WW Magazin No. 2/17

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WW MAGAZIN Nr. 2 MAI / JUNI 2017

LETZTER SCHREI

Auf Kunstmessen und Laufstegen trägt man – Pyjama

SAISON-TRENDS Uhren, Schmuck, Düfte

ART-CARS Weshalb Künstler Autos mögen und gestalten

Lernen Sie WW-Persönlichkeit und Künstler Ernesto Neto kennen sowie Paolo Sorrentino, Regisseur und Oscar-Gewinner. Lesen Sie ausserdem, weshalb man als Kunstfreund jetzt nach Wien fahren sollte




Innenbetrachtung  Editorial

Die Kunst, exzentrisch zu sein ischen Künstler vor, der gerade ­interessante ­Erfahrungen mit Ureinwohnern im Regenwald ­macht und einen italienischen Regisseur, der einen Oscar ­gewonnen hat. Weiter berichten wir aus Wien und von dortigen ­Museen plus ­Galerien beziehungsweise, weshalb man jetzt in ­Österreichs HauptIn der zweiten WW-­Magazin- stadt fah­ren sollte. Und schliesslich beschreiben wir Ausgabe des Jahres geht die Liebesgeschichte von es ­jeweils um die Welt der Kunst und um G ­ eschichten, Künstlern zu ­Automarken und umge­kehrt. Aus diedie wir davon e­ rzählen können. Man soll einen Vater ser ­Story gebe ich ­einen Satz wieder: «Ich ­wollte immer ein nicht fragen, welches seiner ­Kinder er am liebsten möge. exzen­trischer ­Millionär sein.» John ­Lennon hat's ­gesagt, Und ­einen Redaktionsleiter nicht, welche Ausgabe ­seines über die ­Bemalung, die er seinem Rolls-Royce verpassen ­Magazins er am ­liebsten ­zusammenstelle . . . Aber ­sagen liess. Ich wünsche I­hnen viel Lese­vergnügen. wir es so: Die Auswahl für die K ­ unst-Ausgabe ist wohl die b ­ reiteste. ­Dieses Mal stel­len wir ­einen brasili­­an­­­­4  WW Magazin

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Bild: Getty Images

John Lennons Rolls-Royce Phantom V von 1967: mit leuchtenden Farben im Stil eines Zigeunerwagens bemalt.


Welchen Wert hat Kunst? 56.6 Milliarden Dollar – erfahren Sie mehr im Art Basel und UBS «Global Art Market Report» ubs.com/art

© UBS 2017. Alle Rechte vorbehalten.


Innenbetrachtung  Mitarbeiter dieser Ausgabe

1) ANDREAS RITTER

«Don't Touch My Hat», sang Lyle Lovett, ein Musiker aus T ­ exas. Vermutlich gibt es in seiner Hutsammlung wenigstens einen vergleichbar schönen Stetson, wie ihn unser Kolumnist auf diesem Foto trägt. Immerhin kaufte der ­seine Kopfbedeckung ebenfalls in ­Texas, wo er vor kurzem weilte, in der unter Künstlern beliebten Kleinstadt Marfa, um genau zu sein. Was er dort sah und e­ rlebte, schreibt er auf Seite 14. Und, natürlich, erzählt er auch die Geschichte seines Stetson, der nicht berührt werden soll. 2) VALESKA JANSEN

Die feinste Nase im Kreis ­ nserer festen freien Mit­arbeiter u hat Valeksa Jansen. Für ­diese Ausgabe hat sie diese wieder einmal für uns zum Einsatz gebracht, sich also durch neue oder neu aufgelegte ­Düfte dieses Frühjahrs geschnuppert und die in ihren Augen, pardon: i­hrer Nase nach besten Parfüms für Sie ausgewählt. Ihre Hitliste, mit der Sie olfaktorisch korrekt durch die ­bevorstehende Saison wandeln, finden Sie auf Seite 19. Uns bleibt an dieser ­Stelle, V ­ aleska zu danken, dass sie ­zuverlässig und eilfertig wie immer, den Job beendet hat, ­bevor sie krankheitshalber ausfiel. Wir wünschen gute und ­rasche ­Besserung.

4) MARIANNE ESCHBACH 2

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ANDREAS RITTER , VALESKA JANSEN , ANNE BENTLEY , MARIANNE ESCHBACH , UND ALEXANDRA KRUSE 1)

2)

3)

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5)

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3) ANNE BENTLEY

Aus Walnut Creek in ­Kalifornien erreicht uns das neuste Werk der Illustratorin, die unser Cover ­und die M ­ odekolumne gestaltete. Anne sagt, sie sei ­inspiriert vom Minimalismus der fünfziger Jahre und wünsche sich sehnlichst, einmal irgendwohin in Europa zu rei­sen. Wir heissen sie jetzt schon willkommen, nicht ­irgendwo, sondern in unserem Mitarbeiterkreis, und freuen uns auf weitere Bilder, die sie zeichnet.

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Haben Sie unsere Uhrenund Schmuckkennerin r­ espektive ihre Funde und ­Texte schon vermisst? Das wäre das ­schönste Kompliment für ­Marianne Eschbach, ­hatte sie doch in der ersten WW-­ Magazin-Ausgabe dieses Jahres keinen Beitrag. Doch jetzt ist sie wieder da und hat ihre anspruchsvolle Aufgabe prima gelöst, finden wir. Sie hat auf den wichtigen Branchen­ messen, die im Januar respektive März in Genf und Basel stattfanden, nach den schönsten Neuheiten gesucht, damit wir sie Ihnen zeigen können; ihre Auswahl finden Sie auf S ­ eite 18. Noch schwieriger war der Job, aus dem riesigen Angebot ­neuer Uhren bloss ein Modell für ­u nseren Opener auszuwählen. ­I hren Entscheid finden Sie auf ­Seite 17. 5) ALEXANDRA KRUSE

Für Mitarbeiter von WW-­ Magazin sind sogenannte Fake News, bewusste Falschmeldungen, kein Thema. Was d ­ amit zusammenhängt, dass wir nicht im Newsgeschäft sind und zweitens u ­ nsere A ­ utoren oft Beweisbilder für die A ­ uthentizität ihrer Artikel liefern. ­Kolumnistin ­A lexandra etwa, die in dieser A ­ usgabe über den aktuellen Modetrend schreibt, Pyjamas auch am Tag und ­ausserhalb des Hauses zu tragen, tut genau das selber am liebsten – ­sehen Sie ­bitte das Beinkleid auf Bild Nr. 5 (links). Wie man es von e­ iner stilprägenden Autorin e­ rwartet, gehören klassische S ­ chlafanzüge zu ihren liebsten Stücken im (begehbaren) Kleiderschrank. Es gibt bei ihr ­familienintern sogar ein Wort dafür, wenn es einem Mitglied gelingt, 24 Stunden am Stück im Pyjama zu verbringen. Um welches Wort es sich handelt, sowie mehr über diese neue Mode, steht auf Seite 12.

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Aventus

The fragrance for men

250 years of excellence


Innenbetrachtung  Inhaltsverzeichnis

WW Magazin Nr. 2    IN H A LT DER BOY AUS BRASILIEN

Wenn sich e­ iner der zurzeit wohl ­wichtigsten Künst-­ ler ­Südamerikas von Rio de ­Janeiro nach ­Mailand ­bewegt, hat das ­einen ­guten Grund: ­ Ernesto Neto g­ estaltete die ­Flaschen des ­Ornellaia 2014, des grossen BolgheriRotweins. ­ Inspiriert gewesen seien er und Mit­ glieder des indi­genen Stamms der Huni Kuin aus dem Amazonas­gebiet dabei von ­Mutter Erde, sagt er. Was ihn sonst noch inspiriert – ausser seinem Land, ­Marihuana und anderen heiligen Pflanzen –, lesen Sie ab Seite

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Bild auf dieser Seite: Stefan Giftthaler Illustration Titel: Anne Bentley

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Ernesto Neto im Hof des Palazzo ­Serbelloni in Mailand, Februar 2017.

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PARADEPLATZ ZURICH

AURA Event Saal

AURA Event Saal

AURA Foyer

AURA 800° Grill Restaurant

AURA Bar & Smoker’s Lounge

AURA: Eine Location, vielfache Möglichkeiten für Ihren Anlass

MODERNSTE EVENT LOCATION AUF ÜBER 2’000m2 IM HERZEN VON ZÜRICH Das AURA, direkt am Paradeplatz in Zürich, kombiniert auf verschiedenen Etagen einen Event Saal, ein GrillRestaurant mit Terrasse direkt am Fluss sowie eine grosse Bar mit Smoker‘s Lounge. EVENT SAAL MIT 360° PROJEKTION Der 450m2 grosse Saal bietet durch das hauseigene Mobiliar zahlreiche Set Up- und Bestuhlungsmöglichkeiten für 80 bis 650 Gäste. Die einzigartige 360° Projektion ermöglicht völlig neue Möglichkeiten, Gäste in eine eigene Welt zu entführen oder mit einem Motto zu begeistern. Der hochmoderne und wandelbare Event Saal eignet sich hervorragend für eindrückliche Firmenpräsentationen oder Gala Dinners.

Kontakt AURA Event Team: Tel. +41 44 448 11 47, events@aura-zurich.ch AURA – 800° Grill & Bar, Event Saal, Club Bleicherweg 5, 8001 Zürich – www.aura-zurich.ch

URBANE BAR IM ERSTEN STOCK Bis zu 250 Gäste finden in der stilvoll eingerichteten Bar im ersten Stock für ein Flying Dinner Platz. Für ungezwungene Firmenanlässe und gemütliches Beisammensein, bietet die AURA Bar den perfekten Ort. 800° GRILL RESTAURANT Eine Besonderheit in Zürich ist das 800° Grill Restaurant welches für bis zu 100 Gäste Platz bietet. Die Speisekarte überrascht mit ausgefallen europäischen und internationalen Köstlichkeiten und Grill Spezialitäten von ausgewählten Farmen, mit bester Fleischqualität, perfekt gereift und zubereitet.

Kontakt AURA 800° Grill & Bar: Tel. +41 44 448 11 44, welcome@aura-zurich.ch


Innenbetrachtung  Inhaltsverzeichnis

I N H A LT

WW Magazin Nr. 2

Bild: BMW AG, The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / 2017, ProLitteris, Zürich, Illustrationen: Beni Haslimeier, Brian Rea

JUNGEN UND IHRE SPIELZEUGE

ART CARS

Wenn Männer etwas beeindruckt, dann bemalen sie es: Höhlenwände, Kirchenkuppeln, Turnschuhe. UND AUTOS . SEITE 30

CONTRIBUTORS

Mitarbeiter dieser Ausgabe SEITE 6

RUBRIKEN, GESCHICHTEN

ANLEITUNG

TREND-REPORTE

UHREN

BILDER HÄNGEN

SEITE 17

BRIEFING

Künstler mit und ohne Erfolg

KOLUMNEN

MODE

ARBITER ELEGANTIARUM

GANZ WIEN IST KUNST

Sam Taylor-Johnson

SEITE 12

SEITE 36

KUNST

LA GRANDE BELLEZZA

WANDERLUST

SEITE 52 SERVICE

Regisseur Paolo Sorrentino

von Andreas Ritter SEITE 14

SEITE 42

SEITE 16

Reisereportage

von Alexandra Kruse

Wie es geht

SEITE 44

SCHMUCK

SEITE 18

KÜNSTLERPORTFOLIO

BEZUGSQUELLEN

SEITE 53

von Mark van Huisseling

DÜFTE

Alphachanneling

IMPRESSUM

SEITE 50

SEITE 19

SEITE 48

SEITE 53

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Stand März 2017

VISU


Aussenbetrachtung  Modekolumne

Illustration: ANNE BENTLEY

DIE NACHT GEHT – DER PYJAMA KOMMT

Die Zeiten, in denen man die Nacht zum Tage machte und am Morgen danach weiterfeierte, sind vorbei. Es wird stattdessen entschleunigt, gedetoxt, und ­Schlafzimmer werden nach FENGSHUI gestaltet. Einer immerhin hat es aus dem Nachtleben zuerst auf die Laufstege und dann in den Alltag geschafft – der SCHLAFANZUG.

Text:

ALEXANDRA KRUSE

S

eit meine Eltern mir 1994 meinen ersten richtigen Schlafanzug aus Amerika mitgebracht haben – Baumwolle, gestreift, mit ­M icky-Maus-Stickerei – sind Schlafanzüge mein Lieblingskleidungsstück. Nichts daran kneift, rutscht, zappelt oder nervt. In meiner Familie heissen vierundzwanzig im Nachtgewand verbrachte Stunden «Homerun», und wir machen manchmal sogar einen «Ausflug im Schlafanzug», nicht nur, weil es sich reimt, sondern, weil es so herrlich unkompliziert ist. Sogenanntes pyjama dressing ist zurzeit ein Mega-Trend. Dabei ist die Kombination aus lässiger Nachtwäsche, am Tag getragen, keine neue Idee – ursprünglich kommt der Pyjama aus I­ndien, dort trugen Männer bereits im 17. Jahrhundert weit geschnittene Hosen. In den 1930er Jahren liebte der Riviera-JetSet an der britischen Küste den «Strand-Pyjama», zum Schutz gegen Wind und unsittliche Blicke. Danach verschwanden die zarten Kleider in den boudoirs von Old Hollywood. Erst in den 1990er Jahren kamen Riot Girls auf die berauschte Idee, zu verschmiertem Lippenstift zu enge Négligés zu tragen – es handelte sich dabei um den Teil des Grunge-Looks, der nicht nur leicht verwahrlost wirkte. Die Anführerin Courtney Love, ­nebenbei, war mit einem weiteren Pyjamahelden verheiratet: Kurt Cobain. Die hohe Kunst ist, ganz klar, der stilsichere Auftritt an einer Pyjamaparty. Als Vorbild dienen dafür die Herren Dolce und Gabbana, die vergangenes Jahr, als die Oscars vergeben wurden, unter dem Motto «Underwear as

