pizMagzin No. 40

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Winter | Inviern 2010 | 2011

SAMNAUN, SILS, TSCHLIN Drei Gemeinden auf eigenen Wegen

IM SAMMELFIEBER

Giuliano Pedretti rettet Kulturgüter

ROMANISCHE LITERATUR Originaltexte oder Nachahmer?

Pioniere [Visiunaris]



INHALT / CUNTGNU

Editorial. Pioniertat oder Mainstream?

5

Der Flaschengeist: Aladin in Tschlin. Ein Ort, der

6

noch nicht von der Tourismus-Idylle weichgespült ist.

Der Pionier. Ein Capriccio von Köbi Gantenbein.

10

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Pionieren sind durchaus Absicht.

Im Grenzland. Der Fotokünstler Guido Baselgia: Seine

14

Bilder, seine Arbeitsweise.

Die Erfindung von Samnaun. Wie es 1892 zum Zoll-

20

freistatus des abgelegenen Bergtals kam.

Fusion? Kooperation? Pro Engiadina Bassa und

26

Corporaziun cumüns conzessionaris als Vorläufer der grossen Gemeindefusion im Unterengadin?

Die Silser und ihre Ebene. Die Bewohnerinnen

28

und Bewohner der Oberengadiner Gemeinde als Pioniere im Landschaftsschutz.

Schöne Aussichten. Über den Event-Tourismus.

32

Literatur: Pioniere oder Nachahmer? Kann

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eine Sprache wie Rätoromanisch nur mit Originaltexten überleben?

Warten bis die Alten aus dem Dorf sind.

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Conradin de Flugi – eine St. Moritzer Wiederentdeckung.

Il Don Camillo della Valtellina. Don Alessandro Pa-

44

renti è il modello per il famoso Don Camillo.

Mehr als Bio. Nur wenige Landwirtschaftsbetriebe

48

arbeiten nach Demeter-Richtlinien. Zwei Porträts.

Betten für Büezer und Bewegte. Ferien für alle.

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Über die Pioniere des Volkstourismus.

Im Sammelfieber. Giuliano Pedretti, Mitbegründer

56

des Kulturarchivs Oberengadin.

Das Magazin und seine Pionierin. 20 Jahre piz und

58

ein Besuch bei der Verlegerin.

Bücher. Neuerscheinungen aus der Region in Deutsch

60

und Romanisch.

Pizzeria. Aktuelles aus Südbünden.

62

Vorschau. Impressum.

66

Titelbild und Bild rechts: mrPliskin / istockphoto.com


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Pioniertat oder Mainstream? Liebe Leserinnen und Leser – chara lectura, char lectur

K

ennen Sie die Abkürzung «mots» aus dem Touristiker-Jargon? «Mots» steht nicht für «motzen» oder schimpfen, sondern für «more of the same».

Wir kennen das: Jedes bessere Hotel braucht sein Spa,

C

ugnuoschan Els la scurznida «mots» chi fa part al jargon dals turistikers? «Mots» nu sta per far mots o reclamar, mabain per «more of the same». I’ns

es cuntschaint: In minch’hotel da vaglia daja ün spa, in

in jeder Schneebar plärrt Musik, über viele Tobel füh-

mincha bar d’inviern sto nan alch musica, suravia blers

ren Hängebrücken. Solche Mainstream-Angebote sind

valluns maina üna punt chi penda. Talas offertas chi re-

sichere Werte, die Gäste wollen es offenbar so.

sguardan il gust collectiv sun valuors sgüras – il giast

Auf den Massengeschmack konnten sich die Pionierin-

para da vulair quai uschè.

nen und Pioniere der Tourismusbranche noch nicht

Ma vi dal gust da la massa nu’s pudaivan pioniers e pio-

verlassen – es gab ihn schlicht noch nicht. Sie glaubten

nieras i’l sectur turistic orientar, quel gnanca nun exi-

an die eigenen Ideen, mussten diese meist gegen viele

stiva amo. I vaiva nom as fidar da lur aignas ideas, su-

EDITORIAL

Widerstände durchsetzen und waren als Visionäre, ja

vent eir da tillas defender fond frunt a gronda resistenza.

Urezza Famos

als Spinner verschrien. Im Rückblick können wir nur

Els valaivan sco visiunaris, d’eiran disfamats sco fan-

danken: Zum Glück gab es sie, die Pioniere, Visionäre

tasts. Guardand inavo tils savaina però grà: Per furtüna

und Spinner. Und es gibt sie bis heute! Denn heute for-

tils haja dat, ils pioniers, ils visiunaris e’ls fantasts. I sun

dert jedes Tourismuskonzept, eben gerade keine «mots»-

qua eir amo hoz! Hozindi pretenda nempe mincha con-

Projekte umzusetzen, sondern neue Ideen zu entwi-

cept turistic ideas nouvas e na la realisaziun da progets

ckeln. Das ist anspruchsvoller und kostet mehr

«mots». Quai es plü pretensius e dumonda daplü lavur

Denkarbeit, Beharrlichkeit und Wille. Im Unterenga-

da spiert, perseveranza e voluntà. In Engiadina Bassa

din geht es zurzeit gleich um mehrere ganz spezielle

daja actualmaing güst plüs progets specials ed al listess

aber auch grosse Projekte: um die Übernahme von

mumaint gronds: surtour il Chastè da Tarasp, reactivar

Schloss Tarasp, die Reaktivierung des Kurensembles

il lö da cura Nairs e drizzar aint l’archiv da cultura.

Nairs am Inn und um den Aufbau des Kulturarchivs.

Ch’Els permettan amo üna remarcha in aigna chosa:

Mit Verlaub hier ein Hinweis in eigener Sache: Auch piz

Eir piz es dalöntsch davent dad esser ün proget «mots».

ist weit davon entfernt, ein «mots»-Projekt zu sein. Und

E quai daspö 20 ons. Precis, no festagiain anniversari!

das schon seit 20 Jahren. Ja, wir feiern Geburtstag! Aus

Our dal magazin da radio local d’üna jada es dvantà ün

dem einstigen Lokalradio-Magazin ist dieses Kulturma-

magazin da cultura. Per gronda part es il cuntgnü con-

gazin geworden, das sich in den meisten Inhalten be-

sciaintamaing different da quel dad oters magazins tu-

wusst von den gängigen Tourismuspublikationen un-

ristics – nun es apunta «more of the same». Ün pa suber-

terscheiden will – eben nicht «more of the same». Ein

bis eschna cha quai ans grataja adüna darcheu e dschain

bisschen sind wir stolz darauf, dass das immer wieder

grazcha ad inserents, lecturas e lectuors chi pussibilte-

gelingt, und wir danken: den Inserenten und den Lese-

schan quai.

rinnen und Lesern, die das möglich machen.

Ch’Els as laschan dimena surprender da tuotta sorts

Lassen Sie sich also in dieser Ausgabe von allerhand Pi-

acts da pionier eir in quist’ediziun e sco adüna Tils laina

oniertaten überraschen und wie immer fordern wir Sie

metter a cour da’ns racumandar inavant.

auf: Empfehlen Sie uns weiter und abonnieren Sie piz

Il talun d’abunamaint dal piz as chatta sün pagina 65 o

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piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

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Der Flaschengeist: Aladin in Tschlin In Tschlin, auf 1533 Metern über Meer, gedeihen im Unterengadin nicht nur Hagebutten und Milchziegen, sondern auch gute Ideen. Eine Bieridee wurde zum Motor einer Entwicklung unter dem Motto «klein, aber fein» – oder eben «Bun Tschlin».

Text: Isabelle Jaeger Fotos: Kirill Golovchenko

T

schlin, hoch über dem Inn auf einer Sonnenter-

braut und ansprechend verpackt war, wurde aus der

rasse. Nur zwei Touristen mit Kennerblick und

Bieridee einiger idealistischer Bergler ein Kultbier, die

grosser Kamera oohen und aahen durch die Gas-

Biera Engiadinaisa. Mit einheimischem, biologischem

sen, sonst sieht man ab und zu Frauen mit Einkaufsta-

Getreide in Tschlin eigenes Bier zu brauen, bedeutete

schen oder hört jauchzende Kinder. Real fassbar wird

eine Engadiner Tradition zu beleben und die Ökono-

der archaische Touch von Tschlin spätestens, wenn

mie des Dorfes wieder in Schwung zu bringen. Zu der

man in die erste chaclana, in den Ziegenmist tritt.

einen guten Idee gesellten sich bald weitere. Der

Tschlin ist anders, nicht von vermeintlicher Idylle weich-

Grundstein zur heutigen Plattform regionaler Pro-

gespült wie die bereits früher vom Tourismus und der

dukte und Dienstleistungen war gesetzt: Bun Tschlin.

Welt entdeckten Dörfer im Tal. Hier sind die meisten Scheunen noch mit Heu statt Designermöbeln gefüllt.

Bun Tschlin – das Label In 13 Minuten schraubt sich das Postauto von der Frak-

6

Aladin der Ziegenbock Aladin hängt in der Chascharia «Che chaschöl», in der Käserei. Als er noch lebte, sorgte er in Tschlin für Ziegennachwuchs. Heute wachen die Hörner des Ziegen-

tion Strada den Berg hinauf ins Dorf. 50 Minuten kurvt

bocks über die Käserei der Mairs. Chatrina und Peter

es von der «Acla da Fans», dem äussersten Punkt der

sind in Eile, wie immer. Peter Mair war schon in Ftan

Fraktion Martina, bis zur Haltestelle vor dem Restau-

und hat 80 Liter frisch gemolkene Bio-Wasserbüffel-

rant «Macun» («Steinbock»). Nur weil oft vergessen

milch abgeholt. Jetzt gibts Engadiner Bufala-Mozza-

wird, dass auch Strada und Martina zur Gemeinde

rella. Später kommen 30 Gäste zur Käsedegustation.

Tschlin gehören, ist der Ort noch lange nicht zum Ver-

«Normalerweise», sagt Chatrina, «haben wir nur 20

gessen. Denn Tschlin hat, was jedes Brandingexperten-

Leute, wegen dem Platz. Heute sind es wirklich viele.»

herz höher schlagen liesse: ein eigenes, modernes und

Kein Wunder – mit den Besuchern ist es wie mit der

auf dem Markt gut eingeführtes Label – Bun Tschlin.

Chascharia. Geplant war weniger. Aus einer lockeren

Am Anfang war das Bier – und weil dieses ordentlich ge-

Nebenbeschäftigung wurde ein Vollzeitjob, den Chat-

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rina ohne ihre zupackende Mutter kaum schaffen

5

keit. Die Karte der wirtschaftlichen Prognosen, erzählt

6

1-3 Die Terrassen von Tschlin

würde. Wenn er nicht in Samnaun als Senn arbeitet –

er weiter, bilde die Basis der Kreditvergaben der Ban-

und Dorfimpression: Noch von

ein 80-Prozent-Pensum –, ist auch Peter Mair überall

ken, und darum sei es ihm auch trotz intensiver Suche

vermeintlicher Weichspüler-

dabei. Und wenn er nicht käst, führt er momentan die

nicht gelungen, Geld für sein Projekt aufzutreiben.

Idylle verschont.

Geschicke von Bun Tschlin. 19 Mitglieder sind über die

Andina ist aus dem Leben als Gemeindeschreiber aus-

Plattform organisiert, von der Sennerin über den

gestiegen und wollte das ehemalige Schulhaus in ein

4 Die alten Brunnen sind sorg-

Dorfladen bis zur Brauerei und zum Möbeldesigner.

Hotel umbauen – nur zahlen will die gute Idee keiner.

fältig renoviert und werden

Seine Visionen polarisieren. Momentan, ohne die

noch immer gebraucht.

Uniun fa la forza

Kraft des Amtes in der Gemeindeadministration, lau-

«Ich bin in Ardez aufgewachsen, aber Tschlin ist noch

fen sie wohl auch mehr ins Leere, als sie es eigentlich

5, 6 Chascharia: Der Tschliner

etwas spezieller», sagt Peter Mair. Die Jungen verlassen

verdient hätten. Bei der Entstehung der Tschliner Bier-

Käse reift vor Ort und Ziegen-

das Dorf, die Schule ist ins Tal verloren gegangen, die

raria war er massgeblich beteiligt. Mit dem Bier kam

bock «Aladins» Kopf wacht

Zukunft des Hotels und Restaurants «Macun» ist unge-

der wirtschaftliche Erfolg. Bescheiden zwar, aber im-

darüber.

wiss, und selbst den Postautokurs von Strada hinauf

merhin. «Das reicht eben nicht. Wir brauchen mehr,

will Postauto Schweiz streichen, weils nicht rentiert.

wir müssen aktiver werden», ist er überzeugt. Gemein-

Wie kommen dann die älteren Tschliner ins Tal, die

sam am Strick ziehen und – so seine Vision – eine Ge-

Kinder in die Schule, die Pendler ins regionale Zent-

nossenschaft gründen, um das Hotel zu bauen und zu

rum Scuol? All das macht den Tschlinern Sorge. Man

führen. Nur wo alle zahlen, übernehmen auch alle Ver-

sei deshalb noch stärker zum Handeln gezwungen als

antwortung. «Am besten wäre es», sagt er heiterer, weil

in anderen Dörfern, folgert Peter Mair. In Tschlin ist

er weiss, wie schwer sich die Einheimischen damit tun,

Hilfe zur Selbsthilfe nötig, Marke «Uniun fa la forza»,

«wenn das ganze Unterengadin eine einzige Gemeinde

«Gemeinsam sind wir stark.»

wäre, dann wäre die Karte zumindest hellrot.

