3 minute read

Grenzen des Verstandes

Next Article
Quellenverzeichnis

Quellenverzeichnis

Geheimnis Und Erkenntnis

Aus einer Rezension zur Paul Klee-Ausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne 2018:

Advertisement

Unten [auf dem Gemälde] sehen wir einen zu einer kompliziert aufgebauten Apparatur mutierten Kopf, dessen wie mechanisierte Schultüten aussehende Augen die Umgebung beobachten. Allerdings nur auf horizontaler Ebene. Der Kopf hat eine fragile Leiter ausgefahren. Sie führt auf eine höhere Ebene. Auf der steht eine weitere klapprige Leiter. Sie reicht jedoch nicht an das über allem prangende Himmelsgestirn heran, das die höhere Einsicht und die letzten Wahrheiten versinnbildlicht.

Aber die Sehnsucht nach dem Aufstieg in diese höchste geistige Sphäre ist unverkennbar. Das Bild ist nicht zuletzt Klees Kommentar auf die damalige Rationalitätsbesessenheit am Bauhaus*: »Wir konstruieren und konstruieren, und doch ist Intuition immer noch eine gute Sache. Man kann ohne sie Beträchtliches, aber nicht alles. Es wären Aufgaben zu stellen, wie etwa: die Konstruktion des Geheimnisses.«

Dafür ist Klees Werk »Grenzen des Verstandes« ein Anschauungsbeispiel. Er war überzeugt: »Im obersten Kreis (der Kunst) steht hinter der Vieldeutigkeit ein letztes Geheimnis und das Licht des Intellekts erlischt kläglich.«

Veit-Mario Thiede, Journalist

BeMERKenswert: so viele Zwischenräume

KONSTRUKTION, INTUITION, INTELLEKT, GEHEIMNIS

1. Machen Sie einen gedanklichen Spaziergang im Gemälde von P. Klee. Betrachten und beschreiben Sie es von verschiedenen Aufenthaltsorten aus und halten Sie Gedanken und Gefühle fest.

2. Deuten Sie das Gemälde unter Einbezug des Titels und stellen Sie Bezüge zum bisherigen Kapitel her.

3. Vergleichen Sie Ihre Überlegungen mit der Deutung (rechts oben).

4. »… kam ich zu dem Schluss …« – Philosophieren Sie über Pred 8,16 und bringen Sie die Bibelstelle mit P. Klees Aussagen ins Gespräch.

Ich habe über die Weisheit* nachgedacht, um ihr auf den Grund zu gehen. Dabei fiel mein Blick auf das vergebliche Tun, das auf der Erde getan wird. Man sagt ja: »Auch am Tag und in der Nacht gönnt sich der Mensch keinen Schlaf.«

Als ich aber darauf schaute, was Gott alles tut, kam ich zu dem Schluss: Der Mensch kann das alles nicht begreifen, was unter der Sonne geschieht. Auch wenn der Mensch sich noch so anstrengt, begreift er es nicht. Und wenn einer meint, alle Weisheit der Welt zu besitzen, begreift er es trotzdem nicht.

Pred 8,16 f. (BasisBibel)

Alma Haser, Patient No. 01 (2016) aus der Serie »Kosmische Chirurgie« (Cosmic Surgery), gefaltetes Origami vor Gesicht

Zu Den Weltzug Ngen Baumerts

Wenn die Biologielehrerin über eine Rose spricht, folgt sie einer anderen Form von Rationalität als der Deutschlehrer, der ein Liebesgedicht behandelt. Niemand würde (hoffe ich) behaupten, dass nur einer der beiden Zugänge richtig und angemessen sei. Vielmehr müssen sich beide Zugänge ergänzen: Wer seiner Angebeteten seine Liebe erklären will, sollte um die Symbolkraft der Rose wissen und vielleicht nicht stattdessen einen Kaktus schenken. Wer mit Zucht und Verkauf von Blumen Geld verdienen will, dem kann dagegen die Poesie so lange egal sein, bis er sich verliebt.

Von einem gebildeten Menschen kann man also beides erwarten – naturwissenschaftliche Kenntnisse und ein geisteswissenschaftliches oder ästhetisches Verständnis. Darüber hinaus sollte man erwarten, dass er diese verschiedenen Rationalitäten oder Weltzugänge unterscheiden und ihre jeweiligen Grenzen reflektieren kann.

Joachim Willems, Theologe

Verstandesgrenzen In Den Wissenschaften

1. Erschließen Sie sich komplizierte Begrifflichkeiten in der Übersicht zu J. Baumerts Weltzugängen aus dem Zusammenhang.

2. Suchen Sie zu jedem Weltzugang ein passendes Instrument, Motto und/oder Symbol.

3. Ergänzen Sie das Beispiel der Rose (links) um die Perspektive von Religion/Philosophie. – Erproben Sie weitere eigene Beispiele.

4. Reflektieren Sie die folgenden Fragen z. B. unter Einbezug der Schulfächer: Auf welche Weise(n) erschließen bzw. eröffnen die verschiedenen Weltzugänge die Welt? Was kommt in den Blick, was muss ausgeschlossen werden? Wo liegen die jeweiligen Grenzen und wie stark werden diese für gewöhnlich zum Thema?

5. Beziehen Sie jeden der Weltzugänge auf das Gemälde P. Klees ( S. 38).

6. Was haben die verschiedenen Weltzugänge mit der eigenen Person zu tun? Deuten Sie das Porträt links oben. – Erproben Sie eigene Gestaltungen zum Thema: Ich und meine Weltzugänge.

Vier Modi Der Weltbegegnung Nach J Rgen Baumert

kognitivinstrumentelle Modellierung der Welt ästhetischexpressive Begegnung und Gestaltung normativevaluative Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft

Probleme konstitutiver [festlegender]

Rationalität

Mathematik, Naturwissenschaften

Sprache / Literatur; Musik / Malerei / bildende Kunst; körperlicher Ausdruck

Wie geht es? Wie begegne ich der Wirklichkeit?

Wie kann ich Wirklichkeit ausdrücken?

Geschichte; Ökonomie; Politik / Gesellschaft; Recht

Religion, Philosophie

Wie ist die soziale Welt verbindlich zu ordnen?

Was ist wahr?

Wozu bin ich da?

Ein MERKe von dem Theologen Bernhard Dressler: »Keiner Perspektive eröffnet sich eine andere Welt, aber immer die eine Welt als eine andere.«

Nach dem Bildungsforscher Jürgen Baumert ist für eine Allgemeinbildung unverzichtbar, sich mit den vier nebenstehenden Weltzugängen bzw. Welthorizonten zu beschäftigen, denen jeweils andere Fragerichtungen zugrunde liegen. Er geht davon aus, dass alle vier Arten der Weltbegegnung eigene Perspektiven auf die Wirklichkeit haben, eigene Wahrnehmungsmuster bzw. eine andere Art, die Welt zu »lesen« –, und dass sich diese Zugänge ergänzen, aber nicht ersetzen können.

This article is from: