Das Private-Banking-Magazin Ihrer Sparkasse
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Mystik & Macht Schlรถsser der Loire
Panorama Die Kunst von Asisi Stabwechsel Die ร bergabe von Betrieben Standpunkte Die Roboter von morgen
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Ralf Kustermann Chefredakteur Deutscher Sparkassenverlag Wir freuen uns über Anregungen, Lob und Kritik unter ralf.kustermann@dsv-gruppe.de
Wie Gott in Frankreich … … leben! Eine Redewendung, die wir für unbeschwerten und sorgenfreien Genuss verwenden. Worte, die uns ebenso beim Anblick der prächtigen Burgen und Schlösser entlang der Loire in den Sinn kommen. Es gibt viele Theorien zum Ursprung dieser Redewendung. Eine Überlieferung geht auf Maximilian I. zurück, der bis 1519 Kaiser des Heiligen Römischen Reichs war. Er soll das absolutistische Herrschaftssystem der französischen Könige beneidet haben, die für ihn wie Götter herrschten. Es besteht eine Ironie, dass unter der Herrschaft seines Enkels Karl V. den Worten Taten folgten. Dessen Widersacher, der französische König Franz von Valois, wollte selbst auf den Kaiserstuhl. Verärgert ließ er als Zeichen französischer Überlegenheit Schloss Chambord bauen. Das diente weniger als Residenz und royale Insigne. Vielmehr wollte Franz einen Sieg der Kunst und Kultur über die Politik öffentlich demonstrieren und feiern. Viele Mythen handeln davon, dass Leonardo da Vinci an den Bauplänen mitwirkte und für architektonische Besonderheiten des Jahrhundertbaus verantwortlich zeichnete. Ab Seite 4 lesen Sie mehr zum Gebiet der Loire-Schlösser, das seit 2000 zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. Sie hat sich zur Aufgabe gemacht, das Besondere und Einzigartige weltweit zu thematisieren und zu bewahren. Diesem Anspruch, Außergewöhnlichem eine Bühne zu geben, folgten auch wir stets in zwölf Jahren VENTURA. Heute halten Sie die letzte Ausgabe des Magazins in Ihren Händen. Wie für so vieles auf der Welt ist die Zeit gekommen – veränderte Lesererwartungen und digitale Medienangebote machen eine Einstellung unumgänglich. Das hat selbstverständlich keinerlei Einfluss auf das eigentliche Leistungsangebot im Private Banking Ihrer Sparkasse. Ihr persönlicher Betreuer steht weiter in enger Abstimmung mit Ihnen und kümmert sich gemeinsam mit seinem Netzwerk an Experten vorausschauend und zugleich nachhaltig um Ihre individuellen Interessen, Vermögenswerte und Ziele. Darauf können Sie sich verlassen! Eine anregende Lektüre wünscht Ihr
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04 | TRAUM VON EINEM SCHLOSS Zahlreiche Mythen und Legenden ranken sich um die Prachtbauten im Loire-Tal. Auch über Leonardo da Vinci wird dort viel spekuliert.
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10 | SOZIALE MEDIEN VERSTÄRKEN POLITISCHE INHALTE Andrea Römmerle im Gespräch zu Twitter, Facebook und Politik. 14 | WA6BND RUFT 3AØAG Amateurfunker auf ihrer Jagd nach weltweiten Kontakten.
Fotos: imageBROKER/Paul Williams, Hermann Bredehorst/Polaris/laif, Restaurant la vie/ Michael Holz Studio, © asisi; Cover: imageBROKER/Martin Moxter
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16 | EINE SACHE DES GESCHMACKS „Michelin“ und „Gault & Millau“ bringen ambitionierte Köche wieder m Schwitzen. 20 | DIE KUNST DES PANORAMAS Yadegar Asisi zieht mit seinen Inszenierungen Zuschauer und Kritiker in den Bann. 24 | WELLNESS IM KOPF Zeit zum Lesen und Schmökern – wie Hotels den Trend bedienen.
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26 | SCHÖNE NEUE WELT Künstliche Intelligenz und Robotik erobern unseren Alltag.
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30 | DER BESTE SPONSOR Wie Firmen von der Förderung des Amateursports profitieren. 32 | KLUG GEPLANT Was Sie beim Generationenwechsel im Unternehmen beachten sollten.
19 | Ein Bild und seine Geschichte 19 | Impressum
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Der Traum von einem
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Malerisch: Das Wasserschloss Chenonceau ließ Katharina von Medici nach dem Tod von Heinrich II.
Foto: mauritius images/age fotostock/Brian Jannsen
fertigstellen.
Die Schlösser an der Loire gehören zum Unesco-Weltkulturerbe und sind Zeitzeugen großer historischer Ereignisse. Vor allem um Schloss Chambord ranken sich zahlreiche Mythen und Legenden. So sollen die Originalbaupläne von Leonardo da Vinci stammen.
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Fotos: mauritius images/Photononstop/Nicolas Thibaut, Prisma RM/Glow Images, Cezary Wojtkowski/BE & W/ONEWORLD PICTURE
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Erhaben: der berühmte doppelläufige Wendelstein des Corps de Logis (links), Dachstuhl der Kapelle (rechts oben) sowie Schlafgemach der Königin (rechts unten).
CHAMBORD
ANGERS
Loire
NANTES
Unzählige Mythen geistern um Schloss Chambord, das neben Versailles wohl berühmteste und prachtvollste Schloss Frankreichs. Die spannendste Frage ist bis heute, ob der große Leonardo da Vinci an der Konzeption des Schlosses mitwirkte und so für einige architektonische Besonderheiten des Jahrtausendbaus verantwortlich zeichnete. Obwohl der italienische Universalkünstler 1519 – just im Jahr des Baubeginns – verstarb und sämtliche Pläne oder Aufzeichnungen als unwiederbringlich verschollen oder zerstört gelten, weisen viele Indizien auf ihn als Kopf hinter dem Renaissancebau hin. Doch nach ultimativen Beweisen suchen Kunsthistoriker, Architekturexperten und andere Wissenschaftler bis heute. „Chambord ist für die Architektur, was die Mona Lisa für die Malerei ist: ein Enigma, das wir wohl nie gänzlich verstehen und lösen werden“, sagt Jean d’Haussonville, Generaldirektor der Domaine national de Chambord. „Aber auch wenn die Baupläne für Chambord nicht final Leonardo zugeschrieben werden können, so hat er das Projekt durch seine Ideen und Visionen doch maßgeblich beeinflusst.“ Da Vinci, von Franz I. beziehungsweise François I als „Erster Maler, Baukünstler und Ingenieur des Königs“ 1516 an den französischen Hof in Blois an der Loire berufen, widmete seine letzten Lebensjahre demnach
Saumur
einem Objekt, dessen ästhetische und räumliche Dimensionen uns noch rund 500 Jahre später nachhaltig beeindrucken sollen. 440 Zimmer, 74 Treppenhäuser und über 400 Kamine zählt der Bau, der als Jagdschloss konzipiert worden war und das Frankreich des 16. Jahrhunderts über einen Zeitraum von 30 Jahren rund 1800 Arbeitskräfte kosten sollte. Pro Tag. Dabei überzeugt Chambord nicht nur durch seine schiere Größe und ornamentale Pracht, sondern vor allem durch architektonische Capricen, die weltweit wohl einmalig sein dürften. Dazu gehört vor allem die im Corps de Logis gelegene Wendeltreppe, die im Stil einer Doppelhelix angelegt ist. François Parot, Kunsthistoriker und Schlossführer: „Die zwei ineinander verschränkten Spiralen bewirken, dass sich Personen beim Auf- und Abschreiten zwar sehen, sich aber niemals direkt begegnen.“ Experten schreiben die Konstruktion der Wundertreppe eindeutig da Vinci zu, da sich in Skizzen und Vermerken in seinen legendären Notizbüchern Analogien finden lassen. Und auch die Gestaltung des kreuzförmigen Kernbaus, der die quadratisch angelegten Eckappartements virtuos in die Rundarchitektur der Türme überführt, weist mit ihren kühnen Zitationen italienischer Baukunst auf den Meister aller Meister hin. Wie auch das für damalige Verhältnisse revolutionäre Latrinen-
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ORLÉANS König Franz I.: sah
Kaiser Karl V.: war
sich als wahren Kaiser
beeindruckt von den
der Zeit.
Loire-Schlössern.
Chambord
Blois
Cheverny TOURS
Chaumont
Clos Lucé Amboise
Majestätisch: die große
Chenonceau
Galerie im Schloss (links) und der Salon von Ludwig XIV. (rechts).
Azay-le-Rideau
Fotos: ddp images/H.-D. Falkenstein/Konstantin Kalishko, Collection Dupondt/akg-images, imageBROKER/Martin Moxter, CHICUREL Arnaud/hemis.fr/FOTOFINDER.COM
CHINON
system mit automatischem Luftabzug über die Dächer. Dennoch bleiben viele Fragen. Was hat es mit der opulenten Dachgestaltung, die mit unzähligen, völlig unterschiedlich anmutenden Türmchen, Zinnen, Kaminabzügen und Fenstergaden wie eine urbane Landschaft wirkt, auf sich? Wieso ließ Franz I. hier, mitten in den unwirtlichen Loire-Sümpfen, das Schloss errichten? Und warum war der Bau von Anbeginn als unbewohnbar angelegt? Tatsächlich entsprang die Errichtung Chambords keinerlei pragmatischem Grund. Franz I. ging es bei seinem Lebensprojekt vielmehr darum, seinem Widersacher Karl V. die kulturelle Überlegenheit Frankreichs zu demonstrieren, denn militärisch war Franz von Valois seinem mächtigen Rivalen unterlegen, und es war nicht zufällig das bereits erwähnte Jahr 1519, in dem der Franzose seine größte Schmach
CHENONCEAU
Ungebrochen: Bis heute reizt am Wasserschloss Chenonceau die perfekte Kombination aus Architektur und Atmosphäre.
