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Winter | Inviern 2010 | 2011
SAMNAUN, SILS, TSCHLIN Drei Gemeinden auf eigenen Wegen
IM SAMMELFIEBER
Giuliano Pedretti rettet Kulturgüter
ROMANISCHE LITERATUR Originaltexte oder Nachahmer?
Pioniere [Visiunaris]
INHALT / CUNTGNU
Editorial. Pioniertat oder Mainstream?
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Der Flaschengeist: Aladin in Tschlin. Ein Ort, der
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noch nicht von der Tourismus-Idylle weichgespült ist.
Der Pionier. Ein Capriccio von Köbi Gantenbein.
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Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Pionieren sind durchaus Absicht.
Im Grenzland. Der Fotokünstler Guido Baselgia: Seine
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Bilder, seine Arbeitsweise.
Die Erfindung von Samnaun. Wie es 1892 zum Zoll-
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freistatus des abgelegenen Bergtals kam.
Fusion? Kooperation? Pro Engiadina Bassa und
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Corporaziun cumüns conzessionaris als Vorläufer der grossen Gemeindefusion im Unterengadin?
Die Silser und ihre Ebene. Die Bewohnerinnen
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und Bewohner der Oberengadiner Gemeinde als Pioniere im Landschaftsschutz.
Schöne Aussichten. Über den Event-Tourismus.
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Literatur: Pioniere oder Nachahmer? Kann
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eine Sprache wie Rätoromanisch nur mit Originaltexten überleben?
Warten bis die Alten aus dem Dorf sind.
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Conradin de Flugi – eine St. Moritzer Wiederentdeckung.
Il Don Camillo della Valtellina. Don Alessandro Pa-
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renti è il modello per il famoso Don Camillo.
Mehr als Bio. Nur wenige Landwirtschaftsbetriebe
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arbeiten nach Demeter-Richtlinien. Zwei Porträts.
Betten für Büezer und Bewegte. Ferien für alle.
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Über die Pioniere des Volkstourismus.
Im Sammelfieber. Giuliano Pedretti, Mitbegründer
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des Kulturarchivs Oberengadin.
Das Magazin und seine Pionierin. 20 Jahre piz und
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ein Besuch bei der Verlegerin.
Bücher. Neuerscheinungen aus der Region in Deutsch
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und Romanisch.
Pizzeria. Aktuelles aus Südbünden.
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Vorschau. Impressum.
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Titelbild und Bild rechts: mrPliskin / istockphoto.com
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Pioniertat oder Mainstream? Liebe Leserinnen und Leser – chara lectura, char lectur
K
ennen Sie die Abkürzung «mots» aus dem Touristiker-Jargon? «Mots» steht nicht für «motzen» oder schimpfen, sondern für «more of the same».
Wir kennen das: Jedes bessere Hotel braucht sein Spa,
C
ugnuoschan Els la scurznida «mots» chi fa part al jargon dals turistikers? «Mots» nu sta per far mots o reclamar, mabain per «more of the same». I’ns
es cuntschaint: In minch’hotel da vaglia daja ün spa, in
in jeder Schneebar plärrt Musik, über viele Tobel füh-
mincha bar d’inviern sto nan alch musica, suravia blers
ren Hängebrücken. Solche Mainstream-Angebote sind
valluns maina üna punt chi penda. Talas offertas chi re-
sichere Werte, die Gäste wollen es offenbar so.
sguardan il gust collectiv sun valuors sgüras – il giast
Auf den Massengeschmack konnten sich die Pionierin-
para da vulair quai uschè.
nen und Pioniere der Tourismusbranche noch nicht
Ma vi dal gust da la massa nu’s pudaivan pioniers e pio-
verlassen – es gab ihn schlicht noch nicht. Sie glaubten
nieras i’l sectur turistic orientar, quel gnanca nun exi-
an die eigenen Ideen, mussten diese meist gegen viele
stiva amo. I vaiva nom as fidar da lur aignas ideas, su-
EDITORIAL
Widerstände durchsetzen und waren als Visionäre, ja
vent eir da tillas defender fond frunt a gronda resistenza.
Urezza Famos
als Spinner verschrien. Im Rückblick können wir nur
Els valaivan sco visiunaris, d’eiran disfamats sco fan-
danken: Zum Glück gab es sie, die Pioniere, Visionäre
tasts. Guardand inavo tils savaina però grà: Per furtüna
und Spinner. Und es gibt sie bis heute! Denn heute for-
tils haja dat, ils pioniers, ils visiunaris e’ls fantasts. I sun
dert jedes Tourismuskonzept, eben gerade keine «mots»-
qua eir amo hoz! Hozindi pretenda nempe mincha con-
Projekte umzusetzen, sondern neue Ideen zu entwi-
cept turistic ideas nouvas e na la realisaziun da progets
ckeln. Das ist anspruchsvoller und kostet mehr
«mots». Quai es plü pretensius e dumonda daplü lavur
Denkarbeit, Beharrlichkeit und Wille. Im Unterenga-
da spiert, perseveranza e voluntà. In Engiadina Bassa
din geht es zurzeit gleich um mehrere ganz spezielle
daja actualmaing güst plüs progets specials ed al listess
aber auch grosse Projekte: um die Übernahme von
mumaint gronds: surtour il Chastè da Tarasp, reactivar
Schloss Tarasp, die Reaktivierung des Kurensembles
il lö da cura Nairs e drizzar aint l’archiv da cultura.
Nairs am Inn und um den Aufbau des Kulturarchivs.
Ch’Els permettan amo üna remarcha in aigna chosa:
Mit Verlaub hier ein Hinweis in eigener Sache: Auch piz
Eir piz es dalöntsch davent dad esser ün proget «mots».
ist weit davon entfernt, ein «mots»-Projekt zu sein. Und
E quai daspö 20 ons. Precis, no festagiain anniversari!
das schon seit 20 Jahren. Ja, wir feiern Geburtstag! Aus
Our dal magazin da radio local d’üna jada es dvantà ün
dem einstigen Lokalradio-Magazin ist dieses Kulturma-
magazin da cultura. Per gronda part es il cuntgnü con-
gazin geworden, das sich in den meisten Inhalten be-
sciaintamaing different da quel dad oters magazins tu-
wusst von den gängigen Tourismuspublikationen un-
ristics – nun es apunta «more of the same». Ün pa suber-
terscheiden will – eben nicht «more of the same». Ein
bis eschna cha quai ans grataja adüna darcheu e dschain
bisschen sind wir stolz darauf, dass das immer wieder
grazcha ad inserents, lecturas e lectuors chi pussibilte-
gelingt, und wir danken: den Inserenten und den Lese-
schan quai.
rinnen und Lesern, die das möglich machen.
Ch’Els as laschan dimena surprender da tuotta sorts
Lassen Sie sich also in dieser Ausgabe von allerhand Pi-
acts da pionier eir in quist’ediziun e sco adüna Tils laina
oniertaten überraschen und wie immer fordern wir Sie
metter a cour da’ns racumandar inavant.
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Der Flaschengeist: Aladin in Tschlin In Tschlin, auf 1533 Metern über Meer, gedeihen im Unterengadin nicht nur Hagebutten und Milchziegen, sondern auch gute Ideen. Eine Bieridee wurde zum Motor einer Entwicklung unter dem Motto «klein, aber fein» – oder eben «Bun Tschlin».
Text: Isabelle Jaeger Fotos: Kirill Golovchenko
T
schlin, hoch über dem Inn auf einer Sonnenter-
braut und ansprechend verpackt war, wurde aus der
rasse. Nur zwei Touristen mit Kennerblick und
Bieridee einiger idealistischer Bergler ein Kultbier, die
grosser Kamera oohen und aahen durch die Gas-
Biera Engiadinaisa. Mit einheimischem, biologischem
sen, sonst sieht man ab und zu Frauen mit Einkaufsta-
Getreide in Tschlin eigenes Bier zu brauen, bedeutete
schen oder hört jauchzende Kinder. Real fassbar wird
eine Engadiner Tradition zu beleben und die Ökono-
der archaische Touch von Tschlin spätestens, wenn
mie des Dorfes wieder in Schwung zu bringen. Zu der
man in die erste chaclana, in den Ziegenmist tritt.
einen guten Idee gesellten sich bald weitere. Der
Tschlin ist anders, nicht von vermeintlicher Idylle weich-
Grundstein zur heutigen Plattform regionaler Pro-
gespült wie die bereits früher vom Tourismus und der
dukte und Dienstleistungen war gesetzt: Bun Tschlin.
Welt entdeckten Dörfer im Tal. Hier sind die meisten Scheunen noch mit Heu statt Designermöbeln gefüllt.
Bun Tschlin – das Label In 13 Minuten schraubt sich das Postauto von der Frak-
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Aladin der Ziegenbock Aladin hängt in der Chascharia «Che chaschöl», in der Käserei. Als er noch lebte, sorgte er in Tschlin für Ziegennachwuchs. Heute wachen die Hörner des Ziegen-
tion Strada den Berg hinauf ins Dorf. 50 Minuten kurvt
bocks über die Käserei der Mairs. Chatrina und Peter
es von der «Acla da Fans», dem äussersten Punkt der
sind in Eile, wie immer. Peter Mair war schon in Ftan
Fraktion Martina, bis zur Haltestelle vor dem Restau-
und hat 80 Liter frisch gemolkene Bio-Wasserbüffel-
rant «Macun» («Steinbock»). Nur weil oft vergessen
milch abgeholt. Jetzt gibts Engadiner Bufala-Mozza-
wird, dass auch Strada und Martina zur Gemeinde
rella. Später kommen 30 Gäste zur Käsedegustation.
Tschlin gehören, ist der Ort noch lange nicht zum Ver-
«Normalerweise», sagt Chatrina, «haben wir nur 20
gessen. Denn Tschlin hat, was jedes Brandingexperten-
Leute, wegen dem Platz. Heute sind es wirklich viele.»
herz höher schlagen liesse: ein eigenes, modernes und
Kein Wunder – mit den Besuchern ist es wie mit der
auf dem Markt gut eingeführtes Label – Bun Tschlin.
Chascharia. Geplant war weniger. Aus einer lockeren
Am Anfang war das Bier – und weil dieses ordentlich ge-
Nebenbeschäftigung wurde ein Vollzeitjob, den Chat-
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rina ohne ihre zupackende Mutter kaum schaffen
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keit. Die Karte der wirtschaftlichen Prognosen, erzählt
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1-3 Die Terrassen von Tschlin
würde. Wenn er nicht in Samnaun als Senn arbeitet –
er weiter, bilde die Basis der Kreditvergaben der Ban-
und Dorfimpression: Noch von
ein 80-Prozent-Pensum –, ist auch Peter Mair überall
ken, und darum sei es ihm auch trotz intensiver Suche
vermeintlicher Weichspüler-
dabei. Und wenn er nicht käst, führt er momentan die
nicht gelungen, Geld für sein Projekt aufzutreiben.
Idylle verschont.
Geschicke von Bun Tschlin. 19 Mitglieder sind über die
Andina ist aus dem Leben als Gemeindeschreiber aus-
Plattform organisiert, von der Sennerin über den
gestiegen und wollte das ehemalige Schulhaus in ein
4 Die alten Brunnen sind sorg-
Dorfladen bis zur Brauerei und zum Möbeldesigner.
Hotel umbauen – nur zahlen will die gute Idee keiner.
fältig renoviert und werden
Seine Visionen polarisieren. Momentan, ohne die
noch immer gebraucht.
Uniun fa la forza
Kraft des Amtes in der Gemeindeadministration, lau-
«Ich bin in Ardez aufgewachsen, aber Tschlin ist noch
fen sie wohl auch mehr ins Leere, als sie es eigentlich
5, 6 Chascharia: Der Tschliner
etwas spezieller», sagt Peter Mair. Die Jungen verlassen
verdient hätten. Bei der Entstehung der Tschliner Bier-
Käse reift vor Ort und Ziegen-
das Dorf, die Schule ist ins Tal verloren gegangen, die
raria war er massgeblich beteiligt. Mit dem Bier kam
bock «Aladins» Kopf wacht
Zukunft des Hotels und Restaurants «Macun» ist unge-
der wirtschaftliche Erfolg. Bescheiden zwar, aber im-
darüber.
wiss, und selbst den Postautokurs von Strada hinauf
merhin. «Das reicht eben nicht. Wir brauchen mehr,
will Postauto Schweiz streichen, weils nicht rentiert.
wir müssen aktiver werden», ist er überzeugt. Gemein-
Wie kommen dann die älteren Tschliner ins Tal, die
sam am Strick ziehen und – so seine Vision – eine Ge-
Kinder in die Schule, die Pendler ins regionale Zent-
nossenschaft gründen, um das Hotel zu bauen und zu
rum Scuol? All das macht den Tschlinern Sorge. Man
führen. Nur wo alle zahlen, übernehmen auch alle Ver-
sei deshalb noch stärker zum Handeln gezwungen als
antwortung. «Am besten wäre es», sagt er heiterer, weil
in anderen Dörfern, folgert Peter Mair. In Tschlin ist
er weiss, wie schwer sich die Einheimischen damit tun,
Hilfe zur Selbsthilfe nötig, Marke «Uniun fa la forza»,
«wenn das ganze Unterengadin eine einzige Gemeinde
«Gemeinsam sind wir stark.»
wäre, dann wäre die Karte zumindest hellrot.
An diesem Punkt redet sich der ehemalige Gemeindeschreiber Angelo Andina regelmässig in Rage. «Das
La Polaca
hier ist unser Problem», sagt er und klopft auf die
Ganz so einfach ist das nicht. Entwicklung hat ihre
Schweizer Karte des ETH-Studios Basel. Die Wirt-
Schattenseiten. Noch ist Tschlin ein Ort, wo man nicht
schaftselite von Avenir Suisse habe die urbane Schweiz
zufällig hinkommt. Aber wer weiss, wie lange noch.
kartografieren lassen. «Alles andere, zack, wildroman-
Jahrelang war hier nichts zu verkaufen, nun stehen ein
tische Ferienkulisse. Hier, das sind wir, alpine Brache»,
halbes Dutzend Häuser zur Auswahl. Die traditionel-
protestiert Andina. Viele Gemeinden unterschätzten
len Engadiner Häuser wechseln die Hand. Im kleinen
die Wirkung dieser Karte, «aber so sieht die starke
Nest hoch über dem Inn ist letzten Sommer ein bunter
Schweiz ihre Zukunft. Hier, feuerrot, die Städte im
Vogel gelandet. Grazyna Kulczyk, la polaca, die Polin.
Schweizer Mittelland, bei uns die Brache.»
Nicht irgendeine Polin, sondern die reichste überhaupt
Angelo Andina ist eine kantige Persönlichkeit, nicht
hat in Tschlin ein Haus gekauft. Die Kunstmäzenin
nur, weil er auch heute, bei Schneefall, mit offenen
lässt es sorgfältig zum exklusiven Domizil umstylen.
Sandalen und Wollsocken unterwegs ist. Gegen das
Weil es im Oberengadin bereits etwas voll sei, erzählt
Klima zu trotzen liegt ihm, dem unermüdlichen Strei-
man sich im Dorf. Die Immobilienpreise sind aus dem
ter wider Gleichgültigkeit und Fortschrittsfeindlich-
Dornröschenschlaf erwacht. Wenn Peter Mair zum
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7 Die zottigen Highland-Kühe
grossen Fenster der chascharia hinausblickt, sieht er
mit ihren imposanten Hörnern.
rechts ein grünes Haus: «Zu verkaufen». «I vegn glieud
den vergangenen Jahrzehnten unter anderem ein rotes
Die relativ leichten Tiere
e glieud», es kommen Leute, Leute – die Interessenten
Architektenschulhaus. Heute steht es leer.
schonen das Gelände.
geben sich die Klinke in die Hand.
rosig. Doch mit dem Geldsegen leistete man sich in
Men Notegen, der Gemeindepräsident, der nächstes
Highlanders und Whisky
8 Sgraffiti und Wandmalereien
Jahr wegen der Amtszeitbeschränkung zurücktreten
Auch die ehemalige Milchkammer der Janetts stand
aus allen Jahrhunderten
muss, weiss genau, welche Neuzuzüger er will: junge
leer. Statt drei zusätzliche Kühe hineinzustellen, taten
prägen das Dorfbild von Tschlin.
einheimische Familien mit Kindern, das höchste Gut
Erika und Jon das, was sie schon seit Jahren tun: etwas
in Dörfern wie Tschlin. Darum lancierte die Gemeinde
anderes als die anderen. Die Janetts haben gleich ne-
Anfang 2000 eine Reihe von konkreten Anreizen. Sie
ben ihren Kühen eine Whiskybar eingerichtet. Die
zahlte 100’000 Franken an einen Hausbau, 50’000 für
Schankerlaubnis haben sie sich schon besorgt, diesen
den zusätzlichen Bau einer Ferienwohnung und zins-
Winter gehts los. «Experten? Die brauchen wir nicht,
lose Darlehen für Investitionen in der Industriezone
die sind wir selber», zwinkert Jon Janett seiner Frau zu.
unten am Inn. Sieben neue Häuser und zu viel ausge-
Seit Jahren fahren sie immer wieder nach Schottland,
gebenes Geld – so lautete 2005 die Bilanz der Aktion.
haben nicht nur Land und Leute kennen gelernt.
Der Geldstrom fliesst
Jon und Erika bewirtschaften ihren Hof biologisch.
Tschlin, spotten die Nachbarn, habe keinen Grund
Auch sie sind bei Bun Tschlin dabei, obwohl sie schon
zum Jammern, die Gemeinde sei ja finanziell auf Ro-
vorher wahre Meister im Direktverkauf via Internet
sen gebettet. Das sieht man auch: Alle Strassen sind
waren. Seit Jahren gehen die Pakete mit dem Fleisch ih-
neu gepflästert, die alten Brunnen liebevoll restauriert
rer Rinder ins Unterland. Die Kunden kennen ihre Lie-
und sogar der Zeiger am Wasserreservoir hoch über
feranten persönlich – im Stall sind zwei Webcams ein-
dem Dorf funktioniert wieder. Die Infrastruktur in der
gerichtet. Auf dem Hof leben auch 19 schottische
75 Quadratkilometer grossen Gemeinde verschlingt
Highland-Kühe. Zottige, rotbraune Tiere mit imposan-
Unsummen – in neun Jahren rund 15 Millionen Fran-
ten Hörnern, die mehr können als gut aussehen und
ken. Aber Tschlin muss tatsächlich weniger jammern,
schmecken: «Unter dem vielen Fell sind sie recht leicht.
denn zum Gemeindegebiet gehört das Val Sampuoir,
In unserem steilen Gelände verursachen sie keine
und das gehört zur Zollfreizone von Samnaun. In die-
Trittschäden und fressen dort, wo man nicht mehr mä-
sem hintersten Winkel Tschlins steht das Einkaufszen-
hen kann.» Dass sie langsam Fleisch ansetzen, nehmen
trum «Acla da Fans». Schon vor dem Bau versprach des-
Janetts in Kauf.
sen Erfinder, Cla Famos, der Gemeinde einen Anteil
In dieser Höhe reift die Natur langsamer – aber das
am Gewinn. Es wurden im Laufe der Jahre Millionen.
nachhaltig Gewachsene hat mehr Gehalt.
Bun Tschlin funktioniert aber nicht wegen dieses Geldes. Zwar bekommt das Projekt fünf Prozent der Steuereinnahmen der Acla da Fans, aber das reiche nicht, betont Men Notegen. Rund 50’000 Franken seien das, gerade genug für einige Werbeausgaben. Die Gemeindefinanzen präsentieren sich heute wieder eher rot als 8
Schottland schliesst Tschlin nicht aus, im Gegenteil.
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Der Pionier Das Hotel «Alpenrose» und die wechselvolle Geschichte der Pioniere Riet und Chasper Töndury aus Samedan, die den Gästen quer durch die Generationen immer das boten, was diese sich wünschten. – Ein Capriccio aus den Bergen. *
Text: Köbi Gantenbein Illustration: Gregor Gilg
C
hasper Töndury sitzt auf dem Bänklein bei der
denn die Gletscher waren ja gross und der Malojawind
wärmt sich in der Sonne und zündet eine Bris-
nicht einzufangen, um damit in der Stadt werben zu
sago an. Er denkt über sein glückliches Leben als Pio-
können. Segantini malte als Beitrag zur Weltausstel-
nier des Fremdenverkehrs nach und freut sich, dass nun
lung in Paris im Auftrag von Riet und seinesgleichen:
bald sein Enkel Kevin das Grandhotel und alles drum
das endgültige Heldenepos der Berge. Es ist die Geburt
herum übernehmen wird.
des Grafikdesigns des Tourismus und thront im Mu-
Begonnen hatte alles mit Riet Töndury. Chaspers Gross-
seum in St. Moritz, das Töndury und seine Kollegen
vater war Bauer und Jäger gewesen, cun corp ed orma,
dem Maler kurz nach dessen Tod erbaut hatten, weil sie
mit Leib und Seele, wie er zu sagen pflegte. Seit dem
wussten, wie viel sie ihm verdankten. Er hat die Bilder
Heidibuch wissen wir, dass solches zwar seelenfüllend
der Berge und seiner Leute in die Köpfe und Herzen der
ist, aber nichts einbringt. Riet aber hielt zur richtigen
Giasts gemalt, die nun Touristen genannt wurden.
Zeit die Nase in den Wind und baute zusammen mit
Heerscharen von Künstlern, Grafikern und Fotografen,
dem Zimmermann neben seiner Landwirtschaft staun-
von Albert Steiner über Alois Carigiet bis zu Florio
zas per giasts, Gästezimmer, die er zuerst sommers und
Puenter, sind ihm gefolgt und haben die Fremden mit
später auch immer mehr im Winter ausmietete. Giasts
Plakaten, Kunst und Reklame ins Engadin gelockt.
tuottafat speciels da l'Ingialterra, eigenartige Gäste aus England kamen an. Riet sprach Puter, das Romanisch
Kabinette und verarmter Adel
des Oberenagdins, lernte aber ein paar Brocken Eng-
Während Segantini malte, baute Riet Töndury seine
lisch dazu. Der Pension mit den neun Fremdenbetten
Pension zum «Hotel Alpenrose» aus. Statt neun gab es
ging es nicht schlecht. Die ganze Familie machte mit.
nun 49 Betten, statt der Stube einen Salon, vier Kabinette
Der Alte hatte begriffen, was seinem Enkel im Blut war:
und einen Saal. Statt der Diele eine «Bel Etage» und vor
«Es gibt nur einen Wunsch, und das ist der Wunsch des
dem Haus einen «cours d'honneurs». Und die Kellner,
Fremden, der kein Fremder sein will, sondern das Bild,
Köche, Zimmermädchen, Wäscherinnen, Porteure,
das er im Kopf trägt, gebaut vorfinden will.»
Die Illumination des Versprechens
*Capriccio – Begriff aus der Musik- und der Kunsttheorie: Eine phantasievolle, absichtliche Übertreibung. Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Pionieren längs und quer durch die Alpen sind hier Absicht.
10
Versprechens auf leicht transportierbaren Bildern,
Kirche Sankt Peter oberhalb von Samedan,
Commis und all die andern kamen aus den umliegenden Tälern. Alle zu Diensten der Bankiers, Reedergattinen, Grafen und Spekulanten. Riet Töndury herrschte
Doch was heisst da «das Bild im Kopf»? Eigentlich ver-
über das «Hotel Alpenrose» wie ein General über seine
dankte er alles dem Maler Giovanni Segantini. Riet und
Armee – und starb.
Segantini gingen noch zusammen auf die Gamsjagd.
Sein Enkel, Chasper Töndury, schaut über die Schulter
Eines Tages schlug der Künstler dem Wirt einen Handel
auf den Friedhof. Nur gut zehn Meter hinter ihm ruht
vor. «Du hast eine kleine Fremdenpension. Wir müssen
der Pionier. Und unweit daneben steht der Grabstein
deinen Gästen Bilder vom Paradies liefern. Dann kom-
von Graf Kopelnikow. Er hatte sich nach seinem fünf-
men sie und geben ihr Geld aus. Ich male Bilder vom er-
monatigen Aufenthalt 1918 unter den Arven von Chris-
habenen Berg und seinem edel-wilden Bewohner im
tolais erschossen, weil er die letzten Goldrubel verspielt
Kampf mit der Natur. Du versammelst deine Kollegen
hatte und zu Hause das Proletariat an der Macht war.
und ihr baut diese Bilder in Häuser und Landschaften
Der Untergang des Adels und der Bankiers in zwei
und mir bezahlt ihr einen grossen Auftritt in Paris, der
grossen Kriegen haben das Paradies wohl erschüttert,
Hauptstadt der Kunst, und zehn Prozent vom Gewinn.»
aber nicht zerstört. Im Gegenteil: Die Bilder der Archi-
Damit waren die Architektur und das Design des Frem-
tekten und Designer wirkten nachhaltig, statt der Gra-
denverkehrs im Oberengadin erfunden: Die Ausstat-
fen und Reeder verliebten sich nun die Bürger in Saus
tung und Staffage des Paradieses, die Illumination des
und Braus, High Life und Bergerholung.
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Die neuen Gäste aber wollten nicht ins Hotel, son-
die Residenzen seinerzeit auf einen Schlag gebaut, jetzt
dern ins Eigentum. Sie kalkulierten ihre knappen Feri-
sind sie auf einen Schlag alt, viele Besitzer tot und die
entage. Neben den Hotelpalästen wuchsen Häuser und
Erben gehen lieber in die Karibik. Noch vermietet er die
Häuschen aus dem Boden. Auch auf dem Land der Fa-
Ferienhalde dem Sozialamt. In zwei Jahren will er dann
milie Töndury. Das war seine, Chaspers, grosse Zeit. Er
im «Enzian» sein letztes, grosses Projekt auffahren, die
war jung eingestiegen, wurde Präsident der Bergbahn
Residenz «Mira Rosa» mit Feuer- und Eisbad, Sprudel-
und des Kurvereins, war Bank- und Grossrat und sorgte
und Schlafstein von Peter Zumthor, einem Golfplatz
als Gemeinderat dafür, dass das Land der Familie einge-
von Pipilotti Rist, einem Hochhaus von Herzog & de
zont wurde. Wo einst die Wiese «sur punt» war, stand
Meuron, einem Fitnesszentrum von Lord Foster und
bald die Urlauberresidenz «Enzian». Und hart neben der
einer Schönheitsklinik von Tilla Theus – alles im Pas-
Lawinenzone die Überbauung «Anemone».
sivhaus-Standard. Der Ausbau nur in Arve, Föhre und
Doch nach welchen Bildern sollte er bauen? Was woll-
zertifiziertem Tropenholz. Als Residenz für Pauschalbe-
ten die Fremden? Segantini war schon lange tot und
steuerte, als Familienheim für die Weltnomaden. Und
seine Nachfolger wollten nichts mit seinesgleichen zu
die «Anemone» wird er wohl dem Ägypter verkaufen,
tun haben. Chasper hatte gar keine Zeit, über Bilder
der Jahr für Jahr sein Angebot nach oben schraubt und
nachzudenken. Eine Consultingfirma aus dem Unter-
im Stande scheint, die Lex Koller auszuhebeln und also
land wurde eingeschaltet und die brachte die Architek-
auch den lästigen Wohnungskontingentierungen mit
tur gleich mit: den alpenländischen Stil, «das am Markt
Charme und Geld den Garaus machen wird.