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­ uterwear» in den Penthouse-Room des Hotels O «Chateau ­Marmont» luden. Journalist Derek Blasberg, der Gastgeber des Abends, begrüsste Gäste im Seidenkimono, Naomi Campbell tanzte in ­einem grell-türkisen Ensemble, und Jessica Alba lieferte sich im mit Rosen bedruckten Zweiteiler eine stilvolle Kissenschlacht mit Model P ­ oppy Delevingne. Falls Sie nicht das «Chateau M ­ armont» mieten möchten, findet sich sicher eine andere Suite, die sich dafür eignet. Mein Vorschlag: eine im «Les Trois Rois» in Basel, und zwar um Mitte Juni, wenn die Art Basel stattfindet und die passenden Leute dafür an den Rhein fahren. Nachtwäsche am Tag zu tragen, heisst, Haltung zu bewahren. Ich besitze seit zwei Jahren ein Modell des Münchner Labels Horror Vacui – ­jedes Knopfloch ist fein umnäht, die Knöpfe sind bezogen, es stimmt jedes Detail, wahnsinnig schön, und das Tragegefühl ist auch sensationell. Man fühlt sich sogleich wie eine Mischung aus Anna Dello Russo und Jackie Kennedy. Auch die italienischen Marken Attico, For Restless S ­ leepers von Designerin Francesca R ­ uffini oder die Entwürfe der Britin Olivia von ­Halle sind Ausdruck der neuen Schlafzimmerkultur mit Strassentauglichkeit. Ferner lassen sich gute Funde machen bei Valentino, En Soie aus Z ­ ürich und Zimmerli of Switzerland. Wichtig: Je klassischer der Pyjama-Look, umso mehr Styling braucht es. Etwa tolle Ohrringe, schöne Accessoires und gute Schuhe, um nicht zu sehr nach Schlafzimmer auszusehen. Von einer out-of-bed-hair-Frisur ist abzuraten. Und was es auch noch braucht – ein sachverständiges Publikum. In der Lobby des ­«Mandarin Oriental» in Hongkong etwa passte mein seidig-raschelndes Gebilde so gut ins Bild, dass ich gleich Dauermieterin werden

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und bis auf Weiteres den lieben langen Tag ­Chrysanthemen-Tee aus goldenen Tassen ­hätte trinken sollen. Ganz ­anders war das Gefühl hingegen in ­Lugano: Im eigentlich ganz schicken und dem Innenleben einer Jacht nachempfun­ denen Salon des «The View»-Hotels schlug mir eine ­Welle ­kolossalen Missverständnisses entgegen, was meine Outfitwahl anging. Der Einzige, der an diesem Tag ­meine Liebe für das schräg-exzentrische teilte, war der Inneneinrichter, Möbeldesigner und Meister des farbig-opulenten, unschweizerisch flamboyanten Stils, ­Carlo R ­ ampazzi. Der Tessiner Sonnenkönig trägt P ­ yjama zu G ­ eschäftsverabredungen, wenn er einen m ­ odisch-konservativen Tag hat. In seinem Garten in Ascona wohnt eine Schildkröte, in seiner Partygrotte steht eine Neptunstatue, komplett aus Muscheln und Kristallen . . . Kurz, ich fühlte mich verstanden. Auf jeden Fall: Diesen Sommer muss der Ausdruck seines wahren – und natürlich manchmal auch etwas schläfrigen – Selbst ans Licht. Mit anderen Worten: Es wird der Sommer des ­P yjamas. Und was den Herbst angeht – der Trend geht schonungslos weiter. Designerin Olivia von Halle hat tracksuits aus Kaschmir gemacht, die bereits ausverkauft sind. Wer wird sich denn die Leichtigkeit des Lebens am Tage von schwierigen Kleidern nehmen lassen? Darauf trinke ich einen Gin, äh, Green Tonic. Im Pyjama.

ALEXANDRA KRUSE ist Journalistin, Kolumnistin und Stylistin. Manchmal trägt sie 24 Stunden nur Pyjama, das heisst in ihrer Familie – sie lebt mit Mann und Sohn in Zürich – dann «Homerun» und gilt als Leistung.

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Nachtwäsche am Tag zu tragen, heisst, zu Haltung bewahren.


500 Meilen entfernt vom nächsten Laden der Konkurrenz – Prada-Fassade von Elmgreen und Dragset.


Kunstkolumne  Aussenbetrachtung

DIE WÜSTE LEBT

Unser Kolumnist begibt sich auf EINE ART PILGERREISE zum heiligen Gral der zeitgenössischen Kunst – nach Marfa in der westtexanischen Wüste. Was man dort, ABGESEHEN VON WEITE , Naturschönheit und Einsamkeit sonst noch ­findet: herausragende Kunstwerke. Denn alles von minderer Qualität würde der R ­ OHHEIT DER UMGEBUNG nicht standhalten, sondern zu Staub zerfallen.

Text:

ANDREAS RITTER

Bild: «Prada Marfa», 2005, James Evans/2017 ProLitteris, Zürich

D

er Leser kennt mittlerweile meine ­Zuneigung zu Texas. Auch und gerade, was Kunst betrifft. Wieder einmal hat mich eine ­berufliche Reise ins Cowboyland geführt. Und um nicht der Neurose zu verfallen, bloss für einige wenige Tage oder gar nur Stunden, um Sitzungen abzuhalten, eine Destination a nzufliegen und – kaum hat man den ­ zerknitterten Anzug aus dem Koffer im Hotel aufbügeln lassen – wieder abzureisen, habe ich mir dieses Mal richtig viel Zeit eingeräumt. Um endlich einmal nach Marfa zu fahren, acht bis neun Autostunden von Dallas entfernt, gerade so weit wie von Zürich zum Papst nach Rom. Auch vom nächstgelegenen grösseren Flughafen El Paso wären es noch immer über drei Stunden Fahrt durch eine zum Schluss hin atemberaubende Landschaft, traumhaft schön. Der Weg ist das Ziel, auch bei dieser Art Pilgerreise zum heiligen Gral der zeitgenössischen Kunst. Donald Judd hatte diesen magischen Ort in der weiten Wüste von West­texas einst ­erkundet und sich mit seiner Familie und seiner (vielen) Kunst dort niedergelassen, weil er dem hektischen Kunstbetrieb des New Yorks der 1970er Jahre den Rücken kehren wollte. A ­ bsichtlich fernab von allem fand er eine Landschaft und eine ­A rchitektur, die seinen hohen ­A nsprüchen standzuhalten vermochten. Ich habe an dieser Stelle bereits einige Male über den Qualitätsbegriff von Kunst g ­ esprochen.

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In Marfa findet sich zweifelsohne eine der Keimzellen zur Beschreibung dessen, was hiermit ­gemeint sein kann: Qualität durch ­Reduktion auf das Wesentliche, durch Kompromisslosigkeit, ja fast eine Art Gnadenlosigkeit des Werks. Die Rohheit der Wüste sowie leerstehende Militäranlagen, Bankgebäude und ­anderes mehr dienen hier als Träger und Grundlage für diese herausragende Kunst. Schlechte Kunst ist hier nicht zu s­ ehen, sie würde, kommt mir in den Sinn, wohl ­sofort zu Staub zerfallen. Wir sind müde, aber glücklich, als wir das Ortsschild erspähen. Marfa besteht, e­ twas platt gesagt, aus einer Strassenkreuzung, über die der spärliche Verkehr lethargisch rollt. Und auf der wir auch gleich Flavin Judd – zusammen mit seiner Schwester Rainer verwaltet er den künstlerischen Schatz seines ­verstorbenen ­Vaters – antreffen. Und fortan sogleich in d ­ essen Fa­ ­ m ilienprogramm integriert und mit den ­Arbeiten der Judd F ­ oundation vertraut g ­ emacht werden. Wir wohnen in einem 1960er-Jahre-­ Trailer und bewegen uns, aller Hektik unserer Zeit entrückt, für e­ inige Tage aufgehoben wie in einer Blase: von breakfast burritos, ausführlichen Besichtigungen der zahlreichen Atelierund Ausstellungsstätten der beeindruckenden Familienstiftung tagsüber bis zu fabelhaften ­Tequila-Dinners abends. Selten, vielleicht noch gar nie, habe ich einen Ort ­besucht, der mich auf Anhieb so gefangen genommen hat. Zwischen den Betonquadern Judds im weiten ­Gelände der ­Chinati Foundation weiden ­Hirsche; trete ich vor unseren Wohnwagen, um meiner Liebsten morgens Kaffee zu b ­ eschaffen, hoppelt mir ein Hase über die Füsse . . . Der einzige Lärm rührt her von einem, sich zwei- oder dreimal am Tag

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mitten durch das Städtchen quälenden, ewiglangen, vorbeiratternden G ­ üterzugs aus einer ­anderen Zeit. Will man hier jemals wieder weg? Am dritten Tag fange ich an, mir Anzeigen von zum Verkauf stehenden Häusern und Ranches anzusehen, kaufe einen Stetson und frage mich, wie lange es wohl dauert, bis man ­Lasso werfen kann. Und ja, natürlich haben wir nach Sonnenuntergang auch die mystery lights ­gesehen, die sogenannten Marfa-Lichter, die wie Geister mitten in der tiefen Nacht über der Wüste auftauchen, der ­Legende nach Seelen verstorbener Apachen-Indianer. Am vierten Tag ist der Aufbruch z ­ urück in die reale Welt nicht mehr aufzuhalten, den ­A nzug aus dem Koffer hatte ich noch nicht a ngerührt. Hierher komme ich b ­ ­estimmt ­zurück, und dauert die Fahrt noch so l­ange. Vielleicht kennen Sie das grossartig-verrückte Werk des Künstlerduos Elmgreen und Dragset, die Fassade eines täuschend echten Prada-­Ladengeschäfts am Rande einer schnurgeraden Strasse – noch einmal eine D ­ reiviertelstunde ausserhalb von Marfa im Nirgendwo. In diesem Sinne nehme ich es, zusammen mit meinem New Yorker Korrespondenzbüro, in ­Angriff, eine Filiale meiner Kanzlei in Marfa zu e­ rrichten: «Only open on Yesterdays and ­Tomorrows». Sie erkennen mich am Stetson. Und am Anzug, den ich nicht trage.

ANDREAS RITTER ist Rechtsanwalt für Kunstrecht. Der 53-Jährige führt die Kanzlei Ritter & ­Partner Rechtsanwälte in Zürich.

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Aussenbetrachtung  Künstler und ihre Beachtung

Redaktion: SARAH STUTTE  Illustration: BENI HASLIMEIER

Briefing ERFOLG IM LEBEN – ODER DANACH HANS MAKART

FRANZ KAFKA

JEFF KOONS

1883 in Prag geboren, probierte er verschiedene Studienrichtungen aus und arbeitete in ungeliebten ­B erufen, bevor er mit dem Schreiben begann. Zu Lebzeiten war er nur ­e inem kleinen Publikum bekannt. Grund: Er veröffentlichte zu w ­ enig. Der Erfolg setzte posthum ein – 1925, ein Jahr nach seinem Tod, als sein erster Roman «Der Prozess» verlegt wurde. GEORGES BIZET

VINCENT VAN GOGH

Er ist einer der berühmtesten niederländischen Maler, obwohl er nur zehn Jahre künstlerisch tätig war. Dafür war er sehr produktiv: Er hinterliess 840 Gemälde und tausend Zeichnungen. Zu seiner Zeit mochte fast niemand seine

Arbeit – als van Gogh 1890 an den Folgen eines Selbstmordversuchs starb, hatte er erst ein Bild verkauft. Heute ist dieses Millionen wert; unschätzbar der Preis seines Gesamtwerks, das zur Mehrheit nicht käuflich ist.

GIUSEPPE VERDI

«La Traviata», «Rigoletto», «Don Carlos» oder «Aida» – der italienische Komponist zeigte früh musikalisches Talent, war aber nicht zum Mailänder ­Konservatorium zugelassen worden. Seine frühen Jahre waren für ihn auch auf persönlicher ­Ebene tragisch: Zwischen 1838 und 1840 starben innert kürzester Zeit seine beiden Kinder und seine junge Frau. Erst im Alter von 28 Jahren konnte der Komponist mit «Nabucco», seiner dritten Oper, den ersten grossen Erfolg feiern.

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Der Franzose gehört zu den Komponisten, die heute vor ­allem für ein Werk bekannt sind. Obwohl ­seine Oper «Carmen» bei der Uraufführung 1875 in ­Paris bei Publikum und Kritikern durchfiel. Später trat sie aber einen ­unglaublichen Siegeszug an. ­Bizet konnte diesen ­Erfolg nicht mehr erleben, er starb wenige M ­ onate nach der Premiere, mit nur 36 Jahren. Seine früheren Werke fanden erst im 20. Jahrhundert Beachtung, einige von ihnen sind bis heute unveröffentlicht geblieben oder gar verschollen.

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Seinen Spitznamen «King of Kitsch» hat der 62-jährige Amerikaner seiner ironischen Alltagskunst zu verdanken. Seine Skulptur «Balloon Dog (Orange)» wurde 2013 für 58,4 Millionen Dollar versteigert. Seitdem gilt der Neo-Pop-Artist als der teuerste lebende Künstler der Welt.

MICHELANGELO Bildhauer, Maler, Baumeister und Dichter war der Florentiner ­M ichelangelo ­B uonarroti. Damit zählte er schon zu Lebzeiten zu den ­bedeutendsten ­Renaissance-Künstlern. Sein berühmtestes Werk ist gleichzeitig das einzige, das der Perfektionist nach seiner Vorstellung beenden konnte: Die D ­ eckenmalereien der ­Sixtinischen ­Kapelle.

SIMONE DE BEAUVOIR

Die Schriftstellerin und Philosophin ( 1908–1986) war eine der wichtigsten Vertreterinnen der Frauenbewegung. Sie und ihr Querdenker-Lebensgefährte JeanPaul Sartre hatten 51 Jahre lang eine offene Beziehung – in getrennten Wohnungen. Ihr bekanntestes und kommerziell erfolgreichstes Werk, «Das andere Geschlecht», löste 1949 wegen seiner radikalen Forderungen einen Skandal aus.

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Quellen: Wikipedia, Inhaltsangabe, Entoen, Tamino Klassikforum, Was war wann, Zeit online, NZZ, Fembio, Spiegel online, Faz online, Mein Österreich

Der Salzburger Maler und ­Dekorationskünstler ­prägte ­Österreich im 19. Jahrhundert. Mit seinen opulenten Bildern, aber auch seinem Wohnungseinrichtungsstil – schwere Vorhänge, wuchtige Kronleuchter, viel Pomp und Plüsch –, der nach ihm benannt wurde. Er fertigte ausserdem Kostüme für die vornehme Gesellschaft an, und in seinem Wiener ­Atelier gab er rauschende ­Feste. Dort war die Prominenz dieser Zeit: Kaiserin ­Elisabeth, Franz Liszt oder Richard ­Wagner. Heute hat man ihn vergessen.


