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Warum wir heute wieder gerne öffentlich philosophieren

Auguste Rodins Statue „Der Denker“ stellt das Überlegen unverwechselbar treffend dar


Editorial

Von der Lust, sich öffentlich Gedanken zu machen

Ralf Kustermann, stv. Chefredakteur Deutscher Sparkassenverlag ralf.kustermann@dsv-gruppe.de

„Sokrates hat als Erster die Philosophie vom Himmel heruntergerufen ... und in die Wohnhäuser hineingeführt“, schwärmte Cicero. Damit meinte der nicht minder bekannte römische Philosoph die dialogische Form des Denkens und Diskutierens. Dieses Philosophieren auf der Straße vor aller Welt ging wohl früh verloren. Schließlich fand über Jahrhunderte hinweg die „Liebe zur Weisheit“ auf Papier, in Bibliotheken oder den Hörsälen und Seminarräumen der Universitäten statt. Akademiker und intellektuelle Eliten lernten dort zeit- und weltbewegende Gedanken kennen. Diese diskutierten sie im geschlossenen, exklusiven Kreis. Heute sucht die Philosophie das Licht der Öffentlichkeit mehr als je zuvor in der Menschheitsgeschichte. Es existiert eine Lust am öffentlichen Denken, die auch zu unterhalten weiß, ob in Philosophie-Zeitschriften, in Fernsehdiskussionen oder auf den PhilosophieFestivals in Köln, Dresden und Hannover. Nie suchten mehr Menschen den Diskurs. Bemerkenswert ist es, dass es dort um Fragen geht, die Philosophen schon immer stellten – unter den Bedingungen der Gegenwart: „Was ist gut?

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Was ist gerecht? Woher kommen wir? Was ist der Sinn des Lebens? Woran erkennen wir Vernunft, Verantwortung und Wahrheit?“ VENTURA geht auf Spurensuche – in der Titelgeschichte dieser Ausgabe verfolgen wir ab Seite 4 Meilensteine der Philosophie. Dabei sprachen wir mit Nicolas Dierks, einem der führenden Philosophen von heute und erklären, warum unsere komplexe Welt ordnende und bewertende Gedanken benötigt und wir eine Renaissance der Denker erleben, die an sokratische Ursprünge vor über 2500 Jahren erinnert. Keine Sorge: Die Berater im Private Banking Ihrer Sparkasse werden nicht mit Ihnen über Ihr Vermögen und Ihre Werte philosophieren. Wir stehen für eine faktengebundene Beratung mit maßgeschneiderten konkreten Leistungsangeboten. Diese basieren auf einem offenen, aber immer diskreten Gespräch. Eine anregende Lektüre wünscht

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Inhalt

04 Diskursstark: der griechische Philosoph Sokrates

Fotos: ullstein bild/Jochen Harder, anastasios71/Fotolia, INTERFOTO; Cover: Bruce Burkhardt/CORBIS

26 Reizvoll: St. Michael’s Mount

04 Zurück zur Philosophie Denker der Antike und der Gegenwart stellen sich die gleichen Fragen. Sie rühren an den Grund des Lebens und des Miteinanders. Und wie zu Beginn der Antike philosophieren sie in einer breiten interessierten Öffentlichkeit. 10 Diener der Kunst Sie führen Kunden an Kunst heran, helfen mit ihrer Expertise und einem hochwertigen Netzwerk beim Kauf einzelner Werke oder beim Aufbau von Sammlungen – die Art Consultants.

20 Der Denker und Lenker Jeremy Rifkin ist ein international gefragter Mann. Der US-amerikanische Universalgelehrte entwickelt kühne Zukunftsvisionen. VENTURA besuchte ihn in seinem Büro in Washington. 24 Schirm mit Charakter Traditionsreiche Manufakturen trotzen der industriellen Massenware. Nicht nur der wahre Gentleman weiß, wie er sich elegant bei Regen schützt.

14 Prickelnder Genuss Den Champagner umgibt eine eigene, unvergleichliche Aura der Exklusivität. Dabei ist er alles andere als rar.

26 Die Pracht Britanniens Südengland, Cornwall und Yorkshire sind für ihre Landschaften berühmt. Bei einer Landpartie im Auto kann man sie stilvoll erkunden und Land und Leute am besten kennenlernen.

16 Pauken für den Hochsitz Der Deutsche Jagdverband freut sich über stetigen Jägerzuwachs. Immer mehr Deutsche lernen in Theorie und Praxis für das „Grüne Abitur“.

30 Gewinnbringend lehren Eliteschulen wie Harvard sind für deutsche Privatschulen gerne ein Vorbild. Dabei ist Bildung längst Teil der Globalisierung und erfordert neues Denken.

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Kolumne Das Gedicht Kunst-Edition Die wunderbare Welt der Farben 34 Ein Bild und seine Geschichte 34 Impressum

24 Beschirmt: Patrick Macnee als John Steed


SOKRATES (469 bis 399 v. Chr.) Sein Ansatz: Mit tiefgründigen Fragen gilt es, das Wesen der Dinge zu erforschen – und sich selbst.

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Seit Anbeginn denken kluge Köpfe über den Sinn des Lebens nach. Sie haben sich fast immer im kleinen Kreis versteckt. Heute philosophieren sie wieder im Licht der Öffentlichkeit. :: Von Ulrich Pfaffenberger

PLATON (427 bis 347 v. Chr.) Sein Ansatz: Für alles, Foto: anastasios71/Fotolia

was es in dieser Welt gibt, existiert eine größere Idee, ewig, unwandelbar, universell.

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(384 bis 322 v. Chr.) Sein Ansatz: Um den Sinn des Lebens zu erkennen, müssen wir erkennen und verstehen, was die Welt um uns herum ist.

(1469 bis 1527) Sein Ansatz: Damit ein Herrscher seine Ziele erreicht, ist jedes Mittel gerechtfertigt, eben weil er der Herrscher ist.

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„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Seit unzähligen Generationen beindruckt die Kraft des ersten Satzes im Johannes-Evangelium die Christen  – und sie rätseln zugleich über seinen Inhalt. Denn er beruht nicht auf den Erfahrungen des gelebten Alltags, sondern soll den Wissensdurst der Menschen nach ihrem Ursprung stillen. Genau genommen schlägt er eine philosophische Brücke vom Christentum ins alte Athen. Er greift den Begriff des „logos“ auf, gleichbedeutend mit „Wort“, „Rede“ und „Sinn“. Darin sah die Stoa, eine der bedeutendsten hellenischen Schulen der Philosophie, den Ursprung des Seins: Alles ist auf Erden miteinander verbunden. Es gibt ein universelles Prinzip, auf das sich sämtliches Leben und Handeln zurückführen lassen. War der Kosmos der antiken Menschheit klein und überschaubar, so brachte er die klügeren Köpfe jener Zeit doch zum Nachdenken: „Ist das, was wir sehen und wissen, alles?“ Sie fingen an, Fragen nach der Ursache von allem zu stellen, miteinander zu erörtern und Antworten zu entwickeln. Unter umgekehrten Vorzeichen glichen sie damit den Menschen von heute, die unter einer Flut des Wahrnehm- und Wissbaren leiden und nach einer höheren Ordnung suchen, die unsere Welt begreifbar macht. Seit mehr als zweieinhalbtausend Jahren kreisen wir um die gleiche Frage – nach dem Sinn des Lebens. Damals wie heute blüht der öffentliche Diskurs darüber, was unsere Welt bewegt. Damals wie heute erlebt die Philosophie eine Konjunktur. Voltaire schrieb vor etwa 300 Jahren: „Aberglauben setzt die Welt in Brand, die Philosophie löscht ihn.“ Mit der Suche nach der Systematik menschlichen Lebens emanzipierten sich die ersten bekannten Philosophen der Menschheitsgeschichte von der Macht der Götter. Schließlich musste der griechische Götterhimmel um das Zeus-Ensemble mit seiner zirzensischen Mischung aus

Zuständigkeiten und Machtkämpfen für massive Zweifel sorgen. Dieser Kreis konnte nicht die Erklärung für alles sein. Die frühen Denker nahmen die Epoche der Aufklärung vorweg. Sie treibt seit mehr als 200 Jahren westliche Kulturen an, rational begründbare Muster zu suchen und der Welt damit eine Ordnung zu geben, in der das Göttliche seine Urheberschaft ablegt. Warum es heute zur Renaissance der Philosophie im öffentlichen Leben kommt? Nicolas Dierks, Kulturwissenschaftler, Philosoph und Autor des Buches „Was tue ich hier eigentlich?“, glaubt, dass unsere hochindustrialisierte, pluralistische Gesellschaft an einer Überfülle an Möglichkeiten leidet. Entgegen der Erwartungen scheine der technische Fortschritt die Arbeitsbelastung nicht zu vermindern und das überall verfügbare Wissen uns eher zu überfordern. Dierks: „Insofern mag der Wunsch nach ordnenden Gedanken dringender geworden sein – gerade weil uns traditionelle Ordnungssysteme weniger selbstverständlich sind als früher.“ Noch vor wenigen Generationen, so Dierks, waren die Vorstellungen der Welt und der Gesellschaft weitgehend vorgegeben. Die Biographie des Einzelnen hing in höherem Maße von sozialer Schicht, Geschlecht oder auch Konfession ab. Auch das Weltgeschehen wurde vor dem Hintergrund des religiösen Weltbilds gedeutet. „Heute ist Religion nur eine von vielen Möglichkeiten, die Welt, unsere Gesellschaft und unseren eigenen Lebensweg zu verstehen – und die Zukunft ist offen. Aber diese Freiheiten fordern auch eine größere Eigenverantwortung.“ Vielleicht erhoffe sich mancher von der Philosophie einen Ersatz für das, was früher Religion und Tradition bereitstellten. „Das hieße allerdings, ein vorgegebenes Schema durch ein anderes zu ersetzen“, merkt Dierks kritisch an. Zudem warnt er vor einer umfassenden Heilserwartung: „Die ordnenden

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Fotos: www.bridgemanart.com, Beachcomber, ddp images/United Archives, Réunion des musées nationaux, akg-images

(551 bis 479 v. Chr.) Sein Ansatz: Die obersten Prinzipien des menschlichen Handelns sind Treue und ­Aufrichtigkeit.


Sokrates

Gedanken, die man sich von der Philosophie erhoffen darf, sind keine fertigen Rezepte oder festgelegten Wege zum Glück.“ Philosophie kann nur in einer Form der Selbstbildung bestehen: die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und das Selbstvertrauen zu stärken, um das Leben selbstbestimmt zu leben und auszuschöpfen. Die heutige Philosophie unterscheidet sich damit grundlegend von jener der Ursprungszeiten. Große Denker der Athener Kultur interessierten sich zunächst nicht für ethische Überlegungen. Die meisten von ihnen standen Pate für die Wissenschaften. Thales von Milet suchte nach dem Stoff, der alles Sein und Werden verständlich macht. Als Folge seiner Erkenntnisse konnte er eine Sonnenfinsternis präzise vorausberechnen, die damit ihren Ruf als ein Zeichen des göttlichen Zorns verlieren musste. Zugleich benannte er das Wasser als Grundstoff allen Lebens. Pythagoras von Samos ging einen Schritt weiter, trennte die Seele vom Körper des Menschen. Dazu war er bestrebt, den Nachweis zu erbringen, dass Zahlen zum Wesen aller Dinge führen. Sokrates, Platon und Aristoteles schufen den geistigen Überbau zu diesem Erkenntnisgewinn. Sie füllten die Metaphysik mit Werten, fanden Worte für jene Ethik, die sich nach der Befreiung aus der Hand der Götter für die eigenverantwortlichen Menschen ergibt. Einsicht und Wissen, so Sokrates, würden konsequenterweise dazu führen, dass wir nicht nur handeln, sondern auch wissen, warum und wozu. Weil Sokrates nicht an einen perfekten Menschen glaubte, unterstellte er allen ein Gewissen, eine innere Stimme, die uns an unsere Schwächen und Fehlbarkeit erinnert. Gleichwohl blieb dieser Denker auf das konzentriert, was für uns Menschen sichtbar und greifbar ist. Den Unterschied zwischen Schein und Sein genauso wie die Wertschätzung von Bildung haben wir ­seinem Schüler Platon zu verdanken.

