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Das Private-Banking-Magazin Ihrer Sparkasse

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Abenteuerliches Afrika

Meisterhafte Manufakturen

Ideenstarke Ikonen

So leben wir 2050 Wie Architekten unsere Städte planen

Fantastisch: Vincent Callebauts EntwĂźrfe zur Architektur der Zukunft


Editorial

Die Zukunft braucht Bauplan und Grundstein

Thomas Stoll, Chefredakteur Deutscher Sparkassenverlag thomas.stoll@dsv-gruppe.de

Im 16. Jahrhundert entwarf der Gelehrte ­Thomas Morus im Roman „Utopia“ das Modell einer idealen Gesellschaft. Durch solide Familienverbände, Arbeits- und Schulpflicht, Begabtenförderung und eine optimale Krankenversorgung führen die Bewohner der fiktiven Insel ein harmonisches Leben. Morus wusste: Städte müssen eine feste Größe besitzen, um zu funktionieren. Überbevölkerung oder Einwohnermangel glichen die Bewohner Utopias durch Kolonienbildung und Zuwanderung aus. 500 Jahre später diskutieren wir über ähnliche und neue Herausforderungen. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten. In 30 Jahren erwarten Experten einen Anteil von 70 Prozent. Megametropolen wie Mexiko City oder Tokio sollen dabei weniger betroffen sein als kleinere Ballungsgebiete mit rund fünf Millionen Einwohnern. Auch hierzulande besteht also Handlungsbedarf. Bau- und Wohnraum sind knapp, die Straßen überfüllt. Vier Fünftel der Treibhausgase entstehen in Großstädten. Stadtplaner und Architekten müssen Städte neu denken. Der belgische Architekt Vincent Calle­baut lieferte atemberaubende Entwürfe für

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das Paris von 2050 – mit bunten, smarten, sich selbst mit Energie versorgenden Gebäuden. Doch wie realistisch sind die Szenarien? Bleiben sie Visionen? In der Titelstory „Die Stadt der Zukunft“ blicken wir auf Experimente und Konzepte, die den Herausforderungen im urbanen Raum flexibel und innovativ begegnen. Die neue Architektur ist in Schanghai, New York oder Berlin schon sichtbar. Sie legt den Grundstein dafür, wie wir in 30 Jahren leben werden. Auch wenn drei Jahrzehnte ein langer Zeitraum sind – die Zukunft benötigt einen Bauplan und einen Grundstein. Das gilt für Städte nicht weniger als für Finanzen. Denn anders als die Utopier kennen wir Privateigentum und Geldverkehr. Die Sparkasse ist in Finanzfragen Partner und Architekt. Berater und Spezialisten kümmern sich um Ihre Vermögenswerte und ­arbeiten nachhaltig an Ihrer Zukunft. Eine anregende Lektüre wünscht

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Inhalt

04 Bilderbuch: Vincent Callebauts Vision vom Paris der Zukunft

10 Wunderknabe: Elon Musk brachte

Fotos: action press, Polaris/StudioX, interTOPICS/Globe Photos; Cover: action press

Elektroantrieb und Raketentechnik

04 Stadt der Zukunft Schon heute lebt und arbeitet mehr als die Hälfte der Menschheit in den ­urbanen Gebieten und Megacitys. ­Zukunftsforscher erwarten weitere Zuwanderungsströme. Der Raum wird knapp, die Herausforderungen wachsen. Stadtplaner und Architekten entwerfen Visionen sowie reale Konzepte für den Wohnraum von morgen.

20 Das Bordelais Neuseelands Französische Trauben finden unter der Sonne Neuseelands hervorragende ­Bedingungen. Wie deutsche Winzer an die Ostküste kamen, Wein veredeln und in der Spitzenklasse etablieren. 24 Ein eisiges Vergnügen Schlittschuhbahnen vor malerischen Kulissen in den Metropolen der Welt werden zum Treffpunkt der Winterzeit.

10 Die unter Strom stehen … Bedeutende Innovatoren unserer Zeit kommen oft aus der Hightech-Branche. Sie werden verehrt oder wie Filmstars gefeiert und gelten oft als einsame ­Genies. Ein Irrtum: Die Top-Manager verfügen über besondere Talente.

26 Safari de luxe Natur und Tierwelt sind die Attraktion im südlichen Afrika. Wer Tiere in freier Wildbahn erleben und in Erinnerung behalten möchte, kann mit der Kamera auf eine atemberaubende Jagd gehen.

16 Handmade in Germany In Zeiten industrieller Massenfertigung gewinnen maßgeschneiderte P ­ rodukte von hoher Qualität und Wertigkeit mehr Anerkennung. Die Initiative Deutsche Manufakturen ist ihre Stimme.

30 Der Schatz der Zarin Sie sind Kleinodien der Kunst, ein Teil der russischen Geschichte und allesamt ein Vermögen wert. Goldschmied Fabergé war Hoflieferant des Zaren und fertigte 50 extravagante Ostergrüße.

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Kolumne Das Gedicht Kunst Die wunderbare Welt der Farben 34 Ein Bild und ­seine Geschichte 34 Impressum

30 Juwelierkunst: das Rosenknospen-Ei von Fabergé

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Mehr Menschen als je zuvor arbeiten und leben in urbanen Gebieten. Der Raum wird knapp, die Umwelt belastet – Architekten entwickeln die Konzepte für morgen. :: Von Yorca Schmidt-Junker

Paris 2050: Im Entwurf von Architekt Vincent Callebaut durchziehen konische, bizarr begrünte Spiraltürme das historisch gewachsene Arrondissement. Sorgsam eingebettet zwischen den Bürgerhäusern des 18. und 19. Jahrhunderts verleihen sie der Metropole ein futuristisches Gesicht. Kühn geschwungene Mangrovengebilde rahmen den Gare du Nord ein und ermöglichen eine um­ weltfreundliche Energie­ versorgung sowie eine fotosynthetisch erzeugte

Foto: action press

Hitzeableitung.

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PLP Architecture, London Höhe: 600 Meter, Konzeptstudie Hotel- und Büroturm für eine der Metropolen im Pearl-River-Delta in China. Das Gebäude besteht aus drei Komponenten, die u ­ nkonventionell ­ineinander verdreht sind und verschiedene Sicht­ ebenen fokussieren. Die unteren 44 Stockwerke lenken die Augen aus dem Inneren auf einen Park, die mittleren 83 Stockwerke auf Gebäude der Umgebung und die oberen 124 Stockwerke auf die Stadt und ferne Berge im Umland.

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Spätestens seitdem der Architekt Vincent Callebaut seine radikalen Entwürfe eines Paris der Zukunft vorlegte, gilt er als einer der Visionäre unserer Zeit. Tatsächlich bietet seine Utopie einer smarten, grünen und weitgehend autarken Stadt viele mögliche Antworten auf die urbanen Herausforderungen, die uns bevorstehen. Zumindest in der Theorie und auf dem Reißbrett. Doch wie realistisch ist dieses Szenario? Und inwieweit können sich Städte, ihre Planer und Bewohner adäquat für die Zukunft rüsten? Schon heute lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in urbanen Räumen. Forscher schätzen, dass es bis zum Jahr 2050 bereits bis zu 70 Prozent sein werden. Dabei werden aber nicht Mega­citys wie Tokio, Mexico City oder Schanghai weiter wachsen, sondern Ballungsräume mit bis zu fünf Millionen Einwohnern heute – was somit auch viele deutsche Städte vor enorme Herausforderungen stellen wird. Die sogenannte Landflucht mag weltweit verschiedene Ursachen haben. Nahezu allen Kulturen ist gemein, dass die Stadt noch immer die größte Verheißung auf Arbeit, Bildung, Wohlstand und Selbstverwirklichung ist. Doch die Sogwirkung der Städte birgt Gefahren: Wohnraum wird knapp und überproportional teuer, die Infrastruktur muss der stetig wachsenden Einwohnerzahl standhalten, ebenso die Energieversorgung, der Verkehr und die Müllentsorgung. Groß­städte und Metropolen verursachen vier Fünftel aller Treibhausgase und sind hauptverantwortlich für die globale Erwärmung. Durch den massenhaften Zuzug, auch und gerade ärmerer oder schlecht ausgebildeter Menschen, droht zudem Segregation bis hin zur Verslumung und sogenannten No-go-Areas – wie sie in den Banlieues und Satellitenstädten von Paris und Rotterdam bereits bittere Realität sind. Thomas Willemeit, Mitgründer des Berliner Architekturund Designbüros Graft: „Die größte Herausforderung von Städten wird der Ausgleich zwischen wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Gefähr­ dung werden.“ Dem stimmt der Düsseldorfer Architekt Karl-Heinz ­Petzinka zu und sagt: „Viele der aktuellen Impulse wie Gentrifizierung und Segregation gehen von einer ökonomisch desaströsen Ebene aus. Diesem Motor unterliegen wir auch in Deutschland, einhergehend mit einem Gesichtsverlust vieler Städte.“ Statt historisch gewach­ sene Strukturen und Gebäude zu erhalten, werden sie abgerissen und durch nivellierte, renditetaugliche Objekte ersetzt. Stadtplaner und Investoren bestimmen zunehmend, wie der urbane Raum besetzt wird. Ästhetik, bezahlbarer Wohnraum und sozialer Wohnungsbau haben da das Nachsehen. „Städte wie Düsseldorf und Köln befinden sich längst im Auflösungsprozess“, meint Petzinka. „Doch eine Stadt braucht ein Gesicht, eine Identität, um zukunftsfähig zu sein.“ Aber was macht diese Identität de facto aus? Schöne Bauwerke? „Eine Stadt ist immer auch ein Abbild ihrer Mentalität“, sagt Thomas Willemeit. „Die Zukunft von Städten wird auf sozialem Sektor entschieden.“ Zwei Faktoren sind dabei bestimmend: die nachkommende Generation und die technischen Entwicklungen. Denn ob der fortschreitenden Digitalisierung und des Internets der Dinge, des permanenten Austauschs und Wandels und der damit einhergehenden schnelleren globalen Zeittaktung findet gerade ein Paradigmenwechsel statt. Traditi-

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Architekturbüros Kleihues + Kleihues und Graft, Genossenschaft für urbane Kreativität, Berlin Der Gebäudekomplex gibt Antworten auf soziale, ökonomische und ökologische Fragen, fördert den Austausch der Menschen, die durchschnittlich 900 Tage dort leben oder arbeiten sollen, und setzt ­Maßstäbe in Regionalität und Energieeffizienz. Treppen gleichen bepflanzten Wanderwegen, das

Fotos: Luxigon, Graft GmbH, Kleihues + Kleihues GmbH, Ali Kepenek

Dach dient der Fischzucht und dem Gemüseanbau.

onelle Familienstrukturen sind passé, klassisches Besitz- und Statusdenken schwindet, die Grenzen zwischen Leben und Arbeiten verschwimmen zusehends, und man organisiert sich allgemein gern selbst. Die Jungen suchen sich Orte, an d ­ enen sie ihre Ideen für morgen und übermorgen realisieren können, wofür sie weder übermäßig viel Platz noch große monetäre Ressourcen benötigen. Karl-Heinz Petzinka, der als Professor der Baukunstklasse an der Kunstakademie Düsseldorf die Ansprüche der kommenden Generation aus nächster Nähe kennt, sagt: „Es wird zu einer selbst gewählten Begrenztheit des Wohnens kommen. Da geht es nicht mehr ums Residieren, sondern um Teilhabe am gemeinschaftlichen Raum.“

