichte und damit wesentlich über den Werten lag, die im Rahmen des LFI in Schweizer Laubwäldern festgestellt wurden (23,2 ± 1,4 m³ pro ha). Die geringfügigen Veränderungen zwischen den Jahren 2010 und 2019 deuten darauf hin, dass sich der Buchenurwald in der Ukraine in einem strukturellen Gleichgewicht befindet. Noch deutlicher zeigt sich dieser Gleichgewichtszustand jedoch, wenn der Beitrag der demografischen Prozesse Einwuchs, Wachstum und Mortalität hinzugezogen wird. In Bezug auf den Vorrat hat das Wachstum der seit 2010 überlebenden Bäume von 8,0 m³ pro ha und Jahr den jährlichen Abgang von 8,0 m³ pro ha genau aufgefangen. Die leichte Vorratszunahme zwischen den Inventuren ist auf den Einwuchs von lebenden Bäumen zurückzuführen. Ein sehr ähnliches Muster zeigt sich bei der Stammzahl: Während 48 (± 7,0) Bäume pro ha zwischen den beiden Inventuren abstarben oder verschwanden, wuchsen in der gleichen Zeit 70 (± 15,9) Bäume pro ha über die Kluppschwelle. Obwohl die präsentierten Resultate repräsentativ für die Entwicklung der Kernzone des Urwaldes sind, ist zu beachten, dass der Beobachtungszeitraum von neun Jahren relativ kurz ist und grössere Schwankungen durchaus denkbar sind. Zusammenfassend legen die Inventurergebnisse nahe, dass sich der Buchenurwald von Uholka-Schyrokyi Luh in einem Gleichgewichtszustand befindet. In Bezug auf den Vorrat halten sich Wachstum und Mortalität die Waage, während in Bezug auf die Stammzahl die einwachsenden die absterbenden Bäume in etwa ersetzen. Die Dominanz der Buche ist mit grosser Wahrscheinlichkeit auf das vorherrschende Störungsregime mit vielen kleinen Bestandeslücken und nur selten grossflächigen Störungen zurückzuführen. Ob der Klimawandel das Störungsregime verändert, grössere Störungen häufiger macht und so die Dominanz der Buche vermindert, wissen wir aber nicht.
Dank
Die Stichprobeninventuren 2010 und 2019 wären nicht möglich gewesen ohne die Mithilfe der Feldmitarbeitenden und des lokalen Forstdienstes und die finanzielle Unterstützung durch das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).
Jonas Stillhard, Dr. Meinrad Abegg, Dr. Peter Brang und Dr. Martina Hobi arbeiten an der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. (WSL).
Literaturverzeichnis
– Commarmot, B.; Brändli, U.-B.; Hamor, F.; Lavnyy, V. (Hsg.) 2013: Inventory of the largest primeval beech forest in Europe: A Swiss-Ukrainian scientific adventure. Eidg Forschungsanstalt für
Wald Schnee und Landschaft WSL, Birmensdorf;
Nationale Forstuniversität der Ukraine, Lviv; Karpaten Biosphärenreservat, Rakhiv. 69 S. – Hobi, M.L.; Commarmot, B.; Bugmann, H. 2015:
Pattern and process in the largest primeval beech forest of Europe (Ukrainian Carpathians). Journal of Vegetation Science , Vol. 26(2) 323-336 – Stillhard, J.; Hobi, M. L.; Brang, P.; Brändli, U-B.;
Korol, M.; Pokynchereda, V.; Abegg, M. 2022:
Structural changes in a primeval beech forest at the landscape scale. Forest Ecology and Management , 504(119836)