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Vielfältige Lesarten …
Literaturwissenschaftlich
Die literaturwissenschaftliche Bibelauslegung untersucht den einzelnen Bibeltext in seiner Letztgestalt (also einschließlich aller Spannungen und Brüche) als literarisches Kunstwerk. Sie bedient sich dabei der Methoden der Literatur- und Sprachwissenschaft und fragt z. B. nach literarischen Strukturen, Textgattungen, erzählerischen, dramatischen oder poetischen Stilmitteln, Personengestaltung.
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Tiefenpsychologisch
Die tiefenpsychologische Bibelauslegung steht in der Tradition Sigmund Freuds* und Carl Gustav Jungs*. Sie geht davon aus, dass in den biblischen Geschichten seelische Urbilder verborgen sind, ähnlich wie auch in Träumen, Mythen oder Märchen. Biblische Erzählungen wie z. B. die Exodustradition ( S. 114) können als Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung interpretiert werden (Befreiung von Fremdbestimmung und Angst) und können so für die Lesenden heilend und befreiend wirken.
So ist es, wenn man leidet: Der Weg führt von der Schockstarre über den Protest zur Ergebung.
KANONISCH-INTERTEXTUELL
Bei dieser Lesart geht es nicht um die historische Überlieferungsgeschichte eines Textes, sondern die Bibel wird als ganze betrachtet – so wie sie uns in ihrer kanonischen* Endgestalt vorliegt. Innerhalb der Bibel findet sich eine Vielzahl von (beabsichtigten und unbeabsichtigten) Bezügen zwischen einzelnen Texten, Motiven, Begriffen. So »entsteht zu jedem Text ›im Zwischenraum mit anderen Texten‹ ein intertextuelles Sinnpotential, das kein Einzeltext für sich alleine genommen generieren kann.« (Michael Schneider). Die Texte erhellen und befragen sich gegenseitig – dies zu untersuchen und für die Interpretation fruchtbar zu machen, ist Aufgabe der intertextuellen Exegese.
Und woran MERKt man jetzt, wer
Wirkungsgeschichtlich
Viele Bibeltexte sind über die Jahrhunderte hinweg vielfältig rezipiert und umgestaltet worden – in der persönlichen Frömmigkeit, im Gottesdienst, im Unterricht (z. B. in Religionsbüchern!), in Kunst, Literatur, Musik, Theologie, Philosophie u.v.m. Solche aktualisierenden Interpretationen entfernen sich zwar oft scheinbar weit von dem, was der Autor des Textes damals (vermutlich) »gemeint« hat, doch trotzdem sind sie im Text (z. B. in seinen Leerstellen, Brüchen, offenen Fragen) angelegt und helfen bei der Auseinandersetzung mit dem Text.
Feministisch
Die biblischen Texte wurden in einer von Männern dominierten Gesellschaft verfasst und überliefert. Dabei wurden Frauen und ihre Erfahrungen oft an den Rand gedrängt oder ganz unsichtbar gemacht. Feministische Bibelauslegung macht auf einseitig männliche Denkweisen in der Bibel und ihrer Wirkungsgeschichte aufmerksam, kritisiert und revidiert sie. So beschäftigt sie sich z. B. mit biblischen Frauengestalten, bringt verdrängte Frauentraditionen ans Licht (etwa die Existenz von Jüngerinnen Jesu) und macht grundlegende biblische Freiheitstraditionen (wie z. B. im Alten Testament die Exoduserfahrung und im Neuen die Rechtfertigungsbotschaft) gegen einzelne frauenfeindliche Aussagen geltend. Feministische Bibelhermeneutik steht im größeren Kontext von Befreiungstheologie* und weltweitem Engagement gegen Rassismus und Diskriminierung. Mittlerweile wird sie durch den Ge- danken der Gendergerechtigkeit ergänzt und nimmt zunehmend auch die Vielfalt sexueller Identitäten in den Blick.
