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Destruktive Verallgemeinerungen ...

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Quellenverzeichnis

Quellenverzeichnis

Stereotype Und Vorurteile

• Es gibt beobachtbare und beschreibbare gruppenspezifische Eigenheiten, die meist kulturell bedingt sind. Davon zu unterscheiden sind Stereotype und Vorurteile, also verallgemeinerte stark verfestigte Vorstellungen von Eigenschaften, die allen Angehörigen bestimmter Gruppen zugeordnet werden. Verallgemeinerungen treffen in der Regel Angehörige »anderer« Gruppen. Mitglieder der »eigenen« Gr uppe werden meist differenzierter betrachtet, deren Eigenschaften als individuelle Eigenheiten und nicht als typisch für eine ganze Gruppe gedeutet.

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• Stereotype und Vorurteile kommen in jeder Kultur vor. Sie verschaffen einen schnellen Überblick über die Vielfalt der Phänomene. Insofern sind sie ein kognitives Hilfsmittel zur beschleunigten Wahrnehmung. Die Zuordnung von Menschen zu Gruppen mit festgelegten Eigenschaften ermöglicht das rasche Finden von Handlungsoptionen – gerade im Konfliktfall ein Vorteil. Als Abgrenzung von den »Anderen« sorgen Stereotype und Vorurteile außerdem für eine Stärkung des Zusammenhalts und der eigenen Identität.

• Der große Nachteil derartiger Vereinfachungen ist, dass sie den Blick auf das reale Gegenüber verstellen. Die schnell verfügbaren Handlungsoptionen wirken sich auf reale Begegnungen meist destruktiv aus, weil sie unpassend sind.

DAS GEGENÜBER ALS »ANDERS«

Mit Othering wird ein Prozess beschrieben, in dem Menschen als »Andere« konstruiert und von einem »wir« unterschieden werden. Diese Differenzierung ist problematisch, da sie mit einer Distanzierung einhergeht, die »das Andere« als »das Fremde« aburteilt. Prozesse des Othering können sich auf die soziale Stellung eines Menschen in der Gesellschaft wie etwa Klassenzugehörigkeit oder Glaubensvorstellungen beziehen, auf race/Ethnizität, Sexualitäten, Geschlechter oder Nationalitäten.

In erster Linie umfasst Othering eine Selbstaffirmation: Über die Zuschreibung von Minderwertigkeit wird für sich Überlegenheit in Anspruch genommen.

Homepage der Hochschule der Künste in Zürich

ISLAMOPHOBIE ODER ISLAMFEINDLICHKEIT?

Interview mit dem Wiener Politologen Farid Hafez

Herr Dr. Hafez, was ist Islamfeindlichkeit?

Kurzgesagt ist Islamophobie die Projektion eigener Ängste, Bedürfnisse oder Wünsche auf den Islam. Warum sprechen Sie von Islamophobie statt von Islamoder Muslimenfeindlichkeit?

Ich finde, dass der Begriff der Muslimenfeindlichkeit zu kurz greift. Natürlich sind die Opfer konkreter islamophober Diskriminierungen immer einzelne Menschen. Aber wenn etwa Geert Wilders … … der Chef der islamfeindlichen Partei für die Freiheit in den Niederlanden … … davon spricht, der Islam sei eine faschistoide Religion und der Koran wie Hitlers »Mein Kampf« – dann geht es nicht um einzelne Muslime, sondern um den Islam an sich. Vor allem spreche ich von Islamophobie, weil dies der Terminus auch der internationalen Fachdebatte ist.

Aber ist der Begriff nicht verniedlichend? Klingt er nicht zu sehr nach etwas Verschrobenem wie einer Spinnenphobie, einem irrationalen Angstgefühl?

Hier sollte man die Ebenen auseinanderhalten: Wenn beispielsweise eine rechtsradikale Gruppierung den Slogan »Maria statt Scharia« plakatiert, dann ist das eine bewusst eingesetzte, islamfeindliche Kampagne. Der Effekt bei den Betrachtern hingegen ist eine irrationale Angst, dass die Muslime Deutschland islamisieren würden. Beim planenden Akteur geht es also um etwas anderes als beim Rezipienten.

Damit sind wir beim Kern der Sache: Islamophobie bzw. Islamfeindlichkeit ist ein multidimensionales Phänomen. Sie kann unterschiedliche Motive haben, von unterschiedlichen Akteuren kommen und sich in unterschiedlichen Diskursstrategien manifestieren. Sie ist jedenfalls kein einheitliches Gebilde, sondern etwas Fließendes. Der zentrale Mechanismus ist aus der Vorurteilsforschung bekannt: die Projektion eigener Ängste auf Andere.