Redaktion: MARIANNE ESCHBACH

Bild: DOUGLAS MANDRY

Opener  Aussenbetrachtung

WW Magazin Nr. 2    T R EN D-R EPORT «Calatrava» von PATEK PHILIPPE – neues Design für eine seit 85 Jahren aktuelle Uhr

I

Im Jahr 1932 war die Ausstrahlung der B au h au s -­D e sig n s chu le gross. Und ­Walter Gropius Botschaft – die Form soll der Funktion folgen – wurde auch von Entwicklern ­anderer Produkte gehört. Bei ­Patek Philippe war eine gute Ablesbarkeit der Zeitanzeige seit jeher ein Muss; auch bei der seinerzeit neu entwickelten «Calatrava». Seit den 1950er Jahren gibt es sie auch mit Automatik-Antrieb; 1977 liess der neue Patron ­Philippe Stern ein frisches mechanisches Patek-Herz entwickeln. Es sollte ­ultraflach sein und sehr präzise, um gegen die Quarz-Konkurrenz anzutreten. Das ist gelungen: Bis h ­ eute ist das Kaliber 240 mit goldenem Mikrorotor ein Pfeiler der Manufaktur, und von Quarzuhren geht am obersten Ende des Markts ­keine Gefahr mehr aus. Dieses Jahr wird das Werk vierzig J­ ahre alt, die ­«Calatrava» gibt es seit 85 Jahren und das Symbol, dem sie ihren Namen verdankt, das Calatrava-Kreuz des spanischen Ritterordens, ist seit 130 Jahren eingetragenes Handelszeichen des Hauses. Ein Grund zum Feiern – eines neuen Designs mit exzentrischer kleiner Sekunde und Zeigerdatum um das ­bewährte Kaliber herum.

Nr. 2 2017

«CALATRAVA 6006G» VON PATEK PHILIPPE, aus Weissgold. Das neue Modell ist von 37 mm auf 39 mm Gehäuse-­ durchmesser ­gewachsen. Fr. 27 000.– (ca. ab August 2017 lieferbar).

WW Magazin 17


Aussenbetrachtung  Uhren & Schmuck

Redaktion: MARIANNE ESCHBACH

Trend-Report GRÜNE HOFFNUNG

HINGUCKER

11 LIEBLINGSSTÜCKE

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1. Collier «Cactus», Gelbgold mit Smaragden, von CARTIER, Preis a. A. 2. Ring «Nudo Assoluto», Roségold mit Lemon-Quarz, von POMELLATO, ­ca. Fr. 4000.–. 3. Ring, Weissgold mit Turmalin, von LYDIA COURTEILLE PARIS, ca. Fr. 42 000.–. 4. Ohrring «360°», Roségold mit Peridot, von DELFINA ­DELETTREZ, ca. Fr. 3790.–. 5. Ring «Liz», Silber mit Prasiolith, von NANA FINK, ­­­Fr. 2600.–. 6. Bracelet «Golden Rays of Joy»,

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ie Modefarbe des Jahres ist ein leuchtendes, HELLES GRÜN. Die Schmuck- und Uhrenwelt zieht nach. Hier setzt man aber lieber auf EDLES SMARAGD-GRÜN und «dunkle Tanne».

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Langes Seidenkleid und Tasche von VALENTINO, Preis a. A.

Gelbgold mit Smaragden, von SHAMBALLA JEWELS, ca. Fr. 10 930.–. 7. Collier «Ice Cube», Roségold mit grüner Keramik,

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GESEHEN BEI VALENTINO

von CHOPARD, Fr. 5190.–. 8. Ring «The Art of the Wild», Gelbgold mit Tsavoriten, von TIFFANY & CO., Preis a. A.

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9. Ohrringe «Esperanza», Weissgold mit Turmalinen, von BEYER UHREN & JUWELEN, Fr. 9800.–. 10. Armreif «Possession in Colors», Roségold mit Malachit, von PIAGET, Fr. 6000.–. 11. Uhr «Graff Vendôme» von GRAFF DIAMONDS, Preis a. A. 12. Uhr «Dior Grand Bal Plume» von DIOR, Fr. 32 200.–. 13. Uhr «New Retro Lady» von DE GRISOGONO, Fr. 72 600.–. 14. Uhr «True Thinline» von RADO, Fr. 2000.–. 15. Uhr «Neo Plus» von MEISTERSINGER, Fr. 1350.–. 16. Uhr «Manero Power Reserve» von CARL F. BUCHERER, Fr. 9400.–.

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Uhr «Speedmaster» von OMEGA, Fr. 6150.–.

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Düfte  Aussenbetrachtung

Redaktion: VALESKA JANSEN

Trend-Report REMINISZENZEN

FÜR SIE GEFUNDEN

1 IM SHOP GESEHEN

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GESEHEN BEI JIMMY CHOO

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1. Eau de Toilette «Alien Eau Sublime» von THIERRY MUGLER,

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60 ml, Fr. 80.–. 2. Eau de Toilette «CK All» von CALVIN KLEIN, ­200 ml, Fr. 105.–. 3. Eau de Parfum «First Instinct for Women» von ABERCROMBIE & FITCH, 100 ml, Fr. 98.–. 4. Eau de Toilette «Flower» von KENZO, 100 ml, Fr. 120.–. 5. Eau de Toilette «Eros Pour Femme» von VERSACE, ­­­100 ml, Fr. 128.–. 6. Eau de Toilette «Solarissimo Marettimo» von AZZARO, 75 ml, Fr. 54.–.

Eau de Toilette «L’eau» von JIMMY CHOO, ­ 90 ml, Fr. 105.–.

7. Eau de Toilette «Boss Bottled Tonic» von HUGO BOSS, 100 ml, Fr. 98.–.

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Eau de Toilette «Pink Fresh Couture» von MOSCHINO, 100 ml, Fr. 89.–.

Nr. 2 2017

in Parfüm besteht aus ­Alkohol und ÄTHERISCHEN ÖLEN. ­Emotional ­und romantisch betrachtet, b ­ esteht ein Parfüm AUS ERINNERUNGEN. Mai / Juni

8. Eau de Toilette «Extreme Night» von MICHAEL KORS, 120 ml, Fr. 98.–. 9. Eau de Cologne «Star Magnolia» von JO MALONE, 100 ml, Fr. 135.–. 10. Eau de Parfum «Superstitious» von FRÉDÉRIC MALLE, 100 ml, Fr. 315.–.

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Ernesto Neto, f­ otografiert von Stefan Giftthaler in Mailand im Februar 2017.


ERNESTO NETO

WW-Persönlichkeit  Story

Das Werk eines ­K ÜNSTLERS ist so ­interessant wie der KÜNSTLER ­selber, kann man sagen. ERNESTO NETO ist ein ­interessanter Mann – und mit seinen ­I NSTALLATIONEN wurde der ­BRASILIANER bekannt und beachtet. Z ­ udem ­ROCHEN seine ­GEHÄKELTEN GEBILDE aus dünnen S ­ toffen GUT – er füllte sie mit ­GEWÜRZEN. Seither ist er e ­ inen Schritt ­weitergegangen. Oder, genauer, viele Schritte ­weiter: von Rio de J­aneiro ins Amazonasgebiet nämlich, zu den HUNI KUIN. Von den M ­ itgliedern des indigenen Stamms, sagt er, habe er gelernt, was wir wissen müssen, um BESSER und GLÜCKLICHER zu leben. Sowie um zu ÜBERLEBEN.

Text:

Bilder:

MARK VAN HUISSELING

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STEFAN GIFTTHALER

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zu arbeiten begonnen habe, wurde Alkohol meine Triebkraft. Wein habe ich nie besonders viel getrunken, ich lebe in Rio de J­ aneiro, in einem warmen Klima also. Aber immer, wenn ich in E ­ uropa bin, habe ich viel Wein zu mir genommen. Deshalb ist Wein für mich eine Verbindung zu Europa, zur Geschichte, zu den Ländern. In Griechenland habe ich gelernt, wie man beim Konsum von Wein vorgehen muss, damit man die gewünschte Stimmung erzielt: Wenn die Energie niedrig ist, braucht man einen höheren Alkoholanteil. Wenn man sich dagegen eher entspannen will, kann dem Wein Wasser beigegeben werden. Und wenn man den Energiefluss konstant halten will, braucht es mehr oder weniger Wasser . . . Es gibt Leute, die das genau steuern können. Wie ein Schamane die Wirkung von Drogen, die man nimmt, beeinflussen kann. Zurzeit entsagen Sie dem Alkohol, sagen Sie. Und – spüren Sie einen Einfluss auf Ihren kreativen Ausdruck?

Nein. Sind die Flaschen, die Sie für den Ornellaia-Wein von 2014 gestaltet haben, Ihre erste Auftragsarbeit für ein Unternehmen?

Der 1964 in Rio de Janeiro geborene Ernesto Neto ist einer der e ­ rfolgreichsten Künstler Brasiliens und hat Ausstrahlung über das Land respektive die Region hinaus. Teile seines Werks wurden etwa im Guggenheim Museum in Bilbao oder dem Museum of Modern Art in New York ausgestellt, und es ist auch in verschiedenen wichtigen Sammlungen in Europa und Amerika vertreten, etwa in der TBA21 – Thyssen-Bornemisza Art Contemporary – in Wien von Francesca von Habsburg (sehen Sie dazu bitte auch den separaten Bericht über die Kunststadt Wien auf Seite 36). Bekannt wurde er vor allem mit seinen g ­ ehäkelten Skulpturen aus dünnen Stoffen, Gewürzen und Steinen. Damit berufe er sich auf die Moderne, auf biomorphe Abstraktionskunst, Arte Povera und Minimalismus aus Nordsowie Südamerika, steht in einem Beitrag über ihn, der von einem Guggenheim-­Vertreter geschrieben wurde. Seit einigen Jahren beschäftigt Neto sich mit Gebräuchen und Traditionen respektive darauf f­ ussenden Erkenntnissen der Huni Kuin, brasilianischer Ureinwohner im A ­ mazonasgebiet. Es gehe ihm vor allem darum, das Verhältnis des indigenen Volks zur Natur sowie dessen Umgang mit der eigenen Intuition unserer von Technologie beeinflussten Gesellschaft näherzubringen. In der Schweiz hat Bob van Orsouw, der in Zürich eine Galerie betrieb, Ernesto Neto vertreten und Werke von ihm verkauft; heute wird er etwa von der Tanya Bonakdar Gallery in New York repräsentiert. Dieses Gespräch fand Anfang des Jahres in Mailand statt, als die neuste Künstleredition grossformatiger O ­ rnellaia-Weinflaschen (für den Wein des Jahrgangs 2014) vor­gestellt wurde. Neto gestaltete dafür, zusammen mit den Huni Kuin, die Etiketten. Wie ist Ihr Verhältnis zu Wein?

Ich habe viel getrunken in meinem Leben, Alkohol war wichtig für meine persönliche Entwicklung und die meines Werks. Am Anfang war es aber Marihuana, ich habe auch viel geraucht. M ­ arihuana hat mein Herz geöffnet und dazu geführt, dass ich ­erkannt habe, was essenziell ist – die Natur nämlich. Doch als ich

Ja, mein erstes Mal. Und es war eine interessante Erfahrung. Gestern, als ich hier ankam [die Präsentation der KünstlerflaschenEdition fand in Mailand statt; ich befragte ihn ­a nschliessend dort], gab es eine Veranstaltung, abgehalten von den Verantwortlichen, bei der es um die Zukunft des Weinguts und die Herausforderungen ging, die an Luxusgüter-Anbieter im weiteren Sinn gestellt werden. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich würde keinen Anlass besuchen, bei dem es um die Zukunft des Kunstmarkts oder um Herausforderungen für Sammler geht, ich bin weit weg von dieser Welt, meine Galerie schützt mich davor. Sie fielen vor einigen Jahren mit Ihren grossen Skulpturen aus gehäkelten Gebilden auf, die zum Teil riechen, weil sie Gewürze enthalten. Woran arbeiten Sie zurzeit?

Ich beschäftige mich vor allem mit den Huni Kuin, den brasi­ lianischen Ureinwohnern in den Regenwäldern im Amazonas­gebiet, und mit ihren Lebensräumen. Sie haben noch immer einen starken Bezug zu den Urkräften der Natur, von denen wir in unserer Zivilisation fast nichts mehr mitbekommen. Ihre Nähe zu den Geistern des Urwalds interessiert mich; diese Menschen haben eine Reinheit, die wir verloren haben. Ich arbeite mit ihren Kräutern und ihrer Medizin, im Augenblick ist mein Werk davon beeinflusst. Vorvergangenes Jahr etwa haben Sie im Wiener Augarten zusammen mit einigen Huni Kuin Rituale abgehalten, das heisst, Sie haben erzählt von Einsichten, die die Ureinwohner Ihnen vermittelten und von Erfahrungen, die Sie machten, weil Sie sich auf Traditionen und ­Gebräuche der Huni Kuin einliessen. Kann man das als Konzeptkunst bezeichnen?

Nicht unbedingt. Mit anderen Worten: Kann man die Kunst, die Sie zurzeit herstellen, anfassen, kaufen?

Zum Teil, aber das ist nicht das entscheidende Kriterium. Es gibt sehr viel, was man nicht anfassen oder kaufen kann. Erfahrungen zum Beispiel. Oder auch dieses Gespräch. Oder nehmen wir ein Werk, wie ich es früher herstellte, eine mit Gewürzen g ­ efüllte Skulptur: Für den einen Menschen, der es anschaut, riecht es so, für einen anderen riecht es anders. Beide werden irgendwie

Ich habe viel getrunken in meinem Leben, Alkohol war wichtig für meine persönliche Entwicklung und die meines Werks. Am Anfang war es aber Marihuana, ich habe auch viel geraucht. Marihuana hat mein Herz geöffnet. 22  WW Magazin

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Bilder: Courtesy of the artist and Tanja Bonakdar Gallery, New York

Story  WW-Persönlichkeit


«Sit Ring Sit Body» im GuggenheimMuseum in Bilbao, 2014.

«Humanóids ­Family», sechs Elemente aus ­p olyamidem Textil, 2001.


Bild: Courtesy of the artist and Tanja Bonakdar Gallery, New York


Installation in der Tanya Bonakdar Gallery, New York, 2016.


«Ich bin weit weg von dieser Welt, meine Galerie schützt mich davor» – Ernesto Neto über den Kunstmarkt; fotografiert im Mailänder Palazzo Serbelloni, dem Sitz von Sotheby’s Italia.


Bild: Courtesy of the artist and Tanja Bonakdar Gallery, New York

berührt, und zwar auf der gleichen Ebene, aber die Erfahrungen, die sie machen, sind unterschiedlich. Weshalb sind Gerüche und Düfte wichtig für Sie als Künstler?

