WW Magazin No. 6 November / Dezember 2013
BallettAttitude
Fr. 6.50
Eine Zeitschrift der Weltwoche Verlags AG
Die erstaunliche Karriere der Tänzerin Sarah-Jane Brodbeck
Mittelpunkt der Erde Reisereportage aus Schanghai
+ fait maison Was wird in Restaurants eigentlich noch gekocht?
Zürichs schwan
WW Magazin
No. 6
November / Dezember 2013
Editorial
no
November Dezember
In den vergangenen Wochen war ich in London, New York und Schanghai. Ich erzähle das nicht nur, um anzugeben. Als Journalist reist man, damit man anderswo eine gute Zeit verbringt, klar, aber auch, um zu sehen, wie was anderswo gemacht wird. Und um zu sehen, was man davon lernen kann. London ist die internationalste Stadt, nirgends leben mehr Menschen aus mehr Ländern nebeneinander. Das Versorgungsnetz und die öffentlichen Einrichtungen befinden sich in schlechtem Zustand. Die Leistungen, die erbracht werden, sind dennoch beachtlich, vor allem in der sogenannten Kreativwirtschaft. In New York sind die Rahmenbedingungen ungefähr gleich schlecht. Jedoch begegnet man dort Unbekannten und Fremden mehrheitlich wohlmeinender – es könnte ja sein, dass man den Einwanderer oder Zuzüger brauchen kann. In Schanghai ist in den vergangenen Jahren erst entstanden, was wir eine (teilweise) funktionierende Infrastruktur nennen. Doch was immer noch fehlt, überkompensieren viele Einwohner durch Fleiss und den Willen, reich zu werden. Jetzt die Frage: Was kann man als Schweizer davon lernen? Einfach, im Grunde: kreativ, wohlmeinend (an der Grenze zu opportunistisch) sowie fleissig sein. Mit anderen Worten: Die Schweizer waren im Kopf die längste Zeit Londoner, New Yorker und Schanghaier.
Ihr Mark van Huisseling 6
Illustration: Gian Gisiger November / Dezember 2013
Contributors
jeroen van rooijen
andreas ritter Rechtsanwälte dürfen k eine Reklame machen in der Schweiz für Dienste, die sie anbieten. Und mögen es nicht, wenn man über sie schreibt, sagen sie. Umso mehr freut es uns, dass wir einen Rechts anwalt gewinnen konnten, der für uns schreibt. Nicht von Rechtshändeln zwar, dafür von einem ande ren Gebiet, über das man streiten kann: den Kunst markt. Dass Ritter dieses Feld wählte, ist klar – er ist Kunstkenner, -samm ler und, sozusagen, der Anwalt in Kunstangele genheiten. In seiner ers ten Kolumne vergleicht er die beiden wichtigen im Herbst stattfindenden Kunstmessen von Lon don und Paris; sie fin den den Text auf Seite 15. 8
Er ist der Mann, den man fragt, wenn es um Stil-An gelegenheiten geht. Und seine Antworten erschienen die längste Zeit in einer Zürcher Zeitung, die wir mögen, der wir es aber ein wenig übel nahmen, dass sie ihn ganz für sich (und ihr Sonntags blatt aus demselben Verlag) beanspruchte. Das ist jetzt, wie vieles in dieser sich stark ändernden Branche, vorbei. Und Jeroen van Rooijen neuer Autor unserer Zeit schrift (sowie Kolumnist der im selben Verlag erscheinen den wöchentlichen Ausgabe). In seinem ersten Beitrag be antwortet er eine der grossen Fragen der Menschheit oder der Männer jedenfalls: «Wie und warum ich meine Frau heiratete». Wie es war (und ob es Stil hatte), steht auf Seite 58.
Sarah-jane Brodbeck
Meret boxler Ihr Name tönt, so kann man sagen – sie war fast zehn J ahre Moderatorin des Radiosen ders, der heute SRF 3 heisst. Das gesprochene Wort mag magisch sein, das geschrie bene hat manchmal mehr Macht als ein Schwert. Was ich sagen will: Seit einiger Zeit schreibt sie, seit neustem auch für diese Zeitschrift. Und hat sich als Erstes ein Thema ausgesucht, das schwer zu überbieten sein dürfte, was den Anspruch angeht, den es an die Autorin stellt. Sie beschreibt nämlich, weshalb sie bisher keinem Mann be gegnete, der ihr die auf eine Art ebenfalls magisch tö nenden fünf Worte gesagt beziehungsweise sie gefragt hat. Wer sich jetzt noch im mer fragt, worüber sie genau schreibt: Auf S eite 61 steht ihre Antwort auf die grosse, bisher ungestellte Frage.
Die Ballettsaison hat an ge fangen, und wir sind ins Tanztheater gegangen. Um, im übertragenen Sinn, hinter den Bühnenvorhang zu blicken: Wir stellen eine erfolgreiche junge Schwei zer Tänzerin vor, die nach Jahren am Zürcher Opern haus seit diesem Herbst im Königlichen Schwedi schen Ballett in Stockholm tanzt. Natürlich hatte sich unser Autor Oliver Schmuki, bevor er Sarah-Jane Brodbeck von vielen respektive auf vie len Seiten p orträtierte, noch mals den Hollywoodfilm «Black Swan» angeschaut – wie viel daraus auch auf das Leben und die Laufbahn von «Zürichs Schwan» zutrifft, lesen Sie ab Seite 28.
November / Dezember 2013
Inhalt
I
Ein altes Haus auf einer Insel vor der bretonischen Küste – nicht das erste Ziel, das einem einfällt in dieser Jahreszeit. Doch es kommt d arauf an, wer einen dort erwartet. Unsere Modestrecke ab Seite 42. WW N6 bild diese seite Mit Perlen besticktes Oberteil von giorgio armani.
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Titelbild: Nielsen Omvik Bild oben: Adrian Crispin November / dezember 2013
Inhalt
WW-Persönlichkeit/Titel
T r e n d - R e p o rt s
Porträt Seite 28 mode
Seite 16/18
II
Sarah-jane brodbeck
Mein weg (an den Arbeitsort) Seite 35 e d ito r i a l , Seite 6
duft
Seite 20/21
co n t r i bu to r s , Seite 8 l i sa f e l d m a n n
Brief aus New York, Seite 14 uhren
Seite 22
balletteinmaleins Seite 35
Mein stockholm Seite 36 h e i rat
Vier Autoren beschreiben, wie und weshalb es zu einem Antrag kam – oder nicht Seite 58 Ku l i na r i k
a n d r ea s r itt e r
Ansichten aus dem Maschinenraum des Kunstmarkts, Seite 15
Was «hausgemacht» im Restaurant heisst, Seite 64 au to
Volvo XC60 D5 AWD Seite 66
reisen
Seite 24
d e r Sitzt
Über Massanzüge, Seite 38 O b j e kt e
Seite 26
w w- q u e s ti o n na i r e Schanghai
wo h n e n
Seite 62
12
Reisereportage aus einer der interessantesten Städte der Welt Seite 50
Jop van Bennekom Seite 68
bezugsquellen
Seite 69
Bilder: Alexis Zurflüh, Nielsen Omvik, Akira Sorimachi, Tom Haller, Damien F. Cuypers November / dezember 2013
Lisa Feldmann
brief aus New York
T
heater war für mich gegenüberstand. Von diesem immer etwas, was Moment an war ich hooked. Ab sofort stand bei jedem ich nicht verstanNew-York-Besuch Theater auf den habe. Warum will ein dem Programm. Inzwischen moderner Mensch, der die scanne ich vorher die Spielvolle Wucht Kino haben kann, freiwillig auf schlechpläne, so wie ich das früher ten Stühlen für viele Stunden gemacht habe mit den Auseinem Schauspiel folgen, das stellungskatalogen. Ich weiss, erdacht wurde, als man techwas gespielt wird, was die nisch einfach noch nicht so Kritik davon hält (wovon ich weit war? Es will doch auch mich nicht immer beeindrukeiner mehr mit der Kutcken lasse), kenne die Preis sche nach Italien! Alle fahskalen der einzelnen Bühnen. Ich sah Jessica Chastain in ren lieber mit dem Zug über die Alpen, so kann man «The Heiress» (grossartig!), Philip Seymour Hoffman in von Zürich aus bequem in «Tod eines Handlungsrei Mailand einkaufen und ist abends wieder zurück – nur senden» (was meinen Mann als Beispiel! Kommt hinzu Tränen rührte, während ich an der Schulter m eines zu, dass die Schauspieler im Theater ihre Dialoge imSitznachbarn zur Linken mer schreien, selbst wenn sie einschlief), Jude Law als etwas Vertrauliches sagen. «Hamlet» (gestählter Yoga«Bühnenflüstern» nennt man Body, cooler Akzent). das deswegen. Oder dass Inszenierungen von gros sie es gleich dreimal sagen, sen Regisseuren und noch sich dazu die Kleider vom unbekannten Grössen – nicht Lisa Feldmann leitet seit diesem Sommer die deutsche Ausgabe des InterviewLeib reissen und einen Puralles war so atemberaubend Magazins in Berlin. Zuvor war sie neun Jahre lang Chefredaktorin der Annabelle. zelbaum schlagen. So war das wie meine erste Erfahrung jedenfalls immer dann, wenn damals, aber oft war es mich jemand mitnahm zu einer Premiere im Schauspielhaus, begeisternd genug, dass so wir am Bühnenausgang gewartet unter Christoph Marthaler. Ich schwankte zwischen Müdig- haben, um noch einen Blick auf den Star der Aufführung zu keitsattacken und Fremdschämen. Und schwor mir jedes Mal: erhaschen. Auch dies ein typisches New Yorker Phänomen, und ein besonders sympathisches obendrein. Jetzt habe ich Nie wieder! Dann entdeckte ich den Broadway. Wohlgemerkt, nicht das beschlossen, auch den deutschsprachigen Bühnen noch eine Musical, sondern das gesprochene Theater. Ehrlich gesagt, Chance zu geben. In Wien spielt meine Freundin Mavie Hörwollte ich einfach mal Jane Fonda live auf der Bühne sehen. biger am legendären Burgtheater, auch ihren Mann Michael Die Fotografin Brigitte Lacombe hatte davon geschwärmt, wie Maertens habe ich in Zürich immer verpasst, die beiden will toll sie sei, wie präsent. Sie trat in einem Stück auf, das «33 ich unbedingt live sehen. In Berlin hat sich eine andere Freundin meiner Ignoranz anVariations» hiess, von der Kritik gefeiert wurde, vom Publikum mit Dauerausverkauf belohnt. Ich investierte also einen genommen: Wir waren neulich gemeinsam in einem Stück des ansehnlichen Betrag und machte mich mit meinem Stiefsohn gefeierten René Pollesch an der Volksbühne. Ich habe wieder auf, an einem Sonntagabend, nach einem Cocktail bei «Sardi’s» kein Wort verstanden, intellektuell gesehen, aber mein Bauch zwei Strassen weiter. Und dann passierte es tatsächlich: Jane und mein Herz standen zwei Stunden unter Strom vor lauter Fonda spielte ihre Rolle so eindrücklich und überzeugend, so Glück. Anschliessend konnte man im Hinterhof des Theaters, handwerklich brillant, dass ich dachte: «Das ist jetzt keine wo das Ensemble und die Freunde dessen Mitglieder rauchten Leinwand und kein Flat Screen, jedes Wort, jede Geste wird und Bier tranken, den Stars des Abends, Birgit Minichmayr in diesem Moment vor meinen Augen und Ohren hergestellt.» und Martin Wuttke, auch noch ganz unaufgeregt sagen, wie So ist es mir viele Jahre zuvor mit der Kunst ergangen, toll man sie fand. Da war New York plötzlich ganz nah – und als ich zum ersten Mal im Museum einem echten Picasso ich definitiv ans Theater verloren. 14
Illustration: Paul X. Johnson November / dezember 2013
andreas ritter
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AnSichten aus dem Maschinenraum der Kunst
eff Koons’ «Balloon Bestand haben wird, fragt und Dog», die orange Verweiss niemand. sion einer Auflage von Paris beschaulich zu nennen, fünf, kommt mit eiwäre frech und falsch dazu. ner Schätzung von 35 bis 55 Am Eröffnungstag der Fiac Millionen Dollar bei Christie’s schien die Sonne durch die unter den Auktionshammer. Glaskuppel des Grand Palais, Das war eines der Themen der die Damen der Hautevolee truvergangenen Wochen während gen Sonnenbrillen zur Kunstder beiden wichtigsten Kunstbetrachtung. Die Eleganz des messen im Herbst, der Frieze Anlasses war wie immer bestechend, doch überforderte in London, danach an der Fiac der imposante Rahmen manch in Paris. Ansonsten unterhielten sich die Besucher beider ausgestelltes zeitgenössisches Messen mit Verve darüber, ob Werk, das plötzlich irgendwie klein und unbedeutend ausdie Frieze oder doch die Fiac einladender, qualitativ hochschaute. Da half die Flucht stehender und mit besserem aus den grossen Hallen in die Rahmenprogramm versehen oberen Gänge und Kojen der war. Natürlich werden Ansichjungen Galerien, wo es für einten auch deshalb ausgetauscht, mal wirkliche Entdeckungen um zu erkennen zu geben, dass zu machen gab. Es erwarteman selbst an beiden Messen ten einen die interessanteren eingeladen war. Wer also hatte Werke als die der ganz junim Wettstreit die Nase vorn, gen Künstler in London. Und London oder Paris? doch fehlte der grosse WettLondons Messe findet im streit, französische Sammler zugigen Zelt statt, der Erund Galerien dominierten, es Andreas ritter ist Rechtsanwalt für Kunstrecht. Der 49-Jährige führt gemeinöffnungstag im strömenden ging weniger international zu sam mit Sibylle Loyrette die Kanzlei Ritter & Partner Rechtsanwälte in Zürich. als vor Wochenfrist. Dennoch Regen, was Sammler und hat Paris aufgeholt: NachSchaulustige nicht davon abhielt, ab morgens um 11 Uhr zur VIP-Eröffnung dem letztes Jahr Thaddæus Ropac und Larry Gagosian riesidie Stände zu stürmen. Fast alle grossen Galeristen wa- ge Galerieräume an peripherer Lage eröffnet hatten, kehrten ren da, bereit, dem Schaulaufen der High S ociety eine nun die Grosssammler und Luxusgütermagnaten François PiBühne zu bieten. Die zum zweiten Mal parallel dazu aus- nault und Bernard Arnault in die Kapitale zurück, der sie ungerichtete Messe Frieze Masters, an der klassische längst noch den Rücken zugewandt hatten. Werke gezeigt wurden, war tags zuvor eröffnet worden, erwies Während Pinault kaum gezeigte Teile seiner Privatsammsich als qualitativ hervorragend besetzt und hatte die Mess- lung bereits dieses Jahr in der Conciergerie öffentlich machte, latte noch einmal höher gelegt. Strategisch clever entlastet sie plant Arnault seine Sammlung 2014 in einem von Frank Gehry die Frieze, die nun ungeniert etablierten zeitgenössischen Po- designten Museum zu zeigen. Und auch die wunderbaren Einsitionen und frischen Shootingstars frönen darf. Das Angebot zelpräsentationen von Pierre Huyghe im Centre Pompidou, vor auf der Messe entsprach ungefähr dem, was Auktionshäuser allem aber von Philippe Parreno im umwerfend tollen Palais während der vier Tage versteigerten, mit Katalogen so dick wie de Tokyo, machten einiges an Terrain wett, dort, wo sonst früher Telefonbücher. Oscar Murillo, Tauba Auerbach, Mark London gemeinhin mit besseren Galerie- und institutionellen Bradford, Sterling Ruby: Was in den ersten Losen der soge- Ausstellungen im zeitgenössischen Markt aufwartet. Welche nannten day sales aufschien, waren die Gewinner der Stun- Messe also war besser, London oder Paris? Natürlich ergeben de; noch vor drei Jahren in Hinterhofgalerien gehandelt, nun erst beide zusammen das ganze Bild, um im Kunstjargon zu im Schaufenster von Grosssammlern und Spekulanten und sprechen. London hat die Internationalität, Paris die Eleganz, nächstes Jahr wahrscheinlich über dem Kamin einer Villa auf beide zusammen haben – unterschiedlich begründete – Qualität. Und nicht zu vergessen: Der «Balloon Dog» kommt im Long Island. Dort, wo jetzt ein Werk von Wade Guyton hängt. Alles dreht sich in atemberaubendem Tempo, wie viel davon November in New York zur Auktion, rechtzeitig, bevor in Miami November / Dezember 2013 Bild: Pierluigi Macor
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Trend-Report
no
November Dezember
marke des monats Acne ist als Label so unkonventionell wie der Name, der in einigen Sprachen an eine eher unreine Geschichte erinnert. Aber egal, sofern dahinter etwas Gescheites steckt. Und das trifft auf das 1996 vom heutigen Chefdesigner Jonny Johansson und von drei Partnern gegründeten Unternehmen zu, dessen Name ein Akronym ist und für «Ambition to Create Novel Expression» steht (etwa «Anspruch, neuen Ausdruck zu schaffen»). Der Grundgedanke war, eine Marke zu entwickeln, unter deren Dach auch weitere kreative Leistungen erbracht werden. Heute gehören neben Acne Studios – die traditionelle Acne-Jeans steht schon lange nicht mehr im Vordergrund; das Angebot reicht von raffiniert geschnittenen Kleidern und Jacken über dezente Cotton-Shirts zu Lederaccessoires – Acne 16
Advertising (Werbung), Acne Production, Acne Art Department, Acne JR (Junior) und Acne Paper dazu. Die aktuelle Herbst/Winter-Modekollek tion entstand in Zusammenarbeit mit Katerina Jebb, Künstlerin und Kreativmitarbeiterin des Musée de la mode de la Ville in Paris. «Wir hatten Zugang zum u nglaublichen Archiv historischer Kleidung des Museums. Mit der Entstehung unserer Kollektion um diese Erbstücke herum haben wir etwas wiederbelebt, das sonst verborgen geblieben wäre», sagt Designer Johansson. Ausserdem wichtig für ihn: Kunst nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im privaten Leben zu geniessen. acne Sujets der Künstlerin Katerina Jebb zieren die Innenseiten der neuen Kollektion. Erhältlich z. B. bei Fidelio in Zürich oder bei Set & Sekt in Basel. Redaktion: Yvonne Wigger November / Dezember 2013
Trend-Report mode
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Neue Saison, neuer Mantel – nur welcher? Einfacher wird’s bei den dazu passenden Schuhen. WW N6 1
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Die Oversize-Mäntel, die in dieser S aison angesagt sind, kombiniert man mit femininen Absatzschuhen! look des monats Wie sehr S tella McCartney ihrem Stil treu zu bleiben weiss, beweist die Britin mit ihren aktuellen androgynen Entwürfen, etwa mit den Oversize-Mänteln. Cora Emmanuel (grosses Bild) zeigt einen grau-weissen Wintermantel, den wohl schönsten der Saison. Auch die Schweizer Modemacherin Dorothée Vogel kreierte ein Lieblingsstück in ihrer Kollektion «The Big»: einen Mantel aus weichster Baumwollmischung, warm 18
in der Farbe, zeitlos in der Form. Ob Teddybär-Effekt (Max Mara) oder weiche Farben (Richard Nicoll) – Hauptsache, der Mantel reicht bis zu den Knien. Um den boy meets girl-Trend zu betonen, setzt man bei den Schuhen umso mehr auf Weiblichkeit, sprich Absätze! Tipp: Valentino-Kitten-Heels, Plateaustiefeletten von Donna Karan oder Overknees von Tom Ford.
4 1 dorothée vogel Mantel: ab Fr. 1100.–, Leggings: Fr. 1600.–.
2 donna karan Stiefeletten: ca. Fr. 1220.–.
3 valentino
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Kitten-Heels: ca. Fr. 831.– (bei Mytheresa.com).
4 richard nicoll Mantel: ca. Fr. 2120.–, Kleid: ca. Fr. 1210.–.
5 max mara Outfit: Preis a. A.
STELLA MCCARTNEY (grosses Bild) Mantel: ca. Fr. 2725.–, Rollkragen pullover: ca. Fr. 500.–, Schuhe: ca. Fr. 670.–, Tasche: ca. Fr. 1650.–.
6 tom ford 6
Overknees: ca. Fr. 3000.–.
Redaktion: Yvonne Wigger November / Dezember 2013
Trend-Report Duft
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Diesen Winter trägt man Neuauflagen von Duft-Klassikern. Und Neuheiten. Oder, besser: beides. Von A l ex i s Z u r f lü h (Illustrationen) WW N6 1
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Redaktion: Valeska Jansen November / Dezember 2013
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Ob man sich auf die Kopfnote oder das Herz verlässt, die Nase wird so oder so verwöhnt – etwa mit Birne, Brombeere, Veilchen und Kaschmirholz (Duft von Emanuel Ungaro). November / Dezember 2013
1 EMANUEL UNGARO
4 GIVENCHY
EdT, «L’Amour fou», 30 ml, ab Fr. 59.–. 2 chanel EdP, Vaporisateur, «Coco Noir», 35 ml, Fr. 105.–. 3 ralph lauren EdT, «Polo Black», 75 ml, Fr. 81.90.
EdT, «Gentlemen Only», 50 ml, Fr. 71.90. 5 GIORGIO ARMANI EdP, «Sì», 30 ml, Fr. 76.90. 6 ACQUA DI PARMA EdC, «Colonia Intensa Oud», 100 ml, ca. Fr. 250.–.
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Trend-Report UHREN
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Diese Uhren kann man sich selber schenken und macht damit t rotzdem jemand anders ein Geschenk: der nächsten Generation. WW N6 Uhr Des Monats Klassik ist nie falsch, bei Uhren sogar immer richtig, finden wir. Zu den Klassikern zählen schlichte Gold u hren mit Lederarmband. Keine billige Anschaffung – aber wer will schon eine billige Uhr? Kommt dazu, edle Zeitmesser werden nicht nur für den Besitzer des Augenblicks gemacht. Als Erbstück überdauern sie Generationen und erinnern immer wieder an die P erson, die die Uhr in die Familie gebracht hat. Ein schönes Beispiel für eine generationenübergreifende Golduhr ist die «Calatrava» von Patek Philippe. Das neue Modell mit Saphirglasboden unter e inem Staubdeckel mit unsichtbarem Scharnier ist etwas grösser als das Vorgängermodell, sonst aber ganz der Nachfahre des klassischen Zeitmessers der grossen Marke.
nomos glashütte
ulysse nardin
Das Lederband der «Lambda» ist handgenäht. Fr. 20 400.–
Diese Version der «Classico» ist auf 888 Stück limitiert. Preis a. A.
A. lange & Söhne
h. moser & cie.
Die «1815 Auf/Ab» verweist auf das Geburtsjahr von Ferdinand A. Lange. Fr. 26 500.–
Auch diese Version der «Monard» hat einen Sichtboden aus Saphirglas. Fr. 23 500.–
patek philippe
jaeger-lecoultre
iwc
Die neue «Calatrava» hat ein Gehäuse aus Roségold. Fr. 30 600.–
Die «Master Ultra Thin Jubilee» ist eine der flachsten mechanischen Uhren mit Handaufzug. Fr. 16 200.–
Die «Portugieser Handaufzug Acht Tage» enthält eine Breguet-Spirale. Fr. 20 000.–
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Redaktion: Raphael Suter November / Dezember 2013
Trend-Report Reisen
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Expeditionen zu Inseln, Bergen, Hotels und – in den Buchladen. WW N6 1
1 Galapagos: 7-tägige Rundreisen von der Insel Baltra aus; www.silversea.com 2 «Before They Pass Away» von Jimmy Nelson, erschienen im TeNeues-Verlag; www.teneues.de 3 «Carlton Hotel», St. Moritz: Die Angebote «100-Jahre-Jubiläum» und «300-Jahre-Jubiläumsrundreise» sind buchbar vom 12. 12. 2013 bis 30. 3. 2014, ausgenommen Hochsaison; weitere Informationen unter Tel. 081 836 70 00 oder www.carlton-stmoritz.ch 4 Google Trekker: Informationen sind über den Schweizer Alpen-Club (SAC) erhältlich; www.sac-cas.ch 5 Lontarpalmblatt-Körbchen. Stückpreis: Fr. 15.– (plus Versandkosten), Mindestbestellmenge: 10 Stück. Bestellungen an: info@zukunft-fuer-kinder.ch
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Lontar-Projekt
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Seit neun Jahren setzt sich die Schweizer Organisation «Zukunft für Kinder» in Südostasien für benach teiligte Menschen ein. Das diesjährige Weihnachts angebot ist ein aus Blättern der Lontarpalme gefloch tenes Körbchen, gefüllt mit Cashewnüssen. Ehemalige Bettlerinnen verarbeiten und verpacken jedes Geschenk von Hand. Somit gehen die Frauen einer bezahlten Tätigkeit nach und schaffen eine bessere Zukunft für ihre Kinder. Infos: www.zukunft-fuer-kinder.ch
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In der Silversea-Flotte gibt es einen Neuzugang: die «Galapagos». Für 2014 bietet das wendige Expeditionsschiff zwei je siebentägige Routen rund um die Inseln gleichen Namens an. – Neue Rundumsicht auf Schweizer Hüttenwege liefert Google Trekker. Durch die Zusammenarbeit des Suchmaschinenunternehmens mit dem Schweizer Alpen-Club (SAC) können sich Bergsteiger und Wanderer bereits zu Hause auf ihre Touren einstimmen. – Einen Einblick in die L ebensweise der letzten verbliebenen Stammeskulturen liefert Jimmy Nelsons Bildband «Before They Pass Away». – Ebenfalls auf eine lange Geschichte kann das «Carlton Hotel», St. Moritz, zurückblicken, es feiert sein 100-jähriges Bestehen (und sein Weiterleben ist nicht bedroht); zum Jubiläum gibt es zwei besondere Arrangements.
