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ANTICO CAFFÈ SPINNATO
Antico Caff è Spinn ato Kaffeepioniere unter der Sonne Siziliens
Dieses Lokal ist ein Begriff in Palermo. Antico Caffè Spinnato ist Konditorei und Eiscafé in einem. Seit 1860 ist diese kulinarische Perle bahnbrechend und mehr als einmal preisgekrönt.
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TEXT JARRON KAMPHORST FOTOS DOMINIQUE DE MOEL & CAFFÈ SPINNATO
Eröffnungsseite: Riccardo Spinnato in seinem Reich. Unten: Torta di pistacchio (Pistazientorte). Rechts: Die Bar von Antico Caffè Spinnato.
Vor der Tür des Cafés halten Passanten unversehens inne und heben suchend die Nase. Der Duft von frisch gebranntem Kaffee und ofenfrischem Brot weht aus dem Antico Caffè Spinnato in der Via Principe di Belmonte in Palermo. Elegant gekleidete Kellner in weißen Oberhemden mit Schlips oder Fliege und schwarzen Westen balancieren geschmeidig eine Köstlichkeit nach der anderen hinaus auf die Terrasse. An der Bar scheppern Löffel auf Porzellan, Untertassen werden klirrend auf die Bar gestellt, während die Kaffeemühle unermüdlich rattert. In den Vitrinen lockt verführerisch das Gebäck. Draußen auf der Terrasse bestaunen Kinder mit runden Augen das Eis in ihrer Hand; ein Regenbogen an Farben und Aromen tropft auf Kinderhände und Bürgersteigplatten. Die Eltern laben sich schlückchenweise an Kaffee. Ein paar Tische weiter beschreiben ein paar nordamerikanische Touristen das Essen auf ihrem Tisch mit einem Superlativ nach dem anderen. Über ihnen brennt die Sonne auf die beschützend ausgeklappten Schirme, in den Platanen zwitschern Schwalben. Mit der Temperatur steigt auch die Geräuschkulisse.
Seit fast 150 Jahren An einem Marmortisch nippt Riccardo Spinnato (42) an einem Espresso. Er betreibt dieses Konditorei-Café in fünfter Generation. Es hat sich viel verändert, seit das Antico Caffè seine Türen öffnete, erzählt er. „Damals verkauften wir hauptsächlich Brot, Plätzchen und Pizza. Spinnato hat als einfache Bäckerei angefangen. Mein Vater hat dann neue Saiten aufgezogen. Er begann vor 40 Jahren mit Eis und feinem Gebäck. Später habe ich dann den Schwerpunkt auf Kaffee verlegt,“ erzählt er in rasendem Tempo – es war wohl nicht sein erster Espresso heute. Nicht nur das Angebot hat sich verändert, seit das Geschäft vor fast anderthalb Jahrhunder-
Das Antico Caffè hat Gründerzeit-Flair. Man würde sich kaum wundern, hielte plötzlich die Kutsche einer noblen Familie vor der Tür.
ten eröffnete. „Hier drinnen hat sich auch viel verändert“, sagt Spinnato. „Früher war der Fußboden aus Granit und das Lokal war viel kleiner.“ Denn das Café Spinnato war ursprünglich ein kleiner, vielleicht zwei Quadratmeter großer Raum neben der Bäckerei. Was für ein Unterschied zu dem meterlangen Tresen, an dem heute ein paar in Gedanken vertiefte Senioren ihren Espresso kippen. Auch der Laden nebenan existierte damals noch nicht. Heute ist dort alles zu kaufen, von Kaffeebohnen bis zu zuckersüßen Leckereien. Doch die allmählichen Veränderungen waren der altehrwürdigen Atmosphäre nicht abträglich. Das Café wirkt – wie der Name schon sagt – antik, ja fast aristokratisch. Wer einmal in dieses Ambiente eingetaucht ist, würde sich nicht wundern, hielte plötzlich die Kutsche einer noblen Familie vor der Tür. Das Antico Caffè hat Gründerzeit-Flair. Große Spiegel zieren die Wände über den mit Leder gepolsterten Bänken, auf den Böden schimmert der warme Glanz von rötlichem Marmor. Über dem Tresen hängen historische Ansichten von Palermo aus Zeiten, als die Herren hohe Hüte trugen und Pfeifen stopften, während sich die Damen in Korsetts zwängten. Aber Spinnato ist mit der Zeit gegangen. Der Focus auf Kaffee spielt darin eine wichtige Rolle. 2005 rief „Il Gambero Rosso“ den Kaffee von Antico Caffè zum Besten des Landes aus. Auch in den nachfolgenden Jahren erwähnte die kulinarische Zeitschrift Spinnato immer wieder ehrenvoll – und das will etwas heißen in einem Land wie Italien! Denn bei Kaffee verstünden Italiener keinen Spaß, sagt Sinnato. „Wir sind bisweilen recht überheblich und bilden uns ein, mehr über Kaffee zu wissen, als sonst wer!“, grinst er schelmisch hinter seiner Espressotasse.
