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schau Geschichte

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Garagengold

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Lemberg: Stadt des Löwen. Zivilisiert, hochkultiviert, eine idyllische Stadt, die schon immer durch unterschiedliche Kulturen geprägt war. schau besucht die von geschichtlichen Schicksalsschlägen gebeutelte Metropole, die auch heute noch die Medienberichterstattung dominiert.

Der Löwe bäumt sich wieder auf

TEXT VON HELMUT STRUTZMANN

EIN SPAZIERGANG durch den alten Stadtkern weckt Erinnerungen an den habsburgischen Mythos. Lemberg war früher eine einwohnerstarke, wichtige österreichische Garnisonsstadt der Donaumonarchie. Die scheinbar uneinnehmbare Festung Przemysl (benannt nach dem uns von Grillparzer geläufigen Ottokar) machte Lemberg im Ersten Weltkrieg zum zentralen Eckpfeiler der österreichischen Verteidigungslinien gegen einen zu erwartenden russischen Angriff. Grund dafür war die strategisch günstige Lage, Lemberg liegt nämlich den Karpaten vorgelagert am Fluss Poltawa.

Multikulturell geprägt

Hier spricht man einen eigenen, spezifischen Dialekt mit dem berühmten Lemberger „Tonfall“. Man sprach offiziell Polnisch, nicht Deutsch – besser gesagt eher Lembergisch … Ukrainisch, Jiddisch, Hessisch, Armenisch. Gegründet wurde die Stadt 1256 von einem Russen, Danilo Romanovic, an den heute noch ein Denkmal – „Danilo hoch zu Ross“ – erinnert. Sein Sohn Lew (Löwe) war gewissermaßen Pate für den Namen Lemberg. Der Löwe, stolz sich aufbäumend, findet sich im Wappen

Hier wirkt der Löwe ganz harmlos – das Wappentier von Lemberg symbolisiert das Selbstbewusstsein der Stadt.

der Stadt – eine Stadt mit Selbstbewusstsein. Jahrhundertelang stand Lemberg später unter polnischer Herrschaft und blühte auf: Das Handwerk und der Handel florierten. Die im 17. Jahrhundert gegründete Universität, benannt nach dem polnischen König Kasimir, ist die älteste in der heutigen Ukraine.

Die Schlacht bei Lemberg

Es sollte der Beginn eines Desasters werden. Die k.u.k. Armee war die wohl am schlechtesten für den Ersten Weltkrieg vorbereitete Streitmacht von allen. Man unterschätzte die Kampfkraft der russischen Divisionen. Nach scheinbaren Anfangserfolgen glaubte die Armee unter dem umstrittenen Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf noch, eine Offensive im Raum östlich von Lemberg starten zu können. Bis September 1914 gab es mehrere Schlachten – und den ersten großen Blutzoll des Weltkrieges. Die k.u.k. Armee musste sich zurückziehen, teilweise bis nach Krakau. Dabei wurden etwa 130.000 Soldaten gefangen genommen oder liefen auch freiwillig über. Weiters gab es circa 190.000 Tote und Verletzte. Die Russen konnten – wie geplant – weit bis in die Karpaten verstoßen, als Verbündete der Serben. Lemberg selbst blieb bis zum Jahr 1915 besetzt, war immer wieder schwer umkämpft, konnte aber „befreit“ werden. Die Monarchie wurde jedoch in dem Zweifrontenkrieg gewaltig geschwächt. Die Situation änderte sich auch nicht, als sich 1917 Russland angesichts der Oktoberrevolution aus dem Kriegsgeschehen zurückzog. 1918 konstituierte sich zwar kurz die Westukrainische Republik, die Polen wollten aber Lemberg unbedingt unter ihre Herrschaft bringen und griffen an. Nach mehreren blutigen Gefechten ging Lemberg an Polen – bis zum nächsten Krieg.

Die Rätselhafte und Tragische

Dramen und Tragödien machen Lemberg geheimnis- und schreckensumwittert zugleich: Grund dafür war unter anderem das jahrzehn

FOTOS: ANDREAS WENNINGER, WIKIMEDIA/LIBRARY OF CONGRESS

Anfang des 20. Jahrhunderts: Der Prospekt Svobody (Allee der Freiheit) ist bis heute die bedeutendste und größte Straße Lembergs.