Erprobte», so hatte der Consultant versichert, ganz im Einklang mit den Kreditgebern der Bank. In stillen Mi-
12
Grosses steht an
nuten fand Chasper Töndury diese engadinisch-walse-
Sind Riet und Chasper Töndury, die Pioniere, schuldig?
rischen Häuser zum Kotzen. Doch alle waren rasch und
Nein. Aber was bei Riets Pension gut geklappt hatte,
gut verkauft. Puter übrigens versteht Chasper zwar
reichte Chasper später fürs Hotel und die Feriensied-
noch, aber gesprochen wird in der Familie längst Bünd-
lung nicht mehr. Riet baute eine Terrasse, da konnte we-
nerdeutsch und mit dem Personal Italienisch, Portugie-
nig schiefgehen, doch Hotel, Bergbahn, Residenzen
sisch – und mit den Gästen Englisch.
und Golfplatz waren mit Pioniergeist, Handwerkerver-
Der Manager ist am Ruder
ten. Chasper musste sich helfen lassen und geriet in die
Auch der Name des Hauses hat die Sprache gewechselt.
Klauen der Berater. Zwei von denen kannte sein Schwie-
stand und Bauernschläue allein nicht mehr zu gestal-
Aus der «Alpenrose» ist das «Grand Hotel Rose des Alpes»
gersohn vom Militär her.
geworden, mit drei Restaurants, Wellnesscenter, Swim-
Chasper Töndury zieht kräftig an seiner Brissago. Er
ming-Pool und Tiefgarage. Am Ruder steht nun der
freut sich, dass Kevin nun bald ins Familiengeschäft
Schwiegersohn – ein Manager, der sich um die Investi-
einsteigen wird, sein Enkel. Er wird die «Mira Rosa» zur
tionen der Familie kümmert: Bergbahnanteile, Bau-
Blüte bringen und nur noch im Minergie-P-Standard
firma, Residenzen und Golfplatz. Alles ist mittlerweile
bauen. Er wird ein Internetbergbahnbillett einführen,
in der Töndury Leisure Investment Inc. mit Sitz in Va-
Knospenessen auftischen und das Snowboard aus zerti-
duz zusammengefasst.
fiziertem Tropenholz vermieten. Er nennt das «geil»
«Für die Einheimischen zu mieten gibt’s nichts, zum
oder «voll krass». Und sagt, das alles sei Mode nun in der
kaufen braucht es Millionen», hat der sattsam bekannte
Stadt und «es gibt nur einen Wunsch, und das ist der
sozialistische Architekt Obrist aus St. Moritz kürzlich
Wunsch des Fremden, der kein Fremder sein will, son-
wieder einmal in einem seiner berüchtigten Leser-
dern das Bild, das er im Kopf trägt, gebaut vorfinden
briefe in der «Engadiner Post» geschrieben. Ja und? Der
will». Der Grossvater vertraut seinem Enkel und ist froh,
Cashflow der Gemeinde ist besser als der der Bank, die
dass die Töndury Leisure Inc. im Unterschied zu fast al-
Handwerker haben alle Hände voll zu tun. Preise spie-
len Konkurrenten auch über die Mittel verfügt, um
len keine Rolle. Soll der Herr Architekt und Weltverbes-
Kevins Vermögen und Ruhm voranzubringen.
serer doch einmal zeigen, wie man aus Felsen, Eis und
Am Himmel glüht kühl das Abendrot, es ziehen Schäf-
karger Landschaft Gold macht.
liwolken auf und dort, wo die Kirchenmauer einen
Und weil der Boden knapp ist und alles eingezont, hat
Rank macht, schaut ein junger Rehbock hervor und
Chasper kürzlich begonnen, die Wohnungen im «En-
springt vergnügt in die Wiese voller Rosenkerbel,
zian» und in der «Anemone» zurückzukaufen. Er hatte
Glücksklee und dreifingrigen Salbeis.
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
Im Grenzland Auf der Suche nach einer neuen Sicht der Welt, zum Beispiel nach dem Bild der Erde jenseits der Waldgrenze. Guido Baselgia schreckt vor keiner Herausforderung zurück. Ein Porträt des in Pontresina aufgewachsenen Fotokünstlers.
Text: Balz Theus Fotos: Guido Baselgia
E
in Grenzgänger. Ein Perfektionist. Ein Tüftler. Ein
dings Gletscher mit Planen ab, damit sie weniger
gia. Wir schreiben den 30. September 2010: Heute
schnell schmelzen. Ich bin sicher: daraus kann nicht
ist er im Gebirge über Pontresina unterwegs, ein einsa-
viel werden. Wenn ich auf dem Gipfel des Piz Languard
mer Mensch. Er schleppt 20 Kilo Fotomaterial durch
stehe und Richtung Nordosten / Nordwesten blicke,
die Nacht. Sein Ziel ist der Gipfel des Piz Languard. Er
könnte ich glauben, es wohne da unten kein einziger
trägt festes Schuhwerk. Er steckt in seiner Wintermon-
Mensch. Man sieht reine Naturlandschaft und spürt,
tur. Überall liegt Schnee und vor Sonnenaufgang sinkt
welche Kraft die Natur hat. Dass sie die menschlichen
die Temperatur auf minus 15 Grad dort oben, auf 3262
Eingriffe tilgt. Dann drehe ich mich ein bisschen. Im
Metern Höhe, was solls.
Tal unten erblicke ich den St. Moritzer See, den Stazer-
«Es macht mir nichts aus, mich allein durch die Land-
see, das ganze Ballungszentrum und stelle fest: Päng, es
schaft zu bewegen. Das belastet mich nicht, im Gegen-
ist unglaublich zivilisiert. – Was für ein Kontrast!»
teil: Es befreit mich eher. Ich bin ja auch hinter der Ka-
Das Besondere am Piz Languard ist seine Lage. Sie ist so,
mera immer allein. Es ist nie jemand dabei. Ich will
dass weder in östlicher noch in westlicher Richtung ein
nicht ausschliessen, dass das etwas mit den Bergen
anderer Berg direkt vor ihm liegt, keiner jedenfalls, der
selbst zu tun hat. Der Bergler, das wird schon stimmen,
mächtiger wäre als er selbst. Alle befinden sich in ge-
tickt anders als der Unterländer.»
bührender Distanz. Der Blick ist unverstellt, und das ist der Grund, warum man von hier aus annähernd den
Sonnenaufgang – wundervoll
Horizont der Erdkugel sieht, hinter dem die Sonne im
Längst hat es sich herumgesprochen, dass man einmal
Osten auftaucht und im Westen untergeht. Den Grenz-
in seinem Leben einen Sonnenaufgang auf Languard
gänger Baselgia schlägt das in seinen Bann.
gesehen haben muss. Im Sommer kommen die Touris-
14
gen nach dem Woher und Wohin. Man deckt neuer-
Besessener. Das ist der Fotokünstler Guido Basel-
ten. Sie fotografieren die gleissende Sonne, wenn sie
Die Visionen der Betrachter
aufgeht, und das Farbenspiel bei ihrem Untergang. Sie
«Meine Bilder haben nicht den Zweck, etwas Konkretes
tragen von alters her ein anerzogenes Bildprogramm in
auszusagen. Was ist das? Wo ist das? Wer ist das? Wo ist
sich. Es steckt in ihren Weichteilen und sagt, was schön
oben? Wo ist unten? Solche Fragen sind nicht mein
ist: der Blick auf die Blumen im idyllischen Tal, der ver-
Thema. Das einzig und allein Entscheidende ist das Bild
träumte See, das murmelnde Bächlein, das drollige
an sich: Ich zeichne Impressionen oder Visionen auf
Zicklein, das muntere Vögelchen, das schnuckelige Eich-
und freue mich, wenn der Betrachter seine eigenen Vi-
hörnchen und das süsse kleine Murmeltier und so wei-
sionen daraus entwickelt. Endlich einmal selber Bilder
ter. Solche Eindrücke heben sie über sich selbst hinaus.
sehen, endlich einmal sehen, was es zu sehen gibt, und
Aus dem Jahr 1932 hat sich eine Postkarte erhalten, auf
nicht das, was man in der Schule gelernt hat: die klassi-
der eine Frau schrieb: «Heute waren wir auf dem Langu-
sche Komposition mit Vordergrund, Mitte und Hinter-
ard. Abmarsch 00:59. Prächtiger Mondscheinmarsch
grund. Und schon gar nicht der romantische Blick mit
mit Sternschnuppen. Droben war es mir zu kalt zum
dem ehrfürchtigen Menschen vor dem übermächtigen
Schreiben. Der Sonnenaufgang war wundervoll u. kalt.
Berg. Auf dem Piz Languard interessiert mich die Däm-
Heute Abend Musik. Herzl. Grüsse Käthi.»
merung. Die besondere Lage des Bergs macht, dass man
«Es ist individuell, was du dort oben empfindest und
den Erdschatten sieht.
was dir das gibt. Jetzt, im September, die Dämmerung,
Wenn die Sonne untergeht, erlöscht ja nicht ihr Licht.
beginnend im Osten, wolkenloser Himmel, und ich
Es wird dunkel, weil sich der beschienene Teil der Erd-
sehe all die Berggipfel ... es gibt nicht die absolute Ruhe
kugel von der Sonne wegdreht. Jetzt wirft die Erde ei-
dort oben – es gibt die Stille und die Ferne und die Fra-
nen graublauen Schatten in die Atmosphäre. Sie ist wie
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
LungoGuardo # 01, 15. Oktober 2010, 07:37 bis 12:07
eine Leinwand. Am östlichen Horizont sieht man den
«Man muss sich das vorstellen: Man geht in Pontresina
Schatten immer weiter wachsen, bis die allumfassende
zur Schule, und das war einfach ein Bergdorf. Ich
Nacht ihn schluckt.»
Kunstgewerbeschule war eine Offenbarung
glaube, ich spürte schon damals irgendwie, dass ich in meinem Leben gestalterisch tätig sein wollte, und dort war nichts von der Art; da hat man im Unterricht im
Guido Baselgia ist in Pontresina aufgewachsen. Wenn
besten Fall mal den Namen von Segantini gehört. Viel-
er daheim aus dem Zimmerfenster blickte, sah er zur
leicht auch noch Picasso. Vor diesem Hintergrund war
Segantini-Hütte hinauf. Dann kamen die Schwestern –
die Kunstgewerbeschule im Unterland eine wahre Of-
die beiden Bergspitzen mit diesem Namen –, dann der
fenbarung. Sie liess in mir die Gewissheit reifen: Mein
Piz Muragl, auf dessen rechter Seite im Sommer relativ
Thema ist die Fotografie.»
spät die Sonne aufging. Dieses Bild hat sich ihm unaus-
Nach vier Jahren war seine Ausbildung abgeschlossen.
löschlich eingeprägt.
Er beherrschte nun das klassische fotografische Hand-
Mit 17 ging er von zuhause weg. Fünf Jahre später war
werk. Er arbeitete mit hohem ästhetischem Anspruch
er an der Kunstgewerbeschule in Zürich. In deren Foto-
für Zeitungen und Zeitschriften, er unternahm Repor-
klasse waren sechs Studienplätze zu vergeben gewesen,
tagereisen in die halbe Welt, fotografierte für Industrie-
für einen davon hatte er sich aus einer Menge von Be-
unternehmen und Buchverlage. Er hatte in Baar bei Zug
werbern heraus qualifiziert.
sein Atelier. Auf seinem Weg wollte er nicht stehen blei-
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
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LungoGuardo # 02, 20. September 2010, 19:32
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ben, erst recht nicht, als mit der Digitalfotografie die
Durch die Linse fängt man Licht ein und lässt dieses auf
Produktion von Bildern immer inflationärer und deren
den Film zeichnen. Das Resultat ist ein latentes Bild,
Verbreitung immer schneller wurde.
was bedeutet: Das Bild ist noch nicht sichtbar. Trotz-
Mit alter Technik
nicht da. Nähme ich den Film aus der Kamera, sähe
«Ich kann das, was ich mache, digital nicht machen.
man nichts. Für mich ist das wie Magie. Das Bild ist da,
Deshalb habe ich mich entschlossen, bei der analogen
du kannst es gleich entwickeln, mit chemischen Reak-
Technik zu bleiben, mit allen Konsequenzen. Ich prak-
tionen, du kannst es aber auch erst in zwei Wochen
tiziere die Fotografie so, wie sie erfunden wurde, mit
oder in einem Jahr entwickeln – es ist immer unsicht-
dem ist es da, man sieht es nur nicht. Es ist da und doch
der Grossbildkamera 4 x 5 inch. Analoge Fotografien
bar und immer da. Das finde ich phänomenal.»
sind Licht-Zeichnungen. Das ist wesentlich. Ich spüre,
Das Engadin lebte im Unterland weiter. Die Berge lies-
ob ein Bild digital oder analog gemacht wurde. Das ana-
sen ihn nicht los. Er sagt, es wirke auf ihn wie eine int-
loge hat für mich eine viel intensivere Aura. Digital-
ravenöse Spritze, wenn er die Berninagruppe anschaue,
und Analogkamera könnten unterschiedlicher kaum
ganz anders jedenfalls, als wenn er im Berner Oberland
sein. Was im Innern eines analogen Fotoapparats nach
vor Eiger, Mönch und Jungfrau stehe. Er sagt, nicht zu-
dem Drücken des Auslöseknopfs geschieht – in der ab-
fällig sei im Unterland sein Wunsch gewachsen, eine
soluten Dunkelheit – hat für mich etwas Magisches.
Arbeit über die Welt zu machen, die ihn prägte. Daraus
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
LungoGuardo # 03, 14. Oktober 2009, 18:45
entstand das Projekt «Hochland», welches das Engadin
der unwirtliche Raum oberhalb der Waldgrenze. Dort
in einem radikal neuen Licht erscheinen liess. Er stieg
stellte er seine Kamera auf. Wenn er fertig war und zu-
hinauf in die Hochtäler. Er sah den meterhohen Schnee.
rück ins Tal ging, war der zweite Teil seiner Arbeit ab-
Er sah den glatten Fels. Er sah die endlosen Schutt- und
geschlossen. Der erste hatte in der Recherche bestan-
Geröllhalden, die ihm den Weg versperrten. Er sah den
den, der dritte folgte in der Einsamkeit des Labors.
kalten Glanz des Steins und hörte, wie das Wasser
Dort erweckte er latente Bilder aus ihrer Unsichtbar-
tropfte. Eis splitterte unter seinen Füssen.
keit, er entwickelte die Negative, legte sie in den Pro-
Alte Technik
jektor eines Vergrösserungsapparats und belichtete sie zurück in die Welt.
«Die Grossbildkamera verlangt nach einem Stativ. Sie
«Was ist Wirklichkeit und was ist Wahrnehmung? Was
lässt sich nicht aus der Hand bedienen. Sie macht dich
meine ich zu sehen und was ist wirklich? Wir empfin-
langsam. Sie macht dich sogar sehr langsam. Das ist ihr
den das Licht als Helligkeit, aber beim Auftreffen auf
Vorteil. Es ist ihr Vorteil, weil ich gar nicht schnell sein
den Film hinterlässt es eine Schwärze. Das Licht ist dort
will. Ich will langsam sein. Ich gehe nicht auf die Pirsch
schwarz und nicht weiss, wie wir es sehen. Das ist eigen-
und erjage einen bestimmten Augenblick. Ich will lang-
artig. Auf dem Negativ ist das Dunkle hell und das Helle
sam auf das Wesentliche zugehen.» Das war sein neues
dunkel, und wie retten wir uns aus dieser Situation? –
Engadin: das Grenzland zwischen Vegetation und Firn,
Wir verwandeln das Negativ in ein Positiv zurück, das
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
17
uns die Welt auf die Weise sehen lässt, die wir uns an-
und gleissend über den Himmel fährt. Er nimmt sein
gewöhnt haben.» Als die Bilder des Projekts «Hochland»
Stativ und stellt es in die verschneite Landschaft. Er si-
vor ihm lagen, wurde ihm klar, dass fast alle, die ihn be-
chert es, damit kein Windstoss es verschieben kann. Er
rührt oder beschäftigt hatten, oberhalb der Wald-
montiert die Kamera. Er zieht sich das legendäre
grenze entstanden waren. Die Waldgrenze kündigt die
schwarze Tuch über den Kopf, wählt den Bildausschnitt
Leere an, hier beginnt das Ödland. Der Punkt variiert.
und öffnet mit dem ersten Sonnenstrahl den Ver-
Er kann in Hochgebirgen auf über 4000 Meter steigen
schluss. Sechs Stunden hat das Licht nun Zeit, das Bild
und sinkt in arktischer Kälte auf Meereshöhe ab.
auf den Film im Innern der Kamera zu zeichnen.
«So hat mich die Suche nach dem Bild der Erde jenseits
Doch mittendrin schiebt sich eine Wolke vor die Sonne
der Waldgrenze erst an den nordöstlichsten Punkt des
und zerstört das bereits Geschaffene wieder. Irgend-
europäischen Festlandes und schliesslich auf den Alti-
wann, wenn das Wetter bessert, wird ein neuer Anlauf
plano in den südamerikanischen Anden geführt. Aus
nötig werden, vielleicht noch vor dem Winter, und
der Erkundung des Engadins wurde eine Trilogie.»
sonst im nächsten Jahr.
Bolivien, Norwegen, Engadin
15. Oktober 2010: Ein Sternenmeer ohne Ende funkelt nächtens über dem Piz Languard. Die Sicht ist unglaub-
23. August 2006: Heute steht er auf dem Salar de Uyuni,
lich klar. Um 7.37 Uhr erscheint die Sonne. Das lang er-
dem grössten Salzsee der Welt, einer unendlich schei-
sehnte Bild gelingt. Was für ein Tag!
nenden weiten Ebene im Südwesten Boliviens, 3657 Meter über Meer. Die Abenddämmerung ist hereingebrochen und am Horizont zeichnet sich der Erdschatten ab. Es ist wunderbar. 11. Oktober 2002: Guido Baselgia steht am Saum der Barentssee, im nordöstlichsten Norwegen, nahe der russischen Grenze, in Grense Jakobselv. Es ist fast Winter. Alle denkbaren Fortbewegungsmittel waren erforderlich, um ihn hierherzubringen. Die Langsamkeit der fotografischen Erkundung ist noch träger geworden, mit steigender Distanz von einer Aufnahme zur nächsten. Die Vegetation ist karg. Sie tendiert fast zum Nichts. Nackte, kalte Materie bietet sich dem Auge dar, als komme sie direkt aus dem kosmischen Laboratorium. «Grense Jakobselv ... es berührt einen stark, wenn man
18
Guido Baselgia
dort ist. Man steht auf 3000 Millionen Jahre altem Ge-
www.baselgia.ch
stein. Das muss man sich vor Augen halten: Es existiert
*1953, aufgewachsen in Pontresina
seit 3000 Millionen Jahren! Es ist abgeschliffen von ei-
1975–1979 Kunstgewerbeschule Zürich
nem urzeitlichen Gletscher, der längst wieder ver-
1978 Eidgenössisches Kunststipendium
schwunden ist. Es war schon ziemlich dunkel und ich
1983 Eröffnung des eigenen Ateliers
habe noch ein paar wenige Bilder gemacht. Man blickt
1992 Werkbeitrag des Kantons Zug
dort Richtung Norden gegen die Barentssee und sieht
1996 Zuger Werkjahr
das Land, das Wasser und den Himmel ohne Trennlinie
1998 Bildband «ZugStadt»
ineinander verschmelzen. Man steht da und weiss
2001 Einzelausstellung «Hochland» im
nicht – ist diese Welt da vor dir im Entstehen begriffen,
Bündner Kunstmuseum
kommt sie aus dem Wasser, oder ist es das Ende und sie
2004 Bündner Anerkennungspreis und Einzel-
geht dorthin zurück?»
ausstellung «Weltraum» im Kunsthaus Zug
Nochmals 30. September 2010. Auf dem Gipfel des Piz
2006 Innerschweizer Kulturpreis
Languard erwartet der Grenzgänger den Anbruch des
2008 Einzelausstellung «Silberschicht» im Museum
Tags. Er will in einem einzigen Bild den Lauf zeigen,
Bellpark Kriens
den die Sonne nimmt, wenn sie den Horizont verlässt
Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
Die Erfindung von Samnaun Als abgelegenes Hochtal hatte Samnaun im 19. Jahrhundert kaum Entwicklungschancen. Dann kam die Idee des Zollausschlusses auf. Drei Jahre lang liess die Gemeinde nicht locker, bis ihr der Bundesrat 1892 den Zollfreistatus gewährte. Samnaun wurde neu erfunden.
Text: Ralph Hug Fotos: Ralph Hauswirth
ZOLLFREIGEBIETE Aus geografischen oder wirtschaftlichen Gründen gibt es weltweit Zollausschlussgebiete. In fast jedem grösseren Hafen der Welt findet man eingezäunte Areale. In Lateinamerika und Spanien heissen sie «zona franca». Im Südosten von Uruguay gibt es eine «zona franca» mit Namen «Colonia Suiza». Hongkong verdankt seinen Aufstieg ebenso dem Zollfreistatus wie Manaus, die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Amazonas, die früher nur per Schiff erreichbar war. In Europa gibt es den Tax-FreeStatus nicht nur in den Zollfreilagern der grossen Bahnhöfe, Häfen und Flughäfen. In Basel führt die eingezäunte Zoll freistrasse zum Flughafen Mulhouse. Zollfrei einkaufen ist in den Flughäfen möglich, und in Europa haben neben Samnaun und Livigno auch Andorra und das Val d'Aosta diesen Sonderstatus.
20
D
er Tag des Jubels war ein Freitag. Am 29. April
Vorname Serafin –, die Eingabe an den Bund verfasste.
1892 fasste der Bundesrat auf Antrag des Zollde-
Es war ihm wichtig zu betonen, dass die Familien «in
partements den Beschluss, die Talschaft Sam-
sehr ärmlichen Verhältnissen» lebten. Fraglos hatte es
naun zum Zollausschlussgebiet zu erklären. Oder, wie
das von der Aussenwelt abgeschnittene Tal nicht leicht.
es im damaligen Amtsdeutsch hiess, «aus der Zolllinie
Bis 1830 führte lediglich ein Saumpfad nach Spiss ins
auszuschliessen». Ein dreijähriger Kampf der armen
Tiroler Inntal hinunter. Später wurde er zum Ochsen-
Bergler war von Erfolg gekrönt. Und die Schweiz hatte
karrenweg ausgebaut. Zwar gab es schon damals Ideen
eine Premiere: Das erste und bis heute einzige Zollfrei-
für eine Verbindung zu den Engadiner Gemeinden über
gebiet des Landes war Tatsache. Die Samnaunerinnen
Schalkl zur Strasse Pfunds-Martina, doch die kam nie
und Samnauner hatten geschafft, was vor ihnen noch
zustande, obwohl vom Kanton Subventionen winkten.
niemandem gelungen war.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwi-
Samnaun im Jahre 1890: Das war ein spärlich besiedel-
ckelte sich ein reger Warenverkehr, doch noch wurde
tes Tal auf 1700 m ü.M. in der südöstlichsten Ecke der
so manche Last auf dem Rücken transportiert.
Schweiz ohne Verbindung zur Heimat. Der einzige Weg
Gezwungenermassen waren die Samnauner grossteils
führte ins Paznaun in Tirol. Diese «abnormale geogra-
Selbstversorger. Sie lebten von Gerstenmus und saurer
fische Lage», wie es später in einem Gutachten hiess,
Milch und liefen in groben Leinen herum, die sie aus
band die Bauern zwangsweise ans Ausland. Man ver-
dem eigenen Flachsanbau anfertigten. Brot war ebenso
kehrte mit Österreich, der Handelsverkehr ins nahe Un-
selten wie Bargeld. Tröstlich mochte sein, dass es we-
terengadin hatte nur eine untergeordnete Bedeutung
nigstens etwas zu rauchen gab. In Samnaun wurde Ta-
und musste seit der Errichtung des Bundesstaates von
bak angepflanzt. Laut der Gemeindestatistik bevölker-
1848 mühsam über die Zollstelle Martinsbruck (Mar-
ten 1896 insgesamt 436 Stück Rindvieh, 97 Schweine,
tina) abgewickelt werden.
339 Schafe und 181 Geissen das Tal. Was zeigt, dass auf
Die Besiedlung Samnauns war im Mittelalter erfolgt,
eine präzise Tierstatistik mehr Gewicht gelegt wurde
weil das Unterengadin für Viehzüchter wegen der vielen
als aufs Zählen der Bevölkerung.
Kornfelder eng geworden war. Samnauns günstiges Klima, bedingt durch die West-Ost-Lage, liess die von Ra-
Aufkommender Handel – ärgerlicher Zoll
mosch und Sent herkommenden Bauern dort sesshaft
Die bessere Verkehrsanbindung mit Tirol veränderte
werden. Laut dem Wirtschaftsgeografen Carl Jenal er-
die heimische Wirtschaft. Äcker wurden zu Wiesland,
folgte die Einwanderung auch vom Paznaun und vom
Flachs und Roggen verschwanden. Viehzucht und Han-
Inntal her. Darunter waren Walserfamilien mit ihren ty-
del gewannen an Bedeutung – und der Zoll wurde im-
pischen Geschlechtsnamen (Walser, Fuchs, Prinz).
mer mehr zum Ärgernis und als veritabler Nachteil für die Entwicklung des Tals empfunden.