Bei der Islamfeindlichkeit geht es nicht um den realen Islam oder reale Muslime, sondern um ein imaginiertes Bild davon. Dies knüpft natürlich an die Realität an, aber das Vorurteil verfälscht die Erfahrung. Der Islam, über den Islamfeinde sprechen, hat jedenfalls wenig mit dem realen Islam zu tun; es gibt reihenweise Islamwissenschaftler, die Ihnen das bestätigen können.

STEREOTYPE, VORURTEILE ( S. 62)

1. Vergleichen Sie Ihre bisherigen Erfahrungen mit Stereotypen und Vorurteilen mit den Ausführungen in der Info ( S. 62)

2. Diskutieren Sie, ob das Reden über Vorurteile diese stärkt oder schwächt bzw. diese auf- oder abbaut.

3. Sind Vorurteile gegenüber dem Islam und Islamfeindlichkeit dasselbe? Sammeln Sie die Argumente des Interviews und tauschen Sie sich darüber aus.

4. Suchen Sie in den Materialien dieses Kapitels nach Stereotypen und Verallgemeinerungen.

Vorurteile Abbauen

1. Gestalten Sie Plakate zum Entkräften von Vorurteilen unter Einbezug des Ratgebers unten.

2. »Othering« ( S. 62 unten links) ist eine Strategie, um Vorurteile zu stützen. Finden Sie Spuren von Othering in Ihrem Alltag und überlegen Sie sich Gegenmaßnahmen.

3. Die Comic-Zeichnerin S. Hamed veröffentlicht ihre Bilder in sozialen Netzwerken und versucht, Vorurteilen und Hass entgegenzuwirken. Deuten Sie die Comics und überprüfen Sie auch den Gebrauch von Stereotypen.

Vorurteile Offen Benennen

Bei interkulturellen Begegnungen sorgen Stereotype und Vorurteile oft für Probleme. Diese einfach abzulehnen und deren Äußerung zu verurteilen, führt in der Regel dazu, dass die Verallgemeinerungen unter der Oberfläche weiter wirken, aber nicht adressiert und so entkräftet werden können.

Es ist daher sinnvoll, Stereotype und Vorurteile bewusst wahrzunehmen. Im geschützten Raum eines urteilsfrei geführten Gesprächs dürfen diese frei geäußert werden. Anschließend kann man untersuchen, was die Ursachen, Funktionen und Mechanismen dieser Verallgemeinerungen sind. So verlieren sie ihre Kraft und können das Handeln nicht mehr dominieren. Nicht der Konsens oder das Verbindende macht eine interkulturelle Begegnung wertvoll, sondern die Zwischenräume, die offen bleiben, die Unterschiede und sogar das Irritierende.

Nach einem Ratgeber für interkulturelle Begegnungen

GLAUBEN WIR AN DENSELBEN GOTT?

Eine christliche Stimme: Wir haben, wie die Schrift sagt, keinen Gott als den einen, von dem alle Dinge sind und wir zu ihm (1 Kor 8,6). Juden, Christen und Muslime glauben an denselben Gott. Zugleich streiten wir darüber: Hat er sich in der Tora* zu erkennen gegeben? In Jesus Christus? Im Koran? Was gebietet Gott für das tägliche Leben?

Dieser Streit ist nach menschlichen Maßstäben nicht zu entscheiden. Die entscheidende Frage an uns ist daher, auf welche Weise wir den unvermeidlichen Streit führen. Streiten wir »auf schöne Art«, wie es der Koran formuliert (Sure 29,46)? Oder streiten wir mit Rechthaberei, Verachtung, Polemik, gar mit Gewalt?

Aus christlicher Sicht ist die Antwort eindeutig. Das Gebot der Nächstenliebe gilt nach dem Zeugnis der Bibel gegenüber jedermann.

Unterschiede gilt es zu respektieren. Ich soll meine Nächsten behandeln, wie ich selbst behandelt werden möchte. Und wenn es um der Sache willen nötig ist, dass ich mit ihnen streite, dann auf »schöne Art«, mit Klugheit, Demut und Achtung vor dem Anderen.