Hermeneutisches Viereck nach M. Oeming. Die unterschiedlichen Lesarten, einschließlich der historisch-kritischen Bibelauslegung, setzen hier unterschiedliche, einander ergänzende Schwerpunkte.
Erfahrungsbezogene Zug Nge
Neben stärker wissenschaftlich orientierten Lesarten der Bibel gibt es auch solche, die keine wissenschaftlich-theologischen Kenntnisse voraussetzen, sondern von der unmittelbaren Begegnung mit der Bibel leben, wie z. B. »Bibel teilen«. Diese Methode, die in manchen Gemeinden praktiziert wird, soll helfen, einen persönlichen spirituellen Zugang zu den biblischen Texten zu finden. In kleineren Gruppen wird ein Text in vorgegebenen Schritten erschlossen; dabei wechseln sich meditative Elemente, persönliche Reflexion, Austausch und Gebet ab. Andere erfahrungsbezogene Lesarten sind z. B. Bibliolog* oder Bibliodrama*.
Vielf Ltige Zug Nge Zur Bibel
1. Ordnen Sie die Lesarten der Bibel (einschließlich der historisch-kritischen) dem hermeneutischen Viereck (oben) zu.
2. Beziehen Sie die Lesarten, ausgehend von den Gedanken zwischen den Leiter-Stufen ( S. 94) auf das Hiobbuch.
3. Probieren Sie in arbeitsteiligen Gruppen je zwei Lesarten an einem Textbeispiel aus; vergleichen Sie sie und zeigen Sie, wie sie sich ggf. ergänzen.
REFORMATORISCHES SCHRIFTVERSTÄNDNIS
• Es war ein Hauptanliegen der Reformation Martin Luthers [8], die Schrift als verbindliche Norm kritisch gegen die herrschende Kirche und ihre Lehren anzuwenden (»sola scriptura«). Nach einer bekannten lutherischen Formulierung »bleibt allein die Heilige Schrift der einig [der einzige] Richter, Regel und Richtschnur, nach welcher als dem einigen Probierstein sollen und müssen alle Lehren erkannt und geurteilt werden, ob sie gut oder bös, recht oder unrecht seien«. Anders als die meisten Theologen vor ihm ging Luther nicht davon aus, dass die kirchliche Tradition und Überlieferung in einer selbstverständlichen Harmonie mit der Heiligen Schrift steht und dass sich z. B. kirchliche Konzilien* grundsätzlich nicht irren können.
• Luther wollte mit dem Prinzip »sola scriptura« dabei nicht sklavischer Buchstabengläubigkeit das Wort reden. Kriterium für die Autorität der Bibel war für Luther das, »was Christum treibet«, d. h. inwieweit eine biblische Aussage der frohen Botschaft von Jesus als dem Christus entspricht. Von diesem Kriterium her konnte er sogar einzelne Schriften der Bibel ablehnen.
Unter diesem Bibelwort (Joh 1,1) wurden die kirchlichen und staatlichen Aktivitäten zum Lutherjahr 2017 gebündelt. In der an der Kommunikationskampagne beteiligten Kirchen luden Bücherregale dazu ein, Bücher zu tauschen.
Allein Aufgrund Der Schrift
1. Erläutern Sie mit Hilfe der Info die Kommunikationskampagne zum Lutherjahr (oben) sowie die Gestaltung der Lutherfigur. Entwerfen Sie jeweils alternative Ideen der Gestaltung.
2. Zeigen Sie ausgehend von dem Lutherzitat (unten) und der Info Verbindungen des »sola scriptura«Prinzips zu anderen reformatorischen Grundeinsichten* [8] auf. Entwerfen Sie ein Plakat zum reformatorischen Schriftverständnis.
