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Entwicklung des Menstruationsproduktes

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Konzept

Durch die designhistorische Herangehensweise sowie der Analyse der aktuellen Menstruationsproduktpalette hat es sich als hilfreich herausgestellt, die Vielfalt der Produkte in zwei Kategorien einzuteilen. Die zwei Kategorien unterscheiden sich durch ihre unterschiedlichen Wirkprinzipien. Die eine Kategorie nimmt das Blut in ihrer Faserstruktur auf, die Andere fängt das Blut durch ihre Form.

Ein Ansatz ist es die zwei Wirkprinzipien durch eine dritte Option zu erweitern. Die Erfindung einer dritten Kategorie, in welcher das Blut nicht nur aufgehalten sondern auch freigegeben werden kann, ist zwar keine Neuentdeckung, dennoch scheint die Idee noch nicht weit verbreitet zu sein. Die Benutzung der Menstruationstasse der Firma „Aiwo“, welche bereits über ein integriertes Ventil verfügt, erweist sich bei näherer Analyse als riskant, da das ungewollte Öffnen des Ventils durch eine „falsche“ Bewegung keine Seltenheit darstellt. Bei einem gut funktionierenden Ventil ergeben sich aber auch Chancen, da ebendieses sich besonders an Frauen eines fortgeschrittenen Alters richten kann, denen jene handelsüblichen Menstruationstassen auf Grund des zu geringen Auffangvolumens schlicht zu klein sind.

Während der Analyse der Interviews und Gespräche mit jüngeren Frauen fiel auf, dass die Frauen, welche als Verhütungsmittel die Kupferspirale ohne Hormone verwenden, ebenfalls eine Zielgruppe darstellen können. Da man bei dieser Gruppe, ähnlich wie bei Frauen, die bereits eine Geburt hinter sich haben, von einer deutlich erhöhten Menge an Menstruationsblut ausgehen kann, welche die Kapazität der meisten Menstruationstassen übersteigt. Doch für die jüngeren Zielgruppe ist die Dimension der Menstruationstasse des Herstellers „Aiwo“ zu groß, sodass während des Tragens sich das am unteren Ende befindende Ventil, entweder aus der Vagina herausragt, was als äußerst unangenehm beschrieben wird oder aus Versehen durch Anspannen ebendieser Muskulatur, aktiviert werden kann, auf Grund der Tatsache, dass das Ventil sich im Bereich der Beckenbodenmuskulatur aufhält, da diese Menstruationstasse für jene Benutzerinnen schlicht zu lang ist und weiter oben in der Vagina sitzen müsste.

Wenn das Ziel die Erfindung einer Möglichkeit ist, das Menstruationsblut im richtigen Moment herauslaufen zu lassen, erschließt sich nicht die Notwendigkeit eines Fassungsvermögens für das Blut in der Vagina. Die Vagina an sich könnte bereits als Volumenkörper verstanden werden, welche das Blut speichert. Diese Annahme reduziert das zu entwerfende Produkt auf die Funktion, das herunterlaufende Blut bereits in der Vagina aufzuhalten und als zusätzliche Funktion freigeben zu können. Das Konzept ist also einen Schließmechanismus zu gestalten.

Durch die weitere Erkenntnis, welche beim Analysieren der aufgezeichneten Gesprächsrunden, dass die öffentliche Toiletten einen äußerst problematischen Ort für die Benutzung einer Menstruationstasse darstellen kann, da für das Säubern der Menstruationstasse vor dem erneuten Einsetzen ebendieser, der private Raum der Toilettenkabine verlassen werden muss. Das Waschen in den häufig auch für beide Geschlechter vorgesehenen Spülbecken wird als etwas Entblößendes und einen höchst umständlichen Vorgang empfunden, da andere Personen, bzw. das männliche Geschlecht, die Säuberung der Menstruationstasse sehen könnten, was die bereits benannten Scham- und Ekelgefühle bei allen Beteiligten auslösen kann.

Der zu entwickelnde Schließmechanismus könnte die bereits beschriebene, komplizierte Handlung, die eine Menstruationstasse voraussetzt, auf eine einfachere und schnellere Interaktion reduzieren, welche diskret, um bei dem Beispiel der Toilettenkabine zu bleiben, erledigt werden kann. Das Konzept sieht des Weiteren die Entwicklung einer Interaktion vor, welche es der Benutzerin ermöglicht die Öffnung des Ventils zu aktivieren, ohne dieses manuell zu betätigen. Die Freiheit das Produkt im Inneren nicht Berühren zu müssen, um das Herauslaufen des Menstruationsblut in Gang zu setzen, hat gerade auf der bereits genannten öffentlichen Sanitäranlage den entscheidenen Vorteil, dass die Interaktion möglichst „sauber“ verläuft, da die eine dementsprechende Hygiene in öffentlicher Toiletten oft nicht anzutreffen ist.