Heilige Kühe Dabei ginge es gar nicht um den besten oder den schlechtesten Kaffee, sagt Spinnato. „Jedes Land >
hat seine eigenen Kaffee-Gewohnheiten. Sogar innerhalb Italiens gibt es Unterschiede. In Mailand ist es ganz normal, sich für einen Kaffee eine halbe Stunde hinzusetzen. Hier ist das völlig anders. Auf Sizilien rennen die Leute zum Tresen, kippen einen Espresso hinunter und sind schon wieder draußen, bevor die leere Tasse auf der Untertasse steht.“ Daher ist es gar nicht so einfach, an den Gewohnheiten zu rühren. Wer etwas an den Bräuchen ändert, macht sich leicht der Blasphemie schuldig. Manch ein Gastro-Visionär endete bereits auf dem Scheiterhaufen der Geschichte des kulinarischen Italiens, als Ketzer im italienischen Schlaraffenland. Dennoch wagt man bei Spinnato auch neue Ansätze. Das schmeckt der Gast zum Beispiel bei der Zusammenstellung des Kaffees, der im Antico Caffè aus der Maschine zischt. Spinnato: „Unser Kaffee besteht zu 74% aus Arabica- und zu 26% aus Robusta-Bohnen. Das ist sehr ungewöhnlich in Italien. Im Durchschnitt liegt die Mischung bei 49% Arabica- und 51% RobustaBohnen. Das milde Aroma der Arabica-Bohnen kennen wir hier nicht so gut. So gesehen sind wir Pioniere auf Sizilien.“ So gesehen erziehe das Antico Caffè seine Gäste, findet Spinnato. „Das ist ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Wir müssen guten Geschmack nicht nur produzieren, sondern ihn auch erklären. Vor 20 Jahren war zum Beispiel Bananeneis gelb – der Rest war egal. Unser Bananeneis ist eher weiß, weil wir es aus Bananen machen. Und bei Bananen ist eben nur die Schale gelb, nicht das Fruchtfleisch. So etwas muss man seinen Gästen darlegen können.“ Besonders auf Sizilien sollte man Neues in der Gastronomie nur mit Samthandschuhen einführen. Die Insel im Süden kennt eine tief verwurzelte, ja fast orthodoxe Esskultur. Die ungezählten heiligen Kühe der Kulinarik sollte man
bedachtsam schlachten, sonst steigt einem die Küchenmafi a aufs Dach. Und ausgerechnet Kaffee ist genau so eine heilige Kuh, meint Spinnato. „Sizilianer haben ein spezielles Verhältnis zu Kaffee“, erzählt er. „Sie trinken nicht einfach nur Kaffee. Kaffee trinken bedeutet Freundschaften zu schmieden und Streit zu schlichten.“ Auf Sizilien gibt es den Ausdruck „va bene, non c’è niente, pigliamoci un caffè“, frei übersetzt: Kein Thema, lass uns Kaffee trinken. „Kaffee ist auf Sizilien mehr als nur ein Getränk“, meint Spinnato. „Es ist unsere Art, Frieden zu besiegeln.“
Preisgekrönt Dennoch ist Kaffee lange nicht alles in der Firma Spinnato. Das Antico Caffè ist seit Jahren auf ganz Sizilien bekannt für sein Gebäck und das Eis. Der gute Ruf ist schon weit über die Insel hinaus gedrungen. Neben dem Preis für den besten Kaffee heimste das Antico Caffè noch weitere Anerkennungen ein. Spinnato: „2017 bekamen wir die drei Törtchen von Gambero Rosso für unsere Konditorei. Und 2019 kamen drei Hörnchen für unser Eis hinzu.“ In dem Café-Besitzer streiten sich Bescheidenheit und Stolz, während er von den Erfolgen berichtet. Hier sitzt Daniel Düsentrieb in seiner eigenen Schokoladenfabrik. Die Menükarte ist ansehnlich. Nicht ein traditionelles sizilianisches Produkt fehlt. Von Cannoli und Cassata bis zu Torta di pistacchio - „unser Meisterstück“ – und Eis in allen Farben des Regenbogens. Ein Paradis für jede Naschkatze, in dem alles genau so schmeckt wie vor 150 Jahren auch. „Die traditionellen Rezepturen haben wir in all den Jahren nicht verändert. Daran rühren wir nicht“, sagt Spinnato. Selbst ein Pionier wie er kennt in der GastroWelt Italiens seine Grenzen. Aber, ist Kontinuität dann das einige Geheimnis? „Ganz sicher nicht“, meint er. „All unsere Produkte werden jeden Tag frisch hergestellt. Von der Konditorei über das Frühstück bis zum Kaffee und dem Eis. Alles kommt knackig frisch direkt aus der Küche. Das ist das Wichtigste!“ Um die Qualität zu gewähren, steht immer ein Mitglied der Familie Spinnato im Geschäft. „Mein Bruder, mein Vater, meine Frau oder ich sind sowieso hier. In unserem Geschäft ist nichts automatisiert, deswegen muss immer jemand anwesend sein zur Kontrolle“, erklärt Spinnato. „Wir fahren maximal sieben Tage im Jahr in den Urlaub. Den Rest des Jahres arbeiten wir so gut wie durch.“ Das hat Folgen. Lachend krempelt der Sizilianer die Ärmel hoch: „Guck mal, meine Arme sind käseweiß. Ich komme nicht so oft in die Sonne!“ •
spinnato.it Die Bäckerei, mit der alles begann. Links: Barista in Aktion.
Dante und seine Muse Beatrice (in der Mitte) in Florenz. Gemälde von Henry Holiday, 1883.