3. Diskutieren Sie, ob das Hiobbuch dem Kriterium »was Christum treibet« entspricht.
MARTIN LUTHER ÜBER DIE BIBEL
Evangelion heißt auf Deutsch: gute Botschaft, gute Märe, gute neue Zeitung [Nachricht/Botschaft], gutes Geschrei, von dem man singt, sagt und fröhlich ist. Nun kann ja der arme Mensch, in Sünden tot und zur Hölle verstrickt, nichts Kostbareres hören als solch teure liebliche Botschaft von Christus. Sein Herz muss von Grund auf lachen und fröhlich darüber werden, sofern er glaubt, dass es wahr ist. Darin stimmen alle rechtschaffenen heiligen Bücher überein, dass sie allesamt Christum predigen und treiben. Auch ist das der rechte Prüfstein, alle Bücher zu beurteilen, ob sie Christum treiben oder nicht. Was Christum nicht lehrt, das ist nicht apostolisch*, selbst wenn es der Heilige Petrus oder der Heilige Paulus lehrte. Wiederum was Christum predigt, das ist apostolisch, selbst wenn es Judas, Hannas, Pilatus oder Herodes täte.
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Heilige Bersetzung
Seit zwei Wochen ist sie nun da, die »neue« Lutherbibel. Pünktlich zur Eröffnung des Reformationsjubiläums ist der revidierte Text fertig gestellt, der die nunmehr zweiunddreißig Jahre alte vorige Fassung ersetzen soll … Diese Revision [Überarbeitung] ist ein Teil einer theologischen Tradition, die weit vor Martin Luther begann. Jesus von Nazareth sprach aramäisch. Seine Worte sind uns jedoch nur auf Griechisch überliefert. Die Stimme Jesu ist uns also nur in der Brechung durch die Übersetzung bekannt. Die neutestamentlichen Autoren zitieren die Schriften Israels nicht in ihrem hebräischen Original, sondern ebenfalls in der griechischen Übersetzung. Das westeuropäische Christentum gr ündet seine gesamte Theologie in der Hauptsache auf die Vulgata* des Hieronymus, der lateinischen Übersetzung der hebräischen und der griechischen Bibel. Die verschiedenen reformatorischen Bibelübersetzungen und alle danach reihen sich in diesen Traditionsstrom ein. Es ist eins der Hauptmerkmale des Christentums, dass es so etwas kennt wie eine »Heilige Übersetzung«. Und auf jeden Fall unterscheidet dieser Sachverhalt die christlichen Gemeinschaften von den jüdischen und muslimischen, die aus guten Gründen mit der Übersetzung der Heiligen Schrift sehr sparsam umgehen.
Melanie Köhlmoos, Theologin
ERSTE THESE DER BARMER THEOLOGISCHEN ERKLÄRUNG*
[…] Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.
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Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.
WORT GOTTES
1. Sammeln Sie ausgehend von den Bildern typische Situationen, in denen die »Bibel« (auch) als gegenständliches Buch eine Rolle spielt. Tauschen Sie sich darüber aus, inwiefern hier der Bibel Autorität und ggf. sogar »Heiligkeit« zugesprochen wird.
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2. Erläutern Sie, inwiefern eine Bibelübersetzung »heilig« sein kann (Text oben).
3. Erklären Sie, wie in der zitierten Barmer These [9] »Wort Gottes« verstanden wird.
IST DIE BIBEL WAHR?
