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Ehrenamt: Kleingemeinden ganz groß
Vorarlberg ist ein Land des freiwilligen Engagements. Es zeigt sich jedoch ein deutliches Land-Stadt-Gefälle.
Selbstlosigkeit, Teilhabe am Sozialleben und individueller Nutzen sind die drei Hauptmotive für ehrenamtliche Tätigkeiten. Über die Hälfte der Vorarlbergerinnen und Vorarlberger – 55,7 %, um genau zu sein – engagieren sich in ihrer Freizeit in Vereinen, Organisationen, in Initiativen oder ganz privat in der Nachbarschaftshilfe. Dieses bürgerschaftliche Engagement ist ein wesentlicher Beitrag zum Sozialkapital unserer Gesellschaft.
Obwohl es eine Tendenz zum Rückzug ins Private gibt, ist der Einsatz für das Gemeinwesen in Vorarlberg hoch. Denn im Vergleich zu den ersten beiden Studien über „Bürgerschaftliches Engagement und Sozialkapital“, die 2010 und 2014 gemacht wurden, hat das Freiwilligenengagement wieder zugenommen. Besonders hoch ist es in Kleingemeinden, zeigt die Erhebung des Landes Vorarlberg, die vom „Forschungszentrum Sozial- und Wirtschaftswissenschaften“ der Fachhochschule Vorarlberg durchgeführt wird.
33 der 96 Vorarlberger Gemeinden haben eine dreistellige Einwohnerzahl, insgesamt leben dort laut Landesstelle für Statistik 18.095 Menschen. Sie sind, ergab die Studie, besonders engagiert. Signifikant ist der Unterschied zwischen Dörfern unter 1.000 und Gemeinden über 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. 72,7 % der Menschen in kleinen Gemeinden sind in Vereinen aktiv, in Gemeinden bis 10.000 Menschen beträgt der Anteil noch 44,7 %. Steigt die Einwohnerzahl auf über 10.000, sinkt der Anteil der in Vereinen Engagierten leicht auf 43,8 %.
Auch beim informellen Engagement wie der Nachbarschaftshilfe sind die Menschen in Kleingemeinden mit 36,4 % am aktivsten. In größeren Gemeinden geben 26 % an, sich informell zu engagieren. Auch jene Menschen, die sich mehrfach in Vereinen betätigen, sind in kleinen Gemeinden wesentlich häufiger anzutreffen als in großen: Es steht 22,7 zu 13,3 %.
Reges Vereinsleben im kleinen Dorf
Warum diese Unterschiede? „Die soziale Struktur, das dörfliche Leben an sich, führt dazu, dass Vereinstätigkeiten im Dorf noch stärker ausgeprägt sind“, sagt Studienverfasser Frederic Fredersdorf. Das soziale Leben finde im Dorf stärker in der Vereinstätigkeit statt. Das Engagement in der Nachbarschaftshilfe sei durch die engeren persönlichen Beziehungen, teils über mehrere Generationen hinweg, erklärbar. In den Städten steht den Menschen ein vielfältigeres Freizeitangebot in Sport und Kultur zur Verfügung, Vereine sind nicht mehr die einzige Möglichkeit der Teilhabe.
Vorarlberg wird urbaner, beobachtet Fredersdorf, der aus der Großstadt Berlin zugezogen ist. Die Indizien: „Soziale Kreise rekrutieren sich nicht mehr aus der direkten Nachbarschaft, sondern aus den Tätigkeiten, die man ausübt. Die Herkunftsfamilie lebt nicht mehr im direkten Umfeld. Man wohnt dort, wo die Arbeitsstätte ist und nicht am Geburtsort.“ Einerseits gehe der Kontakt zu Freundinnen und Freunden aus Schule und Vereinen durch den Wechsel des Wohnortes, durch das berufsbedingte Pendeln verloren, andererseits würden die Beziehungen im städtischen Umfeld generell vielseitiger. Nachbarschaftliche Bezüge verlieren an Bedeutung, sagt Fredersdorf: „Man lebt anonymer.“
Obwohl sich immer noch beinahe ein Drittel der Menschen in Vorarlberg in den aktuell 4.929 Vereinen engagiert, fehlt es oft an Nachwuchs für die Gremien. „Junge Menschen wollen sich nicht über Jahrzehnte an einen Verein binden, sie bevorzugen kurzfristige, spontane Projekte und Aktionen“, weiß Sozialwissenschaftler Fredersdorf. Funktionäre in den Vereinen seien deshalb auch meist ältere Menschen
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Jung und engagiert im Dorf ...