An diesem Punkt redet sich der ehemalige Gemeindeschreiber Angelo Andina regelmässig in Rage. «Das

La Polaca

hier ist unser Problem», sagt er und klopft auf die

Ganz so einfach ist das nicht. Entwicklung hat ihre

Schweizer Karte des ETH-Studios Basel. Die Wirt-

Schattenseiten. Noch ist Tschlin ein Ort, wo man nicht

schaftselite von Avenir Suisse habe die urbane Schweiz

zufällig hinkommt. Aber wer weiss, wie lange noch.

kartografieren lassen. «Alles andere, zack, wildroman-

Jahrelang war hier nichts zu verkaufen, nun stehen ein

tische Ferienkulisse. Hier, das sind wir, alpine Brache»,

halbes Dutzend Häuser zur Auswahl. Die traditionel-

protestiert Andina. Viele Gemeinden unterschätzten

len Engadiner Häuser wechseln die Hand. Im kleinen

die Wirkung dieser Karte, «aber so sieht die starke

Nest hoch über dem Inn ist letzten Sommer ein bunter

Schweiz ihre Zukunft. Hier, feuerrot, die Städte im

Vogel gelandet. Grazyna Kulczyk, la polaca, die Polin.

Schweizer Mittelland, bei uns die Brache.»

Nicht irgendeine Polin, sondern die reichste überhaupt

Angelo Andina ist eine kantige Persönlichkeit, nicht

hat in Tschlin ein Haus gekauft. Die Kunstmäzenin

nur, weil er auch heute, bei Schneefall, mit offenen

lässt es sorgfältig zum exklusiven Domizil umstylen.

Sandalen und Wollsocken unterwegs ist. Gegen das

Weil es im Oberengadin bereits etwas voll sei, erzählt

Klima zu trotzen liegt ihm, dem unermüdlichen Strei-

man sich im Dorf. Die Immobilienpreise sind aus dem

ter wider Gleichgültigkeit und Fortschrittsfeindlich-

Dornröschenschlaf erwacht. Wenn Peter Mair zum

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7 Die zottigen Highland-Kühe

grossen Fenster der chascharia hinausblickt, sieht er

mit ihren imposanten Hörnern.

rechts ein grünes Haus: «Zu verkaufen». «I vegn glieud

den vergangenen Jahrzehnten unter anderem ein rotes

Die relativ leichten Tiere

e glieud», es kommen Leute, Leute – die Interessenten

Architektenschulhaus. Heute steht es leer.

schonen das Gelände.

geben sich die Klinke in die Hand.

rosig. Doch mit dem Geldsegen leistete man sich in

Men Notegen, der Gemeindepräsident, der nächstes

Highlanders und Whisky

8 Sgraffiti und Wandmalereien

Jahr wegen der Amtszeitbeschränkung zurücktreten

Auch die ehemalige Milchkammer der Janetts stand

aus allen Jahrhunderten

muss, weiss genau, welche Neuzuzüger er will: junge

leer. Statt drei zusätzliche Kühe hineinzustellen, taten

prägen das Dorfbild von Tschlin.

einheimische Familien mit Kindern, das höchste Gut

Erika und Jon das, was sie schon seit Jahren tun: etwas

in Dörfern wie Tschlin. Darum lancierte die Gemeinde

anderes als die anderen. Die Janetts haben gleich ne-

Anfang 2000 eine Reihe von konkreten Anreizen. Sie

ben ihren Kühen eine Whiskybar eingerichtet. Die

zahlte 100’000 Franken an einen Hausbau, 50’000 für

Schankerlaubnis haben sie sich schon besorgt, diesen

den zusätzlichen Bau einer Ferienwohnung und zins-

Winter gehts los. «Experten? Die brauchen wir nicht,

lose Darlehen für Investitionen in der Industriezone

die sind wir selber», zwinkert Jon Janett seiner Frau zu.

unten am Inn. Sieben neue Häuser und zu viel ausge-

Seit Jahren fahren sie immer wieder nach Schott­land,

gebenes Geld – so lautete 2005 die Bilanz der Aktion.

haben nicht nur Land und Leute kennen gelernt.

Der Geldstrom fliesst

Jon und Erika bewirtschaften ihren Hof biologisch.

Tschlin, spotten die Nachbarn, habe keinen Grund

Auch sie sind bei Bun Tschlin dabei, obwohl sie schon

zum Jammern, die Gemeinde sei ja finanziell auf Ro-

vorher wahre Meister im Direktverkauf via Internet

sen gebettet. Das sieht man auch: Alle Strassen sind

waren. Seit Jahren gehen die Pakete mit dem Fleisch ih-

neu gepflästert, die alten Brunnen liebevoll restauriert

rer Rinder ins Unterland. Die Kunden kennen ihre Lie-

und sogar der Zeiger am Wasserreservoir hoch über

feranten persönlich – im Stall sind zwei Webcams ein-

dem Dorf funktioniert wieder. Die Infrastruktur in der

gerichtet. Auf dem Hof leben auch 19 schottische

75 Quadratkilometer grossen Gemeinde verschlingt

Highland-Kühe. Zottige, rotbraune Tiere mit imposan-

Unsummen – in neun Jahren rund 15 Millionen Fran-

ten Hörnern, die mehr können als gut aussehen und

ken. Aber Tschlin muss tatsächlich weniger jammern,

schmecken: «Unter dem vielen Fell sind sie recht leicht.

denn zum Gemeindegebiet gehört das Val Sampuoir,

In unserem steilen Gelände verursachen sie keine

und das gehört zur Zollfreizone von Samnaun. In die-

Trittschäden und fressen dort, wo man nicht mehr mä-

sem hintersten Winkel Tschlins steht das Einkaufszen-

hen kann.» Dass sie langsam Fleisch ansetzen, nehmen

trum «Acla da Fans». Schon vor dem Bau versprach des-

Janetts in Kauf.

sen Erfinder, Cla Famos, der Gemeinde einen Anteil

In dieser Höhe reift die Natur langsamer – aber das

am Gewinn. Es wurden im Laufe der Jahre Millionen.

nachhaltig Gewachsene hat mehr Gehalt.

Bun Tschlin funktioniert aber nicht wegen dieses Geldes. Zwar bekommt das Projekt fünf Prozent der Steuereinnahmen der Acla da Fans, aber das reiche nicht, betont Men Notegen. Rund 50’000 Franken seien das, gerade genug für einige Werbeausgaben. Die Gemeindefinanzen präsentieren sich heute wieder eher rot als 8

Schottland schliesst Tschlin nicht aus, im Gegenteil.

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Der Pionier Das Hotel «Alpenrose» und die wechselvolle Geschichte der Pioniere Riet und Chasper Töndury aus Samedan, die den Gästen quer durch die Generationen immer das boten, was diese sich wünschten. – Ein Capriccio aus den Bergen. *

Text: Köbi Gantenbein Illustration: Gregor Gilg

C

hasper Töndury sitzt auf dem Bänklein bei der

denn die Gletscher waren ja gross und der Malojawind

wärmt sich in der Sonne und zündet eine Bris-

nicht einzufangen, um damit in der Stadt werben zu

sago an. Er denkt über sein glückliches Leben als Pio-

können. Segantini malte als Beitrag zur Weltausstel-

nier des Fremdenverkehrs nach und freut sich, dass nun

lung in Paris im Auftrag von Riet und seinesgleichen:

bald sein Enkel Kevin das Grandhotel und alles drum

das endgültige Heldenepos der Berge. Es ist die Geburt

herum übernehmen wird.

des Grafikdesigns des Tourismus und thront im Mu-

Begonnen hatte alles mit Riet Töndury. Chaspers Gross-

seum in St. Moritz, das Töndury und seine Kollegen

vater war Bauer und Jäger gewesen, cun corp ed orma,

dem Maler kurz nach dessen Tod erbaut hatten, weil sie

mit Leib und Seele, wie er zu sagen pflegte. Seit dem

wussten, wie viel sie ihm verdankten. Er hat die Bilder

Heidibuch wissen wir, dass solches zwar seelenfüllend

der Berge und seiner Leute in die Köpfe und Herzen der

ist, aber nichts einbringt. Riet aber hielt zur richtigen

Giasts gemalt, die nun Touristen genannt wurden.

Zeit die Nase in den Wind und baute zusammen mit

Heerscharen von Künstlern, Grafikern und Fotografen,

dem Zimmermann neben seiner Landwirtschaft staun-

von Albert Steiner über Alois Carigiet bis zu Florio

zas per giasts, Gästezimmer, die er zuerst sommers und

Puenter, sind ihm gefolgt und haben die Fremden mit

später auch immer mehr im Winter ausmietete. Giasts

Plakaten, Kunst und Reklame ins Engadin gelockt.

tuottafat speciels da l'Ingialterra, eigenartige Gäste aus England kamen an. Riet sprach Puter, das Romanisch

Kabinette und verarmter Adel

des Oberenagdins, lernte aber ein paar Brocken Eng-

Während Segantini malte, baute Riet Töndury seine

lisch dazu. Der Pension mit den neun Fremdenbetten

Pension zum «Hotel Alpenrose» aus. Statt neun gab es

ging es nicht schlecht. Die ganze Familie machte mit.

nun 49 Betten, statt der Stube einen Salon, vier Kabinette

Der Alte hatte begriffen, was seinem Enkel im Blut war:

und einen Saal. Statt der Diele eine «Bel Etage» und vor

«Es gibt nur einen Wunsch, und das ist der Wunsch des

dem Haus einen «cours d'honneurs». Und die Kellner,

Fremden, der kein Fremder sein will, sondern das Bild,

Köche, Zimmermädchen, Wäscherinnen, Porteure,

das er im Kopf trägt, gebaut vorfinden will.»

Die Illumination des Versprechens

*Capriccio – Begriff aus der Musik- und der Kunsttheorie: Eine phanta­sievolle, absichtliche Übertreibung. Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Pionieren längs und quer durch die Alpen sind hier Absicht.

10

Versprechens auf leicht transportierbaren Bildern,

Kirche Sankt Peter oberhalb von Samedan,

Commis und all die andern kamen aus den umliegenden Tälern. Alle zu Diensten der Bankiers, Reedergattinen, Grafen und Spekulanten. Riet Töndury herrschte

Doch was heisst da «das Bild im Kopf»? Eigentlich ver-

über das «Hotel Alpenrose» wie ein General über seine

dankte er alles dem Maler Giovanni Segantini. Riet und

Armee – und starb.

Segantini gingen noch zusammen auf die Gamsjagd.

Sein Enkel, Chasper Töndury, schaut über die Schulter

Eines Tages schlug der Künstler dem Wirt einen Handel

auf den Friedhof. Nur gut zehn Meter hinter ihm ruht

vor. «Du hast eine kleine Fremdenpension. Wir müssen

der Pionier. Und unweit daneben steht der Grabstein

deinen Gästen Bilder vom Paradies liefern. Dann kom-

von Graf Kopelnikow. Er hatte sich nach seinem fünf-

men sie und geben ihr Geld aus. Ich male Bilder vom er-

monatigen Aufenthalt 1918 unter den Arven von Chris-

habenen Berg und seinem edel-wilden Bewohner im

tolais erschossen, weil er die letzten Goldrubel verspielt

Kampf mit der Natur. Du versammelst deine Kollegen

hatte und zu Hause das Proletariat an der Macht war.

und ihr baut diese Bilder in Häuser und Landschaften

Der Untergang des Adels und der Bankiers in zwei

und mir bezahlt ihr einen grossen Auftritt in Paris, der

grossen Kriegen haben das Paradies wohl erschüttert,

Hauptstadt der Kunst, und zehn Prozent vom Gewinn.»

aber nicht zerstört. Im Gegenteil: Die Bilder der Archi-

Damit waren die Architektur und das Design des Frem-

tekten und Designer wirkten nachhaltig, statt der Gra-

denverkehrs im Oberengadin erfunden: Die Ausstat-

fen und Reeder verliebten sich nun die Bürger in Saus

tung und Staffage des Paradieses, die Illumination des

und Braus, High Life und Bergerholung.

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Die neuen Gäste aber wollten nicht ins Hotel, son-

die Residenzen seinerzeit auf einen Schlag gebaut, jetzt

dern ins Eigentum. Sie kalkulierten ihre knappen Feri-

sind sie auf einen Schlag alt, viele Besitzer tot und die

entage. Neben den Hotelpalästen wuchsen Häuser und

Erben gehen lieber in die Karibik. Noch vermietet er die

Häuschen aus dem Boden. Auch auf dem Land der Fa-

Ferienhalde dem Sozialamt. In zwei Jahren will er dann

milie Töndury. Das war seine, Chaspers, grosse Zeit. Er

im «Enzian» sein letztes, grosses Projekt auffahren, die

war jung eingestiegen, wurde Präsident der Bergbahn

Residenz «Mira Rosa» mit Feuer- und Eisbad, Sprudel-

und des Kurvereins, war Bank- und Grossrat und sorgte

und Schlafstein von Peter Zumthor, einem Golfplatz

als Gemeinderat dafür, dass das Land der Familie einge-

von Pipilotti Rist, einem Hochhaus von Herzog & de

zont wurde. Wo einst die Wiese «sur punt» war, stand

Meuron, einem Fitnesszentrum von Lord Foster und

bald die Urlauberresidenz «Enzian». Und hart neben der

einer Schönheitsklinik von Tilla Theus – alles im Pas-

Lawinenzone die Überbauung «Anemone».

sivhaus-Standard. Der Ausbau nur in Arve, Föhre und

Doch nach welchen Bildern sollte er bauen? Was woll-

zertifiziertem Tropenholz. Als Residenz für Pauschalbe-

ten die Fremden? Segantini war schon lange tot und

steuerte, als Familienheim für die Weltnomaden. Und

seine Nachfolger wollten nichts mit seinesgleichen zu

die «Anemone» wird er wohl dem Ägypter verkaufen,

tun haben. Chasper hatte gar keine Zeit, über Bilder

der Jahr für Jahr sein Angebot nach oben schraubt und

nachzudenken. Eine Consultingfirma aus dem Unter-

im Stande scheint, die Lex Koller auszuhebeln und also

land wurde eingeschaltet und die brachte die Architek-

auch den lästigen Wohnungskontingentierungen mit

tur gleich mit: den alpenländischen Stil, «das am Markt

Charme und Geld den Garaus machen wird.