Thomas Willemeit glaubt, dass die Zukunft der Städte

Haus- und Lebensmodelle, die es schaffen, auf sozialem Sektor wirtschaftlich und baulich eine Art von Kollek- entschieden wird. tivsolidarität zu ermöglichen, werden zum Prototyp zukünftigen Lebens. Willemeits Berliner Büro Graft, das für prestigeträchtige Architektur-

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projekte weltweit verantwortlich zeichnet, stellte kürzlich ein derartiges Objekt in Berlin fertig. Im Stadtteil Prenzlauer Berg entstanden die Paragon-Apartments, ein Wohnkomplex, der urbanen Charakter mit Community-Flair verbindet, denn der über 240 Single- und Familienwohnungen verfügende Bau funktioniert dank gemeinschaftlich nutzbarem Bibliotheksklubraum, eigenem Concierge, einem Café, integriertem Kindergarten und Biosupermarkt sowie großzügig begrüntem Innenhof wie eine Stadt in der Stadt – und erfüllt damit nahezu alle Ansprüche postmoderner Großstädter. Das Projekt Eckwerk Holzmarkt, das Graft zusammen mit dem Architekturbüro Kleihues + Kleihues sowie der Genossenschaft für urbane Kreativität aktuell umsetzt, fokussiert hingegen die neuzeitliche Fusion von Wohnen und Arbeiten, Öffentlichkeit und Privatsphäre. Dabei ist alles im Fluss, denn primär zählt hier nicht der Aspekt der Sesshaftigkeit. Vielmehr sind Austausch, Spontaneität und Flexibilität

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Woha Architects, Singapur Höhe: 148 Meter, Fertigstellung: Dezember 2015 Gesprächszonen sowie Gemeinschaftsflächen und -räume im umliegenden Park und auf dem Gebäudedach als Raum offener Kommunikation. Einkaufsmöglich­keiten, Sport- und Spielplätze die­ nen der Unterhaltung. Der Baukörper gliedert sich in 12 Sky Villages zu 80 Wohnungen als Block von 11 Geschossen. Die vertikalen Einheiten teilen sich einen überdachten und durchlüfteten Sky Garden. Der Prototyp einer Gebäudestruktur der Megacitys.

die Leitmotive des Komplexes, was dieser auch baulich ausstrahlt. Transparent, offen und dynamisch gestaltet, sollen im Inneren dank eines intelligenten Flexsystems jederzeit neue Aufteilungen und neue Freiräume möglich sein. Der Traum von einem Haus, das auf seine Bewohner reagiert und sich jederzeit ihren individuellen, sich wandelnden Bedürfnissen anpasst. Dazu sollen die Mieten bezahlbar sein, womit das Eckwerk demnächst als Berliner Hotspot für junge Kreative und Start-ups gelten dürfte. In Düsseldorf setzt Karl-Heinz Petzinka auf das Prinzip der Umnutzung. Essenziell ist hierbei, bestehende Baustrukturen zu erhalten, ein „altes“ Gebäude umzubauen, um neuen Anforderungen adäquat zu begegnen. Petzinka, Schöpfer des Düsseldorfer Stadttors, realisiert beispielsweise in den ehemaligen Rheinbahn-Hallen einen Kom-

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plex, in dem sich vom jungen Kunsthandwerker bis zum Technologiefreak alle zusammenfinden, um Synergien zu bilden und gemeinsam die Philosophie des Partizipierens und des Teilens zu leben – was Unternehmer, Berater und Künstler aus ganz Europa auf den Plan ruft, die das Projekt als wegweisend für die Zukunft einstufen.

Karl-Heinz Petzinka ist überzeugt: Mieter werden in Städten kleinere Wohnungen beziehen.

Leer stehende Hallen oder stillgelegte Indus­ trieanlagen als zusätzlichen Lebensraum zu gewinnen, ist das eine Konzept, die Schaffung gänzlich neuer Wohnkomplexe mit großem „Fassungsvermögen“ ein anderes. Damit ist ein Gebäudetyp gefragt, der in Deutschland wenig beliebt ist, in Großstädten mit Wohnraummangel aber unausweichlich erscheint: Hochhäuser. Wie schön diese Architektur sein kann, beweist beispielsweise das New Yorker Objekt Via 57 West.

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Fotos: Woha Architects, Patrick Bingham-Hall, Iwan Baan, Kirsten Bucher, picture-alliance/dpa

Der silbern schimmernde Tetraeder aus Stahl und Glas, direkt am Ufer des Hudson gelegen, stillt neben der Sehnsucht nach Ästhetik den Anspruch auf Nachhaltigkeit. Die hauseigene Wasseraufbereitungs­ anlage, eine effiziente Energieversorgung, Solarpaneele und ein park­ ähnlicher Innenhof pflegen das grüne Bewusstsein, was in den Wohnungen durch die Verwendung zertifizierter Hölzer und Natursteine fortgeführt wird. Beim Bau berücksichtigte man die architektonische DNA New Yorks und integrierte die Idee klassischer Blockrandbebauung ins Hochhauskonzept. Das überzeugte die Jury des Internationalen Hochhaus Preises (IHP), des weltweit wichtigsten Awards für Hochhausarchitektur, die das Gebäude jüngst zum Sieger für 2016 kürte. Den Spezialpreis des IHP, der alle zwei Jahre von der Stadt Frankfurt am Main, dem Deutschen Architekturmuseum und der DekaBank vergeben wird, erhielt ein ebenso interessantes Objekt in Singapur: Skyville, das als Vision für den sozialen Wohnungsbau der Zukunft gelten darf. Angebunden an einen regenwaldgleichen Park mit Freizeit­ optionen bilden in dem 960 Wohnungen umfassenden Komplex der Architektur- und Designfirma Woha jeweils 80 Einheiten ihre eigene Community, womit zwölf Dorfgemeinschaften existieren. Die teilen sich einen begrünten Terrassengarten, treffen sich zum Sport auf dem riesigen Dachgarten, der über eine 400-Meter-Joggingstrecke verfügt, oder kochen und essen in Gemeinschaftsräumen. Die hell und offen gestalteten Wohnungen gewähren stets ein Höchstmaß an Privatsphäre. Richard Hassell, Mitgründer von Woha: „Wir setzen der Anonymität in den Megacitys etwas entgegen. In Skyville ermutigen die Gemeinschaftsflächen und Terrassengärten die ­Menschen, mitein­ander zu interagieren.“ Der Clangedanke, einst prägend für ländliche Mentalität, ist im urbanen Raum angekommen. Gemeinsame Aktivitäten, Austausch, Teilen und Helfen obliegen nicht länger Familienverbünden, sondern Nachbarn, die zu Wahlverwandten werden.

Architekten: Bjarke Ingels Group, Kopenhagen Höhe: 142 Meter, Fertigstellung: Februar 2016 Eine Mischung aus amerikanischem Hochhaus und europäischer Blockrandbebauung mit begrüntem Innenhof. In der Dachhaut ­versenkte Balkone mit A ­ ussicht auf den Hudson River. Die Gebäude­geometrie bedarf 250 unterschiedlicher ­Wohngrundrisse. Der Prototyp einer geschützten Oase in der lauten Großstadt.

Ob derartige Hochhauskonzepte sich in Deutschland etablieren werden, bleibt abzuwarten. Sicher ist: Die Zukunft bringt eine diversifizierte Form des Wohnens, Lebens und Arbeitens. Thomas Willemeit: „Die Architektur wird flexibler, und wahrscheinlich entstehen viele unterschiedliche Hauskonzepte. Gebäude werden dynamischer und durchlässiger: weniger Stein und Beton, mehr Idee und Experiment.“ Petzinka ist überzeugt, dass Insellagen die Stadt der Zukunft prägen werden. „Es wird geschlossene Wohnkomplexe mit Zugangsbeschränkungen geben, Inseln der Jungen und Kreativen, Inseln für Familien mit ökologischem Bewusstsein. Die Freizeit wird dazwischen organisiert. Aus dem einstmals zersiedelten Raum, der Zwischenstadt, werden Parks und Sporträume entstehen, die zu Treffpunkten werden“, erklärt er. Die beiden Prognosen klingen nur bedingt nach Vincent Callebaut und seinem Paris-Szenario. Auch wenn seine Utopie nicht realistisch erscheint, sollte sie als Mahnung für ein ästhetisches Bewusstsein gelten. Denn die Stadt hat nur dann eine Zukunft, wenn sie sich trotz aller Möglichkeiten, Diversität und Durchlässigkeit ein ansprechendes Antlitz und funktionierende öffentliche Räume bewahrt. Dies dürfte die wohl größte Herausforderung für die Zukunft darstellen …

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Ausgezeichnet: Elon Musk ist aktuell mit Tesla und Raketentechnik der fĂźhrende Kopf der HightechSchmieden der Welt.

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Die unter Strom stehen … Sie werden verehrt oder sogar gefeiert. Oft sehen wir in ihnen das einsame Genie. Dabei vereint viele der großen Innovatoren die Mentalität, Menschen, Dinge und die Welt zu verbinden. Sie sind neugierig, rebellisch, beharrlich und risikobereit. :: Von Sebastian Moll

Mit Space X gründete Elon Musk ein Raumfahrtunternehmen, Tesla Motors produziert Elektroautos – Musk ist Visionär, gilt als Macher oder Genie. Mit Energie verfolgt er nicht alltägliche Träume und schmiedet an unserer Zukunft. E ­ nde September stellte er auf einem Raumfahrtkongress in Mexiko neue Pläne zur Besiedlung des Mars vor. Dabei setzte sein Auftritt wieder einmal den Mythos des einsamen Genies frei, das die Welt verändern möchte. Doch Musk ist nicht allein. Er hat die richtigen Experten und Partner als Ideengeber und Entwickler um sich. AppleGründer und Design-Ikone Steve Jobs brachte es auf den Punkt: „Große Künstler spielen hervorragend ein Instrument, ich spiele das Orchester.“ Dies widerspricht dramatisch dem Bild, das sich in populären Vorstellungen von heroischen Unternehmern und ähnlich begnadeten Innovatoren wie Bill Gates, Mark Zuckerberg, Jeff Bezos oder eben Elon Musk hält. Um diese Männer, die es geschafft haben, nicht nur ganze Branchen umzukrempeln, sondern die Art und Weise, wie wir leben, haben sich viele Legenden gebildet, die deren Intuition und eine geradezu übermenschliche kreative Intelligenz betont. Amanda ­Schaffer, Wissenschaftskorrespondentin der „New York Times“, weiß aber: „Die meisten Historiker von heute glauben nicht mehr, dass bahnbrechende Innovationen von einem einsamen Erfinder getrieben werden, der sich allein auf seine Vorstellungskraft, seinen Tatendrang und seinen Intellekt verlässt.“ Laut Schaffer sind diese Köpfe für den Innovationsprozess zwar wichtig, ihre Leistung bestehe aber darin, die Zeichen der Zeit zu erkennen und vorhandene Ressourcen optimal und clever auszuschöpfen.