24 Redaktion: Yvonne Beck November / Dezember 2013
Trend-Report Objekte
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Wer die Tipps unseres Gerätekenners befolgt, steigert möglicherweise seine Fitness, macht bessere Fotos und bekommt weissere Zähne. WW N6 gps-uhr Multi-Sport
apparat Coolpix S6600 Wenn man gern Selbstporträts und Gruppenbilder macht, dann ist die «Coolpix S6600» die ideale Digitalkamera. Durch die neue G estensteuerung werden der optische 12-fach-Zoom mit einem Brennweitenbereich von 25 bis 300 mm, Auslösung und Filmaufzeichnung mit einer blossen Handbewegung aktiviert. Damit dies möglich ist, gibt’s einen neig- und drehbaren Monitor. Dank der integrierten Wi-Fi-Funktion lassen sich die Bilder über ein Smartphone oder Tablet mit anderen teilen. rechteck Erhältlich in Schwarz, Violett, Rot und Weiss, Fr. 258.–; www.nikon.ch
konsole Playstation 4 Der grosse Tag findet dieses Jahr für Video- Gamer am 29. November statt. Ab dann ist die neue Super-Spielkonsole in der Schweiz erhältlich. Neben einer höheren Grafikleistung und rasanter Geschwindigkeit legt Sony vor allem Wert auf integrierte Social-MediaGaming-Möglichkeiten. video-games Fr. 449.–; http://ch.playstation.com/ps4
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Tom Tom wird sportlich.Neben der «Runner» ist die «Multi-Sport» als Einsteiger-GPSUhr auch für Radfahrer und Schwimmer geeignet. Distanz- und Geschwindigkeitsangaben können dank Bewegungssensoren auch auf dem Laufband oder im Hallenbad abgerufen werden. retro «Runner»: ab Fr. 199.–; «Multi-Sport»: ab Fr. 249.–; http://sports.tomtom.com/
smartlet Galaxy Note 3 Das neue Maxi-Handy (oder Mini-Tablet, je nach Verwendungsart) kommt mit einem noch grösseren 5,7-Zoll-Display daher und wurde dabei noch schlanker (8,3 mm) und leichter (168 g). Für mehr Ausdauer sorgt der stärkere Akku. mobile Ab Fr. 939.–; www.samsung.ch
zahnbürste Sonicare Diamond-Clean Black Edition Philips’ l imitierte schwarze Schallzahnbürste soll bis zu sieben Mal mehr Plaque entfernen als eine Handzahnbürste – und für doppelt so weisse Zähne sorgen. tower Fr. 249.–; in der Schweiz exklusiv erhältlich bei www.swiss-smile.com Illustrationen: Evie Cahir November / Dezember 2013
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November / Dezember 2013
Sarah-Jane Brodbeck
Adliswil–Zürich–Stockholm: Das sind die bisherigen Stationen in der Laufbahn der 26-jährigen Tänzerin. Bericht einer Tour de Force an die Spitze des Ballettfachs – auf Zehenspitzen. Von O l i v e r S c h m u k i (Text) und N i e ls e n O m v i k (Bilder)
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Sarah Brodbeck
enn Sarah-Jane Brodbeck aus dem Fenster ihres Zimmers in einer Wohngemeinschaft im e rsten Stock eines Neubaus schaut, sieht sie ein wunderschönes orangefarbenes Gebäude sowie eine F iliale der trendigen Kleidermarke Tiger of Sweden. Wir befinden uns in Stockholm, an der Grenze zwischen den zentralen Stadtteilen Vasastan und Norrmalm. Die 26-jährige Zürcherin ist im Sommer hierhergezogen. Und hier begann am 14. August für Sarah Brodbeck ein neuer Karriereund Lebensabschnitt. An dem Tag tanzte sie zum ersten Mal als offizielles neues Mitglied in der Kompanie Kungliga Baletten (Royal Swedish Ballet) in Stockholm an der Königlichen Oper, auch Königlich-Schwedische Nationaloper genannt. An diesem Tag, einem Mittwoch, begann das Training für die ersten Aufführungen der laufenden Saison. Und am 1. November wird die Balletttänzerin bei der Wiederaufnahme von «Svansjön» – «Schwanensee» – auf der Bühne als zweite Solistin in die Rolle eines der drei grossen Schwäne schlüpfen und ausserdem den spanischen Tanz zeigen. Zeitsprung in die Vergangenheit: Am 26. Juni stand Sarah Brodbeck in der Rolle der Gouver nante in «Leonce und Lena» zum letzten Mal auf der Bühne des Zürcher Opernhauses. Dort hatte sie zuvor während fast sieben Jahren getanzt. Den Abschied beschreibt sie als hochemotional. «Trotzdem war die Zeit zu gehen gekommen», sagt sie rückblickend. «Es war mir immer schon klar, dass ich nicht ein Leben lang an nur einem Haus tanzen möchte.» Der Entscheid, einen Wechsel zu wagen, sei ihr alles andere als leichtgefallen und in Ab sprache unter anderem mit Christian Spuck erfolgt, dem Nachfolger von Heinz Spoerli, unter dem Sarah zuvor sechs Jahre lang gearbeitet hatte und dem sie sehr vieles zu verdanken habe. Aber auch die Saison unter Spuck sei für sie sehr spannend gewesen: «Christian unterstützte mich in meiner Entscheidung von Anfang an. Es war für mich genial, insgesamt sieben Jahre in Zürich, meinem Zuhause, tanzen zu dürfen. Und ich verliess die Stadt, reich mit Erfahrungen beschenkt.» Für Sarah Brodbeck, die v orher nie länger im Ausland gewesen war, stand fest: «Solche Wechsel sind für jeden Künstler wichtig. Und wenn ich ihn nicht jetzt gewagt hätte, wann dann?» 30
Also zog sie nach einer kurzen Sommerpause um in die schwedische Hauptstadt. Der Wechsel an ein neues Opernhaus ist für Sarah Brodbeck eine grosse Chance. «Das Level der gezeigten Aufführungen entspricht etwa jenem von Zürich, auch punkto Professionalität gibt es kein Gefälle. Einzig das Repertoire ist ein sehr anderes», sagt sie. Und natürlich ist auch sonst vieles neu: Freunde und Familie sind nicht mehr so nahe, und es gilt, neue Freundschaften zu knüpfen und eine neue Stadt zu erkunden – die Ballerina fährt nun täglich mit dem Velo durch die Innenstadt ins Training, lässt sich von der Kulturstadt inspirieren und geht, wenn die Zeit dafür vorhanden ist, auf Streifzüge, um immer neue Lieblingsorte zu entdecken. Sarah Brodbeck wollte tanzen, kaum hatte sie das Laufen erlernt. Im Alter von vier Jahren, während der Weihnachtszeit, sah sie eine Aufführung von «Schwanensee», die ihre Mutter für sie aufgezeichnet hatte. Immer und immer wieder schaute sie sich das Video mit der Aufführung von Heinz Spoerli mit dem Basler Ballett an. Es folgten erste Unterrichtsstunden in rhythmischem Tanzen, die Ballettanfänge an einer privaten Schule in Adliswil und der Wechsel an die Ballettschule für das Opernhaus Zürich, wo Sarah Brodbeck während zehn Jahren ausgebildet wurde. Alles dem Ballett untergeordnet hat sie, als sie an der Tanzakademie Zürich trainierte. Das war während einem Zwischenjahr, das sie am Kunstund Sportgymnasium bezog. Sarah Brodbeck entschied sich für ihre w ahre Leidenschaft und gegen die Maturität, d urfte bei Spoerli vortanzen, erhielt eine Anstellung – und stand plötzlich neben ihren Jugendidolen an der Stange. Und der Zufall wollte es, dass gleich in Sarahs allererstem S poerli-Jahr «Schwanensee» gezeigt wurde. Das Ballett zur Musik von Tschaikowsky blieb in ihrem Leben bis heute eine Konstante, die sie nahezu schicksalhaft durch ihre bisherige Laufbahn begleitet hat. Doch sosehr das Stück in ihrer tänzerischen DNA festgeschrieben ist, so sehr stellte die Aufführung in Schweden eine Herausforderung dar: «Jahrelang habe ich ausschliesslich S poerlis Version getanzt. Da schaltet sich ein gewisser Auto matismus ein. Die neue Version konfrontiert mich nun mit anderen Schritten, anderen Epaulements, also Armbewegungen.» Die Proben wurden zum Konzentrationsakt: Temps levé, Plié, dann eine feine Veränderung in der Inklination des Kopfes – für S arah Brodbeck ein Umdenken bis ins kleinste Detail, das physisch und psychisch nicht immer spurlos an ihr vorbeigeht. Und Erlebnisse wie d iese liefern einen Erklärungsansatz, weshalb das Ballerina-Leben in Filmen nicht nur von seiner schönen November / Dezember 2013
Sarah-Jane Brodbeck, Ballerina, in Stockholm.
Seite gezeigt wird, sondern oft von Intrigen hinter den Kulissen erzählt, das Thema Magersucht ins Zentrum rückt und den psychischen Zerfall thematisiert, der aufgrund von Leistungsdruck und im Umgang mit den harten Trainern entsteht. Darren Aronofskys Kassenerfolg «Black Swan» (2010) mit Natalie Portman in der Hauptrolle fällt einem ein. Sarah Brodbeck aber warnt vor solchen Deutungsansätzen, die verzerrend seien und ein Bild zementierten, das nicht der Realität entspreche. Sie findet, dass ein gewisser Konkurrenzkampf förderlich sein könne. «Vom Typ her bin ich aber eher jemand, der zu schlichten versucht, weil ich Streit nicht gerne habe.» Natürlich aber kennt auch sie die Strapazen, die ihre Tätigkeit manchmal mit sich bringt. «Täglich arbeitet man mit seinem Körper, und dieser fühlt sich schliesslich jeden Tag anders an.» Damit umzugehen, gerade wenn man einmal etwas geschwächt, lädiert und unter Druck ist, sei nicht immer einfach, rücke aber in dem Moment wieder in den Hintergrund, in dem man zu spüren bekommt, wie sehr sich das P ublikum an der Performance erfreut. Wichtig ist auch, zu wissen, was man kann und wo man steht.
«Ich würde mich als eine sehr vielseitige Tänzerin beschreiben», sagt sie. «Ich bin eine gute Allroun derin mit ausbalancierten Fähigkeiten. Meine Stärke ist eher das neoklassische Ballett als das klassische.» Zu ihren bisherigen persönlichen Highlights gehört der Auftritt als Elfenkönigin Titania in S poerlis «Sommernachtstraum». Daneben erwähnt sie die Tourneen mit der gesamten Kompanie nach Bangkok, Schanghai, Kairo, Singapur, wo die Vorführungen teilweise auch gezeigt wurden. Dass die Wahl einer neuen Stadt nun ausgerechnet auf Stockholm fiel, lag daran, dass das dortige Opernhaus auf die grosse, feingliedrige Ballerina mit den grazil-eleganten Bewegungen aufmerksam wurde. Das wiederum passierte nicht ganz zu fällig, sondern deshalb, weil Sarah dort zuvor ein Training besucht hatte. Sie besuchte ihren Freund, den sie in Zürich kennengelernt hatte und der vor ihr nach Stockholm gezogen war – wo er heute ebenfalls Tänzer am Kungliga Baletten ist. «Was mir hier gefällt, ist die Breite des Repertoires», sagt die Ballerina. Es sei toll, einmal etwas sehr Klassisches zu tanzen, um gleich darauf etwas Modernes von Örjan Andersson einzustudieren und dann etwas
Das Tschaikowsky-Ballett «Schwanensee» ist bis heute eine Konstante in der Laufbahn von Sarah-Jane Brodbeck. November / Dezember 2013
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Die Rückenpartie erfordert, viel mehr als die Technik, am meisten Arbeit und Aufmerksamkeit, gerade bei erfahrenen Tänzerinnen und Tänzern.
Beine: Croisé, Degagé devant, Fondu.
Manchmal fühlt sie sich wie die Kugel in einem Flipxxxkasten, mit der ein Wxxxxxxniger spielt. Er liebt das.