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CHEVERNY
Verspielt: Park- und Gartenanlage mit Schloss (links) und Großer Salon (rechts).
erdulden musste: Nicht er, der eigentliche Favorit auf die Krone, sondern der Habsburger Karl wurde zum römisch-deutschen König bestimmt, was 1520 im Dom zu Aachen in der offiziellen Krönung zum „erwählten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches“ gipfelte. Chambord sollte als eine Art steingewordene Vendetta in die Geschichtsbücher eingehen, um Franz’ zunichtegemachten Traum eines vereinten Kaiserreichs unter Vorherrschaft von Frankreich für immer festzuhalten. „Das Schloss ist eine architektonische Metapher für den Schmerz und die Schmach, die Franz durch Karl V. erleiden musste. Aber genauso steht Chambord für eine Vision, in der der kulturelle, schöpferische Akt jenem der Politik und der Schlacht überlegen ist“, erklärt Experte Jean d’Haussonville. Auch wenn Schloss Chambord Frankreich an den Rand einer Staatspleite brachte, verfehlte der Monumentalbau seine Wirkung nicht. Als Kaiser Karl V. 1539 eine Reise nach Frankreich unternahm und dabei einem Treffen mit Franz I. auf Chambord zustimmte, zeigte er sich der Legende nach zutiefst beeindruckt und ließ sich zu folgenden Worten hinreißen: „Das ist die Summe all dessen, was menschliche Kunstfertigkeit hervorzubringen vermag.“ Chambord fungierte also – abgesehen von einigen wenigen dort stattfindenden Jagdgesellschaften – als reiner Repräsentationsraum, in dem Franz I. bis zu seinem Tod 1547 gerade einmal 19 Nächte verbrachte. Danach versank der de facto unvollendete Bau in einer Art Dornröschenschlaf, bis Ludwig XIV. ihn rund 120 Jahre später vollenden ließ, dabei gleich die umgebende Sumpflandschaft trockenlegte und dort unter der kreativen Leitung von Molière und seinem Hofkomponisten und Kapellmeister Jean-Baptiste Lully flamboyante Feste inszenierte, die seinen Ruf als Sonnenkönig festigten.
Zwar mag Chambord das bekannteste und mythenumwobenste Loire-Schloss sein, unter historischen und ästhetischen Gesichtspunkten stehen ihm viele andere Feudalbauten der Region jedoch in nichts nach. Über 400 Burgen und Schlösser zählt die Gegend, die sich entlang der Loire von Orléans bis zur Flussmündung am Atlantik erstreckt und seit 2000 zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. „Die Loire-Schlösser sind Reflexionen zu den Ideen der Renaissance. Sie huldigen der Schönheit der Künste und des Irdischen. Sie verkörpern das von Menschen Geschaffene und sind Ausdruck der Loslösung von einer theozentrischen Weltsicht“, fasst es der Historiker Thibaud Fourrier zusammen. In dieser kulturellen Blütezeit regierten die Loire-Könige mit Blois als Residenzstadt. Paris spielte zu jener Zeit politisch und kulturell nur eine untergeordnete Rolle. Doch auch wenn mit der Rückkehr des Hofs nach Paris im Jahr 1528 ein Bedeutungsverlust des Loire-Tals einherging, blieben die ausgewiesene Schönheit und der Reiz dieser Landschaft, nicht zuletzt dank der vielen steinernen Zeugnisse, ungebrochen. Sie datieren mitunter noch aus dem Mittelalter. So beispielsweise Schloss Saumur, das Herzog Ludwig I. 1370 auf den Ruinen einer alten Burganlage zwischen Nantes und Tours errichten ließ. Mit seiner filigranen Anmutung aus unzähligen Zinnen, Giebeln und Schornsteinen, die von vier schlanken Ecktürmen eingefasst wurden, galt es lange als schönstes Bauwerk seiner Zeit. Nach Umbauten zur Bastion im frühen 17. Jahrhundert und allmählichem Verfall, dem man erst ab 1906 mit aufwendigen Renovierungsmaßnahmen begegnete, strahlt Saumur heute wieder. Wenngleich der Bau nun massiger und weniger verspielt anmutet als im Spätmittelalter, kündet er ungebrochen vom Prunk und Hedonismus des alten französischen Adels.
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Fotos: mauritius images/pictureproject/Ian G. Dagnall/Alamy, Cezary Wojtkowski/BE & W/ONEWORLD PICTURE, ESCUDERO Patrick/hemis.fr/laif, StockFood/Cephas Picture Library, seasons.agency/Gräfe & Unzer Verlag/Klaus-Maria Einwanger/René Riis, david_grimbert
Zu den Besuchermagneten gehört Chenonceau, ein vollständig von Wasser umgebenes Schloss, für dessen bauliche Charakteristika maßgeblich zwei Frauen verantwortlich zeichneten: Diane de Poitiers und Katharina von Medici. Erstere war die Mätresse von Heinrich II. und erhielt das Schloss anlässlich seiner Krönung 1547 als Geschenk. Diane ließ den Kernbau kunstvoll erweitern, legte einen spektakulären Garten mit exotischen Gewächsen an und gab den Bau der prägnanten Bogenbrücke samt Galerie in Auftrag. Die Brücke wurde realisiert, doch als Heinrich II. 1559 starb, wurden die Baumaßnahmen abrupt gestoppt. Seine Witwe Katharina von Medici nutzte die Gunst der Stunde und ließ ihre Nebenbuhlerin Diane aus Chenonceau vertreiben – nicht jedoch ihre Idee. Und so machte sich Katharina für den finalen Bau der Galerie stark, die Schloss Chenonceau bis heute seine unverwechselbare Signatur verleiht. Ein Paradebeispiel für die stilistische Vielfalt der LoireSchlösser liefert Schloss Cheverny. Von 1624 bis 1630 für den Grafen Henri Hurault, Vogt von Blois, erbaut, ist es ein eindrucksvolles Zeugnis des klassizistischen Barocks, der sich vor allem in den Gemächern widerspiegelt. Die gelten als die vielleicht schönsten aller LoireSchlösser. Was der gemeine Besucher als Zeitreise in höfische Noblesse empfindet, gehört für Familie Hurault zum Alltag. Denn die Nachfahren des einstigen Schlossherrn besitzen nicht nur die Ausnahmeimmobilie, sondern bewohnen das Objekt in nunmehr 16. Generation. Ein Privileg, das nicht mehr vielen Erbinnen und Erben von Loire-Schlössern vergönnt ist, denn Erhalt und Versorgung eines solchen Prestigeobjekts können jährlich schon einmal in die Millionen gehen. Sich zumindest tageweise selbst einmal als Schlossherr zu fühlen, ist dennoch keine Unmöglichkeit. Einige der kleineren Loire-Schlösser firmieren nämlich als Resorts und Boutiquehotels – mitsamt den Annehmlichkeiten der Jetztzeit. Zu den schönsten gehört das bei Cheverny gelegene Château du Breuil, ein Herrensitz aus dem
Royaler Glanz
Auf Château du Breuil werden Besucher zum Schlossherrn und genießen modernen Komfort und eine ausgezeichnete Küche.
CLOS LUCÉ
Ruhestätte: Leonardo da Vinci soll hier beerdigt sein.
Einblick: Zimmer im Haus des bis heute verehrten Genies und Künstlers.
1 koppeln, Streuobstwiesen und den zu Suiten umgebauten Stallungen – eingebettet, kann der Gast royalem Esprit nachspüren. Zumal sich von dort aus Chambord, Chenonceau sowie die alte Königsstadt Blois erkunden lassen. Nicht zu vergessen die exzellente Küche und Weinkultur der Region, denn das Loire-Tal wartet neben Spezialitäten wie den Galipettes garnies, in Höhlenkellern gereiften und dann gefüllten Riesenchampignons, Crottin de Chavignol, Beurre blanc und Tarte Tatin mit Spitzengewächsen auf. Weinkenner erfreuen sich an den hervorragenden Weißweinen wie Sancerre und Pouilly-Fumé sowie dem roten Pineau d’Aunis. Ob Leonardo da Vinci auch die kulinarischen Vorzüge des Loire-Tals zu schätzen wusste? Das ist nicht überliefert. Wohl aber, dass er dort unbedingt bestattet werden wollte. Und so ließ sich Italiens vielleicht größter Sohn nicht in seinem Vaterland, sondern bei Amboise auf Schloss Clos Lucé, das Franz I. ihm als Wohnsitz zugedacht hatte, zur Ruhe betten. Doch wo genau in Clos Lucé das Grab des Universalgenies liegt, bleibt zum Schutz seiner Totenruhe ein wohl ewiges Geheimnis – genauso wie die wahre Urheberschaft von Chambord. — Autorin: Liora Jacobsen
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„Soziale Medien verstärken politische Inhalte“ Traditionelle Sender-Empfänger-Modelle sind passé, geht es um die Verbreitung von Nachrichten – Politiker twittern, Talkshows bitten via Facebook um Meinung. VENTURA sprach mit Andrea Römmele über Trends und politische Kultur.
Ventura: Frau Römmele, der vergangene Bundestagswahlkampf gewann in den sozialen Medien an größerer Bedeutung. Welche Partei spielt am besten auf der neuen Klaviatur? Andrea Römmele: Die AfD weiß, wie es geht. Nahezu alle ihrer Bundestagsabgeordneten nutzen Twitter. Bei etablierten Parteien ist die Affinität zu sozialen Medien erschreckend gering.
V: Warum gelingt es Parteien wie den Piraten nicht, von dem Hype um die sozialen Medien zu profitieren? Andrea Römmele: Ihre Programmatik ist zu monothematisch. Und sie besetzen keine Themen, die entlang gesellschaftlicher Konfliktlinien verlaufen wie etwa die Flüchtlingspolitik. Da helfen dann auch die sozialen Medien nicht weiter.
V: Woran liegt das? Andrea Römmele: Die Volksparteien bezweifeln den Nutzen und bedienen sich lieber der „traditionellen“ Medien. Zu diesen haben langjährige Abgeordnete meist belastbare Kontakte.
V: Ist Martin Schulz als Kanzlerkandidat auch gescheitert, weil er falsch kommuniziert hat? Andrea Römmele: Nein, sein Kardinalfehler war, dass er alte Parteibande und -bündnisse unterschätzte. Er war und ist ein erfahrener Politiker – aber eben einer, der im Europaparlament sozialisiert wurde. Die Berliner Politik hat er falsch eingeschätzt. Er hatte innerhalb des WillyBrandt-Hauses kaum Rückhalt, und das hat ihm geschadet, weil ein funktionierendes Netzwerk auch Korrektiv sein kann. Und: Es ist ihm und der Partei nicht gelungen, das Thema soziale Gerechtigkeit, das ohne Zweifel ein ganz zentrales ist, breiter aufzustellen und zu kommunizieren.
V: Und warum gelingt es der AfD so gut? Andrea Römmele: Die Partei wird teilweise von den etablierten Medien ignoriert und kommt dort, zum Beispiel mit Interviews, nicht zum Zug, weil Regierungsparteien traditionell einen höheren Nachrichtenwert haben. Die AfD war quasi gezwungen, sich ein neues Sprachrohr zu suchen. Für die politische Willensbildung insgesamt muss das nicht schädlich sein. V: Haben Sie einmal analysiert, was Angela Merkel twittern und auf Facebook posten lässt? Kommen ihre Botschaften an? Andrea Römmele: Na ja, das macht ja Regierungssprecher Steffen Seibert. Ein hipper Influencer ist er natürlich nicht. Die Tweets klingen oft staatstragend und riechen nach Amtssprache. V: Passt Twitter nicht so recht zur Kanzlerin? Andrea Römmele: Zu Donald Trump passt es auf jeden Fall besser.