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Die eigentliche Innovationsleistung der vermeintlichen Unternehmergenies besteht demnach eher darin, die richtigen Fragen zu stellen, als die Antworten zu haben. Google-Chef Eric Schmidt: „Die Charakteristik großer Innova­ toren ist: Sie erkennen eine Lücke.“ So sah Elon Musk, dass sowohl technologisch als auch von der Adaptionsbereitschaft der Konsumenten der Zeitpunkt gekommen war, den Zahlungsverkehr für E-Commerce zu digitalisieren. Steve Jobs verstand, dass die Welt für einen tragbaren Kleincomputer im Taschenformat bereit war. Bill Gates sah einen starken Partner, der sein Betriebssystem MS-DOS verbreiten konnte, und legte damit die Basis für den Aufstieg von Microsoft. Jeff Bezos war von einem direkten und effizienteren Weg als dem Einzelhandel überzeugt, um Bücher vom Verlag zum Konsumenten zu bringen. Die technologischen Möglichkeiten für Paypal, das iPhone oder Amazon gab es, und für keine der Neuerungen musste etwas erfunden werden. Der Wissenschaftler und Innovationsexperte Hal Gregersen vom Massachusetts Institute

Spendabel: Bill Gates gründete mit 14 Jahren seine erste Firma, war 15-mal reichster Mensch der Welt und gilt als überaus generös.

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revolutionierte mit Amazon das Einkaufen. Seit Jahren investiert er in neue Geschäftsfelder wie der Cloud-Technik.

of Technology bezeichnet diese ursprüngliche kreative Leistung als die Fähigkeit zur Assoziation. Er erklärt: „Innovatoren stellen Verbindungen zwischen scheinbar unzusammenhängenden Bereichen her – Ideen aus verschiedenen Feldern, Fragen oder Problemstellungen.“ Solche Verbindungen zu sehen, ist der eigentliche ­Geniestreich, nicht die plötzliche Intuition von jemandem, der alleine an seinem Schreibtisch in einem Einzelbüro sitzt.

Charismatisch: Steve Jobs war ideenreich, seine eigentliche Stärke zeigte er aber in der Präsentation neuer Produkte.

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Es ist mehr eine Charaktereigenschaft als eine höhere Form von Intelligenz, die Top-Entwickler und -Manager eine Lücke erkennen lässt, in die sie dann mit einer bahnbrechenden Neuerung stoßen. Innovatoren, so schreibt Gregersen, sind Rebellen. Sie akzeptierten nichts so, wie es sei, sie seien immer bereit, alles infrage zu stellen. Wenn einmal die Lücke erkannt und das Ziel formuliert ist, dann greifen laut der Studie von Gregersen, für die er mehr als 3000 Manager interviewt hat, zwei weitere typische Persönlichkeitsmerkmale großer Innovatoren: eine sture Beharrlichkeit und der Wille zum Experimentieren. Als Beispiel für diese Mentalität nennt Gregersen Felix Baumgartner, der im Jahr 2012 mit einem Fallschirm aus der Stratosphäre auf die Erde sprang und dabei, nur von einem Raumanzug geschützt, die Schallgrenze durchbrach. „Baumgartner und sein Team hatten unermüdlich immer neue Dinge ausprobiert, bis sie für jedes Detail des Unternehmens eine Lösung fanden, die funktionierte“, so Gregersen. Er verkörpert für ihn idealtypisch den innovativen Unternehmer. Auch Baumgartner glaubte an seine Überzeugung. Und er war bereit, so lange zu experimentieren, bis es tatsächlich klappte.

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Fotos: Polaris/StudioX, Getty Images/Justin Sullivan/Alex Wong, imago/ZUMA Press, Bahman Börger

Vielseitig: Jeff Bezos

Es ist dieselbe Mentalität, die Steve Jobs an den Tag legte, als er seine Designer und Software­ ingenieure so lange antrieb, bis sie seine Vision des iPhone verwirklicht hatten und alles genau so funktionierte, wie er sich das gewünscht hatte. Der Prototyp des Abenteurerunternehmers ist aber zweifellos Elon Musk. Mit mehr als 100 Millionen US-Dollar finanzierte er den Bau von kostengünstigen Raketen, die die kommerzielle und wissenschaftliche Raumfahrt auf gänzlich neue wirtschaftliche Beine stellten. Und mit dem Tesla zeigte er, dass massenhafter elektrogetriebener Autoverkehr umsetzbar ist. Gemeinsam ist diesen Pionieren neben der Experimentierfreudigkeit die Risikobereitschaft. Sie sind bereit, sich auf ungesichertes Terrain vorzuwagen und nach gewaltigen Entwicklungskosten den Totalflop zu riskieren. Am eindeutigsten widerspricht dem Mythos des einsamen Genies jedoch die letzte der Gewohnheiten großer Innovatoren, die Gregersen herausgearbeitet hat. I­ nnovatoren, so schreibt er, bringen außergewöhnlich viel Zeit damit zu, sich Input von außen zu holen. Sie gehen auf Konferenzen oder Ideenfestivals, um zu sehen, was sich in anderen Bereichen tut. Sie schauen ständig über den Tellerrand, wie andere Probleme lösen. Zudem haben sie keine Furcht davor, enge Mitarbeiter in ihren kreativen Prozess einzubeziehen. Inno­vatoren arbeiten grundsätzlich im Team. So erzählte Apple-Chefdesigner Jonathan Ive, der vielleicht engste Vertraute von Steve Jobs, bei seiner Laudatio auf seinen verstorbenen Mentor, wie dieser beinahe täglich mit neuen Ideen zu ihm gekommen sei. „Mehr als 90 Prozent davon waren hanebüchen“, so Ive. „Aber immer wieder einmal war etwas dabei, was schlicht brillant war.“


Wie Politiker zaubern Sie konstruieren die Wirklichkeit, wie es ihnen gefällt, und haben auch sonst ­einiges gemeinsam: Politiker ähneln Magiern, die ihr Publikum vom Wesentlichen ablenken und es so unterhalten. Einen wichtigen Unterschied aber gibt es doch. :: Von Harry Keaton

Seit rund zehn Jahren beschäftige ich mich mit den Parallelen zwischen Politik und Zauberei. Die meisten Menschen sind darüber erstaunt. Kartentricks, zersägte Jungfrauen und die große Politik: Wie passt das zusammen? Nun, beide – der Politiker und der Magier – konstruieren auf ihre Art die Wirklichkeit. Beide lenken die Wahrnehmung des Publikums. Der Mensch kann nicht alle Sinneseindrücke bewusst registrieren, die auf ihn einstürzen. Der versierte Zauberer „hilft“ dem Zuschauer bei der Auswahl zwischen „wichtigen“ und „unwichtigen“ Informationen. Das Publikum soll nur das wahrnehmen, was der Illusion zuträglich ist. Hierzu setzen wir gezielt die Körpersprache ein. Außerdem helfen uns die Augen. Die Zuschauer blicken nämlich unwillkürlich auf den Gegenstand, den der Akteur ansieht. Schaue ich den Zuschauern ins Gesicht, kommen sie nicht umhin, meinen Blick zu erwidern. Sie achten dann nicht auf die Hände. Das ist bei vielen Trickmanövern hilfreich. Alles, was der Täuschung schadet, übersehen und überhören wir gezielt. In der Politik ist es ähnlich. Alles, was den eigenen Zielen zuwiderläuft, wird bewusst ignoriert. Im Bundestag erleben wir oft, dass Politiker während des Redebeitrags ihrer Gegner aufstehen, feixen und sich demonstrativ mit ihren Smartphones beschäftigen. Das hat Methode. Wenn der Politiker seinem Gegner keine Beachtung schenkt, steigen die Chancen, dass auch der Wähler dessen Standpunkte ignoriert. Eine weitere Parallele zwischen Politik und Zauberei findet sich in der magischen Grundregel „Sage nie vorher, was du tun wirst“. Wenn die Zuschauer wissen, was kommen wird, haben

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sie es leichter, einen Trick zu entlarven. Verstößt der Magier gegen diese goldene Regel, gibt er ­eine starke Waffe aus der Hand, nämlich die der Überraschung. Die Überrumpelung ist laut Willy Brandt auch in der Politik eines der wirkungsvollsten Mittel. Gerade vor Wahlen wird die magische Regel brisant. Einerseits erwartet der Wähler von dem Politiker Aussagen über das, was er nach der Wahl tun will. Andererseits darf sich der Politiker nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, denn oft genug gibt es Umstände, die es ihm unmöglich machen, seine Versprechen umzusetzen. Das beginnt schon bei den Verhandlungen mit dem Koalitionspartner. „Read my lips: no new taxes“, legte sich einst George H. W. Bush vor der Wahl fest. Dann zwang ihn der Kongress, die Steuern zu erhöhen, und er verlor die nächste Wahl gegen seinen demokratischen Herausforderer Bill Clinton. Als Zauberer haben wir die Fähigkeit, etwas zu „forcieren“. Das bezeichnet die Technik, den Zuschauer sanft zu lenken, ohne dass er sich dessen bewusst wird. Er glaubt, er habe die freie Wahl. Tatsächlich ist seine Entscheidung beeinflusst. Gleiches lässt sich am Referendum von Alexis Tsipras sehr gut beobachten. Zunächst brachte der griechische Premier die griechischen Bürger dazu, gegen die EU-Sparauflagen zu stimmen. Trotz dieses Volksentscheids verbesserte sich für die Griechen nichts – im Gegenteil. Und Tsipras wurde mit ebenso vielen Stimmen wiedergewählt wie vor dem Referendum. Nicht die Fakten entscheiden oder die eigentlichen Handlungen des Politikers, sondern der Eindruck, den er beim Publikum hinterlässt. Eben wie in der Zauberei. Einen Unterschied gibt es aber doch: Der Zauberkünstler sagt, dass er täuschen wird.

Harry Keaton ist professioneller Magier, Moderator und Redner. Vor seiner Laufbahn als Entertainer arbeitete er als Journalist und promovierte über die Sprache der Politik. Im Fernsehen sagte er das Ergebnis einer Bundestagswahl exakt vorher. Keaton tritt bei Unternehmen und privaten Festen in ganz Europa auf. Seine Hände hat der Künstler für je 1 Million Euro versichern lassen.

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Schanze – Hamburg

Porsche empfiehlt

und

Das Unmögliche ist kein Fakt. Sondern nur eine Meinung. Der neue Panamera. Die Fakten im Detail: reinrassige Sportwagenperformance – dank hocheffizienter Biturbo-Motoren. Dabei außergewöhnlicher Komfort dank adaptiver Luftfederung, Hinterachslenkung – und innovativen Assistenzsystemen wie Porsche InnoDrive. Noch mehr Fakten: www.porsche.de/Panamera

Kraftstoffverbrauch (in l/100 km) innerorts 10,2–10,1 · außerorts 6,8–6,7 · kombiniert 8,2–8,1; CO2-Emissionen kombiniert 186–184 g/km


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Handmade in Germany Manufakturen sind fester Bestandteil und traditionelle Basis des Mittelstands. Sie stehen fßr Produkte mit hoher Wertigkeit und Qualität. Eine Initiative vertritt ihre Werte. :: Von Ralf Kustermann

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Projekt Riad: ­blütenreiches Wandbild für ein Foyer in SaudiArabien von der Manufaktur Welter.

