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Reinventing-Strategie Über die Notwendigkeit eines neuen Verständnisses
Martin Kornberger, ein gebürtiger Lochauer, unterrichtet an der Wirtschaftsuniversität (WU) in Wien und beschäftigt sich in seinem Buch „Systemaufbruch – Strategie in Zeiten maximaler Unsicherheit – Die Wiederentdeckung von Clausewitz“ mit einem neuen Strategieverständnis. Dieses war bei der Erstellung der Beteiligungsstrategie von wesentlicher Bedeutung. Wir haben ihn getroffen, um mehr darüber zu erfahren.
Büro für Freiwilliges Engagement und Beteiligung: In deinem Buch beschäftigst du dich mit einem neuen Strategieverständnis. Warum braucht es das überhaupt?
Martin Kornberger: Ich glaube, wenn wir uns umschauen, dann sehen wir, dass in ganz vielen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bereichen die Strategie versagt. Also dass es Lösungen gibt, die dann aber im Endeffekt nicht funktionieren.
FEB Kannst du dazu ein Beispiel nennen?
MK Ein Beispiel, ein Gadget, an das sich noch viele erinnern werden, ist Blackberry. Hier war die Strategie das Problem, weil sie nicht in die Realität übersetzt werden konnte. Sie sind einfach nicht auf die Wünsche und Anforderungen der Endkonsument*innen bei der Smartphone-Entwicklung eingegangen. Wenn man sich dieses Beispiel oder auch andere Unternehmen oder auch öffentliche Verwaltungen anschaut, sieht man, dass viele mit Strategie Probleme haben.
FEB Was schlägst du vor? Was braucht es, damit Strategie funktionieren kann?
MK Ich glaube, dass der Strategiebegriff eine Erneuerung oder eine Erweiterung braucht oder zumindest ein kritisches Andersdenken.
FEB Du beschäftigst dich ja in deinem Buch mit dem Strategieverständnis von Clausewitz. Wer ist das und wie soll er uns weiterhelfen bei unserer Auseinandersetzung mit Strategie?
MK Clausewitz war während der napoleonischen Kriege General in Preußen. In seinem Buch, das 1832 veröffentlicht wurde, also vor nicht ganz 200 Jahren, hat er sich bereits den Kopf zerbrochen, wie Strategie ohne Plan funktionieren kann. Clausewitz’ Ausgangssituation war, dass bei Napoleon das Planen in der Art der methodischen Kriegsführung nicht mehr funktioniert hat.
FEB Was war Clausewitz’ Lösung für diese neue Situation?
MK Clausewitz erkannte, dass seine Lehrsätze und Lehrmeinungen, die er gelernt hatte, nicht mehr anwendbar waren. Er begann daher, einen dynamischeren Strategiebegriff zu entwickeln, der tatsächlich half, in diesen disruptiven Situationen, trotz Unplanbarkeit, eine gewisse strategische Richtung zu halten.
FEB Das heißt, es braucht eine gemeinsame Richtung oder Ausrichtung, an die wir uns in unplanbaren Situationen halten können?
MK Genau, wir können von Clausewitz lernen, dass es eine gewisse Ausrichtung zu einem Zweck braucht. Und dieser Zweck (oder auch purpose) muss etwas Inspirierendes, Funktionierendes, etwas Handlungsanleitendes sein. Der Zweck hat die Aufgabe, Orientierung zu geben.
FEB Du sprichst in deinem Buch von der Metapher des Nordsterns, der der Strategie Orientierung geben soll. Wie kann man sich den Nordstern vorstellen?
MK Das Entscheidende bei diesem Bild ist, dass der Nordstern von verschiedenen Positionen Orientierung im Denken und Haltung im Handeln weitergeben kann. Natürlich will niemand zum Nordstern hingehen, aber trotzdem brauchen wir ihn, um in der jeweils eigenen Situation Orientierung zu erhalten.
FEB Was heißt das dann konkret?
MK Nehmen wir als Beispiel Vorarlberg. Wenn es tatsächlich den Nordstern gibt, ist die Situation als Bürgerin und Bürger in Lochau, im Montafon oder sonst wo eine andere. Es herrschen andere Probleme, Vorstellungen, Wünsche, Ängste und eine unterschiedliche sozioökonomische Aufstellung. Diese Mannigfaltigkeit an Sichtweisen, diese Pluralität ist gut, ohne die wollen wir nicht leben, aber gleichzeitig braucht es trotzdem etwas, was die Leute in eine ähnliche Richtung bringt. Ich glaube, dafür ist der Nordstern eine wichtige Metapher. Wir richten uns gemeinsam nach dem Nordstern aus. In den jeweiligen Regionen gibt es unterschiedliche Mittel und Arten, wie man in der Situation dann konkret handelt und entscheidet, weil da braucht es Flexibilität und viel Autonomie, aber gleichzeitig die gemeinsame Ausrichtung.
FEB Du verwendest in deinem Buch noch weitere Begriffe: die Strategie als Brücke zwischen Nordstern und Taktik. Was ist damit gemeint?
MK Der Nordstern ist nur ein Teil. Der andere geht wieder auf Clausewitz zurück und zwar auf den Begriff der Auftragstaktik, der im Kern besagt, dass Entscheidungen lokal und autonom getroffen werden müssen. Der Nordstern gibt die Orientierung vor und die Ausführung, wie man dann individuell dorthin kommt, ist lokal zu entscheiden. Lokal gibt es maximale Freiheit, weil ansonsten auch die Kreativität, die in dem Kollektiv steckt, überhaupt nicht zu Tragen kommt.
FEB Du fasst das in deinem Buch in einem Satz sehr schön zusammen: „Die minimal kollektive Ausrichtung bei maximal individueller Entscheidungsfreiheit“.
MK Genau. Ich glaube, was wir suchen, ist ein intelligenter Mittelweg. Wir brauchen die gemeinsame kollektive Ausrichtung, also wir brauchen die Haltung, die wir teilen. Aber wichtig ist, dass man sie nicht implementieren darf. Im Individuellen muss entschieden werden, wie man dazu kommt und was konkret passiert. Ansonsten würde man die Kreativität im Keim erstickten.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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