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Wer so fragt, zielt in aller Regel auf die Ebene historischer Wahrheit, genauer: auf die Ebene bestimmter historischer Tatsachen. Das heißt dann landläufig: Die Bibel »wörtlich« nehmen. Die Bibel ist in diesem Verständnis dann »wahr«, wenn die Schöpfung ein astronomischgeographischer Messbericht, wenn die Jungfrauengeburt ein medizinischer Befund, wenn der Gang Jesu übers Wasser ein elegantes Schauspiel ist. Angesichts der Lebendigkeit und Differenziertheit biblischer Texte erscheint diese Art, die Bibel zu lesen und nach ihrer Wahrheit zu fragen, bestenfalls banal. Um so mehr stellt sich die Frage, weshalb für viele Menschen der ganze Glaube an dieser Art »Wahrheit« hängt. Für landläufig als »fundamentalistisch*« bezeichnete Kreise haben biblische Texte die Aufgabe, die Leser und Leserinnen in die Entscheidung zu führen, sie zu konfrontieren mit der Notwendigkeit der Wahl zwischen Glaube und Unglaube. Damit dies gelingt, ist gerade nicht die Wahrnehmung der Vielfalt biblischer Texte, das differenzierte Lesen und Nachfragen, das offene Gespräch gefragt, im Gegenteil: Es reicht, dass die Bibel »Recht« hat. Die Bibel lesen heißt hier nicht in ein Gespräch eintreten, eine neue Welt entdecken, sich auf einen neuen Weg begeben, sich herausfordern lassen zur Verwandlung; die Bibel lesen heißt hier, vor eine einmalige Entscheidung gestellt zu werden oder auch sich eine eigene bereits gefällte Entscheidung immer wieder zu bestätigen. Gegen diese »fundamentalistische« Lesart bleibt neben vielem anderem besonders dies einzuwenden: Sogar wenn man die Bibel in diesem Sinn »wörtlich« liest, müsste den fundamentalistischen Leserinnen und Lesern auffallen, dass ausgerechnet die Bibel selber Glaube und Unglaube gerade nicht an diese Ebene der historischen Fakten bindet. Etwas pointiert gesagt: Fundamentalisten glauben an die Bibel, die ihnen die Verantwortung abnimmt, statt an Gott, der Verantwortung zuspricht; indem die fundamentalistische Bibellektüre die Texte auf historische Tatsachenberichte reduziert, entbindet sie sich von der Arbeit, immer wieder neu und offen zu fragen, auf welche Erfahrungen, auf welche Wirklichkeit sich die bib- lischen Texte überhaupt beziehen - die Texte also Zeugnisse einer bestimmten Wirklichkeit ernst zu nehmen. Es deutet auf ein ungelöstes Problem in Theologie und Kirche hin, dass häufig davon gesprochen wird, ein Text sei entweder »wörtlich« oder »nur« in einem »übertragenen oder symbolischen« Sinn zu verstehen. Das verräterische »nur« belegt, dass auch in keineswegs fundamentalistischen Kreisen die Ebene der historischen Tatsachen heimlich als die eigentlich maßgebende Ebene für die Bibel betrachtet wird. Überflüssig darauf hinzuweisen, dass dies bei anderen Texten wie zum Beispiel Liebesgedichten nicht so ist. Die Liebhaber dieser Texte würden sie wohl kaum als »nur« in einem übertragenen Sinn gemeint bezeichnen.
An dieser Stelle ist es nun auch möglich, die Wahrheitsfrage noch einmal anders zu formulieren: Wenn der Bezug eines biblischen Textes auf Erfahrung »wirklich« gelingt, dann zeigt sich seine »Wahrheit«, sein Aussagereichtum, sein Sinn, seine Weisung. Unter dieser Voraussetzung ist jeder biblische Text »wahr«. Schöpfung etwa als Antwort auf die Frage: Worin besteht der tragende Grund unseres Lebens? Gibt es ein Leben vor dem Tod? Die Jungfrauengeburt etwa als Antwort auf die Frage: Wes Geistes Kind ist Jesus?
Etwas anderes ist es dann, sich mit den Antworten der Texte, sich mit ihren Wahrheiten auseinanderzusetzen. Hier beginnt dann das Gespräch.
Chr istian Bühler, Theologe
AUS DER ZUSAMMENFASSUNG DER CHICAGOERKLÄRUNG* (1978)
Da die Schrift vollständig und wörtlich von Gott gegeben wurde, ist sie in allem, was sie lehrt, ohne Irrtum oder Fehler. Dies gilt nicht weniger für das, was sie über Gottes Handeln in der Schöpfung, über die Geschehnisse der Weltgeschichte und über ihre eigene, von Gott gewirkte literarische Herkunft aussagt, als für ihr Zeugnis von Gottes rettender Gnade im Leben einzelner.
