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Zur Freiheit …

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Quellenverzeichnis

Quellenverzeichnis

Grabmal des griechischen Dichters Nikos Kazantzakis in Heraklion (Kreta), mit der Aufschrift (übersetzt): Ich hoffe nichts, ich fürchte nichts, ich bin frei.

Nach seiner Berufung [zum Christen/zur Christin] soll jeder so bleiben, wie er berufen wurde. Warst du bei deiner Berufung ein Sklave, dann mach dir deswegen keine Sorgen. Aber wenn du frei werden kannst, dann nutze diese Gelegenheit umso lieber. Warst du ein Sklave, als du in die Gemeinschaft mit dem Herrn berufen wurdest? Dann bist du jetzt ein Freigelassener des Herrn. Warst du frei, als du in die Gemeinschaft mit dem Herrn berufen wurdest?

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Dann bist du jetzt ein Sklave von Christus. Gott hat euch zu einem hohen Preis freigekauft. Werdet jetzt nicht zu Sklaven von Menschen! Brüder und Schwestern! Bleibt, was ihr bei eurer Berufung wart – jeder und jede von euch. Und lebt entsprechend vor Gott!

1 Kor 7,20 ff. (BasisBibel)

Die Freiheit Der Kinder Gottes

1. Die Inschrift auf Kazantzakis‘ Grabmal nimmt hellenistische Lebensweisheit auf. Vergleichen Sie sie mit Paulus‘ Freiheitsverständnis (Info).

2. Lesen Sie Gal 5,1–15. Fassen Sie die Predigt ( S. 123) in Thesen zusammen.

3. Sammeln Sie weitere Befreiungsgeschichten in den Evangelien.

4. Diskutieren Sie das Merke vor dem Hintergrund von 1 Kor 7,20 ff., der Info und der Predigt ( S. 123).

5. Beschreiben Sie die Kalligraphie ( S. 123). Formulieren Sie mögliche Gedanken zu 2 Kor 3,17 aus jüdischer, christlicher und islamischer Perspektive ( Kap 3).

MERKwürdig. An der Sklaverei will Paulus nichts ändern.

Info

PAULUS, DER THEOLOGE DER FREIHEIT

• In der hellenistischen Welt, in der Paulus unterwegs war, spielte das Thema Freiheit eine zentrale Rolle. So strebten griechische Philosophen Freiheit als Unabhängigkeit von allen Begierden und äußeren Einflüssen, als Einstimmung in die kosmische Ordnung an. Paulus füllte diesen Begriff aus der Perspektive seiner Theologie: Freiheit gründet für ihn in der befreienden Erfahrung von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, ist also geschenkte Freiheit. [9]

• Paulus entfaltete keine Theorie der Freiheit, sondern argumentierte damit in konkreten Gesprächssituationen: Muss man als Christ beschnitten sein und die jüdischen Ritualgesetze erfüllen? Nein, das wäre ein Rückfall in Unfreiheit. »Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist« (Gal 5,6). Darf man Fleisch essen, das aus Götzenopferritualen stammt? Ja, aber man kann es aus Rücksicht auf die Vorsichtigeren auch lassen, denn »alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten« (1 Kor 6,12). Im Römerbrief beschreibt Paulus Freiheit als Befreiung von dem Teufelskreis aus Gesetz und Sünde (das Gute wissen, aber nicht tun). In Röm 8,21 schließlich gewinnt die Freiheit kosmische Dimensionen: Die ganze »Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.«

AUS EINER PREDIGT ZU GAL 5,1–15

Der Wertstoffhof ist ein einfach zugänglicher, moderner Sehnsuchtsort der Freiheit. Denn zur Freiheit gehört vor allem ja auch dies: Dinge, die uns binden, wieder loszuwerden. Man kann an der Macht der Dinge ersticken. Sich von ihnen zu trennen, ist eine wunderbare Tat der Freiheit. Freiheit ist erstaunlicherweise zunächst und zuerst vor allem dies: Beschränkung. Was brauche ich eigentlich wirklich? Was zählt wirklich im Leben?

Ein großer Wertstoffhof ist auch die Reformation. Denn auch in der Reformation ging es darum, sich von Dingen, Gewohnheiten und Haltungen zu trennen, die zur Last geworden sind. Reformation ist nicht einfach nur ein Ereignis, Reformation ist ein fortwährender Prozess, ein Prinzip, das im Christentum immer wieder wirksam wird. Reformation heißt: Im Christentum wird eine immerwährende Kraft der Erneuerung sichtbar, die größer ist als all das, was Menschen machen und bewirken können – und diese Kraft der Erneuerung bedeutet Freiheit. Der Apostel Paulus schreibt davon im Brief an die Galater – ein wahrhaft wunderbarer Text, eine Magna Charta christlicher Freiheit. Paulus hat mit einem sonderbaren Problem unter den ersten Christinnen und Christen zu kämpfen. Sie sind dabei, die Freiheit, die ihnen geschenkt wurde, wieder zu verlieren. Sie fallen zurück in die Machenschaften und Gewohnheiten des alten Lebens, das sie wieder festhält und fesselt. Drei Dinge bläut Paulus seiner Gemeinde ein.

Erstens: »Zur Freiheit hat uns Christus befreit!« Die Freiheit der Christenmenschen ist kein abstraktes Prinzip, sie ist etwas Konkretes. Jesus Christus hat sie gelebt durch seine Worte und seine Taten. Jesus lässt seine Jünger, die Hunger haben, am Sabbat Ähren ein­ sammeln, seinen Kritikern entgegnet er: »Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen« (Mk 2,27).

Das Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lk 15) erzählt die Geschichte einer großartigen Rückkehr, die die Vergangenheit hinter sich lässt. Denen, die die Ehebrecherin steinigen wollen, ruft Jesus entgegen: »Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein« (Joh 8,7); zu der Frau selbst spricht er ein großes Vergebungswort, das das begangene Unrecht nicht ungeschehen macht und doch den Blick nach vorne richtet: »Geh und sündige hinfort nicht mehr.« Das alles sind großartige Befreiungsgeschichten, die einem bei den Worten des Paulus, in den Sinn kommen. In Jesu Taten kommt etwas zum Vorschein, was wichtiger, größer und erhabener ist als all das, was sich Menschen für ihr Leben ausdenken. Es bricht etwas durch, was Menschen aus einer unfassbaren Tiefe freimacht, weil das Leben viel mehr ist, als Menschen daraus machen können.

Zweitens lernen wir von Paulus, dass diese Freiheit, die durch Christus geschenkt wird, keine Selbstverständlichkeit ist. Man kann sie verlieren. Die Fesseln und Schlingen des gewöhnlichen Lebens warten überall. Freiheit ist ein Geschenk, und doch muss man sich um sie mühen, man muss für sie kämpfen.

Drittens geschieht dies in der Tat. Freiheit ist die Gewissheit des Glaubens, der durch Liebe tätig wird. Paulus meint damit keinen Moralismus »Tu dies, tu das.« Wer die Ewigkeit berührt, der schreitet in seinem Leben voran mit Taten, die sich nicht aufhalten mit dem Kleinen und Nichtigen, das Menschen nutzen, um sich gegenseitig das Leben schwer zu machen. Die Freiheit, die Paulus meint, macht vieles klein und unwichtig.

Jörg Lauster, Theologe

Der in Pakistan geborene, in Deutschland lebende Künstler Shahid Alam gestaltet in seinen Kalligraphien Texte, die für Juden, Christen und Muslime von Bedeutung sind, in arabischer Sprache. Hier: »Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit« (2 Kor 3,17).

Freiheit Als Thema Der Reformation

Heinrich Bedford-Strohm* bezeichnet Luthers Schrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen« als die wichtigste und brillanteste der ganzen Reformationszeit: Rechtfertigung – so hat Martin Luther in seiner Freiheitsschrift dargelegt – heißt innere Freiheit und es heißt zugleich äußere Freiheit. Martin Luther selber hat erlebt, was es heißt, immer unter dem Druck stehen zu müssen, einem bestimmten Gesetz gerecht zu werden: Die Gebote Gottes, das Gesetz, das uns in der Bibel vor Augen tritt, hat Martin Luther als etwas verstanden, was er erfüllen muss, um bei Gott gerettet zu sein, um auf die offenen Arme Gottes hoffen zu können. Und er ist daran verzweifelt. Er hat getan, was er konnte; er hat sich gegeißelt, er hat gefastet; er hat alles versucht, was er konnte, um diese Gebote zu erfüllen. Und er hat gemerkt, dass er nur daran scheitern kann. Und er hat weiter in der Bibel gelesen. Und ist dann auf diesen Satz gestoßen, der erst einmal so nüchtern und strohern klingt: »Der Mensch ist allein gerechtfertigt aus dem Glauben und nicht aus den Werken.«

Für ihn war es die große Befreiung des Lebens. Denn Luther hat gemerkt: Ich muss gar nicht einem Anspruch hinterherjagen, sondern Gott liebt mich allein aus Gnade, allein durch die Gottesbeziehung darf ich mich in die Arme Gottes werfen. Alles, was daraus kommt, alle Werke gründen darauf, dass ich mich in Gott geborgen weiß.

Weil wir heute in unserem modernen Freiheitsverständnis nun aber dazu neigen, den Schutz des Individuums vor den Ansprüchen Anderer zum alleinigen Zentrum zu machen und den Freiheitsbegriff damit individualistisch zu verengen, deswegen ist die zweite These vom Beginn der Freiheitsschrift so wichtig. »Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.«

Wir Christenmenschen sagen, wenn wir diese innere Freiheit spüren, eben nicht: Freiheit heißt für mich, dass ich wählen kann, so oder so zu handeln. Freiheit heißt für mich, dass ich unabhängig bin. Freiheit heißt für mich, dass ich keine Bindungen mit anderen Menschen eingehen muss. Das genau heißt es nicht! Sondern: Freiheit kann nie wirklich Freiheit sein, wenn sie nicht gleichzeitig Dienst am Nächsten ist.

AUS LUTHERS FREIHEITSSCHRIFT*

Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan.

Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan.

Aus dem allen ergibt sich die Folgerung, dass ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und in seinem Nächsten; in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben fährt er über sich in Gott, aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe. [...] Sieh, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, die alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde.

Freier Herr Und Dienstbarer Knecht

1. Erläutern Sie Luthers Thesen mithilfe des Textes von H. Bedford-Strohm. Beziehen Sie dabei Ihre Kenntnisse zur Reformation ein. [8]

2. Freier Herr – dienstbarer Knecht / niemandem –jedermann usw. Arbeiten Sie die antithetischen Leitbegriffe aus Luthers Text heraus und gestalten Sie daraus eine Grafik.

MACH WAS AUS DIR!

Jugendliche posten, kommentieren, liken und teilen. Sie inszenieren, kaschieren und optimieren. Sie bewundern, vergleichen, lästern und spotten. Soziale Medien gehören zu den Kommunikationsinstrumenten, mit denen sich junge Menschen jederzeit und überall präsentieren. Wer online nicht sichtbar ist, wird nicht wahrgenommen und verpasst alles. Dabei sind Selfies der Maßstab für Sichtbarkeit und Likes die soziale Währung. Wer viel Haut zeigt, bekommt viel Anerkennung oder läuft Gefahr, zum Spott oder gar MobbingOpfer zu werden. Was als schön und begehrenswert gilt und wer als »Schlampe« abgestempelt wird – die Kriterien scheinen beliebig und die Konsequenzen nachhaltig.

Iren Schulz

Für Jugendliche von wesentlicher Bedeutung sind Fragen nach einer »optimalen Gestaltung« von Bildungsverläufen in der schulischen wie beruflichen Bildung. Der 14. Kinder­ und Jugendbericht der Bundesregierung benennt diese Anforderung sehr deutlich: »Die Reformen des Schul­ und Hochschulsystems lassen sich als Aufforderung interpretieren, stromlinienförmige, schnelle Bildungswege anzustreben und vermeintlich überflüssige Umwege zu vermeiden.« An die Stelle eines Verständnisses von Bildung, in dem Lernen (auch) als Prozess der Selbstbildung und der Erlangung der Freiheit zum Leben gesehen wird, tritt eine Erwartung sozialer Einpassung nach dem Motto »Mach was aus Dir!«

Nora Gaupp, Christian Lüders

»WERDE, DER DU SEIN DARFST«

»Was bin ich wert?«, fragten die Reformatoren und kündeten von der guten Nachricht der bedingungslosen Zuwendung und Liebe Gottes zum Menschen. Dieses Ja Gottes zu seinen Geschöpfen, die alles andere als per fekt, makellos, integer sind, ist das, was der alte Begriff »Gnade« ausdrücken möchte. Menschen gewinnen in christlicher Perspektive ihren Wert nicht dadurch, dass sie Qualitäten, Fähigkeiten und Leistungen mitbringen, sondern der Akt der freien Gnade zerbricht die K ategorie »Wert«. »Wer bin ich?«, »Was muss ich aus mir machen, um in den Augen der anderen und damit auch in meinen Augen bestehen zu können?« Diesem Um­ sich­ selbst­Kreisen des Menschen auf der Suche nach einer Identität, die ihn vor anderen, aber auch vor sich bestehen lässt, wird im Evangelium widersprochen. Der Widerspruch besteht nach reformatorischem Verständnis nicht in einem »Du sollst« (etwa: »Du sollst dem Leben vertrauen!«) bzw. »Du sollst nicht« (etwa: »Du sollst nicht auf dich selbst gerichtet sein!«), sondern in einer Gabe, die dieses Um­ sich­ selbst­Kreisen zerbricht: Im Evangelium wird dem Menschen die Annahme durch Gott zugesagt – und zwar voraussetzungslos und bedingungslos, sodass der Mensch von sich selbst wegblicken kann. Das Vertrauen auf die Zusage der bedingungslosen Annahme befreit von der unaufhörlichen Selbstbeschäftigung und Selbstbetrachtung. Wir werden befähigt, in einem wohlverstandenen Sinne selbstvergessen zu sein.

Mirjam Zimmermann, Theologin

Selbstvergessen

1. Tauschen Sie sich darüber aus, ob Sie sich in den Aussagen über Jugendliche (links) wiederfinden. Zeigen Sie auf, wie die genannten Phänomene der Selbstoptimierung (einschließlich der Fitness-Uhr) sowohl Freiheit eröffnen als auch unfrei machen können.

2. Beziehen Sie den Text von M. Zimmermann auf das Plakat ( S. 124).

3. Diskutieren Sie mithilfe der Materialien dieser Doppelseite, ob der Versuch, Rechtfertigung als Befreiung von Selbstoptimierungsstreben zu »übersetzen«, Sie überzeugt

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