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Farbenfroh und prächtig sollte das Wandbild sein, das sich der Kunde aus Saudi-Arabien für die knapp 25 Quadratmeter große Wand seines Foyers wünschte. Er suchte Einzigartiges, wollte Besucher beeindrucken. In der Berliner Manufaktur Welter fand er einen Spezialisten. Ulrich Welter und Team entwickeln innovative Wandbekleidungen für individuellen, luxuriösen Wohn- und Lebensstil. Dabei erarbeitet die seit über 30 Jahren bestehende Manufaktur komplette, zur Architektur und Funktion passende Raumkonzepte. Welter überzeugt durch Qualität, Fantasie und Anspruch. Mit Mal- und Patiniertechniken oder per Siebdruckverfahren bringt Welter Farben auf am Boden ausliegende Vliese. Die M ­ aterialien reichen von Edelmetallen über Legierungen mit Gold und Silber bis zu Glas und Marmormehl. Welters Arbeit ist zuweilen filmreif. Mehrfach betrat die Manufaktur die Bühne Hollywood und stattete Veranstaltungen zum Oscar oder Golden Globe mit ihren Produkten aus. Für die besten Häuser der internationalen Hotellerie, etwa das Waldorf Astoria oder Adlon in Berlin, und für Filialen von Chanel, Dior oder Galeries Lafayette kreierte Welter ebenso atemberaubende Unikate. Auch in vielen Villen und Apartments findet sich die Wandkunst aus Deutschland. Noch immer gilt „Made in Germany“ weltweit als Gütesiegel für Spitzenqualität. Auch wenn der Skandal um die Dieselmotoren im Autosektor das Image der industriellen Fertigung beschädigt hat, sind Produkte aus deutschen Manufakturen international weiter angesehen. Der Grund: ­Menschen suchen die besondere und verlässliche Qualität, schätzen transparente Produktionsprozesse, und es reizt sie, Unikate zu erwerben. Einige der erfolgreichen Manufakturen leben „Handmade in Germany“ auch kommunikativ vor. Sie haben sich in der Initiative Deutsche Manufakturen organisiert. Welter zählt zu den Gründungsmitgliedern der Gruppe, in der sich 2010 handwerklich produzierende Hersteller des Premium- und Luxussegments zusammenschlossen. Der Kreis an Manufakturen dokumentiert seinen Anspruch in einem Positionspapier: „‚Handmadein-Germany‘ steht für handgefertigte und maßgeschneiderte Produkte mit außergewöhnlich hoher Wertigkeit und Qualität, für Authentizität und Luxus im Sinne exklusiver Erzeugnisse.“ Ziel der Initiative ist es, die B ­ edeutung der M ­ anufakturen

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(1) Exzellente Funktionalität und anspruchsvolle Ästhetik zeichnen die Schreibgeräte von Faber-Castell aus, die bereits 1761 Bleistifte ­produzierten. (2) ­Elegante Manschettenknöpfe zählen zu den bekann-

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testen Produkten von Deumer. Die Manufaktur produziert seit 1863 Medaillen und Abzeichen. (3) Das Porzellan von KPM ist weltweit begehrt und gerne auch ein

Von Anfang an ging es der Initiative unter anderem um das Repertoire und die Vielseitigkeit deutscher Manufakturen. Weder die langsam oder schnell gewachsenen und weltweit präsenten Manufakturen noch die hoch spezialisierten Kleinst- oder Zwei-Mann-Manufakturen sollten in Funktion und Wertigkeit vergessen sein. Ob traditionsreiche Betriebe aus eher klassischen Branchen oder junge Vertreter mit innovativen Produkten aus dem Hightech-Sektor: Die Initiative sieht sich als Sprachrohr für alle. Michael T. Schröder, Vorsitzender der Initiative Deutsche Manufakturen: „Spannend ist es, zu beobachten, dass traditionelle und junge, neu entstandene Manufakturen vieles gemeinsam haben: die Liebe für Handgemachtes, die Leidenschaft für

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Mitbringsel renommierter Staatsgäste.

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­ esign, die Verantwortung für Nachhaltigkeit, D den Enthusiasmus für Qualität und Individualität und die Nähe zum Kunden.“ Das zeigt die Liste der Gründungsmitglieder, auf der die Berliner Manufaktur Burmester steht. Sie ist Qualitätsführer und produziert seit 1977 Audiosysteme im Spitzenbereich. Auch Porsche stattete den neuen Panamera s­ tandesgemäß mit einem High-End-Surround-Soundsystem von Burmester aus. Für höchste Klangqualität in der Hamburger E ­ lbphilharmonie sorgt dagegen eine Konzertorgel des Traditionsbetriebs Klais. Dieser zählt ebenso zu den Gründern der Initia­tive und ist eine der Top-Adressen für die Fertigung von Orgeln. Die Bauwerkstatt entstand 1882 und lieferte die Instrumente des Kölner Doms und der Petronas Towers in Kuala Lumpur. Ein weiteres Startmitglied im Kreis der Initiative kommt aus royalem Haus: die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM), die Friedrich der Große im Jahr 1763 erwarb. Nicht selten erhalten besondere Staatsgäste und Politiker Porzellan aus der Manufaktur als Geschenk, von Michail Gorbatschow bis zu Barack Obama. Zu den Gründern zählen zudem Joh’s Stübben, die seit 1894 Sättel und passendes Zaumzeug fertigen, die auf Schreibfedern spezialisierte Manufaktur von Peter Bock und die Parchimer Werkstatt von Kay Gundlack, der Maßschuhe in die Niederlande, nach Dänemark und Italien exportiert. Heute gehören der Initiative weitere Weltmarken wie Faber-Castell, Glashütte Lamberts, der Lederhandschuhhersteller Roeckl oder Rotter Glas aus Lübeck an. Die Initiative Deutsche Manufakturen führte 2014 den Branchentreff „Tage der Manu­fakturen“ ein. Die Resonanz zeigt, wie beliebt die Produkte sind. Im September strömten 1800 Kunst- und Designliebhaber zur „Nacht der Manufakturen“ und der Ausstellung „Handmade-inGermany“. Die Veranstaltung bietet jährlich erstklassiges Handwerk, Manufakturisten, Handwerker und Designer zum Anfassen. Schröder: „Das Besondere an ‚Hand­made-inGermany‘ ist, dass man die Geschichte hinter den Produkten kennenlernt. Entgegen dem Trend der Massenproduktion können sich Besucher von hochwertigen Produkten mit echten Werten verzaubern lassen.“ Ganz so wie die Gäste im Foyer des Kunden in Saudi-Arabien.

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Fotos: Welter Manufaktur für Wandunikate, Deumer GmbH, Faber-Castell AG, Bernd Perlbach

als Teil des ­deutschen Mittelstands und ihren Beitrag zum Wirtschaftsstandort Deutschland im Inund Ausland sichtbar zu machen. Die von acht Manufakturen gegründete Initia­ tive hat ihre Mitgliederzahl heute ungefähr verdreifacht. Aufgenommen wird, wer in Handarbeit in höchster Qualität am Standort Deutschland produziert und ins Ausland exportiert. Zudem müssen Mitglieder in einem Premiumsegment agieren, nur qualitativ hochwertige Materialien verwenden und individuell produzieren. Birgit Rotter, Geschäftsführerin bei Rotter Glas: „Um die Werte zu erhalten und auch der Öffentlichkeit nahezubringen, wurden wir Mitglied bei der Initiative Deutsche Manufakturen.“ Es gilt: Tradition ist Trumpf, Massenfertigung tabu. Dabei sind die Manufakturen – abgeleitet von latei­nisch „manus“, die Hand, und „­factura“, das Machen – historisch betrachtet ein Modell industrieller Produktion. Sie markieren den Übergang vom klassischen Handwerk zur modernen Fabrik im 18. Jahrhundert. Charakteristisch: arbeitsteilige Fertigungsprozesse, kooperierende Gewerke und eine im Vergleich zu anderen Betrieben größere Mitarbeiterzahl. Rückblickend betrachtet sind sie die Keimzelle des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Das hat sich gedreht. Im Zeitalter industrieller Produktion steht Manufaktur für Exklusivität. Heute stillen Manufakturprodukte abseits gängiger Massenfertigung die Sehnsucht und das Verlangen nach Authentizität und Individualität.


Das Gedicht

Es treibt der Wind im Winterwalde Die Flockenherde wie ein Hirt, Und manche Tanne ahnt, wie balde Sie fromm und lichterheilig wird, Und lauscht hinaus. Den weißen Wegen Streckt sie die Zweige hin – bereit, Und wehrt dem Wind und wächst entgegen Der einen Nacht der Herrlichkeit. Rainer Maria Rilke (1875–1926) :: Illustration: Lisa Rock

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Das Bordelais Neuseelands Die Hawke’s Bay an der Ostküste der Nordinsel ist eines der Anbaugebiete, die den hervorragenden Ruf des aufstrebenden Weinlandes begründen und in ­Europa für Furore sorgen. Deutsche Winzer mischen mit. :: Von Günter Kast

Abenteurer: Günter Thies kreierte Chardonnay und Syrah der Spitzenklasse.

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Zwanzig Jahre lang kelterte Günter Thies Riesling-Trauben, war Gutsverwalter von Schloss Vollrads im Rheingau. Vor zehn Jahren klingelte sein Telefon. Am Apparat war der Essener Unternehmer Roger Weiss, der mit seiner Frau 2001 erstmals die Nordinsel Neuseelands bereist h ­ atte. Seither begeisterte ihn die Schönheit der hügeligen Küste so sehr, dass er beschloss, dort ein Weingut aufzubauen. Der passionierte Weintrinker fragte Thies, ob er Lust auf ein ­Abenteuer am anderen Ende der Welt habe und Geschäftsführer des Guts werden wolle. Im September 2015 übergab er die Geschäfte an Andreas Weiss, Sohn von Investor Weiss. Heute sitzt er – wenn er Zeit findet – entspannt auf der großzü-

gigen Terrasse von Elephant Hill in der Hawke’s Bay und genießt den überwältigenden Ausblick: vorne der tiefblaue Ozean, dahinter die Weinberge, deren Rebstöcke in langen Reihen hinunter zum Meer ziehen. Neben dem Pool trinken Gäste eleganten Chardonnay und erleben den Sonnenuntergang. Andere sitzen bereits im Restaurant, das ein einheimisches Food-Magazin als bestes Weingutlokal des Landes auszeichnete. Die Architektur des Haupthauses mit der darin integrierten, vor Chrom blitzenden Kelterei ist modern, minimalistisch, offen. Sogar eine Wasseraufbereitung gibt es, was in Neuseeland selten ist. „Wenn du hier, weit weg vom Weltweinmarkt, etwas machst, dann musst du es richtig machen“,

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Idylle: Malerisches Panorama von der Elephant Hill auf die Hawke´s Bay.

sagt Thies. „Wir wollen in zehn Jahren an der Spitze sein. Und das geht nur über Qualität. Das ist unsere einzige Chance.“ Eigentümer Weiss hat bislang stolze 55 Millionen Neuseeland-Dollar investiert; 2008 kam der erste Jahrgang auf den Markt. Inzwischen ist das Geschäft operativ profitabel, auch das Restaurant trägt sich selbst. „Wir wollen ein Gesamtpaket für alle Sinne anbieten“, erklärt Thies. „Essen, Trinken, Architektur, interessante Leute und Gespräche.“ Dennoch war der Weg steiniger als erwartet. In der Hawke’s Bay haben sie nicht auf die Deutschen gewartet. Die Region ist neben Marlborough eines der beiden ältesten Anbaugebiete des Landes, einige der Top-Güter Neuseelands wie Craggy Range und Te Mata Estate haben dort ihre Wurzeln. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts legten katholische Padres erste Weinberge an, ­inzwischen wachsen auf 5000 Hektar Reben. Elephant Hill verfügt über mehr als 25 Hektar Anbaufläche für rote und weiße Rebsorten – rund um das Zentralgebäude des Weinguts, in der Bridge Pa Triangle Region und dem berühmten Gimblett Gravels mit seinen kargen, von Kieselsteinen geprägten Böden. Zusammen mit dem warmen, maritimen Klima haben sie sich als geradezu ideal für Rebsorten wie Cabernet, Sauvignon, Merlot, Syrah und Chardonnay erwiesen.