Beine: Attitude croisée derrière.
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Sarah Brodbeck
Neoklassisches wie beispielsweise ein Werk von William Forsythe. Und wenn man wissen möchte, ob es sehr anspruchsvoll ist, mit dem Partner nicht bloss zusammen zu wohnen, sondern auch zusammen zu arbeiten, sagt die Zürcherin, dass sie ihren Freund manchmal tagelang im Opernhaus nicht sieht, weil er in einer anderen Gruppe trainiert. etreffend Arbeits- und Trainingszeiten sagt Sarah Brodbeck, dass diese ähnlich kompakt seien, wie sie es von ihrer Zürcher Zeit gewohnt sei. Das heisst, dass täglich zwischen 10 und 17 Uhr getanzt wird. «Es gibt für jeden einzelnen Arbeitstag einen Plan. Dabei gleicht kein Tag dem anderen.» Das heisst, zum Auftakt von 10 bis 11.15 Uhr findet etwa für alle rund siebzig Tänzerinnen und Tänzer ein «normales» Balletttraining statt. An der Stange wird der Körper aufgewärmt, bevor man sich der persönlichen Technik widmet und an ihr feilt. Nach der Mittagspause folgt das strukturierte Programm, und sämtliche Mitglieder der Kompanie werden dazu in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Auf «Schwanensee» bezogen, heisst das: In einem Studio des Gebäudes proben beispielsweise alle Schwäne gemeinsam mit einem jeweils zuständigen Ballett meister eine P assage, während anderswo eine G ruppe das Pas de trois mit einem Repetitor übt, also den Tanz zu dritt. Die Rollen der sogenannten principals, also der Tänzerinnen und Tänzer, die in den Hauptrollen der grossen Stücke zu sehen sind, sind klar verteilt. Es sind meist die Erfahreneren, die schon länger am Haus tanzen, die diese Posten belegen. Sarah Brodbeck, die selbst schon viele Solopartien tanzen durfte,
weiss: Der Druck, den man sich dadurch selbst auferlegt, ist nochmals ein höherer. «Solche Rollen muss man leben, komplett.» Und das sagt eine junge Frau, die schon unzählige Male der Arbeit gegenüber der Freizeit den Vorrang gab, Ferien und/oder Freunde opferte sowie bei zusätzlichen Vorstellungen oder Projekten mitmachte und an Galas tanzte – und zwar nebst dem Alltag am Opernhaus. In der laufenden Saison werden neben «Schwanensee» auch andere Aufführungen gezeigt. «Julia och Romeo» zum Beispiel, vom schwedischen Choreografen Mats Ek, der zuvor auch in Zürich arbeitete und hier vor zwei Jahren «Dornröschen» inszenierte. Die Premiere des Shakespeare-Stücks fand bereits vor der Sommerpause statt, und so bekam das Stockholmer Publikum Sarah Brodbeck noch nicht zu sehen. «Als neue Tänzerin war ich zuallererst natürlich understudy [Zweitbesetzung, d. Red.]. Das Casting war schliesslich bereits erfolgt. Das Erlernen meiner Rolle hat mir aber gros sen Spass bereitet.» Immerhin hatte sie anderswo schon Gelegenheit aufzutreten: An einem Event für eine Uhrenmarke im Grandhotel. Ein Choreograf der Kompanie wählte sie dafür aus, zusammen mit nur sechs anderen Tänzerinnen. Der richtig grosse Tag für Sarah-Jane Brodbeck wird aber der Premierenabend von «Schwanensee» sein (der nach Redaktionsschluss stattfinden wird). Die Ballerina weiss genau, dass gerade dieses wohl bekannteste aller Ballette, ein langes obendrauf, einer Tänzerin viel abverlangt. Doch natürlich beflügelt sie, dass es ihr erster Auftritt am neuen Ort ist. Und dass sie einen weiteren grossen Schritt in ihrer Laufbahn weiterkommen wird – auf Spitzen, versteht sich.
Zu den persönlichen Highlights zählt die Ballerina den Auftritt als Elfenkönigin Titania in Heinz Spoerlis «Sommernachtstraum».
BallettEinmaleins Die fünf Positionen der Füsse:
Croisé / Effacé: Kreuzen der Beine; Croisé kann vorwärts oder rückwärs gerichtet sein. Bei Effacé sind die Beine offen.
En dehors / En dedans: drehende Bewegungen, die nach a ussen bwz. innen gerichtet sind.
Port de bras: Wissensgrundlage für den Gebrauch der Arme; schwierigster Teil des Tanzes.
Battement: as Ausstrecken des d Beines aus einer Position und das Rückführen in dieselbe Position.
Mein Arbeitsweg
cykel Mit diesem Velo fahre ich bei schönem Wetter zum Opernhaus. November / Dezember 2013
stadshus Das Rathaus mit den goldenen Kronen ist ein Wahrzeichen der Stadt.
gamla stan Blick auf die auf einer Insel gelegene Altstadt von Stockholm.
kungliga operan Mein Arbeitsplatz! Das Opernhaus wurde 1898 königlich eingeweiht.
KungsträdgÅrden Der Park hinter dem Opernhaus ist einer meiner Lieblingsplätze.
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Sarah Brodbeck
Mein Stockholm Die Tänzerin lebt erst seit vergangenem Sommer in der schwedischen Hauptstadt. Sie weiss bereits, wo sie Kunst, Kleider und Ruhe findet – und wo sie noch hinwill. Von Sa ra h -Jan e B rodb e c k (Text) WW N6 Mein Lieblingsrestaurant
Hasseludden gehört, das etwas ausserhalb gelegen ist. Da möchte ich unbedingt bald einmal hingehen. Der schönste Ort, um sich Kunst anzusehen
Im Stadtbezirk Södermalm, der mir enorm gefällt, habe ich das «Urban Deli» entdeckt, das leckere schwedische Küche anbietet, aber auch feine Antipasti. Der schönste Ort zum Flanieren
Das Gebiet Östermalm rund um den Nybroplan und den Stureplan ist wie geschaffen für gemütliche Spaziergänge. Es ist eine schicke Gegend mit schönen Häusern und grossen Apartments. Und man findet dort auch eine Menge hübscher Cafés.
H-&-M-Ableger. Gefallen hat mir auch NK (Nordiska Kompaniet), eines der ältesten Kaufhäuser der Stadt, die ohnehin bekannt ist für ihre Malls – vermutlich gibt es so viele davon, weil es oft sehr kalt ist und so das öffentliche Leben drinnen stattfinden kann. Mein Lieblings-Wahrzeichen
Das Vasa-Museum auf der Djurgarden ist total eindrücklich! Man kann dort das Kriegsschiff «Vasa» besichtigen, das vor vierhundert Jahren gesunken ist. Anscheinend wurde es dank dem geringen Salzanteil im Wasser nicht voll kommen zersetzt, bis es etwa 1960 geborgen und restauriert wurde. Für Fotografie kann ich das Foto museum Fotografiska auf Södermalm empfehlen, wo ich mir mit einer Freundin die Helmut-Newton-Ausstellung angesehen habe. Der tollste Laden zum Einkaufen
Auf dem Heimweg vom Opernhaus fahre ich an einer Stelle direkt auf das wunderschöne Stadthaus zu, hinter dem jeweils die Sonne versinkt. Wenn sich dann der Himmel violett verfärbt, ist das wahnsinnig eindrücklich! Ohnehin schaue ich mir tagsüber sehr oft den Himmel über der Stadt an, der sich häufig in einem ganz intensiven Blau präsentiert. Mein Lieblingsort ausserhalb der Stadt
Mein Lieblingsort zum Entspannen
Zu Hause! Sehr gerne besuche ich auch die Insel Djurgarden. Am schönsten ist es dort, wenn man mit dem Velo hinfährt, abends, wenn die meisten L eute weg sind. Ich habe auch von einem japa n ischen Spa namens Yasuragi 36
Ikea! Im Ernst, um unsere WG einzurichten, sind wir mit dem Gratisbus, der stündlich aus der Stadt in das Geschäft etwas ausserhalb von Stockholm fährt, hingefahren. Wir haben eine Kommode gekauft, ein Regal und einen bequemen Sessel. Grundsätzlich unterscheidet sich die Filiale aber nicht von jenen in der Schweiz. Coole Kleider gefunden habe ich bei COS, dem schickeren
Mit meinen Eltern bin ich im vergangenen Sommer nach Järna g efahren, kurz nachdem ich nach Stockholm gezogen war. Wir verbrachten zusammen etwas Zeit an einem wunderbar stillen Plätzchen an einem See, wo ich mir tatsächlich einen kleinen Sonnenbrand zugezogen habe – ja, auch das geht in Stockholm! Illustrationen: Yehteh November / Dezember 2013
«boss Made to Measure» Für einen Massanzug v on Hugo Boss zum Beispiel braucht es 500 Nähminuten.
der sitzt Es gibt Anzüge, und es gibt Massanzüge. Erstere passen, letztere sind die Fortsetzung der Haut. Früher war «Made to Measure» teuer, sperrig, und es dauerte ewig, bis aus dem g uten Tuch ein Kleid e ntstand. Das war früher. Von Y VO N N E W I G G E R
(Text) und A K I RA S O R I M AC H I
(Illustrationen)
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as Ankleidezimmer eines Massschneiders vereint Luxus, Klassik und Exklusivität in einem: Champagner, klassische Musik und das Spiegelbild eines gutaussehenden Mannes im Anzug, umgeben von Stilmöbeln. In diesem Setting sieht man auch Michael Douglas in der Rolle des Pianisten Liberace und seinen Liebhaber Scott (Matt Damon) im Film «Behind the Candelabra». Die Botschaft: Liberace führt den Jüngling nicht bloss zum Massschneider, sondern eigentlich in die Welt der Männer von Welt ein. Genauso wie es ein grösserer Unterschied ist – am Status gemessen, nicht in Metern –, ob ein Reisender beim Einsteigen in ein Flugzeug nach links oder nach rechts biegt (First bzw. Business Class oder Economy Class), besteht auch eine Fallhöhe zwischen dem, der «von der Stange», und dem, der «auf Mass gemacht» wählt beim Anzugkauf. Und dabei geht es weniger um das Grob-, mehr um das Feinstoffliche. Kleidung nach Mass gewinnt zurzeit vor allem bei den Herren Kundschaft und sorgt dafür, dass es das Geschäft mit den Männern ist, das plötzlich mit seinem grösseren Wachstum den Aktionären Freude macht. Individualisierung ist Trend – und was ist individueller als Kleider, die nur für einen hergestellt werden? Das sahen auch die Verantwortlichen der deutschen Marke Hugo Boss vor rund zwei Jahren so. Und begaben sich mit ihrem «Made to Measure»-Angebot in gute Gesellschaft: die von Tom Ford, Ermenegildo Zegna oder Brioni. Hugo Boss hat Erfolg damit, deutsche Schneiderkunst mit modernen Fertigungstechnologien zu verbinden und eine A lternative zum klassischen Massschneideranzug zu schaffen. Wie sonst bloss selten hat jeder Kunde beim Kauf seines Anzugs unmittelbaren Einfluss auf den Entstehungsprozess. Boss-Designer Kevin Lobo: «Unser Angebot ist für den anspruchsvollen Mann, der Wert auf Luxus, Qualität, exzellente Verarbeitung, eine perfekte Passform und die persönliche Note legt.» Mit «Boss Made to Measure», dem höchstpositionierten Angebot, schliesse man den Kreis. Im Gespräch mit einem Hugo-Boss-Experten wird der Kunde beraten, und gemeinsam entwickelt man den Entwurf des Anzugs. Das tönt nach weniger, als es tatsächlich ist, wie jeder Mann weiss, der schon einmal mit einem Schneider versuchte, seinen nächsten Anzug zu designen – «Sagen Sie, was Sie wollen, ich nähe es dann», sagt der Schneider nämlich und hat recht damit, er ist eben Schneider, nicht Designer. Nach rund zwei Stunden sind Form und Stoff des «Made to Measure»- Anzugs festgelegt. Hugo Boss bietet grundsätzlich zwei Passformen: «Slim fit», die schlanke Variante, und «Regular fit». Um die Auswahl des Stoffs zu erleichtern, stellt der Berater eine Selektion aus 104 verschiedenen Mustern vor. Es werden saisonale Trends und klassische Varianten angeboten. Nicht nur die Farbe ist entscheidend, auch Verarbeitung, Struktur und Muster. Dann wird Mass genommen. Dafür hat Hugo Boss das effiziente Schlupfanzugverfahren entwickelt – alle Grundgrössen in «Slim fit» und «Regular fit» sind bereits vorhanden. Bei einem Massschneider dauert der Prozess länger, bis zu vier Anproben sind nötig. Hugo Boss will jedoch dem Kunden innerhalb eines Zeitrahmens, den 39
man als vernünftig bezeichnet (vier bis sechs Wochen), den fertigen Anzug liefern. Accessoires wie Einstecktücher, Gürtel, Uhren und T aschen gewinnen zunehmend an Wichtigkeit, um den individuellen und kompletten Look zu schaffen. Bei Hugo Boss entscheidet der Käufer über Garn, Manschetten und Knöpfe aus Perlmutter oder Echthorn. Auch die Kragenform darf festgelegt werden: Der Haifischkragen zum Beispiel ist, naheliegenderweise, die Business-Variante, der Kentkragen der Klassiker und der Button-down-Kragen der Hinweis auf einen Mann, dessen Wochenende bereits am Mittwoch beginnt, im Kopf jedenfalls. Zum Abschluss wird eine personalisierte Stickerei auf Wunsch in den Anzug eingearbeitet; in der Sakko-Innen-
erster schritt Der Kunde verabredet sich mit dem Hugo-Boss-Experten und sucht eine entsprechende Filiale auf.
zweiter schritt Während zweier Stunden wird der Kunde b eraten: Gemeinsam werden Passform, Stoff, Farbe und Details besprochen.