Erprobte», so hatte der Consultant versichert, ganz im Einklang mit den Kreditgebern der Bank. In stillen Mi-

12

Grosses steht an

nuten fand Chasper Töndury diese engadinisch-walse-

Sind Riet und Chasper Töndury, die Pioniere, schuldig?

rischen Häuser zum Kotzen. Doch alle waren rasch und

Nein. Aber was bei Riets Pension gut geklappt hatte,

gut verkauft. Puter übrigens versteht Chasper zwar

reichte Chasper später fürs Hotel und die Feriensied-

noch, aber gesprochen wird in der Familie längst Bünd-

lung nicht mehr. Riet baute eine Terrasse, da konnte we-

nerdeutsch und mit dem Personal Italienisch, Portugie-

nig schiefgehen, doch Hotel, Bergbahn, Residenzen

sisch – und mit den Gästen Englisch.

und Golfplatz waren mit Pioniergeist, Handwerkerver-

Der Manager ist am Ruder

ten. Chasper musste sich helfen lassen und geriet in die

Auch der Name des Hauses hat die Sprache gewechselt.

Klauen der Berater. Zwei von denen kannte sein Schwie-

stand und Bauernschläue allein nicht mehr zu gestal-

Aus der «Alpenrose» ist das «Grand Hotel Rose des Alpes»

gersohn vom Militär her.

geworden, mit drei Restaurants, Wellnesscenter, Swim-

Chasper Töndury zieht kräftig an seiner Brissago. Er

ming-Pool und Tiefgarage. Am Ruder steht nun der

freut sich, dass Kevin nun bald ins Familiengeschäft

Schwiegersohn – ein Manager, der sich um die Investi-

einsteigen wird, sein Enkel. Er wird die «Mira Rosa» zur

tionen der Familie kümmert: Bergbahn­anteile, Bau-

Blüte bringen und nur noch im Minergie-P-Standard

firma, Residenzen und Golfplatz. Alles ist mittlerweile

bauen. Er wird ein Internetbergbahnbillett einführen,

in der Töndury Leisure Investment Inc. mit Sitz in Va-

Knospenessen auftischen und das Snowboard aus zerti-

duz zusammengefasst.

fiziertem Tropenholz vermieten. Er nennt das «geil»

«Für die Einheimischen zu mieten gibt’s nichts, zum

oder «voll krass». Und sagt, das alles sei Mode nun in der

kaufen braucht es Millionen», hat der sattsam bekannte

Stadt und «es gibt nur einen Wunsch, und das ist der

sozialistische Architekt Obrist aus St. Moritz kürzlich

Wunsch des Fremden, der kein Fremder sein will, son-

wieder einmal in einem seiner berüchtigten Leser-

dern das Bild, das er im Kopf trägt, gebaut vorfinden

briefe in der «Engadiner Post» geschrieben. Ja und? Der

will». Der Grossvater vertraut seinem Enkel und ist froh,

Cashflow der Gemeinde ist besser als der der Bank, die

dass die Töndury Leisure Inc. im Unterschied zu fast al-

Handwerker haben alle Hände voll zu tun. Preise spie-

len Konkurrenten auch über die Mittel verfügt, um

len keine Rolle. Soll der Herr Architekt und Weltverbes-

Kevins Vermögen und Ruhm voranzubringen.

serer doch einmal zeigen, wie man aus Felsen, Eis und

Am Himmel glüht kühl das Abendrot, es ziehen Schäf-

karger Landschaft Gold macht.

liwolken auf und dort, wo die Kirchenmauer einen

Und weil der Boden knapp ist und alles eingezont, hat

Rank macht, schaut ein junger Rehbock hervor und

Chasper kürzlich begonnen, die Wohnungen im «En-

springt vergnügt in die Wiese voller Rosenkerbel,

zian» und in der «Anemone» zurückzukaufen. Er hatte

Glücksklee und dreifingrigen Salbeis.

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011



Im Grenzland Auf der Suche nach einer neuen Sicht der Welt, zum Beispiel nach dem Bild der Erde jenseits der Waldgrenze. Guido Baselgia schreckt vor keiner Herausforderung zurück. Ein Porträt des in Pontresina aufgewachsenen Fotokünstlers.

Text: Balz Theus Fotos: Guido Baselgia

E

in Grenzgänger. Ein Perfektionist. Ein Tüftler. Ein

dings Gletscher mit Planen ab, damit sie weniger

gia. Wir schreiben den 30. September 2010: Heute

schnell schmelzen. Ich bin sicher: daraus kann nicht

ist er im Gebirge über Pontresina unterwegs, ein einsa-

viel werden. Wenn ich auf dem Gipfel des Piz Languard

mer Mensch. Er schleppt 20 Kilo Fotomaterial durch

stehe und Richtung Nordosten / Nordwesten blicke,

die Nacht. Sein Ziel ist der Gipfel des Piz Languard. Er

könnte ich glauben, es wohne da unten kein einziger

trägt festes Schuhwerk. Er steckt in seiner Wintermon-

Mensch. Man sieht reine Naturlandschaft und spürt,

tur. Überall liegt Schnee und vor Sonnenaufgang sinkt

welche Kraft die Natur hat. Dass sie die menschlichen

die Temperatur auf minus 15 Grad dort oben, auf 3262

Eingriffe tilgt. Dann drehe ich mich ein bisschen. Im

Metern Höhe, was solls.

Tal unten erblicke ich den St.  Moritzer See, den Stazer-

«Es macht mir nichts aus, mich allein durch die Land-

see, das ganze Ballungszentrum und stelle fest: Päng, es

schaft zu bewegen. Das belastet mich nicht, im Gegen-

ist unglaublich zivilisiert. – Was für ein Kontrast!»

teil: Es befreit mich eher. Ich bin ja auch hinter der Ka-

Das Besondere am Piz Languard ist seine Lage. Sie ist so,

mera immer allein. Es ist nie jemand dabei. Ich will

dass weder in östlicher noch in westlicher Richtung ein

nicht ausschliessen, dass das etwas mit den Bergen

anderer Berg direkt vor ihm liegt, keiner jedenfalls, der

selbst zu tun hat. Der Bergler, das wird schon stimmen,

mächtiger wäre als er selbst. Alle befinden sich in ge-

tickt anders als der Unterländer.»

bührender Distanz. Der Blick ist unverstellt, und das ist der Grund, warum man von hier aus annähernd den

Sonnenaufgang – wundervoll

Horizont der Erdkugel sieht, hinter dem die Sonne im

Längst hat es sich herumgesprochen, dass man einmal

Osten auftaucht und im Westen untergeht. Den Grenz-

in seinem Leben einen Sonnenaufgang auf Languard

gänger Baselgia schlägt das in seinen Bann.

gesehen haben muss. Im Sommer kommen die Touris-

14

gen nach dem Woher und Wohin. Man deckt neuer-

Besessener. Das ist der Fotokünstler Guido Basel-

ten. Sie fotografieren die gleissende Sonne, wenn sie

Die Visionen der Betrachter

aufgeht, und das Farbenspiel bei ihrem Untergang. Sie

«Meine Bilder haben nicht den Zweck, etwas Konkretes

tragen von alters her ein anerzogenes Bildprogramm in

auszusagen. Was ist das? Wo ist das? Wer ist das? Wo ist

sich. Es steckt in ihren Weichteilen und sagt, was schön

oben? Wo ist unten? Solche Fragen sind nicht mein

ist: der Blick auf die Blumen im idyllischen Tal, der ver-

Thema. Das einzig und allein Entscheidende ist das Bild

träumte See, das murmelnde Bächlein, das drollige

an sich: Ich zeichne Impressionen oder Visionen auf

Zicklein, das muntere Vögelchen, das schnuckelige Eich-

und freue mich, wenn der Betrachter seine eigenen Vi-

hörnchen und das süsse kleine Murmeltier und so wei-

sionen daraus entwickelt. Endlich einmal selber Bilder

ter. Solche Eindrücke heben sie über sich selbst hinaus.

sehen, endlich einmal sehen, was es zu sehen gibt, und

Aus dem Jahr 1932 hat sich eine Postkarte erhalten, auf

nicht das, was man in der Schule gelernt hat: die klassi-

der eine Frau schrieb: «Heute waren wir auf dem Langu-

sche Komposition mit Vordergrund, Mitte und Hinter-

ard. Abmarsch 00:59. Prächtiger Mondscheinmarsch

grund. Und schon gar nicht der romantische Blick mit

mit Sternschnuppen. Droben war es mir zu kalt zum

dem ehrfürchtigen Menschen vor dem übermächtigen

Schreiben. Der Sonnenaufgang war wundervoll u. kalt.

Berg. Auf dem Piz Languard interessiert mich die Däm-

Heute Abend Musik. Herzl. Grüsse Käthi.»

merung. Die besondere Lage des Bergs macht, dass man

«Es ist individuell, was du dort oben empfindest und

den Erdschatten sieht.

was dir das gibt. Jetzt, im September, die Dämmerung,

Wenn die Sonne untergeht, erlöscht ja nicht ihr Licht.

beginnend im Osten, wolkenloser Himmel, und ich

Es wird dunkel, weil sich der beschienene Teil der Erd-

sehe all die Berggipfel ... es gibt nicht die absolute Ruhe

kugel von der Sonne wegdreht. Jetzt wirft die Erde ei-

dort oben – es gibt die Stille und die Ferne und die Fra-

nen graublauen Schatten in die Atmosphäre. Sie ist wie

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


LungoGuardo # 01, 15. Oktober 2010, 07:37 bis 12:07

eine Leinwand. Am östlichen Horizont sieht man den

«Man muss sich das vorstellen: Man geht in Pontresina

Schatten immer weiter wachsen, bis die allumfassende

zur Schule, und das war einfach ein Bergdorf. Ich

Nacht ihn schluckt.»

Kunstgewerbeschule war eine Offenbarung

glaube, ich spürte schon damals irgendwie, dass ich in meinem Leben gestalterisch tätig sein wollte, und dort war nichts von der Art; da hat man im Unterricht im

Guido Baselgia ist in Pontresina aufgewachsen. Wenn

besten Fall mal den Namen von Segantini gehört. Viel-

er daheim aus dem Zimmerfenster blickte, sah er zur

leicht auch noch Picasso. Vor diesem Hintergrund war

Segantini-Hütte hinauf. Dann kamen die Schwestern –

die Kunstgewerbeschule im Unterland eine wahre Of-

die beiden Bergspitzen mit diesem Namen –, dann der

fenbarung. Sie liess in mir die Gewissheit reifen: Mein

Piz Muragl, auf dessen rechter Seite im Sommer relativ

Thema ist die Fotografie.»

spät die Sonne aufging. Dieses Bild hat sich ihm unaus-

Nach vier Jahren war seine Ausbildung abgeschlossen.

löschlich eingeprägt.

Er beherrschte nun das klassische fotografische Hand-

Mit 17 ging er von zuhause weg. Fünf Jahre später war

werk. Er arbeitete mit hohem ästhetischem Anspruch

er an der Kunstgewerbeschule in Zürich. In deren Foto-

für Zeitungen und Zeitschriften, er unternahm Repor-

klasse waren sechs Studienplätze zu vergeben gewesen,

tagereisen in die halbe Welt, fotografierte für Industrie-

für einen davon hatte er sich aus einer Menge von Be-

unternehmen und Buchverlage. Er hatte in Baar bei Zug

werbern heraus qualifiziert.

sein Atelier. Auf seinem Weg wollte er nicht stehen blei-

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

15


LungoGuardo # 02, 20. September 2010, 19:32

16

ben, erst recht nicht, als mit der Digitalfotografie die

Durch die Linse fängt man Licht ein und lässt dieses auf

Produktion von Bildern immer inflationärer und deren

den Film zeichnen. Das Resultat ist ein latentes Bild,

Verbreitung immer schneller wurde.

was bedeutet: Das Bild ist noch nicht sichtbar. Trotz-

Mit alter Technik

nicht da. Nähme ich den Film aus der Kamera, sähe

«Ich kann das, was ich mache, digital nicht machen.

man nichts. Für mich ist das wie Magie. Das Bild ist da,

Deshalb habe ich mich entschlossen, bei der analogen

du kannst es gleich entwickeln, mit chemischen Reak-

Technik zu bleiben, mit allen Konsequenzen. Ich prak-

tionen, du kannst es aber auch erst in zwei Wochen

tiziere die Fotografie so, wie sie erfunden wurde, mit

oder in einem Jahr entwickeln – es ist immer unsicht-

dem ist es da, man sieht es nur nicht. Es ist da und doch

der Grossbildkamera 4 x 5 inch. Analoge Fotografien

bar und immer da. Das finde ich phänomenal.»

sind Licht-Zeichnungen. Das ist wesentlich. Ich spüre,

Das Engadin lebte im Unterland weiter. Die Berge lies-

ob ein Bild digital oder analog gemacht wurde. Das ana-

sen ihn nicht los. Er sagt, es wirke auf ihn wie eine int-

loge hat für mich eine viel intensivere Aura. Digital-

ravenöse Spritze, wenn er die Berninagruppe anschaue,

und Analogkamera könnten unterschiedlicher kaum

ganz anders jedenfalls, als wenn er im Berner Oberland

sein. Was im Innern eines analogen Fotoapparats nach

vor Eiger, Mönch und Jungfrau stehe. Er sagt, nicht zu-

dem Drücken des Auslöseknopfs geschieht – in der ab-

fällig sei im Unterland sein Wunsch gewachsen, eine

soluten Dunkelheit – hat für mich etwas Magisches.

Arbeit über die Welt zu machen, die ihn prägte. Daraus

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


LungoGuardo # 03, 14. Oktober 2009, 18:45

entstand das Projekt «Hochland», welches das Engadin

der unwirtliche Raum oberhalb der Waldgrenze. Dort

in einem radikal neuen Licht erscheinen liess. Er stieg

stellte er seine Kamera auf. Wenn er fertig war und zu-

hinauf in die Hochtäler. Er sah den meterhohen Schnee.

rück ins Tal ging, war der zweite Teil seiner Arbeit ab-

Er sah den glatten Fels. Er sah die endlosen Schutt- und

geschlossen. Der erste hatte in der Recherche bestan-

Geröllhalden, die ihm den Weg versperrten. Er sah den

den, der dritte folgte in der Einsamkeit des Labors.

kalten Glanz des Steins und hörte, wie das Wasser

Dort erweckte er latente Bilder aus ihrer Unsichtbar-

tropfte. Eis splitterte unter seinen Füssen.

keit, er entwickelte die Negative, legte sie in den Pro-

Alte Technik

jektor eines Vergrösserungsapparats und belichtete sie zurück in die Welt.

