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Übersprung

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Quellenverzeichnis

Quellenverzeichnis

Der Gott Des Dazwischen

Die olympischen Götter gelten nicht eben als sonderlich seriös. Betrügen, berauben und überlisten sie doch die Sterblichen wie ihre unsterblichen Mitgötter in einem Übermaß, das verlässliches Hören, Sehen und Verstehen vergehen macht. Unseriöser aber ist unter ihnen keiner als ausgerechnet der Gott, dessen Aufgabe es ist, gesicherte Informationsübermittlung und verständigen Umgang miteinander zu gewährleisten: Hermes*. Keine Schandtat, die ihm nicht zuzutrauen wäre. Was nicht ausschließt, ihn als Genie des Betrugs und der systematischen Desinformation auch zu bewundern. Hermes vereint Kompetenzen, die offenbar voraussetzen, dass das eine immer auch s andere seiner selbst sein kann: dass Tausch und Diebstahl, Weissagung und Betrug, Glücksverheißung und sich einstellendes Unglück mehr miteinander gemein haben, als es der Schulweisheit träumt. chen Hörisch, Literaturwissenschaftler

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Von Haus aus ist er der Gott der Händler und Dolmetscher, ein go-between und trickster, dem man zutraut, dass er seine Vermittlerrolle und Sonderkompetenz auch für listige Täuschungsmanöver missbraucht. eida Assmann, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin

Info

Den Graben Berwinden

• Hermeneutik, abgeleitet vom Gott Hermes*, bezeichnet die Kunst des Auslegens, Übersetzens und Verstehens. Zunächst war sie v. a. auf die Auslegung klassischer und »heiliger« Texte bezogen. In der Moderne wurde daraus allgemeiner das Nachdenken über das Verstehen literarischer Texte sowie z. B. auch von Rechtsvorschriften. Der »hermeneutische Zirkel« (oder vielleicht besser: die hermeneutische Spirale) beschreibt die Wechselwirkung zwischen Vorverständnis des/der Lesenden und verstehender Aneignung eines Textes.

• Ende des 20. Jahrhunderts lässt sich in den Geisteswissenschaften eine »antihermeneutische Wende« beobachten. Bevorzugt werden jetzt Lesarten, die darauf verzichten, Texten einen festen Sinn zu entnehmen. Stattdessen betonen sie die Eigenständigkeit und Fremdheit des Textes; sie verweisen auf seine Leerstellen und (unendlichen) Bezüge, die ein (vereinnahmendes) Verstehen unmöglich machen.

»GO-BETWEEN«

1. Erläutern Sie das Lessing-Zitat ( S. 74) vor dem Hintergrund Ihrer Kenntnisse zum Zeitalter der Aufklärung* (vgl. S. 25–33).

2. Ein Experiment: Einige bekannte biblische Überlieferungen werden auf Zettel notiert (Stichpunkte genügen, z. B. Verlorener Sohn, Jeremia). Die Zettel werden nacheinander in die Mitte gelegt und jede/r stellt sich zu dem Text bzw. der Überlieferung in dem für ihn/sie passenden Abstand. Danach kann man sich austauschen: Wie groß oder klein sind die »Gräben«? Worin bestehen sie (z. B. unbekannt, schwierig, banal ...)?

3. »Verstehen« hat unterschiedliche Facetten. Stellen Sie sie dar, etwa indem Sie Sätze mit »Verstehen« formulieren und in verschiedenen »Tonarten« sprechen. Beziehen Sie Ihre Wahrnehmungen auf die Eigenschaften des Gottes Hermes.

Jugendliche Zur Bedeutung Der Bibel

• »Früher hat mir meine Mama aus der Kinderbibel vorgelesen; das habe ich geliebt.«

• »Die Bibel ist ein heiliges Buch; das heißt aber nicht, dass ich alles glaube, was drinsteht.«

• »Die Bibel ist doch nur ein Märchenbuch.«

• »Biblische Geschichten kenne ich durch den Religionsunterricht und den Kindergottesdienst – und durch Filme.«

• »Zum Glück benutzt unsere Religionslehrerin die Bibel nicht so oft.«

• »Ich treffe mich mit anderen Jugendlichen, um gemeinsam in der Bibel zu lesen.«

• »Früher habe ich die Bibel schon für wahr gehalten, inzwischen bin ich da kritischer.«

• »Selbst würde ich nie in der Bibel lesen. Aber für die Konfirmation habe ich lange nach einem Bibelspruch gesucht, der mir gefällt und der zu mir passt.«

Auf den folgenden Doppelseiten können Sie am Beispiel des Buches Hiob probieren, die Zwischenräume zwischen den Stufen zu füllen: mit eigenen Ideen und Deutungen sowie mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Lesarten und künstlerischen Deutungen.

INTER-ESSE

Nichts auf der Welt ist uninteressant. Aber manches interessiert mich nicht. Vielleicht, weil es zu bekannt ist?

Oder zu unbekannt?

Zu schwierig?

Zu banal?

Zu eng?

Oder zu unbestimmt?

Weil kein Platz für mich bleibt?

Für schräge Gedanken, Widersprüche?

Inter-esse heißt dazwischen sein.

Weisses Feuer

1. Ergänzen Sie die Zitate links durch eigene Statements. Ggf. können Sie auch eine kleine Umfrage in der Klasse hierzu machen.

2. Lesen Sie die Geschichte von Jakobs Traum (Gen 28), auf die sich das Zitat auf S. 75 bezieht, und informieren Sie sich über den größeren Erzählzusammenhang der Episode. Untersuchen Sie die Erzählung nach Motiven wie Zwischenraum / Abstand / Nähe / Ferne.

3. Die jüdische Theologin E. Goodman-Thau bezieht die »Jakobsleiter« auf das Verstehen biblischer Texte. Entschlüsseln Sie das Zitat ( S. 75 ). Vergleichen Sie ihre Sicht der Zwischenräume in Texten mit Lessings Rede vom »garstigen Graben«.

4. Überprüfen Sie die Gedanken zum »Inter-esse« (oben), indem Sie sie auf Themen, Dinge, Aktivitäten beziehen, für die Sie sich besonders oder für die Sie sich überhaupt nicht interessieren. Erinnern Sie sich auch, ob (und wodurch) einmal etwas zunächst Uninteressantes für Sie interessant wurde.

5. Religionslehrkräfte klagen manchmal über Desinteresse der Schülerinnen und Schüler an der Bibel. Sammeln Sie Vorschläge für einen Umgang mit biblischen Texten, der zu Jugendlichen passt.

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