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Alles Sorten, die ihren Ursprung in Frankreich haben. Hawke’s Bay wird deshalb auch das Bordelais Neuseelands genannt.Das Gut setzt jedoch nicht primär auf Cuvées aus den typischen Bordeaux-Rebsorten. Auf einem Drittel der Anbaufläche wachsen Syrah-Reben, ein weiterer Teil ist – ­neben Chardonnay und Sauvignon blanc – für weiße Cuvées aus Viognier, Gewürztraminer und Grauburgunder reserviert. Sie fallen in Neuseeland unter den Sammelbegriff der Aromatic Whites. Mit diesem Sortenmix wollte Thies, eine Alleinstellung erreichen. Die qualitativ hochwertigen Weine von Elephant Hill zu vertreiben, ist schwierig. Immerhin ein Drittel verkauft sich in Neuseeland. „Die Kiwis geben mehr Geld für guten Wein aus als Deutsche, obwohl ihre Einkommen deutlich niedriger sind“, weiß Thies. Die Menge, die nach Deutschland exportiert wird, sei gering. Wichtige Auslandsmärkte sind China, USA und Großbritannien. Weil der Export Priorität genießt, meldet Elephant-Hill nur wenige Weine für die von Air New Zealand gesponserten Wine Awards an. Sie werden im Rahmen einer Gala jedes Jahr in einer anderen Weinregion des Landes verliehen. 2014 war die Hawke’s Bay Gastgeber gewesen, 2015 Nelson auf der Süd­insel. Vom 17. bis 19. Oktober be-

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die Elephant-HillTerrasse mit Ausblick auf Rebstöcke (oben) und der Weinkeller des Hauses (Mitte).

Ausgezeichnet: weiße Trauben auf Elephant Hill (links) und ein Gruß aus der Küche des besten

urteilten ­dieses Jahr gut zwei Dutzend Experten 1402 Weine in Auckland. Thies hatte für seinen Syrah 2013 einen Trophy Award – die höchste Auszeichnung des Wettbewerbs – gewonnen.

Weingutlokals von Neuseeland.

Zweites Standbein: Karl Johner bietet erstklassige Pinots.

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Für die interessierten Beobachter sind die Wine Awards ein ideales Event, um möglichst viele Weingüter des Landes kennenzulernen. Aktuell zählt der Branchenverband New Zealand Wine­ growers mehr als 1600 Winzer. Alle Großen der Weinszene sind bei den Awards versammelt: Rippon und Felton Road aus Central Otago mit ­ihren landesweit berühmten Pinot noirs; Mahi, Dog Point und Cloudy Bay aus Marlborough, bekannt für ihre Sauvignon blancs; Pyramid Valley und Mountford Estate aus Canterbury, die über einen ausgezeichneten Pinot noir und Chardonnay verfügen. Viele dieser Top-Weine bekommt man für weniger als 100 Neuseeländische Dollar oder umgerechnet 65 Euro. Auch die BordeauxStyle-Blends aus Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot bleiben meist unter der psychologischen 100-Neuseeland-Dollar-Schwelle und sind damit richtig interessant. Für vergleichbare Weine aus dem Bordelais bezahlt man hierzu­ lande das Doppelte oder Dreifache.

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Fotos: Günter Kast, Elephant Hill Estate, Hawke’s Bay Tourism, New Zealand Tourism, Christian Awe

Genießerplatz:

Inzwischen experimentieren einige der Winzer in der Hawke’s Bay, etwa Warren Gibson von Trinity Hill, mit bedeutenden Rotweinsorten wie der spanischen Tempranillo- oder der französischen Malbec-Traube. Interessante Pinot noirs werden in dieser Region natürlich ebenfalls angebaut. Sileni Estates, Vidal, Salvare Estate, Ash Ridge Wines, Ngatarawa, Alpha D ­ omus und Mission Estate, ältestes Weingut Neuseelands, heißen die renommierten Erzeuger. Für seine Pinots bekannt ist ein anderer Deutscher, den es nach Neuseeland verschlagen hat. Karl Heinz Johner bewirtschaftet mit seiner Frau Irene zwar noch das heimische Weingut am Kaiserstuhl, doch zusammen mit Sohn Patrick hat er in der Region Wairarapa im Südosten der Nordinsel ein zweites Standbein mit 25 Hektar Anbaufläche aufbaut. Johner schwört auf das Weinland Neuseeland. Es sei zwar nicht einfach, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden, aber kaum eine andere Weltgegend biete mit ihrem maritimen Klima so ideale Bedingungen für große, aromatische ­Weine. Besonders interessant ist es, Johners ­Pinot noir vom Kaiserstuhl mit denen vom anderen Ende der Welt zu vergleichen. Letztere haben einen ausgeprägten eigenen Charakter und Stil. Tatsächlich sind die Pinots neben den Sauvignon blancs die wichtigste Sorte Neuseelands geworden. Ihre Anbaufläche verfünffachte sich in den vergangenen zehn Jahren, nimmt aber immer noch kaum mehr als 10 Prozent ein. Das dürfte sich in den kommenden Jahren ändern. Pinots werden weltweit beliebter, generell sind sogenannte Cool-Climate-Weine sehr in Mode. Das hilft den Winzern Neuseelands. Die besten Pinots kommen derzeit aus Central Otago auf der Südinsel. Bemerkenswert, da diese Region vor 15 Jahren noch herzlich unbekannt war. Hugh Johnson widmete im „The World Atlas of ­Wine“ von 2001 Neuseeland nur vier von mehreren Hundert Seiten, auf denen er knapp die Weingüter von Hawke’s Bay und Marlborough beschreibt. Von den Pinots aus Central Otago liest man kein Wort. Heute wäre das undenkbar, betrachtet man den US-Weinmarkt. Deutschland ist da noch Kiwi-­ Pinot-Entwicklungsland. Oft genügt die Arbeit eines Importeurs, der Weingüter in Deutschland geläufig macht. Elephant Hill könnte schon bald dazugehören – wenn nicht mit einem Pinot noir, dann vielleicht mit einem Syrah.


poetry slam, 2012, Sprühlack auf Leinwand, 145 × 145 cm, 13 500 Euro

Exklusive Leseraktion. Kunst kann sich sowohl monetär als auch emotional rentieren und verbindet im Idealfall Sammelleidenschaft und Wertanlage. VENTURA präsentiert in seiner Kunstserie exklusiv ausgewählte Werke zu einem attraktiven Preis. :: Von Ralf Kustermann

Die Farben seiner Werke strotzen in ihrer Intensität und Dynamik vor Selbstbewusstsein. Sie erwecken den Eindruck eines spontanen, wenig gesteuerten Schaffensprozesses. Das mag daran liegen, dass Christian Awe der Graffitiszene entstammt und als Elfjähriger in Berlin sprühte. Awe war Schüler von Georg Baselitz und entwickelte bei ihm sein Talent für Farben und Formen weiter. Wer seine Werke intensiv betrachtet, forscht in ihnen und spürt die Kraft der Kreation. Er erkennt vielschichtige Kompositionen an einer ungemein komplexen Oberflächenstruktur. Das Gezeigte kann kein Zufall sein, der Künstler plante und entwickelte strategisch. Tatsächlich verwendet Awe für seine Bilder Acrylfarbe, Tusche und Lack und kombiniert die Materialien mit Malerei, Zeichnung und Sprühtechnik. Über Monate hinweg kreiert er seine Kunst, trägt mehrere Farbschich-

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ten auf und bringt sie mit dem Messer und einer speziellen Kratztechnik wieder zum Vorschein. Die dadurch entstehenden verschiedenen Ebenen im Bild überraschen, fesseln und faszinieren. VENTURA-Leser können beim DSV Kunstkontor des Deutschen Sparkassenverlags Bilder von Christian Awe erwerben. Die Kunstexperten des Deutschen Sparkassenverlags arbeiten seit vielen Jahren mit national und international bekannten Künstlern zusammen und beantworten gerne Ihre Fragen zu den Kunstwerken, Künstlern und der VENTURA-Kunstserie.

Christian Awe 1978 in Berlin geboren 1999–2005 Studium an der Universität der Künste Berlin bei Georg Baselitz 2006 Meisterschüler an der Universität der Künste

Weitere Informationen: www.dsvkunstkontor.de kunstkontor@dsv-gruppe.de Tel. +49 711 782-1566

Berlin bei Daniel Richter 2011 Lehrtätigkeit an der Princeton University, USA Lebt und arbeitet in Berlin

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(1) Farbenprächtig: Eislauf auf Essens Zeche Zollverein. (2) Kälteerprobt: Eisvergnügen auf dem Roten Platz in Moskau. (3) L ­ egendär: Rockefeller-Rink in New York zur Weihnachtszeit. (4) Zauberhaft: Pirouetten auf dem Münchner Stachus. 1

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Ein eisiges Vergnügen Winterzeit ist Eiszeit. In vielen Städten können Schlittschuhläufer ihre Runden drehen – vor imposanten oder malerischen Kulissen.

