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VIVA DANTE
„Lasst, ihr die eingeht, alle Hoffnung fahren!“ Wer mit Dante Alighieri (1265-1321) hinabfährt in die Hölle, den erwartet ein Gruselabenteuer, dass einem das Blut in den Adern gefrieren lässt – allerdings mit tieferem Sinn! 2021 ist es exakt 700 Jahre her, dass Italiens größter Dichter an Malaria starb. Bis heute gilt Dantes „Göttliche Komödie“, diese Reise ins Jenseits, als Meisterwerk der Weltliteratur.
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TEXT RONALD KUIPERS FOTOS WWW.IMAGESELECT.EU
Reisen in den Hügeln Italiens ist Anfang des 14. Jahrhunderts nichts für ängstliche Typen. Bären, Wölfe, Wegelagerer, plündernde Söldner… überall lauern Gefahren. Dante Alighieri jedoch ist die Ruhe selbst, als er 1301 auf dem Rückweg von einer diplomatischen Mission nach Rom ist. Er ist zwar berühmt als Dichter, aber bestimmt kein sanfter Dandy. Als prominenter Bürger von Florenz ist er ein geübter Kämpfer zu Pferd. Er kann mit Schwert und Lanze umgehen und „hacken und reiten“. Nach verschiedenen Feldschlachten ist er den Anblick von hervorquellenden Eingeweiden und abgetrennten Gliedmaßen durchaus gewohnt. Ein Zeitgenosse beschreibt ihn als robuste Persönlichkeit: „Er hatte ein langes Gesicht mit Adlernase, eher große als kleine Augen, eine kräftige Kinnlade und eine hervorstehende Unterlippe. Sein Gesicht hatte immer einen
Standbild von Dante auf dem Piazza Santa Croce in Florenz.
schwermütigen, nachdenklichen Ausdruck.“ Doch auf halben Wege erreicht Dante eine Nachricht, die ihn völlig aus dem Gleichgewicht bringt: Seine Gegner in Florenz haben einen blutigen Umsturz verübt! Dante ist einer der bedeutendsten Amtsträger der Stadt. Er wird aller Ämter enthoben, sämtlicher Besitztümer enteignet. Er darf Florenz nie wieder betreten, nicht einmal, um seine dort zurückgebliebene Frau und Kinder zu sehen. Als Strafe droht der Scheiterhaufen. Mit schlicht den Kleidern, die er trägt, und dem Pferd als einzigem Besitz beginnt mit dieser Nachricht eine lebenslange Reise durch Italien. „Wie ein Pilger, fast wie ein Bettler, habe ich gegen meinen Willen die Wunden des Schicksals getragen. Ich wurde umher geworfen wie ein Schiff ohne Segel noch Ruder, davongetrieben in allerlei Häfen, Buchten und Strände vom rauen Wind der schmählichen Armut.“ Florenz ist zu Dantes Zeit ein politisches Wespennest, das dauernd kurz davor steht zu bersten. Adelige Familien haben die Stadt vollgebaut mit vielen hohen Türmen, in denen sie sich bei einem Angriff verschanzen und ihre Rivalen mit Armbrüsten beschießen.
Wald aus Steinen In diesem „steinernen Wald“ versucht Dante, Frieden zu stiften. Er wird im Namen der Ärzte- und Apothekergilde (zu der auch viele Künstler gehören) Funktionär der Republik Florenz. Das ist gefährlich. Als er einige aristokratische Aufrührer aus der Stadt verbannt, macht er sich mächtige Feinde. Das Leben in Florenz ist hart; mit 80.000 Einwohnern ist es eine der größten Städte Europas. Gesetzesbrecher werden gefoltert, öffentlich verbrannt oder lebend begraben, bis nur ihre Füße noch aus der Erde hervorstechen. Aber Florenz ist auch die Stadt der Schönheit und der Eleganz. Damen tragen luxuriöse Gewänder und teuren Schmuck, Kirchen und Paläste sind mit Fresken und Mosaiken verziert. Das kulturelle Leben pulsiert, Dichter haben den Status von Popstars. Gedichte werden mit der Hand kopiert (die Kunst des Buchdrucks ist noch nicht erfunden), das ist teuer. Darum werden sie nicht im Stillen gelesen, sondern öffentlich aufgeführt. Professionelle Troubadours tragen mit viel Gefühl für Drama und Humor Sonette vor, es werden Canzoni gesungen, oft begleitet von der Laute und der Trompete, bei Ballate treten sogar singende Tänzer auf. In all diesen Gedichtformen ist Dante ein Meister. Vorstellungen, in denen seine Gedichte ausdrucksstark und spannend vorgetragen werden (oft von Dante selbst) sind extrem beliebt. Anschließend summen Leute die Melodien, viele lernen die Texte auswendig. Dante ist ein Superstar, angebetet von einer zunehmenden Schar schwärmender Groupies.