«Die Grossbildkamera verlangt nach einem Stativ. Sie

«Was ist Wirklichkeit und was ist Wahrnehmung? Was

lässt sich nicht aus der Hand bedienen. Sie macht dich

meine ich zu sehen und was ist wirklich? Wir empfin-

langsam. Sie macht dich sogar sehr langsam. Das ist ihr

den das Licht als Helligkeit, aber beim Auftreffen auf

Vorteil. Es ist ihr Vorteil, weil ich gar nicht schnell sein

den Film hinterlässt es eine Schwärze. Das Licht ist dort

will. Ich will langsam sein. Ich gehe nicht auf die Pirsch

schwarz und nicht weiss, wie wir es sehen. Das ist eigen-

und erjage einen bestimmten Augenblick. Ich will lang-

artig. Auf dem Negativ ist das Dunkle hell und das Helle

sam auf das Wesentliche zugehen.» Das war sein neues

dunkel, und wie retten wir uns aus dieser Situation? –

Engadin: das Grenzland zwischen Vegetation und Firn,

Wir verwandeln das Negativ in ein Positiv zurück, das

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

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uns die Welt auf die Weise sehen lässt, die wir uns an-

und gleissend über den Himmel fährt. Er nimmt sein

gewöhnt haben.» Als die Bilder des Projekts «Hochland»

Stativ und stellt es in die verschneite Landschaft. Er si-

vor ihm lagen, wurde ihm klar, dass fast alle, die ihn be-

chert es, damit kein Windstoss es verschieben kann. Er

rührt oder beschäftigt hatten, oberhalb der Wald-

montiert die Kamera. Er zieht sich das legendäre

grenze entstanden waren. Die Waldgrenze kündigt die

schwarze Tuch über den Kopf, wählt den Bildausschnitt

Leere an, hier beginnt das Ödland. Der Punkt variiert.

und öffnet mit dem ersten Sonnenstrahl den Ver-

Er kann in Hochgebirgen auf über 4000 Meter steigen

schluss. Sechs Stunden hat das Licht nun Zeit, das Bild

und sinkt in arktischer Kälte auf Meereshöhe ab.

auf den Film im Innern der Kamera zu zeichnen.

«So hat mich die Suche nach dem Bild der Erde jenseits

Doch mittendrin schiebt sich eine Wolke vor die Sonne

der Waldgrenze erst an den nordöstlichsten Punkt des

und zerstört das bereits Geschaffene wieder. Irgend-

europäischen Festlandes und schliesslich auf den Alti-

wann, wenn das Wetter bessert, wird ein neuer Anlauf

plano in den südamerikanischen Anden geführt. Aus

nötig werden, vielleicht noch vor dem Winter, und

der Erkundung des Engadins wurde eine Trilogie.»

sonst im nächsten Jahr.

Bolivien, Norwegen, Engadin

15. Oktober 2010: Ein Sternenmeer ohne Ende funkelt nächtens über dem Piz Languard. Die Sicht ist unglaub-

23. August 2006: Heute steht er auf dem Salar de Uyuni,

lich klar. Um 7.37 Uhr erscheint die Sonne. Das lang er-

dem grössten Salzsee der Welt, einer unendlich schei-

sehnte Bild gelingt. Was für ein Tag!

nenden weiten Ebene im Südwesten Boliviens, 3657 Meter über Meer. Die Abenddämmerung ist hereingebrochen und am Horizont zeichnet sich der Erdschatten ab. Es ist wunderbar. 11. Oktober 2002: Guido Baselgia steht am Saum der Barentssee, im nordöstlichsten Norwegen, nahe der russischen Grenze, in Grense Jakobselv. Es ist fast Winter. Alle denkbaren Fortbewegungsmittel waren erforderlich, um ihn hierherzubringen. Die Langsamkeit der fotografischen Erkundung ist noch träger geworden, mit steigender Distanz von einer Aufnahme zur nächsten. Die Vegetation ist karg. Sie tendiert fast zum Nichts. Nackte, kalte Materie bietet sich dem Auge dar, als komme sie direkt aus dem kosmischen Laboratorium. «Grense Jakobselv ... es berührt einen stark, wenn man

18

Guido Baselgia

dort ist. Man steht auf 3000 Millionen Jahre altem Ge-

www.baselgia.ch

stein. Das muss man sich vor Augen halten: Es existiert

*1953, aufgewachsen in Pon­tre­sina

seit 3000 Millionen Jahren! Es ist abgeschliffen von ei-

1975–1979 Kunstge­werbeschule Zürich

nem urzeitlichen Gletscher, der längst wieder ver-

1978 Eidgenössisches Kunststipendium

schwunden ist. Es war schon ziemlich dunkel und ich

1983 Eröffnung des eigenen Ateliers

habe noch ein paar wenige Bilder gemacht. Man blickt

1992 Werkbeitrag des Kantons Zug

dort Richtung Norden gegen die Barentssee und sieht

1996 Zuger Werkjahr

das Land, das Wasser und den Himmel ohne Trennlinie

1998 Bildband «ZugStadt»

ineinander verschmelzen. Man steht da und weiss

2001 Einzelausstellung «Hochland» im

nicht – ist diese Welt da vor dir im Entstehen begriffen,

Bündner Kunstmuseum

kommt sie aus dem Wasser, oder ist es das Ende und sie

2004 Bündner Anerkennungspreis und Einzel-

geht dorthin zurück?»

ausstellung «Weltraum» im Kunsthaus Zug

Nochmals 30. September 2010. Auf dem Gipfel des Piz

2006 Innerschweizer Kulturpreis

Languard erwartet der Grenzgänger den Anbruch des

2008 Einzelausstellung «Silberschicht» im Museum

Tags. Er will in einem einzigen Bild den Lauf zeigen,

Bellpark Kriens

den die Sonne nimmt, wenn sie den Horizont verlässt

Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011



Die Erfindung von Samnaun Als abgelegenes Hochtal hatte Samnaun im 19. Jahrhundert kaum Entwicklungschancen. Dann kam die Idee des Zollausschlusses auf. Drei Jahre lang liess die Gemeinde nicht locker, bis ihr der Bundesrat 1892 den Zollfreistatus gewährte. Samnaun wurde neu erfunden.

Text: Ralph Hug Fotos: Ralph Hauswirth

ZOLLFREIGEBIETE Aus geografischen oder wirtschaftlichen Gründen gibt es weltweit Zollausschlussgebiete. In fast jedem grösseren Hafen der Welt findet man eingezäunte Areale. In Lateinamerika und Spanien heissen sie «zona franca». Im Südosten von Uruguay gibt es eine «zona franca» mit Namen «Colonia Suiza». Hongkong verdankt seinen Aufstieg ebenso dem Zollfreistatus wie Manaus, die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Amazonas, die früher nur per Schiff erreichbar war. In Europa gibt es den Tax-FreeStatus nicht nur in den Zollfreilagern der grossen Bahnhöfe, Häfen und Flughäfen. In Basel führt die eingezäunte Zoll­ freistrasse zum Flughafen Mulhouse. Zollfrei einkaufen ist in den Flughäfen möglich, und in Europa haben neben Samnaun und Livigno auch An­dorra und das Val d'Aosta diesen Sonderstatus.

20

D

er Tag des Jubels war ein Freitag. Am 29. April

Vorname Serafin –, die Eingabe an den Bund verfasste.

1892 fasste der Bundesrat auf Antrag des Zollde-

Es war ihm wichtig zu betonen, dass die Familien «in

partements den Beschluss, die Talschaft Sam-

sehr ärmlichen Verhältnissen» lebten. Fraglos hatte es

naun zum Zollausschlussgebiet zu erklären. Oder, wie

das von der Aussenwelt abgeschnittene Tal nicht leicht.

es im damaligen Amtsdeutsch hiess, «aus der Zolllinie

Bis 1830 führte lediglich ein Saumpfad nach Spiss ins

auszuschliessen». Ein dreijähriger Kampf der armen

Tiroler Inntal hinunter. Später wurde er zum Ochsen-

Bergler war von Erfolg gekrönt. Und die Schweiz hatte

karrenweg ausgebaut. Zwar gab es schon damals Ideen

eine Premiere: Das erste und bis heute einzige Zollfrei-

für eine Verbindung zu den Engadiner Gemeinden über

gebiet des Landes war Tatsache. Die Samnaunerinnen

Schalkl zur Strasse Pfunds-Martina, doch die kam nie

und Samnauner hatten geschafft, was vor ihnen noch

zustande, obwohl vom Kanton Subventionen winkten.

niemandem gelungen war.

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwi-

Samnaun im Jahre 1890: Das war ein spärlich besiedel-

ckelte sich ein reger Warenverkehr, doch noch wurde

tes Tal auf 1700 m ü.M. in der südöstlichsten Ecke der

so manche Last auf dem Rücken transportiert.

Schweiz ohne Verbindung zur Heimat. Der einzige Weg

Gezwungenermassen waren die Samnauner grossteils

führte ins Paznaun in Tirol. Diese «abnormale geogra-

Selbstversorger. Sie lebten von Gerstenmus und saurer

fische Lage», wie es später in einem Gutachten hiess,

Milch und liefen in groben Leinen herum, die sie aus

band die Bauern zwangsweise ans Ausland. Man ver-

dem eigenen Flachsanbau anfertigten. Brot war ebenso

kehrte mit Österreich, der Handelsverkehr ins nahe Un-

selten wie Bargeld. Tröstlich mochte sein, dass es we-

terengadin hatte nur eine untergeordnete Bedeutung

nigstens etwas zu rauchen gab. In Samnaun wurde Ta-

und musste seit der Errichtung des Bundesstaates von

bak angepflanzt. Laut der Gemeindestatistik bevölker-

1848 mühsam über die Zollstelle Martinsbruck (Mar-

ten 1896 insgesamt 436 Stück Rindvieh, 97 Schweine,

tina) abgewickelt werden.

339 Schafe und 181 Geissen das Tal. Was zeigt, dass auf

Die Besiedlung Samnauns war im Mittelalter erfolgt,

eine präzise Tierstatistik mehr Gewicht gelegt wurde

weil das Unterengadin für Viehzüchter wegen der vielen

als aufs Zählen der Bevölkerung.

Kornfelder eng geworden war. Samnauns günstiges Klima, bedingt durch die West-Ost-Lage, liess die von Ra-

Aufkommender Handel – ärgerlicher Zoll

mosch und Sent herkommenden Bauern dort sesshaft

Die bessere Verkehrsanbindung mit Tirol veränderte

werden. Laut dem Wirtschaftsgeografen Carl Jenal er-

die heimische Wirtschaft. Äcker wurden zu Wiesland,

folgte die Einwanderung auch vom Paznaun und vom

Flachs und Roggen verschwanden. Viehzucht und Han-

Inntal her. Darunter waren Walser­familien mit ihren ty-

del gewannen an Bedeutung – und der Zoll wurde im-

pischen Geschlechtsnamen (Walser, Fuchs, Prinz).

mer mehr zum Ärgernis und als veritabler Nachteil für die Entwicklung des Tals empfunden.

436 Rindviecher, ungefähr 320 Seelen

Im Zeitraum von nur zehn Jahren, von 1880 bis 1890,

72 Familien «mit ungefähr 320 Seelen» wohnten im

verdoppelten sich die Einnahmen des Schweizer Zolls

Jahr 1892 in den fünf Dörfern Samnaun, Ravaisch, Plan,

aus den Einfuhren nach Samnaun, wie die Statistik be-

Laret und Compatsch. Genau wusste es der Samnauner

legt. Sie stiegen von 518 auf 1240 Franken, während die

Gemeindevorstand Serafin Denoth nicht, als er zusam-

Ausfuhren in etwa stabil blieben. Der «Zivileinnehmer»

men mit Gemeindeschreiber Jenal – auch der hiess mit

in Compatsch, der die Verzollung erledigte, hatte aller-

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


hand zu tun, ebenso der in Samnaun stationierte

zessionen gezwungen: «Österreich-Ungarn legt ent-

Grenzwächter. Nicht vom Zoll erfasst wurde das in

scheidendes Gewicht auf eine befriedigende Regelung

Samnaun während zweier Jahre gemästete Rindvieh,

der Samnaunfrage», schrieb der Bundesrat in seiner

das aufgrund eines Handelsvertrags mit Österreich/Un-

Botschaft an die Bundesversammlung. Österreich

garn zollfrei nach Tirol eingeführt werden durfte.

sollte in Schalkl ein neues Zollamt einrichten, das aus

Schon von jeher funktionierte der Viehhandel mit Ti-

der Schweiz auszuführende Waren bis Spiss mit einem

rol gut. Die Samnauner profitierten von den Erleichte-

Geleitschein versehen würde. Dadurch hoffte man den

rungen und waren auf den Viehmärkten in Pfunds und

Kolonialwarenschmuggel endlich zu unterbinden. Die

Landeck gern gesehene Gäste. Laut dem Samnauner

normale Abfertigung sollte weiterhin in den österrei-

Lehrer und Historiker Arthur Jenal war der Viehhandel

chischen Zollämtern Martinsbruck, Taufers, Spisser-

die Lebensgrundlage des Tals und die Mästung des

mühl und Ischgl erfolgen.

Viehs aus Tirol das grosse Geschäft. Ohne dieses hätten die Familien kaum existieren können.