Fotos: Getty Images/imageBROKER RM/LOOK, mauritius images/FotoPulp/Alamy, Fotoagentur Kunz

:: Von Lilith Nickl

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Wenn sich die Dunkelheit über die Zeche ­Zollverein legt, taucht eine Lichtinstallation der britischen Designer Jonathan Speirs und Mark ­Major die Kokerei in ein gemütliches Bunt. So wirkt die Winterlandschaft, in der die Schlittschuhläufer übers Eis gleiten, ein wenig wärmer. Das berühmte Unesco-Weltkulturerbe in ­Essen bildet eine eindrucksvolle Kulisse für ein winterliches Vergnügen, das weltweit viele Freunde findet: Eislaufen in der Stadt. Seit 15 Jahren können Schlittschuhläufer jeden Winter auf 150 Meter Länge an der rustikalen Industriearchitektur mit ihren Koksöfen und Kaminen entlanggleiten. Eine zusätzliche, 180 ­Quadratmeter große Eisfläche ist für Freunde des Eisstockschießens reserviert. Auch wenn die Temperaturen im Dezember wieder einmal in den zweistelligen Plusbereich klettern sollten, bleibt die Zeche kalt. Erst ab 15 Grad Celsius wird der Betrieb eingestellt. Seit Tausenden von Jahren gleiten Menschen übers Eis. Schlittschuhe mit Kufen aus Tierknochen dienten bereits in der Bronzezeit der Fortbewegung. Mitte des 19. Jahrhunderts konstruierte ein Niederländer den ersten Schlittschuh mit metallener Kufe, der die täglichen Botengänge auf den vereisten Grachten beschleunigte. In Holland entwickelte sich das Eislaufen rasch zum Volkssport, während sich in Frankreich und Großbritannien lange Zeit nur die Herrschaften bei Hofe auf dem Eis vergnügten. Ludwig XVI., Madame Pompadour und Napoleon Bonaparte begaben sich gerne darauf. Und über die britische Königin Victoria erzählt man sich, sie habe mit ihrem Prinzen Albert auf der Eisbahn angebandelt. Ist es die Geschwindigkeit oder das elegante, beinahe schwerelose Gleiten, das die Menschen am Eislaufen fasziniert? Oder die pure Freude,

die einen unweigerlich überkommt, wenn Kufen und Eis für einen Moment die Kontrolle übernehmen? Die Menschen tummeln sich zu Tausenden auf den Eislaufbahnen der Welt. Kaum eine Großstadt, die sich nicht für ein paar Wochen im Jahr in ein Winterwunderland verwandelt. Legendär ist der Rockefeller-Rink, die Eisbahn vor der Prometheus-Statue am New Yorker Rockefeller Center. Sie misst gerade einmal 18 mal 37 Meter und kann maximal 150 Läufer gleichzeitig fassen. Und doch skatet dort seit nunmehr 80 Jahren jeden Winter mehr als eine halbe Million Menschen. In Moskau gibt es knapp 1500 Schlittschuhbahnen, ein Großteil davon aus Natureis. Die Bahn im Gorki-Park glitzert und strahlt dank Tausender, teilweise ins Eis integrierter LEDs, und auf dem Roten Platz, vor dem weihnachtlich beleuchteten Edelkaufhaus Gum, wird auch in dieser Saison wieder eine Fläche von fast 3000 Qua­dratmetern vereist. Die weltweit größte überdachte Eisbahn hat vom 14. Dezember bis zum 2. Januar Saison. Der Pariser Grand Palais beherbergt unter seiner prächtigen Glaskuppel 2700 Quadratmeter Eis. Tagsüber drehen Familien dort ihre Runden, am Abend verwandelt sich die Bahn dann in eine Eisdisco mit moderner Lichtshow. Auch in deutschen Städten werden fleißig Eisbahnen aufgebaut: am Stachus vor dem Karlstor in München beispielsweise, im barocken Innenhof des Taschenbergpalais in Dresden, auf dem Heumarkt in Köln, dem Berliner Alexanderplatz und dem Stuttgarter Schlossplatz. Gelegentlich drehen die Schlittschuhläufer auch auf der zugefrorenen Hamburger Außenalster ihre Runden. Dafür müssen die Temperaturen aber mindestens zwei Wochen lang unter minus zehn Grad Celsius fallen. Das ist dann im wahrsten Sinne ein eisiges und eiskaltes Vergnügen.

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Safari de luxe Die grandiose Natur ist die größte Attraktion im südlichen Afrika. Wer das Reich der „Big Five“, Herden von G ­ iraffen oder Antilopen in freier Wildbahn festhalten möchte, kann mit der Kamera auf eine beeindruckende Jagd gehen. :: Von Andreas Hohenester

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Der Tag beginnt sehr früh. Pünktlich um sechs Uhr mor­ gens steht Guide Mike mit seinem Land Cruiser zur Abfahrt bereit. Zum Weckruf und wach werden servierte der per­ sönliche Butler eine halbe Stunde zuvor den Early Morning Tea am Zelt. Frühstück gibt es unterwegs am Lake Ndutu. Die Fahrt mit dem Jeep im Morgengrauen über holprige Pfade hat sich gelohnt. Pünktlich zum Sonnenaufgang ist der Tisch gedeckt. Die Spiegeleier mit Speck, die Mike frisch zubereitet, sind vom Feinsten. Die Hauptrolle spielt aber die überwältigende Natur. Es herrscht eine friedliche Stille. Neugierig nähern sich ein paar Zebras, Flamingos ziehen über dem See ihre Bahnen. Üppiges Grün und malerische Schirmakazien am Rande der Serengeti Tansanias kom­ plettieren eine perfekte Stimmung. Die Szenerie erinnert an Tanja Blixens „Jenseits von Afrika“ oder Ernest Heming­ ways „Schnee auf dem Kilimandscharo“. Feudaler können auch die Kolonialherren nicht gereist sein. Der Tag ist jung – Mike will seinen Gästen einiges zei­ gen. Die sind unter anderem wegen der sogenannten Big Five hier, bestreiten das Abenteuer Fotosafari, um Büffel, Nashorn, Elefant, Leopard und Löwe in freier Wildbahn zu beobachten und meist digital festzuhalten. Eine große Büf­ felherde grast nicht weit vom See, eine Elefantenfamilie ist auf dem Weg dorthin, kommt dabei dem Geländewagen be­ ängstigend nahe. „Man muss schon Respekt zeigen, wenn man den Dickhäutern in die Quere kommt“, sagt Mike, legt hektisch den Rückwärtsgang ein und macht den Weg frei. Neben Büffeln ziehen auch Gnus, Gazellen, Zebras und Antilopen über Hunderte von Kilometern durch die Seren­ geti. Insgesamt umfasst das Kerngebiet rund 15 000 Qua­ dratkilometer, zusammen mit dem Masai-Mara-National­ park in Kenia und der Ngorongoro Conservation Area fast 30 000 Quadratkilometer. Wenn die Wasserlöcher am Lake Ndutu im März austrocknen, wandern die Herden weiter nach Nordwesten. Die Pirsch auf Raubtiere gestaltet sich von Dezember bis März schwieriger, weil die Löwen die meiste Zeit im hohen Gras dösen und die scheuen Leopar­ den sich tagsüber gern in Bäumen verstecken. Die Chancen, sie zu sehen, sind bei einer Nachtsafari größer.

Frühstück mit Spiegeleiern und Speck bei Sonnenaufgang am Lake Ndutu in Tansania: traumhaftes Safari-Erlebnis vor der grandiosen Naturkulisse der Serengeti.

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In der Ferne kreisen einige Geier über der Serengeti – oft ein Zeichen für Löwen, die gerade fressen. Schnell nimmt Mike Kurs auf durch die endlos scheinende Grassteppe, markant nur die Schirmakazien und einige Giraffen, die wie Baukräne in den Himmel ragen. Zwei Geparden schlei­ chen durch das Steppengras. Ein Löwe ist nicht in Sicht, doch der erfahrene Safari-Guide sucht mit seinem Fernglas den ­Horizont ab. Endlich wird dann die Rüttelfahrt quer­ feldein belohnt: Eine komplette Löwenfamilie mit drei Jun­ gen relaxt im Gras. Um die Reste ihrer Beute streitet sich

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Wenn die Jeeps am späten Nachmittag von der Pirsch­ fahrt zurückkehren, lodert bereits das Lagerfeuer vor dem Speisezelt. Jeder Gast wird von seinem Butler empfangen. „Möchten Sie erst einen kalten Drink oder gleich duschen? Ich habe das Wasser schon vorbereitet“, sagt er in einem perfekten Englisch. Eine heiße Dusche mitten im Busch und fern der Zivilisation wissen erschöpfte Gäste zu schät­ zen. Maximal zwölf logieren in den insgesamt sechs Schlaf­ zelten des Camps. Die Betten sind für ein „Zelt“ bequem, die Teppiche handgeknüpft, der Messingbehälter ist ständig mit frischem Waschwasser gefüllt, und die Toilette verfügt sogar über eine Wasserspülung. Das Lagerfeuer, um das sich die Gruppe vor dem Abend­ essen trifft, ist mehr als nur romantische Kulisse, denn ­nahe am Äquator kann es auf dem 1800 Meter hoch gele­ genen Serengeti-Plateau nachts empfindlich kalt werden. Bei einem Aperitif kommen die Gäste schnell ins Gespräch und tauschen ihre Erlebnisse und Eindrücke aus. So berich­ tet eine Dame aus Hawaii aufgeregt von einem Gepard, der eine Gazelle jagte: „Ich habe zu Gott gebetet, dass er sie nicht bekommt – und sie ist tatsächlich entwischt.“ Ein ­Geschäftsmann aus New York, abgeschnitten von CNN und Internet, fragt jeden Neuankömmling in der Runde, ob sich in den vergangenen Tagen etwas an der Wall Street getan habe. Doch auch er schwärmt schnell wieder von der faszi­ nierenden Tierwelt in der schier unendlichen Savanne, von den riesigen Büffelherden oder Gnus auf der Flucht. Nach dem dreigängigen Menü mit Suppe, Steaks vom Grill und Salat leert sich das Speisezelt schnell. Kaum einen Safari­ teilnehmer zieht es zurück in die schweren Fauteuils im Salon oder ans langsam verglimmende Lagerfeuer. Wer die Wildnis aus einer sehr komfortablen Perspektive erleben will, findet von Kenia über Tansania bis Südafrika eine große Anzahl verschiedener Anbieter, die mitten in der Natur ihre Lodges gebaut oder aber Camps mit Zelten aufgeschlagen haben. Wobei die Bezeichnung „Zeltlager“

