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Konfliktstoff

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Quellenverzeichnis

Quellenverzeichnis

Zwischen Den St Hlen

Als wichtigsten Grund nennen die Kopftuchträgerinnen religiöse Gründe (Abbildung 4-41). Für 89 % der muslimischen Frauen mit Kopftuch gehört das Kopftuch demnach zur Ausübung ihrer Religion dazu. Dies deckt sich mit den Ergebnissen der MLD-Studie 2008 (Haug et al. 2009: 205f.). Der zweithäufigste Grund ist mit einem Anteil von 38 % die Vermittlung von Si- das Kopftuch zum Schutz vor Belästigung von Männern zu tragen. Ein gleicher Anteil gibt andere Gründe an. Hierunter fallen insbesondere Moscheebesuche.

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Insgesamt fällt auf, dass die Frauen mehrheitlich Gründe nennen, die eine eigene Motivation erkennen lassen. Erwartungen des Bekanntenkreises (5 %), der Familie oder des Partners (4 %) spielen eine marginale Rolle. Es ist zu beachten, dass sich diese Anteile

Abbildung 4-41: Gründe für das Tragen eines Kopftuches der befragten Musliminnen mit Migrationshintergrund aus muslimisch geprägten Herkunftsländern (in Prozent), Mehrfachnennungen möglich

Ich stehe irgendwo zwischen Deutschland und Marokko und weiß nicht, wer ich bin. Als ich jetzt für ein paar Monate in Marokko zur Schule ging, haben alle Mädchen Kopftuch getragen. Nach einer Weile hat mich das gestört und ich wollte es nicht mehr anziehen. Ich habe dort auch gespürt, wie wenig Rechte ich als Frau habe. Meine Meinung war oft nicht gefragt. Hier in Deutschland hat mir das Kopftuch eine Weile ein Gefühl dafür gegeben, wer ich bin. Aber will ich das wirklich sein? Ich überlege, ob ich das Kopftuch wieder ablege, um nach außen hin nicht immer anders zu sein. Ich weiß ja, dass ich anders bin, muss es aber nicht immer zeigen. In Marokko spüre ich, dass ich Deutsche bin und in Deutschland bin ich für alle aus Marokko. Ich bin sehr gläubig, aber das Kopftuch ist irgendwie was anderes.

Fatiha, 17

Hier geht es nicht nur um Religion. Aber das MERKt man nicht gleich.

SCHLAGZEILEN AUS ONLINE-ARTIKELN

Frauen mit Kopftuch tragen das Patriarchat mit.

Sollen Kopftücher für Mädchen unter 14 Jahren verboten werden?

Wer das Kopftuch verbieten will, muss auch Kreuz und Kippa verbieten.

Bayern: Kopftuchverbot für Richterinnen zulässig.

Der Kopftuch-Streit: Das Abendland und ein Quadratmeter Islam.

Das Kopftuch degradiert Frauen zum Sexobjekt.

Gr Nde F R Das Tragen Eines Kopftuchs

Religiöse Pflicht

Vermittlung von Sicherheit Tradition

Erkennbarkeit als Muslimin in der Öffentlichkeit

Schutz vor Belästigung von Männern

Schutz vor Belästigung von Männern Erkennbarkeit als Muslimin in der Öffentlichkeit

Andere Gründe

Andere Gründe

Erwartungen Bekanntenkreis

Erwartungen/Forderung Familie/Partner

Erwartungen Bekanntenkreis Erwartungen/Forderungen Familie/Partner Modische Gründe

603 befragte Muslimas ab 16 Jahren mit Migrationshintergrund aus muslimischen Herkunftsländern, Mehrfachnennungen möglich, Statista April 2021

Quelle: MLD 2020, Datensatz der Befragten im Alter ab 16 Jahren, gewichtet. Ungewichtete Fallzahl: 603. Fragen v401_1-v401_9. Hinweis: Die Abbildung gibt die Gründe nur für Musliminnen wieder, die angeben, das Kopftuch manchmal, meistens oder immer zu tragen.

Streit Um Das Kopftuch

1. Muslimische Frauen bzw. Mädchen und das Kopftuch. – Tauschen Sie sich über Ihre Vorkenntnisse [7] und Meinungen aus und vergleichen Sie sie mit der Statistik.

2. Erarbeiten Sie aus den – teilweise polemischen –Schlagzeilen (links) differenziert die Konfliktfelder des sog. »Kopftuchstreits«.

3. Zeigen Sie auf, welche der Konfliktfelder für Fatiha in ihrer Entscheidung eine Rolle spielen.

4. Diskutieren Sie, inwiefern die Einschätzung von R. Wielandt (unten) etwas zur Klärung des Konflikts beitragen kann.

IST DAS KOPFTUCH VERPFLICHTEND?