‚Dantes Boot‘, Eugène Delacroix, 1822
Auf der Flucht Dantes Spezialität sind Liebesgedichte. Unerschöpflicher Quell seiner Inspiration ist die ausgesprochen hübsch geratene Bankierstochter Beatrice Protinari. Jedes Mal, wenn Dante ihr begegnet, beginnt er zu stottern und droht ohnmächtig zu werden – zur großen Heiterkeit der Anwesenden. Dass der tolle Bursche, der als Politiker, Gelehrter oder Dichter in vollen Sälen auftritt, so aus dem Lot gerät angesichts dieses süßen Fratzes! Als Beatrice mit nur 24 Jahren plötzlich stirbt, ist Dante am Boden zerstört. Seither himmelt er Beatrice als Symbol unübertroffener Schönheit und Güte an. Anders als viele seiner dichtenden Zeitgenossen, tut Dante das nicht auf Latein, der elitären Sprache der Gelehrten und Geistlichen. Er schreibt seine Poesie im italienischen Volksmund, „der Sprache, die wir uns aneignen, indem wir unsere Eltern nachahmen.“ Für ihn als stolzer Florentiner ist das der Dialekt von Florenz, die Dialekte anderer Städte hält er für grobschlächtig oder weibisch. Die römische Mundart verschmäht er als „trübseliges Gelaber“. Und dann plötzlich… 1310 auf dem Rückweg von einer diplomatischen Reise zum Papst, erhält Dante die katastrophale Nachricht seiner Verbannung. Seine Feinde versagen ihm Zeit Lebens den Zugang zu Florenz; der Stadt seiner Vorväter, dem Wohnort seiner Familie und seines Publikums, der Quell seiner Mundart. Es fühlt sich an wie eine Amputation. Dante ist wütend und verbittert; in der vollen Blüte seines Lebens ist er zu einer unsteten Existenz als politischer Flüchtling verurteilt, mittellos und entwurzelt. Er reist durch die Stadtstaaten, die Anfang des 14. Jahrhunderts die zersplitterte politische Landschaft Italiens bilden. Mit Vorträgen und Lesungen versucht er seinen Lebensunterhalt zu verdienen. In Verona findet Dante einen wohlwollenden Schirmherrn. Der Herrscher Can Grande della Scala erkennt die Vorteile, die so ein berühmter Exilant mit sich bringt. Dantes Dichtkunst kann das Image von Verona aufpolieren und dessen diplomatisches Geschick ist willkommen.
Sünder am Spieß Mit einer brutal beendeten Karriere als Dichter und Politiker und vertrieben von Heim und Herd, balanciert Dante am Rande eines mittelalterlichen Burnouts. Er
beschließt, alles auf einen großen Coup zu setzen: Er will ein Meisterwerk schaffen, das ihn nicht nur reich macht, sondern mit dem er es auch seinen Feinden heimzahlen und die Welt verbessern kann. Das Thema geistert schon länger in seinem Kopf herum. Dante hatte häufig als Teufel verkleidete Straßenartisten gesehen, die unter lautem Gejohle Sünder am Spieß rösteten. Und im Baptisterium hatte er beobachtet, wie Bürger fast wie hypnotisiert das Mosaik anstarrten, auf dem Satan am laufenden Band Sünder verschlingt. Genau das beschäftigt die Menschen: Was geschieht mit meiner Seele nach dem Tod? Dante beschließt, seine Leser auf eine imaginäre Reise durch das Jenseits zu schicken – von den Gräueln in der Hölle bis zur Entrückung im Paradies. Es soll eine Komödie werden, was damals heißt: eine spannende Geschichte mit gutem Ausgang. So beginnt der verbannte Künstler 1306 sein MegaGedicht „Commedia“. Um das Publikum von Anfang bis Ende zu fesseln, greift Dante tief in die literarische Trickkiste: von Unterbrechungen an den spannendsten Stellen und dramatischen Effekten bis zu hin zu einem virtuosen Mix aus Rätseln, Satire, Humor und Wut. Während der Vorstellung soll sein Publikum jammern und lachen, wie in einer emotionalen Achterbahn. Poesie ist im 14. Jahrhundert Theater – und Dante ist ein genialer Unterhalter. Sein Epos beginnt mit den berühmt gewordenen Zeilen: „Auf halbem Wege unsers Erdenlebens / Musst ich in Waldesnacht verirrt mich schauen, / Weil ich den Pfad verlor des rechten Strebens.“ Das kann jedem passieren. Ein paar falsche Entscheidungen und die Beziehung oder die Karriere befindet sich an einem heiklen Punkt. Guter Rat ist dann teuer….