Entwurf

Vagina

Eine Herausforderung dieses Projekts ist die Darstellung der korrekten Anatomie der Vagina, in welcher sich das Produkt bei Benutzung befinden soll. Die Erstellung einer möglichst anatomisch korrekten, durchschnittlichen Vagina wirft ergonomische Fragen auf. Da es einerseits schwierig ist die korrekten Ausmaße zu erfassen, und die daraus resultierende durchschnittliche Form einer Vagina zusätzlich vermutlich keinen Nutzen für die Entwicklung eines dort gut sitzenden Produkt hat, da Durchschnittswerte selten dem einzelnen Individuum genügen.

Um diese Hürde zu umgehen, hat es sich als sinnvoll herausgestellt, den Anwendungsort nicht einer anatomischen Korrektheit anzupassen, sondern Erkenntnisse über die Größenverhältnisse von den schon existierenden Menstruationsprodukten zu beziehen. Die Erstellung einer Skala 100 vom kleinsten Radius, dem eines Tampons bis hin zu einem Diaphragma erstellt einen Handlungsspielraum, welcher die Form eines Trichters 101 annimmt. Dieser kann als Versuchsumgebung für das zu entwerfende Produkt dienen.

Die Frage nach der Größe des zu entwickelnden Produktes mit den handelsüblichen Produktgrößen zu beantworten schien dabei als einen schlüssige Heransgehensweise. Bei dem Versuch diesen Trichter den Eigenschaften der Schleimhaut der Vagina anzupassen, schien es als angemessen, ein transparentes, weiches Silikon zu verwenden, da dieses einerseits das Beobachten der Versuche im Inneren ermöglicht und zum anderen die Flexibilität imitiert, welche unter anderem hilfreich ist, um den Moment des vollständigen Verschließens darzustellen, da sich das Produkt so besser „einhakt“ , was ebenfalls im Beispiel der Anwendung von Menstruationstassen oder dem Diaphragma ein bewährtes Verfahren ist, von dem die Benutzerin ebenfalls nur bei übertriebener Überdehnung der Schleimhaut etwas spürt.

Ventil

Das Ventil soll der Benutzerin das Herauslassen des Menstruationsblutes auf einer Toilette ermöglichen, dabei ist die Analyse der Menstruationstasse „Aiwo“, welche wie bereits erwähnt über ein Ventil verfügt, aufschlussreich, da diese über einen langen „Hals“ verfügt, um bei idealer Benutzung das Blut direkt aus der Öffnung der Vagina zu leiten, damit das Blut nach Möglichkeit nicht an der Schleimhaut im inneren der Vagina herunterlaufen muss, da dieser Bereich äußerst unangenehm zum Abwischen mit Toilettenpapier ist, was bedeuten kann, dass das restliche Blut nach einer gewissen Zeit hinunterlaufen kann und erst von der Unterwäsche aufgefangen wird.

Die Herausforderung dabei ist: Wenn sich das starre Ventil, wie im Beispiel der Menstruationstasse „Aiwo“, im Bereich der unteren Beckenbodenmuskulatur aufhält, ist dies deutlich spürbar und kann sich störend anfühlen. Aus diesem Grund ist bei meinem Entwurf der Verschlussmechanismus, fast vollständig flexibel und kann sich beim Öffnen in der Länge ausdehnen und wiederum beim Schließen wieder zurückziehen, um ein angenehmes Tragegefühl zu ermöglichen. Diese Flexibilität ist außerdem auch für das Einsetzen und wieder Herausnehmen wichtig, da dies ebenfalls ein gängiger Kritikpunkt an den handelsüblichen Menstruationstassen ist.

Technik

Nach verschiedenen Testmechanismen erwies sich der Ansatz ein Smartmaterial zu verwenden als hilfreich, um den oben genannten Ansprüchen gerecht zu werden. Die Entscheidung fiel auf die bekannteste Formgedächtnis-Legierung, das Nitinol, dessen Name sich aus der Verbindung aus Nickel und Titan zusammen setzt. Nitinol findet in Form von Implantaten oder chirurgischen Instrumenten in der Medizin bereits eine häufige Anwendung. Das Besondere an dem Material ist, dass es sich an seine ursprüngliche Form „erinnern“ kann, Nitinol ist äußerst flexibel und lässt sich im „kalten“ Zustand elastisch verformen. Erst durch einen elektrischen Impuls oder eine Form von Wärmeenergie nimmt es seine vorher programmierte Form wieder an. Das Ventil braucht aus diesem Grund eine Form von Batterie oder wiederaufladbaren Akku, um diesen elektronischen Impuls zu ermöglichen. Das Nitinol verläuft in dem Ventil vertikal und begünstigt somit das Eindrehen des Produktes.

offen

halb geschlossen

geschlossen

Durch die Aufoder Zudrehbewegung der Gesamtform lässt sich es sich schließen, bzw. öffnen. Da sich Nitinol allerdings nur an eine Form „erinnern“ kann, macht es Sinn zwei unterschiedliche Systeme einzuplanen. Es gibt also zwei Gruppen von unterschiedlich vorprogramierten vertikal verlaufenden Nitinol-Leitungen, welche sich einerseits an den geöffneten und andererseits an den geschlossenen Zustand erinnern. Diese beiden Systeme können unterschiedlich angesprochen werden. Doch das Ventil benötigt ebenfalls einen Impulsgeber, wann es die Formveränderung auslösen soll. Dieser Impuls kommt von einem Transmitter, dem bereits erwähnten Anhänger, welcher bspw. an einer Kette hängen kann. Durch das Betätigen dieses Anhängers wird ein Signal an den Receiver im Ventil gesendet, welcher wiederum das jeweilige System anspricht, um das Öffnen oder Schließen durch den kontrollierten Input von Außen zu ermöglichen.

Fernbedienung

Um dem Ventil, welches beispielsweise am Morgen bereits eingesetzt wurde, den Befehl zu geben sich zu öffnen, ist eine Fernbedienung erforderlich, mit welcher die Information an das Ventil weitergegeben werden kann, damit eine manuelle Bedienung entfallen kann. Die Fernbedienung soll eine einfache Interaktion begünstigen, deshalb ist es wichtig, eine möglichst kleine Form zu entwickeln, welche sich nah am Körper tragen lässt, um Intimität aber auch Diskretion zu gewährleisten. Ein Produkt, welches sichtbar, außerhalb des Körpers getragen wird und eine Verbindung zum Körperinneren schafft, kann außerdem ggf. an die Entnahme des Ventils erinnern. Die Form hat nach einigen Versuchen, die eines Anhängers angenommen, welcher sich bspw. an einer Halskette, am Schlüsselbund oder in der Hosentasche tragen lässt.

Interaktion

Die vollständige Interaktion lässt sich gut anhand eines exemplarischen Tages zeigen. Am Morgen wird das Ventil, nachdem die Hände gewaschen sowie das Ventil abgekocht wurden, auf der heimischen Toilette eingesetzt. Im Laufe des Tages muss die Benutzerin des Ventils auf eine öffentliche Toilette gehen. Nachdem sie sich auf die Toilette gesetzt hat, betätigt diese mit einem Anhänger, welcher sich an ihrer Kette hängt und mit einem Transmitter ausgestattet ist, das Ventil im Inneren ihrer Vagina. Durch eine einfache, intime Bewegung löste diese den Impuls mittels des Anhängers aus. Das Ventil öffnet sich und lässt das Blut heraustropfen. Nach einer gewissen Zeit verschließt die Benutzerin das Ventil wieder durch das einfache Loslassen des Anhängers.

Dieser ist mit einer Spule aus Nitinol Draht ausgestattet, welcher den Anhänger wieder verschließt. Dieser ist ebenfalls mit Nitinoldraht ausgestattet, um die selbe Geschwindigkeit wie das Verschließen des Ventils zu ermöglichen. Nach dem Abwischen mit dem Toilettenpapier kann sie sich nun wieder ankleiden und die Toilette verlassen. Je nach Bedarf kann sie diesen Vorgang öfters am Tag wiederholen. Abends zu Hause angekommen, sollte die Benutzerin nach zwölf Stunden des Tragens des Ventils ebendieses Herausnehmen und mit kaltem Wasser reinigen. Dies ist eine prophylaktische Maßnahme gegen Infektionen, welche für alle Menstruationsprodukte, wie z.B. Menstruationstassen, gilt. Nach Bedarf kann sie das Ventil direkt wieder Einsetzen, um über Nacht das Herausfließen der Menstruationsblutung ebenfalls zu verhindern.

Ästhetik

Mit der neu gestalteten Handlung soll eine neue Ästhetik herausgearbeitet werden, die in Anbetracht des Tabus sich anpassen kann. Der Benutzerin soll es ebenfalls ermöglicht werden, sich dem Tabu zu stellen, indem beispielsweise der Kettenhänger - die Fernbedienung für das Ventil - als eine Art Statement getragen werden kann. Der Kettenanhänger ist dementsprechend gestaltet, sodass dieser sich bspw. an einer Kette, wie ein Schmuckstück oder aber auch versteckt unter der Kleidung tragen lässt.

Die Gestaltung des Mechanismus‘ des Ventils ist ebenfalls ästhetisch motiviert, da das Aufdrehen und Schließen des Modells eine höhere Qualität besitzt, als ein starres Ventil, welches am unteren Ende der Öffnung einer Menstruationsstasse positioniert ist, wie es das Beispiel des Herstellers „Aiwo“ zeigt.

Ausblick

Das Thema der Menstruation bietet aus gestalterischer Perspektive noch viele Herausforderungen und Chancen. Zum Beispiel: Wie werden die nachhaltigen und mehrmals verwendbaren Produkte in Zukunft gereinigt? Der Aspekt des Infektionsrisikos durch falsche Hygiene des Produkts stellt nach wie vor eine Hürde dar, welche nachhaltige Menstruationsprodukte weniger attraktiv erscheinen lassen. Aber auch die Chance, die sich aus dem Erlernen und Verstehen der Methode der freien Menstruation ergibt, lässt die Frage aufkommen, wie eine Zukunft ganz ohne Produkte für die Menstruation aussehen könnte? Welche grundlegenden Änderungen im bestehenden System der öffentlichen Sanitäranlagen müssten bspw. demnach folgen, um den Bedarf der freien Menstruierenden nachzukommen, welche im zweistündigen Takt eine Toilette aufsuchen müssen.

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