Weil sie uns aufwecken. Und uns sagen, dass wir, zumindest in den westlichen Gesellschaften, zu viel mit den Augen wahr­nehmen. In den Industrieländern wird das Sehvermögen als wichtigster Sinn der Menschen verstanden. Das hat wohl auch damit zu tun, dass Sehen eine verhältnismässig objektive Sache ist. Wenn wir beide vor einem Haus stehen, sehen wir das Haus mehr oder weniger gleich. Wogegen Gerüche, Geschmäcke oder auch Töne viel subjektiver empfunden werden. Und in westlichen Kulturen wird Objektivität als wichtiger verstanden als Subjek­tivität, es reicht nicht, wenn jemand etwas sieht. Es ist besser, wenn etwas als allgemeinverbindlich erklärt werden kann – so ist es. Wir leben in e­ iner Gesellschaft, die von Bildern dominiert wird. Bilder sind mehr wert als Töne oder Gerüche, meinen wir. Und darin liegt, von mir aus gesehen, ein Teil des Problems unserer Gesellschaft. Wir sind besessen von Bildern – Bildern in Magazinen, im Fernsehen oder in Videospielen und so weiter. Wir sind eine Bildergesellschaft ­geworden. Deshalb sollten wir unsere ermüdeten Augen schliessen und anfangen, wieder zu fühlen. Das habe ich gelernt von den ­Naturvölkern des Amazonas. Es geht darum, hier zu sein, im Hier und Jetzt. Und nicht darum, wer ich bin. Ich will Ihre Erfahrungen nicht kleinreden, aber irgendwie ist das ein Klischee: Der Künstler aus der Grossstadt lernt im Urwald von ­Menschen, die unter völlig anderen Rahmenbedingungen leben . . .

Von mir aus. Aber für mich sind es dennoch starke und ­wichtige Erfahrungen. Und vielleicht nicht nur für mich. Ich g ­ laube, bestimmte Verhaltensmuster des Menschen sind h ­ ardwired, tief drin in unserem System. Zum Beispiel der Angst­reflex – es ist besser, davonzurennen, wenn es nach Gefahr riecht oder wenn Geräusche darauf hinweisen, dass vielleicht übermächtige Feinde in der Nähe sind, als sich auf einen Kampf einzulassen, den man nicht gewinnen kann. Die Ureinwohner wissen das, sie lassen sich von all ihren Sinnen leiten, um zu überleben. Wir tun das nicht mehr. Wir verlassen uns auf unsere Augen und meinen, die Objektivität unserer Einschätzung gebe uns recht. Das führt zu Fehleinschätzungen, die gefährlich sein können. Auch wenn es nicht um Konfrontationen mit wilden Tieren oder feindlichen Kriegern geht. Sie nehmen Ayahuasca [psychedelisch wirkender Pflanzensud, der ­ religiöse Gebrauch ist etwa in Brasilien rechtlich garantiert; ­Wikipedia], weshalb?

Stimmt, das tue ich, regelmässig und oft. Weshalb? Weil ­ yahuasca meine Verbindung zur Natur herstellt. So kann ich eine A spirituelle Verbindung mit den Naturkräften eingehen. A ­ yahuasca öffnet mir Türen, Türen zur Heiligkeit. Das Ayahuasca-Gebräu ermöglicht es mir, Kräfte zu spüren, die ich sonst nicht spüren kann. Es ist aber nicht so, dass diese Kräfte nur da sind, wenn man Ayahuasca konsumiert, sie sind immer und überall um uns herum. Es ist bloss so, dass wir erst Zugang zu diesen Kräften erhalten, wenn wir uns auf die Ayahuasca-Zeremonie, g ­ eleitet von einem erfahrenen Schamanen, einlassen. Und wenn wir b ­ ereit sind, das gesamte

Kunstwerk aus ­P olyamiden, Holz und Gewürzen: «Cai Cai Marrom», 2007.

Ritual mit Gesängen, Gebeten et cetera zu vollziehen. Für mich ist Ayahuasca der Tee der Liebe. Darum geht es in der Natur – um Liebe. Und mir geht es auch darum, darauf hinzuweisen, dass der Urwald in Brasilien abgeholzt wird. Der Wald, von dem wir, wie von dessen Bewohnern, so viel lernen können, wird jeden Tag um viele Quadratkilometer dezimiert. Durch ­illegales, aber auch offizielles, erlaubtes Roden. Das ist für mich als Brasilianer eine Tragödie. Aber es gibt auch Hoffnung: Der Bauer und Forscher Ernst Gotsch, ein Schweizer übrigens [eigentlich Götsch], der vor fünfzehn Jahren mit seiner Familie nach Brasilien auswanderte, hat eine M ­ ethode entwickelt, wie man Ödland in Regenwald transformieren kann. Das ist grossartig. Sie leben in Rio de Janeiro. Das mag eine schöne Stadt sein, die aber weit weg ist vom Schuss, wenn man ein Künstler ist, dessen Werke in amerikanischen und europäischen Sammlungen sowie Museen sind. Bleiben Sie dennoch in Brasilien?

Es ist doch schön für einen Brasilianer, wenn er euch im W ­ esten was geben kann, nicht wahr? Aber für mich stellt sich diese F ­ rage eigentlich gar nicht. Brasilien ist, wo meine Wurzeln sind. Und meine Kunst sind meine Blätter, sozusagen. Diese Blätter teile ich

Die Ureinwohner lassen sich von all ihren Sinnen leiten, um zu überleben. Wir tun das nicht mehr. Wir verlassen uns auf unsere Augen und meinen, die Objektivität unserer Einschätzung gebe uns recht. Nr. 2 2017

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Story  WW-Persönlichkeit

Ernesto Neto bei einer Performance mit Huni Kuin im Museum Aalborg in Dänemark, 2016.

gerne mit der Welt. Aber ohne Wurzeln stirbt der Baum ab, und seine Blätter werden welk. Der brasilianische Wirtschaftsboom ist vorbei, die Fussballwelt­meisterschaft und die Olympischen Spiele sind es ebenfalls – Wirt­schaftsskandale und politische Krisen sind wieder an der Tagesordnung . . . Wie lebt es sich in Brasilien?

Die Lage, muss ich sagen, ist schwierig. Unsere Stimmung ist schlecht. Am Boden. Irgendwie haben wir uns, so sieht es aus, noch immer nicht von der 1:7-Niederlage erholt [Ergebnis des Halbfinalspiels Brasilien gegen Deutschland von 2014]. Was wir verloren haben, war mehr als ein Fussballspiel, wir haben unseren Glauben daran, dass alles doch irgendwie gut wird, verloren.

Für einen Künstler sind, was seine kreative Leistung angeht, schlechte Zeiten vielleicht besser. Weil es mehr darzustellen, aufzuarbeiten und zu bemängeln gibt, einverstanden?

Das kann sein, aber ich bin kein Trübsalbläser, kein negativer Mensch. Ich glaube daran, dass das Leben gut und schön ist. Aber auch daran, dass man sich anstrengen muss im Leben. Und zwar nicht bloss einzelne, alle müssen an die Säcke, an die Arbeit. Dann kommt es gut.

Es war nicht bloss eine Niederlage. 1:7 ist ein Ergebnis eines Matches an einem Grümpelturnier, wenn die Mannschaft, die verloren hat, drei Spieler weniger hat oder so. Das Ergebnis war wie ein Absturz in den Marianengraben. Aber das ist natürlich nicht der wahre oder besser: der einzige Grund für die schlechte Stimmung. Brasilien ist ein Land, das sozusagen über Nacht von einer Agrargesellschaft in eine moderne, technologiebasierte Gesellschaft befördert wurde. Natürlich haben nicht alle Brasilianer Zugang zu technologischen Entwicklungen, aber es ist der grösste Wunsch von vielen. Wir Brasilianer haben ein ungesundes Verhältnis zu modernen Erfindungen und Geräten. Und wir sind überfordert davon. Wie Kinder auf einem Rummelplatz mit zu viel Geld und zu wenig Überwachung durch die Eltern oder Erzieher. Es ist ungesund, weil wir so unsere Wurzeln verlieren. Und unseren Halt im Leben.

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OR N E L L A I A 2014 – «DI E E S SE N Z »

Die von Ernesto Neto gestaltete Weinflaschen-Edition für den Ornellaia 2014 wurde Ende April in New York für 114 000 Dollar versteigert (neun Lose); der Erlös kommt dem Solomon Guggenheim Museum respektive der Foundation zugute. Seit 2009 gibt es für jeden Ornellaia-Jahrgang eine sogenannte «Künstlerlese».

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Bild: Getty Images

Schwer vorstellbar für einen Schweizer, dass es so starke Auswirkungen auf den Zustand eines Volks haben kann, wenn man im Fussball gegen die Deutschen verliert . . .


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«Ich liebeXXXX das Auto, Styling: XXXX XXXX XXXX  Model: XXXX

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Bild: Xxxxxx Xxxxxxx

Bild: BMW AG/ The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc./2017 ProLitteris, Zürich

es ist besser als das Kunstwerk» – Warhol über den von ihm bemalten BMW M1 von 1979.


Kunstwerke auf Rädern  Story

CARS Text:

TOBIAS MOORSTEDT

Wenn Männer etwas beeindruckt, dann bemalen sie es: ­Höhlenwände, Kirchenkuppeln, Turnschuhe. Nur logisch also, dass auch Autos zu Projektionsflächen w ­ urden. Längst ­stellen von Künstlern gestaltete Wagen ein ­eigenes GENRE IM KUNSTBETRIEB dar. Solche Vierräder sollen aber nicht bloss schön aussehen, sondern die Marke ­begehrlich machen und das STAHLBLECH MIT GEFÜHLEN aufladen. Oder wie Andy Warhol sagte: «Gute Geschäfte sind die besten Kunsterke.» Nr. 2 2017

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1. Alexander Calder mit Hervé Poulain im Atelier. 2. Modell der Volvo Art Session 2011, gestaltet von C-Line. 3.  Maserati von­ Mr. Brainwash, Art Basel ­M iami Beach, 2014. 4. Andy Warhol beim ­Streichen seines ­Rennwagens, 1979.­ 5. Roy Lichtenstein bei der ­G estaltung. 6. Das Ergebnis: BMW 320 von Roy Lichtenstein, 1977.

Bild: Xxxxxx Xxxxxxx

Das Automobil hat eine düstere Vergangenheit – und hier geht es nicht um die Russwolken, die in der Prä-KatalysatorÄra aus dem Auspuff quollen. Die ersten Fahrzeuge, wie das Ford Model T, die Anfang des ­ 20. Jahrhunderts in Massenproduktion hergestellt wurden, waren alle schwarz. Denn schwarzer Lack t­ rocknete am schnellsten, innerhalb von 48 Stunden, und war deshalb am wirtschaftlichsten. «Sie können ihr Auto in jeder Farbe haben», sagte Henry Ford, «solange es schwarz ist». Erst 1923 wurde der sogenannte Duco-Lack entwickelt und von General Motors eigesetzt. Der Strassenalltag wurde farbiger. Der Mensch hat sich bei der Gestaltung von O ­ bjekten und Flächen, die für sein Dasein b ­ esondere Bedeutung haben, schon immer Mühe gegeben und sie gerne und oft bemalt, das sieht man an Höhlenwänden, Kirchenkuppeln oder Turnschuhen. Kein Wunder, dass das von einem Künstler bearbeitete Automobil ein e­ igenes Genre im Kunstbetrieb darstellt: Art-Cars. In ­Amerika gibt es Museen für besonders gestaltete Fahrzeuge, oder sie kommen in Paraden vor: BMW lädt etwa seit den 1970ern Künstler wie Andy Warhol oder R ­ obert Rauschenberg ein, Rennwagen zu gestalten. Und John Lennon, der in seiner Biografie schrieb, dass er immer davon geträumt habe, ein exzentrischer Millionär zu sein, liess seinen Rolls-Royce ­Phantom V 1967 von dem niederländischen Künstlerkollektiv The Fool in leuchtenden Farben im Stil eines Zigeunerwagens b ­ emalen. Für diesen Akt wurde Lennon auf der ­Strasse ­beschimpft: «You swine! How dare you do that to a Rolls-Royce?», soll eine Passantin geschimpft ­haben («Sie Schwein, wie können Sie es wagen, das e­ inem RollsRoyce anzutun?») Was ist erlaubt? Warum interessieren sich Künstler für Automobile? Was erhoffen sich Konzerne und Galeristen von der Bearbeitung der rasenden 3-D-Leinwand? Und können Fahrer, Designer und Ingenieure etwas von Künstlern lernen? Das Auto, schrieb der deutsche Autor und Sportwagenlyriker Ulf Poschardt, sei seit seiner Erfindung im Jahr 1886 ein «dynamisches Denkmal kompromissloser Z ­ uversicht». Man kann auch Marinetti und sein futuristisches

Der Philosoph P ­ eter ­Sloterdijk erklärt die Liebe zum Auto so: «Es ist für mich ein ­Intensivierungsmittel, ein kinetisches ­Antidepressivum.»

Manifest aus dem Jahr 1909 ­ zitieren, um zu diesem Schluss zu kommen. Weil sein T ­ echnoRetro-Duktus so ­inspirierend, metallisch-gefährlich vor sich hin blubbert wie ein gut getunter V8-Motor: «Die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie grosse Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen.» ­Marinetti lobte das «aufheulende Auto», und schrieb: «Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält.» Die neue Technik war das passende Werkzeug für den neuen Menschen, das Individuum, das die räumliche ­Distanz besiegt und sich die Welt untertan gemacht h ­ atte. H ­ annes Köpper, ein Vertreter der neuen Sachlichkeit, huldigte mit seinem Gedicht «327 Stunden-­kilometer» den im März 1927 aufgestellten Weltrekord für Landfahrzeuge. Und der Philosoph Peter Sloterdijk schrieb, viele Jahre später, der menschlichen Automobilliebe sei mit praktischen Erwägungen nicht beizukommen: Das Auto ist für ihn ein Intensivierungsmittel, ein kinetisches Antidepressivum. Die BMW-Art-Car-Reihe geht auf den französischen Rennfahrer und Galeristen Hervé Poulain zurück, der den Konzern 1975 um einen Sportwagen für das 24-StundenRennen von Le Mans bat. Als Gegenleistung bot er an, dass der mit ihm befreundete Künstler Alexander Calder das Renngerät bemalen würde. Und wirklich: Er bekam einen BMW 3.0 CSL, den C ­ alder in leuchtenden Farben gestaltete (im Rennen musste P ­ oulain wegen technischer Probleme aufgeben). «Das Projekt war zu Beginn kein PR-Gag», sagt ­Dr. Thomas Girst, der a ­ ktuelle Leiter des Kulturengagements von BMW, «sondern ist aus der Leidenschaft heraus entstanden.» Aber natür5 lich verstand man im Konzern das ­Marketingpotenzial der Idee und beauftragte in den folgenden Jahren immer wieder grosse Künstler mit der G ­ estaltung von Rennwagen. Und die Kreativarbeiter machten gerne mit: In der Pop-Art-Ära avancierte das Automobil wie alle Massenprodukte zu einem favorisierten Kunstobjekt. 1979 gestaltete Andy Warhol, der gute Geschäfte einmal zur besten Kunst erklärt hatte, einen M1 und meinte: «Ich liebe das Auto, es ist besser als das Kunstwerk.» Kunst und Marketing haben eine enge Beziehung; nicht nur, weil es darum geht, Dinge zu schaffen, die das Auge und das dahinterliegende Gehirn anregen. «Wer meine Kunst betrachtet, kann sich gut fühlen, ganz ohne theoretische Erklärung. Das meine ich nicht ironisch», sagte

Bilder: BMW AG, The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc./2017 ProLitteris, Zürich, WorldRedEye, Estate of Roy Lichtenstein/2017 ProLitteris, Zürich

Story  Kunstwerke auf Rädern

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Bilder: Getty Images, BMW AG, Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved/2017 ProLitteris, Zürich

Kunstwerke auf Rädern  Story

BMW-Art-Cars ­wurden im Louvre in ­Paris ausgestellt. Der von ­Damien Hirst ­gestaltete Audi ­wurde für eine ­sechsstellige Summe ­versteigert.