436 Rindviecher, ungefähr 320 Seelen
Im Zeitraum von nur zehn Jahren, von 1880 bis 1890,
72 Familien «mit ungefähr 320 Seelen» wohnten im
verdoppelten sich die Einnahmen des Schweizer Zolls
Jahr 1892 in den fünf Dörfern Samnaun, Ravaisch, Plan,
aus den Einfuhren nach Samnaun, wie die Statistik be-
Laret und Compatsch. Genau wusste es der Samnauner
legt. Sie stiegen von 518 auf 1240 Franken, während die
Gemeindevorstand Serafin Denoth nicht, als er zusam-
Ausfuhren in etwa stabil blieben. Der «Zivileinnehmer»
men mit Gemeindeschreiber Jenal – auch der hiess mit
in Compatsch, der die Verzollung erledigte, hatte aller-
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
hand zu tun, ebenso der in Samnaun stationierte
zessionen gezwungen: «Österreich-Ungarn legt ent-
Grenzwächter. Nicht vom Zoll erfasst wurde das in
scheidendes Gewicht auf eine befriedigende Regelung
Samnaun während zweier Jahre gemästete Rindvieh,
der Samnaunfrage», schrieb der Bundesrat in seiner
das aufgrund eines Handelsvertrags mit Österreich/Un-
Botschaft an die Bundesversammlung. Österreich
garn zollfrei nach Tirol eingeführt werden durfte.
sollte in Schalkl ein neues Zollamt einrichten, das aus
Schon von jeher funktionierte der Viehhandel mit Ti-
der Schweiz auszuführende Waren bis Spiss mit einem
rol gut. Die Samnauner profitierten von den Erleichte-
Geleitschein versehen würde. Dadurch hoffte man den
rungen und waren auf den Viehmärkten in Pfunds und
Kolonialwarenschmuggel endlich zu unterbinden. Die
Landeck gern gesehene Gäste. Laut dem Samnauner
normale Abfertigung sollte weiterhin in den österrei-
Lehrer und Historiker Arthur Jenal war der Viehhandel
chischen Zollämtern Martinsbruck, Taufers, Spisser-
die Lebensgrundlage des Tals und die Mästung des
mühl und Ischgl erfolgen.
Viehs aus Tirol das grosse Geschäft. Ohne dieses hätten die Familien kaum existieren können.
Die «Samnaunfrage»: Kaffeeschmuggel
Der zweite Anlauf gelingt 1889 hatten die Samnauner erstmals vom Bund den Ausschluss aus dem Zollgebiet verlangt. Sie stiessen da-
Zum Ärger Österreichs hatte sich freilich auch ein leb-
mals aber noch auf taube Ohren. Erst die Petition von
hafter Schmuggel mit Kaffee und Zucker entfaltet, ge-
1892 sollte den gewünschten Erfolg bringen. Gemeinde-
gen den die k.u.k. Behörden wenig unternehmen konn-
vorstand Denoths Hinweis auf die «ärmlichen Verhält-
ten. Die Transitroute vom Schalklhof nach Spiss führte
nisse» begann zu wirken. Er setzte aber auch sanften
über ein Gebiet, das im österreichisch-schweizerischen
Druck auf, indem er als Alternative zum Zollfreigebiet
Grenzregulierungsvertrag von 1868 als «neutral» er-
den Bau einer neuen Strasse auf Schweizer Gebiet ins
klärt worden war. Österreich fehlten die Interventions-
Engadin beantragte. Mit guten Gründen konnten die
möglichkeiten. Das Problem war den Diplomaten in
Samnauner darauf pochen, als Schweizer Bürger eine
Wien und Bern als «Samnaunfrage» geläufig. Das
anständige Verbindung zum Heimatland zu erhalten.
«Schmugglerparadies Samnaun» ist zollstatistisch be-
Denoth und Gemeindeschreiber Jenal gaben sich bei
legt: Statt Maisgriess oder Schweineschmalz standen
der vierseitigen, in kunstvoller Handschrift abgefass-
Kaffeebohnen und Zucker weit oben auf der Einfuhr-
ten Eingabe grosse Mühe, sich als in jeder Hinsicht Be-
liste der Talschaft. Der Kaffeebohnenimport belief sich
nachteiligte darzustellen: Der Weg nach Pfunds oder
im Jahr 1891 auf sagenhafte 2,1 Tonnen, und auch die
ins Engadin dauere acht Stunden zu Fuss und verwehre
Zuckereinfuhr überstieg das natürliche Fassungsver-
dem Handel «jede Aussicht auf Rendite», man müsse
mögen der Samnauner erheblich. Laut Arthur Jenal wa-
jährlich allein 250 Kubikzentner Getreide für die Bevöl-
ren es Paznauner Bauern, die sich im Samnauner Le-
kerung einführen, der Zolltarif drücke «unverhältnis-
bensmittelladen eindeckten und die Ware über die
mässig schwer», man liefere dem Kanton zudem jedes
Berge nach Tirol schmuggelten. Der Kaffeeschmuggel
Jahr 1200 Franken Steuern ab und sei ganz generell «der
sei aber im Vergleich zu demjenigen mit Vieh eine Mar-
kräftigen Hilfe des Staates höchst bedürftig». Ohne
ginalie gewesen, so Jenal.
diese gehe man einer trüben Zukunft entgegen. Der
Als 1891 ein neuer Handelsvertrag mit Österreich-Un-
hochgeachtete Bundesrat wolle doch nicht Nahrung
garn abgeschlossen wurde, sah sich die Schweiz zu Kon-
bieten, dass sich die Talschaft dem schweizerischen Va-
terland entfremde – ein Argument, das gezielt den um
lich von Vieh nach dem Engadin Thür und Thor geöff-
die Jahrhundertwende blühenden Nationalismus an-
net.» Wegen der hohen Viehzölle befürchtete man ei-
sprach. Denoth ging auch auf die Befürchtungen ein,
nen Schwarzhandel, der selbst mit einer verstärkten
wonach ein Zollausschluss den Schmuggel fördere.
Grenzwache kaum zu verhindern wäre. Nachteile sah
Dies sei nur in «missgünstigen Fantasien» begründet.
das Kreisamt besonders für die Gemeinde Schleins
Samnaun werde dem Viehschmuggel durch den Erlass
(Tschlin) und das zu ihrem Territorium gehörige Val
einer strengen Verordnung mit hohen Strafen entschie-
Sampuoir, das künftig unter die Zollstätte Martina statt
den entgegentreten. Vom Kaffeeschmuggel war nicht die
Compatsch käme. Das habe «grosse Inkommoditäten
Rede. Das Dokument, das im Bundesarchiv in Bern liegt,
und Geldopfer» zur Folge. Hier werden die widerstrei-
legt Zeugnis von einer bewegten Klage ab, wie sie an-
tenden Interessen in der Region deutlich, die einer
scheinend schon vor 120 Jahren der Brauch war, wenn es
schnellen Lösung entgegenstanden.
darum ging, in Bern einen Vorteil herauszuholen.
Auch in der Oberzolldirektion gab es anfänglich Beden-
Zollerleichterungen oder Ausschluss?
falls einen Zollausschluss verlangen. Für den Antrag
Vorgängig hatten sich die Samnauner der Unterstüt-
sprachen hingegen wirtschaftliche Aspekte. Derzeit
zung der kantonalen Behörden versichert. Dabei waren
würden die Einnahmen des Zolls durch den Lohn des
allerhand Widerstände zu überwinden. Die Bündner Re-
Einnehmers und der Zollwacht gleich wieder aufgefres-
gierung, der «Kleine Rath», unterstützte den Vorstoss
sen, argumentierte Serafin Denoth in seiner Eingabe.
und gab dem Vorsteher des Finanz- und Zolldeparte-
Es dürfte nicht zuletzt der Beharrlichkeit, aber auch der
ments, Bundesrat Walter Hauser, eine positive Empfeh-
moralischen Kraft des Appells an die eidgenössische So-
lung ab. Wohl auch deshalb, weil jede andere Lösung
lidarität zuzuschreiben sein, dass Samnaun dennoch
für den Kanton mit Kosten verbunden gewesen wäre.
zum Erfolg kam. Möglich wurde der Zollausschluss
Das Kreisamt Remüs (Ramosch) hielt mindestens Zoll-
durch eine Bestimmung im Zollgesetz von 1861. Diese
erleichterungen für angebracht. Schon in einer Stellung-
sah Ausnahmen für Gebiete vor, die vom Ausland «en-
nahme zum ersten Gesuch aus Samnaun von 1889 plä-
klaviert» sind oder sonstige ungewöhnliche topografi-
dierte Präsident Nicola Janett für Zollerleichterungen.
sche Verhältnisse aufweisen.
Den Samnaunern sei schon viel geholfen, wenn man
22
ken. Man befürchtete, andere Gebiete könnten eben-
die Freipassabfertigung auf «ungeschaufeltes Vieh»
Mit einem einzigen Satz bekanntgegeben
(Jungtiere mit den zweiten Zähnen) ausdehnen und
Der bundesrätliche Beschluss vom 29. April 1892 wurde
den Einfuhrzoll von drei Franken pro Schwein abschaf-
im Bundesblatt mit einem einzigen, lakonischen Satz
fen würde. Die Schweinezucht im Ort sei nämlich nicht
bekanntgegeben, als wollte man potenziellen Nachah-
möglich, weil die Gemeinde zu klein sei und man Ge-
mern ja keinen Anlass bieten. Zwei Monate später wurde
treide schon für die Ernährung der Bevölkerung impor-
ein weiterer Satz nachgeschoben, der auch das Val Sam-
tieren müsse.
puoir auf Tschliner Gemeindegebiet für ausgeschlossen
Einen vollständigen Zollausschluss lehnte das Kreisamt
erklärte. Das Zollamt Compatsch wurde aufgehoben
jedoch ab. Janett hielt ihn für «höchst nachteilig und
und der Einnehmer sowie der Grenzwächter entlassen.
gefährlich»: «Mit der Freierklärung Samnauns wäre
Kurze Sätze, grosse Bedeutung: Mit dem Zollausschluss
nach unserem Dafürhalten der Schmuggel hauptsäch-
war der Grundstein für eine Entwicklung gelegt, die
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
niemand vorausgeahnt hat. Waren aus dem Ausland
schichte vom Ehepaar kolportiert, das Ferien im Unter-
können seither zollfrei nach Samnaun eingeführt wer-
engadin machte und mit dem Auto jeden Tag
den, hingegen werden sie bei der Einfuhr in die Schweiz
abwechslungsweise in Samnaun und Livigno das zuläs-
wie ausländische Waren behandelt und müssen verzollt
sige Quantum Alkoholika postete, bis sich ihr Hotel-
werden. Die Neuregelung allein löste allerdings noch
zimmer in ein nicht mehr transportfähiges Schnapsla-
keinen Wirtschaftsboom aus. Dieser stellte sich erst
ger verwandelt hatte.
nach der Verkehrserschliessung des Hochtals ein.
Immer wieder wurde auch Kritik an der Entwicklung in
Fünf Jahre lang, von 1907 bis 1912, wurde an der neuen,
Samnaun (und Livigno) laut. Schon in den 1960er-Jah-
aufwendigen Verbindungsstrasse Vinadi-Samnaun ge-
ren sprach die «Neue Zürcher Zeitung» von «unhaltba-
baut, die der Bund massiv subventionierte. Die Strasse
ren Zuständen», was einen erheblichen Wirbel auslöste.
ermöglichte die Entwicklung des Fremdenverkehrs
1993 verlangte der Bündner SP-Nationalrat Andrea Häm-
und den Hotelbau, der in den 1930er-Jahren so richtig
merle die Aufhebung des Zollfreistatus für Samnaun.
einsetzte. Investoren konnten mit billigem Material aus
Die ökologischen Folgen des Benzin- und Schnapstou-
Österreich bauen, die Betriebe florierten mit tiefen Pen-
rismus seien nicht mehr länger tragbar. Er regte an, Ita-
sionspreisen dank günstigem Fleisch und Butter aus Ti-
lien zu veranlassen, in Livigno dasselbe zu tun. Seither
rol. Alkohol und Benzin zum Spottpreis steigerten die
erntet der bald abtretende Politiker in Samnaun nicht
Attraktivität Samnauns bei den motorisierten Ausflugs-
eben schmeichelhafte Kommentare. Schon 1912 war
touristen der Hochkonjunktur. Seit 1984 müssen die
verlangt worden, Samnaun wieder ins Zollgebiet zu in-
Shopping-Touristen nicht einmal mehr bis ganz hinauf
tegrieren, da nun der Grund für die Zollbefreiung ent-
nach Samnaun fahren. Der einheimische Cla Famos
fallen sei. Doch föderalistische Rücksichten und die
nutzte die Tatsache, dass der Pfandshof am unteren Ende
traditionell-schweizerische Politik der Besitzstands-
des Val Sampuoir auf Tschliner Gebiet 1892 nachträglich
wahrung erwiesen sich als stärker. Zudem konnten die
auch zum Zollausschlussgebiet erklärt wurde, und grün-
Samnauner auf wachsende Steuerträge hinweisen, von
dete hier das Einkaufszentrum «Acla da Fans».
Livigno: Ähnliche Probleme
denen auch der Kanton Graubünden und der Bund profitierten. Dieses Argument wirkt bis heute und blockte alle politischen Angriffe ab. Der Zollstatus sei heute
MEHRWERTSTEUER
Aus ähnlichen topografischen Nachteilen wusste auch
kein Thema, bestätigt Gemeindepräsident Hans Klein-
das italienische Livigno Kapital zu schlagen. In der
stein. Eine Sicherheit, dass die Debatte nicht doch wie-
Jahrhundertwende ebenfalls nur durch eine schlechte
der aufflammt, gibt es aber nicht.
Eine Sonderregelung für die im Zollfreigebiet verkauften Waren gibt es auch bei der Mehrwertsteuer. Die Gemeinden Samnaun und Tschlin (für das Einkaufszentrum Acla da Fans) liefern seit 2001 in Bern eine Mehrwertsteuerpauschale von zusammen rund 3,5 Millionen Franken pro Jahr ab. Die Gemeinden erheben bei den Geschäften ihrerseits eine Son derabgabe und finanzieren daraus diese Pauschalzahlungen. Die Samnauner Hotels und Restaurants dagegen rechnen die Mehrwertsteuer mit Bern ab.
Wegverbindung mit Bormio verbunden, wurde es im Juli 1910 zum Zollfreigebiet erklärt, um ihm eine Entwicklung zu ermöglichen. Wer Samnaun mit Livigno
Ausschluss – Anschluss
vergleicht, kann feststellen, dass der Zollausschluss
Während Samnaun ein Zollausschlussgebiet ist, gibt es
eine dynamische Prosperität mit ähnlichen Siedlungs-
umgekehrt auch Zollanschlussgebiete: Am bekanntes-
und Umweltproblemen zur Folge hatte. Aufgrund ihrer
ten ist das Fürstentum Liechtenstein. Zum Schweizer
geografischen Nähe lockten die beiden Zollfreigebiete
Zollgebiet gehören auch zwei ausländische Enklaven:
mit zunehmendem Ausbau immer mehr Shoppingtou-
das deutsche Büsingen bei Schaffhausen und Campi-
risten an. Unter Zöllnern wurde bald einmal die Ge-
one d’Italia am Lago di Lugano.
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
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Fusion? Kooperation! Für die Einheimischen ist alles klar, doch Auswärtigen schwirrt der Kopf, wenn sie sich mit der Organisation der öffentlichen Gemeinwesen im Unterengadin befassen und fragen: Wer macht eigentlich was? Pioniergeist führte zu viel Kooperation.
Text: René Hornung Illustrationen: dieeva.com
Z
wischen Zernez und Samnaun kümmern sich
der schulischen und Jugendsozialarbeit, die Koordina-
ben: der Kanton, drei Kreise, zwölf Gemeinden,
tion der Alterspolitik, eine eventuelle gemeinsame Bau-
dazu der Regionalverband «Pro Engiadina Bassa» (PEB)
und die «corporaziun cumüns conzessionaris» (CCC).
SELBER LESEN Zur Zukunft von Gemeinde, Kreisen , Regionalverbände ist ein neues Buch erschienen: Christian Rathgeb, Christina Bundi, Martin Schmid, Frank Schuler: «Graubündens Weg in die Zukunft». Tardis-Verlag, Chur, Fr 18.– Das Heft zeigt im Rückblick die Entstehungsgeschichte der komplexen Strukturen und umreisst mögliche Zukunftszenarien der politischen Ordnung.
26
richtung des Kulturarchivs Unterengadin, der Aufbau
fünf Institutionen um die öffentlichen Aufga-
kommission und die Zukunft von Schloss Tarasp.
«Koordinationsbedarf und Sitzungsaufwand sind gross»,
Misstrauen beim Start
stellt Guido Parolini fest. Bei ihm, dem Präsidenten des
Als die PEB 1970 gegründet wurde, war es eine Pionier-
Regionalverbandes PEB, laufen viele Fäden zusammen.
tat und viele Gemeindeväter waren damals misstrau-
Er und seine Vorstandskollegen arbeiten tagein, tagaus
isch. Sie gaben eigene Aufgaben ungern ab. 1981 wurde
in ihren angestammten Berufen. Sie bilden – im Neben-
aus dem Verein PEB ein Gemeindeverband, der mit ei-
amt – eine Art «Supergemeinderat». Sie sind vom Volk
nem vom Volk gewählten Vorstand, den im Gremium
gewählt, «haben trotzdem kein eigentliches politisches
vertretenen Grossräten und mit der Regionalversamm-
Mandat», stellt Parolini fest. «Wir übernehmen ja nur
lung so funktioniert, als wäre er selber eine Gemeinde.
Aufgaben, die uns die Gemeinden zuweisen – und die
«Es dauerte, aber heute ist PEB breit akzeptiert», stellt
sie auch bezahlen.»
Peder Rauch im Rückblick fest. An vielen Orten ginge
35 Jahre lang war Peder Rauch PEB-Sekretär. Kürzlich
es heute gar nicht mehr ohne den Verband. Oft finden
ging er in Pension. Wenn er zurückblickt, stellt er zu-
die Gemeinden ja keine Leute mehr, die sich für die Äm-
frieden fest: «Im Unterengadin ist es gelungen, viele
ter zur Verfügung stellen.
wichtige Gemeindeaufgaben gemeinsam zu lösen.»
Personalprobleme kennt die Politik landauf, landab. Im
Kehricht und Verkehr, Musikschule und Heilpädagogik,
Kanton Graubünden diskutieren Gewerbe und Linke
Koordination im Tourismus, Landschaftsfragen samt
gemeinsam über eine Initiative, die aus den heute 180
Nationalpark, Wirtschaftsförderung samt Waldwirt-
selbständigen Gemeinden durch Fusionen noch 50 ma-
schaft und Kinderkrippe, Gesundheitswesen und Kul-
chen will. In zwei Südbündner Tälern, im Münstertal
turpolitik. All das sind PEB-Aufgaben.
und im Bergell, sind diese Fusionen vollzogen. Im
Auf dem Tisch von Peder Rauchs Nachfolger – auch er
Oberengadin wird diesen Winter intensiv darüber dis-
heisst Rauch, Reto Rauch – liegen bereits neue Dossiers:
kutiert (s. Randspalte), doch im Unterengadin werde es
Richtplanung und Zweitwohnungsbau, die Wirtschafts-
so schnell nicht gehen. PEB-Präsident Guido Parolini
förderung und das neue Regionalmanagement, die Ein-
meint: «Für Gemeindefusionen scheint die Zeit noch
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
nicht reif.» Die Bevölkerung zwischen Zernez und Sam-
Die Bauzeit der Engadiner Kraftwerke fiel in die Jahre
naun sei zu heterogen und die Finanzlage der einzelnen
der Euphorie. Endlich hatte man genug Strom – und
Gemeinden zu unterschiedlich. Alle Erfahrungen zei-
erst noch zu einem Spottpreis – und darüber hinaus
gen, dass die Bevölkerung der reichen und steuergüns-
dank der Konzessionsgelder alle Finanzprobleme gelöst.
tigen Gemeinden «arme» Nachbarn meist verschmäht.
In dieser Vorfreude zeigten sich die Gemeinden gross-
Die Vorarbeit ist allerdings geleistet, und übr neue Auf-
zügig und gründeten die «chascha da tschinch pert-
gaben wird schon heute in der ganzen Region gleichzei-
schient», die 5-Prozent-Kasse, die jede der Gemeinden
tig abgestimmt. Zwar wird hin und wieder eine Ge-
verpflichtet, fünf Prozent dieser Konzessionsgelder in
meinde überstimmt und muss dann doch an der
den Kultur- und Sozialtopf der Korporation einzuzah-
gemeinsamen Aufgabe mitmachen, doch das habe – so
len. Damit wurde die Kulturpolitik im Unterengadin
Peder Rauch – nie zu ernsthaften Problemen geführt.
weitgehend zur Gemeinschaftssache und der CCC-Prä-
Ausschlaggebend für ablehnende Entscheide ist meist
sident de facto zum regionalen Kulturminister. «Den
die Befürchtung, zu viel zahlen zu müssen.
Titel lass ich mir gerne geben», scherzt Not Carl, denn
Konzessionsgelder für Kultur und Soziales
er habe ja wirklich einen wunderbaren Job. Die CCC kann jedes Jahr im Durchschnitt 300'000
Da hat es die «corporaziun cumüns conzessionaris»
Franken Kultur- und Sozialgelder verteilen. Ab 2012
(CCC) – die Korporation der Konzessionsgemeinden –
werden es dank der steigenden Wasserzinsen sogar ge-
besser. Deren Abkürzung «CCC» kennen alle, die im
gen 400'000 Franken sein – und es reicht auch noch gut
Unterengadin auf Geldsuche sind, denn die Korpora-
für ein jährliches Nachtessen für die Giunta, den leiten-
tion kann jedes Jahr aus dem Vollen schöpfen. Das Geld
den Ausschuss. Im Gegensatz zu den PEB-Vorständen
stammt aus den Wasserkraftkonzessionen. Es war eine
sind sie aber nicht gewählt. Als es vor Jahren um eine
Pioniertat, als sich – noch vor dem Bau der Engadiner
Fusion von Regionalverband und Korporation ging,
Kraftwerke – in den 1950er Jahren die Gemeinden zu-
lehnte die «reiche» CCC das Ansinnen ab. Man wollte
sammenrauften und beschlossen, den mächtigen
die noble Aufgabe des Geldverteilens im eigenen Gre-
Strombaronen mit einer Stimme gegenüberzutreten.
mium behalten.
Dazu gründeten sie die CCC, keine juristisch gefasste
Reihum bekommen aus diesem Topf die Musikvereine
Gesellschaft, kein Gemeindeverband wie Pro Engia-
Beiträge für neue Uniformen oder Instrumente, Chöre,
dina Bassa, bloss ein ganz pragmatisches, gemeinsames
Theatergruppen und Bibliotheken werden unterstützt.
Gremium. Dahinter steckte politisches und finanziel-
PEB und CCC koordinieren inzwischen diese Kultur-
les Kalkül: Die Gemeinden, die viel Geld aus ihren Was-
beiträge. Man achte strikt auf eine gerechte Verteilung.
serrechten kassieren, etwa Ardez und Zernez, sind in
Doch was ist gerecht? «Wir diskutieren oft hart und
der CCC immer auch auf die Zustimmung der «Kleinen»
lang», so Not Carl. Es brauche aber nächstens ein Regle-
wie Guarda oder Ftan angewiesen, denen es aus geogra-
ment für diese Kulturkasse, denn die Frage, wer wie viel
fischen Gründen deutlich weniger Wasserzinsen in die
und wie regelmässig CCC-Gelder bekommt, liegt auf
Kassen spült. In der CCC hat jede Gemeinde zwei Dele-
dem Tisch. Neue, grosse Ausgaben stehen an: die Sanie-
gierte, was verhindert, dass die Grossen die Kleinen
rung des Kulturzentrums Nairs und die Einrichtung
über den Tisch ziehen können – «niemand kann blo-
des Kulturarchivs, der Erhalt des Kurensembles und der
ckieren», zieht CCC-Präsident Not Carl Bilanz.
Kauf von Schloss Tarasp.
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FUSIONSDISKUSSION IM OBERENGADIN Im Oberengadin findet die Fu sionsdiskussion im Kreisrat statt. Die ursprünglich gerichtliche Organisation hat hier auch immer mehr Gemeinschafts aufgaben der Gemeinden übernommen. Er hat – gegen die Opposition der SVP – eine Fu sionsanalyse in Auftrag gegeben. Das hundertseitige Papier wird diesen Winter öffentlich dis kutiert. Danach muss der Kreisrat entscheiden, wie es politisch weitergehen soll. www.oberengadin.ch
27
Die Silser und ihre Ebene In Sachen Landschaftsschutz gilt Sils im Oberengadin als Pioniergemeinde. In Abstimmungen sprach sich die Bevölkerung regelmässig für den Schutz der Landschaft aus. Zuletzt versenkte sie ein Strassenbauprojekt.
Text: Daniela Kuhn Fotos: XLphoto.net
I
m Getümmel des Hauptbahnhofs Zürich hing im Spätsommer 2010 ein Plakat, ein Bild der Sehnsucht
hielt 100'000 Franken, die Gemeinde Stampa, zu der
schlechthin: die königliche, leicht verschneite
Maloja gehört (heute Teil der Fusionsgemeinde Brega-
Margna, sich spiegelnd im morgendlich ruhigen Silser-
glia), 200'000 Franken. Im Gegenzug verzichteten die
see, eingerahmt von goldenen Lärchen. Himmel blau,
Orte für hundert Jahre auf die Wassernutzung aus dem
See blau. Kein Haus nirgends. Auftraggeber dieser Wer-
See. Seither stehen See und Ebene unter Schutz. Sie sind
bekampagne war nicht eines der Hotels in Sils Baselgia,
auch – und das ist von weiter reichender Bedeutung –
wo das Foto aufgenommen wurde, sondern die Touris-
im Bundesinventar der schützenswerten Landschaften
musorganisation Engadin St. Moritz, die seit der Fusion
aufgelistet.
von 13 Kurvereinen 2007 die ganze Region vermarktet. Wenn Ruhe, Entspannung und pure Natur verkauft
Nein zum unkontrollierten Bauen
werden sollen, eignet sich keine andere Szenerie besser
Obwohl heute der Bausektor die Haupterwerbsquelle
als der Silsersee mit dem Blick ins Bergell. Fernab vom
im Tal ist, spricht sich eine Mehrheit der Silser Bevölke-
St. Moritzer Trubel gilt diese Landschaft mit ihrer un-
rung immer wieder gegen unkontrolliertes Bauen aus.
vergleichlichen Weite unbestritten als Höhepunkt des
Aus- und Umzonungen werden abgelehnt, Kontingente
Engadins. Die Tourismusorganisation nennt Sils «Das
und Zweitwohnungsanteile sind relativ streng geregelt.
Mystische» und spricht von der «Magie der Landschaft»,
In den 1960er-Jahren erklärte die Bevölkerung das
der man «auf den ersten Blick verfällt».
Die goldenen Eier
28
(heute «Pro Natura») die Landschaft freigekauft. Sils er-
nahe Fextal zur Ruhezone und sie sagte Nein zu einem Projekt, das in Grevasalvas, hoch über dem Südhang des Sees, lauter Häuschen und Skianlagen vorsah. Noch
Verbunden sind ihr auch die 750 Silserinnen und Silser.
bis in die 1960er-Jahre war die ganze Ebene Bauzone, ei-
Aus verständlichen Gründen: Die unverbaute Ebene ist
nen grossen Teil zonten die Silser in den 1970er-Jahren
nicht nur einmalig schön, sie ist die touristische Gold-
aus. Und statt Cuncas, ein neues Quartier rund um die
grube schlechthin. Und das seit rund hundert Jahren
Talstation der Furtschellas-Bahn, baute man das Quar-
und mit zunehmenden Umsätzen. Doch stets war diese
tier Seglias – in Dorfnähe und sechsmal kleiner.
Natur auch gefährdet: 1905 und 1918 sollte aus dem Sil-
Im Oktober 2010 zeigten die Silser ein weiteres Mal,
sersee ein Stausee werden, erst 1934 stoppte das Bun-
dass sie bereit sind, sich für die Erhaltung ihrer Land-
desgericht die Projekte. Eine der vielen Stimmen in den
schaft einzusetzen. Der Kanton wollte eine «provisori-
Auseinandersetzungen war damals der Chefredaktor
sche Umfahrungsstrasse» bauen, weil bei Sils-Baselgia
der «Berner Nachrichten»: «Schlägt man nicht die
die Kantonsstrasse St. Moritz – Maloja jeden Winter
Henne tot, die die goldenen Eier legt, und schadet da-
mindestens einmal wegen Lawinengefahr gesperrt und
mit dem Fremdenverkehr, der die Haupterwerbsquelle
im Sommer vom Steinschlag gefährdet ist. Von 1982 bis
des Tales bedeutet»!
2008 war sie allerdings pro Jahr im Durchschnitt nur
Ab den 1930er-Jahren setzte sich der Natur- und Hei-
1,94 Tage gesperrt, 2001 waren es zehn Tage. Den Ober-
matschutz «für die Erhaltung der Seen in ihrer Schön-
engadiner Wirtschaftskreisen kosten diese Unterbrü-
heit für spätere Generationen» ein. 1946 wurde mit
che zu viel. Der Region entgingen an solchen Sperrta-
dem Erlös des ersten landesweiten Schoggitaler-Ver-
gen zwischen 0,5 und 1,8 Millionen Franken an
kaufs des Schweizerischen Bundes für Naturschutz
Tourismuseinnahmen. Der Verkehr hat auf dieser Stre-
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
cke in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen
dem Kanton «zu teuer». An anderen Orten in diesem
– zu den Hauptrisiken für Lawinen gehört der Verkehr.
Land, die notabene keine Landschaftsperlen sind, war
Der Kanton legte den Silserinnen und Silsern vier Um-
Geld für Tunnels und Galerien vorhanden. «Wäre es
fahrungsvarianten vor, von denen zwei mitten durch
eine Nationalstrasse, sähe es anders aus», kommentiert
die Ebene führten. Eine verlief am Rand des Siedlungs-
der Silser Gemeindepräsident Christian Meuli. Der
gebietes. Über die vierte wurde schliesslich abgestimmt.
Kanton investiere zwar jedes Jahr 50 Millionen Franken
Sie sah einen 700 Meter langen Tunnel gefolgt von ei-
in den Strassenbau, aber dieser Tunnel würde 120 bis
nem 160 Meter langen Damm am Ufer vor, dazu eine
150 Millionen Franken kosten. Eine subventionsbe-
neue Brücke bei Sils-Baselgia und eine «provisorische
rechtigte Kategorie «Kantonsstrasse mit nationaler Aus-
Umfahrung» durch das Siedlungsgebiet von Sils Maria.
strahlung und Bedeutung» müsste erst noch erfunden
Dazu sagte die Bevölkerung dann aber deutlich Nein:
werden, damit dieses Tunnel eine rasche Chance auf Re-
mit 117 gegen 14 Stimmen stoppte sie das Projekt, ob-
alisierung bekommen würde.
wohl es die Unterstützung des Gemeinderats hatte.
Ausschlaggebend waren Einzelne
Hotel- und Segelclub-Pläne Umstritten ist in Sils derzeit auch ein anderes Vorha-
Die Landschaftsschutzorganisation Pro Lej da Segl
ben: Bei der Furtschellas-Talstation soll ein Drei-
hatte die drastischen Varianten zwar bekämpft, doch
Sterne-Hotel mit 220 bis 240 Betten samt Parkgarage
zuletzt die «provisorische Umfahrung» zum grossen Er-
entstehen. Bauherrin ist die Bahngesellschaft, die
staunen vieler unterstützt – ohne Erfolg, wie das Ab-
Corvatsch AG. «Ökologie und Zukunftsplanung» seien
stimmungsresultat zeigt. In der Geschichte des
im Ganzjahresbetrieb berücksichtigt, lassen die Initi-
Oberengadiner Landschaftsschutzes ist Pro Lej da Segl
anten verlauten. Das Hotel soll mehr und jüngere
allerdings ein wichtiger Protagonist. Sie war schon
Gäste nach Sils bringen – ein neues Touristensegment.
Partner beim Schutzvertrag von 1946. «Sils pflegt heute
Denn die klassischen Gäste sind individuell unter-
mit Erfolg das Image des wirksamen Landschaftsschut-
wegs, pensioniert, vermögend, mögen es eher ruhig-
zes, doch historisch betrachtet waren es Einzelperso-
gemächlich als sportlich und kommen aus unserem
nen, denen es gelang, Schritt für Schritt weitere Kreise
nördlichen Nachbarland.
zu gewinnen», präzisiert Duri Bezzola, Präsident von
Das Projekt spiegle einen «unglaubhaft grünen» Cha-
Pro Lej da Segl, und er stellt fest: «Es gab immer wider-
rakter vor, kritisiert Duri Bezzola. Der Präsident von
strebende Kräfte.»
Pro Lej da Segl erinnert daran, dass die Konzession der
Auch die Umfahrungsstrasse wird in der einen oder an-
Bahn in rund zwanzig Jahren auslaufen wird und eine
deren Form in der Bevölkerung und bei Pro Lej da Segl
Nachfolgebahn mit der nötigen raumplanerischen
wieder zu reden geben. Denn mit drei neuen Lawinen-
Flexibilität auch näher am oder sogar im Siedlungs-
sprengmasten über der kritischen Stelle ist das Problem
raum errichtet werden könnte. Auch ein neues Hotel
nicht erledigt. Aufwändig, dafür sicher, wäre ein Tun-
gehöre dorthin.
nel. Die Kontrahenten, Pro Lej da Segl und die IG Sils
Strasse und Bahn sind nicht die einzigen aktuellen Pro-
(sie hat die Umfahrungsstrasse bekämpft und dagegen
jekte, welche die Silser Ebene potenziell gefährden.
eine Petition lanciert), bezeichnen diese Lösung lang-
Beim «Beach Club» soll ein Segelzentrum entstehen.
fristig als ideal. Aber – und hier staunt der Laie – sie ist
«Vorhaben dieser Art dürfen die Beeinträchtigung der
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
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Silser Ebene und insbesondere des Seeufers nicht erhöhen», sagt Duri Bezzola. Wichtig sind ihm Umwelt-Auf-
Furtschellas-Bahn. Vier neue Häuser stehen bereits, zwei
wertungsprojekte, wie beispielsweise im Fexbachdelta
weitere sind im Bau. Vor rund zehn Jahren hatte die Ge-
am Silvaplanersee.
meinde die Bauprojekte für dieses neue Quartier zwar
In der Bauzone wirds eng
um zwei Drittel zusammengestrichen, gebaut wird dennoch. Daneben wurde ein ehemaliges Bauernhaus abge-
Und schliesslich geht es um das grosse Thema Woh-
rissen. Hier entstehen allerdings ausschliesslich Erst-
nungs- und Zweitwohnungsbau. Nicht dass es in Sils zu
wohnungen – die Bauherrschaft hat nicht zugewartet,
wenig Wohnungen gäbe, aber es fehlt an bezahlbarem
bis sie neue Zweitwohnungskontingente bekommt.
Wohnraum für die einheimische Bevölkerung – ob-
Sorgen bereiten auch ungeklärte Zukunftsperspekti-
wohl in den letzten zwanzig Jahren 310 neue Wohnun-
ven. Die Stammgäste der «Pensiun Chastè» bangen bei-
gen entstanden sind. Parzellen, auf denen noch gebaut
spielsweise von Jahr zu Jahr, was aus diesem einmaligen
werden kann, sind inzwischen allerdings rar: Nur noch
Haus mit seinem, von Neuerungen weitgehend ver-
6000 Quadratmeter stehen zur Verfügung. Die Ge-
schonten, Interieur dereinst geschehen wird.
meinde will darauf vierzig Wohnungen für Einheimi-
30
sprochen Pasch-tschs) in der Nähe der Talstation der
sche bauen, die jünger sind als fünfzig oder bereits
Ein Winkel macht noch kein Engadiner Haus
zwanzig Jahre in Sils leben.
Mit guter neuer Architektur wurde Sils bisher wenig be-
Wie in allen Oberengadiner Gemeinden kennt Sils den
glückt. Einer, der den Ort gut kennt, ist der Zürcher Ar-
Run auf Zweitwohnungen. Da wächst bei den Einheimi-
chitekt Max Baumann. Das in den 1980er-Jahren ge-
schen die Versuchung, das eigene Haus oder Geschäft für
baute Quartier Seglias bezeichnet er als Resultat von
mehrere Millionen zu verkaufen. Einzelne Häuser sind
«unglücklichen Spielregeln der damaligen Planungs-
für 10, ja 15 Millionen Franken verkauft worden. Und der
vorschriften». «Es ist ein Irrtum, zu glauben, wenn man
Kundenfang ist bisweilen forsch: Im April 2010 erhiel-
keine rechten Winkel baue, habe man ein Engadiner
ten sämtliche Haushaltungen, angeschrieben als «sehr
Haus. Die alten Engadiner Häuser sind nämlich einfa-
verehrte Eigentümer», einen Brief, in dem sich ein in-
che, klare Kuben.» Dem Quartier lag der Gedanke zu-
ternational agierender Immobilienmakler für eine
grunde, die Neubauten zu konzentrieren. Das immer-
«kostenfreie, marktgerechte Bewertung» anpries. Die
hin ist gelungen.
jüngsten Folgen dieses Handels sind unübersehbar: Im
«Im Detail schlecht» bezeichnet der Architekt aber auch
Haus der ehemaligen Konditorei Schulze, früher das so-
die beiden Natursteinhäuser in Sils-Baselgia auf dem
ziale Herz der Gemeinde, befinden sich heute teure
Weg zur Halbinsel Chastè, von denen das eine einst ein
Wohnungen. Unerbittlich wurde im letzten Frühling
Stall eines Salis-Hauses war. «Viel zu grosse Fenster und
das Wäldchen gegenüber dem Hotel «Edelweiss» gefällt,
unpassende Lamellenstoren, die zudem fast das ganze
auch hier entstehen Luxuswohnungen.
Jahr geschlossen sind», urteilt Baumann. Als «Glücks-
Eine Diskussion, ob dieser Garten als schützenswert er-
fall» bezeichnet er hingegen das von Hans-Jörg Ruch re-
klärt werden könnte, hat nie stattgefunden. Eigentlich
novierte Haus Spoerry in Sils-Baselgia. In diesem Dorf-
merkwürdig, zumal einige andere Gärten im Dorf, die
teil steht auch der letzte Kuhstall des Ortes. Noch wird
weit weniger prominent gelegen sind, geschützt wur-
er bewirtschaftet und er wirkt fast wie ein Relikt aus ei-
den. Baukräne stehen auch im Quartier Pas-chs (ausge-
ner anderen Zeit.
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
Schöne Aussichten Satire von Michael van Orsouw
E
inen Tag Zeit hatte ich, einen Tag Urlaub, einen
die immerhin an Kitzel zugelegt hat, seit vor kurzem
Tag Abenteuer vor mir, äh, Adventure! Ich wollte
eine Inderin darauf verunfallt und gestorben ist. An ih-
alles und noch ein bisschen mehr. Und ich wollte
rem Ende schlurfte ich die wenigen Schritte bis zum
nach diesem Tag endlich etwas Eindrückliches zu be-
Ziel meiner Bergträume, bis zum Raiffeisen-Skywalk!
richten haben.
Das ist ein Name, der auf der Zunge zergeht, da wird den
Wandern? Total out! Wenn schon, dann wollte ich Wal-
Qualitäten der Schweizer Bergwelt schon beim Namen
king und Trekking! Oder einen Themenweg wie den
Rechnung getragen.
Warzenbeisserpfad, den Witzwanderweg oder die Feng
Vor mir stand eine lange Warteschlange; zum Glück,
Oder sollte ich doch lieber die Natur geniessen und Ei-
denn in der Masse spüre ich, dass ich nicht allein bin
chelhäher und Bergfinken beobachten?
auf dieser Welt, dass ich wirklich trendy bin!
Voll yesterday! Wenn schon in die Natur, dann wollte
Fünfviertel Stunden später war ich an der Reihe. Ich
ich Downhill-Trails, wildes Riverrafting, Lamatrekking
konnte mein Glück kaum fassen. Bei jedem Schritt
oder Kamelrallye!
wippte die Hängebrücke, sie ist die längste Fussgänger*
hängebrücke Europas – unglaublich, wie frei ich mich
Mit solchen Vorstellungen konnte ich nicht ein alter-
auf diesem Skywalk fühlte! Unter mir ein dunkles To-
tümliches Feriengebiet wie Scuol-Tarasp besuchen.
bel, links und rechts von mir bis über den Kopf ein Ge-
Stattdessen entschied ich mich für eine aufstrebende,
wirr von Drähten, Seilen und Geflechten aus Gitter –
moderne Destination wie Sattel-Hochstuckli!
wirklich himmlisch! Dass der Weg auf die Schattenseite
Ich kleidete mich mit UV-schützenden Wanderhosen
des Berges führte, wo ich eigentlich nicht hinwollte,
in Beige, dem hellbraunen Merinopulli und der grün-
war mir ebenso furzpiepegal wie den anderen Tausen-
lich-braunen Softshell-Jacke, die die Körpertemperatur
den von Skywalk-Gängern.
reguliert, und schulterte den atmungsaktiven, dunkel-
*
braunen Rucksack und reiste nach Sattel. Dort führt
Nach diesem Höhepunkt fragte ich mich, wie ich die
keine Standseilbahn oder Gondelbahn auf den Berg,
restlichen Bergstunden verbringen könnte. Vielleicht
sondern «Rondo». Nicht Rondo Veneziano, dieser Klas-
noch mit einem Wolfschiessen? Nicht in Wolfenschie-
sikpop, der mich prima eingestimmt hätte, sondern
ssen, sondern im Wallis. Oder mit einem Duell mit ei-
«Rondo»-Gondeln, die sich beim Hochfahren um die ei-
nem Bären im Nationalpark? Diese Ideen vermochten
gene Achse drehen – ich kam mir vor wie in einer Wä-
mich nicht wirklich zu begeistern. Ich schaute den Berg
schetrommel, mega cool!
hoch – da wusste ich plötzlich, was die Zukunft des *
Schweizer Bergtourismus sein wird!
Auf dem Berg war ich etwas durcheinandergewirbelt,
Vor 150 Jahren bauten erste Pioniere Bergbahnen wie
doch ich fühlte mich wie frisch gewaschen. Vor mir
die Verrückten. Seit 100 Jahren bohren wir Löcher
ging der Blick zum Glück nicht auf schneeüberzuckerte
durch die Berge wie die Verrückten.
Gipfel, schrundige Felsen oder in die endlose Weite!
Da können wir nur mithalten, wenn wir jetzt anfangen,
Kein Gefühl der Verlorenheit – ich fand mich innert Se-
die Berge abzutragen – wie die Verrückten! Ja, die Berge
kunden zurecht. Es war wie auf der Chilbi: grellrote
stören nur. Sie versperren den Blick. Weg mit diesen
Hüpfmatten, knallgelbe Partyzelte, schreiend grüne
Steinhaufen! Das wäre demokratisch. Dann wäre die
Jumpingburgen, dazu diese beschwingte EnZä-, EnZä-,
Schweiz für alle gleich flach. Alle hätten das gleiche
EnZä-, EnZä-Musik in voller Lautstärke! Ich fühlte
Wetter, den gleichen Nebel, gleich viel Sonne, die glei-
mich richtig wohl, spürte, wie ich mich sofort vom
che Aussicht – die freie Sicht aufs Mittelmeer! Vor mir
Stadtstress erholte, und wäre am liebsten mit den Tau-
wären dann am Ufer farbige Plastikhüpfburgen, krei-
send Kindern mitgehopst. *
32
*
shui-Aurasoma-Schamanentour.
schende Kinder und dazu aus den DJ-Boxen hammerharter Strandsound! Schöne Aussichten!
Zum Ziel meiner Träume hatte ich 80 Meter weit zu lau-
*
fen: extrem uncool und zu anstrengend. Also nahm ich
So ein Tag Urlaub in den Nicht-mehr-Bergen, das wäre
die Sommerrodelbahn, eine langweilige Schlittelbahn,
wirklich geil!
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
Literatur: Pioniere oder Nachahmer? Wie steht es mit den Pionieren der romanischen Literatur? Kann man «Churwelsch» überhaupt schreiben und taugt es für eine Bibelübersetzung? Kann eine Sprache nur mit Originaltexten überleben? Wenn ja: wie «original» sind diese eigentlich?
Text: Clà Riatsch Fotos: Kirill Golovchenko
W
o jeder Wechsel ins Nebenbüro als «neue Her-
art ärgert, dass er zur Feder greift, um sich zu verteidi-
ausforderung» gefeiert wird, ist auch der Be-
gen. Das Ergebnis ist die Chianzun dalla guerra dagl
griff des Pioniers inflationär geworden. Strah-
Chiaste da Müs von 1527. Darin blitzt nicht selten die
lende Pioniere stellen sich täglich der ultimativen
Verve des Beleidigten auf, der sich trotz allem Rechtfer-
Challenge und verzücken uns umgehend mit gewalti-
tigungszwang auch zu ironischen Sprachspielen hin-
gen Innovationen. Selbst die romanische Literatur,
reissen lässt. Eines davon legt er dem Kastellan in den
noch vor kurzem in Verdacht, «verspätet» zu sein,
Mund, der, vom Namen «Travers» inspiriert, den Enga-
bringt auf einmal absolut neue Texte hervor, die alle
diner mit einem Wortspiel begrüsst. Er wolle verhin-
das letzte Tabu brechen. Wer von diesem Feiern genug
dern, dass Travers seinen Weg weiterhin traversiere:
hat, kann sich zur Abkühlung nach historischen Pionieren umsehen, auch ohne diese gleich für die eigent-
Johan Travers, traversô taunt m hest tü
lichen und einzigen zu halten und die ersten mit den
Ch’eau nun vöelg tü ’m traversast plü!
grössten zu verwechseln.
Johann Travers, so häufig bist du mir in die Quere gekommen,
Am Anfang war Polemik
Dass ich nicht will, dass du meinen Weg
Der erste bedeutende romanische Text stammt vom Po-
nochmals traversierst!
litiker und Reformator Gian Travers, der von 1523 bis 1527 Bündner Statthalter im Veltlin war. Nach einer er-
34
Ein Glück für uns, dass Travers dieses Lied in Putèr und
folglosen Mission zum «Medeghin» (dem Mailänder
nicht in Latein, Italienisch oder Deutsch verfasst hat.
Herzog Gian Giacomo dei Medici) werden Travers und
Was ihn dazu bringt, ist wohl weniger Pioniergeist oder
seine Begleiter vom Kastellan von Musso («Müs») abge-
der Wille, seine Muttersprache zu pflegen, als schiere
fangen und eingesperrt. Im Bergell hat ein Spötter über
Notwendigkeit. Wer sich verteidigt, muss sicher sein,
diese wenig ruhmvolle Episode ein «schändliches Lied»
dass er von denjenigen, die er überzeugen will, auch
verfasst, eine «svargugnusa chianzun», die Travers der-
verstanden wird. So wird politische, wenig später religi-
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
öse Polemik zum Anlass romanischen Schreibens, das
Gegenarguments, nicht einleuchten: Deutsch, Franzö-
Die Bilderserie entstand in Vnà
allerdings von Anfang an unter dem Einfluss anders-
sisch und andere Sprachen, die schwieriger und mühsa-
und Tschlin.
sprachiger Vorbilder steht. 1
mer sind als unsere, «languax plü grêfs & plü fadius co
«Churwelsch schryben»
l’g nos», könne man ja auch schreiben! Zur Kritik an seiner «Art zu schreiben» – ein Dauerbrenner romanischer
Die Orientierung der «churwälschen Täler» nach Nor
Polemik bis auf den heutigen Tag – bemerkt Bifrun la-
den, deutschsprachige Amtsträger, das Vordringen des
konisch, er hätte sich nicht geschämt, bei Vorgängern
Alemannischen, die Einwanderung der Walser, die dia-
eine bessere zu lernen, wenn’s diese Vorgänger gäbe.
lektale Aufsplitterung und das fehlende Zentrum: Als
Dass die «Enge» des Romanischen eine Übersetzung
das Latein in der frühen Neuzeit als Schriftsprache ab-
verhindere, will er ebenfalls nicht glauben: Jede Spra-
gelöst wird, hat das Romanische schlechte Karten. Das
che kann alles sagen, keine kann eine andere vollstän-
Fehlen einer Schrifttradition ist so evident, dass der
dig wiedergeben. Ein Volltreffer. Dem Einwand, nie-
Glarner Aegidius Tschudi (1505–1572) in seiner Urallt
mand lerne mehr Fremdsprachen, wenn’s eine
warhafftig Alpisch Rhetia von 1538 sogar wissen will,
romanische Bibel gebe, begegnet er mit einer Polemik
«dass man Churwelsch nit schryben kann».
gegen die affektierte Sprachmischung der Elite. Igno-
Solche Unkenrufe hört auch der Samedaner Notar Ja-
ranten sind das, die so viel Latein und Deutsch in ihr
chiam Bifrun (1506–1572), der sich mit seiner Überset-
Romanisch einflechten, dass sie vom Volk nicht ver-
zung des Neuen Testaments von 1560 offensichtlich weit
standen werden, «chels impastrüglian aint ù Latin ù Tu-
vorwagt. Die Bedenken und Einwände gegen sein L’g
daisthck da sort chels nu uignen inclijts delg poeuel». Sie
Nuof Saìnc Testamaint klingen ihm so sehr in den Oh-
sollen besser ihre eigene Sprache lernen, was sie – wo
ren, dass er sie minutiös auflistet: Wenn man Romanisch
sonst? – beim Lesen des Saìnc Testamaint tun können.
schreiben könnte, hätten’s die weisen Alten längst getan.
Eine Pionierleistung ist diese Übersetzung gewiss, ein
Er, Bifrun, hätte nicht die richtige Schreibart gefunden,
romanischer Luther aber ist Bifrun, nach Ricarda Liver,
das Romanische sei viel zu eng und mangelhaft, «strêt &
nicht. Bifruns Sprache erreiche «bei weitem nicht die
amanchianthûs», um eine Übersetzung der frohen Bot-
Prägnanz und Originalität der Sprache Luthers; die
schaft zu ermöglichen, die Romanen hätten jetzt weni-
enge Anlehnung an den Ausgangstext des Erasmus und
ger Grund, Latein und Deutsch zu lernen, und blieben
eine gewisse Pedanterie, die mit Bifruns juristischer
ein ungehobeltes Volk, «grusêra lieud». Ein Chor von
Schulung zusammenhängen mag, beeinträchtigen oft
Nörglern,eingewaltigerArbeitsaufwand,unvorstellbare
die Natürlichkeit der Sprache». 2
typografische Schwierigkeiten und ruinöse Kosten: Es brauchte den missionarischen Eifer und die Ausdauer ei-
Zu wenig Originalliteratur?
nes Besessenen, um das Werk zu vollenden.
Dass der bedeutendste Anfang rätoromanischen Schrift-
Ein romanischer Luther? Die Argumente der Nörgler lässt Bifrun im Vorwort
tums eine Übersetzung ist, mag verbreiteten Vorstellungen von nicht fremdbestimmten Pionierleistungen widersprechen. Für die romanische Tradition dagegen ist
nicht unwidersprochen stehen. Über die Weisheit der
diese Fremdbestimmtheit typisch, vor allem die von re-
Alten wisse er nicht viel, dass man Romanisch nicht
ligiös-moralischenAuseinandersetzungengeprägteLite-
schreiben könne, will ihm, aufgrund eines rührenden
ratur der ersten Jahrhunderte bleibt von Übersetzungen
und Adaptationen anderssprachiger Texte abhängig. Es
«immer neue Opfer für ihre schreckliche Übersetzungs-
brauchte den Einfluss der Romantik, den Genie-Kult des
industrie» suchten, «i tscherchan adüna nouvas victi-
19. Jahrhunderts und die auf eine Stilisierung des «Eige-
mas per lur sgrischaivla industria da traducziuns». Sol-
nen» fixierte romanische Sprachbewegung, um den ho-
cher Spott beinhaltet eine Forderung nach «Originalen»,
hen Anteil an Übersetzungen als Problem erscheinen zu
gerade diese werden aber als Phantasmen dargestellt.
lassen. Einer der Ersten, die dies ansprechen, ist der
Lemnius hat im Elysium gelernt, über sich zu lachen, er
Bündner Oberländer Arzt und Erzähler Giachen Michel
bezeichnet sich als Epigone und Flickwerkpoet, er sei
Nay, der 1902 fragt, warum es nicht mehr «lavurs origi-
«ün tapezier, ün decoratur, ün imiteder», «ein Tapezie-
nalas» gebe, die Geschichte Graubündens und «unser
rer, ein Dekorateur, ein Imitator». Seine Raeteis sei ein
Volk» böten genug Stoff. 3
Plagiat von Vergils Aeneis, er habe sich beim grossen
Im Jahre 1916 hält der Romanist Anton Vellemann ei-
Epiker fürs «Plündern», «splündragier», entschuldigt.
nen Vortrag über die Bedeutung des Übersetzens für die
Bei dieser Gelegenheit habe ihm Vergil zu seiner Über-
romanische Sprachentwicklung. Er wisse, dass er mit
raschung eröffnet, er habe bei einem Dieb gestohlen,
dieser Meinung «viele» gegen sich habe, die es als Ar-
sie müssten zu Homer, von ihm stamme alles. Mit ei-
mutszeugnis für eine Sprache betrachten, wenn diese
nem gütigen Lächeln hätte ihnen der Urvater des Epos
keine eigene Literatur hervorbringt. 4 Die radikalsten
dann gestanden, er sei ein «bescheidener Kompilator»,
Vertreter dieser Meinung sind Men Rauch und Peider
die «Ilias» stamme von zwölf grossen Sängern, die ihm
Lansel, die Anfang der 1920er-Jahre für einen grösseren
vorausgegangen seien. Zum Schluss versteht der Be-
Anteil originaler literarischer Arbeit plädieren. 1923
lehrte:
lässt sich Peider Lansel zu einer krassen Übertreibung hinreissen:
«[...] cha la litteratura mundiela es ün immens clearing house e cha tuot appartain a tuots ed ad üngün.» 6
«Üna lingua po comprovar seis dret d’existenza be tras
«[...]dass die Weltliteratur ein immenses Clearinghouse
üna litteratura originala.» 5
ist und dass alles allen und keinem gehört.»