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und die dort gebotenen Annehmlichkeiten voller Under­ statement absolut nichts mit dem Camping zu tun haben, das man gemeinhin mit dem Begriff verbindet. Eine Pirschfahrt in der Serengeti bleibt unübertroffen. Spezialist And Beyond, der etliche Safari-Edel-Lodges auf dem Schwarzen Kontinent und auch in Indien sowie Süd­ amerika betreibt, folgt mit dem mobilen Camp „Under Canvas“ den großen Herdenwanderungen. Er baut seine ­Zelte immer dort auf, wo die Herden von Büffeln, Gnus und ­Zebras auf ihrer Migration durch die Serengeti am besten zu beobachten sind. Die kleinen Buschflieger von Regional Air Services aus Arusha oder vom Kilimandscharo-Airport landen dann auf Graspisten in der Nähe des Camps. Mit Regional Air Services lassen sich auch zwei weite­ re Nationalparks und deren Luxus-Lodges erreichen oder zu einer Rundreise kombinieren. Die kleine Airline be­ treibt ein dichtes Flugnetz zu allen touristischen Zielen bis nach Sansibar. Am Rande des Ngorongoro-Kraters, von der Unesco zum Weltkulturerbe gekürt, thront mit Traum­ blick die gleichnamige Krater-Lodge im Stil eines MassaiDorfs, innen e ­ ine geschickte Melange aus „Massai meets Versailles“ mit Kronleuchtern und afrikanischer Kunst. Zur Pirschfahrt im Krater ist man allerdings nicht allein unterwegs. Jährlich kommen Hunderttausende von Besu­ chern. Den Blick auf die Flusspferde im Hippo Pool muss man mit Dutzenden Touristen teilen. Dafür sieht man die Big Five auf nur einer Tagestour. Im südlich davon gele­ genen Lake-Manyara-Nationalpark lockt am Ende des 45 Kilometer langen Sees die ebenfalls sehr komfortable Tree Lodge. Dort tummeln sich kleine Galagos aus der Gruppe der Feuchtnasenaffen – Buschbabys genannt – rund um die Baumhäuser. Vor dem mit massiven Baumstämmen geschützten Platz taucht auch schon einmal ein Elefant auf. Auch der Krüger-Nationalpark in Südafrika wartet mit zahlreichen Lodges und Camps auf, die ähnliche E ­ rlebnisse bieten. Allein im Sabi-Sand-Wildreservat am südlichen Rand des Parks befinden sich mit Mala Mala, Londolozi und Singita drei der berühmtesten Anlagen. Letztere ­bewerten Leser des „Condé Nast Traveler“ regelmäßig als top. Der Gast kann zwischen kolonialer Ebony Lodge oder zeitge­ nössischer Boulders Lodge wählen. Alle Einheiten besitzen mit offener Lobby und großzügiger Terrasse den Charme privater Luxusvillen. Das südlicher gelegene Londolozi beherbergt dagegen fünf höchst unterschiedliche Unter­ künfte, etwa das kleine, exklusive Tree Camp mit sechs stil­ voll dekorierten Suiten auf 30 Meter hohen Holzterrassen. ­Safari-Erlebnis im Schatten alter Ebenholzbäume. Doch auch hier gilt: Der Tag beginnt sehr früh – mit dem Weckruf eines Guides, dessen Jeep zur Abfahrt bereit ist.

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Fotos: Günter Standl, Getty Images, Singita

bereits eine Hyäne mit den Geiern. Auch Nashörner sind überraschenderweise in weiterer Entfernung zu sehen. Sie gehören zu den dunklen Kapiteln Tansanias. Als Professor Bernhard Grzimek den Dokumentarfilm „Serengeti darf nicht sterben“ drehte, für den er 1960 den Oscar bekam, gab es noch Hunderte der urzeitlichen Dickhäuter. Wilderer rot­ teten den Bestand wegen ihres in Asien begehrten Horns nahezu aus. Langsam vergrößert er sich aber dank der noch immer in Tansania schützend tätigen Zoologischen Gesell­ schaft Frankfurt wieder. Grzimeks Grabstätte liegt nicht weit von der Serengeti entfernt am Ngorongoro-­Krater, di­ rekt neben der seines Sohns, der bei den Dreh­arbeiten 1959 mit dem Flugzeug tödlich verunglückt war.


Unvergessliche Erlebnisse: baden im Kolonialstil (links); übernachten im perfekt ausgestatte­ ten Edelzelt in der Wildnis (rechts); luxuriös speisen unter den strahlenden Kronleuchtern in der Lodge am Rande des Ngorongoro-Kraters (rechts unten).

Exotische Welt: Direkt von der Veranda der Lodge können Gäste Elefanten beobachten (Mitte links); Wildkatzen spüren Guides erst auf Pirschfahrten auf (Mitte); die Poollandschaft gleicht einer kleinen Oase (rechts).

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Der Schatz der Zarin Die Fabergé-Eier aus der russischen Zarenzeit sind Kleinodien und stehen für ­beispiellose Juwelierkunst. Jedes einzelne ist Millionen wert. Doch ein Teil des ­kaiserlichen Schatzes ist bis heute verschollen. :: Von Britta Scholz

Ein Schrotthändler stöbert 2014 auf einem Antiquitätenmarkt im Mittleren Westen der USA, auf der Suche nach kleinen Schätzen, die er günstig ein- und teuer verkaufen kann. Dabei stößt er auf ein etwa acht Zentimeter großes goldenes Ei, verziert mit Saphir und Rosendiamant. Er öffnet es und erblickt eine goldene Uhr. Laut Gravur stammt sie aus der Schweizer Manufaktur Vacheron Constantin. Umgerechnet 10 000 Euro bezahlt der Schrotthändler für das Ei. Später stellt sich he­raus, dass es sich bei dem Fund um eines von acht verschollenen Fabergé-Eiern aus der Sammlung der russischen Zarenfamilie handelt. Sein Wert: rund 30 Millionen Euro. Fabergé-Eier sind das Sinnbild für Luxus, Extravaganz, Perfektion und hohe Handwerkskunst. Im Jahr 1872 übernahm der damals 26-jährige Peter Carl Fabergé das väterliche Goldschmiedeatelier in St. Petersburg. Der Wirtschaftsaufschwung und der Hang zum Luxus bescherten der russischen Juwelierbranche in den folgenden Jahren einen beispiellosen Boom. Der junge Goldschmied Fabergé wollte aber mehr, als nur teuren Schmuck zu entwerfen. Er wollte innovativ sein und unverwechselbare Stücke kreieren. Bald verkaufte er die ersten Kostbarkeiten an Zar Alexander III.: Manschettenknöpfe, geschmückt mit Zikaden aus Gold – einem Glückssymbol der Antike. Dem Zar gefiel die Arbeit, und er vergab

Zeitdokument: Das Ei zum 15. Thronjubiläum stammt aus dem Jahr 1911 und zeigt neben Miniaturgemälden der Zarenfamilie wichtige Ereignisse der bisherigen Herrschaft Nikolaus’ II.

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­ inen neuen Auftrag: ein Ei für seine e Gattin Maria Fjodorowna. Bis heute ist es ein russisch-orthodoxer Brauch, sich an Ostern schmuckvolle Eier und drei Küsse zu schenken. Die Bediens­ teten am kaiserlichen Hof erhielten Eier aus Porzellan, Edelsteinen und Emaille, für die Zarin durfte es opulenter sein. Das Hennen-Ei, das Ale­ xander III. seiner Frau 1885 schenkte, war äußerlich unscheinbar, in schlichtem Weiß gehalten, kaum größer als ein normales Hühnerei. Die Pracht verbarg sich im Inneren: In einem Dotter aus Gold sitzt eine goldene Henne. In ihrem Bauch befindet sich eine winzige diamantene Zarenkrone, geschmückt mit zwei Eiern aus Rubinen. Die Zarin war so entzückt von dem Geschenk, dass Peter Carl Fabergé fortan zu jedem Osterfest ein neues prunkvolles Ei kreierte. Jedes war außen mit Gold und Edelsteinen hochwertig geschmückt und innen mit einer Überraschung versehen: mit Miniaturgemälden, Schiffs- und Eisenbahnmodellen, Uhren oder Singvögeln. Das Renaissance-Ei – die Nachahmung eines Schmuckkästchens aus dem 18. Jahrhundert – war das letzte Exemplar, das Alexander seiner Gemahlin überreichte. Er starb 1894. Sein Sohn und Thronfolger, Zar Nikolaus II., setzte die Tradition fort und ließ jährlich zwei der Schmuckeier herstellen: eines für seine Mutter und eines für seine Gattin. Das Rosenknospen-Ei war sein erstes Ostergeschenk an Zarin Alexandra Fjodorowna. Das nur etwa sieben Zentimeter große Ei aus mehrfarbigem Gold, weißer und roter Emaille sowie Diamanten bewahrt in seinem mit Samt ausgeschlagenen Körper eine aufklappbare Rosenknospe, ebenso aus Gold, grüner und gelber Emaille gefertigt. Genau wie im Hennen-Ei war die Überraschung eine winzige Diamantkrone mit einem Anhänger aus Rubin. Eines der teuersten und bekanntesten Stücke aus der Imperial-Egg-Serie ist das Krönungs-Ei aus dem Jahr 1897. Das Auktionshaus Sotheby’s schätzte es auf 24 Millionen US-Dollar. Seine Hülle ist dem Krönungsmantel der Zarin nachempfunden. In seinem Inneren kommt ein detailverliebtes, mit Diamanten besetztes Modell der Kutsche zum Vorschein, in der das Paar zur Krönungszeremonie nach Moskau gefahren worden war.

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Leidenschaft: Das Rosenknospen-Ei aus dem Jahr 1895 war das letzte von zwölf, das Verleger Malcolm Forbes ersteigerte. Über Jahrzehnte galt es als verschollen. Heute befindet es sich in der Sammlung von Wiktor Wekselberg.

An jedem Stück arbeiteten Fabergé und seine Werkmeister circa ein Jahr. Die Überraschungen stellten sie ganz im Geheimen her. Nicht einmal der Zar selbst bekam sie zu Gesicht, ehe Fabergé die Präsente persönlich überreichte. Die Ornamente wurden mit den Jahren immer prunkvoller, die Osterpräsente immer teurer. Umgerechnet rund 37 000 Euro kostete das Hennen-Ei, für das Maiglöckchen-Ei von 1898 bezahlte Zar Nikolaus II. bereits 55 000 Euro. Etwa viermal so teuer war das mit 3000 Diamanten besetzte Winter-Ei von 1913. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs kürzte der russische Kaiser sein Osterbudget allerdings drastisch auf etwa 32 000 Euro zusammen. Die Optik wurde schlichter, die Überraschungen weniger raffiniert. Insgesamt 50 kaiserliche Fabergé-Eier waren im Laufe der Jahre entstanden, bis die Februarrevolution 1917 Zar Nikolaus II. zur Abdankung zwang. Er zog sich nach Sibirien zurück. Im darauffolgenden Jahr wurden er und seine Familie von den Bolschewiki hingerichtet. Einzig der Zarenmutter Maria Fjodorowna gelang 1918 die Flucht. Ihr letztes Ostergeschenk nahm sie mit: das eher schlichte St.-Georgs-Orden-Ei aus Emaille, Bergkristall und Elfenbein. Es zeigt die Porträts von Zar Niko­laus II. und dessen Sohn Alexei. Fabergé flüchtete ebenfalls aus St. Petersburg und starb 1920 in Lausanne. Seine Firma fiel in Staatsbesitz. Statt Schmuck produzierte sie Granaten, Feldgeschirr und andere Kriegswaren, später auch Parfüm. Fabergés Nachkommen, die weiterhin das Juwelierhandwerk ausübten, verloren für viele Jahre das Recht, unter dem ­Familiennamen etwas herzustellen. Nach dem Tod der Zarenfamilie beschlagnahmte die russische Regierung sämtliche Schätze des Landes samt den kostbaren Eiern und veräußerte sie nach und nach an

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Meisterwerke en miniature: das Krönungs-Ei mit

Einer der ehrgeizigsten Sammler war der US-amerikanische Verleger Malcolm Forbes. Nachdem er 1965 sein erstes Fabergé-Ei erworben hatte, baute er innerhalb von zwei Jahren die größte Sammlung neben der des Kremls auf. 1985 bekam Forbes bei umgerechnet 1,5 Millionen Euro den Zuschlag für das barocke KuckucksEi mit eingebauter Spieluhr. Als bei Sotheby’s der Hammer fiel, kommentierte der Auktionator: „Der Stand ist nun: Kreml zehn, Forbes elf.“ Mit dem Rosenknospen-Ei komplettierte Forbes seine Kollektion. Später stellte sich allerdings heraus, dass nur neun der zwölf Eier für das Haus Romanow angefertigt worden waren. Die übrigen drei waren Auftrags­

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für 12,5 Millionen Euro versteigerte Ei der Familie Rothschild (Mitte) und das Azova-Ei mit einem Modell des Schiffs, mit dem Nikolaus die Welt umrundete (rechts).

