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DIE NATUR GESTALTET SICH SELBST

Getreu des Leitbildes »Natur Natur sein lassen« darf sich der Wald mit seinen Mooren, Bergbächen und Gipfellagen nach seinen eigenen Gesetzen entwickeln –ohne menschlichen Einfluss. So wurde und wird aus einem ehemaligen Wirtschaftswald ein wilder und faszinierender Urwald von morgen – mit einer einmaligen Artenvielfalt.

Der Mensch darf nicht eingreifen, auch nicht bei großflächigen Störungen wie Windbruch oder Borkenkäferbefall – und die Natur beweist auch, dass es den Menschen gar nicht braucht, um aus einem vermeintlich »toten« Waldabschnitt etwas Wunderbares zu schaffen. Man kann nur staunen, wie sich die Teile des Nationalparks, die in den 1980er­ und 1990er­Jahren von Sturm und Borkenkäfer betroffen waren, entwickelt haben, wie schnell dort junge Fichten, Ebereschen und Buchen auf den scheinbar abgestorbenen Flächen herangewachsen sind, wie sich wieder Tiere, Pflanzen und

Pilze angesiedelt haben ­ und sogar Arten, die es vorher nicht oder nur in ganz geringer Zahl gab. Die Natur hat aus einem scheinbar toten Wald neues Leben hervorgebracht, einen Naturwald von großartiger Schönheit, Vielfalt und Vitalität.

Da der Nationalpark keine isolierte Einheit ist –und man auch die Bedenken der angrenzenden Privatwaldbesitzer*innen ernst nahm, hat man sich dazu entschlossen, das Gebiet in verschiedenen Zonen aufzuteilen: Auf über 70 Prozent der Fläche darf die Natur sich selbst gestalten, ohne dass der Mensch eingreift. Ursprünglich bis 2027 und nach aktuellen Plänen deutlich früher wird der Anteil der Flächen, auf denen keinerlei Management mehr durchgeführt wird, kontinuierlich auf 75 Prozent ausgeweitet. In den Randzonen findet zum Schutz der umliegenden Wälder Borkenkäferbekämpfung statt. Daneben gibt es noch Erholungszonen, die am Rande des Nationalparks angesiedelt sind und in erster Linie der Erholung und Umweltbildung dienen. In diesen Bereichen sind Einrichtungen wie das Nationalparkzentrum Lusen, das Waldspielgelände und das Jugendwaldheim, das Nationalparkzentrum Falkenstein sowie das Wildniscamp am Falkenstein angesiedelt.

Diese in den Erholungszonen liegenden Einrichtungen ziehen eine große Zahl von Besucher*innen an. Um deren Sicherheit gewähren zu können, darf und muss der Mensch an diesen Orten in den Wald eingreifen. Allerdings ist die Fläche verhältnismäßig klein: Mit rund 406 Hektar sind das nur etwa zwei Prozent der gesamten Nationalparkfläche. Im Kerngebiet und damit im größten Teil des Nationalparks darf die »Natur Natur sein«. Für uns Menschen liefert der Nationalpark viele neue Erkenntnisse. Was die Natur dem Menschen in den letzten 50 Jahren gelehrt hat:

Der Wald Verj Ngt Sich

Von Allein

Nach Windbruch und Borkenkäferbefall in den 1980er- und 1990er-Jahren gab es viele, die dafür plädierten, den betroffenen Waldabschnitten mit Pflanzungen auf die Sprünge zu helfen. Zum Glück gab man diesem Wunsch nicht nach. Die Waldinventur der Nationalparkverwaltung kann heute belegen, dass es besser war, den Wald sich selbst zu überlassen: Nach dem großflächigen Borkenkäferbefall verjüngt sich der Wald so stark wie nie zuvor. Die Verjüngungsdichte liegt bereits nach zehn Jahren höher als die Pflanzzahlen, die man in bewirtschafteten Wäldern ausbringen würde. Die Natur kann sich – selbst in den klimatisch rauen Hochlagen im Bayerischen Wald – am besten selbst helfen und hervor-