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Ihm, der die Menschen auf ihre B ­ eschränktheit aufmerksam machte, indem sie Materielles heranziehen, wo doch Ideelles maßgeblich ist. Bekannt ist sein Beispiel vom Bildhauer, der im Marmorblock bereits die Gestalt seiner Skulptur erkennt. Der sich stets wiederholende Zyklus von guten und schlechten Gesellschaftsformen, wie Platon ihn in seinem Idealbild „Der Staat“ als Ist-Zustand darstellt, bekräftigt dessen Vermutung einer mangelnden Bereitschaft, aus der Geschichte zu lernen. Das macht Platon für das Philosophieren im 21. Jahrhundert so wertvoll. Alle Philosophen der frühen Zeit verbindet der Wille zur Auseinandersetzung und die Bereitschaft zur Lehre. Dies gipfelt im Denken von Aristoteles. Als Universalgelehrter legte er die logischen Verbindungen von Allem mit Allem zwingend dar. Vermutlich geht die Kraft seiner Argumente auf den Umstand zurück, dass er ein Wissenschaftler war, dem sein Forschen zur Grundlage philosophischer Überlegungen wurde. So erklärt sich etwa die feine, aber wegweisende Unterscheidung zwischen Form und Inhalt, für die er eintrat – und die sich ins menschliche Leben dergestalt fortsetzt, dass der Weg zum Glück von individuellem Umgang mit Tugenden begleitet ist. Wenn Lebensratgeber heute Tipps zum Glücklichsein publizieren, greifen sie bestenfalls auf, was Aristoteles als Erster lehrte. Die Position der Philosophen als Lehrer einer Gesellschaft wird häufig unterschätzt, woran ihr in jüngerer Zeit gepflegtes Image als exaltierte Sprech-Könige nicht ganz schuldlos ist. Anders als der telegene Vorzeigephilosoph Richard David Precht flapsig suggeriert, war Sokrates kein „Moderator einer Talkshow“ Gleichgesinnter. Die Schulen, die er und seine Kollegen gründeten, zielten auf Wirkungen weit jenseits von 45 Minuten Sendezeit. Darüber hinaus waren die von Platon zum Prinzip erhobenen Dialoge,

(1596 bis 1650) Sein Ansatz: Um die Wahrheit zu finden, bedarf es des Zweifels, denn es gibt nichts, dessen man sich sicher sein kann.

(1694 bis 1778) Sein Ansatz: Es ist nicht angenehm, im Zweifel zu leben. Aber Gewissheit zu unterstellen – das ist absurd.

(1712 bis 1778) Sein Ansatz: Der Mensch ist von Natur aus gut und frei. Doch die Systeme von Gesellschaft und Gesetz legen ihn in Ketten.

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„oi dialogoi“, der Motor allen philosophischen Fortschreitens, vom selbstdarstellerischen und von einem oftmals haltlosen Gerede wohlfeiler Bildschirmdauergäste mehr als Äonen entfernt. Seit jeher spielt das Gespräch für die Philosophie eine wichtige Rolle – als Lehre, Disputation oder Symposion. „Dass mündliches Philosophieren aufgrund der medialen Möglichkeiten heute stärker im öffentlichen Diskurs vertreten ist, finde ich begrüßenswert“, sagt Nicolas Dierks. „Mich persönlich hat es lange gewundert, dass es ein reges Interesse an östlichen Weisheitslehren gibt oder seit den 1990er-Jahren am Coaching, aber eine teilweise erstaun­ liche Unkenntnis über unsere eigene philosophische Tradition herrscht. Dabei gibt es wahre Schätze an Einsichten und Denkwerkzeugen – wenn man sie zu heben weiß.“ Dazu eignen sich vor allem jene Philosophen der zweiten Stunde, die aus der christlichen Kultur heraus den Verlauf unserer Geschichte und das Leben in Europa prägten. Thomas von Aquin fügte beispielsweise im Rückgriff auf Aristoteles Glauben und Wissen zusammen und erklärte die Veränderung zum nie beginnenden und nie endenden Prinzip. Niccolò Machiavelli wiederum gab dem Begriff „Tugend“ eine neue Wendung, löste sie von der Moral, hin zur Kraft und Macht. Thomas Hobbes trieb die Wissenschaftlichkeit der Philosophie auf die Spitze, strich einfach alles Außersinnliche und Nichtkörperliche und reduzierte Menschen auf ihre Biologie. Die Franzosen René Descartes, Voltaire und Jean-Jaqcues Rousseau brachten mit ihrem Be-

(1588 bis 1679) Das Leben ist nur eine Bewegung der Glieder – und der Mensch, wie eine Maschine, eine Manifestation von Physik.

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schwören von Vernunft, Zweifel und Freiheit eine multiple Revolution ins Rollen, die zuerst die Köpfe der Menschen verwirrte, dann in diesen Köpfen ein Feuer entfachte – und schließlich Köpfe kostete. Die deutsche Troika aus Leibniz, Hegel und Kant unterschied zwischen gedachter und bestehender Wahrheit, zwischen Idealismus und Vernunft, zwischen Ursache und Wirkung und stellte so wieder eine Ordnung im gesellschaftlichen Chaos her. In jener Zeit der großen Umwälzungen beginnt zugleich ein Trend, der die Philosophie und ihre Außenwirkung für fast drei Jahrhunderte einschneidend bestimmen wird: das Aufgreifen, Anpassen, Neuausrichten und Interpretieren der großen Lehrer durch ihre Schüler und Epigonen. Vom öffentlichen Marktplatz ziehen sich die Philosophen ins stille Kämmerlein, mitunter in den Elfenbeinturm zurück und überlassen die Menschheit ihrem Schicksal in der Maschinerie der Industrialisierung. Karl Marx veranlasst dies zu dem vernichtenden Urteil: „Die Philosophen haben die Welt nun verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Der Schriftsteller Robert Musil formuliert im „Mann ohne Eigenschaften“ noch drastischer, wenn es dort heißt: „Philosophen sind Gewalttäter, die keine Armee zur Verfügung haben und sich deshalb die Welt in der Weise unterwerfen, dass sie sie in ein System einsperrren.“ Die großen philosophischen Systeme eines Kant, Fichte, Schelling, Hegel und Schopenhauer waren seinerzeit zweifelsohne an Fachleute adressiert. Doch entstand eine zweite

(1724 bis 1804) Sein Ansatz: Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe blind. Verbinden sie sich, entsteht Erkenntnis.

(1770 bis 1831) Sein Ansatz: Gegensätze zeigen Wirkung und lösen sich auf. Das, „was ist“, ergibt sich aus dem Lauf der Geschichte.

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Fotos: Wikipedia, ullstein bild, Getty Images/DeAgostini, Corbis, picture alliance/dpa-Zentralbi, Dierks

Nicolas Dierks


Richtung, wie Nicolas Dierks anmerkt: „Mit den Romantikern und der Weimarer Klassik wurde die Philosophie in literarischer, poetischer oder musikalischer Form einem breiteren Publikum zugänglich – etwa durch Goethe oder Schiller, der ein großer Kant-Verehrer war, sowie Novalis, Hölderlin oder Wagner.“ Die Professionalisierung und Popularisierung der Philosophie haben sich aus seiner Sicht seit der Aufklärung gleichzeitig vollzogen. „Unseren heutigen Stand kann man deshalb zurecht als einen Gipfel der bisherigen Entwicklung betrachten.“ Die Philosophie kann Lösungsvorschläge für einen Zustand unterbreiten, in dem das Multiversum unserer globalen Kommunikation ins Stocken gerät und die Menschen stark verunsichert. Philosophen bereinigen mit der Klarheit ihrer Gedanken das Chaos des Alltags. So weit werden beim geistigen Großreinemachen die Fenster und Türen geöffnet, dass sogar Denker Zutritt bekommen, die für das europäische Geistesleben bisher eher irrelevant waren; besonders fernöstliche Denker wie Konfuzius erweitern nun den gedanklichen Horizont. Wie groß der Bedarf ist, zeigt sich in Veranstaltungen wie der bereits nach wenigen Jahren etablierten Phil.Cologne und anderen Festivals der Philosophie, in Fernsehdebatten zu weltumfassenden Themen mit philosophischer Beteiligung, in zahllosen populärwissenschaftlichen Büchern. Sie alle sind laut Nicolas Dierks Ausdruck eines großen Bedürfnisses nach ernsthafter Überlegung und Selbstreflexion.

(1844 bis 1900) Sein Ansatz: Der Mensch als Seil über dem Abgrund zwischen Tier und Übermensch ist etwas, das überwunden werden soll.

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„Gut ist daran, dass es heute eine große Bandbreite an Formaten gibt, die für unterschiedliche Menschen anregend sind“, sagt er im Gespräch über die neue Blüte der Philosophie. Immer noch hätten viele eine übergroße Ehrfurcht vor der Philosophie – „die sich natürlich bestätigt, wenn ein Laie versucht, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘ zu lesen.“ Doch Philosophie sei kein Wettkampf in abstraktem Denken. „Viel wichtiger sind die Einsichten, die man aus dem Denken tatsächlich zieht – sonst nützen einem alle Bücher nichts, die im Regal verstauben.“ Kulturwissenschaftler Dierks verweist in diesem Zusammenhang auf den ursprünglichen Gedanken, dass Philosophie aus dem Wunsch hervorgeht, das eigene Leben mit größerer Weisheit zu einem Besseren gestalten zu können. Das gelinge nur, wenn man seine Einsichten auch ernst nehme. Sein Fazit: „Solches Selbstdenken kann den Unterschied zwischen einem langweiligen Vortrag und einem echten philosophischen Erlebnis machen. Wir benötigen keine Lizenz zum Philosophieren, sondern nur Mut und vielleicht einen guten Gesprächspartner.“ Er findet hierbei beste Unterstützung bei Günter Gawlick, dem Herausgeber des „Bochumer Philosophischen Jahrbuchs für Antike und Mittelalter“. Der schreibt dort: „Wir müssen Studienanfängern deutlich sagen, dass Philosoph-Sein eher eine gewagte Lebensform als eine sichere Laufbahn ist.“ Diese Lebensform steht jedem Menschen offen, ganz gleich, welchen Werdegang er hat und welchen Beruf er ausübt. Die philosophischen Gedanken sind frei.

(*1964) Sein Ansatz: Die Kunst, kein Egoist zu sein. Warum wir gerne gut sein wollen und was uns davon abhält.

(*1973) Sein Ansatz: Lebt jeder in seiner Welt oder leben wir alle in derselben?

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Diener der Kunst Sie sorgen für eine „artgerechte“ Haltung, bauen für ihre Klienten Sammlungen auf und beraten sie mit höchster Expertise zu allen Fragen der Kunst. Zwei der renommiertesten deutschen Kunstberater gewähren einen Einblick in ihr Metier. :: Von Yorca Schmidt-Junker

Zeit nehmen: Der Sammler steht im Mittelpunkt der Kunstberatung von Gérard Goodrow.

Geschmack finden: Mon Muellerschoen führt ihre Klienten behutsam an „deren“ Kunst heran.

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Ein Blick in die Feuilletons reicht, um zu wissen: Der Kunstmarkt boomt. Die Zahl von prestige­trächtigen Kunstmessen, Biennalen und Gallery Weeks wächst stetig, Auktionshäuser wie Christie’s, Sotheby’s und Phillips fahren im Dauermodus Rekorderlöse ein. Dabei sind es nicht High-End-Künstler, die den Markt tragen. Tatsächlich werden über 90 Prozent der Umsätze im Kunstmarkt mit Werken im Mittelpreissegment bis 100 000 Euro erzielt, wobei den Sammlern wachsende Bedeutung zukommt. War es in vergangenen Jahrhunderten ein Privileg gewesen, Kunst zu sammeln, so demokratisierte sich das Kunstverständnis im 20. Jahrhundert. Die aktuelle Sammlergeneration reicht vom mittelständischen Unternehmer über den Arzt oder Rechtsanwalt bis zum jungen Kreativschaffenden. Ob aus Leidenschaft oder Renditegründen: Mit Kunst und den Befindlichkeiten des komplexen Kunstmarkts kennen sich die wenigsten aus, weshalb sie gerne auf die Dienste einer neuen Spezies von Sachverständigen bauen: die der Kunstberater. Zu den Pionierinnen auf diesem Gebiet gehört Mon Muellerschoen. Die Karriere der Münchnerin begann mit einer schicksalsträchtigen Begegnung. Ende der 1980er-Jahre, nach einem Studium der Kunstgeschichte und Archäologie, lernte die frischgebackene Uniabsolventin zufällig Hubert Burda kennen. Der Verleger – selbst ein promovierter Kunsthistoriker – schlug ihr vor, seine private Kunstsammlung zu sichten, um daraufhin eine Archivierung und Evaluierung vorzunehmen sowie mit ausgewählten Werken eine Firmensammlung aufzubauen. „Ich habe unbewusst eine Nische entdeckt und genutzt. Das Berufsbild des Art Consultant existierte bis dahin nur in den USA“, erzählt Muellerschoen, die mit

ihrer Consultingfirma seit 28 Jahren namhafte Privatsammler und die Corporate Collections großer Unternehmen betreut. Einen nicht minder erfolgreichen Weg ging Gérard Goodrow. Der gebürtige Amerikaner, ebenfalls Kunsthistoriker, hatte als leitender Angestellter beim Auktionshaus Christie’s sowie als Direktor der Kunstmesse Art Cologne gearbeitet. 2009 positionierte er sich als Art Consultant am freien Markt. Heute zählt der Wahlkölner zu den renommiertesten Beratern der Republik, kuratiert Ausstellungen und begleitet sowohl etablierte als auch junge Klienten beim Aufbau einer Sammlung. Goodrow: „Am Anfang geht es immer um den Sammler und die Frage, wie dieser tickt und was er will. Das zu eruieren, erfordert Zeit und Vertrauen. Also versucht man zuerst, eine nachhaltige Beziehung zum Klienten aufzubauen.“ Ein Ansatz, den Mon Muellerschoen teilt. „Das Wichtigste ist, sich Zeit zu nehmen und einen ehrlichen Dialog über den Weg und das Ziel zu entspinnen. Wozu natürlich auch das Budget gehört. Erst wenn ich das alles weiß, beginnt meine eigentliche Arbeit“, sagt sie. Die besteht darin, den Klienten an „seine“ Kunst heranzuführen – und ihn mithin auf relevante Ausstellungen, Galerien, Auktionen und Events aufmerksam zu machen, zu denen man ihn im Idealfall begleitet. Goodrow bezeichnet dieses Stadium gerne als „Sehschule“ für seine Klienten – an deren Ende sie dank seines geteilten Wissens und seiner Kontakte auf Augenhöhe mit ihm diskutieren können und so lernen, welches Kunstwerk für sie das richtige und passende sein könnte. „Der Sammler soll nicht kaufen, was ich gut finde, sondern was ihm gefällt. Schließlich muss er mit dieser Kunst l­ eben“, sagt Gérard Goodrow. Will der Sammler ein Werk

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Kunst als Glamour: Jeff Koons’ „Lips“, ein Mix aus hyperrealistischer Malerei und gestischen Zügen, zieht Besucher weltweit in Ausstellungen.