1. Rolls-Royce Phantom ­V 1967 von John Lennon. 2. BMW, gestaltet von Jeff Koons, 2010. 3. Ferrari von Ben Levy. 4. Der Audi A1 von ­ Damien Hirst, 2010. 5. Der BMW, der unter einer Eisschicht verschwand, von Olafur Eliasson, 2007.

Bild: Xxxxxx Xxxxxxx

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etwa Jeff Koons, der 2010 das 17. Art-Car gestaltete. Er klebte bunte Vinylstreifen auf schwarzen Grund und schuf so ein Objekt, das selbst auf einem Podest als Symbol der Dynamik wirkt. Die Anziehungskraft zwischen Kreativen und Konzernen ist aber nicht nur durch die gegenseitige Aufmerksamkeitssteigerung zu erklären, die zu einer der im Geschäftsleben ­besonders beliebten Win-win-Situation führen kann. «Ich interessiere mich sehr für Führungspositionen, ich mag die Verführung des Verkaufs», schrieb Koons 1989 im Kunstmagazin Parkett – gleichzeitig e­ rkennen sich Manager in der genialischen Einzelfigur des Künstlers wieder. Am Ende sind alle Verkäufer und Verführer, Macher und Schaffer. Die «BMW Art-Cars» wurden im Louvre in P ­ aris und im Guggenheim-Museum in New York ausgestellt. Aber auch andere Automobilhersteller suchen die A ­ useinandersetzung mit der Kunst: Audi stellte der E ­ lton-John-AidsStiftung 2010 einen A1 zur Verfügung, der von Damien Hirst gestaltet und für eine s­ echsstellige S ­ umme versteigert wurde (das Auto sah aus, als wäre es während einer Demonstration mit bunten Farbbeuteln beworfen worden). Auf der Art-Basel-Miami-Beach-Kunstmesse wurde 2015 für das Projekt «Artceleration» ein Ferrari F430 von den Künstlern ­Retna, Ben Levy und Edouard Duval-Carrié bemalt. Und Volvo veranstaltet in Zürich seit Jahren eine ­sogenannte Art Session. Vergangenes Jahr wurde dafür ein V90 in einer Multimedia-Show Teil einer Tanzperformance des Duos Wang & Ramirez und dann von dem Berner Künstler Ata Bozaci live gestaltet. Die meisten Kunst-Karren dienen als R ­ equisite in einer Marketinginszenierung oder als p ­ assive Oberfläche, die bemalt wird. Frank Stella, der das BMW Art-Car 1976 entwarf, sprach davon, ein sympathisches D ­ ekor für das Auto kreieren zu wollen (er bemalte es als Hommage an Designer im Millimeterpapier-Look). Die meisten Künstler machen nichts anderes, als die ­Karosserie zu bepinseln, also die Marke mit ­ihrer ­Duftmarke zu versehen und das Metall als Reflektionsfläche zu nutzen. Aber geht da nicht noch mehr? ­Jenny Holzer bemalte 1999 einen BMW V12 LMR mit ­ihrem Slogan: «Protect Me From What I Want». Das war i­mmerhin wunderbar mehrdeutig: Wer braucht Schutz? Und vor was? Vor der Todessehnsucht des Rennfahrers? Oder gar der Gier der Konsumgesellschaft? Dem Überschallknall vielleicht? BMW-Mann Thomas Girst legt Wert darauf, dass die Auswahl der Art-Car-Künstler durch eine Jury, in der unabhängige Persönlichkeiten sitzen, erfolgt. Und die ­Namensliste liest sich tatsächlich wie das Who’s who der Kunstwelt (derzeitige Mitglieder der internationalen Jury sind unter anderem Hans-Ulrich O ­ brist, Richard ­A rmstrong und Beatrix Ruf). «Die Künstler sollen eine ähnlich grosse Freiheit geniessen wie u ­ nsere D ­ esigner und Ingenieure», sagt Girst. Unweigerlich fragt man sich aber, wie der Konzern reagieren w ­ ürde, wenn ein Künstler in die Richtung denken

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würde wie S ­ ylvie Fleury mit ihren «Crash Car»-Arbeiten, bei denen bonbonbunt-lackierte Motorhauben unter Druck aufplatzten wie Wunden. «Wir gehen davon aus, dass uns unsere Partner nicht schaden wollen», sagt Girst. «Und natürlich gibt es Verträge.» Rassistische oder pornografische ­Arbeiten seien etwa nicht erlaubt. Girst gibt auch g ­ erne zu, dass man in der Münchner Zentrale geschluckt habe, als Olafur Eliasson 2007 den wasserstoffbetrieben Prototyp HR2 unter einer Eisschicht verschwinden und alle weissblauen Logos aus dem Auto brechen liess. «Kann ich als Künstler meine Ideen in das Gewebe ­einer corporate culture integrieren, oder werde ich verschluckt?», fragte sich der dänisch-isländische Künstler damals. Aber auch die umgekehrte Frage ist spannend: Was macht der grosse Betrieb mit den externen Ideen? Versanden sie, oder werden sie genutzt? Kann die ­Arbeit an einem Art-Car Teil von research and development sein? Laut Tomas Girst kommt es zu einem intensiven Austausch zwischen Designabteilung, Technikern und den Künstlern. «Die Publikation, die Eliason über die Zukunft der Mobilität erstellt hat, gehört zur ­Pflichtlektüre unserer Designer.» Ende Mai wird BMW in Peking die jüngste Art-CarEdition vorstellen, die von der chinesischen Medienkünstlerin Cao Fei gestaltet wurde. Die 38-Jährige hat keinen Führerschein, was angesichts von Uber und – bald schon – fahrerlosen Autos nur zeitgemäss ist. Der Drang, das Funktionsobjekt Automobil zu reflektieren und transzendieren, wird auch im 21. Jahrhundert erhalten bleiben. Denn in den kommenden Jahrzenten werden sich Personenwagen wohl stärker verändern, als sie es im ersten centennial ihrer Existenz getan haben – sie sollen smarter, effizienter und vernetzter werden. Und hoffentlich sauberer und sozialer. Für Thomas Girst ist die Art-Car-Reihe auch eine Dokumentation verschiedener Mobilitätskulturen: «Hier ist der Geist der Zeit eingeschlossen wie in Bernstein.» Noch weiss man nicht, was Cao Fei genau plant, sie gab bloss an, sich mit «autonomen Fahrzeugen, Flug­ objekten und Virtual Reality» beschäftigen zu wollen. Das passt in die Zeit, denn: Braucht man überhaupt noch ­Autos, wenn einen die VR-Brille in Sekunden an jeden Ort der Welt und des Internets beamt? Vielleicht wird ein Auto, das Art-Car der Medienkünstlerin Cao Fai, eine erste Antwort auf diese Frage geben.

BMW ART CARS von Thomas Girst, 200 Seiten, Hatje Cantz, 2014, ca. Fr. 39.40

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Story Reisereportage

ist Kunst

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Bild: Xxxxxx Xxxxxxx

Ganz Wien

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Ein Ausflug in DIE GRÖSSTE STADT UNSERES ­Ö STLICHEN NACHBARLANDES ist eine prima Idee, wenn man sich für KUNSTWERKE UND ­M USEEN interessiert. Von beidem gibt es ein grosses Angebot: Zeit für EINE ­E NTDECKUNGSREISE . Text: SARAH STUTTE  Bilder: KATARINA ŠOŠKIĆ

Entlang des Donaukanals dürfen sich die ­Graffiti-Künstler völlig legal austoben.


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Story  Reisereportage

Um zeitgenössische Kunst zu entdecken, b ­ eginnt man am besten im Künstlerviertel Wiens, dem 7. Bezirk, also mitten im Zentrum – wenn nicht der Stadt, so doch des G ­ eschehens. In «Boboville» (nach den ­bourgeois bohemians benannt, die sich hier hauptsächlich ansiedeln) erlebt man die junge, kreative Szene, umgeben von Museumsquartier und Theatern, von Designbüros, Ateliers und kleinen Läden. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, sollte man hier übernachten. Am besten im Hotel ­«Altstadt ­Vienna» am Spittelberg. In einem traditionellen Patrizierhaus untergebracht, ist das ­Boutiquehotel zugleich Wohnung und G ­ alerie. Alle 45 Zimmer, Suiten und Appartements s­ owie die darin enthaltenen, unikaten M ­ öbel, Lampen und Bilder, werden laufend ausgetauscht, doch es handelt sich dabei immer um individuell von verschiedenen Künstlern, Designern und Architekten gestaltete Stücke. Der Schauplatz für Fotografie, das ­Westlicht, ist gleichzeitig A ­ usstellungsort, ­Kameramuseum und Auktionshaus. Vom ­österreichischen Architekt und Designer ­Gregor Eichinger entworfen, waren hier etwa Arbeiten von Henri Cartier-Bresson, ­Sebastião Salgado oder Alexander Rodtschenko zu s­ ehen und teilweise zu ersteigern. Nach nur fünf Gehminuten erreicht man das Museumsquartier, eines der zehn weltgrössten Kunst- und Kulturareale mit über sechzig verschiedenen Einrichtungen. Früher waren dort die Hofstallungen untergebracht (um 1720 erbaut) und danach der Messe­palast, bis es 1997 zum heutigen Museumszentrum umfunktioniert wurde. Gelangt man von der Burggasse aus über einen Seiteneingang auf das Gelände, kommt man an der «Electric Avenue» des Q21 vorbei. Hier stellen unabhängige Kulturinstitutionen wie Station Rose oder Monochrom ihre digitalen Künstlerbüros ins Schaufenster, präsentieren VideokunstAusstellungen und begehbare Schnittstellen. Um in den Innenhof zu gelangen, muss man durch die Tonspur-Passage, eine SoundInstallation von wechselnden Künstlern, die

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Ganz oben: Die grösste Privatsammlung von ­ Egon Schiele im L ­ eopold-Museum. Oben, Mitte: Sofas von Franz West im Eingangsbereich des MAK. Oben: Gustav Klimts Gemälde «Der Kuss» im M ­ useum Belvedere.

Nach nur fünf Gehminuten erreicht man das ­Museumsquartier, eines der zehn weltgrössten Kunstund Kulturareale mit über sechzig verschiedenen ­Einrichtungen. Mai / Juni

ihre Klangarbeiten so öffentlich hör- und erlebbar machen. Das Deckenbild wurde von der italienischen Malerin und Installationskünstlerin Esther Stocker entworfen. Einige Schritte weiter steht man dann ­direkt vor dem quaderförmigen, aus Vulkangestein gefertigten Mumok (Museum moderner Kunst), das schon mit seiner Fassade das Rebellische des Wiener Aktionismus ­widerspiegelt. Letzterer ist dann auch im I­ nneren des Gebäudes vertreten, neben e­ iner aussergewöhnlichen Sammlung der klassischen ­Moderne und des Pop-Art bis zu aktueller Film- und Medienkunst. Man findet hier ­Werke von Günter Brus, Pablo P ­ icasso und Andy Warhol, neben Ausstellungen des slowakischen «Ufonauten» Július Koller oder der Londoner Installationskünstlerin Hannah Black (noch bis zum 18. Juni). Im hauseigenen Kino geht es um die Auseinandersetzung der bildenden Kunst mit dem Film. Direkter Nachbar des Mumok ist die ­Kunsthalle, deren denkmalgeschützte Fassade einst für die dort untergebrachte W ­ interreithalle ­gestaltet ­w urde. Später wurde sie um einen roten Ziegelbau, der zwei Ausstellungshallen beherbergt, erweitert. I­ nternationale Gegenwartskunst und der gesellschaftliche Diskurs darüber werden hier miteinander verbunden. Durch einen zweiten Standort auf dem Karlsplatz, einem Glaskubus, wird das experimentierfreudige Angebot ergänzt. Das Dreigestirn wird im Haupthof durch das Leopold-Museum vervollständigt, ­ einen hellen Kubus-Bau aus Muschelkalk. In den Räumen befindet sich die grösste Privatsammlung von Egon Schiele, doch auch ­andere Expressionisten und Vertreter des ­Wiener Jugendstils wie Oskar Kokoschka, ­Edvard Munch, Max Oppenheimer oder ­Gustav Klimt werden hier ausgestellt. Genauso wie Einrichtungsgegenstände aus der Zeit der Wiener Werkstätte, die von Josef Hoffmann (­seine «Sitzmaschine» sieht man dort etwa) und K ­ oloman Moser begründet wurde, und auch Möbelstücke von Wiens bekanntestem ­Architekten Otto Wagner gezeigt werden. Hinter dem M ­ useumsquartier ist das Depot zu entdecken. Regelmässig finden hier V ­ orträge, Podien und Seminare zu Migration oder Rassismus in der Kunst statt. Das Lokal zählt zu den bekannteren Off-Spaces (temporäre ­Ausstellungsräume; weitere für junge Kunst sind V.esch, Das ­weisse Haus, Kluckyland oder Futur 2). Weiter geht es in den 3. Bezirk und zur altehrwürdigen Kunstsammlung im ­Oberen und Unteren Belvedere. Hier wartet die grösste Sammlung an Ölgemälden von Gustav Klimt, darunter auch sein Meisterwerk «Der Kuss» (am «Selfie-Point» kann man sich vor dem Nachdruck fotografieren lassen). Prunke

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Organische Formen, viel Farbe – das muss ein Hundertwasser sein – Kunsthaus Wien.