V: Wann werden wir den Höhepunkt der SocialMedia-Welle erleben? Haben wir vielleicht eine Renaissance der Gatekeeper-Funktion zu erwarten, weil Nutzer fürchten, im Strudel an Nachrichten zu ertrinken? Andrea Römmele: Massive Cyberangriffe könnten durchaus bewirken, dass sich die User um ihre Datensicherheit sorgen und deshalb ihre Social-Media-Aktivitäten zurückfahren. V: Ist es wirklich so, dass die Fernsehzuschauer es goutieren, wenn in einer TV-Talkrunde
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Vita
Professorin Andrea Römmele gilt als eine der renommiertesten deutschen Politik- und Kommunikationswissenschaftlerinnen. An der Hertie School of Governance in Berlin leitet sie den Lehrstuhl für Kommunikation in Politik und Zivilgesellschaft. Römmele ist Autorin zahlreicher Fachbücher und -beiträge, Herausgeberin der „Zeitschrift für Politikberatung“ und unter anderem Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung.
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V: Fürchten Sie, dass – ähnlich wie in den USA – die politische Kultur hierzulande leidet, wenn die Akteure nur noch über soziale Medien miteinander oder gegeneinander kommunizieren? Andrea Römmele: Nein, das kann man gar nicht vergleichen. Die USA sind eine tief gespaltene Gesellschaft. Soziale Konflikte werden dort durch die sozialen Medien verstärkt, aber sie sind nicht deren Ursache. Das darf man nicht verwechseln. Andrea Römmele sieht die Parteien in der Pflicht. Sie müssten zwischen Bürgern und Regierenden kommunizieren.
V: Worin unterscheidet sich unsere politische Kultur von der in den USA? Andrea Römmele: Das sogenannte Negative Campaigning, also das Waschen schmutziger Wäsche und Ausbreiten privater Details im Wahlkampf, wird bei uns von den Bürgern nicht goutiert und wird schnell zu einem Bumerang. Mit negativen Bemerkungen zu homosexuellen Neigungen von Kandidaten oder zu Angela Merkels Kinderlosigkeit gewinnt hier niemand einen Wahlkampf. Und das ist auch gut so. Das ist eine Frage der politischen Kultur. V: Auch in Deutschland nimmt das Misstrauen gegenüber etablierten Medien, Parteien und Politikern zu … Andrea Römmele: Ja, aber lange nicht so stark wie in den Vereinigten Staaten. Viele Menschen dort haben eine schlechte oder gar keine Ausbildung, und es fehlt an grundlegender Medienkompetenz. Sie fühlen sich entkoppelt von der Gesellschaft, sind politisch apathisch und hegen tiefes Misstrauen gegen die Regierung in Washington, gegen den Staat an sich. V: Wie äußert sich das? Wie haben Sie den US-Wahlkampf über Social Media vor Ort wahrgenommen? Andrea Römmele: Es war eine bizarre Situation. Nahezu alle namhaften Medienhäuser, Zeitungen und Sender haben Hillary
Clinton unterstützt – in Deutschland wäre das in dieser Form gar nicht denkbar. Und dann sitzt da einer abends auf dem Sofa, twittert seine Weltsicht in 140 Zeichen und schaltet damit, mehr oder weniger, die Medien, die vierte Gewalt aus. Das fand ich schon beeindruckend. V: Selbst seine Gegner sprechen Donald Trump eine gewisse Social-Media-Kompetenz nicht ab. Andrea Römmele: Wir lernen erst jetzt, wie strategisch er an das Thema herangegangen ist. Ich denke, Twitter war ein ganz wichtiger Kanal für ihn. V: Welche Kanäle waren im Vorfeld der US-Wahl noch von Bedeutung? Andrea Römmele: Im vergangenen USPräsidentschaftswahlkampf war Snapchat die wichtigste Nachrichtenquelle der unter 30-Jährigen. Ich musste mir das zunächst von meiner Tochter zeigen lassen, weil ich selbst kein Snapchat nutze. Das muss man sich in der Tat einmal vorstellen: News und andere Mitteilungen werden auf diesem Medium nach zehn Sekunden wieder gelöscht. Wie soll auf einem solchen Kanal eine vernünftige politische Debatte entstehen? Für Hillary Clintons Ansatz, möglichst ausführlich unterschiedliche Politikpositionen zu erklären, war dieses Medium vermutlich nicht gemacht. V: Haben wir es denn auf unserer Seite des Atlantiks besser? Andrea Römmele: Ja, auf jeden Fall. Es gefällt mir nicht, wenn allerorten vom Niedergang der Demokratie und von der Krise der Parteien die Rede ist. Die Parteien spielen eine zentrale Rolle bei der Kommunikation zwischen Bürgern und Regierenden. Den USA fehlen diese starken Parteien – auch das ist eine der Ursachen für die Krise des politischen Systems dort. V: Sie meinen, wir sollten auch einmal stolz auf unsere politische Kultur sein? Andrea Römmele: Ganz genau das meine ich. In den USA gibt es zum Beispiel keine grüne Partei, die im Kongress vertreten ist. Entsprechend gering ist der Stellenwert von Themen wie Ökologie und Umwelt in der politischen Debatte. — Interview: Günter Kast
Fotos: Hermann Bredehorst/Polaris/laif
ein paar Fragen von Twitter- oder Facebook-Usern vorgelesen werden? Andrea Römmele: Es ist ja ein allgemeiner Trend, Zuschauer, Hörer, Leser und User am „Programm“ zu beteiligen. Deshalb muss man den TV-Anstalten nicht gleich vorwerfen, sie würden sich bei den SocialMedia-Nutzern anbiedern. Wenn da einige via Facebook gestellte Fragen verlesen werden, ist das für mich durchaus sinnvoll.
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Apple-Mitbegründer Steve Wozniak besitzt eine Amateurfunklizenz.
Die grenzenlose Kommunikation mittels einer fast vergessenen Technik verbindet die Amateurfunker rund um die Welt auf ihrer zuweilen spannenden Jagd nach Kontakten. Ein lauer Frühlingsabend im bayerischen Voralpenland. Während rundum die Gartengrills zu glühen beginnen, sitzen wir im Dachgeschoss eines Einfamilienhauses 40 Kilometer südöstlich von München und gehen auf Weltreise. Wir nutzen dazu einen Kasten mit einer Technik, die heute nur noch eine Nebenrolle spielt: Funkgeräte. „Delta-Lima-Eight-Mike-Echo-Mike.“ Mit ruhiger Stimme spricht Wolfgang Michalke sein Funkzeichen ins Handmikrofon. Über den digitalen Empfänger spürte er ein starkes Funksignal auf, dessen Kennung auf einen Sender in Russland hindeutet. Gleichzeitig bekommt er einen Buchstaben-Zahlen-Code übertragen, der einen jener Quadranten als Senderstandort bezeichnet, aus denen die Weltfunkkarte aufgebaut ist. Obwohl eine solche Karte direkt vor seinen Augen an die schräge Holzwand gepinnt ist, braucht der Oberbayer sich nicht zu vergewissern. Instinktiv dreht er am Regler und richtet seine Antenne nach Ostnordost aus. Leise summt der Elektromotor, das Signal aus dem Kopfhörer hat sich schon verstärkt. Michalke buchstabiert das fremde Rufzeichen im Funkeralphabet und wiederholt dann die eigenen Daten: „Delta-Lima-Eight-MikeEcho-Mike.“ Es rauscht ein bisschen im Lautsprecher, dann ertönen als Antwort zuerst die Kennungen in umgekehrter Reihenfolge, dann nennt der Angefunkte seinen Namen: Juri. Er ist in Murmansk zu Hause und wollte am Ende eines funkintensiven Abends gerade abschalten – aber einen Kontakt nach Deutschland, den lässt er sich nicht entgehen. „1800 Kilometer! Mein Rekord heute. Danke!“, sagt er. Auch Wolfgang Michalke ist die Freude anzumerken, als er die Gesprächsdaten in sein Logbuch einträgt. „Eine so gute Verbindung über eine solche Distanz, das habe ich
nicht alle Tage“, erklärt er. Was Juri beruflich macht, ob er alt oder jung ist, arm oder reich, dick oder dünn – das interessiert in diesem Augenblick nicht. Wie der Schütze auf der Jagd, der Kunstsammler in der Galerie oder der Hochseesegler beim Regattasieg hat der Amateurfunker gerade „Beute gemacht“. Einer mehr unter vielen Tausend Gleichgesinnten rund um den Globus, den er in seiner Chronik erfolgreich gebauter Funkbrücken verzeichnen darf. Nicht wenige Prominente sind darunter, etwa Fürst Albert II. von Monaco oder der einstige Spitzenpolitiker Friedrich Merz. Was sie vereint: die Begeisterung für Technik und grenzenlose Kommunikation. Rein technisch gesehen scheint der Amateurfunk überholt. Warum soll man sich noch große Antennen aufs Dach montieren und ein ganzes Orchester von elektronischen Geräten auf den Schreibtisch stellen, wenn das Bild vom Ferienhäuschen mit ein paar Fingerbewegungen auf dem Smartphone ans andere Ende der Welt geschickt werden kann? Allerdings: Wenn Flutwellen, Tornados oder Erdbeben die Infrastruk-
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Auch Fürst Albert II. von Monaco kann sich der Funkfaszina-
Fotos: Pyty/Shutterstock.com, Jeff Chiu/dpa Picture-Alliance/ AP Archive, J. E. E/SIPA/1803121650/action press
tion nicht entziehen.