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Arken-Museum in Kopenhagen erhielt durch die MerlaKunst-Stiftung acht Arbeiten des Künst-

für den Aufbau oder die Fortführung seiner Sammlung kaufen, beginnt für den Kunst­berater die Phase der Vermittlung. Hier versucht er, bei Galeristen oder etwaigen anderen Verkäufern die besten Konditionen auszuhandeln.

lers Damien Hirst.

Kunst im Raum: Die Galerie Gavin Brown’s Enterprise aus New York präsentierte sich 2014 auf der Art Basel.

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Ungleich komplexer ist das Gebiet des Corporate Collectings. Hier geht es weniger um den persönlichen Geschmack eines Einzelnen als vielmehr um die Verwendung und den Nutzen einer Sammlung. Für den Berater bedeutet das, den sprichwörtlichen roten Faden zu finden. Woraus besteht die Sammlung? Passt sie zur Corporate Identity, zum Image des Unternehmens? Wofür wird sie genutzt? „Corporate Collecting geht weit über die Einrichtung von Foyers und Büros hinaus. Oft steckt kulturelles Engagement dahinter. Oder die organische Erweiterung der Unternehmensphilosophie“, erklärt Mon Muellerschoen. Somit spielt Kunst auch immer auf der Metaebene – es geht um ihre Wirkungsweise. Inwieweit kann sie Mitarbeiter motivieren und binden? Oder Kunden gewinnen? Ein weites Feld, das Art Consultants im Blick behalten müssen. Das weiß auch Christiane-Valerie Gerhold, Leiterin des DSV Kunstkontors im Deutschen Sparkassenverlag. Sie und ihre Mitarbeiter kümmern sich neben dem Art Consulting von Privatpersonen und Wirtschaftsunternehmen um die Kunstausstattung zahlreicher Sparkassen in Deutschland. „Diese Form des Corporate Collectings ist extrem vielschichtig, da wir für jedes Institut ein individuelles Konzept ausarbeiten müssen“, so Gerhold. Da spiele die Wirkung innerhalb der Architektur eine Rolle, ebenso regionale Charakteristika und persönliche Affinitäten der Vorstände und Mitarbeiter. Die Expertin verrät: „Der Dialog zwischen Kunst und Leben ist das Spannende an der Arbeit.“ Das DSV Kunstkontor hat sich auf Kunst am Bau und Auftragsarbeiten spezialisiert und kooperiert häufig mit Branchengrößen wie Katharina Grosse und ­Tobias Rehberger. Die R ­ ealisierung eigener Kunstpro-

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Fotos: Getty Images, Art Basel, Heidrun Hertel, Gabriele Croppi/SIME/Schapowalow, Rainer Petek, Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved/VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Kunst als Spende: Das

jekte markiert den Höhepunkt des Corporate Collectings. Auf der Agenda von Dienstleistern wie Goodrow, Gerhold und Muellerschoen stehen aber erst einmal Punkte wie die Neukonzipierung oder konzep­tionelle Weiterentwicklung von Firmensammlungen, der Verkauf von Dubletten und der Ankauf neuer Werke, die Provenienzforschung, adäquate Kunstversicherungen, Steuerrecht und individuelle Finanzierungskonzepte. Hier greifen die Art Consultants auf ihr Netzwerk an externen Spezialisten zurück, um eine maßgeschneiderte Betreuung zu garantieren. Auch wenn Mon Muellerschoen und Gérard Good­row beim Ankauf von Werken für ihre Klienten natürlich auf Wertbeständigkeit achten: Kunst als reines Asset oder Investment bewerten sie äußerst kritisch. „Aufgrund meiner jahrzehntelangen Erfahrung kann ich Marktwerte und Entwicklungen zwar gut einschätzen, aber ich bin kein Hellseher. Ein Kunstberater kann niemals garantieren, dass ein Wert stabil bleibt oder gar steigt“, erklärt Goodrow. Mon Muellerschoen geht da noch weiter und sagt: „Kunst als Aktie – dieses Modell gefällt mir definitiv nicht. Es ist ein Vabanquespiel, weil niemand vorhersagen kann, wohin der Markt und die Preise letztlich gehen.“ Dass der Markt im oberen Preissegment überhitzt ist, erschwert die Einschätzung. Genau deshalb braucht es versierte Spezialisten, um beim Ankauf eines vermeintlichen Spitzenwerks kein unnötiges Risiko einzugehen. „Warhol ist nicht gleich Warhol. Man muss genau wissen, aus welcher Serie und welcher Zeit ein Bild stammt, um es einordnen zu können“, erklärt Muellerschoen. Zudem spielt die Provenienz eine entscheidende Rolle. Bei Antiquitäten, alten Meistern und klassischer Moderne ist von großer Relevanz, woher die Werke stammen und in welchem Besitz sie zuvor waren. Schließlich will jeder Art Consultant vermeiden, dass ein vermitteltes Werk plötzlich Wiedergutmachungsansprüchen ausgeliefert ist. Oder sich gar als Fälschung entpuppt. Fernab der Klienten, die – ein Gesetz der Branche – immer geheim bleiben: Was raten Mon Muel­lerschoen und Gérard Goodrow kunstaffinen Menschen? „Mit den Augen kaufen, nicht mit den Ohren! Wenn Sie etwas sehen, was Sie intuitiv berührt, nachhaltig beschäftigt, he­ rausfordert oder sogar provoziert: Dann ist es das richtige Werk. Egal, was andere dazu sagen.“


Wie Sie das Ungewisse managen Eine Welt des permanenten Wandels verlangt von Unternehmern, Managern und Führungskräften aller Ebenen neue Kompetenzen: Führen im Ungewissen und Unerwartetes meistern. Viele überschätzen dabei das Ausmaß an Planbarkeit. :: Von Rainer Petek

Das klassische Vorgehen im Management folgt meist einem linearen Prozess: Man beginnt mit einer Analyse, es folgt eine Entscheidung, dann die Planung und danach die Umsetzung. Sind die Rahmenbedingungen stabil und können verlässliche Aussagen über die Entwicklung des Geschäfts getroffen werden, macht dies Sinn. Operiert ein Unternehmen jedoch in einem hochdynamischen, überraschungsreichen Markt, kommt dieser Ansatz schnell an seine Grenzen. Spannend ist es, dass viele Manager das Misslingen von Vorhaben unter komplexen Bedingungen meist reflexartig auf unvollständige Analysen oder eine mangelnde Planung eines Projekts zurückführen. Übersehen wird dabei, dass bei solchen Unternehmungen erst am Ende all jene Informationen vorliegen, die zu Beginn für eine vollständige Planung erforderlich gewesen wären. Die Vorstellung der Welt, komplexen Verhältnissen einen Plan aufzuzwingen, ist eine gefährliche Denkfalle. Wie man diese vermeidet, aber trotzdem planvoll und umsichtig vorgehen kann, zeigt ein Blick in die Welt des Extrembergsteigens. Kletterer einer Extremroute in einer schwierigen Nordwand agieren nicht planlos. Doch wissen erfahrene Bergsteiger, dass starre Pläne nicht zu einem Erfolg führen, ja sogar lebensgefährlich werden können. Deswegen stellen intelligente Kletterer ihren Plan auf einer Route immer wieder von Neuem auf den Prüfstand und passen ihn entsprechend an, wenn es erforderlich ist. Dabei ist es entscheidend, das Handeln nicht nur als entschlossene Umsetzung des

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Plans, sondern auch als Erkundung der tatsächlichen Gegebenheiten zu verstehen. Konkret: Es braucht die Bereitschaft, mit unvollständigen Informationen loszugehen und schrittweise Antworten auf offene Fragen am Weg zum Ziel zu finden. Diese Vorgehensweise bewährt sich auch im Management innovativer Vorhaben und kann systematisch in Unternehmen angewandt werden. Dabei dürfen allerdings keine unverantwortlichen Risiken eingegangen werden. Deshalb geht es darum, eine Hoch-Verlässlichkeits-Organisation aufzubauen. Deren Eckpfeiler sind zum einen eine Organisation von Könnern. Zum anderen sollte absolute Klarheit über die Grenze zwischen erlaubten und unerlaubten Risiken und Fehlern bestehen. Und schließlich braucht es eine kontinuierliche Reflexion zum Lernen und zur Überprüfung von Prioritäten.

Rainer Petek ist Extrembergsteiger und „Bergführer für Nordwände im Business“. Er hilft Unternehmen durch Umbruchphasen und strategische Veränderungsprozesse. Er ist Autor und ein gefragter Redner.

Für den nachhaltigen Erfolg am Markt reicht eine Hoch-Verlässlichkeit allein allerdings nicht aus. Der Wettbewerb erfordert immer neue Leistungsangebote und Innovation. So wie Kletterer ihre Grenzen nicht in gefährlichen Routen am Berg verschieben, sondern beim spielerischen Experimentieren in ungefährlichen Sportkletterrouten mit perfekter Absicherung, so sollten auch Unternehmen eine duale Struktur schaffen und parallel zur Hoch-Verlässlichkeits-Organisation ein Experimentier-System aufbauen. Die Aufgabe: günstig, schnell und zahlreich Prototypen für neue Leistungsangebote hervorbringen und rasch Feedback von potenziellen Kunden generieren. So kann ein Unternehmen schneller Innovationen auf den Markt bringen.

Mehr unter: www. rainerpetek.com

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Prickelnder Genuss Mehr als 300 Millionen Flaschen verkaufen Winzer jährlich, 1,5 Milliarden Bouteillen reifen in Kellern. Dennoch umhüllt den Schaumwein eine unvergleichliche Aura der Exklusivität.

Ganz gleich, wo auf der Welt gefeiert wird, Champagner ist fast immer dabei. Die Sieger bei Formel-1-Rennen bespritzen sich traditionsgemäß mit Mumm Cordon Rouge. James Bond genießt nach einer Aktion ein Gläschen Bollinger. Bei der Hochzeit von Prinz Carl Philip von Schweden und Sofia Hellqvist tranken Brautpaar und Gäste Pommery. Während sich die Rennfahrer mit dem Massenträger der Marke vergnügen, leistet sich der Geheimagent Seiner Majestät Feineres: Es muss der aktuelle JahrgangsChampagner des traditionsreichen Hauses sein – zuletzt in „Skyfall“ Bollinger La Grande Anée 2002. Der schwedische Adelsspross wählte nicht nur Pommery, sondern den doppelt so teuren Jahrgangs-Champagner Brut Millésimé Grand Cru Vintage 2005. Dennoch blieb er bescheiden. Die Prestige-Cuvée von Pommery – Les Clos Pompadour hätte ein Vielfaches davon gekostet. Die drei Beispiele zeigen die ganze Bandbreite des berühmtesten Schaumweines. Die Prestige-Cuvées gelten als Aushängeschilder der Champagner-Häuser an der Marne. Sie bilden die Spitze einer Vielfalt an Geschmacksnuancen und Qualitätsmerkmalen, die sich hinter dem Etikett Champagner verbirgt und sich oft nur Kennern erschließt. Von hellem Gelb mit grünen Farbreflexen bis zu markantem Goldgelb reicht das Spektrum. Gourmets erkennen die Qualität an der feinen und lang anhaltenden Perlage. Dass der Wein überhaupt sprudelt, verdanken die Winzer einem Zufall. Als statt Fässer für den Export der Weine verstärkt Flaschen benutzt wurden, kam es auf

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dem damals langen Weg zum Kunden zu einer zweiten Gärung. Vor allem den Engländern schmeckte das. So galten bereits im 17. Jahrhundert die aufsteigenden Kohlesäurebläschen, das Moussieren, als Markenzeichen – damals nicht ungefährlich. Viele Flaschen explodierten. Erst als die kontrollierte Gärung gelang und 1806 Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin mit ihrem deutschstämmigen Kellermeister Antoine Müller das Rütteln und Degorgieren – die Entfernung des Hefedepots aus dem Flaschenhals – etablierte, kam der Durchbruch des seitdem nicht mehr trüben Schaumweins. Gemeinsam sind den Champagnern von heute eigentlich nur die genau definierte Herkunft und die Mindestanforderungen an die Produktion des feinperlenden Getränks. Beides wird vom Comité Interprofessionnel du Vin de Champagne (CIVC) streng überwacht. Nur Schaumweine von Trauben aus der Appellation d’Origine Contrôlée (AOC) dürfen sich letztendlich Champagner nennen. Selbst der Begriff „Méthode champenoise“ ist für alle Schaumweine außerhalb der Region verboten. „Méthode traditionelle“ ist der übrigen Winzerwelt hingegen gestattet, um auf die Flaschengärung ihrer Gewächse hinzuweisen. Lediglich die drei Rebsorten Chardonnay, Pinot Noir und Meunier sind für die Produktion von Champagner erlaubt. Der Traubenertrag pro Hektar ist ebenso beschränkt wie der Pressertrag. Der Mindestalkohol wird jährlich definiert. Natürliche Verfahren bei der Weinerzeugung „Méthode champenoise“ und mindestens 15 Monate Reifezeit in der Flasche sind Vorschrift.