Die freie Wahl Im dunklen Wald, verirrt und von wilden Tieren belagert, ist Dante der Verzweiflung nahe. Als er in einem Schatten einen Umriss erkennt, ruft er um Hilfe. Es ist Virgil, ein Dichter aus der römischen Antike. Virgil ist ein weiser Mann, der verstanden hat, dass Selbsteinsicht die beste Therapie für verlorene Seelen ist. Welche Entscheidungen haben welche Folgen? Mit Virgil als Führer und Beschützer fährt Dante hinab in die Hölle, den Ort, wo wir die schlimmsten Folgen unserer falschen Entscheidungen sehen. Über dem Höllentor steht: Durch mich geht’s ein zur Stadt der Schmerz erkoren / durch mich geht‘s ein zu Qualen ew‘ger Dauer, / (…) Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung schwinden.“ Das lässt Böses ahnen! Und tatsächlich zeigt sich Dante grauenhaftes Elend: „Dass Knie-umschlenkernd das Gedärm ihm hing / Samt dem Gekrös, darin zum Kot sich scheidet / Die Nahrung, die der Magensaft empfing.“ Verräter, Mörder, Wucherer und zahllose andere Verdammte werden vom Höllenhund Zerberus zerrissen, in glühenden Grabmälern gefoltert oder von Teufeln in Pech gebraten. In vielen Figuren lassen sich mühelos die Umstürzler erkennen, die ihn aus seinem geliebten Florenz verbannt hatten. Ein von Dante verhasster Papst ist lebendig begraben, seine aus den Felsbrocken hervorstehenden Füße werden geröstet und sind ebenso rot wie dessen päpstliche Slipper. Nach einem spektakulären Flug auf
Portrait von Dante in Ravenna, der Stadt seiner letzten Ruhestätte
einem geflügelten Monster – Dantes Beschreibung ist so packend wie heute ein 3D-Film – landen Dante und Virgil schließlich auf dem Grund der Hölle, wo Satan, festgefroren im Eis ununterbrochen Sünder verschlingt und wieder ausscheidet. Langsam dämmert Dante die Moral von der Geschichte: man hat die Wahl zu sündigen oder nicht. Es ist unsere eigene Entscheidung, immer mehr Besitz anzuhäufen auf Kosten anderer. Und die eine Sünde führt zur Nächsten. Habsucht stimuliert Verrat, Verrat fördert Totschlag, und so weiter. So verlieren wir den rechten Weg aus den Augen und kreieren unsere eigene Hölle.
Epischer Reisebericht Für die Verdammten in der Hölle gibt es keine Rettung, aber all jenen, die rechtzeitig bereuen, bleibt Hoffnung. Das entdeckt Dante, als er zusammen mit Virgil den Berg der Läuterung erklimmt. Hier können Seelen demütig Buße tun, ihre sündhaften Neigungen wie Hochmut, Neid und Habsucht bezwingen. So werden denen, die mit Habsucht anderer Leute Besitz beäugten, die Augen zugenäht. Und jene, die nur das Irdische kümmerte, werden gnadenlos gezwungen, ununterbrochen auf den Boden zu starren. Schön ist das nicht, aber nach einiger Zeit (manchmal ein paar Jahre oder gar Jahrhunderte) sind sie endlich reingewaschen und bereit, das Paradies zu betreten, wo Gott und seine Engel wohnen. Dante darf schon einmal einen Blick hineinwerfen dank seiner Jugendliebe Beatrice, die hier von Virgil die Führung übernimmt. Dort erlebt Dante, was nicht mit Worten zu beschreiben ist: göttliche Liebe. „Schon aber folgten Wunsch und Wille gerne / der Liebe, die in ewigem Gleichschwung kreist, / ihr, die die Sonne rollt und andere Sterne.“ Nun ist selbst er, der große Dichter, sprachlos. „Dann stand die hehre Fantasie verwaist“. Beatrice führt Dantes ins Paradies, nach einem Holzstich von Gustave Doré.