tur einer Krisenregion lahmlegen, springen Funker in die Bresche, um Notrufe zu übermitteln oder Hilfsaktionen zu koordinieren. Die geringen Wattleistungen, die sie zum Betrieb ihrer Anlagen benötigen, sammeln sie etwa mit einer kleinen Fotovoltaikanlage auf dem Dach. Der einzige Draht, den sie zur Übermittlung ihrer Botschaften benötigen, ist die am Haus gespannte Antenne. Das aufwendige Hochladen einer Nachricht zu einem Satelliten sparen sie sich ebenfalls, indem sie die verschiedenen Schichten der Atmosphäre als Reflektor zur Übermittlung nutzen. Bei günstigen meteorologischen Verhältnissen lassen sich leicht 1000 bis 2000 Kilometer überbrücken. Reicht die eigene Sendekraft nicht bis zum gewünschten Empfänger, dienen andere Funker als Relaisstationen und senden eine Nachricht weiter. Im Lauf der Geschichte zählten viele bekannte Persönlichkeiten zur Funkerfamilie: Thailands König Bhumibol war genauso dabei wie Hussein von Jordanien, US-Schauspieler Marlon Brando klemmte sich genauso unter die Antenne wie
der Sony-Gründer Akio Morita. Zu den prominentesten Funkern zählt aktuell KF5ONO – auch bekannt als Alexander Gerst, Kommandant der Internationalen Raumstation. Nach Thomas Reiter, DF4TR, und Hans Schlegel, DG1KIH, ist er der dritte Deutsche an Bord der ISS. Abgesehen von mehreren Tausend Euro für die Technik und zahlreichen Arbeitsstunden für den Auf- und Ausbau der Anlage sowie deren Wartung ist der Amateurfunk ein Hobby mit einem hohen Grad an Eigenständigkeit. Nicht nur, weil die Teilnehmer ihre Kommunikationsverbindungen in Eigenleistung ohne öffentliche Ressourcen erstellen. „Der eigentliche Reiz liegt darin, technisches Wissen zu erwerben und laufend auszubauen“, sagt Michalke. „Der Selbstbau von Geräten und Antennen gehört bei uns dazu. Da gibt es keinen, der nicht mit dem Lötkolben umgehen könnte.“ Auch wissenschaftliche Erkenntnisse wachsen den Funkern zu. Wer den Ausbreitungsbedingungen von Funkwellen auf die Spur kommen will, ist auf mehr als nur Grundkenntnisse in Physik und Wetterkunde angewiesen. Wie beeinflusst die Sonne die Funkwellen? Trägt ein starkes Tief die Wellen weiter als ein schwaches Hoch? Wie unterscheiden sich Reichweiten nach Jahreszeiten? Der Austausch technischer Informationen ist genauso Bestandteil der Unterhaltung wie das Kennenlernen unbekannter Kulturen. Manche QSOs, so der Funkerjargon für eine erfolgreiche Verbindung zweier Stationen, enden nur im Logbuch. Aus manchen werden Freundschaften fürs Leben – sie münden „erfreulich oft“, wie Michalke berichtet, „in Besuch und Gegenbesuch“. Dann hat’s gefunkt. — Autor: Ulrich Pfaffenberger
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Eine Sache des Geschmacks Die Tester des „Michelin“ und des „Gault & Millau“ sind wieder unterwegs – inkognito natürlich – und lassen ambitionierte Köche vor ihrer renommierten Meinung wieder einmal erzittern.
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larmstufe Rot in der Küche, wenn eine Limousine mit Karlsruher Kennzeichen, dem MichelinFirmensitz, vor der Tür steht? Steckbriefe von möglichen Restauranttestern an der Pinnwand im Personalbereich? Sogar Suizide im Zusammenhang mit einer Herabstufung aus dem Koch-Olymp soll es schon gegeben haben. Legenden und Gerüchte ranken sich um das pikante Verhältnis zwischen Koch und Kritiker. Fakt ist: Die französischen Feinschmeckerbibeln „Michelin“ und „Gault & Millau“ setzen die ambitionierten Köche enorm unter Leistungsdruck. Ständig müssen sie in Höchstform arbeiten. Schon kleine Schwächen können unter Umständen fatale Folgen für die Bewertung und somit für das Geschäft haben, wenn sie einem Kritiker negativ aufstoßen. Fakt ist aber auch, so Uta Bühler, Herausgeberin des Magazins „Sternklasse“: „ Unzweifelhaft haben ‚Michelin‘ und ‚Gault & Millau‘ in den 1980erund 1990er-Jahren die Entwicklung der Gourmetgastronomie in Deutschland beflügelt.“ Sie erstellt jährlich auf der Basis der sieben wichtigsten deutschen Restaurantführer die von Gerolsteiner veröffentliche Hitliste der besten deutschen Restaurants. Als 1983 der erste „Gault & Millau Deutschland“ auf den Markt kam, lautete das Fazit der Tester: „Das allgemeine Niveau der Küche Deutsch-
lands ist nach wie vor ziemlich niedrig.“ Der „Michelin“, der bereits ab 1966 herausragende Gourmetküchen in Deutschland mit Sternen ausgezeichnet hatte, dekorierte im selben Jahr gerade einmal drei Restaurants mit der Höchstwertung von drei Sternen. Und zwei davon wurden vom „Gault & Millau“ wie als Kampfansage an den Kritikerkonkurrenten regelrecht in die Pfanne gehauen. Süffisant zitierte „Der Spiegel“ die für den damaligen DreiSterne-Koch im Münchner Gourmettempel Tantris vernichtende Kritik über das „schlaffe Kalbsbries, die geschmacklosen Trüffeln und die zu süße Soße zum Fisch“. Dafür lobten die frankophilen Esstester das andere Münchner Drei-Sterne-Restaurant Aubergine, wo seinerzeit Kochlegende Eckart Witzigmann in der Küche stand, und gaben ihm als einzigem deutschen Koch die Höchstwertung von vier Toques (Kochmützen), die nur den weltbesten Küchenmeistern vorbehalten ist. Im aktuellen „Gault & Millau“ sind bereits 13 Köche mit vier Toques ausgezeichnet, und im „Michelin 2018“ dürfen sich elf Restaurants mit drei Sternen schmücken. Erstmals hat die Zahl der mit Sternen ausgezeichneten Küchen die 300 erreicht. „In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten hat in der deutschen Gastronomie eine dynamische Entwicklung stattgefunden, die der hie-
sigen Küche ein neues Gesicht gab“, lobt der „Michelin“. Und er betont: „War vor 30 Jahren gehobene Gastronomie gleichbedeutend mit französischer Küche, konnte die deutsche Küche sukzessiv eine eigene Identität finden und so einen wichtigen Platz in Europa einnehmen. Heimische Produkte und deutsche Klassiker werden modern und raffiniert interpretiert.“ Dem aus Frankreich übernommenen Konzept mit niederschmetternder Häme oder auch deliziösem Lob treu geblieben, was nach wie vor das größte Unterscheidungsmerkmal zum „Michelin“ darstellt. Die beiden inzwischen verstorbenen Journalisten Henri Gault (1929– 2000) und Christian Millau (1928– 2017) hatten 1969 den Guide gegründet und bildeten mit opulenter Lektüre eine ernst zu nehmende
Veredelt: Tobias Pietzsch aus dem Küchenteam des legereren Tasty Kitchen by La Vie in Osnabrück; Zwei-Sterne-Koch Johannes King, Restaurant Sölring-Hof auf Sylt; Drei-SterneKoch Thomas Bühner, Restaurant La Vie in Osnabrück (von oben nach unten).
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Fotos: Restaurant La Vie/Michael Holz Studio, Michael Magulski, Luzia Ellert
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Restaurantführer
Kochmützen: Der Restaurantführer bewertet nach dem französischen Schulnotensystem mit bis zu 20 Punkten, die allerdings im deutschsprachigen Raum noch nie vergeben wurden. Zudem ehrt er die Spitzenköche mit maximal vier Toques, die ab 19 Punkten vergeben werden. Die Punkte gelten ausschließlich für die Küchenleistung – Service, Ambiente und Weinkultur werden beschrieben.
Alternative zum wortkargen „Michelin“, der die Vergabe seiner Sterne nicht begründete. Zwar fügt der „Michelin“ seit einigen Jahren seinen Sternehäusern ebenfalls Kommentare über Küche und Ambiente bei, aber wirklich „Butter bei die Fische“, also ein eindeutiges Zeugnis mit Kommentierung, liefert nur der „Gault & Millau“. Was etwa im aktuellen Guide 2018 über einen Vier-Toques-Koch so klingt: Thomas Bühner vom La Vie in Osnabrück, der „den mit allerbestem Wagyu-Roastbeef umhüllten Kabeljau nur sanft in einem am Tisch angegossenen Sud mit Soja, Kombu-Alge, selbst getrocknetem Kabeljau nebst Rogen sowie Safran, Zitronengras, Kaffirlimette und Ingwer gart“. Weniger konkret formuliert der „Michelin“ über die gleiche mit drei Sternen bewertete Küche: „Gekonnt unterstreicht man die natürlichen Aromen ausgezeichneter Produkte und schafft harmonische Kreationen, die mit Reduziertheit ebenso begeistern wie mit Ausdruck.“ Gemeinsam ist beiden Restaurantführern: Sie testen grundsätzlich anonym. Alle Speisen und Getränke bezahlen die Tester selbst, Einladungen werden grund-
sätzlich nicht angenommen. Während der „Michelin“ zwölf ausgebildete Köche und Hotelfachleute als festangestellte Inspektoren beschäftigt, verlässt sich der „Gault & Millau“ auf seine freien Mitarbeiter, die als „gelernte Feinschmecker“ eine Küche und ein Restaurant im Sinne des anspruchsvollen Gastes auf Honorarbasis völlig „vorurteilsfrei beurteilen“ und verständlich sowie unterhaltsam beschreiben können. Vorbei sind zugleich die Zeiten, in denen Tischdekoration, edles Besteck und Porzellan das Urteil beeinflussten. Nur was sich auf dem Teller befindet, zählt. So wurde vom „Michelin“ im letzten Jahr im fernen Bangkok erstmals sogar eine Straßenküche mit einem Stern geehrt. Für die meisten Köche und auch für den deutschen Kritikerpapst Jürgen Dollase bleibt der „Michelin“ das absolute Maß aller Feinschmeckergaumen. „Was die Tendenz der Führer angeht, genießt der ‚Guide Michelin‘ mit seiner Bewahrung gesicherter Qualitäten wie der Offenheit auch gegenüber neuen Entwicklungen allgemein das größte Vertrauen“, urteilt Dollase. Die jährliche Umfrage unter Fachleuten und Köchen von Sternklasse.de setzte laut Herausgeberin Uta Bühler ebenfalls den „Michelin“ zum achten Mal in Folge als „Kompetenz No. 1“. Aber nicht nur die Küchenlandschaft mit immer neuen Trends von molekular über asiatische Einflüsse bis zur skandinavischen Naturküche hat sich in den vergangenen Jahren verändert, auch die elektronischen Medien beeinflussen mehr und mehr die klassische Restaurantkritik. Foodblogger locken mit aktuellen Tests, Bewertungsportale wie Tripadvisor, wo jeder Gast seine Erfahrungen sofort verbreiten kann, bereichern die Informationspalette. Der „Michelin“ hat auf die Anforderungen der Zukunft als erster Guide reagiert, das Buchungsportal Bookatable übernommen und es mit der klassischen Gourmetbibel verknüpft. Darin sind neben den bewährten TopHäusern mit Stern auch Tipps für das kleine Budget enthalten. Benutzer können überdies dort gleich einen Tisch reservieren. Auch die Meinung der Gäste ist gefragt. Gastro-Szene-Kennerin Uta Bühler: „Damit hat sich der ‚Guide Michelin‘ in eine andere Liga bugsiert. Uneinholbar für ‚Nur-Restaurantführer‘.“ — Autor: Andreas Hohenester
Fotos: mauritius images/Eric D ricochet69/Alamy, picture alliance/Britta Peders, EVERETT COLLECTION/action press filmfotos
Sternenglanz: Der Hotel- und Restaurantführer erscheint jährlich in zwölf Ausgaben. Aktuell vergeben 85 Kritiker die Auszeichnung. Ein Stern: „Eine Küche voller Finesse – einen Stopp wert!“ Zwei Sterne: „Eine Spitzenküche – einen Umweg wert!“ Drei Sterne: „Eine einzigartige Küche – eine Reise wert!“ Immer mehr an Bedeutung gewinnt der Bib Gourmand für ein ausgezeichnetes Preis-Leistungs-Verhältnis.