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Fotos: Alain CORNU, Getty Images

:: Von Andreas Hohenester


Gütesiegel: Die Erzeugung und Verarbeitung von Champagner unterliegt eigenen, sehr strengen Regeln – nicht zuletzt, um die Exklusivität sicherstellen zu können. Bei der Flaschengärung lagert sich die Hefe im Flaschenhals ab. Noch heute dienen die vielen Handgriffe einer hohen Qualität.

Die Unterschiede zwischen den besten und den guten oder nur durchschnittlichen Champagnern beruhen auf Sorte und Reife der Trauben, Verarbeitung sowie Bodenbeschaffenheit – eben jenen Terroirs, auf denen die Reben wachsen. Spitzenlagen sind ebenfalls auf dem Etikett als „Grand Cru“ oder „Premier Cru“ gekennzeichnet. Stammen die Trauben aus einem einzigen Weingarten, tragen sie die Bezeichnung „Clos“. Ebenso wichtig wie Herkunft und Qualität der Trauben ist die Kunst des Kombinierens verschiedener Lagen und Jahrgänge. Sie bringen den feinen Unterschied unverwechselbarer Cuvées hervor. Darin liegt die Stärke aufstrebender kleiner Winzer. Sie kennen die Beschaffenheit ihrer Weinberge und verstehen es, Trauben aus kalkhaltigen Gebieten mit der Essenz lehmiger Böden zu kombinieren. Die Beeren einzelner Lagen reifen nach der Ernte getrennt in Edelstahl- oder Holzfässern. Erst kurz vor dem Abfüllen führt man sie zusammen. Wie und in welchem Verhältnis die Assemblage gemischt wird, bleibt das Geheimnis der Winzer: Neben Klassikern wie dem Blanc de Blancs, der nur aus weißen Chardonnay-Trauben gekeltert wird, kultiviert man den Blanc de Noirs aus roten Beeren des Pinot Noirs oder Pinot Meunier sowie jede erdenkliche Mischung bis hin zum Rosé aus diesen drei Hauptsorten. Um schwächere Ernteperioden ausgleichen zu können, ruhen in den oft Kilometer langen Gewölben meist die Erträge dreier Jahrgänge. Sie garantieren eine gleichbleibende Qualität. Deshalb bringen Weinbauern

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weder lange Kälteperioden im Frühjahr noch späte Blüte im Juni aus der Ruhe. Handlese ist Ehrensache, Erntemaschinen sind verboten. Handrütteln gehört eher zu einer touristischen Übung. Selbst kleine Winzer verfügen über mechanische Rüttelpulte, die Flaschen gleichzeitig in die vertikale drehen bis sie senkrecht auf dem Kopf stehen und sich die Hefe im Flaschenhals abgesetzt hat. Der beim „Absprengen“ des zuvor gefrorenen Hefedepots entstandene Mengenverlust wird mit Traubensirup – der sogenannten Dosage – aufgefüllt. Dabei wird der Süßegrad festgelegt: extra brut, brut, extra sec, demi-sec und doux – von knochentrocken bis sehr süß. Die Dosage ist auf dem Etikett in Gramm Zucker angegeben. Im Marketing sind die Franzosen ihren internationalen Wettbewerbern weit voraus. Produzenten wie Pommery schaffen den Spagat zwischen dem Nobelgetränk in neun Liter fassenden Salmanazar-Bouteillen und preiswertem Pommery Pop in silbernen oder goldenen Piccolo-Flaschen. So schaffen es die Getränke nicht nur anlässlich prestigeträchtiger Events immer wieder in aller Munde. Am 4. Juli hatten die Produzenten an der Marne selbst Grund zum Feiern: „Coteaux, Maison et Caves de Champagne“ wurde als erste Weinlandschaft in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes aufgenommen. Das schafften am selben Tag auch die Hamburger Speicherstadt und das Kontorhausviertel mit Chilehaus. Das Gastgewerbe profitiert jeweils davon. Die Champagne sogar doppelt, denn ihr prickelnder Wein ist auch in der Hansestadt immer dabei.

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Pauken für den Hochsitz Die Jagd ist so alt wie die Menschheit und hat dennoch nicht an Reiz verloren. Der Weg zum Jagdschein ist jedoch herausfordernd. Nicht umsonst wird die Ausbildung auch als das „grüne Abitur“ bezeichnet. :: Von Melanie Schönrock

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Das 1000 Seiten umfassende Standardwerk der Jägerprüfung liegt auf dem Tisch. Ringsum an den Wänden reiht sich ein Sechsender an den anderen. Im Regal sieht man grüne Filzhüte und eine flauschige Kappe aus Waschbärenfell. Die Szenerie erinnert an eine Wildhütte im Wald, dabei findet die Lehrstunde im Leipziger Wohnviertel Gohlis statt. Eine kleine Gruppe von Jagdscheinanwärtern folgt interessiert den Erläuterungen von Amtstierärztin Katrin Zetzsche über die fachgerechte Entnahme einer Probe von Trichinen – winzigen Fadenwürmern mit parasitischer Lebensweise, die beim Verzehr von Tieren in den Menschen gelangen können. Das alles klingt kompliziert und ist an eine Reihe von Vorschriften geknüpft. Jagen bedeutet nicht nur, Wild zu beobachten und zu schießen. Spätestens bei der Anmeldung für einen Jagdscheinkurs wird das angehenden Jägern bewusst. Dabei erwerben immer mehr Bundesbürger einen Jagdschein und folgen damit dem Ruf der Natur. Der Deutsche Jagdverband (DJV) verzeichnet seit 1991 ohne Unterbrechung Zuwachs. Aktuell besitzen rund 370 000 Menschen in Deutschland einen Jagdschein. Das sind rund 16 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Vom 14-jährigen Schüler bis zum 82-jährigen Rentner – zur Jagdscheinprüfung treffen sich alle Generationen. Die Motive? Laut einer repräsentativen Umfrage des DJV geben über 85 Prozent der Befragten an, dass sie auf die Jagd gehen, weil sie gerne in der Natur seien. Auf Platz zwei und drei folgen mit 75 Prozent der angewandte Naturschutz und die Freude an der Jagd. Auch wenn die Jungjägerausbildung bundesweit nicht einheitlich geregelt ist, investieren alle Anwärter – je nach Kursangebot – bis zu sechs Monate, um sich in Theorie und Praxis in einer Prüfung zu beweisen. Dabei lernen sie viel über Wildhege, Jagdbetrieb, Wildschadensverhütung, Waffenrecht, Naturschutz und Landschaftspflege oder das Führen von Jagdhunden. Nicht umsonst wird die Ausbildung zum Jäger auch als „grünes Abitur“ bezeichnet. Neben einer schriftlichen und mündlichen Prüfung erfolgt eine Schießprüfung mit Büchse und Flinte. Und wie bei jedem Abitur gehört es auch zum Jagdschein, Vokabeln zu büffeln. Das weibliche Wildschwein ist die Bache, als Damwild bezeichnet man Hirsche mit weißen Flecken auf rötlich-braunem Fell, und unter dem Ansprechen versteht der Jäger die Bestimmung von Art, Alter, Gewicht und Rang der Wildtiere. Diese Grundlagen vermittelt beispielsweise Jagdschulleiter Oliver Rieckmann den Schülern in seinen Kursen. An den halbjährlich angebotenen Lehrgängen nehmen zehn bis zwölf Personen teil, damit die individuelle Betreuung gewährleistet ist. Die Teilnehmer treffen sich zweimal unter

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der Woche zum Theorieunterricht, an den Wochenenden gehen sie auf den Schießplatz. Ein Jagdkurs kostet rund 2000 Euro. Hinzu kommen Ausgaben im vierstelligen Bereich für das passende Equipment, also Bekleidung, Waffen, Munition und andere Utensilien. In der aktuellen Unterrichtsstunde lernen die angehenden Waidmänner und -frauen, dass sie stets auch die entsprechende Ausrüstung, etwa für die Entnahme von Trichinenproben, bei sich führen müssen. Dies ist zwingend notwendig, wenn etwa ein Wildschwein geschossen wird, das verzehrt werden soll. So muss das Veterinäramt die Proben auf Trichinen untersuchen, bevor das Tier verarbeitet werden darf. Zur Theorie zählen nicht nur Unterweisungen wie zu den Hygienevorschriften für Fleisch durch Amtstierärztin Zetzsche. Generell werden alle Fachgebiete – ob Waffenkunde oder Naturschutz – von der rechtlichen Seite beleuchtet. An der Jagdschule Leipzig übernimmt das ein spezialisierter Rechtsanwalt. Rieckmann ist wichtig, dass Fachreferenten einen hohen Ausbildungsstandard gewährleisten. Jagdschulleiter Oliver Rieckmann erinnert sich gut an seine eigene Zeit als Jungjäger. Vor fünf Jahren war er noch im Versandhandel tätig und kam über einen Freund zur Jagd. Mit dem Jagdschein eröffnete er das eigene Ladengeschäft für Jagdbedarf, und schließlich gründete er 2013 die Jagdschule Leipzig, die einzige im Stadtgebiet. Rieckmann: „Die Liebe zur Natur hat mich zur Jagd gebracht. Wenn man auf Ansitzjagd ist und seine Zeit auf dem Hochsitz verbringt, wird man ein Teil der Natur. Dabei sieht man Dinge, die dem normalen Waldspaziergänger verborgen bleiben.“ Die Beweggründe der Kursteilnehmer ähneln sich oft. Viele sind mit der Jagd in der Familie aufgewachsen. Neben einer Naturverbundenheit geht es einigen um den bewussten Umgang mit Fleisch. Sie wollen von der Gewinnung bis zum Verzehr dabei sein und gehen lieber selbst auf die Jagd, als industriell gefertigte Fleischwaren zu verzehren. Auch für Charlotte von Rieß spielte das eine wichtige Rolle. Die 32-Jährige arbeitet als Personalreferentin in einem großen Konzern und sucht gerne eine Auszeit in der Natur. Der finale Anstoß zum grünen Abitur kam aber durch ihren Ehemann, der ebenfalls Jäger ist. 2012 legte sie ihre Prüfung bei der Jägerschaft Göttingen ab und war damit bei Weitem nicht die einzige Frau. Charlotte von Rieß: „Göttingen ist eine Universitätsstadt, und so hatten wir eine 40-prozentige Frauenquote und viele Forst-, Geologie- oder Biologiestudenten im Kurs.“ Im Jagdschulklassenzimmer saß sie gemeinsam mit einem Professor, einem Metzger, einer Ärztin und einem Elektriker. So unterschiedlich die

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Ein altes Jägersprichwort besagt: „Jagd ohne Hund ist Schund“. Wer gern mit seinem Hund auf die Jagd gehen möchte, muss neben der eigenen Jagdprüfung auch in die Ausbildung des Vierbeiners investieren. Hier sind besonders die Zeit und das Engagement des Herrchens gefragt. Die aufwendige Ausbildung beginnt bestenfalls schon beim Züchter in der sogenannten Prägungsphase. Zu den Aufgaben des zukünftigen Hundeführers gehören die Grundausbildung des Hundes, etwa Leinenführung, Sitzen und Ablegen, sowie später das Apportieren oder Schleppen. Allerdings erfüllt nicht jede Hunderasse die geforderten Jagddisziplinen auf die gleiche Weise. Vorstehhunde gelten beispielsweise als ideale Jagdbegleiter, da sie vielfältig einsetzbar

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14-Ender-Trophäe: Rothirsche zeichnen sich durch weitverzweigte Geweihe aus.

Naturverbunden: Charlotte von Rieß kam über ihren Mann zur Jagd.