Aus Einem Interview Mit Einer Transfrau
Sehr evangelisch ist die [freikirchliche] Gemeinschaft, in der Sie aufgewachsen sind, ja darin, dass das Wichtigste die Bibel ist: Nur das Wort zählt. Allerdings gilt sie dabei als sehr konservativ und eine rigoristische Bibelauslegung hegend. Wenn man der Bibel wortwörtlich folgt, kommt man da nicht ins Strudeln aufgrund der ganzen Widersprüche, die sich darin finden?
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Viele Widersprüche werden aufgelöst, indem man sich sehr intensiv beschäftigt mit den Texten und ihre Kernbedeutung stark macht. Zum Beispiel die zwei Schöpfungsgeschichten, da geht es einmal um das Physische, in der wird alles hergestellt, und beim zweiten Mal um das Geistliche. Und beide ergänzen sich. Und wie schaut es mit dem Umgang mit Homosexualität aus?
In den meisten Kreisen meiner Kirche ist Homosexualität aufgrund der Interpretation der heiligen Schrift leider nicht akzeptiert. Wenn man homosexuell ist, soll man es nicht ausleben. Aber Homosexuelle zu verfolgen, wäre auch wiederum nicht mit der Schrift zu vereinbaren.
Wie war das für dich als queere Person – hast du irgendwann deinen Glauben infrage gestellt oder dich von Gott nicht mehr geliebt gefühlt, wenn Menschen in deiner Gemeinde gesagt haben, dass Homosexualität und Transidentität nicht Gottes Willen sind? Nein, gar nicht. Ich habe mich immer von Gott geliebt gefühlt als die, die ich bin. Aber ich habe viel gehadert. Warum muss ich so etwas Schmerzvolles erleben?!
ZU WÖRTLICH?
1. Fassen Sie den Text von C. Bühler ( S. 98) in Thesen zusammen. Achten Sie dabei auf die unterschiedlichen Facetten des Begriffs »Wahrheit«.
2. Zeigen Sie mit Bezug auf den Text von C. Bühler auf, inwiefern in dem Buchcover und in dem Zitat aus der Chicago-Erklärung* ( S. 98) ein fundamentalistisches* Bibelverständnis zum Ausdruck kommt.
3. Vergleichen Sie das Bibelverständnis der »Chicago-Erklärung*« mit dem, das sich in der Äußerung Luthers zeigt ( S. 96).
4. Tauschen Sie sich ausgehend von den Materialien dieser Doppelseite über die Schwierigkeit aus, ein problematisches »fundamentalistisches*« Bibelverständnis von angemessenen Bibelverständnissen zu unterscheiden.
5. Der Begriff »Fundamentalismus*« begegnet aktuell in verschiedenartigen Zusammenhängen – informieren Sie sich genauer und versuchen Sie zu differenzieren.
6. »Das verräterische ›Nur‹ ...«. Überprüfen Sie das »Nur« im MERKE von P. Lapide*.
7. Formulieren Sie aus evangelischer Sicht eine Antwort auf die Behauptung, dass die biblische Schöpfungsgeschichte [8] wörtlich »stimmt«.
Charakteristika
CHRISTLICHEN FUNDAMENTALISMUS*
• Behauptung absoluter und unerschütterlicher Fundamente des Glaubens
• Absicherung des Glaubens gegen die Infragestellung durch alternative Weltsichten und Lebensweisen
• Ablehnung von bestimmten Facetten moderner Lebensweisen
• rigorose (traditionelle) ethische Vorstellungen
• Tendenz, die Welt dualistisch wahrzunehmen (gut/böse, richtig/falsch ...)