Die «Samnaunfrage»: Kaffeeschmuggel

Der zweite Anlauf gelingt 1889 hatten die Samnauner erstmals vom Bund den Ausschluss aus dem Zollgebiet verlangt. Sie stiessen da-

Zum Ärger Österreichs hatte sich freilich auch ein leb-

mals aber noch auf taube Ohren. Erst die Petition von

hafter Schmuggel mit Kaffee und Zucker entfaltet, ge-

1892 sollte den gewünschten Erfolg bringen. Gemeinde-

gen den die k.u.k. Behörden wenig unternehmen konn-

vorstand Denoths Hinweis auf die «ärmlichen Verhält-

ten. Die Transitroute vom Schalklhof nach Spiss führte

nisse» begann zu wirken. Er setzte aber auch sanften

über ein Gebiet, das im österreichisch-schweizerischen

Druck auf, indem er als Alternative zum Zollfreigebiet

Grenzregulierungsvertrag von 1868 als «neutral» er-

den Bau einer neuen Strasse auf Schweizer Gebiet ins

klärt worden war. Österreich fehlten die Interventions-

Engadin beantragte. Mit guten Gründen konnten die

möglichkeiten. Das Problem war den Diplomaten in

Samnauner darauf pochen, als Schweizer Bürger eine

Wien und Bern als «Samnaunfrage» geläufig. Das

anständige Verbindung zum Heimatland zu erhalten.

«Schmugglerparadies Samnaun» ist zollstatistisch be-

Denoth und Gemeindeschreiber Jenal gaben sich bei

legt: Statt Maisgriess oder Schweineschmalz standen

der vierseitigen, in kunstvoller Handschrift abgefass-

Kaffeebohnen und Zucker weit oben auf der Einfuhr-

ten Eingabe grosse Mühe, sich als in jeder Hinsicht Be-

liste der Talschaft. Der Kaffeebohnenimport belief sich

nachteiligte darzustellen: Der Weg nach Pfunds oder

im Jahr 1891 auf sagenhafte 2,1 Tonnen, und auch die

ins Engadin dauere acht Stunden zu Fuss und verwehre

Zuckereinfuhr überstieg das natürliche Fassungsver-

dem Handel «jede Aussicht auf Rendite», man müsse

mögen der Samnauner erheblich. Laut Arthur Jenal wa-

jährlich allein 250 Kubikzentner Getreide für die Bevöl-

ren es Paznauner Bauern, die sich im Samnauner Le-

kerung einführen, der Zolltarif drücke «unverhältnis-

bensmittelladen eindeckten und die Ware über die

mässig schwer», man liefere dem Kanton zudem jedes

Berge nach Tirol schmuggelten. Der Kaffeeschmuggel

Jahr 1200 Franken Steuern ab und sei ganz generell «der

sei aber im Vergleich zu demjenigen mit Vieh eine Mar-

kräftigen Hilfe des Staates höchst bedürftig». Ohne

ginalie gewesen, so Jenal.

diese gehe man einer trüben Zukunft entgegen. Der

Als 1891 ein neuer Handelsvertrag mit Österreich-Un-

hochgeachtete Bundesrat wolle doch nicht Nahrung

garn abgeschlossen wurde, sah sich die Schweiz zu Kon-

bieten, dass sich die Talschaft dem schweizerischen Va-


terland entfremde – ein Argument, das gezielt den um

lich von Vieh nach dem Engadin Thür und Thor geöff-

die Jahrhundertwende blühenden Nationalismus an-

net.» Wegen der hohen Viehzölle befürchtete man ei-

sprach. Denoth ging auch auf die Befürchtungen ein,

nen Schwarzhandel, der selbst mit einer verstärkten

wonach ein Zollausschluss den Schmuggel fördere.

Grenzwache kaum zu verhindern wäre. Nachteile sah

Dies sei nur in «missgünstigen Fantasien» begründet.

das Kreisamt besonders für die Gemeinde Schleins

Samnaun werde dem Viehschmuggel durch den Erlass

(Tschlin) und das zu ihrem Territorium gehörige Val

einer strengen Verordnung mit hohen Strafen entschie-

Sampuoir, das künftig unter die Zollstätte Martina statt

den entgegentreten. Vom Kaffeeschmuggel war nicht die

Compatsch käme. Das habe «grosse Inkommoditäten

Rede. Das Dokument, das im Bundesarchiv in Bern liegt,

und Geldopfer» zur Folge. Hier werden die widerstrei-

legt Zeugnis von einer bewegten Klage ab, wie sie an-

tenden Interessen in der Region deutlich, die einer

scheinend schon vor 120 Jahren der Brauch war, wenn es

schnellen Lösung entgegenstanden.

darum ging, in Bern einen Vorteil herauszuholen.

Auch in der Oberzolldirektion gab es anfänglich Beden-

Zollerleichterungen oder Ausschluss?

falls einen Zollausschluss verlangen. Für den Antrag

Vorgängig hatten sich die Samnauner der Unterstüt-

sprachen hingegen wirtschaftliche Aspekte. Derzeit

zung der kantonalen Behörden versichert. Dabei waren

würden die Einnahmen des Zolls durch den Lohn des

allerhand Widerstände zu überwinden. Die Bündner Re-

Einnehmers und der Zollwacht gleich wieder aufgefres-

gierung, der «Kleine Rath», unterstützte den Vorstoss

sen, argumentierte Serafin Denoth in seiner Eingabe.

und gab dem Vorsteher des Finanz- und Zolldeparte-

Es dürfte nicht zuletzt der Beharrlichkeit, aber auch der

ments, Bundesrat Walter Hauser, eine positive Empfeh-

moralischen Kraft des Appells an die eidgenössische So-

lung ab. Wohl auch deshalb, weil jede andere Lösung

lidarität zuzuschreiben sein, dass Samnaun dennoch

für den Kanton mit Kosten verbunden gewesen wäre.

zum Erfolg kam. Möglich wurde der Zollausschluss

Das Kreisamt Remüs (Ramosch) hielt mindestens Zoll-

durch eine Bestimmung im Zollgesetz von 1861. Diese

erleichterungen für angebracht. Schon in einer Stellung-

sah Ausnahmen für Gebiete vor, die vom Ausland «en-

nahme zum ersten Gesuch aus Samnaun von 1889 plä-

klaviert» sind oder sonstige ungewöhnliche topografi-

dierte Präsident Nicola Janett für Zoll­erleichterungen.

sche Verhältnisse aufweisen.

Den Samnaunern sei schon viel geholfen, wenn man

22

ken. Man befürchtete, andere Gebiete könnten eben-

die Freipassabfertigung auf «ungeschaufeltes Vieh»

Mit einem einzigen Satz bekanntgegeben

(Jungtiere mit den zweiten Zähnen) ausdehnen und

Der bundesrätliche Beschluss vom 29. April 1892 wurde

den Einfuhrzoll von drei Franken pro Schwein abschaf-

im Bundesblatt mit einem einzigen, lakonischen Satz

fen würde. Die Schweine­zucht im Ort sei nämlich nicht

bekanntgegeben, als wollte man potenziellen Nachah-

möglich, weil die Gemeinde zu klein sei und man Ge-

mern ja keinen Anlass bieten. Zwei Monate später wurde

treide schon für die Ernährung der Bevölkerung impor-

ein weiterer Satz nachgeschoben, der auch das Val Sam-

tieren müsse.

puoir auf Tschliner Gemeindegebiet für ausgeschlossen

Einen vollständigen Zollausschluss lehnte das Kreisamt

erklärte. Das Zollamt Compatsch wurde aufgehoben

jedoch ab. Janett hielt ihn für «höchst nachteilig und

und der Einnehmer sowie der Grenzwächter entlassen.

gefährlich»: «Mit der Freierklärung Samnauns wäre

Kurze Sätze, grosse Bedeutung: Mit dem Zollausschluss

nach unserem Dafürhalten der Schmuggel hauptsäch-

war der Grundstein für eine Entwicklung gelegt, die

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


niemand vorausgeahnt hat. Waren aus dem Ausland

schichte vom Ehepaar kolportiert, das Ferien im Unter-

können seither zollfrei nach Samnaun eingeführt wer-

engadin machte und mit dem Auto jeden Tag

den, hingegen werden sie bei der Einfuhr in die Schweiz

abwechslungsweise in Samnaun und Livigno das zuläs-

wie ausländische Waren behandelt und müssen verzollt

sige Quantum Alkoholika postete, bis sich ihr Hotel-

werden. Die Neuregelung allein löste allerdings noch

zimmer in ein nicht mehr transportfähiges Schnapsla-

keinen Wirtschaftsboom aus. Dieser stellte sich erst

ger verwandelt hatte.

nach der Verkehrserschliessung des Hochtals ein.

Immer wieder wurde auch Kritik an der Entwicklung in

Fünf Jahre lang, von 1907 bis 1912, wurde an der neuen,

Samnaun (und Livigno) laut. Schon in den 1960er-Jah-

aufwendigen Verbindungsstrasse Vinadi-Samnaun ge-

ren sprach die «Neue Zürcher Zeitung» von «unhaltba-

baut, die der Bund massiv subventionierte. Die Strasse

ren Zuständen», was einen erheblichen Wirbel auslöste.

ermöglichte die Entwicklung des Fremdenverkehrs

1993 verlangte der Bündner SP-Nationalrat Andrea Häm-

und den Hotelbau, der in den 1930er-Jahren so richtig

merle die Aufhebung des Zollfreistatus für Samnaun.

einsetzte. Investoren konnten mit billigem Material aus

Die ökologischen Folgen des Benzin- und Schnapstou-

Österreich bauen, die Betriebe florierten mit tiefen Pen-

rismus seien nicht mehr länger tragbar. Er regte an, Ita-

sionspreisen dank günstigem Fleisch und Butter aus Ti-

lien zu veranlassen, in Livigno dasselbe zu tun. Seither

rol. Alkohol und Benzin zum Spottpreis steigerten die

erntet der bald abtretende Politiker in Samnaun nicht

Attraktivität Samnauns bei den motorisierten Ausflugs-

eben schmeichelhafte Kommentare. Schon 1912 war

touristen der Hochkonjunktur. Seit 1984 müssen die

verlangt worden, Samnaun wieder ins Zollgebiet zu in-

Shopping-Touristen nicht einmal mehr bis ganz hinauf

tegrieren, da nun der Grund für die Zollbefreiung ent-

nach Samnaun fahren. Der einheimische Cla Famos

fallen sei. Doch föderalistische Rücksichten und die

nutzte die Tatsache, dass der Pfandshof am unteren Ende

traditionell-schweizerische Politik der Besitzstands-

des Val Sampuoir auf Tschliner Gebiet 1892 nachträglich

wahrung erwiesen sich als stärker. Zudem konnten die

auch zum Zollausschlussgebiet erklärt wurde, und grün-

Samnauner auf wachsende Steuerträge hinweisen, von

dete hier das Einkaufszentrum «Acla da Fans».

Livigno: Ähnliche Probleme

denen auch der Kanton Graubünden und der Bund profitierten. Dieses Argument wirkt bis heute und blockte alle politischen Angriffe ab. Der Zollstatus sei heute

MEHRWERTSTEUER

Aus ähnlichen topografischen Nachteilen wusste auch

kein Thema, bestätigt Gemeindepräsident Hans Klein-

das italienische Livigno Kapital zu schlagen. In der

stein. Eine Sicherheit, dass die Debatte nicht doch wie-

Jahrhundertwende ebenfalls nur durch eine schlechte

der aufflammt, gibt es aber nicht.

Eine Sonderregelung für die im Zollfreigebiet verkauften Waren gibt es auch bei der Mehrwertsteuer. Die Gemeinden Samnaun und Tschlin (für das Einkaufszentrum Acla da Fans) liefern seit 2001 in Bern eine Mehrwert­steuerpauschale von zusammen rund 3,5 Millionen Franken pro Jahr ab. Die Gemeinden er­heben bei den Geschäften ihrerseits eine Son­ derabgabe und finanzieren daraus diese Pauschalzahlungen. Die Samnauner Hotels und Restaurants dagegen rechnen die Mehr­wertsteuer mit Bern ab.

Wegverbindung mit Bormio verbunden, wurde es im Juli 1910 zum Zollfreigebiet erklärt, um ihm eine Entwicklung zu ermöglichen. Wer Samnaun mit Livigno

Ausschluss – Anschluss

vergleicht, kann feststellen, dass der Zollausschluss

Während Samnaun ein Zoll­ausschlussgebiet ist, gibt es

eine dynamische Prosperität mit ähnlichen Siedlungs-

umgekehrt auch Zollanschluss­gebiete: Am bekanntes-

und Umweltproblemen zur Folge hatte. Aufgrund ihrer

ten ist das Fürstentum Liechtenstein. Zum Schweizer

geografischen Nähe lockten die beiden Zollfreigebiete

Zollgebiet gehören auch zwei ausländische Enklaven:

mit zunehmendem Ausbau immer mehr Shoppingtou-

das deutsche Büsingen bei Schaffhausen und Campi-

risten an. Unter Zöllnern wurde bald einmal die Ge-

one d’Italia am Lago di Lugano.

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

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Fusion? Kooperation! Für die Einheimischen ist alles klar, doch Auswärtigen schwirrt der Kopf, wenn sie sich mit der Organisation der öffentlichen Gemeinwesen im Unterengadin befassen und fragen: Wer macht eigentlich was? Pioniergeist führte zu viel Kooperation.

Text: René Hornung Illustrationen: dieeva.com

Z

wischen Zernez und Samnaun kümmern sich

der schulischen und Jugendsozialarbeit, die Koordina-

ben: der Kanton, drei Kreise, zwölf Gemeinden,

tion der Alterspolitik, eine eventuelle gemeinsame Bau-

dazu der Regionalverband «Pro Engiadina Bassa» (PEB)

und die «corporaziun cumüns conzessionaris» (CCC).

SELBER LESEN Zur Zukunft von Gemeinde, Kreisen , Regionalverbände ist ein neues Buch erschienen: Christian Rathgeb, Christina Bundi, Martin Schmid, Frank Schuler: «Graubündens Weg in die Zukunft». Tardis-Verlag, Chur, Fr 18.– Das Heft zeigt im Rückblick die Entstehungsgeschichte der komplexen Strukturen und umreisst mögliche Zukunftszenarien der politischen Ordnung.