«Eine Sprache kann ihr Existenzrecht nur durch eine eigenständige Literatur beweisen.»
Postmoderne Literaturtheorie hat für die Literatur als «clearing-house» feinere Begriffe gefunden, sie ist sich
Mit dem «Existenzrecht» einer Sprache wird Peider Lan-
aber mit Reto Caratsch darin einig, dass die Vorstellung
sel ihre politische Anerkennung meinen, davon abgese-
des «Originals» als eigenständige, unabhängige schöp-
hen existieren Sprachen nämlich ganz einfach durch ih-
ferische Leistung der Relativierung bedarf. Neu ist in
ren Gebrauch, und der müsste in menschenwürdigen
der Literatur (und nicht nur hier) allenfalls die Art der
Gesellschaften eigentlich auch ohne weitere Leistungs-
Wiederverwertung des Alten. Damit verliert auch die Fi-
nachweise möglich sein. Und doch erwärmt er das Herz
gur des «Pioniers» an Glanz, er steht, so heisst es heute,
des Literaten, indem er der Literatur die Erbringung ei-
«auf den Schultern von Riesen». 7
nes solchen Nachweises zumutet, in krassem Gegensatz
36
zu heutiger Sprachpflege, die die Literatur mit soziolin-
1, 2
guistischen Konjunkturargumenten als quantité négli-
Literatur in Graubünden im 16./17. Jahrhundert», in: Rusterholz, P. /
Dazu und zur «Chianzun»: Cfr. R. Liver, «Rätoromanische
geable abgeschrieben hat. Ein weiteres Problem von
Solbach, A. (edd.), «Schweizer Literaturgeschichte», Stuttgart, Wei-
Lansels Stellungnahme ist die fehlende Bestimmung
mar, J.B. Metzler, 2007
des «Eigenständigen», der «litteratura originala».
3
Schöpfer und Wiederverwerter
4
Dass die Bestimmung des «Originalen» nicht einfach
estras per inrichir nossa literatura ed imbellir nossa lingua» (1916).
ist, lässt sich in einer satirischen Phantasmagorie von
Auszugsweise veröffentlicht im Fögl d’Engiadina vom 18.11.1924.
Reto Caratsch nachlesen. Als nächtlicher Wiedergänger
5
steigt der Renaissance-Poet Simon Lemnius (ca. 1511–
6/2, 1983.
1550) vom Elysium herab, um seinem Bewunderer Gian
6
Rudolf Mohr eine Lektion in Sachen Literatur zu ertei-
Zernez, Ediziun dal Chardun, 1983.
len. Im Paradies der toten Dichter herrsche Panik, sie
7
fürchteten sich, weil die romanischen Institutionen
von Robert King Merton (1910–2003).
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
Cfr. G.M. Nay, «Pertgei e co duein nus cultivar il lungatg romontsch»,
in: «Ovras I», Nies Tschespet nr. 6, Mustèr, 1926. Cfr. A. Vellemann, «Davart la valur da traducziuns our da linguas
Zitiert nach: A. Ganzoni, «Traducziun cunter original», Litteratura
R. Caratsch, «La renaschentscha dals Patagons» (1949), in: «Ouvras»,
Erstbeleg bei Bernhard von Chartres 1124, neu in Umlauf gesetzt
piz : Publireportage
BERGE IM LICHT Der Engadiner Kunstmaler Lukas R. Vogel Lukas R. Vogel, geboren 1959, Optiker, Kunstmaler, Bergsteiger und Organist, ist ein bekannter Landschaftsmaler in der Region Engadin/Bergell. In Zofingen/Kt. Aargau aufgewachsen, zog er nach der Berufsausbildung zum Augenoptiker 1980 ins Engadin, übernahm 1984 ein Optikerfachgeschäft in St. Moritz und gründete im Jahr 1989 die Galerie Palü in Pontresina, seit Herbst 2009 mit einem zweiten Ausstellungsraum in Samedan. Er wohnt im Oberengadin und im Bergell, in dem Atelier in Stampa entstehen die meisten seiner Gemälde. Aus verschiedenen malerischen Experimentierphasen entstand, immer rein autodidaktisch erlernt, sein eigener, naturalistischer Malstil, wie ihn die klassischen Bergmaler im 19. Jahrhundert pflegten. Vom Hobby Fotografieren her kommend, ist Vogels Absicht stets, die Landschaften so realistisch wie möglich darzustellen, durch diesen aufwendigen Malstil dauert die Vollendung eines grösseren Werkes dann auch bis zu einem Jahr, wobei er immer mehrere Leinwände parallel in Arbeit hat. Die Mehrzahl der Werke sind Gemälde mit Ansichten der Engadiner und Bergeller Alpenlandschaft; Berge, die er zum Teil auch selbst bestiegen hat. Sein Schaffen befasst sich aber auch mit Gipfeln anderer Regionen, aus den Berner Alpen, dem Wallis und auch aus dem Himalaya. Neben seinem Lieblingsberg Piz Palü, den er schon dreissigmal bestiegen und in allen Ansichten gemalt hat, kam in den Jahren 2007 bis 2009 auch die umfangreiche Gemäldereihe BADILE² – BADILE IM QUADRAT dazu: Es ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem berühmten Kletterberg im Bergell, in verschiedenen Ansichten und Wetterstimmungen, alle in quadratischen Formaten von 30 x 30 cm bis 150 x 150 cm. Aus der gleichen Idee arbeitet er jetzt an BERGE² – BERGE IM QUADRAT mit Gipfeln aus dem ganzen Alpenraum. Mit den «Momenti» und «Impressionen» entwickelte sich ein teilweise abstrahierender Malstil als Gegenstück oder Ergänzung zum Realismus: Hier werden die Berge auf die sonnenbeleuchtete Seite reduziert und schweben so über dem Tal im Himmel. Bei den «Momenti» sind die Flanken wie bei den realistischen Gemälden vollständig und detailgetreu fertiggemalt, während die Schattenseite ganz fehlt oder nur mit wenig Felsen angedeutet ist. Bei den «Impressionen» verwendet Vogel dazu echtes Weiss- oder Gelbgold, dessen Verarbeitung sehr heikel ist. Zur Verwendung kommen bei allen Varianten ausschliesslich die klassischen Ölfarben und die Alkydharzfarben, eine Form schneller trocknender Ölfarbe auf Basis der bewährten Pigmente; als Untergrund für die Gemälde dienen Leinwände auf Keilrahmen. Die aktuellen Öffnungszeiten entnehmen Sie bitte der Homepage www.vogel-gp.ch oder erfahren Sie per Telefon: 081 833 32 89 oder E-Mail: galerie.palue@vogel-gp.ch.
Elisabeth Costa Galerie 7504 Pontresina Telefon 081 842 76 70 www.elisabethcosta.ch Oeffnungszeiten Di - Fr 15.00 - 18.30 od. nach Vereinbarung
Guido Baselgia - LungoGuardo
Fotografien
28. Dezember – 4. März 2011 Im Archiv We r k e v o n : Elisabeth A r p a g a u s . M a y o B u c h e r . G i n a B u r d a s s . F l o r i o P ü n t e r . A d r i a n a B e r e t t a Corsin Fo n t a n a . A n d r e a M a l ä r . H a n s S c h w e i z e r . M a t i a s S p e s c h a . B i r g i t W i d m e r Gaspare O . M e l c h e r . G a u d e n z S i g n o r e l l . C r i s t i n a S p o e r r i . M i g u e l a Ta m ò . N o t Vi t a l
Warten bis die Alten aus dem Dorf sind Noch vor der berühmten Hoteliersfamilie Badrutt war es in St. Moritz Conradin de Flugi (1787– 1874), der daran glaubte, dass das vergessene Heilwasser Gäste ins Bauerndörfchen bringen werde. Dafür war ihm auch eine Nacht-und-Nebel-Aktion recht.
Text: Valeria Martina Badilatti Fotos: Kirill Golovchenko
C
onradin de Flugi wuchs in St. Moritz auf. Sein
digt geschieden, so mag es auch für Andere genügen.»
Name sagt es: Er stammte aus aristokratischen
Doch er und seine Freunde wollen den Fortschritt und
Kreisen und auch seine Mutter gehörte zur be-
entschliessen sich deshalb zu einer Nacht-und-Nebel-
kannten Familie der Planta-Wildenberg-Steinsberg.
Aktion: «Wir beschlossen, die Abwesenheit der meisten
Die alten Geschichten von den heilenden Quellen wa-
Alten abzuwarten, welche regelmässig zur Zeit des in Ti-
ren Conradin als Einheimischem sicher bekannt. Nach
rano stattfindenden Viehmarktes erfolgte, und sodann
wenigen Schuljahren in Ftan und Chur beginnt er, erst
Hand anzulegen. Zu diesem Ende wurde im Stillen mit
14 Jahre alt, eine Lehre in Lindau. Als Geschäftsmann
dem Strassenarbeiter Canobbi accordirt und ihm aufer-
und Gutsverwalter führt ihn seine Berufskarriere nach
legt, schon am Tage des Beschlusses mit einer hinläng-
Genua, Pisa und Livorno, und schon mit 22 Jahren ar-
lichen Anzahl Männer ans Werk zu gehen. Kaum waren
beitet er im Kriegsministerium des Königreichs Neapel.
unsere Gegner weg, so versammelte der mit uns einver-
Als König Joachim Murat – ein Schwager von Napoleon
standene Vorsteher die Bürger, und es wurde der Antrag
Bonaparte – dort fünf Jahre später abgesetzt wird, kehrt
mit grosser Mehrheit angenommen. Am zweiten Tage
Flugi in seine Heimat zurück. Zunächst lebt er im Val
schon war ein durchgehender Graben geöffnet, durch
Müstair und zieht dann nach Chur, wo er erst im hohen
welchen bereits der grössere Theil des Stromes floss. Die
Alter von 87 Jahren stirbt. Bereits während seiner er-
vom Markte Zurückkehrenden machten grosse Augen,
folgreichen Berufskarriere widmet er sich der Schrift-
und es fehlte nicht an Verwünschungen und an Protes-
stellerei und der Dichtung.
ten, allein – es war zu spät.»
Die Sommer verbringt er jeweils im elterlichen Haus in St. Moritz. Schon früh macht er sich dafür stark, dass
Keine Chance für die Trinktaxe
die in Vergessenheit geratene Mineralquelle neu gefasst
Die Quelle ist nun zwar wieder zugänglich, aber es dau-
wird: «Was würde Paracelsus sagen, welcher vor mehr
ert noch Jahrzehnte bis sie auch touristisch genutzt
denn drei Jahrhunderten diese, damals so sparsam
wird: 1854 bringt Flugi mit einer Aktiengesellschaft ei-
fliessende Quelle so hoch belobte, wenn er dieselbe in
nen «Contract» zur Nutzung der Heilquellen durch, die
ihrer ungeahnten zweckmässigen Fassung und in einer
die Ausschöpfung für 50 Jahre festschreibt. Pathetisch
um 9/10 vermehrten Fülle sprudeln sähe?», fragt er in
schildert er die Umstände: «An der Stelle schlafend, wo
seinen Aufzeichnungen.1
40
ich geboren wurde, sah ich den Geist meiner würdigen Mutter vor meinem Bette stehen, und hörte ihre Worte:
Einig über die «Dringlichkeit»
‹Conradin, lass nicht nach, sondern hilf auf›». Als dann
Er versucht, die St. Moritzer für seine Idee zu gewinnen:
kurz darauf das Kurhaus eröffnet wird, blüht St. Moritz
«Bezüglich der Dringlichkeit dieser Arbeit waren mein
rasch auf.
selig. Bruder Johann und alle jüngeren Bürger mit mir
Conradin de Flugi denkt auch an die wirtschaftliche
einverstanden, aber leicht war es wahrzunehmen, dass
Seite. Er schlägt vor, eine «Trinktaxe» einzuführen, die
die Alten einen solchen Antrag mit Widerwillen zu-
jeder «Curgast» zu bezahlen hätte. Das Geld sollte «für
rückweisen würden.» Flugi weiss auch weshalb: «Ihre
Verbesserungen» eingesetzt werden. «Der Modus leuch-
Antwort war immer: wir haben noch schwere Schulden
tete ein, konnte jedoch nicht angewendet werden, in-
für den Bau der neuen Kirche zu tilgen – und übrigens
dem der Vorsteher bemerkte, dass laut Gesetz Wasser
sind schon Grafen und Barone hier gewesen und befrie-
und Steine bei uns noch ungetheilte Gegenstände seien,
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
41
und es uns nicht erlaubt sei, etwas dafür zu beziehen.»
schlichten Naturphänomene, sondern aktiv und eh-
Flugi ist nicht nur ein Pionier des Tourismus, sondern
renhaft agierende Ärzte. Es überrascht nicht, dass Flugi
auch ein Vorkämpfer für die romanische Sprache. Die
die Medizin als Propagandamittel einsetzt, denn ge-
Wissenschaft sieht in ihm den Wegbereiter der neuen
rade dem Kurarzt kommt zur damaligen Zeit eine zent-
Literatur im Engadin und den ersten Schriftsteller, der
rale Rolle zu. Seine Reputation und sein Wissen sind für
zur Erhaltung des bedrohten Romanisch aufruft.
die aufstrebenden Kurorte äusserst bedeutsam. Das Wissen der Ärzte findet sich auch in den Werbebroschü-
Sprachpionier
ren. So kann dieses Gedicht auch als Werbebotschaft
Flugi selbst sieht einen durchaus positiven Einfluss des
für die Mineralquelle verstanden werden. Bedenkt man,
aufkommenden Tourismus auf die gefährdete Sprache,
dass die Kurorte lange auch von Einheimischen be-
denn die Fremdenindustrie gebe wohl die Hoffnung,
sucht wurden, ist Romanisch als Propagandasprache
dass die engadinische Emigration gebremst werde, was
einleuchtend.
die negativen Wirkungen der Gästeinvasion aus aller Welt kompensiere. Flugi plädiert auch für die Mehrspra-
Frühe Werbung für St. Moritz
chigkeit: «Alle gebildeten Engadiner wissen, dass ihre
Auch viele andere Gedichte des Aristokraten und Dich-
Muttersprache die Erlernung und besonders die rich-
ters Flugi verherrlichen die Region um St. Moritz. Schon
tige Betonung anderer Sprachen ihnen erleichtert.»
er verwendet die noch heute aktuellen Stereotypien be-
Der Pionier bringt sein Engagement für die Sprache
zogen auf die Natur und die Gesundheit. Seine romani-
und den Tourismus im Gedicht «Trais buns meidis» un-
schen Gedichte sind in erster Linie für die einheimi-
ter einen Hut. Es beginnt so:
2
sche Leserschaft bestimmt. Sie sprechen eine physisch und/oder finanziell schwache einheimische Klientel an
Eau nomn a vus trais meidis
und weisen auf die wirtschaftspolitische Idee hin, die
Chi löng paun’s conserver,
dieser Tourismuspionier verfolgte, damit «die Gäste
E quels ad ogni ura
herbeiströmen». Und doch finden wir in den Gedichten
Pudais vus consulter.
auch den tiefen Glauben. Sie verbinden religiös fun-
Ich nenne euch drei Ärzte
Propaganda.
diertes Lob der Natur mit auf Fortschritt ausgerichteter Die lange euch bewahren können, Und die zu jeder Stunde
1
Ihr konsultieren könnt.
Heilquellen von St. Moritz», Chur: Senti & Casanova 1868
Im Gedicht treten drei verschiedene «Ärzte» auf, die er
tedas», Pargätzi & Felix, Coira, 1861
2
nur weiterempfehlen könne: ova s-chietta, pures Wasser, il cher ajer, die liebe Luft und la buna regla, die gute Regel. Dieses Gedicht symbolisiert eine Anleitung zur richtigen Kur, die Linderung verschaffe. Den Klischees des «puren Wassers» und «der gesunden Luft» kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie sind hier keine 42
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
Conradin de Flugi, «Einst und Jetzt. Ein Beitrag zur Geschichte der
Conradin de Flugi, «Alchünas rimas romaunschas revisas et aumen
Il Don Camillo della Valtellina L'impronta di un prete sulla sua terra, ma non solo. Come un parroco di un paese sperduto delle Alpi ha aiutato i suo fedeli, in modi spesso poco ortodossi, conquistandosi così una fama che ha superato i confini locali lasciando un segno anche nella letteratura e nel cinema italiani.
Testo: Adriano Pedrana Foto: Archivio Paolo Silvestri
D
on Camillo è davvero esistito. No, non si chia-
non un parroco così caparbio, il quale si mise subito
mava così, e no, Brescello e la Pianura Padana
all'opera, aiutando i suoi parrocchiani sia per i bisogni
non c'entrano nulla. Il suo vero nome (o, meglio,
dell'anima, sia per le necessità più materiali e portando
il nome di chi ha ispirato questo personaggio) era don
così un po' di modernità in questo angolo delle Alpi.
Alessandro Parenti, per oltre quarant'anni a capo di Tre-
44
palle, frazione di Livigno, considerata la parrocchia più
Un prete che si dà da fare
alta d'Europa. Solo che, proprio perché vera, la storia di
Aprì un negozio, il primo di Trepalle, per il quale pagò
don Parenti è forse più interessante di quella del suo «al-
di tasca propria le quote dei parrocchiani e garantì con
ter ego» letterario-cinematografico.
la propria firma le prime cambiali; al punto di vendita
«Don Lisander» (come veniva chiamato affettuosa-
si affiancò presto anche un forno per il pane. Suo anche
mente dai suoi conterranei) nacque nel 1903 a Lazzate,
il merito di aver costruito la scuola e l'asilo, così come
piccolo comune a 25 chilometri a nord di Milano. Fin
un distributore di benzina, che esiste ancora oggi. Nel
da piccolo dimostrò di avere un carattere molto esube-
1936 riuscì a far costruire un piccolo invaso, portando
rante e vivace; una cosa che lo mise nei guai non poche
così l'energia elettrica alla chiesa e alla canonica; du-
volte, come quando, da chierico, decise di trasportare
rante l'inverno, la forza dell'acqua era sostituita da un
per scommessa un paiolo da polenta pieno di acqua ap-
motore a scoppio, il quale però veniva spento alle 8 di
peso al manubrio di una bicicletta. Una ragazzata, que-
sera, segnando di fatto la fine di ogni attività in paese.
sta, che però gli valse l'espulsione dal Seminario di Se-
Con gli anni don Alessandro si creò numerosi rapporti
veso e lo obbligò a continuare gli studi a quello di Como,
di amicizia anche ad alti livelli, riuscendo così ad aiu-
dove diventò sacerdote.
tare ancora di più la sua gente. Per lui era facile entrare
Un luogo non proprio ospitale
per i propri parrocchiani, spesso portando a casa un fi-
Fresco di ordinazione, questo focoso giovane prete
nanziamento per opere pubbliche o la promessa di un
venne assegnato alla parrocchia più difficile di tutta la
maggior interessamento verso questa terra. Così il Mi-
diocesi: Trepalle. Un luogo a 2200 metri d'altitudine, al-
nistero dei Lavori Pubblici stanziò una somma per la co-
lora abitato da poco più di 200 anime dedite alla pasto-
struzione dell'acquedotto, per il quale non vennero in-
nei vari ministeri a Roma, per poter ottenere qualcosa
rizia e isolato dal resto del mondo per otto mesi l'anno.
caricate le autorità comunali, ma, caso più unico che
C'è chi vide in questa nomina una punizione, chi in-
raro, la parrocchia stessa. Suo anche il merito di convin-
vece un modo per salvare la vita al reverendo, il quale
cere le autorità dell'epoca ad autorizzare l'apertura in-
aveva già avuto vivaci scontri con un gerarca fascista,
vernale della strada che porta a Bormio; una cosa rite-
subito dopo la marcia su Roma. Fatto sta che, a fine lu-
nuta impensabile, ma che la focosa dialettica di don
glio del 1929, don Alessandro arrivò nel paesello. La
Parenti contribuì a rendere possibile, permettendo così
prima impressione fu desolante: la zona era ancora rico-
un collegamento carrozzabile aperto tutto l'anno, indi-
perta da neve e freddo nonostante fosse estate, mentre
spensabile per lo sviluppo turistico.
il tetto della canonica, rimasta disabitata per diversi
I contatti e le amicizie furono utili anche quando qual-
mesi, era sfondato e la pioggia colava all'interno delle
che abitante di Trepalle veniva preso a trasportare
stanze... Una situazione che avrebbe scoraggiato chiun-
merce di contrabbando. Infatti questo paesello, proprio
que (e che aveva fatto scappare i suoi predecessori), ma
come tutto il comune di Livigno, era (ed è tutt'ora) zona
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
1
2
3
extradoganale; un modo per permettere l'approvvigio-
don Parenti. Questi, invece di arrabbiarsi del brutto tiro,
namento all'estero di beni indispensabili da parte degli
ringraziò l'artigiano per avergli dato la possibilità di
abitanti, i quali, però, incominciarono a sfruttare que-
schiacciare a ogni passo lo stemma del PCI.
2,3 Villagio e Chiesa de Trepalle
da una parte all'altra della linea doganale. Si trattava
L'Ideale per Guareschi e Fernandel
Un ringraziamento a Paolo Sil-
sto status trasportando (di nascosto, s'intende) prodotti
1 Don Alessandro
un'attività certamente illegale, ma necessaria per la so-
Questo impegno politico di don Parenti fu tra gli ele-
vestri per le immagini d'epoca.
pravvivenza, e proprio per questo non condannata
menti che colpì Giovannino Guareschi durante una suo
www.grupposilvestri.eu
dalla Chiesa. Così don Parenti si trovò anche a fare da
viaggio in Alta Valtellina nel secondo dopoguerra,
avvocato per i propri parrocchiani più sfortunati, riu-
quando incontrò il vivace Parroco di Trepalle, da lui de-
scendo a tirar fuori di prigione molti di loro. Non era un
finito «il più bel monumento della Valtellina»; ed è pro-
«prete contrabbandiere», ma un «prete dei contrabban-
prio a lui che Guareschi si ispirò per il personaggio di
dieri», come precisò lui stesso.
Falce e martello entrano in chiesa
don Camillo. Infatti i primi racconti, pubblicati nel 1948, parlavano di un certo Don Candido, Arcivescovo di «un paese che sta lassù, a casa di Dio», chiamato Tre-
Sono tantissime le storie e gli aneddoti che testimoniano
bilie (un nome con un'assonanza fin troppo chiara con
il carattere burbero ma schietto e sincero di don Alessan-
quello della parrocchia più alta d'Europa); anche molte
dro; tra questi il fatto di chiudere i fedeli all'interno della
delle storie riflettevano la vita di questo paese.
chiesa prima delle funzioni, visto che «la messa è da as-
L'amicizia tra lo scrittore e il prete si incrinò, per poi
coltare tutta, dall'inizio alla fine». Famose anche le sue in
rompersi del tutto, a causa di un articolo di Guareschi
vettive contro le «signorine» di Trepalle, accusate di
su Alcide De Gasperi e il bombardamento alleato di
avere costumi troppo libertini; sopra la canonica era
Roma. Fu forse per questo che il nome del prete prota-
stato messo un cartello stradale molto particolare, il
gonista del libro cambiò, assieme all'ambientazione dei
quale indicava il divieto di ingresso alle donne coi pan-
racconti, «trasferiti» dalle montagne alla Pianura Pa-
taloni. A loro aveva pure dedicato una predica dai toni
dana. Rimase invece l'impronta del carattere di don Pa-
poco ortodossi per un prelato, ma molto incisiva, tanto
renti, pure nel personaggio del film: infatti, secondo un
da essere ricordata ancora oggi, dopo oltre cinquant'anni.
suo cugino, l'attore Fernandel sarebbe stato per un paio
Altra categoria contro cui si era scagliato don Parenti era
di giorni a Trepalle con lo scopo di studiare il modo di
quella dei simpatizzanti del Partito Comunista. Una
fare del suo vivace parroco.
maestra delle scuole elementari, il ciabattino, la farma-
Di Guareschi oggi rimane anche una descrizione molto
cista; tutte persone con le quali si cimentava spesso in
chiara di don Parenti, definito «presidente della repub-
vivaci discussioni. A volte, però, il confronto superava
blica extradoganale di Trepalle. È lassù da 20 anni, è
le parole. Si racconta infatti di un inverno, durante il
secco e solido e quando parla, gesticola e urla. E così ogni
quale il Parroco di Trepalle lasciava dietro di sé nella
tanto si affaccia da una nuvola un angioletto e dice al par-
neve impronte con falce e martello... Il prelato si era di
roco della chiesa più alta d'Europa: 'Reverendo, per fa-
colpo convertito? Una simpatia nascosta verso Marx ed
vore, un po' più sottovoce. Qui su c'è gente che riposa'».
Engels? Nulla di tutto questo, solo lo scherzo del calzo-
Don Alessandro rimase nella sua parrocchia fino al
laio, il quale, durante una risuolatura, aveva provve-
1970, per poi tornare al suo paese d'origine, dove morì
duto a incidere questa immagine sotto gli scarponi di
il 16 ottobre 1980.
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1
2
Mehr als Bio Ganz wenige Landwirtschaftsbetriebe im Unterengadin arbeiten nach den strengen DemeterRichtlinien. Alesch und Maryse Vital begannen damit in Scuol schon vor Jahrzehnten. Kürzlich machten auch Gian Reto Lanfranchi und Simone Federspiel in Strada diesen Schritt.