Fluchtstück: Die Zarenmutter rettete 1917 das jüngste kaiserliche FabergéEi mit Bildern ihres Sohns und Enkels.

arbeiten anderer Kunden. Forbes’ Nachkommen hatten kein Interesse an der Sammlung und verkauften sie 2004 für umgerechnet rund 80 Mil­ lionen Euro an den russischen Milliardär Wiktor Wekselberg. Mit dem Ziel, kulturelle und historische Schätze nach Russland zurückzuschaffen, gründete Wekselberg im selben Jahr die Stiftung Link of Times. Mehr als 4000 Arbeiten wurden zusammengetragen, die heute allesamt im ­Fabergé-Museum in St. Petersburg zu sehen sind. Das teuerste Fabergé-Ei, das bisher versteigert wurde, stammte jedoch nicht aus der Imperial Class, sondern war im Auftrag der Familie Rothschild entstanden. Es ist mit einer Uhr geschmückt. Zu jeder vollen Stunde taucht ein dia­ mantbesetzter Hahn aus der Spitze auf, schlägt mit seinen Flügeln und nickt mit dem Kopf. 2007 wechselte das rosafarbene Ei für umgerechnet knapp 12,5 Millionen Euro den Besitzer. Nun erobern neue Prunkeier den Markt für Luxusaccessoires. Tatiana Fabergé, Schmuckdesignerin und eine Urenkelin Peter Carls, war es 2007 gelungen, den Namen Fabergé und das Juwelierhandwerk wieder zu vereinen. Als Hommage an die Kunst des Goldschmieds aus der Zarenzeit präsentierte die Manufaktur 2015 das erste Imperial Egg seit 1917. Tausende Diamanten, Perlen, Gold und Bergkristalle zieren das PerlenEi. In seinem Inneren verbirgt sich eine einzigartige graue Perle. Sie stammt aus dem Arabischen Golf und ist etwa zweieinhalb Gramm schwer. 18 Monate Arbeit stecken in dem Prachtstück – mit geschätzten 2 bis 3 Millionen US-Dollar ist es verhältnismäßig günstig.

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Fotos: interTOPICS/Globe Photos, Xinhua/SIPA USA/ddp images, AFP/Getty Images, Getty Images/Johner RF/EyeEm/iStockphoto

Kutsche (links), das

­ unsthändler in der ganzen Welt. Kaum mehr K als 450 Euro soll ein Ei gekostet haben. Zehn Eier blieben in der Schatzkammer des Kremls, aber die meisten verschwanden in den Sammlungen wohlhabender Privatiers und tauchten, wenn überhaupt, erst Jahre später wieder auf. Der Verbleib eines großen Teils ist heute bekannt. Museen und Sammlungen in Russland, Österreich, Großbritannien, Monaco, der Schweiz und den USA verwahren sie. Sieben Eier aber bleiben spurlos verschwunden, von vieren existieren weder Bilder noch Skizzen. Die beiden Eier, die Peter Carl Fabergé aufgrund der Revolution 1917 nicht mehr vollenden konnte, befinden sich heute in der Sammlung des Fabergé-Museums in BadenBaden: ein einfaches Ei aus Birkenholz, das für die Zarenmutter bestimmt war, und das Konstellations-Ei aus blauem Glas und Bergkristall mit dem Sternbild des Zarensohns.


Die wunderbare Welt der FARBEN Sein kräftiges Leuchten ist ein stimmungsvoller Teil der Natur. Violett hat etwas Erhabenes, Feierliches, Nachdenkliches und ist zugleich nie eindeutig. :: Von Alexander Fangmann

Die Farbe Violett verdankt ihren Namen dem Veilchen, das die Franzosen „violette“ nennen, und zeigt sich immer wieder in der Natur. Schön anzusehen sind zum Beispiel die violett leuchtenden Lavendelfelder der Toskana, Flieder, A ­ stern, Iris oder aber die ersten Krokusse, die zuweilen im Schnee des Frühjahres erblühen. Bienen lieben wiederum als Nahrungsquelle die auch als Bienenweide bekannte violette Pflanze Phacelia. Am Wegesrand wachsen Brombeeren, bei deren Ernte man sich vor Dornen in Acht nehmen muss. Wir essen gerne Pflaumen, Zwetschgen und dunkle Weintrauben, Auberginen und Rotkohl, der in einigen Gegenden auch Blaukraut genannt wird. Violett gilt als Farbe des Geists und der Spiritualität. Es wirkt geheimnisvoll, feierlich oder reinigend und geht ins unsichtbare Ultraviolett über. Auch deshalb markiert es in der Esoterik den Übergang zum Übersinnlichen. Aufgrund der ihm zugesprochenen meditativen und schmerzstillenden Wirkung wird Violett in der Farbtherapie eingesetzt. Eine ähnliche Wirkung sprach man in der Antike dem Edelstein Amethyst zu, der die Abwehrkräfte des Körpers stärken sollte. Häufig bezeichnen wir unterschiedliche Farbmischungen zwischen Rot und Blau als Violett. Dabei gibt es ganz eindeutige Unterschiede in der Farbsättigung. Lila ist hierfür das beste Beispiel. Umgangssprachlich oft Violett genannt, ist die Farbe eindeutig heller und hat ihren etymologischen Ursprung im arabischen Wort für Flieder: lilak. Das für die Telekom bekannte Magenta liegt im Farbspektrum zwischen Violett und Rot, wo-

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hingegen Pink ein verweißlichtes, grelles Magenta ist. Es sind nur Nuancen, aber sie können in Fragen der Mode und des Designs entscheidend sein. Bereits römische und byzantinische Kaiser und Herrscher trugen eine Toga in violettem Farbton. In dieser Tradition war die Farbe über Jahrhunderte mit den Königshäusern und der Aristokratie verbunden. Im Mittelalter sah man Universitätsprofessoren und Bischöfe in Violett. Generell dient es bis heute der katholischen Kirche als liturgische Farbe für Advent und Fastenzeit. Es steht für Besinnung und die Buße vor Ostern und Weihnachten. Nicht verwunderlich, dass die Kunst der Renaissance in vielen Gemälden die Jungfrau Maria und die Engel des Himmels in violettfarbenen Gewändern zeigt. Die Fahne der Evangelischen Kirche in Deutschland ziert ­ebenso ein violettes lateinisches Kreuz auf weißem Grund, das gut sichtbar ist. Wesentlich seltener erhellt da bei Sonnenuntergang ein violetter Blitz den Abendhimmel. Dieses in Violettrosé getünchte Farbenspiel hängt mit dem Winkel der Sonneneinstrahlung und den in der Luft befindlichen feinen Teilchen zusammen. Nicht minder magisch erscheint Violett als innere Farbe des Regenbogens.

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Krokusse künden vom Frühling.

lischen Priesters.

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Stola eines katho-

Seltenes Himmelsschauspiel.

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Der

Amethyst soll Übel abwenden und Abwehrkräfte stärken. 4

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Ein Bild und seine

8.11.1991 :: Von Alexander Fangmann

musste das Denkmal weichen. Kurz zuvor hatte das Berliner Kammergericht die Beschwerde von Angehörigen des Bildhauers Nikolai Tomski zurückgewiesen, die den Abriss verhindern wollten. Proteste gab es auch vonseiten der Bevölkerung. Mit Plakaten und Menschenketten forderten die Gegner den Erhalt des Denkmals – erfolglos.

Die Abrissarbeiten begannen am 8. November 1991. Nachdem das Monument im Februar 1992 komplett abgetragen war, entsorgte man die 129 Einzelblöcke achtlos in einem Waldstück im Müggelheimer Forst im Südosten von Berlin, wo sie 23 Jahre lang ruhten. 2015 wurde der Kopf wieder ausgegraben. Das linke Ohr fehlt, der Schnurrbart ist nicht sauber frisiert. So viele Jahre im Waldboden gehen an niemandem spurlos vorüber, auch nicht an so einem gewichtigen russischen Koloss. Mit einem Durchmesser von 1,70 Metern und einem Gewicht von 3,5 Tonnen ist der Granitschädel des Revolutionsführers immer noch eine stattliche Erscheinung. „Lenin ist sehr gut erhalten“, sagt Museumsleiterin Andrea Theissen. Nun liegt der Kopf in Spandau friedlich auf der Seite. Besucher können dem Denkmal auf Augenhöhe begegnen. Auf dem ehemaligen Leninplatz, dem heutigen Platz der Vereinten Nationen, steht jetzt ein Springbrunnen.

Impressum Herausgeber und Verlag: Deutscher Sparkassen Verlag GmbH, 70547 Stuttgart, Tel. +49 711 782-0 Chefredakteur: Thomas Stoll Stv. Chefredakteur: Ralf Kustermann (Redaktionsleitung), Tel. +49 711 782-1586, Fax +49 711 782-1288, E-Mail: ralf.kustermann@dsv-gruppe.de Art Director: Joachim Leutgen Chefin vom Dienst: Antje Schmitz Layout und Grafik: 7Stars NewMedia, Leinfelden-Echterdingen Autoren und Mitarbeiter: Alexander Fangmann, Andreas Hohenester, Günter Kast, Harry Keaton, Sebastian Moll, Lilith Nickl, Yorca Schmidt-Junker, Britta Scholz Druck: MP Media-Print Informationstechnologie GmbH, Paderborn Anzeigen: Anneli Baumann, Tel. +49 711 782-1278 Artikel-Nr. 330 155 046

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Foto: ullstein bild/Harry Hampel

Der Kopf schwebt hoch über der Straße. Lenins Zeit ist abgelaufen. Am 8. November 1991 rücken Arbeiter seiner Statue auf dem Leninplatz in BerlinFriedrichshain zu Leibe und beginnen mit der Demontage. Seit dem 29. April 2016 wird der Kopf des Denkmals in der Ausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ in der Zitadelle Spandau präsentiert. Das Haupt der einst 19 Meter in die Höhe ragenden Statue spiegelt die politischen Veränderungen in Deutschland wie kaum ein anderes Ausstellungsstück wider. Bestehend aus tonnenweise rotem Kapustinogranit, war es ein eindrucksvolles Zeugnis des Personenkults um den Gründer der Sowjetunion Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin. Zum 100. Geburtstag des russischen Revolutionärs hatte DDR-Staatschef Walter Ulbricht am 19. April 1970 das monumentale Bauwerk auf dem Leninplatz in Friedrichshain feierlich enthüllt. Nach der Wiedervereinigung


Was macht glücklich?

Gute Freunde, Musik, ein blauer Himmel, die Liebe, nette Kollegen, ein großes Eis? Jeder Mensch hat große und kleine Träume vom Glück. Wir wollen helfen, dass auch für Menschen mit Behinderungen viele dieser Träume wahr werden. In einem Leben, das so selbstbestimmt wie möglich ist, mit so viel Hilfe wie nötig. Denn Freiheit macht glücklich.

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