26

richtung des Kulturarchivs Unterengadin, der Aufbau

fünf Institutionen um die öffentlichen Aufga-

kommission und die Zukunft von Schloss Tarasp.

«Koordinationsbedarf und Sitzungsaufwand sind gross»,

Misstrauen beim Start

stellt Guido Parolini fest. Bei ihm, dem Präsidenten des

Als die PEB 1970 gegründet wurde, war es eine Pionier-

Regionalverbandes PEB, laufen viele Fäden zusammen.

tat und viele Gemeindeväter waren damals misstrau-

Er und seine Vorstandskollegen arbeiten tagein, tagaus

isch. Sie gaben eigene Aufgaben ungern ab. 1981 wurde

in ihren angestammten Berufen. Sie bilden – im Neben-

aus dem Verein PEB ein Gemeindeverband, der mit ei-

amt – eine Art «Supergemeinderat». Sie sind vom Volk

nem vom Volk gewählten Vorstand, den im Gremium

gewählt, «haben trotzdem kein eigentliches politisches

vertretenen Grossräten und mit der Regionalversamm-

Mandat», stellt Parolini fest. «Wir übernehmen ja nur

lung so funktioniert, als wäre er selber eine Gemeinde.

Aufgaben, die uns die Gemeinden zuweisen – und die

«Es dauerte, aber heute ist PEB breit akzeptiert», stellt

sie auch bezahlen.»

Peder Rauch im Rückblick fest. An vielen Orten ginge

35 Jahre lang war Peder Rauch PEB-Sekretär. Kürzlich

es heute gar nicht mehr ohne den Verband. Oft finden

ging er in Pension. Wenn er zurückblickt, stellt er zu-

die Gemeinden ja keine Leute mehr, die sich für die Äm-

frieden fest: «Im Unterengadin ist es gelungen, viele

ter zur Verfügung stellen.

wichtige Gemeindeaufgaben gemeinsam zu lösen.»

Personalprobleme kennt die Politik landauf, landab. Im

Kehricht und Verkehr, Musikschule und Heilpädagogik,

Kanton Graubünden diskutieren Gewerbe und Linke

Koordination im Tourismus, Landschaftsfragen samt

gemeinsam über eine Initiative, die aus den heute 180

Nationalpark, Wirtschaftsförderung samt Waldwirt-

selbständigen Gemeinden durch Fusionen noch 50 ma-

schaft und Kinderkrippe, Gesundheitswesen und Kul-

chen will. In zwei Südbündner Tälern, im Münstertal

turpolitik. All das sind PEB-Aufgaben.

und im Bergell, sind diese Fusionen vollzogen. Im

Auf dem Tisch von Peder Rauchs Nachfolger – auch er

Oberengadin wird diesen Winter intensiv darüber dis-

heisst Rauch, Reto Rauch – liegen bereits neue Dossiers:

kutiert (s. Randspalte), doch im Unterengadin werde es

Richtplanung und Zweitwohnungsbau, die Wirtschafts-

so schnell nicht gehen. PEB-Präsident Guido Parolini

förderung und das neue Regionalmanagement, die Ein-

meint: «Für Gemeindefusionen scheint die Zeit noch

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


nicht reif.» Die Bevölkerung zwischen Zernez und Sam-

Die Bauzeit der Engadiner Kraftwerke fiel in die Jahre

naun sei zu heterogen und die Finanzlage der einzelnen

der Euphorie. Endlich hatte man genug Strom – und

Gemeinden zu unterschiedlich. Alle Erfahrungen zei-

erst noch zu einem Spottpreis – und darüber hinaus

gen, dass die Bevölkerung der reichen und steuergüns-

dank der Konzessionsgelder alle Finanzprobleme gelöst.

tigen Gemeinden «arme» Nachbarn meist verschmäht.

In dieser Vorfreude zeigten sich die Gemeinden gross-

Die Vorarbeit ist allerdings geleistet, und übr neue Auf-

zügig und gründeten die «chascha da tschinch pert-

gaben wird schon heute in der ganzen Region gleichzei-

schient», die 5-Prozent-Kasse, die jede der Gemeinden

tig abgestimmt. Zwar wird hin und wieder eine Ge-

verpflichtet, fünf Prozent dieser Konzessionsgelder in

meinde überstimmt und muss dann doch an der

den Kultur- und Sozialtopf der Korporation einzuzah-

gemeinsamen Aufgabe mitmachen, doch das habe – so

len. Damit wurde die Kulturpolitik im Unterengadin

Peder Rauch – nie zu ernsthaften Problemen geführt.

weitgehend zur Gemeinschaftssache und der CCC-Prä-

Ausschlaggebend für ablehnende Entscheide ist meist

sident de facto zum regionalen Kulturminister. «Den

die Befürchtung, zu viel zahlen zu müssen.

Titel lass ich mir gerne geben», scherzt Not Carl, denn

Konzessionsgelder für Kultur und Soziales

er habe ja wirklich einen wunderbaren Job. Die CCC kann jedes Jahr im Durchschnitt 300'000

Da hat es die «corporaziun cumüns conzessionaris»

Franken Kultur- und Sozialgelder verteilen. Ab 2012

(CCC) – die Korporation der Konzessionsgemeinden –

werden es dank der steigenden Wasserzinsen sogar ge-

besser. Deren Abkürzung «CCC» kennen alle, die im

gen 400'000 Franken sein – und es reicht auch noch gut

Unterengadin auf Geldsuche sind, denn die Korpora-

für ein jährliches Nachtessen für die Giunta, den leiten-

tion kann jedes Jahr aus dem Vollen schöpfen. Das Geld

den Ausschuss. Im Gegensatz zu den PEB-Vorständen

stammt aus den Wasserkraftkonzessionen. Es war eine

sind sie aber nicht gewählt. Als es vor Jahren um eine

Pioniertat, als sich – noch vor dem Bau der Engadiner

Fusion von Regionalverband und Korporation ging,

Kraftwerke – in den 1950er Jahren die Gemeinden zu-

lehnte die «reiche» CCC das Ansinnen ab. Man wollte

sammenrauften und beschlossen, den mächtigen

die noble Aufgabe des Geldverteilens im eigenen Gre-

Strombaronen mit einer Stimme gegenüberzutreten.

mium behalten.

Dazu gründeten sie die CCC, keine juristisch gefasste

Reihum bekommen aus diesem Topf die Musikvereine

Gesellschaft, kein Gemeindeverband wie Pro Engia-

Beiträge für neue Uniformen oder Instrumente, Chöre,

dina Bassa, bloss ein ganz pragmatisches, gemeinsames

Theatergruppen und Bibliotheken werden unterstützt.

Gremium. Dahinter steckte politisches und finanziel-

PEB und CCC koordinieren inzwischen diese Kultur-

les Kalkül: Die Gemeinden, die viel Geld aus ihren Was-

beiträge. Man achte strikt auf eine gerechte Verteilung.

serrechten kassieren, etwa Ardez und Zernez, sind in

Doch was ist gerecht? «Wir diskutieren oft hart und

der CCC immer auch auf die Zustimmung der «Kleinen»

lang», so Not Carl. Es brauche aber nächstens ein Regle-

wie Guarda oder Ftan angewiesen, denen es aus geogra-

ment für diese Kulturkasse, denn die Frage, wer wie viel

fischen Gründen deutlich weniger Wasserzinsen in die

und wie regelmässig CCC-Gelder bekommt, liegt auf

Kassen spült. In der CCC hat jede Gemeinde zwei Dele-

dem Tisch. Neue, grosse Ausgaben stehen an: die Sanie-

gierte, was verhindert, dass die Grossen die Kleinen

rung des Kulturzentrums Nairs und die Einrichtung

über den Tisch ziehen können – «niemand kann blo-

des Kulturarchivs, der Erhalt des Kurensembles und der

ckieren», zieht CCC-Präsident Not Carl Bilanz.

Kauf von Schloss Tarasp.

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

FUSIONSDISKUSSION IM OBERENGADIN Im Oberengadin findet die Fu­ sionsdiskussion im Kreisrat statt. Die ursprünglich gerichtliche Organisation hat hier auch immer mehr Gemeinschafts­ aufgaben der Gemeinden übernommen. Er hat – gegen die Opposition der SVP – eine Fu­ sionsanalyse in Auftrag gegeben. Das hundertseitige Papier wird diesen Winter öffentlich dis­ kutiert. Danach muss der Kreisrat entscheiden, wie es politisch weitergehen soll. www.oberengadin.ch

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Die Silser und ihre Ebene In Sachen Landschaftsschutz gilt Sils im Oberengadin als Pioniergemeinde. In Abstimmungen sprach sich die Bevölkerung regelmässig für den Schutz der Landschaft aus. Zuletzt versenkte sie ein Strassenbauprojekt.

Text: Daniela Kuhn Fotos: XLphoto.net

I

m Getümmel des Hauptbahnhofs Zürich hing im Spätsommer 2010 ein Plakat, ein Bild der Sehnsucht

hielt 100'000 Franken, die Gemeinde Stampa, zu der

schlechthin: die königliche, leicht verschneite

Maloja gehört (heute Teil der Fusionsgemeinde Brega-

Margna, sich spiegelnd im morgendlich ruhigen Silser-

glia), 200'000 Franken. Im Gegenzug verzichteten die

see, eingerahmt von goldenen Lärchen. Himmel blau,

Orte für hundert Jahre auf die Wassernutzung aus dem

See blau. Kein Haus nirgends. Auftraggeber dieser Wer-

See. Seither stehen See und Ebene unter Schutz. Sie sind

bekampagne war nicht eines der Hotels in Sils Baselgia,

auch – und das ist von weiter reichender Bedeutung –

wo das Foto aufgenommen wurde, sondern die Touris-

im Bundesinventar der schützenswerten Landschaften

musorganisation Engadin St. Moritz, die seit der Fusion

aufgelistet.

von 13 Kurvereinen 2007 die ganze Region vermarktet. Wenn Ruhe, Entspannung und pure Natur verkauft

Nein zum unkontrollierten Bauen

werden sollen, eignet sich keine andere Szenerie besser

Obwohl heute der Bausektor die Haupterwerbsquelle

als der Silsersee mit dem Blick ins Bergell. Fernab vom

im Tal ist, spricht sich eine Mehrheit der Silser Bevölke-

St. Moritzer Trubel gilt diese Landschaft mit ihrer un-

rung immer wieder gegen unkontrolliertes Bauen aus.

vergleichlichen Weite unbestritten als Höhepunkt des

Aus- und Umzonungen werden abgelehnt, Kontingente

Engadins. Die Tourismusorganisation nennt Sils «Das

und Zweitwohnungsanteile sind relativ streng geregelt.

Mystische» und spricht von der «Magie der Landschaft»,

In den 1960er-Jahren erklärte die Bevölkerung das

der man «auf den ersten Blick verfällt».

Die goldenen Eier

28

(heute «Pro Natura») die Landschaft freigekauft. Sils er-

nahe Fextal zur Ruhezone und sie sagte Nein zu einem Projekt, das in Grevasalvas, hoch über dem Südhang des Sees, lauter Häuschen und Skianlagen vorsah. Noch

Verbunden sind ihr auch die 750 Silserinnen und Silser.

bis in die 1960er-Jahre war die ganze Ebene Bauzone, ei-

Aus verständlichen Gründen: Die unverbaute Ebene ist

nen grossen Teil zonten die Silser in den 1970er-Jahren

nicht nur einmalig schön, sie ist die touristische Gold-

aus. Und statt Cuncas, ein neues Quartier rund um die

grube schlechthin. Und das seit rund hundert Jahren

Talstation der Furtschellas-Bahn, baute man das Quar-

und mit zunehmenden Umsätzen. Doch stets war diese

tier Seglias – in Dorfnähe und sechsmal kleiner.

Natur auch gefährdet: 1905 und 1918 sollte aus dem Sil-

Im Oktober 2010 zeigten die Silser ein weiteres Mal,

sersee ein Stausee werden, erst 1934 stoppte das Bun-

dass sie bereit sind, sich für die Erhaltung ihrer Land-

desgericht die Projekte. Eine der vielen Stimmen in den

schaft einzusetzen. Der Kanton wollte eine «provisori-

Auseinandersetzungen war damals der Chefredaktor

sche Umfahrungsstrasse» bauen, weil bei Sils-Baselgia

der «Berner Nachrichten»: «Schlägt man nicht die

die Kantonsstrasse St. Moritz – Maloja jeden Winter

Henne tot, die die goldenen Eier legt, und schadet da-

mindestens einmal wegen Lawinengefahr gesperrt und

mit dem Fremdenverkehr, der die Haupterwerbsquelle

im Sommer vom Steinschlag gefährdet ist. Von 1982 bis

des Tales bedeutet»!

2008 war sie allerdings pro Jahr im Durchschnitt nur

Ab den 1930er-Jahren setzte sich der Natur- und Hei-

1,94 Tage gesperrt, 2001 waren es zehn Tage. Den Ober-

matschutz «für die Erhaltung der Seen in ihrer Schön-

engadiner Wirtschaftskreisen kosten diese Unterbrü-

heit für spätere Generationen» ein. 1946 wurde mit

che zu viel. Der Region entgingen an solchen Sperrta-

dem Erlös des ersten landesweiten Schoggitaler-Ver-

gen zwischen 0,5 und 1,8 Millionen Franken an

kaufs des Schweizerischen Bundes für Naturschutz

Tourismuseinnahmen. Der Verkehr hat auf dieser Stre-

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


cke in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen

dem Kanton «zu teuer». An anderen Orten in diesem

– zu den Hauptrisiken für Lawinen gehört der Verkehr.

Land, die notabene keine Landschaftsperlen sind, war

Der Kanton legte den Silserinnen und Silsern vier Um-

Geld für Tunnels und Galerien vorhanden. «Wäre es

fahrungsvarianten vor, von denen zwei mitten durch

eine Nationalstrasse, sähe es anders aus», kommentiert

die Ebene führten. Eine verlief am Rand des Siedlungs-

der Silser Gemeindepräsident Christian Meuli. Der

gebietes. Über die vierte wurde schliesslich abgestimmt.