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Ein Bild und seine Geschichte
Zwischen Chaos und Protestaktionen flackert 1968 bunt und schrill der Zeichentrickfilm „Yellow Submarine“ über die Kinoleinwand des London Pavilion. Die Zuschauer ahnen es nicht, aber das Team um Produzent Al Brodax hatte einen extrem straffen Zeitplan zu bewältigen. In nur elf Monaten wird der poppige, aufwendige Animationsfilm abgeschlossen. Zu Drehbeginn arbeitet Brodax fieberhaft mit den Bestseller- und Drehbuchautoren Jack Mendelsohn, Lee Minoff und Erich Segal am noch fehlenden Drehbuch, um die Story an die TVCartoonstudios zu übergeben. Für den Film nehmen die Beatles vier neue Lieder auf. Bei der restlichen musikalischen Untermalung greift Brodax auf bereits vorhandenes Material von bisherigen Beatles-Alben zurück, etwa „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“
Flair von „Sgt. Pepper“ inspiriert, nimmt die Zuschauer mit auf eine Fahrt im Yellow Submarine. Das gelbe Unterseeboot von Old Fred gleitet mit den populären Beatles an Bord nach Pepperland, um das friedvolle Paradies vor dem Angriff der Blaumiesen zu retten. Mithilfe ihrer Musik gelingt es den Fab Four, das farblose, triste Pepperland aus seiner misslichen Lage zu befreien. Das Pop-ArtSpektakel zeichnet sich insbesondere durch den rebellischen und immer wieder auch possenhaften Humor aus, der sich stark von den in den 60er-Jahren produzierten Walt-Disney-Filmen unterschied, was „Yellow Submarine“ zu einem zeitlosen Klassiker der Filmkunstgeschichte macht.
The Beatles, 17. Juli 1968 und „Revolver“ – auf dem auch das Titel- und Nummer-eins-Lied „Yellow Submarine“ zu finden ist. Weiteren Einfluss nehmen die britischen Musikstars nicht. Bis auf eine Realfilmszene in der Schluss sequenz halten sie sich sehr bedeckt, was Kritiker in hellen Aufruhr versetzt, denn selbst ihre Synchronisationen übernehmen Sprachdoubles, was dem sonst so fröhlich wirkenden Spektakel Authentizität entzieht. Der 87-minütige Film, durch das psychedelisch angehauchte
— Autorin: Sophie Smakici
Impressum Herausgeber und Verlag: Deutscher Sparkassen Verlag GmbH, 70547 Stuttgart, Tel. +49 711 782-0 Chefredakteur: Ralf Kustermann, Tel. +49 711 7821586, Fax +49 711 782-1288, E-Mail: ralf.kustermann@dsv-gruppe.de Art Director: Joachim Leutgen Redaktion: Daniel Evensen, Sophie Smakici Chefin vom Dienst: Antje Schmitz Layout und Grafik: 7Stars NewMedia, Leinfelden-Echterdingen Autoren und Mitarbeiter: Christian Haas, Andreas Hohenester, Liora Jacobsen, Rudolf Kahlen, Günter Kast, Maria Kern, Hugo Lohmanns, Ulrich Pfaffenberger, Yorca Schmidt-Junker, Sophie Smakici Druck: MP Media-Print Informationstechnologie GmbH, Paderborn Anzeigen: Bechtle Verlag & Druck, Beatrix Dotzauer, E-Mail: anzeigen_dsv@bechtle-online.de, Tel. +49 711 9310-227 Artikel-Nr. 330 155 011
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Die Kunst des
Panoramas Es sind Momente der Geschichte und DenkanstĂśĂ&#x;e, die Yadegar Asisi mit imposanten Rundbildern schafft. Aktuell erinnert er mit dem Schiffswrack der Titanic an die Grenzen technischen Fortschritts.
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as große Schiffswrack liegt vor einem Strahler, der die in zwei Teile zerbrochene RMS Titanic beleuchtet. Die bläuliche Szenerie wirkt wie eine groß angelegte Tauchexpedition im Nordatlantik. Unterwassergeräusche verstärken den Eindruck, sich in einer Meerestiefe von 3800 Metern aufzuhalten. Ringsum korrodieren Zehntausende Tonnen Stahl, die von dem einst glanzvollen Dampfschiff zeugen. Kate Winslet und Leonardo DiCaprio kommen einem in den Sinn, die in James Camerons Filmepos über die tragische Jungfernfahrt des 1912 gesunkenen Passagierschiffs die Hauptrollen spielen. Der Künstler Yadegar Asisi hat diesen Anblick geschaffen. Das 3500 Quadratmeter große Rundbild ist im Leipziger Panometer zu bestaunen. Der in Wien geborene Künstler will mit seinem Werk zum Nachdenken anregen. Die Titanic steht aus seiner Sicht für „eine außergewöhnliche Ingenieurleistung“, andererseits sei ihr Schicksal „ein Sinnbild für die Hybris des Menschen“, der – koste es,
Yadegar Asisi skizziert Rundumbilder in der Planungsphase, um die große Linie zu klären.
was es wolle –, die Natur überflügeln möchte und dabei mitunter seine Möglichkeiten und Grenzen aus dem Auge verliere. Der in Leipzig aufgewachsene und in Berlin lebende Maler und Architekt hat schon einige solcher imposanten Panoramawelten mit beachtlicher Detailtreue kreiert. Seine Themen bieten einem breiten Publikum die Möglichkeit, sich aktuell in mehreren deutschen
Das Schiffswrack der Titanic auf dem Meeresboden des Nordatlantiks ist im Leipziger
Fotos: © asisi
Panometer zu sehen.
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Amazonien: Das Naturpanorama des Regenwalds lässt sich in Hannover auf 3500 Quadratmetern entdecken.
Himalaja: Asisis erstes Panorama zeigt das Tal des
Städten mit Kunst und Wissenschaft auseinanderzusetzen. Zwei neue Projekte sind darunter. Die Bergsteigerlegende Reinhold Messner formuliert es in knappen Worten so: „Asisis Illusionsgewalt des Mediums 360-Grad-Panorama ist ohne Vergleich.“ Diese prominente Einschätzung lässt sich gut nachvollziehen beim Blick auf sein erstes Rundbild „Everest“. Zu sehen ist das sogenannte Tal des Schweigens im Himalaja, wo sich das letzte Basislager befindet, bevor es für die Bergsteiger zum finalen und anstrengenden Aufstieg auf den Gipfel des mächtigen Mount Everest geht. Das Panorama zeigt eine entrückte und scheinbar grenzenlose, eisige Welt in Farbtönen von Aquamarin über Schneeweiß bis zu Tiefschwarz.
Schweigens, von wo die Bergsteiger zum Gipfel des Mount Everest aufbrechen.
Der 63-jährige Panoramaprofi wollte mit diesem Pilotprojekt seinerzeit in Leipzig zeigen, wie weit voneinander entfernt die Betrachtungsweisen auf dieses imposante Bergmassiv sind. Auf der einen Seite die fernöstliche Sichtweise der Bewohner des Himalajas, die dieses „Dach der Welt“ bewundern, aber nicht erobern wollen. Und andererseits der westliche Ansatz, demzufolge der Globus vermessen und bezwungen werden muss – was sich auch im Tatendrang der Bergsteiger zeigt, die es in großer Zahl dorthin zieht. Yadegar Asisi startet seine Arbeiten meist mit einer ausgedehnten Recherchereise vor Ort. So zog es ihn für sein Regenwaldpanorama „Amazonien“, das in Hannover zu sehen ist, nach Brasilien. Dort skizzierte er die Natur und fotografierte alles, was ihm wichtig war. Daraus ist im Anschluss für Plattformbesucher der Blick auf die Baumkronen gigantischer Urwaldbäume entstanden, auf Pflanzen
in allen erdenklichen Grünschattierungen. Für sein Panoramabild „Rom 312“, das im Gasometer Pforzheim zu bestaunen ist, reiste Asisi in die Heilige Stadt und war rund ums Forum Romanum mit Zeichenblock und Fotokamera unterwegs, um Eindrücke festzuhalten. Das Rundbild zeigt Kaiser Konstantin mit seinen Legionären nach siegreicher Schlacht beim triumphalen Einzug in die antike Metropole. Die dicht bebauten Hügel sind zu sehen, Tempel, Basiliken wie auch Triumphbögen – und viele Römer in ihrem alltäglichen Umfeld. Yadegar Asisi möchte auf solch einem Panorama „sehr, sehr viele Geschichten unterbringen“, wie er sagt, denn er will manchmal eine ganze Gesellschaft beschreiben. „Und die immense Größe dieser Bilder lässt mir natürlich auch viel Platz“, so der studierte Architekt. Zugleich ergänzt er: „Der Betrachter ist dann sein eigener Regisseur. Er kann sich eine Geschichte zusammenbauen, je nachdem, wie viel Zeit und Lust er mitbringt.“ Entsprechend sind auf den Rundbildern überall Menschen zu sehen. Sie entstehen nicht am Computer, sondern werden fotografiert. Der Künstler entwirft dafür Szenen, die später auf dem großflächigen Bild zu sehen sein sollen. Sein Team setzt die Begebenheiten um, bucht Schauspieler, besorgt die passenden Kostüme und organisiert Fotoshootings, die teils an den Originalschauplätzen stattfinden. Dabei nehmen die Fotografen dieselben Standpunkte ein wie die Betrachter auf den Besuchertürmen in einer Höhe von zehn, zwölf Metern. So stimmen die Perspektive und der Lichteinfall. Asisi arbeitet dabei wie ein Filmregisseur mit seinen Leuten von einer zur nächsten Szene, gibt Anweisungen,
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»DER BETRACHTER IST SEIN EIGENER REGISSEUR UND KANN SICH SO EINE GESCHICHTE ZUSAMMENBAUEN«
Fotos: © asisi, ddp images/Sebastian Willnow, imageBROKER/Kurt Amthor
bis alles passt. Im Anschluss bauen Teammitglieder das Bildmaterial an ihren Computern virtuell ins Panorama ein, schneiden einzelne Figuren oder ganze Gruppen aus und positionieren sie. Schatten wie auch Spiegelungen werden eingearbeitet. Das ist für den Künstler die spannendste und intensivste Phase. Er fasst alles zusammen und fühlt sich dabei wie ein Maler, der vor seiner Staffelei sitzt und „alle seine Skizzen auf die Leinwand bringt“. Das gilt ganz besonders für „Pergamon“, sein jüngstes Projekt in Berlin, das in diesem Sommer feierlich gegenüber der Museumsinsel starten wird. Dort ist dann in einem zweigeschossigen Rundbau die griechisch-antike Stadt im Jahre 129 nach Christus zu sehen
– mit den Terrassen der Akropolis auf dem Burgberg. Auf der 3000 Quadratmeter großen Inszenierung lässt sich ebenso der Pergamonaltar an seinem Originalschauplatz ausmachen. So gibt Asisi seinen Besuchern die Möglichkeit, archäologische Fundstücke in der antiken Welt zu erleben. Ihn selbst fasziniert dabei eines besonders an seinen großen, auf meterlangen Stoffbahnen aufgedruckten Bildern: Wenn die Betrachter nach kurzer Zeit die vielen Szenen im Detail entdecken, können sie sich dem Ganzen kaum noch entziehen. „Sie sind gefangen im besten Sinne“, sagt er mit einem Schmunzeln auf den Lippen. — Autorin: Maria Kern
Einzigartige Einblicke
Zwei neue Rundumperspektiven des Künstlers Yadegar Asisi stehen Interessierten bald in Berlin und Leipzig offen.