Der Käufer entscheidet über Garn, Manschetten, Kragenform und Knöpfe aus Perlmutter oder Echthorn. seite und im Hosenbund kann der Kunde seine Unterschrift, ein Monogramm, eine Widmung oder ein Datum einsticken lassen. Der Anzug wird, nach Eingang des Auftrags aus den spezialisierten Stores, in denen Mass genommen und Beratung geboten wird, in Metzingen gefertigt, dem Firmenstandort. Bei der «Made to Measure»-Verarbeitung setzt Hugo Boss auf traditionelle Handarbeit. Fünfhundert Nähminuten dauert die Anfertigung jedes Unikats. Alleine das Aufnähen des Unterkragens im Hexenstich benötigt 23 Minuten. Designer Kevin Lobo, seit 2009 bei Hugo Boss, erklärt die zunehmende Lust auf Männermode und zugleich Individualisierung so: «Männer haben, was ihren Dresscode angeht, von Frauen gelernt, sie achten mehr auf ihr Äusseres. Und haben erkannt, dass ein persönlicher Kleidungsstil die Möglichkeit bietet, sich ohne Worte auszudrücken.» Libe race, der, soviel bekannt ist, nicht Kunde von Hugo Boss war, würde wohl zustimmen. Und, mehr noch, sagen, dass diese Erkenntnis Teil seines Erfolgs war. Damit wir uns richtig verstehen: Die allermeisten Männer dürften den Show-Pianisten und «König der Strasssteine» nicht als Stilvorlage ansehen. Ihnen geht es um Sicherheit in Stil und Mode, was im Geschäftsleben nicht bloss unerlässlich ist, sondern ein Vorteil. Ein perfekt sitzender Anzug minimiert Komplexität. Oder, einfacher ausgedrückt: Man hat eine S orge weniger jeden Morgen. Den Unterschied zwischen einem Mass- oder Konfektionsanzug und einem Anzug von der Stange sieht vielleicht nur der Profi; den Unterschied spürt aber jeder, der einmal beides getragen hat. Und dieses Gefühl strahlt ab und aus – man sieht nicht, wer am Sitzungstisch einen Massanzug anhat, wenn man den Stoff untersucht, man muss sich nur den Mann ansehen.
dritter schritt In Metzingen werden die Unikate mit äusserster Präzision von Fachkräften angefertigt.
BOSS «Made to Measure» wird ab 2600 Franken in ausgewählten Boss Stores angeboten; in der Schweiz in Basel, Genf und Zürich.
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Vierter und letzter Schritt die Anprobe. Änderungswünsche könnenangebracht werden, bis alle Parteien zufrieden sind.
Bluse und Faltenrock von Azzedine Ala誰a, Perlenkette von Ligia Dias
mit Perlen besticktes Oberteil und Samtrock von Giorgio Armani, Armreife von HervĂŠ van der Straeten
Jacke und rock von Givenchy, high heels von sergio rossi, slip von eres oktober / november 2013
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Teddyfell-Mantel von ACNE 46 Bilder: XXX November / Dezember 2013
Wollkleid und collier von CĂŠline, Ohrstecker von Christian Dior
beide Seiten: Seidenkleid mit Perlenbesatz von Prada, High Heels von Christian Dior, Ring von Lara Bohinc (bei mytheresa.com)
Haare: Tanya Koch Make-up: Emilee Bak Model: Regina Krilow (WOMEN Management, paris) Fotoassistenz: Sarah StAIger Styling-Assistenz: Charlötte Cargnello Location: Île du Guesclin Special Thanks to Serge Porcher, Mario Hampel, Rob Webster and Germán RodrÍguez
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m Buch «1000 Places to See Before You Die – Die Lebensliste für den Weltreisenden» gibt es bloss einen Eintrag für Schanghai, das Schanghai-Museum nämlich («Einzigartige Sammlung chinesischer Antiquitäten»). Für Zürich, zur Information, hat es drei Einträge: «Dolder Grand»-Hotel, «Kronenhalle» und «Petermann’s Kunststuben» in Küsnacht («Der Schweizer Präsident ist hier ein regelmässiger Gast . . .»). Ich war, nur zum Sagen, in Schanghai, aber nicht im SchanghaiMuseum. Und ich finde, das Buch hat im Grunde einen Wert als Nachschlagewerk. Aber es steht nirgends geschrieben, dass Autoren solcher Bücher immer recht haben. Die grösste Metropole Chinas (14 bis 23 Millionen Einwohner, je nachdem was man alles dazuzählt; Angaben aus dem Jahr 2000) und bedeutendste Industriestadt des Landes (Wikipedia) sollte man schon einmal sehen, bevor man stirbt. Wenn auch weniger ihrer Sehenswürdigkeiten wegen, von denen es eigentlich eher wenige gibt, als mehr des Lebensgefühls wegen. Und um sich selber ein Bild zu machen von dem, was man seit einiger Zeit oft hört und liest: «Die neuen Grossmächte – Wie China, Brasilien und Indien die klassischen Industriestaaten überrunden» (Spiegel), oder: «Asien rückt in den Mittelpunkt der globalen Wirtschaft» bzw. «Chinas wachsender regionaler Einfluss» (Finanz und Wirtschaft). Und so weiter. Der Flughafen Shanghai Pudong International (PVG) ist natürlich modern und gross. Obwohl 2010 mehr als vierzig Millionen Passagiere über PVG reisten (Platz zwanzig auf der Liste der «World’s Busiest Airports»), ist der Eindruck, den man bekommt, nicht der einer besonderen Betriebsamkeit – es könnten sechzig Millionen Reisende sein jährlich. Doch noch kann es sich nicht jeder in oder um Schanghai leisten zu fliegen. Es gibt zwar bereits viele sehr reiche und reiche Chinesen, aber es gibt auch immer noch sehr viele arme. Der Transfer vom Flughafen in die dreissig Kilometer entfernt liegende Stadt erfolgt am besten mit dem «Transrapid». In diesem erlebt man nicht bloss, wie schnell eine Magnetschwebebahn fahren kann (erreichte Höchstgeschwindigkeit: 430 km/h gemäss grosser Anzeige in den Fahrgastabteilen). Man sieht auch, dass solche Vorhaben einfacher umzusetzen sind in Ländern, in denen die Bewohner wenig mitentscheiden dürfen – die Gleise führen nahe an D örfern vorbei oder sogar durch diese hindurch. Woran man sich, endlich im Hotel angekommen, am besten sofort gewöhnt: Man wird nicht durchgehen als einer, der zwar nicht von hier ist, sich aber irgendwie gut metzget und auskennt. Kein typischer Tourist also, sondern ein Weltreisender eben. Keine Chance. Man wird es nicht schaffen, im Kopf zu behalten und auszusprechen, in welchem Viertel man wohnt. Oder wie die Strasse heisst, an der das Hotel liegt beziehungsweise das Restaurant, in das man möchte. Einverstanden, falls man Sinologie studiert hat und/oder hochbegabt ist, gelingt einem das vielleicht während fünf Tagen, was ich für die richtige Länge eines Aufenthalts halte. Aber besser findet man sich damit ab, dass man lost ist. Es mag dem Selbstverständnis nicht entsprechen, doch man wird von jetzt an, bis man wieder im Flughafen ist, Taxifahrern und Taxibeschaffern (vor Hotels, in Restaurants etc.) sein Smartphone wortlos vors Gesicht halten, weil man zuvor die 52
Adresse von Orten, wo man hinmöchte, per E-Mail sich selber gesandt hat, die dank einer App oder Websites auf Englisch und Mandarin in Schriftzeichen empfangen werden kann. (Und man wird hoffen, dass keiner Rückfragen stellt – «Meinen Sie das ‹Shintori›-Restaurant an der Ju-Lu Road oder das an der Yue-Yang Road?») Wenn man dann also, bereit, die Stadt zu erkunden, vor dem Hotel steht und auf ein Taxi wartet, was abends und vor allem wenn es regnet, lange dauern kann, weil Taxifahren zu preiswert ist, sollte man entschieden haben, welches Schanghai man erkunden möchte. Es gibt, ganz einfach ausgedrückt, ein Baedeker-Schanghai (nach dem klassischen Reiseführer) und ein Monocle-Schanghai (nach dem internationalen Lifestyle-Magazin von Tyler Brûlé). Wer das Baedeker-Schanghai kennenlernen möchte, besucht wahrscheinlich das erwähnte Schanghai-Museum, den Yu-Yuan-Garten (der sehenswert ist) oder das French-Concession-Viertel (das ebenfalls sehenswert ist) . . ., die (eher wenigen) üblichen Sehenswürdigkeiten. Und, damit wir uns richtig verstehen, das ist nie falsch – es gibt schliesslich in den meisten Fällen gute Gründe, weshalb etwas zur Sehenswürdigkeit wurde (weil es würdig ist, es sich anzusehen, nämlich). Die Anzahl solcher Sehenswürdigkeiten, die in Schanghai im Angebot sind, ist kleiner, als man meinen könnte in einer so grossen Stadt mit grosser Geschichte. Doch das ist eben Schanghai; nicht Paris oder Rom. Dann also auf zum Monocle-Schanghai oder auf zur Suche nach dem Lebensgefühl Schanghais. Ein junger deutscher Kunstkenner, der seit einigen Jahren ungefähr die Hälfte seiner Zeit in der Stadt verbringt (den Rest in Berlin), empfahl den Besuch der K11 Art Mall, eines Einkaufszentrums im Luwan-Viertel. Das Besondere an diesem Einkaufszentrum ist nicht, dass es dort zahlreiche Geschäfte europäischer Luxusmarken gibt (etwa Valentino, Burberry oder Bally), solche gibt es vielerorts. Das Besondere ist, dass man zwischen Kleidern, Schuhen und Accessoires auch Kunst kaufen kann («Erstes Kunsteinkaufszentrum der Welt», Eigenreklame). Eine Stichprobe hat aber ergeben, dass sich für die Kunstwerke kaum ein Kunde interessierte (für die Kleider, Schuhe und Accessoires dagegen viele). Was es, nebenbei, auch gibt in der K11 Art Mall – lebende Jungschweine. Nicht zum Kaufen, soviel ich herausgefunden habe, sondern zum Anschauen. Der Grund, weshalb diese dort sind und angeschaut werden: Ein Teil des Einkaufszentrum-Stockwerks ist für frisches Gemüse und frische Früchte reserviert. Es gibt dort, in unmittelbarer Nähe zu einem Res taurant der Kette «Pizza Marzano» (unter diesem Namen tritt das britische Unternehmen «Pizza Express» in China auf), ein ähnliches Angebot, wie man es in der Schweiz an den Ständen in Globus-Delicatessa-Läden findet. Man weiss, dass Lebensmittel für Chinesen Waren von besonders grosser Bedeutung sind – wie wahrscheinlich in jeder Gesellschaft, in der es Hungersnöte mit Millionen von Toten gab, an die man sich noch erinnern kann. Hier geht es weniger um die Grösse des Angebots, es ist eher klein und auch nicht besonders vielfältig. Es geht darum, dass den Mitgliedern von Schanghais Oberschicht zurzeit Gemüse als so etwas wie die neuste Luxusware verkauft werden soll, und nicht einmal exotisches November / Dezember 2013
pudong Das Geschäftsviertel mit dem Shanghai Telecom Tower (mit zwei Kugeln): So sieht es aus, wenn die Unternehmen der zweitgrössten Wirtschaftsmacht der Erde ihre Zentralen zeigen. Man kann auch als Tourist hinfahren, muss es aber nicht unbedingt.
luwan bei nacht Genau zur richtigen Zeit haben Luxusmarken aus der Schweiz, Europa und Amerika (im Hintergrund) neue Kunden gefunden (im Vordergrund) – Strassenszene in einem schicken Viertel, in dem es besonders viele teure Geschäfte gibt.