Text: Mathias Balzer Fotos: Gabriella Disler
I
ch bin kein Provokateur, ich werde provoziert.» Das
künstler Urban Gwerder nennt das Leben und Wirken
ist eines der kernigen Zitate von Alesch Vital. Der
von Alesch und Maryse «ein naturbezogenes, realuto-
68-jährige Bauer und Künstler ist gerade dabei, vor
pisches Gesamtkunstwerk». Nach Studienaufenthal-
der Einfahrt seines Hauses in Scuol ein hölzernes
ten in London, Nigeria, den USA, Mexiko und Wien
Weinessigfass zu reinigen. Er hat es vom benachbarten
sorgte Alesch Ende der Sechzigerjahre mit prägnanten
Wirt erhalten, klaubt nun die alte Essigmutter heraus
Auftritten als Plastiker und Performer für Aufsehen in
und macht das Fässchen bereit, für den nächsten Apfel-
der Zürcher Kulturszene. «In dieser Szene war es dann
essig. «Sowas ist immer spannend», sagt er mit funkeln-
aber bald nicht mehr auszuhalten», sagt er rückbli-
dem Blick. Das Haus haben er und seine Frau Maryse
ckend und erzählt vom Ausstieg, der eben ein Einstieg
vor vier Jahren bezogen. Das zuvor halb verfallene Ge-
war in das Leben als Kleinbauernfamilie. «Da haben
bäude ist stil- und liebevoll umgebaut, in Eigenregie –
wir dann gelernt, dass die Rüebli nicht obsi, sondern
was bezeichnend ist für dieses Paar, das zeitlebens
nitzi wachsen», lacht er. Noch bevor es das Verteilnetz
seine eigenen Wege ging. Eisenplastiker, Industrial De-
mit Läden für Bioprodukte gab, belieferte er mit seiner
signer, Rotkreuzhelfer, Polit-Aktivist, Bergbauer und
3-Rad-Vespa Privatkunden in Zürich mit Fleisch und
«Agrartist» sind die Berufsbezeichnungen, die das Le-
Gemüse aus bio-dynamischer Produktion.
ben Alesch Vitals spiegeln. Ein Leben, das notabene
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keine Einzelkür war. «Maryse ist die Innenministerin,
Einen Platz erkämpft
ich bin der Aussenminister. Es hat immer uns beide ge-
1980 zogen er und seine Familie auf den Hof Tanter
braucht, aber das ist gegen aussen schwer zu kommu-
Dossa hoch über Scuol, um dort nach den Regeln der
nizieren. Die Leute wollten immer den Ziegenkäse von
Demeter-Produktion Ziegen zu züchten, Käse zu ma-
Alesch, nicht den von Maryse und Alesch, obwohl Ma-
chen, Getreide und Gemüse anzubauen. Damals war
ryse ihn gemacht hat. Aber das scheint bereits zu kom-
«Bio» für weite Teile der Landbevölkerung wenn nicht
pliziert zu sein», lächelt der bärtige Mann mit der fei-
ein Fremd-, so doch ein Reizwort. «Wäre ich nicht ein
nen Stimme verschmitzt.
Vital, Sohn eines Ausgewanderten aus Sent, hätten wir
Blättert man im reich bebilderten Buch über Leben
das nie durchgestanden.» Einheimisch bleibt eben ein-
und Werk von Alesch Vital und seiner Familie, wird
heimisch, auch wenn einer den Schnee auf seiner Zu-
klar, dass all dies in keine Schublade passt. Der mit ihm
fahrtsstrasse mit einem aus alten Skiern gebauten Pfer-
befreundete Publizist, Performer, Lyriker und Lebens-
depflug räumt, mit Aktionen gegen Schneekanonen
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3
und Eulenspiegeleien am 1. August irritiert oder dem
4
Die ganzheitliche Wirtschaftsweise beruht grundsätz-
1 Demeter-Landwirtschaft:
Bündner Regierungsrat vorschlägt, den Steinbock im
lich auf einem Leben mit der Natur, den kosmischen
Kühe mit Hörnern.
Wappen gegen eine heimische Geiss auszutauschen.
Kräften und eben nicht auf Ausbeutung der Ressour-
Alesch, Maryse und ihre drei Kinder mussten sich ih-
cen.» Das Label Demeter, 1928 eingeführt, ist das äl-
ren Platz unter den Unterengadiner Bauern erkämpfen.
teste Qualitätssiegel für biologische Produktion und ga-
«Das kann einen einsam machen und braucht Hartnä-
rantiert weltweit qualitativ hochstehende Produkte.
ckigkeit», meint Alesch ohne Verbitterung. Die Ent-
Dabei gilt es, einige Regeln einzuhalten: Die Verrottung
2 Alesch Vital, der Pionier.
3 Der Natur Sorge tragen …
scheidung, ein Leben «mit und für Mutter Erde» zu le-
des Komposts wird mit Brennnessel-, Löwenzahn-, Ka-
4 … und seltene Tiere züchten:
ben, hat er nie bereut: «Im landläufigen Sinne, also
mille-, Eichenrinde- und Schafgarbepräparaten ge-
Capra Grigia.
materiell, zahlt sich das nicht aus. Dafür wurden wir
lenkt. Dies, nachdem diese pflanzlichen Stoffe in einer
vom Leben reich beschenkt, brauchten keine Ferien,
ihnen zugeordneten tierischen Hülle wie zum Beispiel
haben mit den Sternen, der Erde und den Tieren gelebt.
einer Hirschblase oder einem Kuhschädel in der Erde
Es ist ja nicht so, dass ich den Geissen helfe zu leben.
vergraben und dort «verdichtet» worden sind. Dazu gibt
Sie helfen mir.»
es zwei Spritzpräparate, den Hornmist und den Horn-
Produkte entstehen aus dem Kreislauf Auf dem wunderbar gepflegten Hof Tanter Dossa oberhalb Scuol wirtschaften heute Alesch und Maryses
kiesel. In Kuhhörnern in der Erde gelagerter Mist oder gemahlener Bergkristall werden in homöopathischer Dosis über die Felder und Pflanzen ausgebracht.
Sohn Not und dessen Partnerin Jorinde. Der gelernte
Kühe mit Hörnern
Schmied hat, nach einigem Zögern, das Anwesen der
Demeter-Betriebe erkennt man auch an einem durch-
Eltern vor vier Jahren übernommen und führt deren
aus ästhetischen Kriterium: Demeter-Kühe sind bald
Werk weiter. Das Paar züchtet Engadiner Schafe, eine
die einzigen, die noch Hörner tragen dürfen respektive
rare Rasse, ebenfalls nach den Leitlinien der Demeter-
müssen. Denn – so die Lehre – die Hörner sind nicht
Produktion. Not hat die entsprechende berufliche Aus-
einfach nutzloser Kopfschmuck, sondern in verschie-
bildung absolviert.
dener Weise ein wichtiges Organ der Kühe. Man sieht
Diese biologisch-dynamische Wirtschaftsweise beruht
das an Lotti, einem prächtigen Exemplar Rätischen
auf Vorträgen, die der Anthroposophiebegründer Ru-
Grauviehs, das stolz behornt vor Nots Hof weidet.
dolph Steiner 1924 in Vorträgen formuliert hat. Dies
Die Wirkung der Demeter-Präparate ist in wissen-
tat er auf Wunsch von Landwirten, die bereits damals
schaftlichen Kreisen umstritten. Der sogenannte
festgestellt hatten, dass die industrielle landwirtschaft-
DOK-Langzeitversuch in der Nähe von Basel attestiert
liche Produktion die Böden auslaugt und qualitativ
dem biologischen Landbau, dass dieser bei deutlich ge-
schlechtere Produkte hervorbringt. «Eigentlich geht es
ringeren Aufwendungen trotz tieferer Erträge eine res-
darum, dass der landwirtschaftliche Betrieb einen
sourcenschonende Produktion ermögliche. Eine mate-
Kreislauf bildet, in dem die bewirtschaftete Fläche ge-
riell messbare Wirkung der Präparate könne jedoch
nug Futter erbringt für die Tiere und diese wiederum
schwer nachgewiesen werden. Anthroposophienahe
genug Dung, um damit Acker und Wiesen zu düngen»,
Institute wie der Forschungsring für biologisch-dyna-
erklären Not und Jorinde. «Das heisst, es werden mög-
mische Wirtschaftsweise, mit einem Lehrstuhl an der
lichst wenig fremde Stoffe von aussen zugeführt.
Universität Kassel, attestieren der biologisch-dynami-
5
5 Gian Reto Lanfranchi und
schen Methode, eine zukunftsfähige Methode zu sein.
6
staunen bereits, weil unsere Kinder die Steinerschule
Simone Federspiel bewirtschaf-
Die Entscheidung für diese Wirtschaftsweise ist eine
in Scuol besuchen. Andere begegnen der Idee mit Res-
ten einen Demeter-Hof in Strada.
Entscheidung für eine Lebensweise, die ganzheitli-
pekt. Denn es ist allen klar, dass es in Zukunft Ideen
ches Denken vor materielle Werte stellt. «Man muss
braucht, um als Bauer in dieser Region zu überleben.»
6 Glückliche Hühner legen
kein Anthroposoph sein, um Demeter-Produkte her-
gesunde Eier.
zustellen. Aber es ist nicht einfach, damit zu überle-
«Das Gute ist schön»
ben. Wir mit unseren Schafen sind in gewissem Sinne
Auch Simone und Gian Reto betonen, dass es eben um
ja mehr Landschaftsgärtner als Lebensmittelprodu-
mehr geht als nur um die Produktion von Lebensmit-
zenten», gestehen Jorinde und Not nüchtern ein. «Das
teln. Es geht ihnen um ein Leben, in dem Wirtschafts-
liegt aber auch an den beschränkten Landressourcen.
form und Privatleben harmonieren und ein Ganzes
Der Druck auf diese ist gross, und mancher Bauer im
bilden. Statt eines Fernsehers haben die Kinder eine Bi-
Nebenerwerb schneidet sich eben auch noch ein Stück
bliothek und den grossen Hof mit all seinen Tieren als
vom Kuchen ab.»
Spielmöglichkeit. Gian Reto hat da seine eigene Theo-
Eine Idee konsequent durchziehen
50
rie: «Das Gute ist schön.» Das könne man an leuchtenden Kinderaugen ebenso ablesen wie an Hühnereiern,
Nahe Strada, auf der Ebene am Inn, steht ein Bauern-
deren Schale eben nicht matt, sondern glänzend sein
haus mit regenbogenverzierter Fassade. Hier führen
müsse. «Hier, fern vom Dorf, siehst du noch einen rich-
Gian Reto Lanfranchi und seine Partnerin Simone Fe-
tigen Sternenhimmel. Auch wenn er dauernd von blin-
derspiel mit vier Kindern ihren Familienbetrieb. Gian
kenden Flugzeugen verunstaltet wird.»
Reto, ein heimischer Bauernsohn aus Strada, ist vor
Sein für hiesige Verhältnisse grosser Hof steht auf
14 Jahren hierhergezogen. «Ich hatte mir vorgenom-
fruchtbarer Erde. Die riesigen Kohlrabi im Garten zeu-
men, mit spätestens dreissig von zuhause weg zu sein.
gen davon. Die Anthroposophie ist für ihn, der das klas-
Und so hab ich am Vorabend meines dreissigsten Ge-
sische Bauernmetier am Plantahof in Chur erlernt hat,
burtstags mein Bett hierhergebracht», erzählt der ge-
ein neues Erfahrungsfeld, das er entspannt angeht.
lernte Landwirt lachend. Ideen konsequent durchzu-
«Die Auseinandersetzung damit erweitert meinen Hori-
ziehen, ist eine Eigenschaft von Gian Reto. Bereits
zont.» Umgekehrt absolviert seine Frau, die gelernte Er-
1996 stellte er seinen Hof auf Bio-Produktion um und
nährungswissenschafterin, die klassische Schule am
nun, inspiriert von seiner Partnerin Simone, wagt er
Plantahof, um mit ihrem Mann auf Augenhöhe disku-
den Schritt und stellt den Biosuisse-Knospenhof auf
tieren zu können. Beide sind zuversichtlich, dass die
Demeter-Produktion um. Zusätzlich gründen die bei-
Umstellung der Produktion Zukunft hat. Sie wollen
den innovativen Mitdreissiger einen Archehof, auf
ihre Tiere in der Region schlachten lassen und die Pro-
dem rare Tierrassen und Pflanzensorten in Zukunft
dukte, die eben etwas teurer, dafür umso besser sind, an
überleben und gedeihen sollen. Dazu gehören seltene
individuelle Kundschaft verkaufen.
Obstsorten, Wollschweine, Appenzeller Barthühner,
Qualität setzt sich durch. Davon sind sie überzeugt, und
Rätisches Grauvieh und die stolze Capra Grigia, eine
das ist eigentlich uns allen zu wünschen. Vielleicht
seltene Ziegenrasse.
sind die Kuhhörner, in denen sie ihre Präparate berei-
Die Reaktionen im Tal, von anderen Bauern oder in der
ten, ja doch eine Art Füllhorn, das mythologische Sym-
Gemeinde, nimmt Gian Reto gelassen: «Ach, die einen
bol für Glück.
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Fettabsaugen: Pölsterchen an Bauch, Oberschenkel, Gesäss, Hüften, Arme oder Hals können mit einer feinen Saugkanüle entfernt werden. Neu sind dabei feinere Absaugtechniken und die örtliche Betäubung. Sie gehen sofort wieder nach Hause und können nach wenigen Tagen normal aktiv sein. Die Resultate sind glatt und regelmässig. Natürlich kann damit nicht Übergewicht korrigiert werden. Das Absaugen von einzelnen Fettüberschüssen kann eine gute Motivation zum Abnehmen sein. Spezielle Fettpolster sind in den Lidern zu finden (Tränensäcke). LidpLastik: Am häufigsten fühlen sich Menschen durch Falten im Augenbereich gestört. Vier verschiedene Eingriffe im Ober- und Unterlid bieten sich an. Diese werden ambulant durchgeführt und sind mit wenig Risiko behaftet. Sie führen zu einer Beeinträchtigung, die ein paar Tage andauert. Natürlich werden sie damit nicht jünger, aber sie schauen sich wieder lieber im Spiegel an. nasenpLastik: Die Nasenform kann zu einem ständigen Unbehagen führen. Auch die Korrektur der Nase geschieht ambulant. Höcker, Ballonspitzen oder Unfallfolgen. Eine perfekte Nase gibt es nicht.
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Betten für Büezer und Bewegte Ferien für alle, auch für Wenigverdienende. Zweimal gelang es dem linken Zürcher Buchhändler Theo Pinkus, eine touristische Vision umzusetzen: im Krieg mit dem Alpinisten Mathis Margadant und den Naturfreunden, nach 1968 mit seiner Frau Amalie im Zentrum Salecina.
Text: Jürg Frischknecht Fotos: Archive
M
itten im Krieg, am Karfreitag 1943, stiegen in
sche Intellektuelle wurden Freunde fürs Leben und
St. Moritz und Umgebung gegen 1000 Unter-
ein unschlagbares Power Couple. Beide waren über-
länder aus einem Extrazug. In langen Kolon-
zeugte Kommunisten. Mit Margadants Kopf auf dem
nen marschierten sie mit geschulterten Skiern den Ho-
Plakat buhlten die Zürcher Kommunisten bei den Na-
tels entgegen, die zu dieser Zeit leer standen, und
tionalratswahlen 1935 um Stimmen. In den Augen der
bezogen für vier Ostertage Quartier, das sie sich gleich
Partei dachten und agierten die beiden Genossen aller-
selber einrichteten. Sie schoben Betten an die Wände,
dings zu selbständig; beide wurden ausgeschlossen.
legten doppelte Matratzen einzeln auf den Boden und breiteten ihre Schlafsäcke aus, kochten selber und
Naturfreunde – Pioniere des Skitourismus
machten vor der Abreise wieder alles sauber. Volkstou-
Mit den Naturfreundelagern verfolgte das starke Dop-
rismus nannte sich das. Das Volk waren Naturfreunde-
pel konsequent die Vision Volkstourismus, kurz: Fe-
Mitglieder, die Hotels enterten, die sie sich in Friedens-
rien für alle, nicht nur für Vermögende. Von Jahr zu
zeiten nie hätten leisten können.
Jahr nahmen mehr Naturfreunde an den Lagern teil,
Die Seele dieser Osterskilager war der Bündner Mathis
besonders an Ostern, wenn auch Arbeitnehmer ohne
Margadant, 1903 als Sohn eines Briefträgers in Chur
geregelte Ferien vier Tage frei hatten. Bald waren die
geboren. Er hatte in Zürich Gärtner gelernt und war ein
Naturfreundehäuser zu klein. Margadant und Pinkus
Werbung der Naturfreunde
erfolgreicher Bergsteiger und Tourengänger. 1927 or-
mieteten günstige Pensionen und später auch Hotels.
in den Jahren des Zweiten Welt-
ganisierte er das erste Osterskilager im Fondei und im
Die Naturfreunde waren Pioniere des Skitourismus.
kriegs: «Tote (Hotel-)pracht»
Jahr danach in Brambrüesch mit 40 jungen Männern
Bereits 1931 liessen sie den Skifilm «Empor zur Sonne»
oder die Luxushäuser für das
und auch ein paar Frauen. Margadant war die zentrale
drehen. Unter der Woche übten die angehenden Ski
einfache Volk öffnen? Repro
Figur in der «Lagerleitung» der Ortsgruppe Zürich des
kanonen im Sägemehl der Zürcher Reithalle «das Ge-
duktion aus dem Buch von
«Touristenvereins die Naturfreunde», wie die Freizeit-
hen im Schnee sowie das Biegen und Drehen und
Beatrice Schumacher: «enga-
organisation der Arbeiterbewegung offiziell hiess. Sie
Schwingen, um dann am Sonntag im Schnee weiterzu-
giert unterwegs. 100 Jahre Naturfreunde Schweiz 1905–2005», Verlag hier + jetzt, 2005
52
zählte in der Schweiz rund 10'000 Mitglieder.
üben», wie sich ein Naturfreund erinnerte. Beliebte
1934 lernte Margadant den Buchhändler Theo Pinkus
Destinationen waren Tschiertschen, St. Antönien und
kennen. Der Bündner Naturbursche und der städti-
1938 das Bodenhaus in Splügen.
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Dann änderte der Krieg alles. Er stürzte die Hotellerie
Die vier Ostertage in St. Moritz und Umgebung koste-
in die Krise und ermöglichte nie geahnte Partnerschaf-
ten – alles inbegriffen – je nach Kategorie 35 bis 59 Fran-
ten. «Wir sagten den Hoteliers», schilderte Pinkus die
ken. Ein separates Programm gab es für Sils Maria: «Ma-
Verhandlungen, «Personal brauchen wir keines, alles,
tratzenlager im Hotel Waldhaus, einfache, gute
was wir brauchen, ist die Küche, notfalls halt die Perso-
Hotelverpflegung, Postauto ab St. Moritz inbegriffen».
nalküche. Und das hat geklappt.» Im grossen Stil zum
Nicht-Skifahrer konnten für fünf Franken einen Vierta-
ersten Mal an Ostern 1941, ausgerechnet im exklusi-
gepass der Berninabahn in der 3. Klasse kaufen und in
ven Zermatt. «Mit de Zürcher uf Zermatt», warben Pla-
den Puschlaver Frühling fahren. Im Pauschalpreis war
kate. 460 packten die Chance. Diese «Eroberung von
ein Solidaritätsfranken inbegriffen, damit Emigranten
Zermatt» wurde für eine ganze Generation von
eingeladen werden konnten, die sich am kulturellen
Naturfreund innen und -freunden zur Legende.
Programm beteiligten.
Zermatt und St. Moritz werden erobert
Unterhaltungsabend in der Tennishalle
Die Naturfreunde reisten mit einem Extrazug der SBB
Am Samstagabend trafen sich alle in der festlich ge-
an, und die Zermatter Bahn war so angetan, dass sie
schmückten Tennishalle im Nobelhotel «Palace» zum
den Plakataushang in Zürich bezahlte. Nur der Zer-
gemeinsamen Fest. Das war damals der grösste Saal in
matter Hoteldynastie Seiler habe «die Arbeiterinva-
St. Moritz (heute ist dort der King’s Club untergebracht).
sion überhaupt nicht gepasst», erinnerte sich Pinkus.
Der Unterhaltungsabend habe «die Naturfreunde und
Man habe aber den Direktor des gemeindeeigenen Ho-
Einheimischen in froher Geselligkeit vereint», schrieb
tels gewinnen können. Zum Programm gehörte auch
die «Engadiner Post». Die Gäste wurden im Namen von
eine Fahrt mit der Gornergratbahn. Mathis Margadant
Gemeinde und Kurverein begrüsst, der Chor sang und
führte 160 Tourenfahrer auf den Theodulpass. Und der
«der offizielle Redner der Naturfreunde formulierte den
sozialistische Walliser Nationalrat Karl Dellberg hielt
Begriff und die Bedeutung des Volkstourismus».
eine Festrede.
Das war wohl Theo Pinkus, der unermüdliche Propa-
Zwei Jahre später ging es ins Oberengadin, 900 bis 1200
gandist der Vision Volkstourismus. Nach dem Engadi-
kamen (die Zahlen schwanken, je nachdem, ob auch
ner Lager schrieb er in der «Naturfreunde Illustrier-
Sils Maria mitgezählt wurde). Die «Weltwoche» wid-
ten», in Anspielung auch auf die programmatische
mete dem Massenphänomen und Mathis Margadant –
Schrift «Die neue Schweiz» der SPS: «Die Osterlager der
dem Mann im Mittelpunkt – eine prominente Vorschau:
Naturfreunde sind erst ein bescheidener Anfang. Un-
«Heuer wird in St. Moritz und Sils Maria kampiert», mit
sere ganze Tätigkeit steht im Zeichen dieser neuen
Matratzenlagern und Eigenregie-Küche im Bären
Epoche. Die Osterlager erbrachten den Beweis, dass
St. Moritz und einem weiteren Matratzenlager mit Ho-
die vorhandenen Möglichkeiten ausgenützt und selbst
telverpflegung in Celerina. Auch Hotels in Samedan
Arbeiter und Angestellte dem notleidenden St. Moritz
und Pontresina würden belegt. Alles sei perfekt organi-
eine viertägige Ostersaison verschaffen könnten.» Die
siert, mit eigenen Sanitätsleuten und Skiinstruktoren,
Chanterella- und die Corviglia-Bahn beförderten
schwärmte die «Weltwoche»: «Margadant ist nicht nur
während dieser Ostertage 2400 Passagiere. «Besonders
vorbereitender Organisator, Lagerleiter, Tourenob-
günstig waren die Schneeverhältnisse für Tourenfah-
mann und Vergnügungspräsident, sondern auch Kü-
rer in den Skigebieten hinter Corviglia, Fuorcla Schlat-
chenchef und Hauptkassier.» Eine «echt proletarische
tain, Fuorcla Grischa, Fuorcla Valetta», meldete die
Autorität», wie es Theo Pinkus formulierte.
«Engadiner Post».
POWER COUPLE Sie waren die treibenden Kräfte des Volkstourismus, der an Ostern 1943 tausend Skibegeisterte ins Engadin brachte: Der linke Buchhändler Theo Pinkus (stehend) und der aus Graubünden stammenden Alpinist Mathis Margadant (sitzend). Foto: Archiv Bruno Margadant
1
1 Naturfreunde unterwegs:
Im ersten Friedensjahr 1946 war der Zuspruch noch
2
ten Migros-Gesellschaften für rund vier Jahrzehnte mit
grösser. Schon eine Woche vor Ostern waren alle 3000
unterschiedlichem Erfolg das Zuozer Hotel «Castell».
ohne Hemd) und Mathis
Plätze der Lager in den verschiedenen Landesteilen aus
Die Kriegsjahre hatten dem Volkstourismus der Natur-
Margadant, Toscani rauchend.
verkauft. Im Engadin mit dabei war die heute 89-jäh-
freunde einen Boom beschert, jener Sparte im Touris-
rige Margrit Moritzi aus St. Gallen, langjährige Natur-
ten-Verein, die stark von Kommunisten geprägt war.
freundin und eine der ersten Skiinstruktorinnen.
1945 wurden Theo Pinkus und Mathis Margadant in die
Noch heute erinnert sie sich lebhaft an die Tage im En-
Landesleitung gewählt, als Verantwortliche für die Res-
Mit dabei Theo Pinkus (stehend
2 Amalie und Theo Pinkus.
gadin. Schon am Karfreitagnachmittag seien sie die
sorts Volkstourismus und Kurswesen.
endlosen Treppenstufen neben der Corviglia-Bahn, die
Umgehend erschienen von Theo Pinkus Zeitungsarti-
aus irgendeinem Grund nicht fuhr, hochgestiegen.
kel, die den Volkstourismus als «untrennbaren Bestand-
«Das gab etliche Muskelkater.» Immerhin fuhr die
teil jeder fortschrittlichen Sozialpolitik» bezeichneten:
Muottas-Muragl-Bahn, von wo die Skitour auf den Piz
«Für uns Naturfreunde ist er aber mehr als das, er ist,
Muragl führte. Beliebt war auch die Diavolezza (noch
wie unsere gesamte Tätigkeit als sozialistische Kulturor-
ohne Bahn) mit Abfahrten über Isla Pers oder zurück
ganisation, ein wesentlicher Beitrag bei der Schaffung
nach Berninahäuser.
einer ‹neuen Schweiz›.»
Für eine Skitour auf den Corvatsch, die sie führte, hät-
SELBER LESEN Weitere Informationen zum Thema dieses Artikels findet man in folgenden zwei Büchern: Rudolf M. Lüscher, Werner Schweizer: «Amalie und Theo Pinkus-De Sassi. Leben im Widerspruch.» Limmat Verlag, Zürich 1994. Beatrice Schumacher: «engagiert unterwegs. 100 Jahre Naturfreunde Schweiz», 1905–2005. hier + jetzt, Baden 2005.
54
ten sich 40 Teilnehmende eingefunden, erinnert sich
Rauswurf im Kalten Krieg
Margrit Moritzi. «Zehn schafften es bis zur Fuorcla Sur-
Obschon die Naturfreunde sozialdemokratisch domi-
lej und noch sechs auf den Piz Corvatsch, darunter eine
niert waren, konnten Kommunisten aktiv mitarbeiten.
Ovomaltine-Angestellte, die uns Müsterchen verteilte.»
Ende 1949 erschien unter dem Titel «Ferien für alle»
Logiert habe sie im Hotel «Bernina» in St. Moritz Bad.
eine umfangreiche Denkschrift zum Volkstourismus,
Zu den Sitzungen mit der Lagerleitung musste sie hin-
verfasst von einem (nicht erwähnten) Wissenschafter
auf ins Dorf, ins «Steffani».
der Universität Leipzig und mit einem Geleitwort des
Die beneidenswert rüstige Naturfreundin hat Mathis
sozialdemokratischen Bundesrats Ernst Nobs. Aber
Margadant sowohl im Winter in Zermatt wie im Som-
schon wenige Monate später war Schluss mit der inner-
mer bei einer Kletterwoche auf der Furka erlebt. Sie
linken Zusammenarbeit.
spricht mit grossem Respekt über ihn: «Mathis war ein
Erneut änderte ein Krieg schlagartig alles, dieses Mal
glänzender Fels- und Eiskletterer, der sich auch im Ret-
der Kalte Krieg. Der öffentliche und auch der interne
tungswesen auskannte und ein sicheres Gespür für Ge-
Druck wurden bei den Naturfreunden so gross, dass sie
fahren hatte.»