Panometer: Bestaunen Sie die interessante Welt der Natur aus der Sicht eines Pollenkorns.
Legendäre Metropole: Das pulsierende Leben der griechisch-antiken Stadt Pergamon ist ab Sommer gegenüber der Berliner Museumsinsel zu erleben. Auf dem 360-Grad-Panorama findet sich auch der legendäre Pergamonaltar: bit.ly/antikeMetropole Paradies auf Erden: Einblicke in den Mikrokosmos der Natur bietet das Leipziger Panometer ab Januar 2019. Interessierte entdecken dort die Gartenwelt gänzlich neu: www.panometer.de
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Wellness im Kopf Lesen ist wie Reisen auf Flügeln der Fantasie, sagt ein Sprichwort. Im Urlaub finden wir oft die Zeit dazu – konsequent, wenn Hotels ein passendes Ambiente bieten.
In den Tiroler Bergen bei Kufstein erwartet Gäste, die statt Action und Animation Ruhe und Natur suchen, ein erlesenes Urlaubsrefugium. Im Juffing Hotel & Spa dreht sich alles um Literatur. Neben einer gut sortierten, gemütlichen Bibliothek in der Lounge, verschiedenen Autoren gewidmeten und mit deren wichtigsten Werken bestückten Zimmern sowie großflächigen Zitaten auf Teppichen und an Flurwänden finden sich auch im Spabereich prall gefüllte Bücherregale. An einigen Liegestühlen hängen sogar Tabletcomputer mit elektronischem Lesefutter. „Wir wollen dem Hotel eine warme Farbe geben. Literatur eignet sich dazu wunderbar“, erklärt Sonja Juffinger-Konzett das Konzept des VierSterne-Superior-Literaturhotels. „Es gibt zahlreiche Wege zu Tiefenentspannung, echter Erholung und Rekreation“, so die Hotelchefin weiter. Auf dem „Behandlungsplan“ stehen unter anderem die Interaktion mit „Aufenthaltsstipendiaten“, die jeweils 14 Tage im Hotel leben und anderen Gästen Einblicke in ihr schriftstellerisches Schaffen vermitteln, sowie regelmäßig stattfindende Lesungen namhafter Literaten, beispielsweise Birgit Müller-Wieland, Robert Menasse, Hubert Filser oder Theresia Enzensberger. Ein ebenso stattliches Sortiment bietet das – nomen est omen – Hotel Library in New York. Zum einen ist dort jedes Zimmer mit einem vollen Bücherregal ausgestattet und zum anderen verwandelt sich die Schmökeroase ab dem späten Nachmittag in einen angesagten Hotspot des New Yorker Nachtlebens, in dem literarisch inspirierte Cocktails auf der
Blickfang: der
Getränkeliste nicht fehlen dürfen. Dass flüssiges Lesen und flüssige Spezialitäten gut zusammenpassen, beweist auch das B2 Boutique Hotel + Spa in Zürich. Dessen bis zur Decke reichende, über 33 000 teils antiquarische Werke fassende Bibliothek befindet sich in einer ehemaligen Brauerei und ist gleichzeitig der Frühstücksraum des Hotels – eine sensationelle Lesekulisse unter XXL-Kronleuchtern aus grünen original HürlimannBierflaschen. Keinen direkten Ausschank, aber süffige Lektüre bietet die attraktive Bibliothek im florentinischen Hotel Il Salviatino, das in einer res taurierten Villa aus dem 15. Jahrhundert untergebracht ist. Nicht weniger beeindruckend: das Taj Falaknuma Palace im indischen Hyderabad. Es beherbergt 6000 seltene Exemplare englischsprachiger Handschriften und Bücher, die man sich in einen superedlen
ungewöhnliche Kronleuchter aus HürlimannBierflaschen in der B2 Boutique Wine Library, Zürich.
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Fotos: B2 Boutique Hotel + Spa Zürich, Stefan Thaler/Thiersee, Photo courtesy of Library Hotel Collection
»GROSSE NAMEN SIND NICHT WICHTIG – BEGEGNUNGEN SCHON«
Rückzugsort: Juffing-Hotel,
Vielfalt: Im Library-Hotel, New
Thiersee – Ambiente für Leib
York, beherbergt jedes Stock-
und Seele. Literatur und Well-
werk ein abgeschlossenes
ness an einem Ort.
literarisches Genre.
Leseraum bringen lassen kann. Literaturhotels sind also weltweite Bestseller. Besonders gut kommen sie allerdings in Deutschland an und machen so dem viel bemühten und zitierten Beinamen „Land der Dichter und Denker“ alle Ehre. Ein ausgezeichnetes Standing genießt dabei das spätestens durch den G-7-Gipfel 2015 bekannt gewordene Schloss Elmau in den oberbayrischen Bergen – insbesondere wegen der vom Philosophen und Bestsellerautor Johannes Müller geschaffenen Bibliothek und des einmaligen Buchladens, der seine Gäste sieben Tage in der Woche mit „food for thought“ versorgt. Tage, Wochen oder eher Jahre könnte man sich im Gutshotel Groß Breesen in Mecklenburg-Vorpommern zurückziehen und stöbern. Inspiriert vom walisischen Bücherdorf Hay-on-Wye hat dort Conny Brock 1998 den ehemaligen Gutshof in Deutschlands ers-
tes Bücherhotel verwandelt und mittlerweile rund 500 000 Bücher zusammengetragen. Sie stapeln sich an Wänden, in Regalen, in Kisten – jeder Winkel wird genutzt. Den Buchgrundstock legte Brock mit in der Nachwendezeit aufgelösten Büchereien sowie Nachlässen. Seitdem sorgt ein gut eingespieltes Tauschsystem für ständigen Wechsel und permanentes Wachstum: Wer zwei Bücher bringt, darf sich ein anderes aussuchen und wieder mitnehmen. „Es sind aber nicht die großen Namen, die hier wichtig sind, sondern die Begegnungen und Gespräche“, erklärt Brock und bezieht sich damit auch auf die Buchbar, die, wie es heißt, „fantastische Welt der anonymen Bookoholiker“, sowie auf die häufigen Leseveranstaltungen. 2018 sind es aufgrund des 20-jährigen Bestehens besonders viele. — Autor: Christian Haas
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Sophia: die erste Roboterdame mit saudi-arabischer Staatsbürgerschaft.
