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Glaube und Vernunft …
WIE VERNÜNFTIG IST CHRISTLICHER GLAUBE?
• Das Verhältnis von Glaube und Vernunft wird auch als Verhältnis von Glaube und Denken, Offenbarung und natürlicher (vernunftgeleiteter) Erkenntnis oder (in der Neuzeit) als Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft* ( S. 44) beschrieben.
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• Historisch entwickelt es sich im frühen Christentum in der Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie. Letztere wird von antiken Theologen wie Augustin* produktiv aufgegriffen; beide Seiten sollen wechselseitig ineinandergreifen und sich befruchten: »crede ut intelligas« (glaube, damit du verstehst) und »intellige ut credas« (verstehe, damit du glaubst).
• Die mittelalterliche Theologie führt diese Sicht fort: Auch wenn die Vernunft nicht von sich aus zu wahrer Gotteserkenntnis gelangen kann, wird dem Denken zugetraut, die von Gott offenbarten Glaubensinhalte Gläubigen wie NichtGläubigen als plausibel und denknotwendig aufzuzeigen bzw. nachzuzeichnen und somit den Glauben als vernünftig auszuweisen. Ausdruck dieser Haltung sind die sog. Gottesbeweise*. – Martin Luther betont dagegen, dass die Vernunft – bei aller Wertschätzung – nicht in der Lage ist, das eigentlich Wesen Gottes als Gott »für mich« [9] zu erkennen.
• In der Neuzeit führen neben der aufklärerischen Kritik ( S. 25 ff.) die großen Erfolge der Naturwissenschaften dazu, dass nur noch Letzteren echte Erkenntnis über die Wirklichkeit zugetraut wird. Entsprechend werden biblische Aussagen zur Entstehung der Welt und des Menschen im 19. Jh. in der Regel als unvereinbar mit dem geschichtslosen, mechanischen Weltbild der klassischen Physik* sowie mit der Evolutionstheorie* verstanden und als unwissenschaftlich abgelehnt. Erst mit dem Aufkommen der modernen Physik und z. B. ihrer Erkenntnis eines kosmischen Anfang und Endes ergeben sich Möglichkeiten, diese Konfrontationsstellung von naturwissenschaftlicher Seite her aufzubrechen. Umgekehrt ermöglichen die Erkenntnisse der aus der Aufklärung herrührenden historischkritischen Methode ( S. 92) von christlicher Seite ein neues Verständnis biblischer Aussagen über Gott, Welt, Mensch und Evolution.
Martin Luther Ber Die Vernunft
»Es stimmt, dass die Vernunft die Hauptsache von allem ist, das Beste im Vergleich mit den übrigen Dingen dieses Lebens; sie ist geradezu etwas Göttliches. Sie ist Erfinderin aller Kunst und Wissenschaft […] und all dessen, was in diesem Leben an Weisheit*, Macht, Tüchtigkeit und Herrlichkeit den Menschen zukommt.«
»Sie weiß [auch], dass Gott ist. Aber wer oder welcher es sei, der da recht Gott heißt, das weiß sie nicht. Also spielt auch die Vernunft Blindekuh mit Gott und tut eitel Fehlgriffe und schlägt immer nebenhin, dass sie das Gott heißt, das nicht Gott ist, und wiederum nicht Gott heißt, das Gott ist. […] Darum ist es gar ein großer Unterschied, wissen, dass ein Gott ist, und wissen, was oder wer Gott ist. Das erste weiß die Natur und ist in allen Herzen geschrieben. Das andere lehrt allein der Heilige Geist.«
»DAS BESTE IM VERGLEICH«
1. Entwickeln Sie Standbilder, die das Verhältnis von Glauben und Denken zum Ausdruck bringen. Tauschen Sie sich über diese aus und beziehen Sie die Info auf Ihre Diskussion.
2. »Das Beste im Vergleich« – erläutern Sie M. Luthers Überlegungen. Vergleichen Sie sie mit Sichtweisen der Aufklärung ( S. 25–33). Gestalten Sie Luthers Sicht von Vernunft visuell.
3. Eine gemeinsame Bibliothek für Theologie und Philosophie? Deuten Sie die Zusammenstellung der Literaturbestände (s. oben) und stellen Sie architektonische Bezüge zu Kapitel 1 her.