Was motiviert junge Menschen, Verantwortung als Ehrenamtliche zu übernehmen? Das Magazin „Gute Aussichten“ hat zwei Obleute nach ihrer Motivation gefragt. Tamara Fink, die einzige Feuerwehrkommandantin Vorarlbergs, aus dem 373-Menschen-Dorf Thal und Severin Holzknecht, Präsident/Vorsitzender von drei städtischen Vereinen in Hohenems und Bregenz.
Für die 31-jährige Kunststofftechnikerin Tama ra Fink war die Feuerwehr schon als kleines Mädchen das Traumziel: „Mein Vater war Kommandant. Für mich war klar, dass ich auch zur Feuerwehr will, und zwar als Kommandantin.“ Die Verwirklichung des Mädchentraums scheiterte lange an strukturellen Bedingungen. Erst als im neuen Feuerwehrhaus Damentoiletten und Umkleiden geschaffen wurden, war die Aufnahme der jungen Frau möglich. Seit dem Vorjahr ist sie nun Kommandantin, organisiert ein Team aus zwanzig Männern und einer Frau.
Eigentlich hatte die Kommandantin mit mehr Interesse junger Frauen gerechnet, doch bisher ist nur eine Frau ihrem Beispiel gefolgt. Wahrscheinlich seien es der Männerüberhang bei der Feuerwehr und das manchmal doch etwas raue Klima, das Frauen abhalte, vermutet Tamara Fink. „Nachwuchssorgen, welcher Verein hat die nicht?“, sagt sie. Die beste Lösung sei die Zusammenarbeit über Gemeindegrenzen hinweg. So arbeiten die Feuerwehren von Langen, Doren, Thal und Sulzberg im Kreis Rotachtal zusammen. „Das bewährt sich nicht nur in der Jugendarbeit. Auch im Ernstfall wissen alle durch die gemeinsamen Übungen über die Gegebenheiten in den Nachbardörfern Bescheid“, sagt die Kommandantin. Die Verantwortung ist für die junge Frau keine Belastung: „Wenn man etwas gerne macht, ist es nie Belastung.“
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… und in der Stadt
Ähnlich sieht Severin Holzknecht (32) sein Mehrfachengagement in Vereinen. Seine Motive: Er wollte sich engagieren und zugleich seine Interessen an Gesellschaft, Politik und historischen Entwicklungen decken. „Es braucht Menschen, die Vereine am Laufen halten, die anpacken“, sagt der Historiker und Autor und tut dies als Vorsitzender des Bundes sozialdemokratischer Akademikerinnen und Akademiker, des Bundes sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen und als Präsident des partei- und konfessionsunabhängigen Vereins zur Förderung des Jüdischen Museums Hohenems. „Aus persönlicher Verbundenheit zum Museum möchte ich meinen Teil zu dessen weiterer positiver Entwicklung beitragen“, begründet Severin Holzknecht das Engagement für den Kulturbetrieb.
Natürlich brauche Vereinsarbeit Zeit, „die ich mir manchmal klauen muss“. Ihm als selbstständigem Wissenschaftler sei dies aber möglich: „Wäre für mich die Vereinsarbeit Belastung, würde ich sie nicht machen.“ Für engagierte Menschen, denen ihr Ehrenamt zur Belastung geworden ist, die nach neuen Strategien für ihre Vereinsarbeit suchen, bietet das Büro für Zukunftsfragen Workshops, Seminare und eine regelmäßig stattfindende Projektschmiede an.