Lehrmeister: Oliver Rieckmann betreibt die einzige Jagdschule in Leipzig.

sind und deshalb auch als Vollgebrauchshunde bezeichnet werden. Die Eigenschaft des Vorstehens ist bei diesen Rassen sehr ausgeprägt und oftmals genetisch veranlagt. Hat der Hund Wild entdeckt, verharrt er in seiner Position, hebt einen der Vorderläufe angewinkelt in der Höhe und signalisiert dem Jäger so, dass er sich auf die Schussabgabe vorbereiten kann. Klassische Vorstehhunde sind Münsterländer, Deutsch Kurzhaar oder langhaarige Weimaraner. Bei der Brauchbarkeitsprüfung muss der Jagdhund dann seine Fähigkeiten vor und nach dem Schuss unter Beweis stellen, indem er etwa einen Hasen apportiert, eine Fährte aufnimmt und sich bei Schüssen ruhig verhält. Die Brauchbarkeitsprüfung ist in einigen Bundesländern gesetzlich vorgeschrieben, wenn der Hund bei Bewegungsjagden eingesetzt werden soll. Siewird von anerkannten Vereinigungen der Jäger abgenommen. Haben die Jungjäger eine Jagdhaftpflichtversicherung abgeschlossen, dürfen sie bei der zuständigen Behörde ihren Jagdschein abholen und auf die Pirsch gehen. Allerdings ist der Jagdschein zunächst nur drei Jahre gültig, bevor ihn das Amt verlängert. In einigen Bundesländern wie Berlin ist zudem ein Schießnachweis erforderlich. Neben dieser Sorgfaltspflicht sollten Jäger ihren anderen Pflichten als Waidmann nachkommen, etwa der Arterhaltung und dem Naturschutz. Denn was früher Bär, Wolf und Luchs übernahmen, muss heute von den Jägern reguliert werden. Neben der Eindämmung der Wildpopulation gilt es auch, die landwirtschaftlichen Anbauflächen vor Wildschäden zu schützen, damit die Ernte nicht beeinträchtigt wird. In Leipzig, wo Oliver Rieckmann seine Jagdschule und den Fachhandel betreibt, ist der Bedarf an Jägern hoch. „Der Jagdverband hat die Ausbildung eingestellt, und ich bin momentan der einzige Ausbilder – mit über 90-prozentiger Erfolgsquote“, fügt er stolz hinzu. An Interessenten mangelt es ihm nicht. Jagdschulleiter Rieckmann: „Die Stadtmenschen suchen einen Ausgleich zum Büroalltag und haben den Bezug zur Natur verloren. Bei der Jagd finden sie zu unseren Ursprüngen zurück.“ Dass der Weg zum Jagdschein über ein 1000 Seiten starkes Standardwerk geht, mag einige zunächst irritieren oder abschrecken. Doch ist es nicht schön, aus der Natur und für die Natur zu lernen?

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Fotos: Getty Images/iStockphoto/Antonio/Picture Press RM, Oliver Rieckmann, Charlotte von Rieß, by-studio/Fotolia

beruflichen Hintergründe auch sind, eines war bei allen gleich: der Respekt vor den Prüfungen zum grünen Abitur. Dafür müssen nicht nur Rechte, Tierarten und Wildkrankheiten gepaukt werden. Natürlich werden auch der Umgang mit den Waffen und die Kenntnis der Jagdzeiten vorausgesetzt. Viele Jäger fiebern auf den 1. Mai hin. Dann wird bundesweit die Bockjagd eröffnet. Im Juli und August schließt sich die Blattzeit an, bevor im Herbst die Gesellschaftsjagden starten. Für Jagdscheinanwärter lohnt sich die Teilnahme an Gesellschaftsjagden als Treiber. Dort lernen sie die Abläufe der Treibjagd kennen und können zugleich viel Wild erspähen. Ähnlich dem Schulabitur bestehen bei der Abschlussprüfung zum Jagdschein Unterschiede in den einzelnen Bundesländern. „Ich musste bei meiner Schießprüfung mit der Büchse auf Kipphasen schießen, das war die Flintendisziplin. Bei der Kugeldisziplin wird auf Tontauben oder eine Rehbockscheibe geschossen“, erläutert von Rieß. Ist der erste Teil geschafft, folgt die umfangreiche theoretische Prüfung mit Multiple-ChoiceFragen, die alle Themengebiete abdecken: von Naturschutz über Schonzeiten bis Gehörnbestimmung. Während der abschließenden praktischen Prüfung musste sie parallel immer wieder Fragen wie die folgenden beantworten: Wie müssen Sie Ihre Waffe sichern? Welche Jagdzeit ist gerade? Dürfen Sie einen Fuchs schießen? Die Prüfer versuchen damit, Druck auszuüben, und testen, ob man die nötige Ruhe bewahrt. Ist der letzte Teil überstanden, gilt man offiziell als Jungjäger.


Das Gedicht

Mit gelben Birnen hänget Und voll mit wilden Rosen Das Land in den See, Ihr holden Schwäne, Und trunken von Küssen Tunkt ihr das Haupt Ins heilignüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm ich, wenn Es Winter ist, die Blumen, und wo Den Sonnenschein, Und Schatten der Erde? Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen. Erschienen 1804

Friedrich Hölderlin :: Illustration: Lisa Rock

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Besonnen: Ökonom, Universalgelehrter und Berater Jeremy Rifkin im Gespräch.

Der Denker und Lenker Es gibt viele Top-Berater, die international anerkannt sind. Aber nur wenige überzeugen mit ihren visionären Ideen Politik und Wirtschaft. VENTURA traf den US-Bestsellerautor Jeremy Rifkin. :: Von Sebastian Moll

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Er hat keine Zeit zu vergeuden. Als Jeremy Rifkin erfährt, dass sein Besuch sich eine Viertelstunde verspätet, baut sein Assistent hastig und ad hoc eine Kamera im Washingtoner Büro auf, um eine kurze Werbebotschaft für Rifkins neues Buch zu drehen. Rifkin muss mit Minuten knausern, sonst wäre sein Pensum nicht zu schaffen. Dennoch wirkt er weder gedrängt, hektisch oder angespannt – er ist und wird gut organisiert. Der 70-jährige Universalgelehrte ist ein globales Unternehmen – ein Ein-Mann-Think-Tank in einem Büroviertel am Rand der US-Kapitale, inmitten von Regierungsbehörden und Lobbyfirmen. Sein Fachgebiet: die Zukunft der Welt. Rifkin berät die Europäische Kommission und die Bundesregierung, die chinesische und die französische Regierung sowie die Vereinten Nationen. Auch globale Konzerne heuern ihn an. Nebenbei schreibt er Kolumnen für den Londoner „Guardian“, das „Handelsblatt“ und für „El Pais“ aus Madrid. Wie er es schafft, auch noch Bestseller zu schreiben, weiß er selbst nicht. „Fragen Sie meine Frau“, witzelt er. Sein jüngster Verkaufserfolg ist eine 525-Seiten-Studie zur „Null-Grenzkosten-Gesellschaft.“ Sein erster universeller Rundumschlag hieß „Entropie“ und warnte, wie entdifferenzierende Kräfte unserer Gesellschaft nicht nur in der Biotechnologie, sondern auch in der Energieversorgung, Bildung, Landwirtschaft, im Gesundheitswesen und in der Politik wirken. Das Buch positionierte Rifkin als Umweltaktivisten und Propheten der Klima­katastrophe. Während er seine Hände wie zum Gebet auf den Tisch legt, schildert er, wie er die ersten großen Klimakonferenzen organisierte und nichtstaatliche Organisationen zusammenführte, um Strategien zur Verringerung von Klimagasen zu entwickeln. Rifkins Stolz zeigt sich in einem Lächeln – schließlich wurde er zum Gesicht einer intelligenten Umweltbewegung. Seine Kritik, betont er, war stets wissenschaftlich fundiert. Die Wirtschaft stellte für ihn nie ein Feindbild dar. Vielmehr bemühte er sich, sie für Lösungen zu gewinnen. Die Arbeit an Fragen des Klimaschutzes, der Bioethik und der Nachhaltigkeit aus multidisziplinärer Perspektive verstärkte Rifkins Neigung, sich mit den großen Zusammenhängen zu beschäftigen. So begann er Mitte der 1990er-Jahre jene, wie er selbst formuliert, „intellektuelle

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­Reise“, die ihn zu seiner Stellung als Prophet der neuen Weltordnung führte. 1995 veröffentlichte er den Titel „Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft.“ In ihm dachte er einen Trend zu Ende, zu dem er noch heute steht. Mit der rasanten Automatisierung der Produktion, proklamierte der Visionär, werde Arbeit im klassischen Sinn überflüssig. Indus­trie- und Dienstleistungsberufe und mit ihnen die Mittelschicht würden verschwinden, übrig bleibe die Kaste derer, die Informationstechnologien betreiben und beherrschen. Rifkin ist überzeugt, das spürt man. Er spricht von der Chance, freigewordene Energien in die Steigerung des Gemeinwohls umzuleiten, in den Wiederaufbau verfallender Innenstädte etwa, in U ­ mweltberufe, in soziale Dienste. Die Vorhersage des Endes der Arbeit enthielt bereits den Grundriss zum Gedankengebäude, das Rifkin in seinen beiden jüngsten Büchern baut. Er nennt es die „dritte industrielle Revolution“ und versäumt im Gespräch nicht, immer wieder zu betonen, dass UN und EU, Bundesregierung und chinesische Regierung sein Gedanken­konstrukt – die Ablösung einer globalen Wirtschaftsordnung innerhalb von 1000 Jahren – als realistisch einschätzen. Historisch, erklärt Rifkin, habe man die Ablösung einer globalen Wirtschaftsordnung durch eine neue immer daran erkannt, dass drei Dinge zusammenkamen: neue Kommunikationsformen, um wirtschaftliche Aktivitäten zu steuern, neue Energieformen, um wirtschaftliche Aktivitäten anzutreiben, und neue Transportformen. Wie im Übergang von der Gesellschaft der Jäger und Sammler zur Agrarwirtschaft und der ersten industriellen Revolution, sei heute genau diese Kombination wieder gegeben. So wie Telefon und Radio, die Dominanz von Erdöl als Energieform und das Automobil unsere vertikal integrierten globalen Großunternehmen ermöglicht hätten, schwärmt Rifkin mit einer befreienden öffnenden Bewegung, würde heute das, was er „das Internet der Dinge“ nennt, die Art und Weise revolutionieren, wie wir Güter und Dienstleistungen austauschen und unsere Grundbedürfnisse befriedigen. „Das Internet der Dinge“, sagt er, „hat längst die Kommunikation demokratisiert. Innerhalb einer Generation werden Logistik, Energie und anderes folgen.“

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Überzeugungsstark: Rifkins Gestik und Mimik spiegeln seine Authentizität, passen zu seinen Ideen und Argumenten.

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Immer mehr Dinge, glaubt Rifkin, werden am Computer entworfen und mit 3-D-Druckern ausgedruckt. Verbraucher erzeugen durch smarte Technologien zunehmend selbst Energie und führen diese einem „Energie-Internet“ zu, in dem Millionen kleiner Teilnehmer zusammen kommen, um die Energie, die sie produzieren und miteinander teilen, zu managen. Ähnlich wird es sich bei den Dienstleistungen verhalten: Verbraucher bieten überschüssige Ressourcen im Netz an und teilen diese mit anderen Verbrauchern. Wertschöpfung wird

gleichbedeutend mit Effizienzsteigerung – in der neuen Form der Wirtschaft geht es nicht um Profitmaximierung, sondern um die immer bessere Nutzung vorhandener Mittel. Rifkin nennt die neue Wirtschaftsform die „kollaborativen Commons“, die er schmunzelnd mit Aspekten der Feudalwirtschaft vergleicht. Im Feudalismus wurden Felder geteilt und gemeinsam bewirtschaftet. Auf diesen Modus der Gemeinwirtschaftlichkeit, so Rifkin, steuern wir heute wieder zu. Generell glaubt er, dass das„Internet der Dinge“ das Potenzial hat, alle unsere Probleme zu lösen: Soziale Ungleichheit, Energiebedarf, Klimawandel. Natürlich kennt Rifkin alle Einwände gegen seine Utopie und zieht etwas theatralisch die Schultern nach oben. Für ihn ist es ein Übergangsprozess, wenn das Internet bislang nicht zu mehr Demokratie führte, sondern zu mehr Monopol, zu Konzernen wie Google und Facebook mit mehr Macht als jeder traditionelle Konzern. Die Netzneutralität – da ist er sicher – wird kommen. Das Internet sei prinzipiell demokratisch und egalitär verfasst, die Masse werde sich irgendwann gegen die Macht der Wenigen durchsetzen. Ähnlich verhält es sich mit den Millionen von Menschen, die ihre Arbeit verlieren. Wenn sich die neue Wirtschaftsordnung etabliert hat, „geht die Ära der traditionellen Arbeitnehmerschaft zu Ende“. Die Grundversorgung jedes Weltbürgers werde dann ohnehin beinahe kostenlos und die Menschen würden mit gemeinnützigen Tätigkeiten sowohl Arbeit als auch Befriedigung finden. Oft haben Kritiker Rifkin als Scharlatan oder Pseudo-Wissenschaftler gescholten. Sitzt man ihm gegenüber, versteht man, warum sich die Regierungen um seinen Rat reißen. Rifkin leistet, was nur wenige überzeugend können: Er schlägt Bögen vom frühen Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert, er spricht ebenso kompetent über die Errichtung von Microgrids, kleinen Stromnetzen in Afrika, wie über die Energiewende in Deutschland oder die Monopolbildung im Silicon Valley. Es kann nerven, dass Rifkin auf alles eine Antwort hat. Auch wie er ein neues Zeitalter der Menschheit verkündet und im Detail beschreibt. Doch muss man ihm dankbar sein – unverfroren stellt er sich unserer Zukunft. Auch wenn er am Ende vielleicht nur zum Teil Recht behält.