• zentrale Bedeutung der Glaubensentscheidung des und der Einzelnen
• Hang zu einer apokalyptischen* Deutung der Gegenwart nach einer Vorlage der EZW*
KORAN ALS »CHRISTUS DES ISLAM«
Der Koran ist für die Moslems die Urnorm des Gesetzes, die primäre Wirklichkeit des Islam. Er ist nicht nur die Verdichtung aller Lehren des Propheten, aus der ein breiter Strom von Traditionen gespeist wird, sondern vor allem die letztgültige Autorität, das Wort Gottes durch den Mund des Propheten, das den Islam begründet. Für den Moslem ist der Koran das Abbild einer ewigen, übergeschichtlichen Urschrift der Offenbarung, die bei Gott aufbewahrt wird. Der Moslem versucht sein heiliges Buch in laut vorgetragener Rezitation zu verstehen. Er macht sich den Koran innerlich zu eigen. Wie also ein Christ sagen kann, dass er mit Christus lebe, so kann das der Moslem vom Koran sagen. Der Koran existiert als Anrede, die Antwort erwartet, die den Hörer miteinbezieht. Islam heißt ja auch Hingabe. Der Koran sammelt also die islamische Gemeinde um sich und nicht der Prophet. Der Koran ist also – um einen Vergleich zu sagen –der »Christus des Islam« und nicht der Prophet, durch dessen Mund er offenbart worden ist: Im Christentum wurde das Wort Fleisch – im Islam zu einem Buch, zum Koran.
Muhammad Salim Abdullah, Islamexperte
Wort Gottes Im Islam
1. Wiederholen Sie, was Sie über die Bedeutung des Korans im Islam wissen. [7]
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2. Informieren Sie sich über unterschiedliche Kinderund Schülerbibeln: Welche Texte wurden ausgewählt? Welche kommen nicht vor? Tauschen Sie sich darüber aus, ob Sie die Auswahl gelungen finden.
3. Formulieren Sie aus jüdischer, christlicher und islamischer Perspektive mögliche Begründungen für die »Heiligkeit« der jeweils zentralen Schrift
LIBERALER ISLAM – INTERVIEW MIT LALE AKGÜN*
Frau Akgün, liberale Muslime sind in Deutschland in der Minderheit. Aber ihre Zahl wächst. Die ersten muslimischen Gemeinden entstanden. Wer gibt den liberalen Muslimen in Deutschland eine Stimme?
Liberale Muslime können Sie eigentlich überall antreffen. In der Wissenschaft haben wir inzwischen einige Ver treter.
Wenn wir uns die religiösen Vorstellungen moderner Muslime anschauen, wie interpretieren liberale Muslime den Koran?
Ich glaube, das ist der wichtigste Knackpunkt. Liberale Muslime sagen, dass der Koran zwar auch Gottes Wort ist, aber Gottes Menschenwort – wie Abu Zaid, der berühmte ägyptische Theologe, das ja mal vor Jahren formuliert hat, weswegen er auch damals in Ägypten verfolgt wurde und in die Niederlande flüchten musste. Es heißt, dass die Suren insgesamt historisch-zeitlich interpretiert werden müssen. Und letztendlich muss daraus folgen, dass bestimmte Suren heute keine Gültigkeit mehr haben können, weil sie zeitlich begrenzte Suren waren. Also wenn in einer Sure steht, wenn deine Frau dir nicht gehorcht, dann ermahne sie, und wenn sie immer noch nicht gehorcht, dann schlage sie, dann kann diese Sure für uns heute keine Gültigkeit mehr haben. Dann reicht es nicht, das Wort »schlagen« anders zu interpretieren, wie eben »streicheln« oder »nicht so schlimm schlagen«; sondern wir müssen den Mut haben zu sagen: Diese Sure mag vor 1500 Jahren vielleicht noch möglich gewesen sein. Heute mit unserem Verständnis der Frauengleichberechtigung ist diese Sure nicht mehr gültig.
Für den »Koran für Kinder und Erwachsene« haben die Autorinnen Suren neu übersetzt und thematisch angeordnet. Dies soll den Zugang zum Koran erleichtern.