SCHÖNE NEUE
WELT Mit ihren braun-grünen Augen, der wohlgeformten Nase und den vollen Lippen erfüllt Sophia nahezu alle Kriterien des Goldenen Schnitts – das Abbild eines Roboters der Zukunft-
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Fotos: Getty Images/China News Service/Kontributor, imago/AFLO/imago stock & people, ddp images/Robin Platzer/TwinImages/SipaUSA, ZUMA Press/MEGA/The Mega Agency, JULIA ROBINSON/NYT/Redux/laif
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ls Sophia am 12. Dezember 2017 anlässlich eines Gipfeltreffens zur künstlichen Intelligenz in Chinas Guangzhou ans Mikrofon tritt, spricht sie ruhig, souverän und selbstbewusst. Doch ist die Situation unheimlich und faszinierend zugleich, denn sie hat einen gewissen Makel: Sie ist nicht echt. Jedenfalls nicht nach humanbiologischen Maßstäben. Die Roboterdame ist die Schöpfung von David Hanson, Spezialist für Robotik sowie interaktive Technologie und Gründer von Hanson Robotics mit Sitz in Hongkong. Die Firma gilt als Marktführer für die Entwicklung und Konstruktion humanoider Roboter und zeichnete bereits für Vorgängermodelle wie Alice und Jules verantwortlich. Mit Sophia hat Hanson Robotics nun einen Meilenstein gesetzt, denn so lebensecht und komplex gab sich noch kein anderes künstliches Wesen. Was bei aller Faszination auch Ängste auslöst. Doch sind diese Ängste berechtigt? Und inwieweit wird sich unsere Arbeits- und Lebenswelt verändern, wenn Kreaturen wie Sophia vom Prototyp zum Verkaufsschlager avancieren? Die Debatte um Roboter und die ihnen zugrunde liegende künstliche Intelligenz, kurz KI genannt, ist in vollem Gange – und längst hat sich die Welt in engagierte Mahner und bedingungslose Befürworter geteilt. Elon Musk, Tech-Pionier und Tesla-Gründer: „Es ist ein sehr wichtiges Thema, das unser Leben in solchen Ausmaßen beeinflussen wird, wie wir sie uns noch nicht vorstellen können.“ Er warnt vor superintelligenten Maschinen, die mit ihrer autonomen Anhäufung von riesigen Datenmengen zu „unsterblichen Diktatoren, denen wir niemals mehr entkommen können“, mutieren. Mark Zuckerberg wiederum hält das Aufwerfen dieses Schreckensszenarios für „völlig verantwortungslos“. Der Facebook-Chef befürwortet lieber die Meinungen von KI-Unternehmern wie Masayoshi Son und Demis Hassabis, die künstliche Intelligenz für die einzig wahre Antwort auf die Probleme unserer Zeit halten. „Wenn Menschen und Maschinen zusammenarbeiten, wird die künstliche Intelligenz unser wahres Potenzial zutage fördern“, so Hassabis, Chef der Google-Tochter Deep Mind, eines der weltweit führenden Unternehmen im Bereich Artificial Intelligence. Ungleich nüchterner sieht es der Gründer des auf KI-Lösungen spezialisierten Unternehmens Cognotekt, Jobst Landgrebe. „Man kann nur davon träumen, menschliche Intelligenz nachzuahmen. Maschinen sind letzten Endes nichts anderes als elektronische Rechen-
schieber und können bestimmte menschliche Verhaltensweisen nur in einem sehr eng definierten Kontext abbilden“, sagt er. Tatsächlich ist KI gerade da aktiv und äußerst effizient, wo wir sie nicht sehen. Zum Beispiel bei der Korrespondenzautomatisierung in großen Unternehmen oder beim Regulierungs- und Risikomanagement von Banken und Versicherungen. „KI ist ein reiner Marketingbegriff“, erklärt Landgrebe. „Dabei handelt es sich lediglich um die neue Generation des Einsatzes von Mathematik in Software – ein Verfahren, das bereits vor 100 Jahren seinen Anfang nahm.“ Er verweist damit auf die Wissenschaftler Karl Pearson und Charles Spearman, die mit ihren Forschungen zu Statistik, mathematischer Psychologie und Intelligenz um 1905 den Grundstein für KI gelegt hatten. Masayoshi Son, Spätestens seit der Etablierung elektronischer Demis Hassabis Datenverarbeitung in den 1980er-Jahren ist KI auf dem Vormarsch und schickt sich an, unsere Lebenswelt fundamental zu verändern. Das gilt vor allem für einen Bereich, den wir bislang als human exklusiv wähnten: die geistige Arbeit. Denn neben Logistik, Transport und Mobilität BEFÜRWORTER erobert KI zunehmend das Terrain der sogeVERSUS nannten SchreibtischGEGNER/MAHNER täter – und droht mithin viele Arbeitsplätze zu vernichten. Schätzungen zufolge könnten durch KI innerhalb der nächsten 20 bis 25 Jahre über 200 Millionen Jobs in den OECDLändern verloren gehen. Ganze Berufsgruppen und klassische Clerks wie Finanzbuchhalter Elon Musk, und Sachbearbeiter werden demnach wohl Max Tegmark wegbrechen. „Mithilfe unserer Software wird menschliche, geistig repetitive Arbeit automatisiert. Dahinter steht eine Mathematisierung menschlichen Verhaltens, die viele Bereiche der Mathematik und Linguistik nutzt, um das Ergebnis der Nachahmung menschlichen Verhaltens zu erzeugen“, fasst es Landgrebe zusammen. KI also als rein mathematische Übersetzung menschlicher Fähigkeiten. Das 27
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klingt eher trocken als wirklich erschreckend. Zumal ihr „natürliche“ Grenzen in puncto Geistesarbeit gesetzt sind. „Alle Berufe, die mit Urteilskraft, Intuition, Empathie und Kreativität einhergehen, sind durch KI in mittelfristiger Zukunft wenig bis gar nicht gefährdet“, so Landgrebe. Im Gegenteil: Laut der Prognose von Experten werden durch die Automatisierung und die damit steigende Produktivität viele neue Jobs entstehen, vor allem im Dienstleistungsbereich, wo Soft Skills, der persönliche Kontakt und die verbale Kommunikation – Charakteristika, die KI abgehen – eine Art Ausgleich, ja ein Gegengewicht bilden werden. Beängstigend ist hingegen das Szenario, das der schwedische Physiker Max Tegmark, analog zu Elon Musk und dem Philosophen Nick Bostrom, entwirft. In seinem jüngst erschienenen Buch „Life 3.0“ warnt er vor den unkontrollierten Auswüchsen von KI, die das Potenzial habe, die Menschheit zu versklaven und auszulöschen. „Künstliche Intelligenz ist die mächtigste technologische Entwicklung aller Zeiten. Bislang sehen wir nur die Spitze des Eisbergs, aber wenn die unausweichliche Ära der Superintelligenz beginnt, birgt das enorme Risiken“, so Tegmark. Er vergleicht KI mit Nuklearwaffen, bei denen die Menschheit auch erst durch einen Lerneffekt nach Missbrauch, sprich: durch Hiroshima und Nagasaki, Konsequenzen gezogen hat. Im Falle von Superintelligenz würde diese sorglose Strategie jedoch nicht aufgehen, denn hier würden wir nicht mehr aus unseren Fehlern lernen können, weil es schlicht zu spät und der Mensch somit Geschichte sei. Willkommen im Posthumanismus! Ist KI nun ein Segen oder ultimativer Fluch? Sinnvolle, die Menschheit voranbringende Kraft oder doch eher Vorbote der Apokalypse? Die Wahrheit liegt, wie fast immer, irgendwo dazwischen. Denn auch wenn sowohl Mahner als auch KI-Visionäre die technologische Singularität, also den Zeit-
Meilenstein 2010: GeminoidF-Roboter und Modell.
punkt, da künstliche Intelligenz zu menschlicher aufschließt und sie einholt, voraussehen, so bezweifeln mindestens genauso viele diese Prognose. Die Gründe dafür sehen sie weniger in der Stagnation von weiteren bahnbrechenden Erkenntnissen in Mathematik, Linguistik und Informatik und deren Anwendung auf KI als in Philosophie und Geisteswissenschaft. „Philosophie ist der Schlüssel zu KI“, sagt der Physiker David Deutsch. „Es braucht mehr als Computerscience und Neurowissenschaften, um zu menschlicher
Robotikmedizin: Mensch und Maschine wagen den Fortschritt und fungieren als Team (oben). Nanotechnik: die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts.
Intelligenz aufzuschließen.“ Ein Ansatz, den auch Jobst Landgrebe teilt. „Es ist naiv, zu glauben, dass man Milliarden Jahre evolutionärer Entwicklung mal eben so in 40 Jahren im Labor oder am Rechner nachbauen kann“, betont er. Zudem fehle es Maschinen an der Grundeigenschaft eines jedweden Lebewesens: der frei nach Aristoteles definierten Entelechie, mithin dem Willen zu leben und somit Ziel und Zweck dieses Lebens in sich selbst zu tragen. Eines ist jedoch sicher: KI birgt viele Chancen und Möglichkeiten, aber Regierungen und Gesellschaften müssen bereits jetzt Reformen einleiten und Vorkehrungen treffen, um der wohl größten Zäsur seit der ersten industriellen Revolution angemessen entgegenzutreten. Der mittel- und langfristige Wandel am Arbeitsmarkt erfordert eine Anpassung von Bildungsangeboten und Sozialsystemen. Zudem sollte der zukünftig aus KI generierte steigende Wohlstand gerechter verteilt werden, um eine weitere soziale Spaltung zu unterbinden. Das alles ficht Roboterdame Sophia nicht an. Ihre auf Algorithmen basierende Existenz teilt weder unsere Sorgen noch unsere Hoffnungen, Träume oder Glücksmomente. Dennoch verlieh ihr ausgerechnet Saudi-Arabien, nicht gerade als Land eines blühenden Feminismus bekannt, jüngst die Staatsbürgerschaft. Was eine andere in Feuilletons gerade heiß diskutierte Frage aufwirft: Können Roboter eine Persönlichkeit haben? Wir entscheiden uns eindeutig für Nein und zitieren den Philosophen Markus Gabriel, der anlässlich eines Panels beim „SZ“-Wirtschaftsgipfel zum Thema der KI bilanzierte: „KI-Programme mögen immer besser werden. Aber es gibt keines, das Schach spielt, dann italienisch kocht, sich überlegt, welcher Rotwein dazu passt, und danach Stellung zum Brexit bezieht.“ Es sieht aus, als ob Sophia hier das Nachsehen hat. — Autorin: Yorca Schmidt-Junker
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Vielversprechendes Engagement Welche Sportarten im Sponsoring an Bedeutung gewinnen werden.
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Leichtathletik
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Mountainbiking
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Straßenradsport
Angaben in Prozent
Fußball
gelmäßig kontrolliert werden. „Nur ganz selten ziehen Firmenchefs ein Sponsoringprojekt nach diesem klaren Muster durch“, weiß der Berater. Johann Miess ist als Chef der Jonny-M.Fitnessstudios in Stuttgart, Ludwigsburg, Bietigheim und Karlsruhe genau nach Plan vorgegangen. Sein Unternehmen sponsert den FSV 08 Bissingen, der zu den Top-Fußballvereinen der Region zählt. Das Logo „Jonny M. Fitness Clubs“ findet sich prominent im Brustbereich auf den Spielertrikots von zwei Mannschaften. Der Unternehmer registriert über soziale Netzwerke wie Facebook durch das Kommentieren, Teilen und Liken, wie sehr sich die sogenannten Social Signals seitdem erhöhen. Zudem werde die Zielgruppe der Fitnessstudios über eine Reihe von Kanälen angesprochen. Weil erfolgreiches Sportsponsoring ganz wesentlich im Vorfeld mit dem richtigen Vertrag zu tun hat, rät Firmenchef Miess: „Ein Steuerberater sollte in allen Fällen von Anfang an mit einbezogen werden.“ Ihm zufolge ist es oft auch sinnvoll, einen versierten Juristen hinzuzuziehen. Der Berliner Steuerberater Roland Schubert empfiehlt Unternehmern, die Interesse am Sportsponsoring zeigen, „die gegenseitigen Leistungen sehr genau festzulegen“. Und wenn der Unternehmer in Höhe des zur Verfügung gestellten Geldbetrags den Betriebsausgabenabzug steuerlich geltend machen wolle, dann solle aus der schriftlichen Vereinbarung klar hervorgehen, dass er sich vom Sponsoring wirtschaftliche Vorteile verspreche, etwa einen höheren Bekanntheitsgrad. Für die Erfolgskontrolle nutzt der Sponsor das sogenannte Media-Clipping: Online-Erwähnungen ermitteln und Klickraten analysieren. Das Ziel: Nachfrage und Verkauf steigern.