Dantes erster Biograf Boccaccio (der der Komödie auch das Prädikat „göttlich“ gab) berichtet, dass das happy End der „Commedia“ beinahe für immer verloren gegangen wäre. Kurz vor der Fertigstellung der letzten Verse bittet ihn der Herrscher von Ravenna, damals Dantes Schutzherr, ihn, als Diplomat nach Venedig zu reisen, um einen Krieg zu verhindern. Da er seine letzten Verse noch nicht kopiert hat, versteckt Dante sie an einem sicheren Ort. Die venezianische Mission gelingt, aber auf dem Rückweg fängt sich Dante in der sumpfigen Lagune von Comacchio Malaria ein – er überlebt es nicht. Neben der Trauer um den gerade einmal 56 Jahre alten Maestro steigt auch Panik auf: Niemand weiß, wo Dante seine letzten Verse verborgen hat. Acht Monate später hat Jacopo, einer von Dantes Söhnen, einen Traum. Darin weist ihn sein Vater auf einen Spalt in der Wand seines Arbeitszimmers. Am folgenden Morgen wird ein Bündel Manuskripte gefunden: die letzten Verse! Schon Zeit seines Lebens wird die „Commedia“ als Meisterwerk erkannt. Es ist der dichterische Reisebericht eines Pilgers, der begreift, in welch einer höllischen Welt er lebt, der um Selbsteinsicht und Läuterung ringt – mit zu guter Letzt womöglich einer schöneren Welt, als schwachen Abglanz von Gottes Paradies. •
Dante im Scheinwerferlicht
Anlässlich des 700. Todestages von Dante sind 2021 verschiedene Dante-Veranstaltungen geplant (sofern Covid 19 das erlaubt). Ravenna, wo Dante begraben ist, hat dazu eine Website eingerichtet: vivadante.it. Forlì, wo Dante einige Zeit gewohnt hat, bereitet eine große Ausstellung im Musei di San Domenico vor: „Dante. La visione dell’arte“ (12. März – 4. Juli). Das Uffizi-Museum in Florenz steuert kostbare Kunstwerke bei.
KÖSTLICHE ABWECHSLUNG
In diesen turbulenten Zeiten der Pandemie halten wir uns viel in den eigenen vier Wänden auf – kein Grund, uns die Decke auf den Kopf fallen zu lassen: Lasst uns erfinderisch werden; das Leben ist auch daheim durchaus aufregend, findet FoodBloggerin Stephanie Mantilla. Wie wär’s mit einer privaten Weinprobe? Hört sich sogar aufregender an als eine unterwegs, oder? Überrasche deinen Partner, deine Mama oder die beste Freundin – besorge dir eure Lieblingsweine & legt los. Das Schöne ist: Wirklich jeder kann Wein probieren & bewerten – er soll ja letzten Endes dir schmecken! Übrigens, eine Weinprobe erfreut sich einer frechen Etikette: Schnüffeln & Schmatzen ist ein Muss. Da ist ein lustiger Abend vorprogrammiert.
DIE PROBE LÄUFT SO: SEHEN – RIECHEN – SCHMECKEN – BEWERTEN
1. DEM AUGE SCHMEICHELN Halte das Glas vor ein weißes Blatt Papier, so kannst du die wunderschönen Farbnuancen erkennen. Je heller der Rotwein, desto älter ist er, da sich die Farbpigmente mit der Zeit absetzen. Weißweine dagegen werden mit den Jahren dunkler. Schwenke dein Glas und beobachte, wie der Wein herunterläuft: Je dicker & langsamer die Tropfen und spitzer der Bogen (sog. „Kirchenfenster“), desto höher der Alkoholwert.
2. DIE NASE BEFLÜGELN Das Glas schwenken und die Nase schön reinhalten. Welche Düfte erkennst du? Tipp: Schreibe sie auf, so kannst du die Düfte später mit dem Geschmack abstimmen.
3. DEN GAUMEN KITZELN Einen Schluck nehmen und unbedingt schlürfen, der dadurch zugeführte Sauerstoff entfaltet die Aromen in seiner vollen Wirkung. Was schmeckst du? Leicht oder schwer? Langanhaltendes Finale oder schnell verflüchtigt?
4. PERSÖNLICHE ZUSAMMENFASSUNG Haben sich die Nasendüfte im Geschmack gehalten? Hatte der Wein eine angenehme Säure? Wie war das Zusammenspiel aus Körper & Aromen?
„Es dauert lange, bis man ein richtiger Weinkenner wird, aber der Weg dorthin ist schön!“ In diesem Sinne stoßen wir mit dir von zu Hause aus auf ein gesundes Jahr 2021 an & wünschen viel Spaß beim Probieren & Genießen! •
Worin unterscheiden sich Rot-, Weiß- und Roséweine?
Rotwein gärt im gepressten Traubensaft und in der zerdrückten Schale (=Maische), die wiederum ihre Farbpigmente abgibt. Roséwein wird genauso hergestellt, allerdings werden die Traubenschalen früher herausgenommen. So kommt es, dass der Wein „nur“ rosafarben ist. Beim Weißwein dagegen lässt man nur den klaren Saft gären, ohne die Schale. Für Schlaumeier: Es gibt also Weißweine, die aus roten Trauben gemacht werden (z.B. Pinot Grigio). Allerdings keine Rot- oder Roséweine, die aus hellen Trauben hergestellt werden.