Säle mit marmorierten Böden, vergoldete Spiegel, reich verzierte Stuckdecken und Blicke in den herrschaftlichen Park sind ­inklusive. E ­ inige Gehminuten entfernt liegt das 21er Haus, der ehemalige österreichische Expo-­Pavillon, der von Brüssel nach Wien verlegt ­wurde und einheimische Kunst von 1945 bis heute überdacht. Im gleichen Bezirk befindet sich das Kunsthaus Wien, das von Friedensreich H ­ undertwasser als erstes Wiener Privatmuseum gegründet wurde und seinen gestalterischen Grundsätzen folgt («Der gerade Boden ist eine Erfindung der Architekten»). Seine Bilder, Originalgrafiken und futuristisch-­architektonischen Entwürfe für begrünte ­Dächer und Pflanzenkläranlagen gibt es hier zu entdecken. Die Wechsel­ausstellungen im Untergeschoss und in der «Garage» widmen sich der Fotografie. Unweit des Kunsthauses liegt die Verbindungsbahnbrücke, die über den Donaukanal führt und den 3. mit dem 2. Bezirk verbindet. Läuft man dort am Wasser entlang, sieht man nicht nur gemütliche Strandbars wie das «Hermann» oder den «Tel Aviv Beach» (­betrieben von Haya Molcho, Gründerin der «Neni»-­Restaurants, von denen es auch zwei in ­Zürich gibt), sondern an den Mauern auch jede Menge Graffitis und Wandbilder. In der Urban Space Gallery (im 7. Bezirk, unweit des Westlicht) werden (noch) unbekannte street artists mit Spraydosen versorgt und populär Tommy xxxxxx trägt ein Jackett und einxxxx aus der xxxxx-HilfigerNr. 2 2017 «Tailored»-Kollektion.

gemacht. Bereits internationale Ausstrahlung hat der österreichische Graffiti-Künstler ­Nychos erreicht, er betreibt seine eigene Galerie (Gumpendorferstrasse 91) und s­ tellte schon in Amerika aus. Im 4. Bezirk, entlang der Schleifmühlgasse, befinden sich die Galerien (Georg Kargl, Christine König, Gabriele Senn), die zu den etabliertesten zählen. Weitere sind an der Eschenbachgasse unweit des Museumsquartiers und an der Seilerstätte im 1. Bezirk gelegen (Steinek, Lukas Feichtner, Krinzinger). Im 4. Bezirk ausserdem sehenswert ist das Haus der Fotografie, das von der ­Fotoschule Wien betrieben wird und in einem ehemaligen Pornokino untergebracht ist. Hier wird der Nachwuchs in Lehrgängen und Workshops gefördert und ausgestellt. Im ­1. Bezirk warten noch das MAK (Museum für angewandte Kunst), das Kunsthistorische Museum und die ­Albertina auf einen Besuch. Im MAK werden Möbel, Glas, Porzellan und Textil ausgestellt, Kunsthandwerk der Wiener Werkstätte oder der blattvergoldete Entwurf Klimts für den Fries des Palais Stoclet in Brüssel. Eine Schausammlung über Asien, der von Jenny Holzer gestaltete Biedermeier-Saal, die zwölf Sofas von Franz West im Eingangsbereich (die man auch benutzen darf) und das Design-Labor im Untergeschoss sind ebenfalls sehenswert. Das Kunsthistorische Museum (durch Carl von Hasenauer und Gottfried Semper 1872 erbaut) überzeugt mit seiner prächtigen

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Hundertwasser entwarf Ideen für Pflanzenkläranlagen und begrünte Dächer.

­ uppelhalle und den Kunst-Wunderkammern, K wo unter anderem Benvenuto Cellinis Goldschmiede-­arbeit, die Saliera, zu bestaunen ist (sie wurde 2003 gestohlen und drei Jahre später wiedergefunden, vergraben in einem Waldstück) oder das Natternzungen-Kredenz, mit dem man Vergiftungen durch Verfärbungen feststellen konnte. In der Gemäldegalerie hängt die weltgrösste Brueghel-Sammlung. Zudem beherbergt sie Raffaels «Madonna im Grünen», V ­ ermeers «Malkunst», Meisterwerke von Rubens, R ­ embrandt, Dürer, Tizian und Tintoretto.

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Story  Reisereportage

Drei Museen – das Mumok, das LeopoldMuseum und die Kunsthalle – in einem Innenhof, das nennt man Museumsquartier.

HÖHER LEBEN

In Wien hält man sich gern auf – nicht nur der ­Kultur ­wegen, auch zum W ­ ohnen und ­Arbeiten. Die Stadt hat ­weltweit die höchste L ­ ebensqualität.

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Ganz oben: Das Haus der Fotografie, untergebracht in einem ehemaligen ­P ornokino. Oben: Im Mumok kann man Künstler entdecken, zuletzt etwa J­ úlius Koller.

Die permanente AlbertinaAusstellung umfasst eine der grössten und wertvollsten grafischen Sammlungen der Welt, zudem Werke von Monet und Chagall bis Picasso.

ien ist Bundeshauptstadt und Bundesland ­Österreichs ­zugleich. Mit einer Fläche von 415 km² ist es zwar das kleinste der neun Bundesländer, mit 1,8 Millionen Ein­wohnern jedoch die bevölkerungs­ reichste Stadt. Ausgehend von den ­Bevölkerungsszahlen ist Wien ­damit die siebtgrösste Stadt der EU, knapp ein Viertel aller Österreicher l­ eben hier. ­Unterteilt ist Wien in 23 ­Bezirke, ­wobei der 10. Bezirk (Favoriten) die meisten Einwohner und der 22. Bezirk (­Donaustadt) die grösste Fläche hat. Die grossen Parteien sind die SPÖ (­Sozialdemokratische Partei ­Österreichs) mit 44 Sitzen und die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) mit 34 Sitzen im Gemeinderat. Beide Parteien hatten in dieser Reihenfolge auch bei den letzten Wahlen 2015 – in Wien wird alle fünf Jahre ­gewählt – den grössten Stimmen­ anteil. Der durchschnittliche männliche Beschäftigte verdient in Wien um 2200 Euro brutto, bei Frauen liegt der Lohn um 1500 Euro; die Werte liegen damit über dem Durchschnitt des Landes. Die Lebenshaltungskosten sind in Wien höher als anderswo in ­Österreich: teuerste Wohnbezirke sind die Innere Stadt (Kaufpreise rund 7000 Euro pro Quadratmeter) und Neubau (rund 4900 Euro). Nichts­destotrotz wurde Wien 2017 bereits zum neunten Mal in Folge in der inter­nationalen Mercer-Studie als ­lebenswerteste Stadt ausgezeichnet. Mit dem Auto dauert’s von Zürich nach Wien ungefähr acht Stunden, eben­ so lang fährt man fünfmal täglich oder einmal in der Nacht mit dem Zug. Swiss fliegt sieben Mal täglich ab Zürich, Austrian Airlines sogar bis zu sechzehn Mal am Tag. Wir danken Wien Tourismus für die freundliche ­Unterstützung ­dieses Beitrags.

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Bild: Hannes Mlenek «Rekonstruktion», 2016/2017, ProLitteris, Zürich

Mit den wiederkehrenden Ganymed-­Inszenierungen zu einem bestimmten T ­ hema kann man Kunst dort auch auf eine neue Art und Weise erfahren: Autoren und Künstler ­laden an ausgewählten Orten im Museum mit Theater, Musik, Tanz und Performance dazu ein (momentan läuft noch Ganymed Fe Male, eine Reise durch die Gemäldegalerie mit Blick auf die ­G eschlechterverhältnisse). Auch in der Albertina läuft noch bis ­M itte Juni eine umfassende Egon-­Schiele-Retrospektive. Die permanente Ausstellung umfasst eine der grössten und wertvollsten grafischen Sammlungen der Welt, Werke von Monet und C ­ hagall bis P ­ icasso sowie die Habsburger Prunk­räume, widmet sich aber auch immer wieder der Fotografie und der zeitgenössischen Kunst. Die Wiener Secession ist heute das wichtigste Ausstellungshaus für ebensolche in der Stadt. 1897 wurde sie als Vereinigung bildender Künstler (Klimt, Moser, ­Hoffmann, ­Olbrich und weitere) gegründet, um sich vom konventionellen Künstlerhaus zu entfernen. Die Gruppe organisierte e­ igene Ausstellungen, Gustav Klimt wurde der ­ erste Präsident. Heute lädt der Vorstand Künstler ein, Arbeiten speziell für die Secession zu kreieren. Ein wenig ab vom Schuss gelegen ist die Anker Brotfabrik. Doch eine Reise in den ­10. Bezirk lohnt sich allemal. Das Kultur­ areal b ­ eherbergt verschiedene Institutionen, das Ostlicht (Pendant zum Westlicht) ist eine, das Atelier 10 ein anderes. Das Projekt der ­Caritas ist Galerie und Atelierraum in einem. Und w ­ ofür auf jeden Fall noch Zeit sein muss: die Thyssen-Bornemisza-ArtContemporary-Aussstellung im Augarten. Die Sammlung mit N ­ amen TBA21 der Kunstmäzenin Francesca von Habsburg umfasst grosse N ­ amen wie Ai Weiwei, Olafur Eliasson oder Tracey Emin. Es finden jährlich ­mehrere Wechselausstellungen statt, der Eintritt ist frei.


Reisereportage  Story

GROSSE VERGANGENHEIT, BEWEGTE GEGENWART

Die österreichische Bundeshauptstadt war ein Ort, an dem wichtige ­ Kunstrichtungen entstanden. Und auch heute passiert mehr, als man vielleicht meint. Werk des österreichischen Künstlers Hannes Mlenek in der Galerie Feichtner.

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gon Schiele, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka, Richard Gerstl und Friedensreich Hundertwasser: Alles klingende Namen, die einem in den Sinn kommen, wenn man an Wiener Künstler denkt. Die T ­ radition ist hier fest verankert, doch Wien ist keine Stadt, in der die ­Gegenwart nur wegen des Glanzes vergangener Tage strahlt. Vor allem die junge ­Kunstszene ist sehr aktiv und schafft frische Möglichkeiten, ­beispielsweise durch Off-Spaces und neue Galerien. Und engagierte Akteure hinter den Kulissen sorgen dafür, dass das Kunstangebot möglichst breit bleibt. Zuversicht strahlt etwa die Viennacontemporary aus, die noch junge Kunstmesse, die 2015 die Viennafair ablöste und ­seitdem j­ ährlich im September in der Marx-Halle stattfindet. «Unser Alleinstellungsmerkmal mit rund hundert Ausstellern ist der b­esondere Fokus auf osteuropäische Kunst, dabei sind internationale und einheimische Galerien stark vertreten», sagt die künstlerische Leiterin Christina Steinbrecher-Pfandt. Sowieso scheint der Herbst die Zeit der Wiener Kunstveranstaltungen zu sein: ­Ebenfalls von Mitte September bis Mitte Oktober findet das ­Galerienfestival ­Curated by Vienna statt, an dem sich 21 Wiener ­Galeristen beteiligen. Dazu beauftragt jede Galerie einen international tätigen ­Kurator, um eine ­Ausstellung zum Festivalthema zusammenzustellen. Den Abschluss bildet im November die Vienna Art Week, die dieses Jahr ­bereits zum 13. Mal stattfindet. Auch in der Wiener Galerienszene tut sich einiges. In letzter Zeit haben viele junge Galerien eröffnet, während die etablierten, wie diejenigen von Lukas Feichtner oder von Dr. Ursula Krinzinger, den Fokus auch auf

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junge Künstler gelegt haben und diese explizit fördern. Dr. Ursula Krinzinger, die in der einheimischen Kunstszene als I­ nstitution gilt, kam selbst Mitte der 1980er Jahre nach Wien. Seit 2002 präsentiert sie in den «Krinzinger Projekten», einem ehemaligen F­abrikgebäude im 7. Bezirk, zudem junge zeitgenössische Performancekunst mit einem Artists-in-ResidenceProgramm. Jasper Sharp, Kurator des Kunsthistorischen Museums und K ­ unsthistoriker, hebt zudem das vielfältige Kunstangebot im öffentlichen Raum hervor. Der Theseustempel im Volksgarten dient dem Museum seit sechs Jahren als Ort, an dem einmal jährlich ein einzelnes Werk präsentiert wird. Künstler wie Ron Mueck, Edmund de Waal, Richard Wright, Peter Doig oder Cecily Brown stellten ihre eigens für den Tempel geschaffenen Werke dort aus. Das Kunsthistorische Museum sorgt auch mit einer regel­ mässigen Künstler-Talk-Reihe für Abwechslung oder lädt Künstler ein, aus dem Bestand des Museums Werke auszuwählen und damit eine Ausstellung zu konzipieren. Zudem ist Jasper Sharp Direktor der privaten, philanthropischen Orga­ nisation Phileas. Diese wurde vor zwei Jahren mit dem Ziel gegründet, die Produktion, Ausstellung sowie das Sammeln zeitgenössischer Kunst im Rahmen öffentlicher Institutionen zu ermöglichen. «Es kann immer alles noch verbessert werden. Wien steht jedoch im Dialog mit dem Rest der Welt. Die Wiener Kunstszene hatte das Experimentelle immer schon im Blut, deshalb sind wir, glaube ich, auch so offen für Neues», ist Jasper Sharp überzeugt.

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«Das Bild muss die ­richtige Augenhöhe haben, ­damit es zum ­Betrachten anregt» – Studio-Arte-Inhaber Christoph Flückiger.


Kantenhängung oder Salonhängung?  Anleitung

Illustration: BRIAN REA

WIE MAN BILDER RICHTIG HÄNGT

Christoph Flückiger erklärt die ORDNUNG DER DINGE . Zumindest was die richtige ANORDNUNG VON BILDERN an einer Wand betrifft.

Text:

SARAH STUTTE

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as kann man beim Bilderaufhängen a ­ lles falsch machen, ausser, dass das Bild nachher schief an der Wand hängt?

Einiges. Man kann es zu hoch, zu tief oder nicht harmonisch hängen. Das Bild muss die richtige Augenhöhe haben, d ­ amit es zum ­Betrachten anregt. In der Regel geht man von 1,55 M ­ eter über dem B ­ oden aus, dort sollte die Bildmitte zu liegen kommen. Das geht aber nicht immer, weil beispielsweise schon ein Sideboard an der Wand steht. Wenn man ­einen sehr hohen Raum hat, muss man das Bild nach Gefühl hängen und an die Umgebung anpassen. Man kann nicht stur auf den 1,55 beharren, man muss offen sein.

zu können. Wenn man im ganzen Haus hängt, muss die Anordnung von Bild zu Bild stimmen. Auch mehrere Bilder an einer Wand müssen nicht zwingend in einer Salonhängung oder einer Hängung bündig zur Ober- oder Unterkante ausgerichtet sein. Für den Raum und das jeweilige Bild muss es passen. Gibt es noch andere Varianten, ausser der ­Salonhängung und der Kantenhängung?

Das sind die zwei wesentlichsten. Die Salonhängung oder auch Petersburger Hängung bezeichnet eine besonders enge Reihung von Gemälden, häufig bis an die Decke. Bei der Kantenhängung werden alle Bilder an einer imaginären ­Mittellinie ausgerichtet, wirkungsvoll ist das vor ­a llem in Räumen mit geringer Deckenhöhe. Sie arbeiten auch für Museen und Galerien, hängt man dort anders?