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shikumen-haus Der Mann sieht vielleicht nicht so aus, aber er ist reich – Immobilienpreise haben Schweizer Höhen erreicht.
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Landflucht «Individualität wird überbewertet», sagt der Chinese. Neubausiedlung an der Autobahn vom Flughafen ins Zentrum.
«rosengartenstrasse» Unterwegs in Schanghai, fällt es einem schwer, zu glauben, dass verhältnismässig wenig Chinesen ein Auto haben. Doch es werden zusehends mehr. Jeden Tag.
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bright lights, big city Eine der Strassen, die zum Bund Boulevard führen – und auf dem ist dann was los.
schanghai-mini-guide Ein Kunstmuseum, eine Whisky-Bar und vier Restaurants. 1
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1 Power station of art: das neuste, grösste und beste uayuangang Road, Museum für zeitgenössische Kunst. 200 H Huangpu District. 2 Lost Heaven – das Restaurant von Schanghai. 17, Yan An E. Road, Tel. 021-6330 0967. 3 noodle bull – modernes, einfaches Restaurant für mittags. 1F3B, No. 291, Fumin Road, X uhui District (bei Changle Road), Tel. 6170-1299. 4 Constellation Bar –schicke Bar (mit etwas weniger schicken Gästen). 1–2F, No. 33, Yongjia Road, Tel. 86 21 5465-5993. 5 Shintori – bestes japanisches Restaurant. 803 Ju-Lu Road, Tel. 5404-5252. 6 Commune social – spanische Küche, Tapas in einem Innenhof. 511 JiangNing Road, Jing-An District, Shanghai, Tel. 021 6047-7638.
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Gemüse, sondern zum Beispiel kommune Karotten, sauber gewaschen und sortiert zwar, doch mit Kraut dran und präsentiert wie Handtaschen – Entschuldigung, It-Bags von Burberry –, weil bio (ich habe niemanden gesehen, der von den Bio-Karotten kaufte). Werke zeitgenössischer Künstler und biologisch korrekt produziertes Gemüse aus der Gegend liegen also, so sieht es aus, auf der Snob-Appeal-Skala eine Stufe zu hoch für die Ehefrau oder Freundin des neuen reichen Chinesen. Man gewinnt Distinktion immer noch am besten über Marken, die jene, die man beeindrucken möchte, kennen. Das Verständnis für die aus unserer Sicht ganz feinen Dinge des Lebens – ein Bild eines zeitgenössischen Malers statt eines Rings von Pomellato oder eine Bio-Karotte (mit Kraut) statt eines Hermès-Carrés – fehlt zurzeit noch den meisten. Es soll in dieser Zeitschrift nicht darum gehen, die Lust der Chinesinnen auf möglichst viele und möglichst teure Konsumgüter streng zu beurteilen, ganz klar. Man kommt aber nicht darum herum, zu erkennen, dass die Ergebnisse der schrittweisen Einführung der Marktwirtschaft durch die Spitzen der chinesischen Politik dazu geführt haben, dass man zwar immer noch wenig Rechte hat als Bürger, dafür frei ist, an einem, sagen wir, Dienstagvormittag auf dreizehn Zentimeter hohen Absätzen (von Louis Vuitton) durch die K11 Art Mall zu gehen (und dieses Recht nimmt sich die Mehrheit der anwesenden Bürgerinnen, was das Bild des öffentlichen Raums verschönert, halte ich fest). Und auch das Recht, sich die Stellung sowie die Form der Augen durch ein paar Schnitte mit dem Skalpell in einer der vielen Kliniken, in denen plastische chirurgische Eingriffe zu haben sind, westlicher gestalten zu lassen (was viele Schanghaierinnen ebenfalls in Anspruch nehmen). «Wenn Mao das wüsste . . .», könnte man mutmassen. Doch dann müsste man anhängen, dass es bestimmt besser sei, wenn die Revolution ihre Kinder nicht frisst, sondern diesen kaum Rechte gibt, ausser sich teure Kleider anzuziehen und das Gesicht operieren zu lassen. Die beste Zeit, um das Baedeker-Schanghai zu bereisen, ist die von April bis November, ausser vielleicht im Juli und August, weil es dann sehr warm ist: 32 Grad am Tag (Quelle: iten-online.ch); das Monocle-Schanghai hat eigentlich immer Saison, weil man dann ja kein typischer Tourist ist. Meine Reise fand im September statt, was ich empfehle – bei uns wird es dann langsam kühl, dort sind es noch 27 Grad, und zwar am Tag und in der Nacht, was auch angenehm ist (dito im Mai, weil es in Schanghai Jahreszeiten gibt wie bei uns). Wenn wir es von «angenehm» haben: Ich gebe gerne zu, dass in meinen Augen die längste Zeit Wörter wie «Schanghai» und/oder «China» sowie «angenehm» nicht in den gleichen Satz gehörten. Was die Schönheit der Landschaft beziehungsweise der Städte sowie die Anmut/Eleganz der Bewohner angeht, hatte ich deshalb auch dieses Mal keine hohen Erwartungen; ich besuchte in der Vergangenheit ein paar Mal verschiedene Gegenden und Städte Chinas (darunter Schanghai vor acht Jahren). Die Landschaft erschien mir, über alles besehen, eher eintönig und kahl, ausser im Süden, in der Gegend von Guilin, wo die oft gemalten und fotografierten Karstberge hinter dem Li-Fluss stehen. Und die Bevölkerung November / Dezember 2013
wirkte eher unfreundlich und unanständig – was eine k lare kulturimperialistische Anmassung ist, die 1,3 Milliarden Menschen nicht zutreffend wiedergeben kann beziehungsweise diesen nicht gerecht wird (doch die Geschichten mit dem Absondern von Körperflüssigkeiten, zu Tisch im Restaurant zum Beispiel – weil alles Unreine rausmüsse aus dem Körper –, oder das Nichtbeachten bei uns geltender Regeln wie das Anstehen vor Billettautomaten et cetera, sind für Rei sende wie mich irgendwie unangenehm). Die Landschaft, nehme ich an, ist nicht schöner geworden in den vergangenen Jahren. Und die Städte sind es wohl auch nicht, wenn man genau hinschaut. Aber muss man so genau hinschauen? Nicht unbedingt, finde ich. Man kann, das heisst, man soll, versuchen, das am Anfang dieses Artikels angekündigte Lebensgefühl zu erkennen und idealer weise zu verstehen. Soft factors über hard factors zu stellen, was als Sprachbild nicht funktioniert, in einer fremden Stadt und Kultur aber zu interessanten Ergebnissen führen kann. Zu diesem etwa: wenn einem die scheinbare Disziplinarmut der Menschen nicht mehr einfach nur auf die Nerven fällt, sondern man sie als Ausdruck von Sturm und Drang annimmt. Vereinfacht gesagt: Wer drängt, hat im Leben noch Ziele, hat die Saturierung, die man bei uns kennt, noch nicht kennengelernt. (Was die «Alles Unreine muss raus aus dem Körper»Regel betrifft, habe ich immer noch keine Deutung gefunden, die es appetitlicher macht, so viel hard factor muss sein.) Was mir aber aufgefallen ist: Es gibt mittlerweile zahlreiche gutgestaltete und noch besser eingerichtete Restaurants – was auf den Tisch kommt, ist fein sowieso –, so dass es leichter ist, über Nebensachen, die an Nebentischen passieren, wegzuschauen. Und noch etwas: Das Verhältnis von dem, was einem geboten wird, zu dem, was man zahlt, ist gut. Klar, wenn man aus Zürich kommt, erscheinen einem die Preise in Restaurants und Hotels fast überall auf der Welt günstig. In Schanghai dünken sie einen aber richtig günstig. Zum Schluss noch etwas wie ein Geheimtipp (nur für L eser dieser Zeitschrift). Sollte man den Wunsch haben, den Massen von Menschen, die einen überall und immer umgeben (nicht bloss an einem Freitag- oder Samstagabend auf dem sogenannten Bund, dem Uferboulevard mit den schicken Geschäften und ebensolchen Restaurants am Fluss), zu entkommen, geht man – ins Museum. Zum Beispiel ins zurzeit neuste und beste Kunstmuseum, die Power Station of Art, Schanghais Gegenstück zur Londoner Tate Gallery of Modern Art. Ich war an einem Samstagnachmittag einer von vielleicht dreis sig Besuchern (die Hälfte davon Ausländer). Das wird nicht mehr lange so sein. Bei meinem nächsten Besuch, denke ich, wird man anstehen müssen um den Block herum (Tate- Modern-mässig eben). Vielleicht nehme ich dann die Empfehlung der Autorin des Buchs «1000 Places to See Before You Die – Die Lebensliste für den Weltreisenden» ernst und gehe ins SchanghaiMuseum. Um in der möglicherweise modernsten Stadt einzigartige Antiquitäten anzuschauen. Wir danken Air France für die freundliche Unterstützung und empfehlen die Verbindung von Zürich nach Schanghai (über Paris). 57
Hei |rat [...a:t], die; -, -en
das Eingehen, Schliessen einer Ehe; eheliche Verbindung Quelle: DUDEN
Die vierte g rosse Frage im Leben – neben «Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?» – ist: «Willst du mich heiraten?» Vier Autoren erzählen ihre Geschichte. Von c h r i s t i n e b e nz (Bilder) «ja, Ich will» Valeska Jansen, 46, kirchberg SG Romantik ist nicht mein Ding. Kerzen überall, leise Musik im Hintergrund und ein vor mir kniender Mann mit der F rage aller Fragen auf den Lippen genauso wenig. Doch wenn ich den Namen Tiffany höre, dann geht selbst mit mir, der unromantischsten Frau überhaupt (behauptet mein Mann), die Romantik durch. Es ist eigentlich die Inszenierung, die mir nicht gefällt. Und so machte mein Lebenspartner alles richtig, als er mich eines Samstagmorgens fragte: «Willst du mich heiraten?» Keine Rosenblätter, keine Geigen, kein Auf-die-Knie-Fallen. Und ich sagte spontan: «Ja.» Es war Januar und knackig kalt, aber die Sonne 58
schien am strahlend blauen Münchner Himmel. So zogen wir los, denn das wusste er: Ich liebe Schmuck von Tiffany, genauso wie den Film «Breakfast at Tiffany’s». Unser Weg führte uns zur Maximilianstrasse. Im ersten Stock von Tiffany & Co. erk lärte mein Mann der Verkäuferin: «Wir suchen Verlobungsringe.» Sofort legte sie Tablett für Tablett auf das kleine Biedermeiertischchen vor uns, jedes voll mit Verlobungsringen. Die Entscheidung fiel schnell: ein Klassiker, der «Etoile»-Ring, in Gelbgold, rundum besetzt mit Diamanten. Mein Mann entschied sich für das Pendant ohne Diamanten. Mit der passenden Tragtasche in der Hand, darin die typisch türkisblaue Box mit Schleife, liefen wir los in Richtung Schwabing, wo wir damals zusammen wohnten. Ich wusste, dass ganz in der Nähe gerade der erste Bagel-Shop eröffnet hatte, und was passte besser, um unser ganz persön liches Breakfast at Tiffany’s zu zelebrieren? Mit zwei Lachs-Bagels mit cream cheese ging es weiter zum nächsten Supermarkt, denn jetzt fehlte nur noch eine Flasche Champagner. Zu Hause angekommen, kniete er dann vor mir – und plötzlich fand ich es nicht mehr nur sentimental. Feierlich steckte mir mein Mann den «Etoile» (französisch für «Stern») an den Finger. Frisch verlobt, inszenierten wir unser Frühstück mit Tiffany-Box und -Tragtasche als Tischdekoration. Unvergesslich, ich kann mich sogar noch an die Wärme der Sonnenstrahlen in unserem damaligen Esszimmer erinnern. Jeroen van rooijen, 43, zürich So stümperhaft und unromantisch, wie er war, hätte mein Heiratsantrag umgehend abgeschmettert werden müssen – hätte Hintergrundbild: Elliott Erwitt / Magnum Photos November / Dezember 2013
Ehering «Jazz» von Tiffany & Co., mit einem Vollkreis aus runden Brillanten und einer Fassung aus Platin, Grösse 7, Fr. 4000.– 59
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Solitär-Verlobungsring «Tiffany Setting» von Tiffany & Co., mit einem Diamanten, 1 Karat, Fr. 14 500.–
ich die Ernsthaftigkeit meiner Absichten nicht in den acht Jahren Beziehung davor schon genügend unter Beweis gestellt. Nicht dass ich damals, als 24-Jähriger, irgendwelche Familienpläne gehabt hätte, aber die Frau, die ich mit sechzehn kennengelernt hatte, machte mir immer noch Freude – und das war, so unzeitgemäss Langzeitbeziehungen in dem Alter und Umfeld auch waren, wohl ein gegenseitiges Empfinden. Es durfte also schon davon ausgegangen werden, dass ich es ernst meinte, als ich an einem regnerischen Sonntagabend im Frühling 1994, über Stapel von Ordnern mit Papierkram gebeugt und unter der Last der Aufgabe schwer schnaubend, meine damalige Freundin fragte, ob es eigentlich nicht gescheiter wäre, wenn wir in Zukunft eine statt zwei Steuererklärungen ausfüllen würden. Nina überlegte kurz und w usste natürlich sogleich, wie ich das meinte. Wir waren für heutige Begriffe zwar noch ein wenig jung, um zu heiraten, aber das Thema lag damals irgendwie in der Luft. Wir hatten in aller Beiläufigkeit schon über die Möglichkeiten gesprochen, aber immer im Konjunktiv, in die Zukunft redend. Dennoch fragte sie jetzt erst zurück, wie ich das jetzt meinte, und zwang mich so, doch noch etwas förmlicher und verbindlicher zu werden. «Sollen wir nicht heiraten?», fragte ich, ob das nicht vernünftig und obendrein richtig wäre, weil wir füreinander bestimmt seien. Der Rest des Abends verschwimmt in emotionaler Unschärfe, jedoch nicht der Steuererklärung wegen, die bis zum folgenden Morgen liegenblieb. An dem Abend gönnten wir uns einen guten Wein und beschlossen, den Plan sogleich in die Tat umzusetzen. Zwei Monate später und um 39 Franken Schreibgebühren leichter, waren wir verheiratet. Mittags um zwei Uhr, im Winterthurer Vögelipark. Und gingen rudern. Auf dem Weg zum Untersee kauften wir uns auf einem Bauernhof noch ein Kistchen Kirschen, womit sich die Ehe-Investitionen auf total 45 Franken beliefen. Das war ein prima Investment, denn die Sache hält bis heute, obwohl der Heiratsantrag von geradezu skandalöser Nebensächlichkeit war. Vielleicht ist das auch unser Erfolgsgeheimnis: Wir haben diesen Akt nie so bedeutend gefunden. Und so wurde der «Ehevertrag» auch nicht zur Last.