Kanton investiere zwar jedes Jahr 50 Millionen Franken

Sie sah einen 700 Meter langen Tunnel gefolgt von ei-

in den Strassenbau, aber dieser Tunnel würde 120 bis

nem 160 Meter langen Damm am Ufer vor, dazu eine

150 Millionen Franken kosten. Eine subventionsbe-

neue Brücke bei Sils-Baselgia und eine «provisorische

rechtigte Kategorie «Kantonsstrasse mit nationaler Aus-

Umfahrung» durch das Siedlungsgebiet von Sils Maria.

strahlung und Bedeutung» müsste erst noch erfunden

Dazu sagte die Bevölkerung dann aber deutlich Nein:

werden, damit dieses Tunnel eine rasche Chance auf Re-

mit 117 gegen 14 Stimmen stoppte sie das Projekt, ob-

alisierung bekommen würde.

wohl es die Unterstützung des Gemeinderats hatte.

Ausschlaggebend waren Einzelne

Hotel- und Segelclub-Pläne Umstritten ist in Sils derzeit auch ein anderes Vorha-

Die Landschaftsschutzorganisation Pro Lej da Segl

ben: Bei der Furtschellas-Talstation soll ein Drei-

hatte die drastischen Varianten zwar bekämpft, doch

Sterne-Hotel mit 220 bis 240 Betten samt Parkgarage

zuletzt die «provisorische Umfahrung» zum grossen Er-

entstehen. Bauherrin ist die Bahngesellschaft, die

staunen vieler unterstützt – ohne Erfolg, wie das Ab-

Corvatsch AG. «Ökologie und Zukunftsplanung» seien

stimmungsresultat zeigt. In der Geschichte des

im Ganzjahresbetrieb berücksichtigt, lassen die Initi-

Oberengadiner Landschaftsschutzes ist Pro Lej da Segl

anten verlauten. Das Hotel soll mehr und jüngere

allerdings ein wichtiger Protagonist. Sie war schon

Gäste nach Sils bringen – ein neues Touristensegment.

Partner beim Schutzvertrag von 1946. «Sils pflegt heute

Denn die klassischen Gäste sind individuell unter-

mit Erfolg das Image des wirksamen Landschaftsschut-

wegs, pensioniert, vermögend, mögen es eher ruhig-

zes, doch historisch betrachtet waren es Einzelperso-

gemächlich als sportlich und kommen aus unserem

nen, denen es gelang, Schritt für Schritt weitere Kreise

nördlichen Nachbarland.

zu gewinnen», präzisiert Duri Bezzola, Präsident von

Das Projekt spiegle einen «unglaubhaft grünen» Cha-

Pro Lej da Segl, und er stellt fest: «Es gab immer wider-

rakter vor, kritisiert Duri Bezzola. Der Präsident von

strebende Kräfte.»

Pro Lej da Segl erinnert daran, dass die Konzession der

Auch die Umfahrungsstrasse wird in der einen oder an-

Bahn in rund zwanzig Jahren auslaufen wird und eine

deren Form in der Bevölkerung und bei Pro Lej da Segl

Nachfolgebahn mit der nötigen raumplanerischen

wieder zu reden geben. Denn mit drei neuen Lawinen-

Flexibilität auch näher am oder sogar im Siedlungs-

sprengmasten über der kritischen Stelle ist das Problem

raum errichtet werden könnte. Auch ein neues Hotel

nicht erledigt. Aufwändig, dafür sicher, wäre ein Tun-

gehöre dorthin.

nel. Die Kontrahenten, Pro Lej da Segl und die IG Sils

Strasse und Bahn sind nicht die einzigen aktuellen Pro-

(sie hat die Umfahrungsstrasse bekämpft und dagegen

jekte, welche die Silser Ebene potenziell gefährden.

eine Petition lanciert), bezeichnen diese Lösung lang-

Beim «Beach Club» soll ein Segelzentrum entstehen.

fristig als ideal. Aber – und hier staunt der Laie – sie ist

«Vorhaben dieser Art dürfen die Beeinträchtigung der

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

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Silser Ebene und insbesondere des Seeufers nicht erhöhen», sagt Duri Bezzola. Wichtig sind ihm Umwelt-Auf-

Furtschellas-Bahn. Vier neue Häuser stehen bereits, zwei

wertungsprojekte, wie beispielsweise im Fexbachdelta

weitere sind im Bau. Vor rund zehn Jahren hatte die Ge-

am Silvaplanersee.

meinde die Bauprojekte für dieses neue Quartier zwar

In der Bauzone wirds eng

um zwei Drittel zusammengestrichen, gebaut wird dennoch. Daneben wurde ein ehemaliges Bauernhaus abge-

Und schliesslich geht es um das grosse Thema Woh-

rissen. Hier entstehen allerdings ausschliesslich Erst-

nungs- und Zweitwohnungsbau. Nicht dass es in Sils zu

wohnungen – die Bauherrschaft hat nicht zugewartet,

wenig Wohnungen gäbe, aber es fehlt an bezahlbarem

bis sie neue Zweitwohnungskontingente bekommt.

Wohnraum für die einheimische Bevölkerung – ob-

Sorgen bereiten auch ungeklärte Zukunftsperspekti-

wohl in den letzten zwanzig Jahren 310 neue Wohnun-

ven. Die Stammgäste der «Pensiun Chastè» bangen bei-

gen entstanden sind. Parzellen, auf denen noch gebaut

spielsweise von Jahr zu Jahr, was aus diesem einmaligen

werden kann, sind inzwischen allerdings rar: Nur noch

Haus mit seinem, von Neuerungen weitgehend ver-

6000 Quadratmeter stehen zur Verfügung. Die Ge-

schonten, Interieur dereinst geschehen wird.

meinde will darauf vierzig Wohnungen für Einheimi-

30

sprochen Pasch-tschs) in der Nähe der Talstation der

sche bauen, die jünger sind als fünfzig oder bereits

Ein Winkel macht noch kein Engadiner Haus

zwanzig Jahre in Sils leben.

Mit guter neuer Architektur wurde Sils bisher wenig be-

Wie in allen Oberengadiner Gemeinden kennt Sils den

glückt. Einer, der den Ort gut kennt, ist der Zürcher Ar-

Run auf Zweitwohnungen. Da wächst bei den Einheimi-

chitekt Max Baumann. Das in den 1980er-Jahren ge-

schen die Versuchung, das eigene Haus oder Geschäft für

baute Quartier Seglias bezeichnet er als Resultat von

mehrere Millionen zu verkaufen. Einzelne Häuser sind

«unglücklichen Spielregeln der damaligen Planungs-

für 10, ja 15 Millionen Franken verkauft worden. Und der

vorschriften». «Es ist ein Irrtum, zu glauben, wenn man

Kundenfang ist bisweilen forsch: Im April 2010 erhiel-

keine rechten Winkel baue, habe man ein Engadiner

ten sämtliche Haushaltungen, angeschrieben als «sehr

Haus. Die alten Engadiner Häuser sind nämlich einfa-

verehrte Eigentümer», einen Brief, in dem sich ein in-

che, klare Kuben.» Dem Quartier lag der Gedanke zu-

ternational agierender Immobilienmakler für eine

grunde, die Neubauten zu konzentrieren. Das immer-

«kostenfreie, marktgerechte Bewertung» anpries. Die

hin ist gelungen.

jüngsten Folgen dieses Handels sind unübersehbar: Im

«Im Detail schlecht» bezeichnet der Architekt aber auch

Haus der ehemaligen Konditorei Schulze, früher das so-

die beiden Natursteinhäuser in Sils-Baselgia auf dem

ziale Herz der Gemeinde, befinden sich heute teure

Weg zur Halbinsel Chastè, von denen das eine einst ein

Wohnungen. Unerbittlich wurde im letzten Frühling

Stall eines Salis-Hauses war. «Viel zu grosse Fenster und

das Wäldchen gegenüber dem Hotel «Edelweiss» gefällt,

unpassende Lamellenstoren, die zudem fast das ganze

auch hier entstehen Luxuswohnungen.

Jahr geschlossen sind», urteilt Baumann. Als «Glücks-

Eine Diskussion, ob dieser Garten als schützenswert er-

fall» bezeichnet er hingegen das von Hans-Jörg Ruch re-

klärt werden könnte, hat nie stattgefunden. Eigentlich

novierte Haus Spoerry in Sils-Baselgia. In diesem Dorf-

merkwürdig, zumal einige andere Gärten im Dorf, die

teil steht auch der letzte Kuhstall des Ortes. Noch wird

weit weniger prominent gelegen sind, geschützt wur-

er bewirtschaftet und er wirkt fast wie ein Relikt aus ei-

den. Baukräne stehen auch im Quartier Pas-chs (ausge-

ner anderen Zeit.

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011



Schöne Aussichten Satire von Michael van Orsouw

E

inen Tag Zeit hatte ich, einen Tag Urlaub, einen

die immerhin an Kitzel zugelegt hat, seit vor kurzem

Tag Abenteuer vor mir, äh, Adventure! Ich wollte

eine Inderin darauf verunfallt und gestorben ist. An ih-

alles und noch ein bisschen mehr. Und ich wollte

rem Ende schlurfte ich die wenigen Schritte bis zum

nach diesem Tag endlich etwas Eindrückliches zu be-

Ziel meiner Bergträume, bis zum Raiffeisen-Skywalk!

richten haben.

Das ist ein Name, der auf der Zunge zergeht, da wird den

Wandern? Total out! Wenn schon, dann wollte ich Wal-

Qualitäten der Schweizer Bergwelt schon beim Namen

king und Trekking! Oder einen Themenweg wie den

Rechnung getragen.

Warzenbeisserpfad, den Witzwanderweg oder die Feng­

Vor mir stand eine lange Warteschlange; zum Glück,

Oder sollte ich doch lieber die Natur geniessen und Ei-

denn in der Masse spüre ich, dass ich nicht allein bin

chelhäher und Bergfinken beobachten?

auf dieser Welt, dass ich wirklich trendy bin!

Voll yesterday! Wenn schon in die Natur, dann wollte

Fünfviertel Stunden später war ich an der Reihe. Ich

ich Downhill-Trails, wildes Riverrafting, Lamatrekking

konnte mein Glück kaum fassen. Bei jedem Schritt

oder Kamelrallye!

wippte die Hängebrücke, sie ist die längste Fussgänger*

hängebrücke Europas – unglaublich, wie frei ich mich

Mit solchen Vorstellungen konnte ich nicht ein alter-

auf diesem Skywalk fühlte! Unter mir ein dunkles To-

tümliches Feriengebiet wie Scuol-Tarasp besuchen.

bel, links und rechts von mir bis über den Kopf ein Ge-

Stattdessen entschied ich mich für eine aufstrebende,

wirr von Drähten, Seilen und Geflechten aus Gitter –

moderne Destination wie Sattel-Hochstuckli!

wirklich himmlisch! Dass der Weg auf die Schattenseite

Ich kleidete mich mit UV-schützenden Wanderhosen

des Berges führte, wo ich eigentlich nicht hinwollte,

in Beige, dem hellbraunen Merinopulli und der grün-

war mir ebenso furzpiepegal wie den anderen Tausen-

lich-braunen Softshell-Jacke, die die Körpertemperatur

den von Skywalk-Gängern.

reguliert, und schulterte den atmungsaktiven, dunkel-

*

braunen Rucksack und reiste nach Sattel. Dort führt

Nach diesem Höhepunkt fragte ich mich, wie ich die

keine Standseilbahn oder Gondelbahn auf den Berg,

restlichen Bergstunden verbringen könnte. Vielleicht

sondern «Rondo». Nicht Rondo Veneziano, dieser Klas-

noch mit einem Wolfschiessen? Nicht in Wolfenschie-

sikpop, der mich prima eingestimmt hätte, sondern

ssen, sondern im Wallis. Oder mit einem Duell mit ei-

«Rondo»-Gondeln, die sich beim Hochfahren um die ei-

nem Bären im Nationalpark? Diese Ideen vermochten

gene Achse drehen – ich kam mir vor wie in einer Wä-

mich nicht wirklich zu begeistern. Ich schaute den Berg

schetrommel, mega cool!

hoch – da wusste ich plötzlich, was die Zukunft des *

Schweizer Bergtourismus sein wird!

Auf dem Berg war ich etwas durcheinandergewirbelt,

Vor 150 Jahren bauten erste Pioniere Bergbahnen wie

doch ich fühlte mich wie frisch gewaschen. Vor mir

die Verrückten. Seit 100 Jahren bohren wir Löcher

ging der Blick zum Glück nicht auf schneeüberzuckerte

durch die Berge wie die Verrückten.

Gipfel, schrundige Felsen oder in die endlose Weite!

Da können wir nur mithalten, wenn wir jetzt anfangen,

Kein Gefühl der Verlorenheit – ich fand mich innert Se-

die Berge abzutragen – wie die Verrückten! Ja, die Berge

kunden zurecht. Es war wie auf der Chilbi: grellrote

stören nur. Sie versperren den Blick. Weg mit diesen

Hüpfmatten, knallgelbe Partyzelte, schreiend grüne

Steinhaufen! Das wäre demokratisch. Dann wäre die

Jumpingburgen, dazu diese beschwingte EnZä-, EnZä-,

Schweiz für alle gleich flach. Alle hätten das gleiche

EnZä-, EnZä-Musik in voller Lautstärke! Ich fühlte

Wetter, den gleichen Nebel, gleich viel Sonne, die glei-

mich richtig wohl, spürte, wie ich mich sofort vom

che Aussicht – die freie Sicht aufs Mittelmeer! Vor mir

Stadtstress erholte, und wäre am liebsten mit den Tau-

wären dann am Ufer farbige Plastikhüpfburgen, krei-

send Kindern mitgehopst. *

32

*

shui-Aurasoma-Schamanentour.

schende Kinder und dazu aus den DJ-Boxen hammerharter Strandsound! Schöne Aussichten!

