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Die aufgemalte Lösung über Nacht

Der Bürger*innenrat ist weit über Vorarlbergers Grenzen hinaus bekannt und lockt immer wieder Interessierte von außerhalb nach Vorarlberg. So auch im April: Wir besuchten mit einer Delegation aus Baden-Württemberg u.a. gemeinsam die Bregenzerwälder Gemeinde Egg. Sieben Jahre nach dem dortigen Bürger*innenrat. Ein Rückblick von Judith Lutz.

Wer das Bienenhaus in Egg betritt, spürt sofort, hier ist ein ganz besonderer Begegnungsort entstanden. Kinderbetreuung für die Kleinsten mit offenem Cafébereich. Hier grenzen Büroräume an liebevoll gestaltete Schlafmöglichkeiten für die betreuten Kinder, bevor sie die selbstgebastelte Kugelbahn aus Recyclingmaterialien testen. Das helle Holz, hohe Decken, der Lehmboden, große runde Fenster, die Einblicke in die Räume bieten. Als wir das im September 2022 eröffnete Gebäude betreten, sind wir nicht alleine. Eine Delegation aus Baden-Württemberg, Abgeordnete aus sämtlichen Fraktionen, mit dabei Staatsrätin Barbara Bosch, besucht Vorarlberg für einige Tage, um sich über Erfahrungen in Sachen partizipativer Demokratie auszutauschen. Teil der Reise ist ein Ausflug in den Bregenzerwald. Als der vollgefüllte Bus am neu erstandenen Busbahnhof ankommt, strahlt die Sonne. Und mit ihr die Menschen, die aus ihm aussteigen. Bürgermeister Paul Sutterlüty erzählt stolz, dass sowohl der Busbahnhof als auch das Bienenhaus am kommenden Wochenende feierlich eröffnet werden. Es sei noch einiges zu tun, aber kurz vor knapp fertig zu werden, sei man ja ohnehin gewöhnt.

Wir spazieren gemeinsam in das Gemeindehaus und finden uns im Sitzungszimmer im obersten Stock versammelt ein. Es soll über den Bürger*innenrat berichtet werden, der hier in der Gemeinde 2016 stattfand. Mit dabei auch zwei Teilnehmer*innen, die erzählen, wie der Bürger*innenrat das Dorf verändert hat. Doch bevor jemand zu Wort kommt, erklingen Gitarrensaiten – und ein Bregenzerwälder Ständchen läutet den Nachmittag ein. Noch mehr strahlende Gesichter und gezückte Smartphones verraten: Was hier gesehen und gehört wird, gefällt. Heißt willkommen.

Die aufgemalte Lösung über Nacht fasst Bürgermeister Paul Sutterlüty die Wirkungen des Prozesses zusammen.

2016 stand die Gemeinde vor mehreren Herausforderungen. Einerseits – eine zerrissene Gemeindevertretung. Andererseits – der Verkehr, der als riesen Belastung wahrgenommen wurde. Fragen, wie die Gemeinschaft in Egg gestärkt und wie ein belebtes Dorfzentrum aussehen kann, darauf gab es zwar mögliche Antworten, die aber allesamt in Schubladen verschwanden. Paul Sutterlüty hat damals die Führungsaufgabe der Gemeinde übernommen und war überzeugt, so einen Neuanfang schaffen wir nicht alleine. Wir brauchen auch die Bürger*innen von Egg dazu. Er erzählt ausführlich davon, welche Vorteile der Prozess mit sich brachte. Zentral dabei: Die Anliegen der Gemeinde bekamen mehr Gewicht, die Kommune fühlte sich von Seiten des Landes besser wahrgenommen. Die vielen Ideen und Empfehlungen für ein lebendiges Dorfzentrum aus dem Bürger*innenrat wurden sehr ernst genommen und, wie gezeigt wurde, umfassend umgesetzt. Denn aus den Ergebnissen entstand ein Masterplan für das Zentrum, das sich nicht hundertprozentig mit den Vorstellungen des Bürger*innenrats deckt, aber im Kern die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger in den Fokus stellt. Der Prozess wurde als Anschubpunkt für vieles gesehen, was neu in der Gemeinde entstanden ist. Das lichtdurchflutete Bienenhaus mitten im Dorf und der helle, architektonisch spannende Busbahnhof – ebenfalls mitten im Dorf –sind nur zwei Beispiele.

Ein weiteres Beispiel ist der gemalte Kreisverkehr, von dem lange die Rede davon war, dass es aus Platzgründen an diesem Ort nicht möglich sei. „Wir haben es einfach gemacht und in einer Nacht- und Nebelaktion aufgemalt. Am nächsten Morgen war er da – und hat die ersten sechs Monate unfallfrei das massive Verkehrsaufgebot geregelt. Die Kreuzung war wirklich gefährlich und hat dazu geführt, dass manche Menschen Egg gemieden haben. Das mussten wir ändern!“ erzählt Bürgermeister Paul Sutterlüty. Es mag „nur“ ein Kreisverkehr sein, doch die Wirkung ist enorm – denn er war die Lösung für ein langjähriges Problem, das sich negativ auf die Aufenthalts- und Lebensqualität in Egg ausgewirkt hat. fasst ein Teilnehmer des Bürger*innenrates in Egg sein Resümee zusammen.

Dass sich wahrhaftig etwas tut, erleben wir im Bienenhaus. Während Staatsrätin Barbara Bosch ein Interview gibt, die restlichen Gäste sich bei Kaffee und Kuchen anregend unterhalten, springen Kinder in Regenausrüstung durch die Gänge. Vor dem Gebäude treffen sich Familien beim Spielplatz und genießen die Aprilsonne. Sie winken, als die Delegation wieder in den Bus steigt und vor dem Abschied noch einmal kurz zurückblickt.

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