E-Sport
Anthony Messere zählt zur Weltelite der Freeride-Szene. Die athletischen Manöver des 22-jährigen Mountainbikers auf abschüssigen Hindernisstrecken gelten unter seinen jugendlichen Fans als genial. Entsprechend populär ist der Kanadier: Seinen Instagram-Auftritt verfolgen mehr als 65 000 Abonnenten. Auf Facebook hat er 100 000 Follower. Einer davon ist Thorsten Heckrath-Rose, Geschäftsführer der Rose Bikes GmbH. Der 45-Jährige stellt mit mehr als 300 Beschäftigten die unterschiedlichsten Fahrradmodelle her und vertreibt sie über Geschäfte im nordrhein-westfälischen Bocholt, dem Firmensitz des Unternehmens, und München sowie online über Rosebikes.de. Heckrath-Rose konnte Anthony Messere für sein Freeride-Team gewinnen. Seit 2017 fährt der Athlet als Teil der Rose Rad Squad auf angesagten Veranstaltungen in Frankreich, Österreich und Deutschland, wo sich die Könner auch in diesem Jahr messen. „Die sind immer unter der Flagge ihrer Sponsoren unterwegs“, erzählt der Unternehmer. Er ergänzt: „Deshalb legen wir auch viel Wert darauf, dass sie immer mit unseren Rädern fahren.“ Der Radsport zählt neben Fußball, Triathlon, Basketball und E-Sport zum angesagten Umfeld für Sponsoren. Wer solch ein Projekt clever angeht, kann seine Zielgruppe mitunter besser erreichen, als es mit herkömmlichem Marketing möglich ist. Sportmarketingberater Andreas Will mit Sitz in Reutlingen weiß, was zu beachten ist, und rät diesbezüglich: „Generell sollte sich ein Unternehmer kritisch fragen, ob sich eine Sportart wirklich als Umfeld für seinen Betrieb eignet.“ Wer das bejaht, analysiert am besten als Erstes die betriebliche Chance eines Sponsorings und formuliert die passenden Ziele. Im Anschluss müssten Maßnahmen geplant und ihre Umsetzung re-
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Quelle: Nielsen Sports, Sponsor-Trend 2018
— Autor: Hugo Lohmanns
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Klug geplant Der Stabwechsel gelingt – vor allem, wenn beide Seiten an einem Strang ziehen und so das Wichtige im Blick behalten.
Seniorunternehmer Konrad Schnupp schaut ein wenig stolz auf seine Tochter und sagt: „Carmen hat Anfang 2014 die Geschäftsfüh übernommen.“ Seitdem habe die Firma mit Hauptsitz im niederbayerischen Bogen „einen Schub nach oben gemacht“. Die 33-jährige Ingenieurin ist bis auf wenige Prozent die Inhaberin des Maschinenbaubetriebs, der mit annähernd 170 Beschäftigten jährlich rund 27 Millionen Euro umsetzt. „Sie kann mithin die Firma allein leiten“, ergänzt der 70-Jährige. Carmen Schnupp: „Meine Eltern haben mir die Firma vergleichsweise früh übertragen.“ Bei vielen betrieblichen Übergängen, die sie miterlebe, sei das leider anders. Oftmals könnten dort die Älteren nur schlecht loslassen und übergäben ihre Anteile am Betrieb erst sehr spät an die nächste Generation, woran der Wechsel letztlich häufig scheitere. „Die Jungen sagen dann“, erzählt Schnupp weiter, „ihr vertraut mir nicht, und steigen nach einer gewissen Zeit aus.“ Die Geschäftsführerin rät: „Wer frühzeitig Rechte und Pflichten an die Jüngeren übergibt, schafft es so auch, sie an den Betrieb zu binden.“ Bis zum Jahr 2022 plant mehr als eine halbe Million Mittelständler hierzulande die Unternehmensnachfolge. Für rund 100 000 Inhaber wird die Zeit knapp: Dort soll der Generationenwechsel bis Ende 2019 umgesetzt werden, aber ein Nachfolger ist noch nicht gefunden. Konkrete Vorbereitungen laufen erst bei gut jedem dritten Betroffenen, wie die KfW-Bank ermittelt hat. Damit der Stab-
wechsel gelingt, sollten Senior und Junior die Phase möglichst professionell und emotionslos durchziehen – egal, ob es letztlich eine familien- oder betriebsinterne, vielleicht auch unternehmensexterne Lösung werden soll. Dabei gilt es für beide Seiten, ein paar wichtige Punkte zu beachten. Holger Wassermann, wissenschaftlicher Leiter des Berliner Kompetenz-Centrums für Entrepreneurship & Mittelstand an der FOM – Hochschule für Ökonomie & Management, kennt die großen Probleme
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Bedeutender Schritt: Die weitere Unternehmenssicherung will wohlüberlegt sein.
einer unternehmensexternen Übergabe aufgrund seiner Beratungen genau und sagt: „Die Preisvorstellungen beider Seiten klaffen häufig weit auseinander.“ Es hapere auch an der Kommunikation. Die Jungen könnten – oder wollten – mit Blick auf das Lebenswerk des Unternehmers die Wertschätzung nicht aufbringen, wie es der Seniorchef gern hätte. Wie solch ein Prozess erfolgreich abläuft, weiß Petar Marovic. Der 50-Jährige ist seit Januar 2016 geschäftsführender Gesellschafter
der Havelländischen Zink-Druckguss GmbH & Co. KG aus dem brandenburgischen Premnitz. „Die gegenseitige Wertschätzung sollte man nicht nur aussprechen“, sagt er, „sondern auch leben.“ Der Betriebswirt hatte den seinerzeit kriselnden Betrieb mit 90 Beschäftigten und 15 Millionen Euro Jahresumsatz übernommen. Mit dem damaligen Inhaber Michael Schönberg, der das Unternehmen zweieinhalb Dekaden als Familienbetrieb geführt hatte, verstand sich Marovic auf Anhieb. 33
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»DIE GEGENSEITIGE WERTSCHÄTZUNG SOLLTE MAN NICHT NUR AUSSPRECHEN, SONDERN AUCH LEBEN«
Eine Herausforderung allerdings war auch in diesem Fall der Preis. „Die Verkäuferseite hatte mit Blick auf das Lebenswerk eine extrem hohe Erwartung“, erinnert sich Marovic. Letztlich seien alle Seiten aber nach einer Übergabephase zusammengekommen. „Ich habe das Unternehmen innerhalb von zwölf Monaten stabilisiert, finanzierungswürdig gemacht und auf neue Branchen wie Telekommunikation und Elektrotechnik ausgerichtet“, erzählt er. Gleichzeitig hatte er den Personalstamm ausgebaut. Das Unternehmen war stabilisiert, und Schönberg konnte den gewünschten Preis bekommen. „Das mag auf mich bezogen wie ein Eigentor wirken“, sagt der Betriebswirt im Nachhinein. Aber es sei ein tragfähiger Kompromiss gewesen. Marovic: „Mithin habe ich das Unternehmen erst dahin gebracht, damit das mit den Wünschen der Verkäuferseite und den Anforderungen der finanzierenden Kreditinstitute im Einklang war.“ Aus Sicht von Experte Wassermann gibt es nicht die eine Berechnung – und schon gar nicht auf den Cent genau. „Eine gute Unternehmensbewertung setzt sich immer aus mehreren Verfahren zusammen, denn
erst dann zeigt sich, in welchem Korridor der Wert liegt“, betont er. Das sei aber immer noch nicht gleichbedeutend mit dem realistischen Preis fürs Unternehmen, der sich letztlich nach Angebot und Nachfrage richte Wassermann zufolge ist es hilfreich, wenn sich der Seniorchef eines Unternehmens auch einmal gedanklich in den potenziellen Käufer hineinversetzt. „Der kann nur den Teil bezahlen, der sich letztlich schon aus der eigenen Bilanz ergibt“, sagt er. Der Professor wählt ein konkretes Beispiel: „Der interessierte Nachfolger nutzt für einen zu finanzierenden Kaufpreis von 2 Millionen Euro meist einen überschaubaren Betrag an Eigenmitteln und einen größeren Teil an Fremdkapital von seiner Sparkasse oder Bank.“ Für das Kreditinstitut sei dann entscheidend, was die Firma künftig abwerfen dürfte. „Mithin zahlt der Betrieb seinen eigenen Kaufpreis“, folgert Wassermann. Und dafür sei letztlich die Verschuldungskapazität abzüglich bestehender Kredite zum Bedienen des Darlehens entscheidend. Werner Deck hatte als einstiger Geschäftsführer der Malerdeck GmbH mit Sitz in Eggenstein-Leopoldshafen bei Karlsruhe den Wert seines Unternehmens anhand des operativen Ergebnisses vor Steuern und Zinsen ermittelt, bevor er es an eine Mitarbeiterin verkaufte, die den Betrieb und seine Philosophie
schon geraume Zeit bestens mitgetragen hatte. Sein Rat: „Ein Seniorchef sollte die intern ausgeguckte Person intensiv auf die Nachfolge vorbereiten und ihr auch nach der Übergabe auf Wunsch noch eine Zeit lang helfend zur Seite stehen.“ Das ist zwar – wie in seinem Fall – keine Garantie für eine auf Dauer erfolgreiche Weiterführung des Betriebs, aber gewiss der richtige Weg. Wenn nach einer Weile die Unterstützung nicht mehr gefragt ist, folgt der endgültige Rückzug. Der 70-Jährige kümmert sich heute als Inhaber um sein Franchisesystem Opti-Maler-Partner und hat derzeit mehr als 45 Franchisepartner, vor allem in Bayern, Baden-Württemberg und NordrheinWestfalen. „Ich will es noch einmal wissen und die Zahl in den kommenden fünf Jahren mit der entsprechenden Akquise ausbauen“, so Deck. Dann wäre er wohl aus jetziger Sicht so weit, den Stab an einen Nachfolger zu übergeben. Auch Unternehmer Marovic will in den nächsten Jahren weiter expandieren, bevor er als 60-Jähriger langsam selbst das Thema Generationenwechsel angehen möchte. „Dafür lasse ich mir dann etwa fünf Jahre Zeit – und vor allem sämtliche Wege offen“, sagt er und schmunzelt. — Autor: Rudolf Kahlen
Fotos: Westend61/John Slater/Getty Images/DigitalVision
Zeichen der Anerkennung: Noch heute hat der 70-jährige Verkäufer einen Schlüssel für den Betrieb und kann jederzeit vorbeischauen.
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