Wolfgang Reinbold, Theologe

Eine muslimische Stimme: Im Qur’an und in der islamischen Tradition sind Namen Gottes bekannt, die ihn als barmherzigen, zuwendenden, reueannehmenden, mächtigen, gerechten und auch strafenden Gott bezeichnen. Die multivalenten Namen und Attribute belegen die vielfältigen Zugänge zu einem einzigen Gott, der größer als alles ist, was ein Mensch denken und sich vorstellen kann. Allah ist das arabische Wort für Gott, das auch von Anhängern anderer monotheistischen Religionen im arabischen Raum verwendet wird. Die Wahrnehmungen und die Wege zu Gott sind unterschiedlich, sie bereichern und ergänzen sich gegenseitig, können aber auch zu Abgrenzungen führen. Diese Realität ist zu akzeptieren und zu respektieren, sollte aber keine Grundlage dafür sein, einen ausschließenden Anspruch zu erheben. Der Qur’an lädt in Sure 3 Vers 64 ein, sich an dem einen Gott festzuhalten und Ihn als die verbindende Kraft anzuerkennen: Sprich: »Volk der Schrift, kommt herbei zu einem gleichen Wort zwischen uns und euch, dass wir Gott allein dienen und nichts neben Ihn stellen.«

Hamideh Mohagheghi, islamische Theologin

Eine jüdische Stimme: Unsere Väter in der Bibel, Abraham, Isaak und Jakob haben ihre eigene persönliche G’tteserfahrung. Jeder von ihnen haderte mit Gott in einer bestimmten Weise. Es stellt sich jedoch die Frage: Wer ist G’tt?

Hermann Cohen (1842–1918), der große jüdische Philosoph, meinte, dass G’tt kein Mensch sein kann, der jüdische G’tt ist der G’tt der Geschichte. Je mehr wir in die Tiefe gehen, desto mehr sollten wir überzeugt sein, dass wir gar nicht versuchen sollten, das Göttliche zu verstehen. Wir lesen in Exodus 33,20: »Und Er sprach: Du vermagst nicht mein Angesicht zu sehen; denn kein Mensch kann mich sehen, so lange er lebt.«

Maimonides’ (12. Jh.) Lehre zum G’ttesverständnis ist die Theologie der Negation: Der Mensch kann nicht sagen, was G’tt ist, sondern nur, was G’tt nicht ist!

Der Torakommentator Joschua Leibowitz (20. Jh.) sagte in einem Gespräch mit G’tt: »Der Glaube besteht nicht darin, was ich von G’tt weiß, sondern darin, was ich über meine Pflichten gegenüber G’tt weiß.«

Vielleicht lässt sich sagen, dass das Wesentliche und Entscheidende der Frömmigkeit im Judentum das Tun des Menschen ist, die Erfüllung des G’ttesgebotes, des Pflichtbewusstseins.

Gábor Lengyel, Rabbiner

DREI PERSPEKTIVEN – EIN GOTT ?

1. Die drei Beiträge stammen aus einem Magazin zu »Gott im Spiegel der Religionen«. Erarbeiten Sie deren jeweilige Sicht.

2. Vergleichen Sie, wie jeweils mit der gestellten Frage umgegangen wird und diskutieren Sie darüber. Finden Sie für jede der drei Antworten eine Überschrift.

3 Könnte Gott, wenn er nicht erfassbar ist, auch nicht derselbe oder der gleiche sein? Philosophieren Sie.

4. Beziehen Sie die Kalligrafie (oben) auf die Überlegungen dieser Seite.

Aus Einem Interview Ber Jesus Im Koran

Mouhanad Khorchide* und Klaus von Stosch* im Gespräch mit der Journalistin Christiane Florin über ihre gemeinsamen Forschungen zu Jesus im Koran.

Khorchide: Jesus wird im Koran gewürdigt als Gesandter, als Prophet. In unserer Forschung sind wir auch darauf gekommen, dass Jesus nicht nur einfach erwähnt wird im Koran, sondern er gibt sogar Christen Anlass, nach der Christologie, nach Jesus Christus auch im Koran zu suchen.

Florin: Überraschend fand ich zum Beispiel, dass die Geburtswehen so ausführlich geschildert werden. Die kommen in der Bibel so nicht vor.

von Stosch: Das ist sehr spannend, weil es in der christlichen Tradition deswegen nicht vorkommt, weil Maria hier in einer immerwährenden Jungfräulichkeit gedacht wird, sodass sie eben auch bei der Geburt keine Wehen haben darf. Da ist uns die koranische Version heute, die eben Maria mit Wehen denkt, ja viel näher, weil sie uns die Menschlichkeit Mariens nahebringt.

Florin: Jesus wird im Koran als Gottesknecht bezeichnet. Ist das etwas Positives?

Khorchide: Definitiv. Das ist etwas sehr Positives. Es ist auch ein christlicher Hoheitstitel eigentlich. Interessanterweise ist Jesus die einzige Figur, die einzige Person im Koran, die sich selbst im Koran – laut dem Koran – als Gottesknecht bezeichnet. Hier sieht man, dass der Koran keineswegs auf Ab- und Ausgrenzung

Jesus Im Gespr Ch

1. Sammeln Sie anhand des Interviewausschnitts und ihres Vorwissens [9] Anregungen und Fragestellungen für ein interreligiöses Gespräch über Jesus.