«ja, Aber . . .» Oliver schmuki, 32, zürich Angestachelt von der Liebe, habe ich schon Auslandaufenthalte frühzeitig abgebrochen, unzählige Gedichte, Briefe und E-Mails verfasst, das Falten von Origami-Kranichen erlernt genauso wie Teile des spanischen und tschechischen Grundvokabulars. Ich habe ausgebuff tere Schnitzeljagden ins Werk gesetzt als die fabelhafte Amélie, bin mitten im Semester nach Mexiko-Stadt gereist, habe Champagnerflaschen in Ruder booten versteckt, Diebstahl begangen, und ich habe viele Kleider und auch Schmuck erstanden (allerdings noch nie aus dem Hause Tiffany & Co.). All diese und viele Dinge mehr habe ich in romantisch verklärtem Zustand getan, meinem Herzen folgend, dem Bauch und niemals der Vernunft. Mein Motto, für lange Zeit, war jenes, das Filme wie «Dead Poets Society» und «American Beauty» vermitteln: c arpe diem, seize the day, nutze den Tag. Diese Einstellung zum Leben, gerade auch in Liebesangelegenheiten, versuchte ich zu verinnerlichen; und das Glück, das ich in der Folge erfuhr, gab mir Bestätigung. Und wäre eine Beziehung von Dauer ge wesen, dann hätte ich eines Tages auf eine mehr oder weniger inszenierte Art und Weise eine geschlossene Frage gestellt, und jemand hätte möglicherweise positiv geantwortet – Happy End (?). Doch dank anderen Filmen, «Grease» beispiels weise, und ebenfalls dank einer Frau landete ich einst in einem Unterricht für Standardtanz. So kam es, dass ich, Jahre später und mit dieser Fähigkeit ausgerüstet, das Interesse einer Frau auf mich lenkte, die der von Truman Capote erfundenen Protagonistin aus «Breakfast at Tiffany’s» gar nicht so unähnlich ist, zumindest in einigen Punkten. Sie ist schön, unglaublich lustig, intelligent und – wie Holly Golightly auch – im Herzen ein Punk und daher dem Heiraten grundsätzlich abgeneigt. Trotzdem schenkte ich ihr an einem Freitag, dem Dreizehnten, vor nicht sehr langer Zeit Schmuck – von Tiffany; kein Ring, sondern ein Collier mit einer Süsswasser-Zuchtperle. Im Gegenzug schenkte sie mir gleichentags – nicht das Jawort, nein. Sondern etwas, das Liebende viel länger verbindet als jede Ehe: ein Kind.
November / Dezember 2013 Hintergrundbild: Kevin Riggins
Meret boxler, 40, zürich «Wenn du so weitermachst, heiratet dich nie einer!» Dies der wiederholte, erzieherisch überaus wertvolle Kommentar unseres unappetitlichen – logischerweise verheirateten – Hauswirtschaftsdrachens im welschen Internat, wenn ich wieder demotiviert an den Krautstielen rumhantierte oder beim Bügeln eine Lernhemmung vortäuschte, stets umringt von wunderbar netten und hübschen Töchtern, die zwar schlechter Französisch konnten als ich, aber besser bügelten. Allesamt haben sie später ja gesagt, und ich, tja, wurde nicht gefragt. Bevor ich das hätte persönlich nehmen können, wurde bereits erste arge Desillusionierung mit dem Eheleben vermeldet, und – Moment, ich dachte, Heiraten sei für immer? – schon fing das mit der Scheiderei an. Scheidung? Lieber, so schwor ich mir, bleibe ich ledig. In Ermangelung heiratstauglicher Gefährten bin ich dem bis dato treu geblieben. «Kein Wunder, findest du keinen», heisst es, «du bist zu unbequem, stellst zu viele Fragen, suchst zu weit, willst zu viel.» So? Sollte ich artiger sein, weniger kritisch, nicht mitdiskutieren, obwohl ich kann? Stattdessen einen Höllenbetrag für ein Gwändli hinblättern, das ich ein (!) Mal trage, monatelang an peinlichen Tischkärtchen rumdoktern und mich wegen Ringen, Menüs und Locations zanken? Und dann – am schönsten Tag! – mit auftoupierter Frisur, die mir spätestens nach dem Apéro entgleist, feuchte Hände schütteln von Leuten, von denen die Überzahl aus Anstand eingeladen wurde? Und obendrein zittrige Mundwinkel bekommen vor lauter Freeze-Lachen für den Fotografen? Wissen Sie: Nein. Was ich möchte, ist – simpel. Sollte mal einer die Frage wagen und ich die Antwort geben, gäb’s eine Woche Open House, freiwillig, für Freunde, irgendwo in den Bergen. Mit Hörnli/Hack statt siebengängiger Selbstverwirklichungstrips von Designerköchen. Mit jener unanständigen sexiness, die sich nicht mit einer Schicht Schminke und schmerzenden Schuhen erzwingen lässt. Mein Glück soll glücken dürfen, wie es dies auch sonst tut: mit wenig. Aber das ist wahrscheinlich alles zu viel. Mann, wenn ich so weitermache, heiratet mich nie einer! 61
Trend-Report Wohnen
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Möbel und Objekte aus Europas Norden passen gut in die Schweiz. Und kalt sind sie auch nicht, im Gegenteil. WW N6 1
Ganz genau weiss man es nicht, weshalb so viel gutes Design aus Skandinavien kommt – etwa weil man viel Zeit drinnen verbringt (mit Wohnen und Designen)? Oder wegen der Kälte, die draussen herrscht? Tönt gut, kann sein. Aber wichtiger: Es kommen tatsächlich viele schöne Möbel und Objekte aus Europas Norden, zum Beispiel die Stücke, die wir auf dieser Seite zeigen. Und das Beste daran: Sie passen auch noch in Ihr Zuhause, wenn es draussen wieder wärmer wird.
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1 Mini und modern: Puppenhaus für Erwachsene von Miniio. Set «Minko Small», ca. Fr. 250.–; www.miniio.com 2 Vielseitig: Hängeleuchte «Etch Shade» von Tom Dixon, Fr. 466.–; www.wohnbedarf.ch 3 Hip: Lounge Chair «U 431» von Jens Risom für Benchmark, ab Fr. 2160.–; www.benchmarkfurniture.com 4 Zeigt Beine: Kupfertisch von Monica Förster für Swedese, Fr. 1111.–; www.skandium.com 5 Animalisch: Keramikkrug mit Fuchs sujet, ca. Fr. 40.–; www.fenellasmith.co.uk 6 Aus Schichtholz: «Wrap Oak»-coffee table von Lucie Koldova für Lugi, ab Fr. 1299.–; www.lugi.cz
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Redaktion: Delia Lenoir November / Dezember 2013
FATTO IN CASA Wer hausgemachtes Essen liebt und nicht in ein Gourmetrestaurant will, dem sei mediterrane Küche empfohlen.
