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DER NATIONALPARK IST ERÖFFNET – UND JETZT?
»Alles, was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand.« Davon war der Naturforscher Charles Darwin überzeugt. Aber was ist der Natur dienlich? Was schadet ihr? Da der Nationalpark Bayerischer Wald der erste seiner Art in Deutschland war, verstummten die Diskussionen um das Für und Wider nicht mit seiner Eröffnung.
Auch wenn 1978 schon der zweite National park Deutschlands eröffnet wurde –wieder in Bayern – und auch die anderen Bundesländer nach und nach Nationalparks nach bayerischem Vorbild auswiesen, blieb doch lange die Frage offen, wie der Mensch mit einem Nationalpark umgehen sollte und wie stark er eingreifen dürfe, ja vielleicht sogar müsse.
Eine Frage, die auch Hans Bibelriether und Georg Sperber, die anfangs den Nationalpark leiteten, umtrieb. »Als wir angefangen haben, wusste keiner, was ein Nationalpark eigentlich ist. Wir haben weltweit Nationalparks besucht, in der Schweiz, in den USA, in Kanada«, erzählt Bibelriether im BN-Interview. »Und so nach ungefähr fünf Jahren stand der Entschluss fest, den Wald einfach wachsen zu lassen.« Seine Wunschvorstellung: »Natur Natur sein lassen«. Ein Konzept, hinter dem auch der BUND Naturschutz stand und dafür warb. Dennoch war in den Anfangsjahren des Nationalparks beispielsweise Forstwirtschaft in reduzierter Form zugelassen. Ein Bewirtschaftungsstopp war für den Großteil der Bevölkerung unvorstellbar.
Die Gegner*innen des Nationalparks verstummten trotzdem nicht. Die einen hielten den Gedanken eines Nationalparks weiterhin für eine verrückte Idee, die sich in einigen Jahren selbst überholt haben werde, den anderen gingen die ersten Beschränkungen der Bewirtschaftung schon zu weit. Ausgerechnet ein gewaltiger Gewittersturm am 1. August 1983 brachte Klarheit. Der Gewittersturm führte zu gewaltigen Windwürfen. Etwa 30 000 Festmeter Holz riss er auf einer Fläche von rund 90 Hektar um – aber zugleich fiel mit ihm die Entscheidung, wie man mit dem Nationalpark umgehen soll. Bayerns Forstminister Hans Eisenmann griff die Vision der Nationalparkleitung und des BN auf und ordnete an, dass der Mensch nicht mehr in die natürliche Entwicklung des Waldes eingreifen darf. Sein Beschluss: »Wir lassen die Bäume liegen. Wir wollen im Nationalpark einen Urwald für unsere Kinder und Kindes- kinder« Ein weiterer wichtiger Erfolg für den BN und die Natur.
1991 die nächste gute Nachricht: Im Nachbarland Tschechien wurde der Nationalpark Šumava gegründet. Zusammen sind der Böhmerwald und der Nationalpark Bayerischer Wald mit etwa 900 Quadratkilometern das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Europas – und damit das Herzstück des »Grünen Daches von Europa«, wie das Gebiet auch genannt wird.
Doch noch sind nicht alle Zweifel am Konzept »Natur Natur sein lassen« aus der Welt geräumt. In den Jahren nach dem Windwurf von 1983 vermehrte sich der Borkenkäfer rasant. So sehr, dass er nicht nur kranke Bäume befiel, sondern stellenweise auch gesunde Bäume. Die Situation spitzte sich 1993 zu: Es kam zu einer Massenvermehrung des Käfers, dem große Fichtenbestände zum Opfer fielen. Das Bild der abgestorbenen Bäume bestärkte viel Gegner*innen des Wildniskonzepts in ihrer Ablehnung: Totholz auf einer Fläche von über 6000 Hektar. Mit der Vermehrung des Käfers wurden auch die Rufe immer lauter, in den Wald eingreifen zu dürfen. Spätestens jetzt hatten viele Waldbesitzer*innen genug vom Nationalpark. Sie befürchteten, dass der Borkenkäfer auf ihre angrenzenden Privatwälder übergreift und kaum einen Baum stehen lässt. Die Nationalparkverwaltung reagierte, bekämpfte den Käfer in einer bis zu 500 Meter breiten Randzone des Nationalparks, um so die angrenzenden Privatwälder zu schützen. Die Sorge um den Wald führte zur Gründung von Bürgerinitiativen gegen den Nationalpark. Dem BUND Naturschutz gelang es aber, mit Hilfe seiner Kreisgruppen in Regen und Freyung-Grafenau und dem Verein »Für den Nationalpark« sowie weiterer Naturschutzverbände wie dem LBV eine starke Gegenbewegung zu initiieren. Diese machte »die Erweiterung des Nationalparks für die Staatsregierung politisch möglich«, wie der damalige Landesbeauftragte und spätere Vorsitzende Hubert Weiger formulierte.