Borkenk Ferbek Mpfung Kann

Auch Naturschonend Sein

In den Randzonen des Nationalparks wird zum Schutz der angrenzenden Wälder der Borkenkäfer bekämpft. Aber auch hier geht man mittlerweile neue Wege. Anstatt wie in der Forstwirtschaft üblich befallene Fichten komplett zu entrinden und aus dem Wald zu entfernen – wodurch aber wichtige Biomasse verloren geht – werden Bäume nur noch »geschlitzt« und nur ein Teil der Rinde entfernt. Der Rest bleibt als »Lebensraum« und Nahrung für viele Arten im Wald liegen.

Naturnahe W Lder

MIT TOTHOLZ SPEICHERN

VIEL KOHLENDIOXID

Totholz, das im Urwald verrottet, gibt natürlich auch Kohlendioxid (CO2 ) in die Atmosphäre ab. Wäre es also nicht klüger, das Holz zu nutzen? Wissenschaftliche Untersuchungen in Wäldern geben Entwarnung. In Nationalparken speichern naturnahe Wälder mit Totholz viel CO2 . Und das über viele Jahrzehnte bis Jahrhunderte, weil die Bäume hier uralt werden dürfen. Im Forst werden Bäume dagegen jung gefällt. Das gespeicherte Kohlendioxid wird freigesetzt und belastet das Klima. Das genutzte Holz wird im Mittel schneller verbrannt als das im Wald verbliebene Holz verrottet. Totholz, das im Wald bleibt, wird dagegen zu Humus, der Bäume ernährt und langfristig Kohlenstoffe bindet.

EIN HOTSPOT DER BIODIVERSITÄT: TOTGESAGTE LEBEN LÄNGER

Der Wald kann sich ohne menschliches Zutun nicht nur selbst besser regenerieren, er kann sich auch selbst umgestalten und zu einem gesunden und vielfältigen Biotop werden. Auch wenn Borkenkäferbefall oder Windwürfe viele Bäume zum Absterben bringen, ist der Wald längst nicht tot, ganz im Gegenteil. Die Natur ergreift die Chance und gestaltet sich um. Gerade das Totholz, das in Wirtschaftswäldern meist unverzüg lich vom Menschen aus dem Wald transpor tiert wird, ist für viele Arten lebensnotwen dig. Das ist der entscheidende Unterschied vom Forst zum Nationalpark: die lebende und tote Biomasse bleibt im Nationalpark im Wald. Sie ist die Grundlage für die wald typische Vielfalt. So verwunderte es auch nicht, dass längst verschollen geglaubte Käfer, Insekten, Pilze oder Pflanzen wieder im neu entstandenen Urwald zu finden sind – und mit ihnen auch viele Tierarten. Die Steigerung der Biodiversität lässt sich auch belegen: Im Nationalpark konnte man über 8000 Arten nachweisen, vermutet werden sogar 14 000.

Der Klimawandel Ist Im Nationalpark Angekommen

Der Nationalpark ist ein Paradies für Tiere, Pflanzen und Pilze. Allerdings macht auch der Klimawandel nicht vor diesem Juwel Halt: In den vergangenen 30 Jahren stiegen beispielsweise die April-Temperaturen um knapp vier Grad an, sodass die Schneedecke im Nationalpark meist schon drei bis vier Wochen früher schmilzt. Dementsprechend früher beginnt die Vegetationsperiode, der Abfluss des Schmelzwassers und die Grundwasserneubildung. Im späteren Jahresverlauf gibt es jedoch weniger neues Grundwasser. Dafür verantwortlich sind die höheren Sommertemperaturen, die zu einer stärkeren Wasserverdunstung der Bäume führen. Somit kann weniger Niederschlag im Boden versickern. Pilze, Tiere und Pflanzen reagieren unterschiedlich auf diese Entwicklung. Einige Vögel und Insekten bevölkern nun auch höhere Lagen, in

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