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Bilder: XXX November / Dezember 2013
Kulinarik
fait maison
Was ist im Restaurant eigentlich noch hausgemacht? Und wo sollte man essen, falls man Hausgemachtes will? Von david schnapp (Text) WW N6
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n der grand gourmet-Nation Frankreich sollen Restaurants, in denen das Essen noch fait maison ist, mit einem Label gekennzeichnet werden – falls es nach Alain Ducasse oder Joël Robuchon, den besten Köchen also, geht. Der Senat hat die Gesetzesvorlage abgelehnt. Der Aufwand, zu kontrollieren, wer den croque-monsieur selber macht oder einen tiefgefrorenen Käsetoast unter der Heizschlange wärmt, sei zu gross. Auch in der Schweiz wird über ein «hausgemacht»- Label diskutiert. Wirte in der Westschweiz wollen sich freiwillig einer solchen Kennzeichnung unterziehen, in der Deutschschweiz dagegen überwiegt die Angst vor neuen Kontrollinstanzen. Aber was ist überhaupt noch haus gemacht, wenn man in ein durchschnittlich gutes Restaurant geht, wo man für 80 bis 100 Franken drei Gänge, ein Getränk und einen Kaffee bekommt? Wir treffen Martin Slier, ehemaliger Sternekoch und heute Beauftragter von Nestlé Professional, wo er Fertig- und Halbfertigprodukte (auch bekannt als Convenience) für die Gastronomie entwickelt und vermarktet. Slier hat ein Vorhaben zur industriellen Herstellung von Kalbsfond in hoher Qualität begleitet. In einer finnischen Fabrik werden dazu zwölf Tonnen Kalbsknochen gleichzeitig in einem Durchlaufofen geröstet und mit Wasser in riesigen Kesseln zu einem Fond reduziert. Gewürzt wird nur mit Pfeffer, Lorbeer und Knoblauch. Schweizer Spitzenköche haben die Rezeptur mit bestimmt, um so eine gute, aber kostengünstige Basis für Saucen zu erhalten. Fond herzustellen, ist eine zeitinten sive Arbeit, und das kann bei Personalkosten von 40 bis 50 Prozent in einem Restaurant über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Die wenigsten Restaurants machen Mayonnaise selber. Die hygienischen
Vorschriften sowie die Kontrollen sind zu streng und das Risiko, als «Grüselbeiz» bezeichnet zu werden, zu gross. Auch Salat wäscht und rüstet kaum noch einer selbst. Pommes frites liefert der Kühl- und Tiefkühlproduzent Kadi AG vorfrittiert in so hoher Qualität, dass nur die wenigsten Köche einen Sinn darin sehen, sie selber zu machen. Mittlerweile gibt es bei Kadi sogar Terroir-Kartoffel stäbchen: «Bärner Frites», «Züri Frites» und «Frites Région Léman». Und das Tatar, für das man in einem Mövenpick über 30 Franken bezahlt? Es wird geliefert wie eine Wurst in einer Hülle und in der Küche des jeweiligen Lokals bloss noch portioniert und angerichtet. Natürlich wird es eigens für die Restaurantkette hergestellt, besteht sogar zu 100 Prozent aus zertifiziertem Bio-Rindfleisch, aber «hausgemacht» ist es nicht. Daniel Z. Gehriger, P roduktmanager beim Fleischverarbeiter Traitafina in Lenzburg und Mitinhaber des kürzlich eröffneten Steakhouse «Meat’s» in Aarau, ist einer der wenigen Gastronomen, die offen über die Verwendung von Convenience-Produkten sprechen. Meist wird befürchtet, die Kunden könnten wegen ihrer romantischen Vorstellung von Restaurantküchen nicht mehr kommen, wenn sie erfahren, dass ihr Lieblingslokal die Vanilleglace bei Frisco einkauft und sie nicht selber in der Eismaschine einfriert. Gehriger sagt, allein wegen der immer schärfer werdenden Hygienevorschriften hätten sich die Kosten in den letzten Jahren verdoppelt bis verdreifacht. Die hervorragenden, mürben SpareRibs und das perfekt grillierte Entrecôte, die wir im «Meat’s» gegessen haben, waren aber selbstverständlich hausgemacht. Das Fleisch wird in einem Ofen bei 800 Grad gegart, es schmeckt ausgezeichnet. Restaurant-Investor Gehriger bevorzugt Hausgemachtes, wo immer es Sinn
November / Dezember 2013 Bild: Ferdinando Scianna/Magnum Photos
macht, aber er sagt auch, für ein erfolgreiches Lokal sei das Ambiente zu zwei Dritteln verantwortlich, Freundlichkeit und Qualität stellten die beiden anderen Faktoren dar, die je zur Hälfte zählen würden. Kein Mensch merke, dass die Pommes frites halbfertig in die Küche kommen. Hingegen legt er Wert dar auf, dass die Sauce béarnaise in seinem Steakhouse selbst angesetzt wird. Das sei schliesslich die «Kernkompetenz» eines solchen Lokals, während eine Salatsauce wiederum nicht dazugehöre. Daniel Müller, Geschäftsleitungsmitglied der Bindella S. A. in Zürich und verantwortlich für die 39 Restaurants eines der grössten privaten Gastronomieunternehmen der Schweiz, findet, seine Firma sei ein schlechtes Beispiel für die Verwendung von Convenience-Produkten: «Mit unserer mediterranen Küche haben wir fast keine Möglichkeit, Fertigprodukte einzukaufen. Fleisch- und Fischfond beispielsweise brauchen wir nur in ganz wenigen Betrieben, aber dort machen wir sie selber. Unter anderem, weil wir in den grossen Küchen Lehrlinge ausbilden, die das können müssen.» Auch gefüllte Teigwaren, ein weitverbreitetes Fertigprodukt, mache man selber, sagt Müller. Eine Art In-house-Convenience gibt es im Bereich der Desserts, die zu einem Teil von gelernten Konditoren und Confiseuren in der hauseigenen Pasticceria gemacht werden. Zusammengefasst: Wer nicht im Gourmetrestaurant essen will, wo meist auch Fond und Glace hausgemacht sind, dem empfehlen wir mediterrane Küche oder ein gutes Steak. Wer allerdings auf hausgemachten Pommes frites besteht, der sollte sich eine Fritteuse anschaffen. meat’s steak & wine Bahnhofstrasse 4, Aarau, Tel. 062 822 52 23; www.meats.ch ristorante bindella In Gassen 6, Zürich, Tel. 044 221 25 46; www.bindella.ch 65
auto
VOLvO xc60 d5 awd
In dieses Auto einzusteigen, ist, wie nach Hause zu kommen. Immer wieder. Von mark van huisseling (Text) N W u nd agoera (Illustration) W 6 Wenn ein Journalist im Allgemeinen und ein Journalist, der ein Auto Test gefah ren hat, im Besonderen, seinen Artikel mit e iner Geschichte anfängt, in der er etwas über sich selber erzählt, ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass er über den Kern des Gegenstands, über den er schreiben soll, nicht viel weiss und/oder zu sagen hat. Jetzt die Ausnahme, die die Regel bestätigt, respektive meine Ge schichte über mich: Ich habe mich im mir für eine Woche überlassenen Volvo XC60 von Anfang an wohl gefühlt, mehr als wohl eigentlich, das Auto kam mir vertraut vor, und auf dem Fahrersitz Platz zu nehmen, war, wie nach Hause zu kommen . . .
Es kann doch kein Zufall sein, dass ich diesen Wagen zweimal zum Testfahren bekommen habe. Nachdem ich das Auto zurückgegeben hatte und bevor ich diesen Artikel anfing, schaute ich kurz an dem Ort nach, der früher Archiv hiess und heute Schweizer Mediendatenbank (SMD) heisst, und – ge nau, ich hatte dieses Modell schon ein mal Test gefahren und an dieser Stelle darüber geschrieben (der Artikel erschien am 24. November 2011). Was heisst das nun, ausser dass ich ein schlechtes Gedächtnis habe? Heisst es, dass die zuständigen Mitarbeiter der Firma Volvo Car Switzerland AG nicht festhalten, wem sie welches Fahrzeug überlassen haben, respektive es vielleicht festhalten, aber nicht überprüfen, bevor sie einem Journalisten ein weiteres Auto zum Beurteilen geben? Das denke ich nicht. Ich denke, bei Volvo Car überlegt man sich, welcher Schreiber/Fahrer zu 66
welchem Auto passt. Und dass sich ein Schreiber/Fahrer-Profil sowie ein AutoProfil innerhalb zweier Jahre nicht än dern, spricht irgendwie für die Firma und den Schreiber/Fahrer. Nur kurz: Muss man sich überlegen – weil man in den vergangenen Monaten so viel gelesen und gehört hat von Überwachung durch die NSA, CIA und so weiter –, ob es bedenk lich ist, wenn es von einem ein Schrei ber/Fahrer-Profil gibt? Ich denke nicht, weil die Absicht, die vermutlich dahin tersteht, eine wohlmeinende ist. Mit anderen Worten: Ich bin also ein Vertreter der Zielgruppe, die man bei Volvo für den XC60 definiert hat. Ich nehme das als Kompliment. Vor zwei Jahren habe ich über das Auto, das man mir damals zur Verfügung gestellt hatte, geschrieben: «Ich fand die Fahrleistung des 2,4-Liter-Fünfzylinder-Turbodiesel motors mit 215 PS gut in den meisten Lagen. Und auf dem Einspurstreifen der Autobahn fast gut. Doch das ist kein Pro blem, weil dieser Volvo kein Auto ist, in dem man sich dazu herausgefordert fühlt, schneller oder beschleunigungs stärker unterwegs zu sein als Fahrer ande rer Autos um einen herum respektive als erlaubt ist. Falls ein Auto ab und zu seinen Lenker auch ein wenig lenkt, w oran ich, übrigens, glaube, dann ist der XC60 ein Auto, das einen vernünftiger macht. Und das sorgt nicht bloss für Sicherheit, son dern auch für Entspannung. Man kommt ausgeruht am Ziel an, wenn man Volvo fährt, und das ist wahrscheinlich das Ziel bei Fahrern, für die das Ziel das Ziel ist und nicht der Weg.» Mir gefiel der XC60 also. Das war vor zwei Jahren. Dieses Mal gefiel er mir im Grunde immer noch. Bloss fiel mir das alles nicht mehr so richtig auf. Wie vor hin geschrieben: «Ich habe mich im mir für eine Woche überlassenen Volvo XC60
von Anfang an wohl gefühlt, mehr als wohl eigentlich, das Auto kam mir ver traut vor, und auf dem Fahrersitz Platz zu nehmen, war ein wenig, wie nach Hause zu kommen . . .» Was ich noch erzählen will: Genau das gleiche Auto war es natürlich nicht, das ich dieses Mal hatte. Immerhin sind zwei Modelljahre vergangen seither. Sei nerzeit habe ich – massvoll – darüber ge klagt, dass das Auto zu viel mitdenke, das heisst mit verschiedenen Tönen warnte, wenn man die Spur nicht hielt, wenn man zu nahe auf den Vordermann auf fuhr oder ein Licht einem zeigte, dass sich ein Wagen im sogenannten toten Winkel befand, und so weiter. Ich fand das, bei allem Verständnis für das Bedürfnis nach Sicherheit und für das Interesse daran, ein wenig, wie wenn immer entweder die Mut ter oder eine Nanny mitfahren würde. Hat mich dieses Mal weniger gestört. Weil, nehme ich an, die Volvo-Ingenieure es ähnlich erlebt haben wie ich. Oder, falls ich mich wichtig nehmen würde, sie es wegen meines Artikels geändert haben. Oder ich mich verändert habe und es mir plötzlich recht ist, wenn jemand sagt, ich fahre zu weit links oder so. Der Volvo XC60 sei so gut, man wün sche ihn sich fast ein wenig böser, stand über meinem Artikel im Jahr 2011. Das kann ich so stehenlassen. Denn trotzdem (oder deswegen) überlege ich gerade, ob ich mir einen als privates Auto kaufen soll – es kann doch kein Zufall sein, dass ich den Wagen zweimal zum Testfahren bekommen habe. Und dass es mir beim zweiten Mal vorkam, wie nach Hause zu kommen. Volvo Xc60 D5 AWD Bei dem von unserem Autor ge fahrenen Modell handelt es sich um einen Volvo XC60 D5 AWD mit 2,4-Liter-Fünfzylinder-Turbodieselmotor mit 215 PS für 57 400 Franken (Modell in der Grund ausstattung). Energieeffizienz-Kategorie: D. November / Dezember 2013
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ww-questionnaire
JOP VAN BENNEKOM
Der Herausgeber einiger der wichtigsten unabhängigen Modezeitschriften macht sich gar nicht so viel aus Mode. Dafür mag er Zahlen und Supermärkte. Von Da m i E n F. C u y p e r s (Illustration) WW N6 Was würde Ihre Mutter über Sie sagen? Dass ich wie mein Vater bin. Stimmt aber nicht. Ihre erste Erinnerung an Magazine? Wir hatten früher eine ganze Palette von Zeitschriften abonniert, ein Haufen von zwölf oder mehr Magazinen, die einige Wochen alt waren und bei uns herumlagen. Wahrscheinlich war das der Beginn des Informationsüberflusses, wie wir ihn heute kennen. Wie viel Zeit benötigen Sie, um sich anzuziehen, bevor Sie aus dem Haus gehen? Fünf Minuten, das reicht. Gegenstand des letzten Tischgesprächs? Musik und wie uninteressant sie wurde, nachdem in den frühen Neunzigern die House-Musik aufgekommen ist. Ihr Lieblingsgeschäft? Ich liebe Supermärkte. Ich mag die Idee von Quantität und Qualität. Wenn ich auf Reisen bin, gehe ich immer in die lokalen Supermärkte, um zu sehen, was anders ist als bei uns zu Hause. Mein Supermarkt in der Nähe ist Waitrose an der Whitecross Street in London. Der beste Song aller Zeiten? «Shakespeare’s Sister» von The Smiths. Sie sind kein Freund von . . . Involviertwerden in technische Probleme. Ich habe eine Technikphobie. 68
Das Letzte, was Sie repariert haben, war . . . Ich hasse es, Sachen zu reparieren, kann aber nichts wegschmeissen: ein Di lemma. Ich bin ein Sammler. Erste Begierde? Wahrscheinlich der Wunsch nach Essen. Ich bin immer hungrig. Es ist gut, einen gesunden Appetit zu haben. Grösste Ausgabe in den letzten zwölf Monaten? Wahrscheinlich ein Flug irgendwohin.
Was irritiert Sie an Leuten aus der Modebranche? Aufrichtigkeit. In Ihrem Koffer gibt es immer . . . Xanax-Tabletten. Viele Menschen wissen nicht, dass . . . Ich es mag, Schätzungen zu machen und Budgets aufzustellen. Sie wären gerne für einen Tag . . . Ein durch und durch glücklicher und ausgeglichener Mensch. Vielleicht ja im nächsten Leben.
«Was irritiert Sie an Leuten aus der Modebranche?» – «Aufrichtigkeit.» Sie sind abonniert auf . . . The New Yorker. Gegenstand des letzten Streits? E-Mails. Ihr teuerstes Kleidungsstück, das Sie besitzen? Es klingt zwar traurig, aber wahrscheinlich ist es ein Geschenk von einem Modehaus, das ich nie trage. Wie viel Macht haben Frauen? Wahrscheinlich mehr, als sie denken. Ich weiss, eine kontroverse Antwort. Das möchten Sie können: Kochen. Der beste Modedesigner aller Zeiten? Entweder Martin Margiela oder Rei Kawakubo – oder vielleicht Helmut Lang? Warum sind Sie beliebt? «We all long to be loved.»
jop van bennekom studierte Grafikdesign in Maastricht und gründete gemeinsam mit Gert Jonkers die halbjährlich erscheinenden niederländischen Mode- und Lifestyle-Magazine Fantastic Man (2005) und The Gentlewoman (2010). Der 43-jährige Art-Director und Herausgeber arbeitet in London und ist auch Berater verschiedener Modelabels wie COS und Hermès. Redaktion: Yvonne Wigger November / Dezember 2013
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