Sehr relevant. Wenn ich einen drei Meter hohen Raum habe und ein kleines Bild, kann ich eher von der Bildmitte und den 1,55 M ­ etern ausgehen. Wenn ich in denselben Raum aber ein zwei Meter grosses Bild hängen möchte, kann ich nicht von der Bildmitte ausgehen, das wäre viel zu hoch. Ich muss darauf achten, dass das Bild nicht zu nah an der Decke hängt und gleichzeitig nicht zu sehr nach unten a ­ bfällt. Es ist aber immer besser, man lässt nach oben etwas mehr Spielraum als nach unten.

In Museen werden die Bilder meistens von eigenen Mitarbeitern gehängt, und es wird ­dabei häufig die Reihenhängung angewendet. Also mehrere Bilder werden auf gleicher Höhe und in gleichem Abstand ­zueinander platziert. Bei einer Serie wird alles bündig zur Oberkante oder zur Unterkante g ­ ehängt. Hat man verschieden grosse Bilder, sind diese meistens unten bündig, wie bei einem Sockel. Wenn man einen zehn Meter langen Gang hat und zwanzig Bilder in verschiedenen Grössen, hängt man ­diese auf eine Ebene, so dass sie oben ­gegen die Decke, den Himmel, variabel sind.

Was gilt es ferner zu beachten?

Wie wichtig ist die Wahl des passenden Rahmens?

Es ist wichtig, auf den Kunden und die Umgebung einzugehen. Es gibt schliesslich grosse und kleine Menschen, hohe und ­weniger hohe Räume . . . Auch haben Bilder unterschiedliche Formate. Es gibt unglaublich viele Variabeln beim richtigen Aufhängen e­ ines Bilds. Wesentlich ist vor allem, ein ­g utes Bauchgefühl zu haben, um den Raum und den Kunden richtig erkennen und verstehen

Der Rahmen ist extrem wichtig. Ein schlechter Rahmen zerdrückt das Bild, ein guter kann es ganz anders zum Tragen bringen.

Wie relevant ist die Deckenhöhe bei der Hängung?

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Und wie handhaben dies Künstler und Galerien?

Es gibt Künstler, die das Bild ohne Rahmen abgeben, und andere, die es nur ­gerahmt herausgeben. Auch kommt es vor, dass Kunden mit ihrem gekauften Bild zu mir kommen

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und dafür einen anderen Rahmen bestellen. Künstler bevorzugen meist die günstigste Lösung. Diejenigen, die ein anderes Budget haben, wählen aufwendigere Rahmungen wie beispielsweise geölte Nussbaumrahmen, schwarze, hochglanzpolierte Rahmen oder Weissgoldrahmen mit Dreifach-Passepartout wie ein Paul Cartier. Was gibt es, neben dem klassischen Rahmen, noch für weitere Möglichkeiten, Bilder aufzuhängen?

Man kann beispielsweise Bilderhänge-­ systeme verwenden. Doch davon bin ich nicht so überzeugt. Sie hängen von der Decke herunter und die Bilder somit von der Wand weg. Hat man allerdings eine Betonwand, in die man nicht bohren kann, gibt es keine andere Möglichkeit. Was kann alles die Wirkung eines Bildes beeinträchtigen?

Vieles. Man muss spüren, was in einem Raum spannend ist, wie dieser geschnitten ist, wie die Winkel zueinander stehen. Ich stelle die Bilder erst immer auf den Boden und bespreche mit dem Kunden die beste Option. Entscheidend ist das Blickfeld, sobald man den Raum betritt. Auch das Interieur, etwa Objekte, die auf einem Regal stehen, oder vorherrschende Farben, sind ausschlaggebend. All das setzt eine gewisse Routine voraus, doch die habe ich mir mit meinen 34 Jahren Erfahrung aneignen können, das ist mein Leben.

CHRISTOPH FLÜCKIGER, 61, ist Inhaber des Studio Arte, eines E ­ inrahmungsgeschäfts in Zürich. Für Private, Büros und Galerien bietet er, zusammen mit seinem Team, alles an, was Bilder richtig zur Geltung kommen lässt. Von der individuellen Beratung und Konzeptionierung über die Rahmenherstellung und diverse Spezialanfertigungen für Galerien und Museen bis zur Bildmontage und Bildhängung.

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«Aus irgendeinem Grund mögen sie mich und fühlen sich von meinen Filmen unterhalten» – der Regisseur über seine Landsleute.


Kunstfilme  Story

GROSSE SCHONHEIT

Paolo Sorrentino («La Grande Bellezza») macht Filme wie Gemälde. Und wie sie nur Italiener machen können. Das hat man auch in Amerika gemerkt – und ihn für eine TV-Serie über den JUNGEN PAPST geholt. Ein Treffen in Rom.

REGISSEUR

Text:

G

Bild: Trunk Archive

SARAH STUTTE

Gerade sorgt er mit seiner ersten TV-Serie für Furore. «The Young Pope» handelt von einem selbstverliebten, jungen, noch dazu amerikanischen Papst (gespielt von Jude Law; auch im Cast: Diane Keaton als Nonne), der Diät-Cola zum Frühstück trinkt und Kette raucht. Ein völlig weltfremdes Oberhaupt der katholischen Kirche also, der gerade deshalb bei den Zuschauern gut ankommt. Die vom deutschen Pay-TV Sender Sky gemeinsam mit HBO und Canal+ produzierte Serie wurde bereits in über hundert Länder verkauft und ist kürzlich auf Blu-ray und DVD erschienen, eine z ­ weite

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Staffel ist bereits in Planung. Dass ausgerechnet ein italienischer Regisseur sich dieses Stoffes angenommen hat, erscheint auf den ersten Blick vielleicht befremdlich, auf den zweiten ist es mehr als schlüssig. Nicht zum ersten Mal hält Paolo Sorrentino den Italienern den sozialkritischen Spiegel vor. Und er kann es sich erlauben. Seine Landsleute nennen ihn «Maestro», seit er ihnen 2014 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film, «La Grande Bellezza», nach Hause brachte. «Aus irgendeinem Grund mögen sie mich und fühlen sich von meinen Filmen unterhalten», sagt der 46Jährige im Gespräch in Rom. Während wir uns un­terhalten, sitzt er nicht etwa, sondern läuft unruhig hin und her. Seine Antworten hält er knapp, so knapp wie möglich. Vielleicht, weil er lieber seine Bilder erzählen lassen will oder weil er immer wieder Zuflucht auf dem Balkon sucht, um, eine toskanische Zigarre rauchend, einsame Rauchschwaden in den blauschwarz s­ chimmernden Nachthimmel zu entlassen. Man fragt sich, ob so auch seine Gedanken funktionieren: voreinander flüchtend. Aber diese sind gut verborgen hinter der künstlichen Nebelwand, die ihn gerade ein­hüllt. Barsch wirkt er mitunter, doch nie ganz unfreundlich. Man fühlt sich in seiner Gegenwart nicht vor den Kopf ­gestossen, man ist nur ein wenig irritiert. ­Paolo Sorrentino ist kein Mensch, dem man sich leicht nähern kann. Man versucht

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es dennoch. Denn diese Unzugänglichkeit, die er nicht wichtigtuerisch oder gezielt einsetzt, schürt das Interesse an ihm. Er lebt mit seiner Frau Daniela, einer Journalistin, und seinen Kindern Anna und Carlo in einem Penthouse im chinesischen Viertel von Rom.Geboren wurde der ­Regisseur, Drehbuchautor und Schriftsteller 1970 im Nobelquartier Vomero in Neapel, als jüngstes von drei Kindern. Die ­Familie kann sich das Haus in diesem Teil der Stadt l­eisten, weil der Vater leiten der Bankangestellter ist. Über ihn sagt S ­ orrentino, dass er ein t­ ypischer Neapolitaner gewesen sei, ruhig und in sich gekehrt, streng und ernsthaft. S ­ eine Mutter, eine Hausfrau, war das pure ­Gegenteil: freundlich, fröhlich und einfach strahlend. Als Kind sei er fasziniert davon g ­ ewesen, wenn sein Vater mit seiner M ­ utter zur Musik von Franco C ­ alifano im Wohnzimmer tanzte. Er selbst war zwar eher der Rockmusik zugetan, weshalb er sich K ­ oteletten wachsen liess, die er liebgewann und bis ­heute trägt. Trotzdem widmete er seinen E ­ ltern später seinen ersten Film «L’uomo in Più» (2001), in dem es um einen Schnulzensänger geht. Auch sein Romandebüt «Hanno tutti ragione» (deutsch: «Ragazzi, was habe ich verpasst?») von 2011 handelt von Schlagern und einem alten Mann, der sie singt. Die Ähnlichkeit der Figuren des Werks und den Mitgliedern seiner F ­ amilie ist gewollt und führt in beiden Fällen zum Erfolg. Für den schwarzhumorigen Film, der gleichzeitig den Beginn der frucht-

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Story  Kunstfilme

baren Zusammenarbeit mit Tony S ­ ervillo markiert, der Sorrentinos Stammschauspieler und enger Freund wird, zeichnen ihn die italie­nischen Filmjournalisten 2002 mit dem ­«Nastro d’argento», einem seit 1946 vergeben Filmpreis, als besten Nachwuchsregisseur aus. Und die G ­ eschichte des grossspurigen doch irgendwie sympathischen Romanhelden Tony ­Pagoda, verpackt in eine ironische Abrechnung mit dem Italien S ­ ilvio Berlusconis (der er sich in seinem n ­ euesten Filmprojekt «Loro» ganz widmet), w ­ urde gar ein Bestseller, so dass Sorrentino 2012 die Fortsetzung «Toni Pagoda e i suoi amici» schrieb. Ohne zu zögern, nennt er Musik und ­Literatur als die Kunstformen, die ihm am wichtigsten seien. Dies, obwohl Filme auch schon früh eine Rolle in seinem Leben spielten und ihn die Werke grosser italienischer ­Regisseure wie Sergio Leone, Federico ­Fellini, Francesco Rosi, Ettore Scola, Marco ­Ferreri, Mario Monicelli oder ­Michelangelo A ­ ntonioni faszinierten. Doch erst mit achtzehn fängt er an, sich intensiver mit diesem Medium zu be­fassen, Bücher dazu zu lesen, sich als Autodidakt auszubilden. Fast scheint es, als hätte er mit dem Blick durch die Kamera eine Ausdrucksform gefunden, die alle seine künstlerischen Ambitionen gleichsam vereint und wiedergibt. In «This Must Be the Place» (2011, ­Sorrentinos erster englischsprachiger Film) ist die (Rock-)Musik als Thema tragend, in «La Grande Bellezza» die Literatur. Und ­seine Bildkompositionen in «Il Divo» (2008) und «Youth» (2015) besitzen eine Ästhetik, die Gemälden alter Meister gleicht – magisch. Auch als Spiegelung der Wirklichkeit bietet das Filmen für Paolo ­Sorrentino ein unendliches Spielfeld: «Ich denke, dass zwei Realitäten besser sind als nur eine», sagt er und lächelt zum ersten Mal. Der M ­ oment scheint günstig: «Sie haben einmal gesagt, dass sie gerne Filme über Dinge drehen, die Sie noch nicht kennen. Was steht alles auf dieser ­ Liste?» – «Oh, ich kann Filme über fast ­ alles machen», sagt er und schmunzelt erneut, «denn ich weiss nur sehr wenig. Es ist eine lange Liste, die stetig ergänzt wird.» Ironie und Sozialkritik, die Glorifizierung längst vergangener Zeiten, poetische Sinn­ suche und die Visualisierung ­surrealer Traum­ welten in üppigem Bilderrausch, d ­ arum drehen sich alle Filme Sorrentinos. ­Seine Storys und sein Personal scheinen dagegen auf den ersten Blick recht unterschiedlich zu sein. Da

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gibt es den schweigsamen M ­ afia-Buchhalter, der sich in eine ­Bardame verguckt («Le conseguenze dell’ amore», 2004), oder den reichen, knausrigen Kerl, der Geld nur gegen Gefälligkeiten leiht («L’amico di famiglia», 2006). Extravagant mutet die an Robert Smith von The Cure ­angelehnte ­Figur des Gothik-Rockstars ­Cheyenne an, ­gespielt von Sean Penn, der sich in «This Must Be the Place» auf die ­Suche nach dem KZ-­Peiniger seines verstorbenen V ­ aters macht. In «La Grande Bellezza» porträtiert er z ­ ynisch ­einen Zyniker und lässt obendrein den Glanz der dekadenten römischen Glamourgesellschaft bröckeln, indem er ihr sinnentleertes L ­ eben voller ausschweifender Partys und hohlen Phrasen zeigt. Auf die ­Spitze der bissigen Charakterisierung treibt er es mit der fiktiven Biografie des Premierministers Giulio A ­ ndreotti in «Il Divo». In der Politsatire ist er der personifizierte Teufel, der seinen Kopf in einem roten Meer aus Boshaftigkeit lange Jahre über Wasser hält – bis er darin ertrinkt. Doch alle diese Menschen gleichen sich. Es sind Männer, die das ­Beste schon hinter sich und nicht mehr viel vor sich haben. D ­ eshalb geht es auch nicht darum, ­irgendwo anzukommen, sondern möglichst auf dem Weg zu bleiben. Es sind traurige, meist am Leben gescheiterte Existenzen, die sich selbst am nächsten stehen und sich in ihrer Einsamkeit zu ergründen versuchen. Kumuliert wird diese Konzentration auf den letzten Lebensabschnitt in «Youth»: Ein alter Dirigent (Michael Caine) und ein alter Filmemacher (Harvey Keitel) verdämmern ihre Tage in einem Schweizer Wellnesshotel – gedreht zum Teil im Davoser Jugendstilhotel «Schatzalp» –, denken nach über ihre Jugend­zeiten und halten sich aus Angst vor Veränderungen aneinander fest. Wie steht der «Maestro» selbst zum Älterwerden? Mehrere Leben würde er sich wünschen, um alles tun zu können, sagt er. Und zu früh erwachsen sei er auch geworden. Er verlor seine Eltern mit sechzehn Jahren. Beide sterben in ihrem Ferienhaus, an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung als Folge eines Gaslecks. Im Gegensatz zu seinen älteren Geschwistern hatte sich der junge Paolo bisher stets an den Familienwochenenden in den Bergen beteiligt, doch diesmal wollte er lieber mit Freunden an ein Auswärtsspiel des SSC N ­ eapel, um dessen damaligen Star ­Diego ­Maradona, der von 1984 bis 1991 für den Verein ­spielte, in Aktion zu sehen. Zwei ­Jahre lang hatte er seinen Vater zuvor bekniet, an ein Spiel gehen zu dürfen.