JÜRGEN MOLTMANN*: AUF DEM WEG ZUR WEISHEIT
Glaube und Vernunft können sich im gemeinsamen Haus der Weisheit* finden und je das Ihre zum Bau dieses Hauses in einer lebensklugen Kultur beitragen. Von theologischer Seite aus war es immer die Aufgabe der »natürlichen Theologie« ( S. 32) oder einer »Theologie der Natur*«, solche Weisheit zu entdecken und zu lernen, die mit dem Gott der Offenbarung und des Glaubens in Einklang steht. […]
Sucht man Weisheit, dann findet man beides: Man entdeckt und man lernt. Man entdeckt eine vorgegebene Weisheit im Aufbau der Materie und den Stufen des Organischen. Es sind lebensdienliche Molekularverbindungen und Zellorganismen entstanden und lebensfeindliche ausgeschlossen worden. Was wir einseitiglinear »Evolution« nennen, ist in Wahrheit ein komplexer Lernprozess des Lebendigen. Der genetische Code ist lernfähig und kreativ. Im Aufbau der Materie und des Lebens ist ein uraltes Gedächtnis gespeichert, das durchaus den Namen der Weisheit verdient. Die Spezies Mensch ist erst spät auf dem blauen Planeten Erde erschienen und hat darum allen Grund, nach der Weisheit des Lebendigen und seiner Ökosysteme zu forschen, […] nicht nur um Informationen zu sammeln, sondern auch um von der Weisheit zu lernen, die der Natur inhärent ist.
Wenn aber die erkenntnisleitende Frage der Naturwissenschaft nur noch darin besteht, was man aus dem erkannten Gegenstand »machen« oder wie man ihn für den Menschen nützlich verän dern kann, hört die Suche nach Weisheit auf. Das ist interventionistische Wissenschaft. Mit ihr hört dann auch das Erstaunen (thaumazein) über die Phänomene auf und wird durch KostenNutzenRechnungen verdrängt. Man kann es daran erkennen, dass immer mehr biologische Erkenntnisse, wie z. B. die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, sofort patentiert werden, um sie gewinnbringend zu verkaufen. Einseitige menschliche Herrschaft bringt die Natur zum Verstummen und macht Menschen dumm.
Ist die Suche nach menschlicher Lebensweisheit angesagt, dann entstehen andere forschungsleitende Interessen. Es entsteht dann ein Dialog zwischen entdeckter natürlicher Weisheit und zu lernender menschlicher Weisheit. Menschliche Weisheit wird nach überlebensfähigen Ausgleichen zwischen der menschlichen Kultur und den Ökosystemen der Erde suchen. Nicht menschliche Herrschaft über die Natur, sondern lebenskluge Übereinstimmung mit der Natur ist dann das Ziel. Sie beginnt mit dem Respekt vor dem uralten Gedächtnis des Lebens in den natürlichen Vorgängen und der »Ehrfurcht vor dem Leben« (Albert Schweitzer) als dem obersten Gebot, das aus dem Recht auf Leben folgt.
»LEBENSKLUGE KULTUR«
1. Weisheit* beschreibt schon im Alten Orient die Suche nach gelingendem Leben im Zusammenspiel von Glaube, den damaligen Anfängen von Wissenschaft und praktischer Lebenserfahrung [8]. Arbeiten Sie diese weisheitliche Grundhaltung der Welt gegenüber aus J. Moltmanns* Überlegungen z. B. als Schaubild heraus. Machen Sie dabei deutlich, wie er Vernunft und Glaube aufeinander bezieht und inwiefern er zwischen göttlicher und menschlicher Weisheit unterscheidet.
2. Lesen Sie Spr 8,22–36 und stellen Sie Assoziationen zu Plakatmotiv und Ausstellungstitel links her. Markieren Sie auf einer Kopie des Textes oben Wendungen und Gedanken, die zu Spr 8,22–36 oder dem Plakat passen.
Wanderausstellung der katholischen Erwachsenenbildung
Rheinland-Pfalz
3. Konkretisieren Sie J. Moltmanns Sicht an einem Thema wie Klimawandel [10] und diskutieren Sie sie.