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Fotos: Astrid Riecken, Sabine Soyka, Frank Kleinbach, Stuttgart

Die neuen Technologien, so führt er aus, seien aus dem natürlichen Bestreben des Kapitalismus entstanden, immer effizienter zu arbeiten. Das hat das System nun so perfektioniert, dass es sich selbst abschafft. Die Bereitstellung von Gütern, Dienstleistungen und Informationen sei so effizient, dass die Dinge nichts mehr kosten. Der Markt ist praktisch außer Kraft. Rifkin glaubt, dass das, was im Verlagswesen, in der Musik und der Filmbranche passierte, sich auf andere Sektoren ausweiten wird. Die Produkte werden kostenlos hergestellt und über das Internet ebenso kostenlos an den Endverbraucher gebracht.


Dame auf Seereise, 2013, Acryl, Mischtechnik / Leinwand, Größe: 100 x 80 cm (mit schwarzer Schattenfuge, 104 x 84 cm), Preis: 5.900 Euro

Exklusive Leseraktion. Kunst kann sich sowohl monetär als auch emotional rentieren und verbindet im Idealfall Sammelleidenschaft und Wertanlage. VENTURA präsentiert in seiner Kunstserie exklusiv ausgewählte Werke zu einem attraktiven Preis. :: Von Ralf Kustermann

Die Automatisierung und Digitalisierung bestimmen immer mehr unsere Zeit. Der Umgang mit Technik und Elektronik ist gelernt und alltäglich. Der Künstler Michael Mattern reflektiert in seinen Werken ganz bildhaft über diese Präsenz und nutzt seit über 25 Jahren Konstruktionsanleitungen von Maschinen als Grundlage für seine Kunst. Diese Pläne setzt er in ungewöhnliche und damit neue Zusammenhänge. Durch den flächigen Auftrag von Acrylfarbe und der von Mattern eingesetzten AirbrushTechnik entstehen makellose Oberflächen. Auf diesen fokussiert er das Innere der Gegenstände und macht Unsichtbares sichtbar. Mithilfe von Schablonen schafft Mattern eine Form perfekter Wiederholungen. Ein geschickt komponierter Farbverlauf produziert eine abstrakte, aber dennoch beinahe fühlbare Maschinenlandschaft.

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Der in Itzehoe lebende und arbeitende Künstler verleiht der Gestalt der Maschinen nicht nur eine Form, er macht die Schemata und Funktionslogiken von Maschinen bildwürdig. VENTURA-Leser können beim DSV Kunstkontor des Deutschen Sparkassenverlags Werke von Michael Mattern erwerben. Die Kunstexperten des Deutschen Sparkassenverlags arbeiten seit vielen Jahren mit mehr als 500 renommierten Künstlern zusammen und beantworten gerne Fragen zu Michael Mattern, zur VENTURA-Edition sowie zu anderen Künstlern und Kunst.

Weitere Informationen: www.dsvkunstkontor.de kunstkontor@dsv-gruppe.de Tel. +49 711 782-1566

Michael Mattern 1946 in Husum geboren Seit 1989 Arbeit an der Weiterentwicklung des Konstruktivismus Seit 2005 Mitglied im Bundesverband Bildender Künstler in Schleswig-Holstein 2010 Fortis Art Edition

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Schirm mit Charakter

Fox Umbrellas beschirmte einst John Steed.

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Britisch korrekt führte John Steed in der Erfolgsserie der 1960er-Jahre „Mit Schirm, Charme und Melone“ stets einen Regenschrim mit sich. Allerdings weniger um sich vor dem englischen Regen zu schützen. Der Vorzeige-Gentleman verteidigte sich mit ihm effektiv und doch auch elegant gegen Agenten und Ganoven. Und im Buch- und Filmklassiker Sherlock Holmes von Sir Arthur Conan Doyle taucht der Regenschirm wiederholt gut sichtbar als Accessoire neben der legendären Pfeife und Mütze auf. Auch wenn der moderne Sherlock in der gleichnamigen TV-Kultserie auf all diese Merkmale verzichtet, gibt es auch dort den klassischen Gentleman. So bestätigt Mycroft Holmes, Sherlocks älterer Bruder, der als Regierungsbeamter näher an der etablierten Gesellschaft lebt, die Liebhaber der Serien mit seinem Regenschirm. In sozialen Netzwerken rätseln und spekulieren Liebhaber der

Serie intensiv über die Herkunft und Beschaffenheit. Aber: „Es ist nur ein Regenschirm“, klärt Mark Gatiss, Sherlock-Co-Autor und MycroftDarsteller in einem Interview seine Fans auf und sagt: „Er kommt aus einem wunderschönen alten Shop in der New Oxford Street. Sie werben dort mit Dolch und Stockdegen, doch sie dürfen diese nicht mehr führen.“ Es gibt sie zumindest noch, die traditionsreichen Schirmmacher, die nach wie vor in Handarbeit und ganz individuell nach Maß fertigen. In Zeiten, in denen billige Massenware aus Fernost den Markt überschwemmt, trotzen sie mit einem Qualitätsanspruch, wie ihn nur noch echte Connaisseure zu schätzen wissen. Diese sind bereit, entsprechend tief dafür in die Geldbörse zu greifen. Sie honorieren Wertigkeit ebenso wie Stabilität des Stückes, das auch stärkere Windböen übersteht. Bereits der satte Klang beim Aufspannen des Regenschutzes ist Musik in den Ohren der Kenner. Er unterscheidet sich vom Billigprodukt wie das Geräusch beim Einklinken der Tür eines Rolls-Royce vom Fließbandauto.

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Regenschutz gilt als Massenware. Wer es qualitativ ansprechend und stilvoll mag, findet noch immer handwerkliche Schirmunikate. :: Von Willy Lövenich

Fotos: ullstein bild/Jochen Harder, Yufei Yu, James Smith & Sons, FOX Umbrellas

Den Wegwerf-Artikeln für nicht einmal 5 Euro bieten in Europa nur noch wenige Handwerker Paroli, die Schirme für die Ewigkeit produzieren. Ursprünglich nur als Sonnenschutz für Damen genutzt und in China schon seit Jahrtausenden bekannt, wurde der Schirm in Europa erst um 1750 für Herren tragbar. Der englische Geschäftsmann Jonas Hanway galt als Trendsetter. Die historischen Gestelle aus Holz und Fischbein ähnelten zwar den heutigen Exemplaren, wogen aber mit zirka fünf Kilogramm ein Vielfaches. Tatsächlich war es im 19. Jahrhundert auch nicht unüblich, eine Waffe als Schirm zu tarnen. Beispielsweise besaß Waterloo-Sieger General Wellington ein Modell aus Wachsleinwand, in dessen Griff sich ein Degen versteckte. Aber historische Sammlungen zeigen auch entsprechend kuriose Exemplare, die mit den Waffen der Frauen ausgerüstet sind: Im Stab eines Schirmes aus dem Jahr 1900 verbirgt sich etwa eine Puderquaste zum Schminken. James Smith & Sons Umbrella Ltd. in der New Oxford Street ist auch ohne Waffen eine Attraktion und wahre Fundgrube für Fans des Echten, Wahren, Guten. Der traditionsreiche Laden birgt ein anachronistisch scheinendes Sammelsurium allein von Griffen in Form von Hunden, Katzen, Pferden oder Enten. Relikte aus viktorianischer Zeit, die auch heute noch ihre Liebhaber finden. Die Auswahl an „Solid Stick Umbrellas“, also aus einem Stück gearbeitetem Stock samt Knauf, umfasst mehr als 20 Holzvariationen von Ahorn über Kastanie bis Kirsche oder Olive, auf Hochglanz poliert oder nur leicht geglättet. Das berühmte Modell, das Patrick Macnee alias John Steed in „Mit Schirm, Charme und Melone“ als unverzichtbares Utensil mit sich führte, stammt allerdings aus der Manufaktur Fox Umbrellas Ltd. in Shirley unweit von London. Die Gründung der Marke geht ebenfalls auf

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die viktorianische Zeit zurück. Zu den prominentesten Fox-Kunden zählen auch heute noch Royals aus England und Japan. Für Modelle mit Griff aus Sterling Silber geben Liebhaber bis zu 1770 Euro aus. Mit Stolz sagt Managing Director Ray Garrett: „Um den hohen Qualitätsstandard unserer Kunden zu erfüllen, verlassen wir uns mehr auf das Geschick unserer Handwerker als auf Maschinen. Die Liebe zum Detail ist noch immer ein Gütesiegel von Fox Umbrellas.“ So denkt auch Michel Heurtault. Der Franzose gilt als einer der letzten namhaften Schirmmacher auf dem Kontinent. Jedes seiner Modelle ist ein Unikat. Sein Atelier mit Boutique residiert an der Avenue Daumesnil 85 in den Viaduktbögen des 12. Pariser Arrondissements. Die Preise starten bei stolzen 250 Euro für einen Damenschirm. Der ist aber auch aus Seide und besitzt einen lederumhüllten Griff. Herrenmodelle sind ab 500 Euro wohlfeil – ebenfalls aus Seidengewebe. In Deutschland hat sich die Zunft der Schirmmacher in den vergangenen Jahren auf weniger als ein Dutzend reduziert. Nachwuchs ist nicht in Sicht. Seit 2008 ist Schirmmacher kein Lehrberuf mehr. Schirm Oertel oder Schirm Finger in Bremen sowie Schirm Schüffler in Essen sind einige der wenigen Namen, die dem Ansturm der Billigware aus Fernost mit eigener Handarbeit noch die Stirn bieten. Den Preisen nach oben sind je nach individuellen Wünschen nach edlen Materialien kaum Grenzen gesetzt. Ganz gleich, ob englischer, französischer oder deutscher Provenienz, alle Regenschirme haben eines gemeinsam: Ein solch wertvolles Stück lässt sicher keiner i rgendw o u nachtsam liegen.

Traditionshaus: James Smith & Sons in London ist ein Relikt aus der viktorianischen Zeit (Bilder links).

Mustergültig: Der britische Schirmträger Patrick Macnee als John Steed.


Die Pracht Britanniens Es gibt keinen besseren Weg, die Schönheit englischer Landschaften zu entdecken als auf einer Tour über die Insel mit dem Auto. Südengland, Cornwall und Yorkshire gehören zu den beliebtesten Zielen.

Wer zu vorgerückter Stunde beobachtet, wie das berühmte Pier des Seebads Brighton in der Dunkelheit des Abends langsam versinkt, spürt den ganzen Zauber Südenglands in einem einzigen bleibenden Moment. Und weiß, warum so viele Touristen vom Kontinent mit der Fähre übersetzen und Orte wie diesen lieben. Die meisten Urlauber kommen im Hafen der südenglischen Stadt Dover an. Hunderte Lastwagen, Autos und Wohnmobile rollen dabei aus dem Bauch des riesigen Schiffes der Reederei P&O. Langsam bewegen sie sich über das enge Hafengelände vorwärts, vorbei an Kontrollhäuschen, neben denen britische Grenzbeamte mit Hunden Wache halten. Vor dem ersten großen Kreisverkehr nach der Hafenausfahrt stockt der Verkehr, bevor er sich auf der Schnellstraße Richtung London auflöst – Autofahrer vom Kontinent müssen sich an den Linksverkehr gewöhnen. Wollen die Reisenden Hektik und Lärm rasch hinter sich lassen, nehmen sie eine der ersten Ausfahrten. Vor dem nächsten Kreisverkehr steht noch ein Schild mit dem Hinweis „Drive on the left“. Dahinter beginnt dann eine Landschaft wie aus einem England-Fotobuch. Ein schmales Sträßchen windet sich durch die Grafschaft Kent, vorbei an grünen Wiesen, wogenden Weizenfel-

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dern und verwunschenen Häuschen mit prächtigen Hortensien im Vorgarten. Links geht es steil hinab zum Meer. Autofahrer halten immer wieder an, steigen aus dem Wagen und blicken vom Rande der Klippen weit hinaus auf den Englischen Kanal, wo sich das Wasser leicht kräuselt und unzählige Boote und Schiffe zu sehen sind. Wer nur ein paar Meilen Richtung Westen gekommen ist, versteht, warum Engländer gern mit dem Auto übers Land fahren. Es gibt keinen besseren Weg, um Land und Leute kennenzulernen als auf einer Autotour über die Insel. Spielt das Wetter mit, gleicht die Landschaft einem Rosamunde-Pilcher-Film. Hügeliges Ackerland wechselt sich mit Wäldern und beschaulichen Dörfern ab. Mit etwas Glück können Reisende in der Ferne die Zinnen einer Burg entdecken. Wer eine Pause benötigt, kehrt in einen der vielen urigen DorfPubs ein und stärkt sich mit einem Pie – Gerichte, bei denen süße und salzige Zutaten unter einer Teigdecke geschmort oder gebacken werden. Dazu eventuell ein Pint – dieses entspricht 0,5683 Litern – Lagerbier. Und gegen Abend findet sich immer ein außergewöhnliches Hotel in der Nähe, sei es in einem alten Herrenhaus inmitten eines prachtvollen Parks oder an der Promenade eines der zahlreichen englischen Seebäder.