TIPP: Wer den Retro-Style mag, für den sind die Busse und Straßenbahnen in Lemberg genau das Richtige. Hier: Vitovskoho Straße & Kopernikus Straße

AKTUELL: Demonstration auf dem Prospekt Svobody (Allee der Freiheit) im Dezember 2013

telang verdrängte Pogrom (gewaltsame Ausschreitung) gegen die jüdische Bevölkerung im November 1918. Die Geschehnisse prägten die letzten Tages des Ersten Weltkrieges erheblich, ebenso wie der Massenmord unter den Nazis und das unheimliche Ghetto von Lemberg: 450.000 Menschen wurden hier auf grauenvolle Weise umgebracht. Der Lemberger Friedhof, jahrzehntelang verwildert und verkommen, dann in einem architektonischen wie geschichtsbewältigenden Kraftakt wieder rekonstruiert, stellt heute mit seinen hunderten Grabsteinen eine mahnende Erinnerung dar. Diese gewaltige Grabstätte ist in ihrer multireligiösen Ausformung gewissermaßen Dokument der unterschiedlichen Kulturen und Ethnien, die hier leben, arbeiten und die Stadt prägen: Ukrainer, Russen, Juden, Polen, Armenier, Weißrussen, Deutsche, Österreicher. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Lemberg der UdSSR zugeschrieben. Stalins Panzer rollten in die Stadt, die verbliebenen Polen wurden zwangsumgesiedelt, der Friedhof zerstört, dafür Ukrainer und Russen wieder zwangsrekrutiert. Lemberg sollte ein sowjetisches Industriezentrum werden: Busse, TV-Geräte, sonstige Ma

„Für uns Österreicher bleibt Lemberg liebenswert und vertraut.“

Jakub Forst-Battaglia, Direktor Österreichisches Kulturforum in Kiew

info

Reiseinformation Ukraine

Erhöhtes Sicherheitsrisiko für Kiew, Lemberg und die gesamte Westukraine. Es wird allen Reisenden geraten, sich von Demonstrationen, Menschenansammlungen, Regierungsgebäuden und Orten mit hoher Polizeifrequenz fernzuhalten. Medienberichterstattung und Reisehinweise sollten immer verfolgt werden. Aktuelle Warnungen und Information gibt es unter ‚Reiseinformation‘ beim Bürgerservice des Außenministeriums.

schinen. Die Stadt wuchs beachtlich. Nach dem Niedergang der UdSSR wurde Lemberg Teil der Ukraine –und war stets Hort von Autonomiebestrebungen. Teilweise politisch deutlich rechts orientiert, wie heute noch die Partei Swoboda (Freiheit), die nunmehr eine Allianz mit den anderen Oppositionsgruppen bildet. Eine nationalistische Partei, die schon mehrmals hätte verboten werden sollen.

Widersprüchliches Lemberg

Lemberg ist eine impulsive, pulsierende Stadt und wichtiges Wirtschaftszentrum der Ukraine. In der „Westlichsten des Ostens“ fanden 2012 auch Spiele zur Fußball-Europameisterschaft statt. Die Altstadt wurde mit aufwändigen Mitteln renoviert. Der große Prospekt Svobody (Allee der Freiheit), der Marktplatz mit den Brunnen und den Cafés, der Platz vor der Oper, wo man einstmals das Lenin-Denkmal spektakulär gestürzt hatte, und der Rathaus-Platz zeigen die vielen unterschiedlichen Gesichter der Stadt. Heute hat Lemberg fast 800.000 Einwohner. Aus einer Ruine ist eine sauber herausgeputzte, für westliche Touristenströme attraktive Stadt geworden. Aber die Fassade täuscht, denn Lemberg ist immer wieder eine Stadt der Konflikte. Es hat sich hier eine literarische und musikalische Subkultur entwickelt und der universitäre Geist strahlt immer noch. Gleichzeitig gibt es Kriminalität, Alkoholismus, Betrug und die Oligarchen, die sich die Häuser sicherten, Schutzgelder nehmen, sich bestechen lassen und das Volk unterdrücken. Auch eine bedenklich starke rechte, nationalistische Opposition, die in Lemberg ihre Heimat hat. Da ist auch der Bazar, halb Touristenattraktion, halb echter Handelsplatz, Tummelort der Kleinkriminellen und armen Leute, ein lebendiges, pralles Chaos, das die ganze Widersprüchlichkeit der Stadt ausdrückt. Und es gibt zahlreiche Mahnmale der Erinnerung: der Friedhof, das Ghetto, die Synagogen, die zerstört wurden, Erinnerungen an die Massaker und unschuldigen Toten der Geschichte. Nazis. Polen. Russen. Weißrussen. Sie alle hatten Anteil daran. Bis heute wird die Ukraine von Chaos und Unruhen beherrscht. Zurzeit gibt es täglich Neuigkeiten aus Kiew über Demonstrationen und Machtkämpfe. ///

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