Vision des Volkstourismus
die Kommunisten aus all ihren Gremien ausschlossen. Als Mitglieder aber blieben Amalie und Theo Pinkus der Naturfreundebewegung, der sie früh beigetreten waren,
Begriff und Vision des Volkstourismus waren in den
weiterhin treu.
Dreissigerjahren entstanden, als der Ruf nach «Ferien
Und der Volkstourismus? Die Naturfreunde boten wei-
für alle» rundum erschallte, auch bei den totalitären
terhin ein breit gefächertes Reiseprogramm an, auch
Nachbarn. Zu den Pionieren in der Schweiz gehörte ne-
ins Ausland. Doch das Volk entdeckte das Reisen und
ben den Naturfreunden die Migros von Gottlieb Dutt-
die Ferien, die es sich vermehrt leisten konnte, zuneh-
weiler, der 1935 Hotelplan gründete. Nach 1955 führ
mend auch auf eigene Faust.
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Die Vision eines günstigen Tourismus für Wenigverdie-
damals mit Matratzenlager, heute mit Mehrbettzim-
SALECINA
nende war indessen nicht begraben. Die 68er-Bewe-
mern. Die Stimmung war ausgelassen bis übermütig,
gung schuf ein zweites Mal eine günstige Konstellation.
man platzierte Strassenschilder wie «Ho-Chi-Minh-
Amalie und Theo fanden rasch Anschluss an die Neue
Pfad» oder «Strasse der Revolution» und eine ungewöhn-
Linke, Amalie an die Frauenbefreiungsbewegung.
liche Flagge auf dem Dach, was dank der Kolumne «Rote
Was heute im Tagungszentrum Salecina in Maloja stattfindet, erfährt man bei einem Augenschein vor Ort, zum Beispiel bei einer Wanderung zum CavlocSee oder unter: www.salecina.ch
Salecina, die vorgezogene Utopie
Fahne im Malojawind» des späteren Bundesrats Rudolf Friedrich bald die ganze Schweiz wusste.
Bald wälzten sie erneut ein touristisches Projekt: ein
Selbstorganisation hiess erneut die Losung, also jenes
Haus der Begegnung für die neuen Bewegungen, mög-
Prinzip, das in den Kriegsjahren die unschlagbar güns-
lichst in den Bergen. In einer Zeit, in der sich die ver-
tigen Osterlager der Naturfreunde ermöglicht hatte
schiedensten linken und ultralinken Parteien und
und jetzt das selbst verwaltete Zentrum Salecina in Ma-
Grüppchen um die richtige Generallinie stritten, reali-
loja mit jährlich 9000 bis 10'000 Übernachtungen.
sierten die beiden mit grossem Weitblick ein Haus mit
Das Prinzip Selbstorganisation ist bis heute «heilig».
einem breiten Dach, «ein Ort des organisierten Zufalls»,
Die Gäste kochen und putzen selbst und lassen sich das
wie sie es nannten, eine Stätte des Austauschs im Priva-
nicht nehmen, weil sie sich so schneller kennen lernen
ten wie im Politischen, kurzum: ein Stück vorgezogene
als in einem Hotel. Ein Leitungsteam besorgt das Admi-
Utopie. «Wir verfolgten auch das Ziel, der Zersplitte-
nistrative und sorgt für Kontinuität.
rung der 68er-Bewegung entgegenzuwirken», sagen sie in ihrer Biografie «Leben im Widerspruch».
Austausch mit kritischem Geist
Dass sie dieses Projekt in Maloja realisieren konnten,
Die ersten zwanzig Salecina-Jahre waren vom rastlosen
verdankten sie ihrem Freund Gaudenzio Giovanoli,
Vernetzer und Anreisser Theo Pinkus geprägt, der Max
Lehrer und Sozialist in Maloja. Der Landwirt in Orden
Frisch und Herbert Marcuse und Robert Jungk und
dent, dem letzten Bauernhof am Weg von Maloja zum
viele andere kritische Geister nach Salecina holte, der
Cavloc-See, müsse aus gesundheitlichen Gründen auf-
unzählige Wochen mitinitiierte wie die Ernst-Bloch-
geben, die Liegenschaft sei zu haben, teilte er den bei-
Seminare, Tagungen zur Geschichte von unten oder zur
den mit. Der Besitzer, ein ausgewanderter Bergeller, war
Selbstverwaltungsszene, nachzulesen im Buch «Inseln
zum Verkauf des Hofs mit seinen vier Gebäuden bereit,
der Zukunft» (eines von zahlreichen Büchern, die aus
sofern dort weder Kirche noch Kino noch Kiosk ent-
Salecina-Wochen hervorgegangen sind). «25 Jahre
stünden. Ende 1971 wurde der Kauf besiegelt. In den
frech, links und ökologisch» hiess das Motto beim letz-
beiden folgenden Sommern bauten Freiwillige, darun-
ten grossen Jubiläumsfest. 2012 steht das vierzigjährige
ter viele Deutsche, die Liegenschaft in Fronarbeit zu ei-
Jubiläum an: rund zwanzig mit Theo und Amalie, rund
nem Bildungs- und Ferienzentrum mit 56 Plätzen aus,
zwanzig ohne die beiden Visionäre. Werbung
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
55
Im Sammelfieber Wenn andere diskutieren, man müsse Kulturgüter schützen, ist Giuliano Pedretti, Bildhauer und Mitinitiant des Kulturarchivs Oberengadin, schon lange auf Estrichen auf der Jagd nach alten Zeitzeugen. Dabei, so sagt er, könne er den Leuten auch richtig auf den Pelz rücken.
Text: Gallus Hufenus Fotos: Gabriella Disler
U
nbezwingbar und mächtig wie eine Trutzburg
nachlässigtes Kulturgut: von Mäusen angefressene
hockt die Chesa Planta im alten Dorfkern von
Briefe oder halbvermoderte Fotos in feuchten Kellern.
Samedan. Gleichzeitig strahlt sie – eine Dame
«Der Engadiner ist leider kein emotionaler Mensch»,
von Welt – Grandezza aus. In diesem Palazzo walten Be-
sagt der Mitbegründer des Kulturarchivs. Für viele sei
wahrer und wirken Geschichtenerzähler: Das Kulturar-
das einfach «alter Plunder» gewesen, den man sowieso
chiv Oberengadin ist kein Heimatmuseum, sondern
gerne los wird.
ein Fenster nach draussen, überall dorthin, wo die un-
«Doch meine Vorfahren sind Etrusker, mir geben die
terschiedlichsten und mehrsprachigen Menschen aus
Briefe, Bilder, Stiche, Fotos oder Werkzeuge viel Energie.
dem Tal über die Jahrhunderte ihre Drähte spannten:
Im Archiv werde ich regelrecht mit Kraft aufgepumpt»,
von St. Moritz bis Russland, von Zuoz nach Italien oder
schildert Pedretti. Ihn faszinieren die Menschen, die in
von Bever nach Deutschland. Dora Lardelli und Giuli-
einer ruhigeren und langsameren Epoche und in der
ano Pedretti haben das Kulturarchiv «erfunden», ge-
Abgeschiedenheit ihre Werke schufen. Heute ist ihm
gründet und leiten es seit gut 20 Jahren. In dieser Zeit
vieles zu oberflächlich. Dass die meisten Engadiner
haben sie Nachlässe mit Tausenden von Briefen von
über die «alten Dinge» ganz pragmatisch denken, ver-
Engadinern im Ausland, 80 Jugendstil-Plakate aus der
urteilt er trotzdem nicht. Im Leben eines Berglers gehe
GIULIANO PEDRETTI
frühen Tourismus-Zeit, unzählige 150-jährige Press-
es schlicht ums Überleben. Man finde deshalb in den al-
stammt aus einer Künstlerfamilie und arbeitet selber an Skulpturen. Unter anderem von Alberto Giacometti inspiriert, schafft er bizarre Formen, Elemente mit schrundigem und zerfranstem Aussehen. Er zeigt beispielsweise die Sonnenseite eines Charakters und im Gengenzug düstere Facetten. Die Skulpturen werden in Lehm geschaffen, über einen Gipsabguss entstehen dann Bronzefiguren. Trotz abstrahierenden oder surrealistischen Anspielungen bleiben die Arbeiten dem Vorbild verbunden.
blumen aus dem Alpenraum, Zehntausende von Foto-
ten Dokumenten selten Gefühle. Diese zu zeigen, wäre
platten, Architekturpläne, aber auch wertvolle Dekora-
eine Schande gewesen. «Die Engadiner waren knall-
tionsmalereien archiviert.
harte Chrampfer.» Pedretti erzählt von einer kaltherzi-
56
Vom Sammelvirus erfasst 1984 bekamen der Künstler Giuliano Pedretti und die
gen Frau, die nach dem Tod ihres Vaters das Gemälde, das er von ihr malen liess, aus dem Rahmen riss, die Farben am Dorfbrunnen aus der Leinwand wusch und das
Kunsthistorikerin Dora Lardelli – damals beide im Se-
Leinen als Schürze verwendete.
gantini-Museum St. Moritz tätig – den Auftrag des Ver-
Viele Emotionen stecken dafür in den Übersetzungen
kehrsvereins Oberengadin, eine Ausstellung über die
des Bielers Hans Mühlestein, der in Celerina lebte (vgl.
Landschaftsmalerei aus der Region zusammenzustel-
«Sie wollten ihn mundtot machen», piz 36, Winter
len. «Besessen, zu retten» wühlte Pedretti in Estrichen
2008/2009). Einen Teil seines Nachlasses hat Giuliano
und entdeckte neben den gesuchten Bildern viel ver-
Pedretti 1995 für das Kulturarchiv Oberengadin in Zü-
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
rich abgeholt: Mühlestein übersetzte unter anderem
standsmitglied des Kulturarchivs Oberengadin. Aber in
Dichtungen der Renaissance ins Deutsche, auch Dante
Chur sässen eben die Kantonsangestellten hauptsäch-
und Michelangelo. Die Umdichtungen sind «wortge-
lich in den Büros. Anders Giuliano Pedretti. Er steigt in
waltig, voller Schönheit und bringen den verborgenen
Mulden und kommt am Abend schwarz von Staub und
Sinn der Originale ans Licht», kommentieren Fachleute.
Dreck nach Hause. «Das ist zwar manchmal unappetit-
Mühlesteins Schreibkunst erschütterte wiederum Tho-
lich, aber jeder Fund macht mich stolz.» Er hat auch
mas Mann. In einem Tagebuch-Eintrag vom Juli 1950
schon Nachlässe von Architekten eigenhändig aus dem
beschreibt der damals 75-jährige Dichter im Suvretta-
Schnee ausgegraben. So wie er es schon in jungen Jah-
Haus in St. Moritz, wie ihn die Übersetzung Mühle-
ren mit dem eigenen Hab und Gut machen musste, als
steins ermutigte, seine Liebe zu einem Kellner im Zür-
das Haus der Pedrettis im Januar 1951 in Samedan von
cher Hotel Dolder zu akzeptieren. Thomas Mann
einer Lawine verschüttet wurde. «Damals bekam ich
schrieb darauf den Essay «Die Erotik Michelangelo's».
Sammler im Aussendienst
ein zweites Leben geschenkt, das ich bis heute und so lange wie möglich nutzen will.»
Giuliano Pedretti öffnet eine wuchtige Holztüre nach
Konservativ oder Visionär?
der nächsten und zeigt volle Regale. 1989 begannen er
Ist ein Mann, der seit mehr als 20 Jahren ehrenamtlich
und die Mitgründer des Kulturarchivs Materialien und
Kulturgut zusammensucht, ein Utopist, ein Visionär? –
Dokumente im ehemaligen Sterbezimmer des Alten
«Nein, eher ein Konservativer. Aber nicht negativ reak-
Spitals in Samedan aufzubewahren. Die Resonanz war
tionär, sondern respektvoll gegenüber der Kultur und
gross, und schon nach zwei Jahren war der Raum zu
den Ahnen.» Seine Fundstücke bewertet er nicht selber,
klein geworden. Man konnte sich kaum mehr drin be-
dies sei Aufgabe der Wissenschaftler. Er wolle bloss ei-
wegen. Die Regale drohten einzustürzen. Seit 1991 ist
nen Blick zurückwerfen – und einen mutigen Blick in
das Oberengadiner Kulturarchiv nun in der Chesa
die Zukunft. Das macht er auch als Bildhauer. Seine
Planta zu Hause. Unterstützt wird die Institution von den
Skulpturen zeigen nie ein heimatlich-kitschiges Bild.
Gemeinden, dem Kanton und Bund, von Vereinsmitglie-
«Doch ohne Vergangenheit kann ich keine Geschichten
dern und Gönnern. «Ich bekomme Gänsehaut beim Ge-
erzählen. Jeder Baum braucht starke Wurzeln», sinniert
danken, dass dieses Archiv unsere Geschichte auf der-
er. Ein Baum, der weiter wachsen will: «Forschen hält
massen zuverlässige Art dokumentiert», sagt Pedretti.
mich fit im Kopf.»
Fürs Kulturarchiv ist er der Sammler, unterwegs, im
So ist Pedretti nach wie vor präsent, wenn Häuser abge-
«Aussendienst». Die Einheimischen vertrauen ihm. Er
rissen werden, redet an Beerdigungen mit den Angehö-
erinnert sich, wie er als Kind bei allen Familien im Dorf
rigen, sie sollten ja nichts wegwerfen, er schreibt oft
ein- und ausgegangen war. «Heute kenne ich allerdings
Kondolenzbriefe und überreicht Blumen oder Nusstor-
bald nur noch jene auf dem Friedhof.»
ten mit dem Vermerk, dass es das Oberengadiner Kultur-
Solche direkten Kontakte erfordern unzählige persön-
archiv gebe, das sich für Nachlässe sehr interessiere.
liche Beziehungen. Das könne sich eine grosse Institu-
«Hin und wieder erinnere ich sogar die eine oder den
tion wie das Staatsarchiv in Chur nicht leisten, ver-
anderen auf der Strasse daran, sie sollten langsam ans
gleicht er. Man arbeite aber gut zusammen und Silvio
Testament denken», schmunzelt Pedretti – immerhin
Margadant, der Leiter des Staatsarchivs, ist auch Vor-
selber auch schon 86 Jahre alt.
Das Magazin und seine Pionierin Vor 20 Jahren, im Winter 1990 / 1991, erschien piz als begleitende Programmzeitschrift des Lokalradios Piz Corvatsch. Sechs Jahre später übernahm Urezza Famos das Heft und veränderte es zu einem Kulturmagazin. Ein Besuch bei der engagierten Verlegerin.
Text: Angelika Overath Fotos: piz Archiv
I
n der Mitte des grossen Raums ein Küchenkubus: Wer
ckerhandel, eine Ziegenzucht mit Käseproduktion. Die
hier kocht, sieht gegen Süden auf die Schneegipfel der
Angestellten kamen aus Italien, Portugal, Jugoslawien.
Unterengadiner Dolomiten. Gegen Osten tiefe Sitz-
Und die Eltern sprangen zwischen Zucker und Ziegen,
möbel; nach Westen ein langer Esstisch mit alten Stuhl-
Küche und Direktion. Solch offenes, erfindungsreiches
persönlichkeiten, die einst an verschiedenen anderen
Arbeiten, bei dem alle mithalfen, muss die Tochter ge-
Tischen standen. Im abzweigenden Kinderzimmer eine
prägt haben. Heute sagt Urezza Famos: «Ich darf arbei-
freistehende, schalenförmige Badewanne; geknetete
ten. Arbeit ist Dasein, Leben, Familie, Freude.»
Elefanten liegen frischbemalt auf einer Bank. Der Raum
58
der Mutter ist kleiner, studentisch: ein Bett, ein Schreib-
Verkaufen, reisen und ein Neustart
tisch mit PC, aber von einem grossen, tiefblauen Bild
Sekundarschule in Tschlin, Gymnasium in Ftan, Ökono-
geht ein hypnotisierendes Strahlen aus. Es ist die japa-
miestudium in Zürich. «Mit 24 sollte ich in der von den
nische Lackarbeit eines Stipendiaten des Kunstzentrums
Eltern gegründeten «Acla da Fans» im Zollfreigebiet für
Nairs in Scuol. Durch immer wieder übermalte Schich-
drei Monate aushelfen. Aus den drei Monaten wurden 16
ten leuchten Gestirne tief aus dem Universum: Urezza
Jahre.» Sie sieht gegen die Berge. Ihre Augen sind eisblau,
Famos schläft unter dem Engadiner Nachthimmel.
die ungefassten Perlen in den Ohren schimmern.
In solchen Räumen ist alles möglich: Köchin sein, Mut-
«Aber ich bin immer gereist», sagt sie. «Weniger als Tou-
ter sein, Kulturmanagerin, Planerin, Editorin, Gastge-
ristin, ich war gerne auch Teilnehmende.» Mit Freun-
berin, Fundraiserin, Träumende.
den nach Afrika, Kenia, zu einem Wasserprojekt, in ein
Geboren 1962 in Martina, wuchs Urezza Famos als mitt-
Krankenhaus an den Victoriasee; nach Indien, weiter
leres von drei Kindern in einem vielnationalen, lebhaf-
nach Lhasa als Scout für ein anspruchsvolles Reiseun-
ten Familienbetrieb auf. «Martina, das war das Tor in die
ternehmen; Verkäuferin bei den Olympischen Spielen
Schweiz! Damals wurde die Grenze noch richtig zeleb-
in Los Angeles, mit einem Forscher durch Lappland auf
riert. Da kamen die grossen Busse aus Deutschland, Ös-
der Suche nach einem Käfer.
terreich; Reisende stiegen aus und kaufen sich hier ihre
Mit 40 Jahren entschied sie sich, aus dem Familienun-
ersten Schweizer Franken und atmeten Schweizer Luft.»
ternehmen «Acla da Fans» auszusteigen. «Ich wollte kei-
Am Grenzposten unterhielten Urezzas Eltern ein Hotel
nen Schnaps und kein Benzin mehr verkaufen. Oder
mit Restaurant, eine Wechselstube, einen zollfreien Zu-
Handcremes für 120 Franken. Ich hatte genug von die-
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
sem Scheinluxus. Ich suchte Werte.» Sie begann ein
den USA. Und viele Sammler. «Qualität», sagt Urezza
Kulturmanagement-Studium in Basel. Mit 42 hatte sie
Famos, «wir müssen in diesem Land täglich um Quali-
den Master. Und war schon verabredet für ein Traum-
tät kämpfen.» piz soll formal wie inhaltlich an die Mass-
projekt in Zürich: die Leitung einer Agentur für Kultur
stäbe von guter Arbeit und nachhaltigen Werten erin-
und Kommunikation. Doch da wurde sie schwanger.
nern. Ihre Projekte bilden eine Familie. So kommuniziert
Das Glück hatte sie überrascht. Ihr langjähriger Le-
piz auch, was im Kultur-Hotel Vnà passiert, die Arbeit
benspartner und Kollege, der Architekt und bildende
der Stiftung Nairs in den historischen Trinkhallen oder
Künstler Christof Rösch, lebte wie sie damals schon in
Entwicklungen im Immobilienbereich. «piz schärft täg-
der Berggemeinde Sent oberhalb von Scuol. Doch das
lich meinen Blick auf die Region Südbünden neu», sagt
Paar behielt seine getrennten Wohnungen bei. «Wir
sie. Und Gäste, Stipendiaten, Kollegen, Freunde antwor-
brauchen viel Raum», sagt Urezza entschieden und lä-
ten auf piz, das immer wieder das Gespräch öffnet.
chelt unter dem exakt geschnittenen blonden Haar,
«Der Qualitätsverlust im Tal ist enorm. Da stehst du vor
und sie lasse sich auch gerne überraschen. Ein gemein-
einem neuen Haus, und es ist nur banal. Oder es wer-
samer Alltag stumpfe leicht ab.
den aus den besten Bauzellen Garagen gemacht.» Urezza Famos funkelt mit ihren gletscherblauen Augen:
Radioheft wird Kulturmagazin
«piz muss auch unangenehm sein können. Gerade
Urezza Famos ist keine Angestellte, keine Ehefrau, keine
denke ich an ein Heft mit dem Thema so nicht!»
Ja-Sagerin. Sie kann Widerstände aushalten, etwas wagen, beharrlich sein. «Ich möchte nicht mehr im Namen einer fremden Firma auftreten. Mit Christof, mit
Für Einheimische und Gäste
unserem Kind bin ich zu meinen Wurzeln ins Unteren-
«Wen interessiert das?» Verlag und Redaktion stellen
gadin zurückgekehrt. Hier möchte ich mit meiner
sich diese Frage immer wieder. Wenn wir zum Schluss
Stimme sprechen, für meine Projekte.»
kommen, dass ein Thema Einheimische und Gäste –
Früh erkannte Urezza Famos, dass im Radiomagazin piz,
am besten beide gleichzeitig – interessiert, packen wirs
erstmals erschienen im Winter 1990/91, ein Potenzial
an. Wir versuchen, die Messlatte hoch anzusetzen,
liegen könnte, Themen vorzustellen und zu diskutieren,
denn wir wissen: Es gibt viele Publikationen, die um
die spezifisch sind für die Tälerfamilie Südbünden. Als
Leserinnen- und Lesergunst buhlen – und um Werbe-
das Radio Piz Corvatsch keine programmbegleitende
gelder. Wir suchen neue Themen, abseits der touristi-
Zeitschrift mehr wünschte, übernahm sie das Label
schen Mainstream-Publikationen. Wir berichten we-
und strukturierte das Magazin um zu einem sozialpoli-
niger aus dem Ferienparadies, dafür mehr aus dem
tischen regionalen Kulturmagazin mit Porträts und
Lebensraum Südbünden, möglichst unabhängig. Hefte
Hintergrundreportagen. Es ist einzigartig in der Schwei-
voller PR- und Werbetexte gibt es genug. – Bekannte
zer Medienlandschaft. Urezza Famos, die sich vor allem
Autorinnen und Autoren unterstützen uns und wir
um Konzeption und Bildauswahl kümmert, arbeitet
sind stolz, dass wir immer wieder starke Bilder publi-
mit zwei Freelancern in Innsbruck und St. Gallen zu-
zieren dürfen, oft von namhaften Künstlern zur Verfü-
sammen, die für die Grafik und die Textredaktion zu-
gung gestellt – in dieser Nummer von Guido Baselgia.
ständig sind. Ein Verkaufsleiter in St. Moritz wirbt An-
Die Übernahme von piz war damals ein Sprung ins
zeigenkunden. piz, ein halbjährlich erscheinendes
kalte Wasser; dass wir uns 20 Jahre halten konnten,
Themenheft, hat heute eine Auflage von 30’000 Exem-
freut uns und wir danken: Ihnen, den vielen Inseren-
plaren; 1000 Abonnenten in der Schweiz und immer-
ten und der grossen Leserschaft.
hin 60 Abonnenten in Italien, Österreich, Holland und
Edition und Redaktion piz
BUCHER Geissenbub wird Geschäftsmann
Kranschiffwagenzieher
Arno Camenisch: Hinter dem Bahnhof, En-
Peter Schmid: Cla da Foggia – das Leben ei-
Peter Bichsel: La terra es raduonda. Übers.:
geler Editor, Fr. 25.–
nes Randulins, Südostschweiz Buchverlag.
Andry Dumenic, Illustr.: Rosemarie Schö-
Fr. 58.–
ningh. SJW-Hefte, Fr 6.–, www.sjw.ch
«Protocol, sagt mein
In der italienischen
Die Welt ist auch auf
Bruder. Bis wir durchs
Stadt Foggia führten
Vallader rund. Das wis-
ganze Dorf sind, haben
seine Eltern eine Patis-
sen wir alle. Auch der
wir fünfundzwanzig
serie. Doch Sohn Cla
ältere alleinstehende
Höuser gezählt, acht
war dort, im Süden, im-
Mann, von Peter Bich-
Heustalls, eine Autoga-
mer kränklich und so
sel erfunden, der sich
rascha, eine Töffgarascha, den Bahn-
beschloss die Familie, ihn bei den
die Zeit damit vertreibt, alles, was
hof mit der Poscht, zwei Brunnen mit
Grosseltern in Raschvella in der Ge-
er weiss, was er im Lauf seines
Jahreszahl, die Halla und die Buda
meinde Ramosch zu lassen. Fortan war
Lebens gelernt hat, noch einmal zu
vom Tat, eine Telefoncabina, den Ki-
er dort Cla da Foggia. Aus dem Jungen
überdenken. Beispielsweise die
osk der Mena und vier Abfallcontei-
wurde später ein Schmuggler, ein
Behauptung, dass die Erde rund sei.
ners.» – Der Autor Arno Camenisch,
Hotelier und schliesslich ein Geschäfts-
Bichsels Kindergeschichte erschien
*1978, aus der Surselva hat schon mit
mann. Cla Famos (1924–2007) war
erstmals 1969 und ist mittlerweile
seinem ersten Buch, dem zweisprachi-
aber auch ein begnadeter Geschichten-
ein Klassiker – nicht nur für Kinder.
gen «Sez Ner», für Aufsehen gesorgt.
erzähler. Der Publizist Peter Schmid
Nun gibt es sie auch als SJW- be-
Jetzt schreibt er Deutsch, so wie ihm
aus Vals setzt ihm mit einer Biografie
ziehungsweise als OSL-Heft. Andry
der Schnabel gewachsen ist. Oft muss
ein Denkmal. Er lässt Cla in der Ich-
Dumenic hat den Solothurner
man laut lesen, um die Wortbilder zu
Form erzählen und schiebt eigene Erleb-
Schriftstellerkollegen kongenial
entziffern: Cofferrums, Glasschiba,
nisse dazwischen. In den Randspalten
übersetzt – zungenbrecherische
Abcurzic und Cüalschrancs. Ein
erfährt man die zu den Kapiteln gehö-
deutsche Wortungetüme wie den
Buch, das von der Melodie der Spra-
renden Fakten. Illustriert ist das Buch
«Kranschiffwagenzieher» hat
che lebt und uns ins geliebte Bünd-
mit Fotos aus dem Leben von Cla und
er im romanischen Text in ganz
nerromanisch entführt.
mit Fotografien von Florio Pünter.
ordentliche Sätze aufgelöst. es
Die Stimmen des Windes
Auf dem fliegenden Teppich
In meinem Leben als Fuchs
Clà Riatsch: Die Stimmen des Windes. Zum
Dora Lardelli: The Magic Carpet – Kunstreise
Leta Semadeni: in mia vita da vuolp / In mei-
Engadin-Mythos bei Andri Peer, Societad Re-
zu den Oberengadiner Hotels, 1850–1914. Ins-
nem Leben als Fuchs. Chasa Editura Ru-
torumantscha, Cuira, Fr. 28.–
titut für Kulturforschung Graubünden und
mantscha, Cuira, 140 paginas, Fr. 32.–
Da cumprer: info@drg.ch ed illas librarias.