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Indirekt rettete ihm ­Maradona also das Leben. Nach seinem Oscar-Gewinn dankt er dem Fussballer nicht nur in seiner Rede, sondern ehrt ihn ein Jahr später auch mit einem ironischen und dennoch liebevollen filmischen Seitenhieb: als er ein übergewichtiges MaradonaDouble in «Youth» mit der Fussspitze einen Tennisball in die höchsten Höhen des Himmels schiessen lässt. Selten sind in einer Filmszene Erinnerungen an Jugend und verblasstes Talent so schön und mit einer derartigen Strahlkraft mit dem Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit verknüpft worden. Wie betäubt sei er in der Zeit nach dem Tod seiner Eltern gewesen, in einer Art Schwebezustand habe er sich befunden. ­Seine grosse Schwester Daniela zog für ein Jahr wieder bei ihm und seinem älteren Bruder Marco ein, um sich um ihre Geschwister zu kümmern. Danach sei er allein im Haus in V ­ omero gewesen. Diese tief empfundene Einsamkeit, das Gefühl des Verlassenseins, habe bei ihm eine starke Melancholie hervorgerufen, die ihn stets begleite. Doch schlussendlich wäre er ohne diese ­Tragödie wahrscheinlich nie zum Film und zum S ­ chreiben gekommen. Sein Vater drängte ihn zu einem Wirtschaftsstudium, was er erst für den richtigen Weg hielt, auch weil er d ­ achte, er sei es seinem Vater schuldig. Nachdem er fünf Prüfungen absolviert ­hatte, begann er jedoch, Drehbücher zu schreiben und Kurzfilme zu drehen, was das Aus für die ökonomische Karriere bedeutete – doch der Anfang einer anderen ­Erfolgsgeschichte war. «Ich sehe nicht, wie die Dinge sind, sondern wie sie sein sollten», sagte er einmal. Schön und wehmütig im Ausdruck und wahrhaftig im Gefühl.

CAMPARI-KALENDER Ab 2001 brachte die italienische ­Aperitifmarke einen Kalender heraus. Dafür wurde ein Star in zwölf ­Bildern inszeniert, Uma Thurman, Eva Green oder ­Benicio Del Toro etwa. 2017 e­ rschien der ­Kalender zum ersten Mal in Form von zwölf ­Kurzfilmen über ­ Bartender aus aller Welt. Kernstück ist ein Film Noir, für den ­Clive Owen als H ­ auptdarsteller und Paolo Sorrentino als ­Drehbuchautor und ­Regisseur verpflichtet wurden. Er ist auf Youtube zu sehen. Wir danken der Firma Campari für die freundliche Unterstützung dieses Beitrags.

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Bilder: mauritius images, DCM, Wildside/Haut et Court TV/Mediapro/Sky, Gianni Fiorito

Indirekt rettete ihm Maradona also das Leben. Nach seinem Oscar-Gewinn dankt er dem Fussballer nicht nur in seiner Rede, sondern ehrt ihn ein Jahr später auch mit einem ironischen und dennoch liebevollen filmischen Seitenhieb.


«L’uomo in Più», 2001

«La Grande Bellezza», 2013

«The Young Pope», seit 2016

«Youth», 2015



Portfolio  Aussenbetrachtung

Californication

Der in Genf geborene, IN KALIFORNIEN LEBENDE AMERIKANER nennt sich ­«Alphachanneling». Mit seinen Bildern von PAAREN BEIM AKT wurde er ein Star in sozialen Netzwerken.

Bilder:

ALPHACHANNELING Der Künstler teilte auf Anfrage mit, dass er versuche, anonym zu bleiben, und auch sein A ­ lter nicht mitteilen möchte. Weiter sei sein G ­ eschlecht – männlich – im ­Grunde ­Nebensache. Er wünsche, dass man von ­«Alphachannelings Arbeit» schreibe, nicht von ­«seiner Arbeit». Wir respektieren das und reihen uns ein in die Schlange seiner 456 000 Freunde r­ espektive Followers, die Alphachannelings A ­ rbeit, als «utopische Erotik» beschrieben, auf Instagram verfolgen – und mögen.

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Aussenbetrachtung  Wanderlust

Illustration: PIETER VAN EENOGE

Gegen den Strom Mit dem Kinderwagen unterwegs zu sein, heisst, LANGSAMER u ­ nterwegs zu sein. BESONDERS wenn man öffentliche Verkehrsmittel NUTZEN ­möchte. Doch was man an ZEIT verliert, gewinnt man an ERKENNTNIS. Text: MARK VAN HUISSELING

I

Ich habe die längste Zeit gesagt: «Ich werde keinen Artikel schreiben, in dem es um das Leben als junger Vater geht.» Aber ich habe auch die längste Zeit gesagt: «Ich werde nicht mehr Vater, der Zug ist abgefahren.» Nun ist es so, dass ich seit ein paar Monaten Vater bin, wenn auch kein junger mehr. Und, zweitens, dass ich meinen ersten Artikel ­ s chreibe über das Leben als Kinderwagenschieber im öffentlichen Raum – in der Stadt Zürich in meinem Fall – mit seinen Verkehrsmitteln. Das Offensichtliche zuerst, denn sogar dieses war neu für mich: Man ist langsamer unterwegs. Und das nicht bloss, weil man ein Gefährt mit kostbarer Fracht dabei hat. Das hat man einkalkuliert, klar. Was man dagegen nicht berücksichtigt hat: Dass es zwischen hier und der Tramhaltestelle zahlreiche Hindernisse gibt. Überwindbare zwar, aber Hindernisse dennoch. Türen im Haus etwa.

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«Ein Nein ins Herz zu lassen, ist generell keine Option mehr. Stattdessen geht man weiter seinen Weg, wie man’s als Mann gelernt hat.» Über das Unterwegssein und die Hindernisse mit Kinderwagen.

Besonders Windfänge, zwei unmittelbar hintereinander liegende Türen also. Weshalb? Weil sie selbstschliessend sind, nicht aber selbstöffnend, ganz und gar nicht. Endlich draussen aus dem Haus ist die Fahrt noch immer keine freie. Das liegt etwa an der Baustelle in unserer kleinen Strasse, die, langfristig betrachtet, gut ist, weil sie die ­Attraktivität der Liegenschaft und also die Investition steigert, kurzfristig

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aber die ­Effizienz alles andere als steigert – während man allein zu Fuss unterwegs rasch ­vorbeischlüpfen w ­ ürde, bevor der Lastwagenfahrer seine ­Ladung (wenn man den Kinderwagen ­dabei hat, immer heisser Teer oder etwas ähnlich Toxisches) auskippt, wartet man in der neuen Situation in sicherer Entfernung, bis die Lage wieder ungefährlicher für den Nachfahren ist. Der, ­nebenbei, von alldem nichts mitbekommt, weil er, wie immer im rollenden Bett,

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Wanderlust  Aussenbetrachtung

minutenschnell in Tiefschlaf gefallen ist. Man erreicht die Wegmarke, die dafür steht, dass man die Hälfte der Strecke zurückgelegt hat. Der Blick auf die Uhr – in sportlichen Wettkämpfen «Zwischenzeit» g ­ enannt, und eigentlich ist das hier auch Sport und/oder ein Wettkampf –, die Zwischenzeit verrät, dass man doppelt so viel Zeit gebraucht hat. Doppelt so viel, wie man für die gesamte Strecke angenommen hatte. Was so viel heisst wie: Das Niederflurtram ist weg. Die gute Nachricht: Falls man das Marschtempo hält, schafft man es exakt aufs n ­ ächste Tram,­ in das man ohne fremde Hilfe und Muskelkraft reinkommt.

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Ein Nein ins Herz zu lassen, ist generell ­keine Option mehr. Stattdessen geht man weiter seinen Weg, wie man’s als Mann gelernt hat. Man kreuzt darauf als nächstes eine Klasse, die sich nach der Pause retour ins Schulhaus – auch ein solches gibt es in unserer Strasse –, verschiebt. Ach was, man kreuzt zwei Dutzend rennende, drängelnde, Trottinett ­fahrende Kinder. Ohne Sach- oder Personenschaden in den eigenen beziehungsweise gegnerischen Reihen immerhin. An der Ecke schliesslich, wo es eine Bäckerei gibt, ist wie immer viel los – weil die drei engen Parkplätze nicht ausreichen für den

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Andrang von Fahrzeugen und Lenkerinnen, die auf ihrem Weg von der sogenannten Goldküste in die Stadt kurz Halt machen, um ein Gipfeli oder einen ähnlich viel Stauraum im Range Rover, Bentley oder Mercedes einnehmenden Einkauf zu tätigen. Trotzdem, auch ­diese ­Hürde wird genommen. Nun liegt bloss noch die Forchstrasse ­z wischen einem selbst und der Haltestelle. Die Forchstrasse, weiss man, ist eine der sechs oder so meistbefahrenen Strassen Zürichs, 30 000 (Irrtum vorbehalten) Fahrzeuge rollen täglich in beide Richtungen darüber. Blöderweise, so sieht es aus, tut die Mehrheit der Fahrzeuge das genau dann, wenn man mit dem Säugling unterwegs ist. Als Fussgänger, falls man nur für sich selber verantwortlich und ein bisschen mutig ist, kann man einfach auf den Streifen treten. Und hoffen, dass ein Autofahrer stark abbremst. Dann kann man mit vorwurfsvollem Blick auf sein Kontrollschild schauen und, jedenfalls wenn dort nicht «ZH» steht, den Kopf schütteln und böse schauen. Als Verantwortlicher für das jüngste Familienmitglied wartet man besser, bis einer von sich aus bremst. Und erst, falls das nicht innert nützlicher Frist passiert, zieht man die Bremse des Kinderwagens, der sich auf dem Trottoir befindet, fest, und tritt allein auf den Zebrastreifen – um den Verkehr aufzuhalten. Um dann retour zu rennen zum Wagen und diesen über die Strasse zu schieben. Dann hat man es geschafft: Man ist auf der rettenden Traminsel angekommen. Und ist ein wenig stolz auf sich. Sowie erleichtert, dass man bald ins Cobra-Tram – mit fast ebenerdigem Einstieg – eintreten, pardon: einfahren kann. Das heisst, man könnte. Wenn nicht fünf, sechs oder mehr andere Menschen mit Kinderwagen schon auf der Insel stehen würden. Und den gleichen Plan haben. Und deshalb keinen Nanometer von der Stelle rücken, die sie in Beschlag genommen haben. Denn dort, wo sie sich befinden, wird gemäss Berechnungen, Schätzungen und Erfahrungen das Tram zu stehen kommen, und genau dort werden sich die Türen befinden sowie öffnen. Das wäre schön und gut. Ersetzt im ­Grunde aber nur ein Problem durch ein anderes. Denn, gesetzt den Fall, man schafft es in das öffentliche Verkehrsmittel – dann ist die ­Chance hoch, dass der darin vorhandene Platz für Kinderwagen bereits besetzt ist, von anderen Kinderwagen, deren Schieber an der ­vorherigen Haltestelle eingestiegen sind. Dann doch besser etwas länger warten, nicht bloss ein Tram oder zwei, sondern ein Jahr oder zwei – Buggys, höre ich, sind viel einfacher manövrierbar. M ­ an ist damit v ­ iel schneller unterwegs.

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Anleitung  Arbiter Elegantiarum

Moderedaktion: YVONNE WIGGER

FÜR REIFE FRAUEN

Kompaktpuder «Diorskin Nude Air» von DIOR, ­ca. Fr. 75.–.

Seidenkleid von MIU MIU, ­ Fr. 1350.– ­ (bei Mytheresa.com).

Weiss wie die Unschuld das Kleid, niedrig wie der Erregungsgrad die Absätze. Diese Frau hat erreicht, was sie wollte, sie kann sich Styling-mässig entspannen: Regisseurin und cougar Taylor-Johnson. Uhr von FRÉDÉRIQUE CONSTANT,­ Fr. 1295.–.

Clutch von CHARLOTTE OLYMPIA, ­ ca. Fr. 882.– (bei Net-a-porter.com).

Schuh von GIANVITO ROSSI, ­ ca. Fr. 617.– (bei Net-a-porter.com).

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Die Londoner Künstlerin war, was Aussehen und Auftreten angeht, früher ein ROCK-CHICK. Jetzt k ­ leidet und benimmt sie sich eher so, als würde sie ZUM ­A FTERNOON-TEA INS «RITZ»

­gehen. Das hat d ­ amit zu tun, dass sie r­ eifer g­ eworden ist. Und dass sie ­mittlerweile bei ­Hollywoodfilmen Regie führt. Und ­möglicherweise auch damit, dass sie einen über ZWANZIG JAHRE JÜNGEREN ­Schauspieler ­geheiratet hat. Mai / Juni

M

Manchmal kommen treffende Analogien aus dem Tierreich. Wolf im Schafspelz etwa. Oder, einfacher und kürzer: cougar; bei diesem handelt es sich um einen Puma oder Berglöwen. Obwohl an die wörtliche Übersetzung bloss eine Minderheit von Lesern denken dürfte, spätestens seit der TVSerie ­«Cougar Town», bei der es sich nicht um eine Dokumentation über P ­umas oder Berglöwen handelt, sondern in der es um eine vierzigjährige geschiedene Frau und ihre jungen Kurzzeitliebhaber geht. Sa m Taylor-­ J ohnson, vormalig T ­aylor-Wood, eine britische Künstlerin – erfolgreich als Fotografin, Musikerin und Regisseurin («Fifty Shades of Grey») –, ist in zweiter Ehe mit Aaron ­Taylor-Johnson verheiratet, dem Star der Filmbiografie, die sie über John Lennon realisierte (­ « Nowhere Boy»). Seit den Dreharbeiten ist sie mit dem 23 Jahre Jüngeren zusammen, das Paar hat zwei Töchter. Zuvor war sie mit dem ­G aleristen Jay Jopling, der vier J­ ahre älter ist als sie, verheiratet; mit ihm hat sie ebenfalls zwei Töchter. Was sich auch geändert hat, ist ihr Look. Die Kleider sind länger, weiter und weniger tief ausgeschnitten, die Absätze niedriger, das Make-up blasser geworden. Klar, die Zeit wartet auf keinen Mann respektive keine Frau. Anders gesagt: Man wird älter. Aber nicht bloss darum geht es. Sondern auch d ­ arum, dass eine reife Frau, die einen frischgesichtigen Jungen nach Hause gebracht und bisher dort zu halten verstanden hat, sich das erlauben kann. Die Wölfin – oder Berglöwin – hat es nicht n ­ ötig, zu zeigen, dass sie eine solche ist. Sie kann unschuldig im kleinen weissen Kleid daherkommen. Mark van Huisseling

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Bild: Getty Images

SAM TAYLOR-JOHNSON


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