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Foto: EyeUbiquitous/fotofinder.com

:: Von Christoph Hus


Stimmig: Brighton

Um nicht ziellos draufloszufahren oder ständig auf eine Karte schauen zu müssen, bedienen sich Besucher eines einfachen Tricks: Das Ziel ins Navigationsgerät eingeben und in den Einstellungen statt „Schnellste Route“ die Option „Kürzeste Route“ auswählen. So leitet die Technik den Fahrer nicht über die Autobahnen und Schnellstraßen innerhalb kürzester Zeit zum Ziel, sondern entlang der Luftlinie. Dabei geht es häufig über einsame Landstraßen und kreuz und quer durch Dörfer. Dadurch benötigt man zwar doppelt oder dreimal so lange wie über Autobahn, doch die Fahrt ist um ein Vielfaches schöner und geruhsamer. Und auf diese Weise können Touristen eine Seite von England entdecken, die sonst nur Einheimische kennen und verborgen bleibt. Sind Urlauber vom Kontinent am Vormittag mit der Fähre angekommen, können sie problemlos eine Tagesreise ins Seebad Brighton in der südenglischen Grafschaft Sussex unternehmen. Auf dem Weg dorthin liegen nicht nur viele beschauliche Dörfer mit schmucken Kirchen, sondern auch eine Reihe sehenswerter Städte. Darunter die Hafenstadt Rye mit ihren mittelalterlichen Häusern sowie die Fischereistädte Hastings und Bexhill, wo viele Durchreisende

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an den Uferpromenaden Halt machen, um „Fish & Chips“ zu essen. Für einen Zwischenstopp zum Nachmittagstee bietet sich das Hotel Cavendish in Eastbourne an, wo man – very british – auch am Nachmittag Wert auf gediegene Kleidung legt. Nach einem kurzen Spaziergang zum Musikpavillon am Strand, wo an Sommernachmittagen Orchester und Bands spielen, kann man die letzte Etappe des Tages ins nahe gelegene Brighton in Angriff nehmen. Wer dort im altehrwürdigen Hotel The Grand direkt an der Uferpromenade übernachten will, sollte zuvor ein Zimmer reservieren – am besten mit Blick auf das Meer und der eingangs erwähnte berühmte Pier. Viele Zimmer verfügen über Balkone, von denen sich die Stimmung bestens beobachten lässt. Ausgeschlafen und nach einem Frühstück im prachtvollen Speisesaal des Nobelhotels können Autofahrer weiter Richtung Westen aufbrechen. Sie reisen zunächst entlang der Küste, dann ins Landesinnere. Nach etwa einer Stunde Fahrt durch Sussex gelangt man in den Ort Arundel, über dem das stolze Arundel Castle thront. Der Anblick vom Auto aus ist bereits atemberaubend. Wer alten Gemäuern etwas abgewinnen kann, legt eine kurze Pause ein, klettert auf die Zinnen der Mauern und bestaunt den riesigen Ban-

in der Grafschaft Sussex ist ein beliebtes Ausflugsziel in Südengland – auch wegen seines wunderschönen Piers.

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Auf der Halbinsel Cornwall in SüdwestEngland befindet sich mit Glendurgan Garden ein grünes Kleinod, eine Gartenanlage mit subtropischem Bewuchs (oben links); in Cornwall stehen ganz klassische Wegweiser, wie etwa nach Saint Just an der Irischen See (Mitte); eine besonders fantastische Attraktion ist die Gezeiteninsel St. Michael’s Mount, die bei Flut komplett vom Wasser umspült wird (unten links).

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Landschaft der Halbinsel entschädigt Autofahrer für die lange Anreise. Neuankömmlinge sollten zuerst den Küstenort Newquay ansteuern, der wegen der guten Windverhältnisse das ganze Jahr über viele Surfer anzieht. Von dort aus führt eine Route durch unberührte Natur weiter Richtung Westen, entlang der St. Agnes Heritage Coast mit ihren rauen Steilküsten. Nach etwa 30 Meilen gelangen Autofahrer in den Ort St. Ives, wo Cornwall-Neulingen auch eine Übernachtung zu empfehlen ist. Das Städtchen, in dem viele Künstler leben, ist für lange Sandstrände und glasklares Wasser bekannt – im Sommer zählt ein Sprung ins Wasser für die Besucher zum Muss. Den Abend können erschöpfte Urlauber auf der Terrasse des Hotels Blue Hayes ausklingen lassen und die Aussicht und Ruhe genießen. Am nächsten Morgen geht die Fahrt weiter in den an der Südküste gelegenen Badeort Penzance. Von dort aus können Autoreisende an der Südküste Cornwalls entlang Richtung Osten zurücksteuern. Für eine Urlaubsfahrt durch England empSo schön die Grafschaften Kent, Sussex und Hampshire südlich von London sind: Eines der fiehlt sich ein bequemes Auto. Besonders schön beliebtesten Fleckchen Englands befindet sich sind Touren durch die Bilderbuchlandschaften weiter im Westen, darüber sind sich Engländer mit einem Cabrio, weil das Naturerlebnis so noch und Touristen einig. Fünf Autostunden westlich intensiver ist als in einem geschlossenen Wagen. der Hauptstadt liegt Cornwall. Die wunderschöne­ Wer das England-Feeling auf die Spitze treiben kettsaal der Burg, in welchem der Duke of Norfolk mit seiner Familie wohnt. Von Arundel aus geht die Fahrt weiter nach Westen in Richtung der ­Orte Chichester, Southampton und Salisbury. Vor dem Linksverkehr auf der Insel müssen sich Ausländer übrigens nicht fürchten. Gefährlich kann es allerdings werden, wenn man auf einer einsamen Straße lange keinen Gegenverkehr hatte und das Linksfahren einfach vergisst. Kommt dann plötzlich ein entgegenkommender Wagen in Sicht, kann es brenzlig werden. Um solche Situationen zu vermeiden, hilft es, einen Pfeil von innen an die Windschutzscheibe zu kleben, der nach links zeigt. In England gelten ähnliche Tempolimits wie in Deutschland. Beim Hupen bedarf es mehr Aufmerksamkeit: So dürfen Autofahrer nicht hupen, während das Auto steht. Innerhalb von Ortschaften ist es zwischen 23.30 und 7 Uhr grundsätzlich verboten, damit die Nachtruhe der Einwohner nicht gestört wird.

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Fotos: Biosphoto/H. Curtis/Droit, smartin69/Fotolia, Getty Images, INTERFOTO, Robin Whalley/Loop Images/laif, Photoshot

Beeindruckend:


Facettenreich: Selbst

will, kann sich auf der Insel ein Luxusauto eines britischen Herstellers mieten. Spezialisierte Autovermieter haben Wagen von Bentley, Aston Martin und Rolls-Royce im Programm. Für so viel Extravaganz müssen Mieter allerdings tief in die Tasche greifen – Preislisten gibt es zumeist nicht, Interessierte fragen per Telefon oder E-Mail an. Grundsätzlich gilt bei Mietwagen mit Rechtssteuerung: Die größte Herausforderung für Fahrer vom Kontinent ist das Schalten mit der linken Hand. Wer das nicht lernen will, sollte sich für einen Wagen mit Automatikgetriebe entscheiden. So kann man sich zudem besser darauf konzentrieren, im Linksverkehr keine Fehler zu machen. Haben Autofahrer vom Kontinent den Süden Englands erkundet und wollen noch mehr vom Land kennenlernen, sollten sie eine Tour in den Norden ins Auge fassen. Über die Autobahn M1 gelangt man von London innerhalb von viereinhalb Stunden nach Leeds, der größten Stadt der Grafschaft Yorkshire. In Leeds wechseln Fahrer, die auf der Suche nach Entspannung sind, am besten auf Landstraßen, um die Tour Richtung York fortzusetzen. Während man durch Örtchen wie Ulleskelf kurvt, wird klar, warum Yorkshire zu den grünsten Gegenden Englands zählt und

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die Einwohner ihr den Namen „God’s Own Country“ gaben. Wer hier am Wochenende unterwegs ist, sollte am Nachmittag in einen der vielen Pubs einkehren und sich einen Sonntagsbraten mit einem traditionellen Yorkshire Pudding bestellen. So gestärkt, ist die Fahrt nach York dann keine Mühe mehr. Nach einem kurzen Stopp an der berühmten Kathedrale empfiehlt sich für Urlauber eine Übernachtung im Hotel du Vin, einem Geheimtipp im Zentrum Yorks, wo man bei einem gediegenen Abendessen beratschlagen kann, wie die Tour am folgenden Tag weitergehen soll. Wer mit dem Auto in Yorkshire ist, sollte unbedingt auch eine ausgedehnte Fahrt durch die berühmten Yorkshire Dales machen. In den ausgedehnten Tälern findet man verwunschene Landschaften, eingerahmt von Hügeln, durchzogen von kleinen Mauern, Flüssen und Bächen. Doch die Dales nur mit dem Auto zu erkunden, wäre kein guter Rat. In kaum einer Gegend Englands ist es so wichtig wie hier, das Auto abzustellen und sich zu einem langen Fußmarsch aufzumachen. Die Ruhe und Zufriedenheit, die man hier findet, bleibt lange erhalten. Selbst dann noch, wenn man wieder im Auto sitzt und schon Hunderte Kilometer von Grassington entfernt auf dem Weg nach Hause ist.

Neptun im Studley Royal Water Garden wartet in North Yorkshire auf Reisende (Mitte links) – neben York finden sich beschauliche Orte wie die Kleinstadt Whitby (unten Mitte) und viel unberührte Natur in den Yorkshire Dales; die Kreidefelsen von Dover begrüßen Urlauber in der Grafschaft Kent (oben rechts), Leeds Castle gilt als das entzückendste Schloss der Welt (unten rechts).

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Gewinnbringend lehren Eliteschulen wie Harvard besitzen einen exzellenten Ruf. Spenden sicherten lange ihre Finanzierung. Wie sie sich nun für die Zukunft rüsten und was private Hochschulen in Deutschland lernen können. :: Von Claus Bierschneider

Grundprinzip: Die Harvard ­University lebt, lehrt und forscht ganz im Dienste und Sinne der Wahrheit.

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Wenn Stephen Schwarzman in Geberlaune ist, dann lässt der Private-Equity-Tycoon sich nicht lumpen. So stellte er im Frühjahr dieses Jahres seiner Alma Mater Yale einen Scheck über 150 Millionen US-Dollar aus. Die Universität, meinte Schwarzman, könne einen neuen Konzertsaal gebrauchen, der alte sei zu klein geworden und überhaupt nicht der richtige Rahmen für Kammerkonzerte der Extraklasse an einer der renommiertesten Universitäten der Welt. Die Spende von Schwarzman war großzügig, im Vergleich zu anderen Zuwendungen erfolgreicher Geschäftsleute an ihre ehemaligen Hochschulen jedoch nicht einmal exorbitant. So gab erst im vergangenen Jahr der Medienunternehmer und ehemalige Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, 350 Millionen US-Dollar an die Johns-Hopkins-Universität. Bei einer Spendensammelaktion unter Alumni der HarvardUniversität kamen jüngst rund 6 Milliarden USDollar zusammen. Sie gingen in den Stiftungstopf von Harvard, der 32 Milliarden US-Dollar umfasst und 2013 rund 12 Prozent Zinsen abwarf oder rund 3,84 Milliarden US-Dollar. Zu den jährlichen Einnahmen kommen die je rund 45 000 US-Dollar Studiengebühr der etwa 21 000 Studenten. Für das Studienjahr 2015/2016 rechnet Harvard mit 40 000 Bewerbungen für die 2000 Studienplätze. Aus deutscher Sicht sind das paradiesische Zustände. Erst im vergangenen Jahr musste die Humboldt-Viadrina School of Governance in Frankfurt an der Oder Insolvenz anmelden. Die European School of Management and Technology in Berlin, einst als Harvard an der Spree gepriesen, hat einen Jahresetat von 27 Millionen Euro bei 32 Professoren und 233 Studenten. Ihr

Direktor Jörg Rocholl gibt trotz des vergleichsweise bescheidenen Rahmens zu, „dass die Finanzierung einer privaten Hochschule schwierig ist“. Die ursprünglichen ehrgeizigen Ziele der 2002 mit Zuwendungen aus der deutschen Industrie gegründeten Hochschule mussten über die Jahre deutlich zurückgefahren werden. Angesichts der Finanzierungsprobleme deutscher Privatuniversitäten ist die Versuchung groß, bei der Suche nach Lösungen und Modellen über den Atlantik zu schauen. Dass der Blick in das vermeintliche Gelobte Land der privaten Eliteausbildung übertragbare Modelle zutage fördert, ist trotz der dicken Finanzpolster von Harvard und Yale jedoch eher zweifelhaft. Spätestens seit der Finanzkrise von 2008 kämpfen auch die so hoch angesehenen US-Spitzenlehranstalten um ihre finanzielle Balance. Das erhebliche Schrumpfen der Stiftungsvermögen, die sich noch immer nicht erholt haben, und die Kürzungen öffentlicher Zuwendungen bereiten den kaufmännischen Geschäftsführern aller Eliteuniversitäten seit Jahren gehörige Kopfschmerzen. Von einer Krise amerikanischer Hochschulen wird in der Öffentlichkeit gesprochen, speziell auch der teuren Privatuniversitäten. So bezeichnet der Investor und Finanzkommentator Jim Rogers in seinem jüngsten Buch das amerikanische Bildungswesen „als die größte Blase unserer Zeit“. Die derzeitige Kostenstruktur der amerikanischen Eliteuniversitäten sei nicht haltbar. Die Ausgaben der Eliteschulen sind trotz der Kürzungen nach 2008 derart schwindelerregend, dass Präsident Obama selbst jüngst drohte, die Zuwendungen und Steuervorteile noch

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Umdenken: Noch zieht es Studenten in die Leses채le von Harvard. Die Digitalisierung der Bildung sorgt f체r Wandel.