2. Vergleichen Sie das Interview mit den Überlegungen auf S. 64.

3. Lesen Sie eine Übersetzung von Sure 19,16–30, deuten Sie die Miniatur und stellen Sie Bezüge zum Interview her.

hinaus ist, sondern im Gegenteil, er liefert gerade die Grundlage für den Dialog. Er würdigt Jesus und verwendet dafür christliche Hoheitstitel. Interessant auch, dass der Koran Jesus nicht mit Mohammed vergleicht oder mit anderen Personen, sondern mit sich selbst, also mit der Offenbarung Gottes. Beide, der Koran und Jesus werden als Wort Gottes, als Geist Gottes, als Barmherzigkeit Gottes für die Welt bezeichnet. Hier gibt uns auch der Koran Anlass – zum Teil, ja, zugegeben, irritierend für uns Muslime –, zumindest zu hinterfragen: Will der Koran uns hier sagen, dass Gott sich nicht nur im Koran offenbart hat, sondern auch auf verschiedenste Art und Weise, womöglich auch in Jesus, ohne jetzt Jesus zu vergöttlichen? Eine Vergöttlichung lehnt ja der Koran klar ab.

Florin: Wie groß ist das Interesse in der muslimischen Community an dem Thema »Jesus im Koran«, auch an dieser Auslegung, die Sie hier präsentieren?

Maria mit dem Kind, Miniatur (1650). Der für muslimische Darstellungen typische Flammennimbus hebt Jesu besondere Beziehung zu Gott hervor.

Khorchide: Für die Muslime ist es klar, dass Jesus sehr stark gewürdigt ist im Koran. Das ist erst einmal nichts Neues. Neu ist allerdings diese Lesart, die historischkritische Untersuchung, die wir gemacht haben, die zeigt, dass der Koran keineswegs eine Apologetik gegenüber dem Christentum herstellt, wie in vielen exegetischen Werken leider nachzulesen ist, sondern im Gegenteil: Der Koran lädt hier ein und bietet auch eine steile Grundlage für einen vertieften Dialog, für einen islamisch-christlichen Dialog, wo es auch um solche Fragen geht. Natur Jesu, die Offenbarung Gottes im Koran, die Offenbarung Gottes in Jesus und vieles mehr. Ich erhoffe mir, dass wir Muslime auch den Koran durch diese Brille lesen, eine Brille, die einladen will zum Dialog und keineswegs sich ab- und ausgrenzen will.

Abraham Am Tor Zur Welt

Rhein-Main-Airport: Muslime, Juden und Christen feiern. Kraftvoll bläst Rabbiner Andrew Steinman in den Schofar, das gedrehte Widderhorn, und eröffnet so den jüdischen Teil der »Abrahamischen Feier« im Frankfurter Flughafen. Durch Mark und Bein geht der biblische Tempelruf und macht die rund hundert Gäste hellhörig. Üblicherweise erklingt er zum jüdischen Neujahrstag oder Versöhnungsfest – doch »Versöhnung« ist ja ein passendes Stichwort für diese Feier, die im Jahr 2001 nach dem tragischen 11. September von der Flughafenpfarrerin Ulrike Johanns angeregt wurde, weil »die Atmosphäre am Flughafen deutlich abkühlte und Religion plötzlich zum Risikothema wurde«. Johanns fragte den Frankfurter Rabbiner und den Mannheimer Imam, ob sie mit ihr und dem katholischen Kollegen am »Tor zur Welt« ein Zeichen setzen wollten. Die Männer sagten zu. Seit neun Jahren gibt es nun diese Abrahamische Feier, Motto: »Frieden, Shalom, Salam«. Sylvia Meise

ABRAHAM ALS ANKNÜPFUNGSPUNKT

• Die drei Religionen Judentum, Christentum und Islam werden seit etwa 1950 als die drei abrahamitischen Religionen bezeichnet, weil alle drei sich auf je ihre Art auf Abraham als ihren Ahnen beziehen.

• Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts rückte Abraham auch als populäre Leitfigur für ein friedliches »abrahamitisches« Miteinander der Religionen immer mehr in den Mittelpunkt.

• Heute wird der Begriff z. T. auch kritisch gesehen, da er theologische Unterschiede verwischt und auch historisch nicht begründbar ist.

Wunsch Und Wirklichkeit

1. Abrahamitische Religionen, abrahamitische Feier … – arbeiten Sie aus den Materialien dieser Seite Absichten und Hoffnungen heraus, die mit diesen Begriffen und Aktivitäten verbunden sind.

2. Deuten und bewerten Sie das Coverbild (oben). Achten Sie z. B. darauf, wie hier die drei Religionen »sichtbar« gemacht werden und welcher Eindruck Kindern dadurch vermittelt wird.

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