Kulturarchiv O’engadin, 2010, Fr. 119.–
Da cumprar in tuot las librarias.
Il cudesch «Die Stim-
Auf einem alten Pla-
Il nouv cudesch da poe-
men des Windes» da
kat, das auf einem
sias da Leta Semadeni,
Clà Riatsch preschainta
Engadiner Dachbo-
«In mia vita da vuolp»,
duos texts da prosa e
den lag, bereisen
reunescha 52 nouvas po-
nouv poesias dal
schön gekleidete
esias in rumantsch e
cuntschaint liriker en-
Hotelgäste die weite
tudais-ch. Scu cha il titel
giadinais Andri Peer (1921–1985).
Welt auf einem fliegenden Teppich.
indichescha, han las bes-chas ün’im-
Quists texts rumauntschs cun traduc-
Diese Darstellung gab dem Buch den
portanza particulara illa lirica da
ziun tudas-cha, per granda part dad
Titel. Es führt uns zu zahlreichen
Leta Semadeni. Adüna darcheu vain
Andri Peer svess, nun haun be ün
reich ausgestatteten, noch heute be-
observada e commentada quella
connex tematic cun l’Engiadina. Els
rühmten Hotels im Oberengadin
communicaziun mütta, divertenta,
stiliseschan la val chi dvainta uschè
zwischen Maloja und Zuoz. Wir er-
profuonda e difficila tanter ils umans
basa mitica d’üna lirica da la natüra
fahren, wie die Hotelpioniere für
e las bes-chas. Il muond poetic da
chi prouva da percepir ils suns e’ls
ihre anspruchsvollen Gäste die Häu-
Leta Semadeni es insolit, divertent e
messagis da las «vuschs dal vent e
ser ausstatten liessen. Wir erleben
vast. Sün e tanter las lingias as avran
vuschs da l’aua». I’l center da las ana-
eine Formenwelt, inspiriert von den
dimensiuns tranter il preschaint ed il
lisas sto la transfurmaziun d’üna
Griechen über die Römer, die Gotik,
passà, tanter zinslas d’algords, eveni-
mitologia tradiziunela dal paesagi in
die Renaissance, den Barock bis zum
maints reals e scenas da sömmi. La
üna mitologia poetica. Clà Riatsch
Jugendstil. Und wir erkennen auch
lectüra ans confruntescha cun il vast
demuossa scu cha l’ouvra dad Andri
zahlreiche Elemente aus der einhei-
dal muond e la stretta patria – ma
Peer oscillescha traunter tradiziun ed
mischen Tradition der Holzschnitze-
minchatant eir cun il stret dal muond
innovaziun. vmb
rei und der Sgraffitodekoration.
e la vastezza da la patria. rv
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
Illustration Rosemarie Schöningh
60
Dorfgeschichten
BUCHER Umziehen ins Ferienparadies
Starke Theaterbilder
Engadiner Geschichten
Ambitionierte Wanderungen
Angelika Overath: Alle Farben des Schnees.
Benjamin Hofer: La Regina da Saba. Foto-
Tiziana und Adriano Cavadini: Das
Peter Gujan, Gian Andrea Hartmann:
Senter Tagebuch. Luchterhand, München
dokumentation. Origen Festival Cultural,
Engadin – kurze Geschichte einer alpinen Welt.
Silvretta / Unterengadin / Münstertal.
2010, Fr. 32.90
7460 Savognin, 2010, Fr. 45.–
Verlag Desertina, Chur. Fr. 48.–
SAC Verlag, ca. Fr. 40.–
Alle haben wir Sehn-
Benjamin Hofer
Zuerst erschien «Pic-
Der neue Alpinführer
suchtsorte. Aber kann
(*1983) ist der
cola storia di un
der beiden bekannten
man dort zu Hause sein?
Hausfotograf des
mondo alpino» vor
Autoren und Alpinisten
Was geschieht, wenn
Origen Festivals.
zwei Jahren in Italie-
Peter Gujan und Andrea
eine Familie sich ent-
Seine Bilder ha-
nisch. Jetzt liegt das
Hartmann beschreibt
schliesst, von Tübingen
ben das Gesicht
Buch auch in Deutsch
die Berge der Silvretta
ins Unterengadin umzuziehen? Die
der Theater- und Konzertveranstalter
vor. Für die Autoren begann alles mit
von Klosters im Prättigau bis nach
hohen Berge, hinter denen schon
geprägt. Im Sommer 2010 spielte die
dem Kauf eines Hauses in Celerina.
Samnaun und ins österreichische
Italien liegt, sind nun Alltag, die Wie-
Truppe zuoberst auf dem Julierpass
Dieses Haus gehörte einst der Familie
Ischgl, die Unterengadiner Berge von
sen, die Bauernhäuser mit den Sgraf-
in der Freilichtaufführung «La Re-
Zaccaria Pallioppi und hat eine be-
Susch bis Martina, und er führt vom
fito-Fassaden, die alten Palazzi der
gina da Saba» – ein kraftvolles, nur
wegte Vergangenheit. Die Familie ist
Ofenpass nach Müstair. Dazu gehö-
Zuckerbäcker, die Brunnen. Sechs Mo-
von Musik und Geräuschen begleite-
weit über das Engadin hinaus bekannt,
ren auch die zahlreichen Wander-
nate im Jahr Schnee gehören ebenso
tes Tanzstück inmitten der wilden
Zaccaria und Sohn Emil veröffentlich-
möglichkeiten im Nationalpark. Die
dazu wie das Erlernen einer bedrohten
Natur. Hofer hat als Fotograf das Pro-
ten 1895 das «Dizioniari dels idioms
Auoren führen uns in oft unbe-
Sprache: Rätoromanisch. Wie buchsta-
jekt dokumentiert – von der ersten
Romauntschs». Das Buch beschränkt
kannte und unberührte Gebiete, zu
biert sich das Leben in der konkreten
Begehung über die Proben im
sich nicht auf die Geschichte des
einsamen Zielen in der wilden Na-
Utopie? Die Familie nimmt Neues
Schnee und die Aufführungen bis
Hauses und der Familie. Es schildert
tur. 327 Berggipfel und viele Pässe
wahr und wird neu wahrgenommen.
zum Verschwinden des ephemeren
auch das historische Umfeld: Von den
sind auf den 700 telefonbuchdünnen
Es ist möglich, sein Leben zu ändern.
Palastes. Eine Bildersammlung, ge-
Römern über die militärische Beset-
Seiten beschrieben. Alpines Wan-
Und vielleicht zeigt sich im andern
prägt von einem poetischen Blick
zung des Engadins und die Reforma-
dern vom Feinsten – samt Unter-
Land eine Schnittmenge Heimat.
und markanten Porträts.
tion bis zu den Auswanderungen.
kunftsmöglichkeiten.
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
61
PIZZERIA Schulhaus ist jetzt Gemeindehaus Kaum hatten die Gemeinden im Bergell fusioniert, konnten Verwaltung und Politikerinnen und Politiker ins neue Gemeindehaus umziehen. In Bondo, wo früher Schüler und Schülerinnen unterrichtet wurden, werden nun die Tagesgeschäfte erledigt und hier tagt der Gemeinderat (Foto) unter dem Präsidium von Anna Giacometti. Aus den verstaubten Schulzimmern sind moderne Büros und Sitzungsräume geworden. Architekt Armando Ruinelli hat dem Schulhaus «die Novilon-Böden-Stimmung genommen», wie er kommentiert, und neue Elemente – zum Beispiel neue Türen – eingefügt, Alt und Neu gekonnt kombiniert.
Zuoz bekommt ein Theater Aus dem ehemaligen Hallenbad des Lyceums Zuoz wird ein öffentliches Theater. Die
den anonymen Studienauftrag. Ihr Projekt lehnt sich ans Shakespeare’sche «Globe Theatre» an. In das ehemalige Wasserbecken wird ein hölzernes Gerüst gestellt, das sowohl als Bühne als auch als Zuschauerraum funktioniert. Das Theater bekommt von der Strasse her einen neuen Eingang. An der Dachuntersicht sind die Werke Shakespeares reliefartig eingelassen.
Ehre für Scuoler Hotelier Hotelier Kurt Baumgartner ist «Bündner des Jahres 2010». Er wurde für sein «Charisma und seinen unbedingten Glauben an die Zukunft der Hotellerie im Alpengebiet» ausgezeichnet. Baumgartner führt und besitzt zusammen mit seiner Frau Julia seit 1999 die Hotels «Belvédère», «Belvair» und neu auch das
Grosse Projekte: Schloss Tarasp und die Wiederbelebung des Kur-Ensembles Nairs Die deutsche Familie von Hessen will Schloss Tarasp verkaufen. 15 Millionen Franken zirkulieren als Preis. Die Region Unterengadin will versuchen, dieses touristisch wichtige Gebäude zu kaufen. Dazu wurde im Herbst 2010 eine neue Stiftung gegründet. Präsidiert wird sie vom Churer Architekten Andrea Fanzun, einem Nachkommen der langjährigen Verwalterfamilie des Schlosses. Stiftungsräte sind Pietro Beritelli, Vizedirektor des Instituts für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus an der Universität St. Gallen, Grossrat Roland Conrad, Zernez, Guido Parolini, Präsident des Regionalverbandes Pro Engiadina Bassa (PEB), Hans Rutishauser, ehemaliger kantonaler Denkmalpfleger, und Mariangela Wallimann-Bornatico, frühere Generalsekretärin der Bundesversammlung. Die Stiftung erarbeitet zuerst ein Betriebskonzept, das nachhaltig und selbsttragend sein soll. Damit geht sie anschliessend auf Geldsuche. Die Gemeinde Tarasp hat dem Projekt bereits ihre finanzielle Unterstützung
Der rote Sekundenzeiger. Seit mehr als 20 Jahren ist die Uhrenmarke Mondaine für ihre hohe Qualität bekannt. Die Uhren mit dem roten Sekundenzeiger gehören zu den Designklassikern. Wer kennt sie nicht, die Schweizer Bahnhofsuhr. Obwohl technisch längst nicht mehr nötig, bleibt ihr Sekundenzeiger bis heute zu jeder vollen Minute kurz stehen – einst wurde so die Synchronisierung der Uhren erreicht. Seit einigen Jahren gibt es dieses Designstück auch als Armbanduhr oder Wecker. Die traditionsreiche Uhrenfirma Mondaine stellt sie exklusiv her. Die zwei neuen Modelle «Classic» und «Sport I» haben ein Edelstahlgehäuse mit strichmattierter Oberfläche und ein schwarzes Lederarmband. Beide neuen Modelle verfügen selbstverständlich über das Erkennungsmerkmal der Marke, den roten Sekundenzeiger. Mondaine-Uhren gibts im Fachhandel.
«Guarda Val» in Scuol.
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zugesichert. Bis im Mai 2012 muss die Stiftung der Familie von Hessen ein Angebot machen, andernfalls behalten sich die aktuellen Besitzer vor, das Schloss an Private zu verkaufen. In Nairs, dem Gebäude-Ensemble bestehend aus dem Kurhotel mit Bäderhaus und Trinkhalle, gab sich einst die europäische Haute-Volée die Klinke in die Hand. Adel und Bankiers, Industrielle und Ärzte erholten sich hier. Das Hotel heisst heute «Scuol Palace», das Kurmittelhaus ist zum Künstlerhaus und Kulturzentrum Nairs geworden und die Trinkhalle dämmert – von Steinschlag bedroht – geschlossen vor sich hin. Nun will die Region einen neuen Anlauf nehmen und das Gebäude-Ensemble reaktivieren. Für das Kulturzentrum und Künstlerhaus Nairs liegen Renovationspläne bereits vor. Dort soll auch das Kulturarchiv Unterengadin seinen Platz finden. Denkbar sind auch Veranstaltungen in der zurzeit geschlossenen Trinkhalle. Die Politiker und Touristiker haben es sich zum Ziel gesetzt, ans Thema «Wasser» und damit an die lange Tradition rund um die Quellen von Scuol und Tarasp anzuknüpfen.
piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011
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Zürcher Innenarchitekten Gasser, Derungs gewannen
PIZZERIA Hotel Waldhaus, Sils-Maria, Winterprogramm 2010/2011
Kinderkultur-Führer für St. Moritz
Details und Ergänzungen: www.waldhaus.ch 28. 12.
«Nietzsches Weihnachten und Neujahr».
9. 2.
Vortrag von Peter André Bloch. 3. 1.
«New York einfach». Cornelia Montani (Text, Akkor-
11. 2.
deon) und Daniel Schneider (Klarinette , Saxofon). 7. 1.
Chasper Ans Grass (1900–1963), Concierge im
18. 2.
Palace St. Moritz, Dichter und Prosa-Autor. Eine literarische Annäherung von Chasper Pult. 8. 1.
Blues und Jazz mit der Frankfurter Blues Blend.
10. 1.
Autorenlesung: Isabel Morf, «Schrottreif».
12. 1.
Streichquintette. Solisten des Sinfonieorchesters Engadin.
14. 1.
Film: «Glück am Abgrund». Dokumentation über
19. 2. 26. 2. 4. 3.
Burgunder Weingala mit Stefan Keller und
5. 3.
21. 1.
Buchpräsentation: Adriano Cavadini/Tiziana Cavadini
26. 1. 4. 2.
Sprachen den Jugendlichen
«Life is a Ball»: Jazz und Blues mit der Elias
den Ort und schildert was
Bernet Band aus der Ostschweiz.
Familien mit Kindern alles
Brahms, «Die schöne Magelone». Valentin Gloor (Tenor),
Interessantes unternehmen
Kathrin Bosshard (Erzählerin), Clau Scherrer (Klavier).
können. Der Leporello-
Chasper Pult begegnet Luis Stefan Stecher, dem
Führer kostet zehn Franken.
«Zürilieder». Samuel Zünd (Bariton), Rea Claudia Kos
Autorenlesung: Tim Krohn, «Der Geist am Berg».
Leben zwischen High Life und Pleiten». Musikalisch begleitet von Anna Trauffer. 18. 3.
Weltmusik: Michele Croce, Jonathan Schaffner, Curdin Janett (Fränzlis da Tschlin) und Maurizio Grillo.
21. – 25. 3. Fünf Kellergespräche mit Weinexperte Stefan Keller, Waldhaus-Weinmann Johannes Ermler u. Felix Dietrich.
Jazz: Das Franticek Uhlíc Team aus Prag und Sänger Lee Andrew Davison aus Oklahoma.
24. 3.
Boogie-Woogie, Blues und Swing: Pianist Silvan Zingg.
Jazz Night mit dem Dani Felber Quartett
28. 3.
Kammerphilharmonie Graubünden mit Bariton Samuel Zünd: Tanzschlager aus den 20er-Jahren.
und der Sängerin Laxmi Easwaran. 7. 2.
entstanden. Er erklärt in vier
«Menschen am Berg – Geschichten vom Leben ganz oben».
14. 3.
Canonica, «Kurze Geschichte einer alpinen Welt». Historisches Engadinbuch neu auf Deutsch erschienen.
kultur-Führer St. Moritz
Chasper Pult spricht mit Melanie Mühl, Autorin v.
Autorenlesung: Urs Althaus, «Ich, der Neger – Mein
Kurtág und Paul Juon. Dazu Lyrik von Luisa Famos. 24. 1.
Museums ist der Kinder-
Trek in Südpersien. Live: Sven Bösiger u. Patrick Kessler.
7. 3.
Kathrin von Cube (Viola), Franco Mettler (Klarinette) u. Risch Biert (Klavier) spielen Mozart, Schumann, György
woche des Engadiner
Stummfilm, 1925, über einen dramatischen Nomaden-
(Mezzosopran), Daniel Fueter (Klavier und Rezitation).
14 innovativen Winzern. 16–18 Uhr öffentliche Degustation. Am Abend «Wine and Dine».
Im Rahmen einer Projekt-
Michael van Orsouw mit einem Bühnenstück.
Maler und Wortkünstler aus dem Vinschgau.
den Architekten Armando Ruinelli, Soglio. 18. 1.
«Vill Lachen – Ohnewitz». Judith Stadlin und
«Die Städte-Rallye». Performance der Autoren
31. 3.
Konzert der «Fränzlis da Tschlin».
Judith Stadlin und Michael van Orsouw.
2. 4.
Konzert: Pippo Pollina. – Mehr auf www.waldhaus.ch
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Preis für Engadiner Handwerker.
Wintergrillsaison. Frische, kühle Bergluft, ein Platz auf 1650 Meter über Meer auf der verschneiten Sonnenterrasse, begleitet von wohlriechenden GrillDüften – so erwartet das Hotel «Paradies» in Ftan seine Gäste. Egal ob nach der morgendlichen Winterwanderung oder nach der Skiabfahrt: Immer mittags wird eingefeuert, und zwar draussen, auf dem «Cactus Jack Grill». Chef de Cuisine Martin Göschel und sein Team bereiten auf der heissen Glut Spezialitäten aus der Region zu: Engadiner Weiderind, Lammchops oder Steaks. Dazu gibts hausgemachte Chutneys und knuspriges Brot. Gut eingepackt in die kuscheligen Lammfelle geniesst man die Sonnenstunden und den einmaligen Blick auf die weisse Berglandschaft. Hotel Paradies, 7551 Ftan, www.paradieshotel.ch
Ehre für den in Lavin tätigen Künstler und Korbflechter Bernard Verdet. Er gewann den mit 10’000 Franken dotierten «Prix Jumelles 2010». Die Jury lobte den «begnadeten Weidenflechter» und würdigte den Mut des erfahrenen Gestalters, «sich eines Themas anzunehmen, das in unserer Gesellschaft tabuisiert und auch im Bereich des Kunsthandwerks bisher weitgehend ignoriert wird». Mit dem geflochtenen Sarg «Sarco» schaffe Bernard Verdet nicht nur ein würdiges, ästhetisch schlichtes und ökologisch unbedenkliches Gebrauchsobjekt, sondern rege auch zum Überdenken bestehender Normen, Konventionen und Gewohnheiten an (unten rechts). Für einen Preis nominiert war auch Alexander Curtius aus Scuol. Er stellt hölzerne Wohnskulpturen her, darunter eine aus Stämmen gehauene Liege. Curtius arbeitet im Zwischenbereich von Skulpturen und angewandtem Design (unten links).
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PIZZERIA
Die «Biosfera Val Müstair – Parc Naziunal» hat im Oktober von der Unesco das Biosphären-Label erhalten. Gleichzeitig wurde der fusionierten Gemeinde Val Müstair das Label «Regionaler Naturpark von nationaler Bedeutung» überreicht. Das Bündner Südtal setzt damit noch stärker auf sanfte und nachhaltige
Architektur aus Samnaun.
Vor fast 30 Jahren gründete Eugen Jenal sein Architekturbüro in Samnaun. Daraus wurde später eine Aktiengesellschaft und 2008 «AT7 Architektur». Das Büro beschäftigt heute zehn Mitarbeitende und eine Auszubildende. Die Architekten sind international tätig und haben sich auf Hotellerie und Wellness spezialisiert. Eines der jüngsten Projekte von «AT7 Architektur» sind der Umbau und die Erweiterung des Hotels «Gams» im Vorarlberger Ort Bezau. Hier wurde ein «Kosmos für die gehobene Zweisamkeit» gebaut. Im «Da Vinci Spa» geniessen die Gäste zwei neue Pools, den «HotSpot» und den «Cool-Pool». «Blütenschloss» und «Blütenkokon» laden zum verweilen ein. Im Innenbereich liegt der zwei Stockwerke hohe «Feuerraum», in dessen Mitte sich Sitzkissen rund um die grosse Feuerschale gruppieren. Doch auch der begehbare Weinturm im Eingang (Foto) oder die Unisex-WC-Anlage geben bei den Gästen zu reden …
Entwicklung.
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Münstertal: Zwei neue Labels
Chillout Riding bedeutet bewusst relaxen, die Natur geniessen und mit Freude und Genuss Ski fahren und snowboarden. Es geht dabei nicht um langsames, sondern um kontrolliertes, den Verhältnissen angepasstes und rücksichtsvolles Skifahren und Boarden, damit sich alle auf der Piste wohlfühlen. Die Initiative ChilloutRiding fördert die neue Einstellung, bei der bewusstes Entspannen und Wahrnehmen der Natur wichtig sind und bei der der Skisport mit Genuss und Freude verbunden sein soll. Bergbahnen, Tourismusverbände, Hotellerie, Skischulen und Rental Shops schliessen sich dafür zusammen und unterstützen diese Initiative. Mit dabei sind auch die Destinationen Engadin St. Moritz und Davos Klosters.
Neue Talstation Languard Die alten Infrastrukturen bei der Talstation Ski- und Sesselbahn Languard in Pontresina waren in die Jahre gekommen und für Gäste und Mitarbeiter der Lifte sowie Ski- und Snowboardschule Pontresina nicht mehr zeitgemäss. Zudem fehlte es an allen Ecken und Enden an Platz. Im Frühling 2009 stimmten die Einwohner von Pontresina anlässlich der Gemeindeversammlung dem Antrag des Gemeindevorstandes zu, das alte Betriebsgebäude durch einen Neubau zu ersetzen. Im Sommer 2010 wurde nun ein modernes Gebäude mit Restaurant und Aussichtsterrasse sowie Büros und Lagerräume für die Liftbetriebe und die Skischule realisiert. Der Betreiber des neuen Restaurants «Talstation Languard Beizli» ist die Pontresina Sports AG, welche auch den Skischulbetrieb vor Ort führt. Mit ihrem neuen Konzept «Kinderland» soll der Kinderlehrbereich für die kleinen Skifahrer und Snowboarder optimiert und auf einem Gelände zusammengeführt werden. Somit hat die Kinderskischule künftig im Dorf Pontresina nur noch einen Standort sowie eine Mittagsstätte direkt vor Ort für die Skischulschüler. Die neue Talstation ist inzwischen eröffnet.
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www.pontresina.ch
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piz 36 : Tradition und Moderne piz 37 : Jagd | Chatscha
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VORSCHAU / PREVISTA So nicht! | Uschea na! Ohne Wachstum kein Weiterkommen – das gilt für die Industrie genauso wie für die Dienstleistungen, samt dem Tourismus. Entwicklungen sind wichtig und sie sind so lange auch richtig, als sie nachhaltig sind und nicht unsere Lebens- und Einkommensgrundlagen zerstören. Die weitgehend vom Tourismus abhängigen Regionen Südbündens kennen das Problem nur zu gut – vor allem das Oberengadin mit seinem Bauboom. Aber auch im Kleinen, im Detail wäre mitunter ein «Stopp» angesagt. Immer wieder erschallt deshalb ein uschea na!, so nicht! piz wird in der nächsten Ausgabe solchen Halt-Rufen nachgehen. Wir nennen Sündenfälle und lassen Menschen und Fachleute zu Wort kommen, die die Weichen neu stellen wollen, die sich für eine nachhaltige Entwicklung ebenso einsetzen wie für die Landschaft.
IMPRESSUM Herausgeberin – editura Edition piz, Urezza Famos, Center Augustin, CH-7550 Scuol Tel. +41 (0)81 864 72 88, info@pizmagazin.ch Redaktion – redacziun Urezza Famos, René Hornung (rhg), redaktion@pizmagazin.ch Anzeigenverkauf – inserats E. Deck Marketing Solutions, Edmund Deck, Via Giovanni Segantini 22, 7500 St. Moritz, Tel. +41 (0)81 832 12 93, e.deck@bluewin.ch Produktion – producziun René Hornung, Eva Lobenwein Artdirektion, Grafik – grafica Eva Lobenwein, Innsbruck, www.dieeva.com Bildredaktion – redacziun da las illustraziuns Urezza Famos Bildbearbeitung – elavuraziun grafica TIP – Tipografia Isepponi, Poschiavo Korrektorat – correctorat tudais-ch Helen Gysin, Uster Copyright Edition piz, Scuol Druck – stampa Grafica Editoriale Printing Srl, Bologna, Italia
Foto: joexx / photocase.com
Autorinnen und Autoren, Fotos – auturas ed auturs, fotografias Valeria Martina Badilatti, *1981, aufgewachsen in Zuoz. Rätoromanisch-Assistentin an der Universität Zürich. Guido Baselgia, *1953, Fotograf, aufgewachsen in Pontresina. Lebte lange in Zug und heute in Malans. Mathias Balzer, *1967, geboren in Chur, aufgewachsen in St. Moritz. Theaterproduzent, Dramaturg und freischaffender Journalist in Chur. Gabriella Dissler, *1963, Autorin und Fotografin in Basel. Jürg Frischknecht, *1947, Journalist und Autor in Zürich.
Magazin für das Engadin und die Bündner Südtäler Magazin per l'Engiadina ed il Grischun dal süd
Köbi Gantenbein, *1956, Chefredaktor von «Hochparterre», der Zeitschrift für Architektur und Design, Zürich. Gregor Gilg, *1964, visueller Gestalter und Comic-Zeichner in Bern.
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Kirill Golovchenko, *1974, geboren in Odessa. Studium in Mainz, wo er heute auch lebt.
Nr. 40, Winter | Inviern 2010 / 2011.
Ralph Hauswirth, *1948, Freier Künstler in Basel.
Erscheint zweimal jährlich. Auflage: 30’000 Ex.
René Hornung, *1948, Redaktor des piz Magazins. Arbeitet als freier Journalist im «Pressebüro St. Gallen» und für «Hochparterre».
Abonnemente: Edition piz, CH-7550 Scuol. Zweijahresabonnement: Fr. 35.–
Gallus Hufenus, *1979, Radiojournalist und «Kaffeehaus»-Betreiber. Lebt und arbeitet in St. Gallen.
(exkl. Versandkosten und MwSt.). Das Abonnement ist mit
Ralph Hug, *1954, arbeitet als freier Journalist im «Pressebüro St. Gallen».
einer Frist von zwei Monaten vor Ablauf kündbar. Ohne schriftli-
Isabelle Jäger, *1968, Redaktorin bei der Televisiun Rumantscha. Arbeitet und lebt in Scuol.
che Kündigung erneuert es sich automatisch um zwei Jahre. info@pizmagazin.ch
Daniela Kuhn, *1969, freie Journalistin. Lebt und arbeitet in Zürich. Angelika Overath, *1957, freie Autorin und Literaturkritikerin in Sent.
Nächste Ausgabe: Juni 2011
Michael van Orsouw, *1965, «Literarischer Allgemeinpraktiker» in Zug.
Für unverlangt eingesandtes Text-, Bild- und Tonmaterial über-
Adriano Pedrana, 35 anni, da Livigno, si occupa di promozione turistica, giornalismo e traduzioni.
nimmt der Verlag keine Haftung. – Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion.
Cla Riatsch, *1956, professur per litteratura rumantscha, Univ. Turich. Balz Theus, *1940, freier Autor und Journalist in Küssnacht am Rigi.