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Seit Generationen werden Absolventen der US-Eliteschulen feierlich in einem traditionellen Rahmen verabschiedet.

Schatzsammlung: Die Bibliothek der Yale University in New Haven beeindruckt durch ihr Ambiente der alten Gemäuer und die dort archivierten Bücher und Kataloge.

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weiter zurückzufahren, wenn die Hochschulen ihre Kosten nicht in den Griff bekämen. So sind die Gebühren privater Universitäten in den vergangenen zehn Jahren real um 28 Prozent gestiegen. Die Kosten einer Hochschulausbildung sind heute viermal so hoch wie vor 25 Jahren. Das Schlimmste an der Kostenexplosion, so Präsident Obama und viele andere Kritiker, sei jedoch, dass die Gelder meist nicht der Qualität der Ausbildung zugutekommen. Kevin Carey, Direktor des Bildungspolitikprogramms der privaten Forschungsstiftung New America Foundation: „Die Spitzenhochschulen befinden sich in einem Prestige- und Statuswettbewerb untereinander.“ Dementsprechend fließen die Mittel vorwiegend in Dinge, die das Renommee fördern. Dazu gehören Musiksäle und Sportanlagen. Diese Dynamik hat negative Auswirkungen. Wegen des enormen Kostendrucks bevorzugen die Universitäten zunehmend Studenten, die ihre Studiengebühr vollständig selbst bezahlen können. Stipendien für begabte Studenten aus einfachen Verhältnissen werden immer seltener. „Die Hochschulen können sich diese Studenten nicht mehr leisten, wenn sie nicht grundlegend ihre Kostenstruktur ändern“, so Rogers. Anstatt soziale Ungleichheit zu verringern, vergrößert das voll privatisierte Bildungswesen sie. Auch gut situierte Familien können die hohen Gebüh-

ren für Bildung immer schwieriger tragen. Allein ein vierjähriges College kostet pro Student an einer guten Hochschule inklusive Kost und Logis eine viertel Million US-Dollar. Für einen weiterführenden Abschluss kommen noch einmal mehr als 100 000 US-Dollar hinzu. Allerdings sind die Berufsaussichten für Studienabgänger noch immer deutlich besser als für Berufstätige ohne Diplom. Das Einkommensniveau ist ebenfalls weitaus höher, auch wenn seit der Krise von 2008 ein Bachelor keine Jobgarantie mehr bietet. Deutsche Privatuniversitäten sollten also nicht zu sehr auf die USA schauen, wenn sie nach einem tragbaren Geschäftsmodell suchen. Auch das amerikanische Modell wackelt – und das trotz riesiger Stiftungsvermögen, die über Jahrzehnte angehäuft wurden, und trotz der kulturell tief verankerten Spendermentalität der Ehemaligen. Interessanter als der existierende Betrieb von Harvard, Yale & Co. sind indes die Zukunftspläne dieser Hochschulen. Längst expandieren die Universitäten nach Europa, Nah- und Fernost; die Bildungsbranche ist Teil der Globalisierung. So gibt es in Katar eine Education City, in der die US-Universitäten Georgetown, Northwestern, Cornell und Texas A & M jeweils Dependancen betreiben. Die New York University baut gerade einen Campus in Abu Dhabi, und Yale unterhält eine Kooperation mit chinesischen Universitäten, kräftig gefördert durch die chinesische Regierung. „Die Chinesen stellen Spitzeneinrichtungen und Techniker zur Verfügung, Yale bringt erstklassige Forscher. Alle gewinnen“, meint Ben Wildavsky in seinem Buch „The Great Brain Race“, in dem er über die globalen Universitäten der Zukunft schreibt. Wildavsky glaubt, dass das traditionelle Universitätsmodell mit zentralem Campus ausgedient habe. Die Zukunft werde aus internationalen Bildungs- und Forschungsnetzwerken bestehen, mit realem physischen sowie virtuellem Austausch. In diesen Netzwerken ihren Platz zu finden, ist die große Chance für private Hochschulen aus Deutschland. Um das Harvard der Gegenwart und der Vergangenheit nachzuahmen, ist es zu spät, denn das Modell der Elitebildung ist längst auch in seinem Mutterland brüchig geworden. Das haben die Entscheider dort erkannt. Bildung benötigt neue Wege, um zukünftig Gewinn zu bringen.

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Fotos: Scott Stulberg/Lee Snider/Photo Images/Jeff Sedlik/Corbis, Zoonar.com/Jannis Werner, 8680/GAMMA/laif, Johner RF/Brand X/Science Photo Library RF/Getty Images

Abschlussehre:


Die wunderbare Welt der FARBEN Blau steht für Sehnsucht und Ferne. Alles Leben entstammt dem Blau. Die Farbe wirkt friedlich, drückt aber auch Melancholie aus. :: Von Antje Schmitz

Wer im sonnig bestrahlten Eis und Schnee die blauen Schatten sieht, versteht, warum die Farbe auf uns kalt wirkt. Zugleich lösen das Blau des Himmels und seine Spiegelung im weiten Wasser Harmonie, Sympathie und Zufriedenheit aus – Blau beruhigt und stimmt uns friedlich. Blau ist die Farbe des Himmels. In der römischkatholischen Farbenlehre ist sie fest der Muttergottes zugeordnet. Diese wird auf Gemälden zumeist in einem blauen Mantel dargestellt. Kein Wunder also, dass die Menschen im Mittelalter blaue Kleidung bevorzugten. Zugleich stand die Farbe Blau damals für Ordnung, Gesetz und Macht. Kaiser Heinrich II. trug beispielsweise einen tiefblauen Mantel mit goldenen Sternen. Literatur und bildende Kunst bedienen sich gerne der Kraft der blauen Symbolik. So suchten die Romantiker, von ihrer Sehnsucht getrieben, eine blaue Blume. Novalis schrieb darüber in seinem Roman „Heinrich von Ofterdingen“. Eduard Mörike ließ dagegen das blaue Band des Frühlings durch die Lüfte flattern. „Der Blaue Reiter“ nannten Wassily Kandinsky und Franz Marc Wanderausstellungen und Publikationen von 1912 bis 1914. Dem Kreis schlossen sich Künstler an, die für den deutschen Expressionismus wegbereitend waren. Bis heute berühmt sind die blauen Pferde von Franz Marc. Real, aber ebenso fantastisch anzusehen ist es, beobachtet man Blauwale, die schwersten Tiere weltweit, wie sie im Blau des Ozeans ihre Bahnen ziehen. Astronauten schildern dagegen, wie beeindruckend schön unsere Erde, der sogenannte

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Blaue Planet, im Weltraum leuchtet. Blaulicht ist zu sehen, wenn Polizei, Krankenwagen oder Feuerwehr einen Einsatz haben. Begleitet von einem lauten Martinshorn wird signalisiert, dass Hilfe naht. Blaue Verkehrsschilder sprechen Gebote aus, sagen, was erlaubt ist und wonach sich Verkehrsteilnehmer richten sollten – etwa, in einer verkehrsberuhigten Zone Schritttempo zu fahren. Überschreitet ein Verkehrsteilnehmer dieses, kann er sein blaues Wunder erleben und muss Buße zahlen. Wer gerade noch einmal Glück hat, ist mit einem blauen Auge davongekommen. Ein blauer Brief aus der Schule bedeutet, dass ein Schüler das Klassenziel nicht erreicht hat. Eine Leistungsverweigerung steht hinter dem blauen Montag: An ihm lassen arbeitende Menschen den Blaumann liegen. Wer einem anderen das Blaue vom Himmel verspricht, wird es kaum halten können. Wer hingegen ins Blaue hinein spricht, weiß und sagt nichts Genaues. Und blauäugig ist derjenige, der weltfremd durchs Leben geht. Erklingt der Blues, senkt sich Schwermut über die Zuhörer. Einst sangen Sklaven sich so ihr Leid von der Seele. Musiker wie B. B. King veredelten den Klang zur melancholischen Kunst.

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Der Blauwal gleitet durchs Meeresblau.

licht signalisiert: Wir sind im Einsatz!

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Das Blau-

Raumkapseln

und Satelliten senden Bilder des Blauen Planeten zur Erde.

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B. B. King hatte den Blues.

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Die Diva ist auf dem Sprung. Vor wenigen Wochen erst hat die amerikanische Filmschauspielerin Grace Kelly bei den Filmfestspielen im französischen Cannes den monegassischen Fürsten Rainier III. kennengelernt. Am 15. Juni 1955 absolviert sie eine Fotosession mit Philippe Halsman. Der angesehene Modefotograf und Porträtist, der für das berühmte Magazin „Life“ arbeitet, äußert eine Bitte: Grace Kelly möge in die Luft springen. Sie zieht ihre Schuhe aus und erfüllt ihm diesen Wunsch, wie viele Prominente vor und nach ihr. Die Sprungbilder sind die Spezialität des Mannes aus Riga, der seit 1940 in den USA wohnt. Er hat eine Wissenschaft daraus gemacht, die Jumpology. Sein Credo: „Im Sprung überwindet man die Schwerkraft. Man kann nicht gleichzeitig seinen Ausdruck, seine Gesichts- und Körpermuskeln kont-

15. Juni 1955 rollieren. Dadurch fällt die Maske. Das wahre Selbst wird sichtbar.“ Philippe Halsman lichtet das Herzogspaar von Windsor und Brigitte Bardot, Richard Nixon, Salvador Dalí und viele andere Prominente im Sprung ab. Bei Grace Kelly gelingt ihm eine unverfälschte Aufnahme, die ungewöhnlich ist für

den Filmstar. In ihren Filmen, besonders in den drei Thrillern von Alfred Hitchcock, und auf vielen Fotos präsentiert sie sich als die unterkühlte Blonde. Auf der Aufnahme von Philippe Halsman wirkt sie trotz ihres gouvernantenhaft strengen Kleids wie ein fröhliches Mädchen. Für einen kurzen Moment setzt sie sich über die Etikette hinweg. Ein Jahr später beendet sie ihre kurze, erfolgreiche Filmkarriere mit dem Musical „Die oberen Zehntausend“, ihrem elften Film. Im April 1956 geht sie in New York an Bord des Passagierdampfers Constitution, reist nach Monaco, heiratet Rainier und nennt sich Gracia Patricia. Philippe Halsman fasst seine Werke zu einem opulenten Buch zusammen und veröffentlicht 1959 „Philippe Halsman’s Jump Book“. Das Bild von Grace Kelly ist selbstverständlich dabei.

Impressum Herausgeber und Verlag: Deutscher Sparkassen Verlag GmbH, 70547 Stuttgart, Tel. +49 711 782-0 Chefredakteur: Thomas Stoll Stv. Chefredakteur: Ralf Kustermann (Redaktionsleitung), Tel. +49 711 782-1586, Fax +49 711 782-1288, E-Mail: ralf.kustermann@dsv-gruppe.de Art Director: Joachim Leutgen Chefin vom Dienst: Antje Schmitz Layout und Grafik: 7Stars NewMedia, Leinfelden-Echterdingen Autoren und Mitarbeiter: Claus Bierschneider, Andreas Hohenester, Christhop Hus, Willy Lövenich, Sebastian Moll, Rainer Petek, Ulrich Pfaffenberger, Yorca Schmidt-Junker, Melanie Schönrock Druck: MP Media-Print Informationstechnologie GmbH, Paderborn Anzeigen: Anneli Baumann, Tel. +49 711 782-1278 Artikel-Nr. 330 155 041

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Foto: From Philippe Halsman’s Jump Book, published by Damiani, 2015/Magnum Photos/Agentur Focus

Ein Bild und seine


Letzte Zufluchtsstätten für gefährdete Arten Vielfalt erhalten, natürliche Wildnis schaffen, die Selbstheilungskräfte der Natur wecken – das sind wichtige Grundsätze der BUNDstiftung. Was heißt das konkret? Die noch junge Stiftung erwirbt Flächen, die die Natur auf genau diese Weise schützen. In der Goitzsche-Wildnis bei Bitterfeld zum Beispiel hat sie dafür gesorgt, dass aus einer rund 1 300 Hektar großen, kargen Mondlandschaft Lebendiges erwachsen ist. Kristallklare Seen haben Kraniche zu Besuch, lange verschwundene Gras- und Krautfluren gedeihen. Am ehemaligen Todesstreifen zwischen den beiden deutschen Staaten schützt der BUND seit 1989 zudem das damals so benannte „Grüne Band“. Dank des gezielten Flächenkaufs durch die BUNDstiftung reihen sich dort mittlerweile wertvolle Lebensräume wie Altgrasfluren und Auenwäldern aneinander. Mehr als 600 bedrohte Tier- und Pflanzenarten konnten sich ins Grüne Band retten.

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