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Der Vorhang zu ...

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Quellenverzeichnis

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HAPPY-END?

1. Gefragt werden, gefragt sein, ausgefragt werden –tauschen Sie sich über Erinnerungen und Gefühle aus.

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2. Der biblische Gott als »Deus ex machina«? Lesen Sie die Gottesreden Hi 39–41 und prüfen Sie, inwieweit sie eine Lösung für Hiobs Klagen und Anklagen anbieten.

3. Vergleichen Sie die beiden Reaktionen Hiobs auf das Machtwort Gottes (Hi 40,3–5 und 42,2–6). Stellen Sie sie als Standbilder dar.

4 Es folgt – wieder im Stil der alten Prosaerzählung – das »Happy-End« (Hi 42,7–17), wie J. Schnorr von Carolsfeld es anschaulich illustriert hat. Lesen Sie den Text und führen Sie ein Schreibgespräch dazu.

5. Verfassen Sie einen Kommentar zum Schluss des Hiobbuchs z. B. aus der Sicht einer der Figuren der Dichtung (Hiobs Frau, ein Freund, Satan).

6. Vergleichen und diskutieren Sie die kontroversen Deutungen dieses Schlusses ( S. 89).

Und der HERR antwortete Hiob aus dem Sturm und sprach:

Wer ist’s, der den Ratschluss verdunkelt mit Worten ohne Verstand?

Gürte deine Lenden wie ein Mann! Ich will dich fragen, lehre mich!

Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir’s, wenn du so klug bist!

Weißt du, wer ihr das Maß gesetzt hat oder wer über sie die Messschnur gezogen hat?

Worauf sind ihre Pfeiler eingesenkt, oder wer hat ihren Eckstein gelegt?

Hi 38,1–6

Der Auftritt Des Deus Ex Machina

Der Verdacht liegt nahe, dass der Hiobdichter etwas von griechischen Tragödien wusste. Dafür spricht vor allem das Motiv des Deus ex machina, das zu den klassischen Bühnenkunstgriffen gehört. Jahwe ist freilich keine griechische Gottheit. Undenkbar, dass er, von dem man sich kein Bild machen darf, auf einer Theaterbühne erschiene. Aber im Konflikt um Hiobs Schuld oder Unschuld haben sich die Kontrahenten ausweglos festgezogen. Nur einer kann helfen, und plötzlich ist dieser eine da. Er macht keinen Theaterdonner, sondern echten, spricht nicht ex machina, sondern »aus dem Wetter«, also mit ähnlichem atmosphärischen Nachdruck wie einst, als er seine zehn Gebote auf dem Sinai aus Blitz und Donner hervorgehen ließ.

Christoph Türcke, Philosoph

Schließlich trat der Herr der Heerscharen noch persönlich auf und bewies, wie porträt-ähnlich Hiob ihn gezeichnet hatte. Der Allmächtige dachte gar nicht daran, sich zu rechtfertigen. Er wies nur auf sein mächtiges irdisches Empire hin und meinte, recht hochmütig: »Wo warest du, da ich die Erde gründete?« Als ob das ein Einwand gegen das Halten von Verträgen ist. Dann fragte er noch: »Kannst du den Morgenstern hervorbringen zu seiner Zeit?« Natürlich konnte Hiob das nicht. Und er bestand auch nicht die weitere ExamensFrage: »Kannst du mit gleicher Stimme donnern«?

Aber Hiob hielt es eben nicht für das Thema des Streits: Ob er genauso gut donnern kann? Die Frage war seiner Ansicht nach: Wer hat sich an die Abmachungen gehalten? Doch der Allmächtige, als habe er nie etwas vom Sinai gehört, erklärte kurz und bündig: »Es ist mein, was unter allen Himmeln ist.« Das Ende der Geschichte ist voll von ungetrübtem, unproblematischem Glück, nur ist es nicht ein Ende, das zur vorangehenden Geschichte passt. Hiob ist nicht mehr Hiob.

Ludwig Marcuse, Philosoph

Gott gibt Hiob Recht gegen die Freunde, die die Augen vor der Wirklichkeit verschließen, um an der heilen Welt und einem sie garantierenden Gott festhalten zu können. Aber Hiob bekommt auch Unrecht – nicht darin, dass er seine Klage als Be- und Getroffener vorbringt, auch nicht darin, dass ihn sein Leiden zu Worten gegenüber Gott führt, die nicht fromm, nicht duldend, nicht schicksalsergeben sind. Unrecht wird Hiob darin bekommen, dass er in einem monomanen Ego-Trip den Zustand der Welt und die (fehlende) Güte Gottes allein an seinem persönlichen Ergehen ablesen will. (Mir ergeht es schlecht, also ist die ganze Welt schlecht).

Jürgen Ebach, Theologe

Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruss:

Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluss.

[...] Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen

Den Vorhang zu und alle Fragen offen ...

Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!

Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!

Hiob klagt nicht nur, er klagt Gott an. Und er empfängt von Gott eine Antwort. Aber was Gott ihm sagt, beantwortet die Anklage gar nicht, es berührt sie gar nicht; die wahre Antwort, die Hiob empfängt, ist die Erscheinung Gottes allein, dies allein, dass die Ferne zur Nähe sich wandelt, dass »sein Auge ihn sieht«, dass er ihn wiederkennt. Nichts ist erklärt, nichts ausgeglichen, das Unrecht ist nicht Recht geworden und die Grausamkeit nicht Milde. Nichts ist geschehen, als dass der Mensch wieder Gottes Anrede vernimmt.

Martin Buber*, jüdischer Religionsphilosoph

Hiob starb alt und lebenssatt. Er hatte es also – wenn man so will –, satt zu leben, er hatte genug davon. Er wusste von jetzt an, dass ein Geschwätz, eine Wette zwischen Fremden genügt, um das ganze Gebäude wie eine Sandburg bei einem Sturm zusammenfallen zu lassen. Wenn man den Satz jedoch ganz wörtlich nimmt, dann scheinen diese Worte anzuzeigen, dass Hiob, nachdem er die Prüfung hinter sich hatte, in Frieden mit seinem Schicksal und versöhnt mit Gott und den Menschen gelebt hat. Doch das möchte ich eher für falsch erklären und laut dagegen protestieren. Und warum soll ich nicht sagen, dass Hiob mich vor allem nach dem Kriege in Verwirrung gestürzt hat. Man traf ihn damals auf allen Wegen Europas, verwundet, beraubt, verstümmelt, sicher nicht glücklich, aber auch nicht resigniert. Seine Unterwerfung im Buche Hiob erschien mir wie ein Hohn. Er hätte nicht so schnell nachgeben dürfen. Er hätte mit seinem Protest nicht aufhören dürfen. Er hätte zu Gott sagen müssen: »Gut, ich verzeihe dir, verzeihe dir insofern es sich um mich handelt. Aber meine toten Kinder, verzeihen sie denn dir? Habe ich das Recht, in ihrem Namen zu sprechen? Ich fordere, wenn nicht für mich, so doch für sie, dass Gerechtigkeit geschehe und der Prozess weitergeht.«

Ja, eine solche Sprache hätte er sprechen müssen. Nun hat er aber nichts gesagt, hat akzeptiert, so zu leben wie vorher. Hier liegt der eigentliche Sieg Gottes. Er hat Hiob dazu gezwungen, das Glück anzunehmen. Nach der Katastrophe lebt Hiob glücklich wider seinen eigenen Willen. Sein Prozess geht jedoch weiter. Die Tragödie Hiobs endet nicht mit Hiob.

Elie Wiesel, Schriftsteller, Auschwitz-Überlebender

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