Die koranische Textbasis enthält keine explizite Weisung an muslimische Frauen, ihren Kopf in Gegenwart von Männern, die nicht zum Kreis ihrer engen Verwandten gehören, bedeckt zu halten.

Festzuhalten ist: Koran und Hadīt* bieten Muslimen hinsichtlich des obligatorischen oder nicht obligatorischen Charakters der Kopfverschleierung eine Pluralität von Deutungsmöglichkeit, und verschiedene Deutungen werden heutzutage von Muslimen, die sich ernsthaft um die Erkenntnis und Erfüllung des geoffenbarten Gotteswillens bemühen, auch tatsächlich ver treten und gelebt.

Rotraut Wielandt, Islamwissenschaftlerin

Modest Fashion

• Modest Fashion (etwa »dezente, sittsame Mode«) ist ein schnell wachsendes Marktsegment der internationalen Textilbranche. Modest fashion hat – bei höchst unterschiedlicher konkreter Umsetzung –das Ziel, den weiblichen Körper dezent zu umhüllen, ohne die Frau zu verstecken.

• Die Ausstellung »Contemporary Muslim Fashions«, zuerst in San Francisco gezeigt, kam 2019 nach Frankfurt. Um einen Einblick in den Stil von Modest Fashion zu geben, wurden etwa 80 Modeentwürfe an Kleiderpuppen sowie Video- und Fotoarbeiten gezeigt. Die meisten Kleiderpuppen trugen eine Kopfbedeckung, also Haube, Hut, Hijab oder Turban.

OFFENER BRIEF AN DEN DIREKTOR DES MUSEUMS, IN DEM DIE AUSSTELLUNG STATTFAND

Sehr geehrter Herr Prof. Matthias Wagner K, wir sind entsetzt, dass Sie die Ausstellung »Contemporary Muslim Fashions« hier nach Frankfurt in die Wiege der deutschen Bürgerrechte geholt haben. Diese Ausstellung, die religiöse Kleidervorschriften als Mode darstellt, ist ein Schlag ins Gesicht inländischer und ausländischer Frauenrechtlerinnen. Sie machen sich damit mit der Religionspolizei in manchen islamischen Ländern gemein.

Mit dieser Ausstellung ignorieren Sie den Kampf von Frauenrechtlerinnen in islamischen Staaten, die sich gegen den Zwang zu Verschleierung und Verhüllung einsetzen und dafür ihre Freiheit, ihre Unversehrtheit und ihr Leben riskieren.

Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung e.V.

EUROZENTRISCHE DISKURSE*

Nabila Bushra, praktizierende Muslima und Studierende im Fach »Gender Studies« äußert sich zur Diskussion über die Ausstellung:

»Das Kopftuch, das ohnehin nur ein kleiner Teil der Ausstellung ist, wird dort weder als positiv propagiert, noch als negativ dargestellt, sondern als Lebensrealität vieler muslimischer Frauen.« Für sie zeichne die Ausstellung aus, dass sie Raum für unterschiedliche Perspektiven und Gespräche lasse. Mit Kritik noch im Vorfeld der Eröffnung hatte Bushra trotzdem gerechnet. Für sie bilden die Zeitungstexte von Autorinnen und Autoren, die weder die Exponate gesichtet, noch mit einer Kopftuchträgerin über die Schau gesprochen haben, einen starren Diskurs* ab: Eurozentrisch und bevormundend, kaum auf Augenhöhe, die weiße Feministin muss gehört, die bedeckte Muslimin gerettet werden. »Kritikerinnen und Kritiker der Ausstellung wollen diese dominanten Diskurse, bestimmte Bilder und Konzepte, die inzwischen unserer komplexen Lebensrealität nicht mehr gerecht werden können, aufrecht erhalten«, sagt Bushra, die in Pakistan geboren wurde.

Manuel Almeida Vergara, Journalist

Meinungen Zur Ausstellung

1. Fassen Sie die kontroversen Meinungen in den Materialien dieser Seite zusammen. Recherchieren Sie weitere Reaktionen auf die Ausstellung (auch in ihrer amerikanischen Version) in den Medien.

2. Nehmen Sie eine der möglichen Positionen zur Ausstellung ein und diskutieren Sie in der Klasse.

3. Deuten Sie den modischen Gesamtentwurf im Bild links.

4. Wenden Sie die Erkenntnisse aus S. 60 f. auf die Diskussion um die Ausstellung an.

5. Entwerfen Sie einen Einladungstext zu einer Veranstaltung, die Befürworter und Gegner von Modest Fashion miteinander ins Gespräch bringt.

Foto aus der Ausstellung (vgl. links). Auf der Bomberjacke ist hinten der 1. Zusatzartikel der Verfassung der USA (u. a. garantiert er die Religionsfreiheit) arabisch abgedruckt.

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