UNMÖGLICHKEIT, ALLEIN ZU DENKEN
Marc Alain Ouaknin beschreibt das Auslegen des Talmuds* [9] im traditionellen jüdischen Lehrhaus – einem Ort des Debattierens und des kultivierten Streits um die Wahrheit. Stoßen wir die Tür zum Studiensaal [des Lehrhauses] auf: In der Regel ist die ganze Atmosphäre geprägt von Durcheinander, Stimmengewirr, heftigem Gestikulieren und einem unaufhörlichen Kommen und Gehen. Die nur selten in Reih und Glied stehenden Tische quellen über von einem Wirrwarr großformatiger Talmudtraktate und verschiedener Kommentare; alle sind aufgeschlagen und übereinander geschichtet. Die Talmudschüler lesen mit lauter Stimme, bewegen sich dabei von vorne nach hinten, von links nach rechts. Dann wieder blättern sie fieberhaft die Seiten der Kommentare um. Alles ist in Bewegung.
Vielleicht können wir in dieser Umgebung am besten die Bedeutung und die politische Funktion dieser Texte, ihren anti-ideologischen Aspekt empfinden. Was den L eser von Talmud und Midrasch* auf Anhieb verblüfft, ist die Bedeutsamkeit des Dialogs für die Anlage des Denkens. Nur selten gibt es Themenstellungen, die nicht kontrovers sind. Sobald ein Lehrer seine Auslegung vorlegt, bringt sein Gesprächspartner sie von seinem Standpunkt und seinen Erkenntnissen her ins Wanken: Es geht um eine andauernde Destabilisierung und ein Denken in Gegenthesen, welches sich der Gleichschaltung und der Synthese, die sich als alleingültiger, allgemeiner und die Wahrheit aussagender Begriff etablieren würde, widersetzt.
Dieses grundsätzliche Dialogisieren hat einen Namen: die Mahloquet*. Sie ist der erste Raum, der »die Aufspaltung und die Trennung als Ursprungsort jeden positiven Bedeutungswertes kennzeichnet«. Dieser Zwischenraum ist in gewisser Hinsicht politisch, denn er stellt die auffallendste Bekundung dafür dar, das Abschließen zurückzuweisen. Die Mahloquet ist die antiideologische Situation schlechthin. Jede Auslegung stellt ein Verflochtensein in die inneren Beziehungen eines unendlich komplizierten Netzes dar, das immerfort Knäuel bildet und stets einer Verquirlung unterworfen ist.
Mahloquet heißt die Unmöglichkeit, für sich alleine zu denken. Durch den Dialog zwischen den Lehrern wird Raum geschaffen für eine wechselseitige Kritik. »Die Worte des einen wie die Worte des anderen sind Worte des lebendigen Gottes«.
Marc Alain Ouaknin, Rabbiner und Philosoph
Vernetztes Denken
1. Stellen Sie Bezüge her zwischen dem Buch-Cover und der von M. A. Ouaknin geschilderten Szene. Vergleichen Sie diese mit selbst erlebten LernSituationen.
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2. Beziehen Sie die »Mahloquet« auf das Zitat von E. Goodman-Thau ( S. 75) und auf das Buch Hiob.
3. Vergleichen Sie anhand der Materialien auf S. 96–101, worin nach christlich-evangelischem, islamischem und jüdischem Verständnis die Autorität, die »Heiligkeit« der Schrift besteht.
1996 erschien das erste jüdische Lesebuch für Kinder in Deutschland nach der Zeit des Nationalsozialismus.
Neulich hat mich ein Professor aus meinem früheren Politologie-Studium gefragt, wie ich als Rabbinerin damit umgehe, [dass die Autoren Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman in dem Buch belegen wollen, dass die historischen Berichte der Bibel nicht haltbar sind.] Meine Antwort: Ich bin begeistert. Ich brauche die Bibel nicht zu glauben. – Ich kann vielmehr gleich daran gehen, sie zu verstehen, das heißt zu verstehen, wie die damaligen Autoren ihre Epoche in religiösen Botschaften verarbeiten.