Zum Ziel meiner Träume hatte ich 80 Meter weit zu lau-

*

fen: extrem uncool und zu anstrengend. Also nahm ich

So ein Tag Urlaub in den Nicht-mehr-Bergen, das wäre

die Sommerrodelbahn, eine langweilige Schlittelbahn,

wirklich geil!

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011



Literatur: Pioniere oder Nachahmer? Wie steht es mit den Pionieren der romanischen Literatur? Kann man «Churwelsch» überhaupt schreiben und taugt es für eine Bibelübersetzung? Kann eine Sprache nur mit Originaltexten überleben? Wenn ja: wie «original» sind diese eigentlich?

Text: Clà Riatsch Fotos: Kirill Golovchenko

W

o jeder Wechsel ins Nebenbüro als «neue Her-

art ärgert, dass er zur Feder greift, um sich zu verteidi-

ausforderung» gefeiert wird, ist auch der Be-

gen. Das Ergebnis ist die Chianzun dalla guerra dagl

griff des Pioniers inflationär geworden. Strah-

Chiaste da Müs von 1527. Darin blitzt nicht selten die

lende Pioniere stellen sich täglich der ultimativen

Verve des Beleidigten auf, der sich trotz allem Rechtfer-

Challenge und verzücken uns umgehend mit gewalti-

tigungszwang auch zu ironischen Sprachspielen hin-

gen Innovationen. Selbst die romanische Literatur,

reissen lässt. Eines davon legt er dem Kastellan in den

noch vor kurzem in Verdacht, «verspätet» zu sein,

Mund, der, vom Namen «Travers» inspiriert, den Enga-

bringt auf einmal absolut neue Texte hervor, die alle

diner mit einem Wortspiel begrüsst. Er wolle verhin-

das letzte Tabu brechen. Wer von diesem Feiern genug

dern, dass Travers seinen Weg weiterhin traversiere:

hat, kann sich zur Abkühlung nach historischen Pionieren umsehen, auch ohne diese gleich für die eigent-

Johan Travers, traversô taunt m hest tü

lichen und einzigen zu halten und die ersten mit den

Ch’eau nun vöelg tü ’m traversast plü!

grössten zu verwechseln.

Johann Travers, so häufig bist du mir in die Quere gekommen,

Am Anfang war Polemik

Dass ich nicht will, dass du meinen Weg

Der erste bedeutende romanische Text stammt vom Po-

nochmals traversierst!

litiker und Reformator Gian Travers, der von 1523 bis 1527 Bündner Statthalter im Veltlin war. Nach einer er-

34

Ein Glück für uns, dass Travers dieses Lied in Putèr und

folglosen Mission zum «Medeghin» (dem Mailänder

nicht in Latein, Italienisch oder Deutsch verfasst hat.

Herzog Gian Giacomo dei Medici) werden Travers und

Was ihn dazu bringt, ist wohl weniger Pioniergeist oder

seine Begleiter vom Kastellan von Musso («Müs») abge-

der Wille, seine Muttersprache zu pflegen, als schiere

fangen und eingesperrt. Im Bergell hat ein Spötter über

Notwendigkeit. Wer sich verteidigt, muss sicher sein,

diese wenig ruhmvolle Episode ein «schändliches Lied»

dass er von denjenigen, die er überzeugen will, auch

verfasst, eine «svargugnusa chianzun», die Travers der-

verstanden wird. So wird politische, wenig später religi-

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


öse Polemik zum Anlass romanischen Schreibens, das

Gegenarguments, nicht einleuchten: Deutsch, Franzö-

Die Bilderserie entstand in Vnà

allerdings von Anfang an unter dem Einfluss anders-

sisch und andere Sprachen, die schwieriger und mühsa-

und Tschlin.

sprachiger Vorbilder steht. 1

mer sind als unsere, «languax plü grêfs & plü fadius co

«Churwelsch schryben»

l’g nos», könne man ja auch schreiben! Zur Kritik an seiner «Art zu schreiben» – ein Dauerbrenner romanischer

Die Orientierung der «churwälschen Täler» nach Nor­

Polemik bis auf den heutigen Tag – bemerkt Bifrun la-

den, deutschsprachige Amtsträger, das Vordringen des

konisch, er hätte sich nicht geschämt, bei Vorgängern

Alemannischen, die Einwanderung der Walser, die dia-

eine bessere zu lernen, wenn’s diese Vorgänger gäbe.

lektale Aufsplitterung und das fehlende Zentrum: Als

Dass die «Enge» des Romanischen eine Übersetzung

das Latein in der frühen Neuzeit als Schriftsprache ab-

verhindere, will er ebenfalls nicht glauben: Jede Spra-

gelöst wird, hat das Romanische schlechte Karten. Das

che kann alles sagen, keine kann eine andere vollstän-

Fehlen einer Schrifttradition ist so evident, dass der

dig wiedergeben. Ein Volltreffer. Dem Einwand, nie-

Glarner Aegidius Tschudi (1505–1572) in seiner Urallt

mand lerne mehr Fremdsprachen, wenn’s eine

warhafftig Alpisch Rhetia von 1538 sogar wissen will,

romanische Bibel gebe, begegnet er mit einer Polemik

«dass man Churwelsch nit schryben kann».

gegen die affektierte Sprachmischung der Elite. Igno-

Solche Unkenrufe hört auch der Samedaner Notar Ja-

ranten sind das, die so viel Latein und Deutsch in ihr

chiam Bifrun (1506–1572), der sich mit seiner Überset-

Romanisch einflechten, dass sie vom Volk nicht ver-

zung des Neuen Testaments von 1560 offensichtlich weit

standen werden, «chels impastrüglian aint ù Latin ù Tu-

vorwagt. Die Bedenken und Einwände gegen sein L’g

daisthck da sort chels nu uignen inclijts delg poeuel». Sie

Nuof Saìnc Testamaint klingen ihm so sehr in den Oh-

sollen besser ihre eigene Sprache lernen, was sie – wo

ren, dass er sie minutiös auflistet: Wenn man Romanisch

sonst? – beim Lesen des Saìnc Testamaint tun können.

schreiben könnte, hätten’s die weisen Alten längst getan.

Eine Pionierleistung ist diese Übersetzung gewiss, ein

Er, Bifrun, hätte nicht die richtige Schreibart gefunden,

romanischer Luther aber ist Bifrun, nach Ricarda Liver,

das Romanische sei viel zu eng und mangelhaft, «strêt &

nicht. Bifruns Sprache erreiche «bei weitem nicht die

amanchianthûs», um eine Übersetzung der frohen Bot-

Prägnanz und Originalität der Sprache Luthers; die

schaft zu ermöglichen, die Romanen hätten jetzt weni-

enge Anlehnung an den Ausgangstext des Erasmus und

ger Grund, Latein und Deutsch zu lernen, und blieben

eine gewisse Pedanterie, die mit Bifruns juristischer

ein ungehobeltes Volk, «grusêra lieud». Ein Chor von

Schulung zusammenhängen mag, beeinträchtigen oft

Nörglern,eingewaltigerArbeitsaufwand,unvorstellbare

die Natürlichkeit der Sprache». 2

typografische Schwierigkeiten und ruinöse Kosten: Es brauchte den missionarischen Eifer und die Ausdauer ei-

Zu wenig Originalliteratur?

nes Besessenen, um das Werk zu vollenden.

Dass der bedeutendste Anfang rätoromanischen Schrift-

Ein romanischer Luther? Die Argumente der Nörgler lässt Bifrun im Vorwort

tums eine Übersetzung ist, mag verbreiteten Vorstellungen von nicht fremdbestimmten Pionierleistungen widersprechen. Für die romanische Tradition dagegen ist

nicht unwidersprochen stehen. Über die Weisheit der

diese Fremdbestimmtheit typisch, vor allem die von re-

Alten wisse er nicht viel, dass man Romanisch nicht

ligiös-moralischenAuseinandersetzungengeprägteLite-

schreiben könne, will ihm, aufgrund eines rührenden

ratur der ersten Jahrhunderte bleibt von Übersetzungen


und Adaptationen anderssprachiger Texte abhängig. Es

«immer neue Opfer für ihre schreckliche Übersetzungs-

brauchte den Einfluss der Romantik, den Genie-­Kult des

industrie» suchten, «i tscherchan adüna nouvas victi-

19. Jahrhunderts und die auf eine Stilisierung des «Eige-

mas per lur sgrischaivla industria da traducziuns». Sol-

nen» fixierte romanische Sprachbewegung, um den ho-

cher Spott beinhaltet eine Forderung nach «Originalen»,

hen Anteil an Übersetzungen als Problem erscheinen zu

gerade diese werden aber als Phantasmen dargestellt.

lassen. Einer der Ersten, die dies ansprechen, ist der

Lemnius hat im Elysium gelernt, über sich zu lachen, er

Bündner Oberländer Arzt und Erzähler Giachen Michel

bezeichnet sich als Epigone und Flickwerkpoet, er sei

Nay, der 1902 fragt, warum es nicht mehr «lavurs origi-

«ün tapezier, ün decoratur, ün imiteder», «ein Tapezie-

nalas» gebe, die Geschichte Graubündens und «unser

rer, ein Dekorateur, ein Imitator». Seine Raeteis sei ein

Volk» böten genug Stoff. 3

Plagiat von Vergils Aeneis, er habe sich beim grossen

Im Jahre 1916 hält der Romanist Anton Vellemann ei-

Epiker fürs «Plündern», «splündragier», entschuldigt.

nen Vortrag über die Bedeutung des Übersetzens für die

Bei dieser Gelegenheit habe ihm Vergil zu seiner Über-

romanische Sprachentwicklung. Er wisse, dass er mit

raschung eröffnet, er habe bei einem Dieb gestohlen,

dieser Meinung «viele» gegen sich habe, die es als Ar-

sie müssten zu Homer, von ihm stamme alles. Mit ei-

mutszeugnis für eine Sprache betrachten, wenn diese

nem gütigen Lächeln hätte ihnen der Urvater des Epos

keine eigene Literatur hervorbringt. 4 Die radikalsten

dann gestanden, er sei ein «bescheidener Kompilator»,

Vertreter dieser Meinung sind Men Rauch und Peider

die «Ilias» stamme von zwölf grossen Sängern, die ihm

Lansel, die Anfang der 1920er-Jahre für einen grösseren

vorausgegangen seien. Zum Schluss versteht der Be-

Anteil originaler literarischer Arbeit plädieren. 1923

lehrte:

lässt sich Peider Lansel zu einer krassen Übertreibung hinreissen:

«[...] cha la litteratura mundiela es ün immens clearing house e cha tuot appartain a tuots ed ad üngün.» 6

«Üna lingua po comprovar seis dret d’existenza be tras

«[...]dass die Weltliteratur ein immenses Clearinghouse

üna litteratura originala.» 5

ist und dass alles allen und keinem gehört.»

«Eine Sprache kann ihr Existenzrecht nur durch eine eigenständige Literatur beweisen.»

Postmoderne Literaturtheorie hat für die Literatur als «clearing-house» feinere Begriffe gefunden, sie ist sich

Mit dem «Existenzrecht» einer Sprache wird Peider Lan-

aber mit Reto Caratsch darin einig, dass die Vorstellung

sel ihre politische Anerkennung meinen, davon abgese-

des «Originals» als eigenständige, unabhängige schöp-

hen existieren Sprachen nämlich ganz einfach durch ih-

ferische Leistung der Relativierung bedarf. Neu ist in

ren Gebrauch, und der müsste in menschenwürdigen

der Literatur (und nicht nur hier) allenfalls die Art der

Gesellschaften eigentlich auch ohne weitere Leistungs-

Wiederverwertung des Alten. Damit verliert auch die Fi-

nachweise möglich sein. Und doch erwärmt er das Herz

gur des «Pioniers» an Glanz, er steht, so heisst es heute,

des Literaten, indem er der Literatur die Erbringung ei-

«auf den Schultern von Riesen». 7

nes solchen Nachweises zumutet, in krassem Gegensatz

36

zu heutiger Sprachpflege, die die Literatur mit soziolin-

1, 2

guistischen Konjunkturargumenten als quantité négli-

Literatur in Graubünden im 16./17. Jahrhundert», in: Rusterholz, P. /

Dazu und zur «Chianzun»: Cfr. R. Liver, «Rätoromanische

geable abgeschrieben hat. Ein weiteres Problem von

Solbach, A. (edd.), «Schweizer Literaturgeschichte», Stuttgart, Wei-

Lansels Stellungnahme ist die fehlende Bestimmung

mar, J.B. Metzler, 2007

des «Eigenständigen», der «litteratura originala».

3

Schöpfer und Wiederverwerter

4

Dass die Bestimmung des «Originalen» nicht einfach

estras per inrichir nossa literatura ed imbellir nossa lingua» (1916).

ist, lässt sich in einer satirischen Phantasmagorie von

Auszugsweise veröffentlicht im Fögl d’Engiadina vom 18.11.1924.

Reto Caratsch nachlesen. Als nächtlicher Wiedergänger

5

steigt der Renaissance-Poet Simon Lemnius (ca. 1511–

6/2, 1983.

1550) vom Elysium herab, um seinem Bewunderer Gian

6

Rudolf Mohr eine Lektion in Sachen Literatur zu ertei-

Zernez, Ediziun dal Chardun, 1983.

len. Im Paradies der toten Dichter herrsche Panik, sie

7

fürchteten sich, weil die romanischen Institutionen

von Robert King Merton (1910–2003).

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

Cfr. G.M. Nay, «Pertgei e co duein nus cultivar il lungatg romontsch»,

in: «Ovras I», Nies Tschespet nr. 6, Mustèr, 1926. Cfr. A. Vellemann, «Davart la valur da traducziuns our da linguas

Zitiert nach: A. Ganzoni, «Traducziun cunter original», Litteratura

R. Caratsch, «La renaschentscha dals Patagons» (1949), in: «Ouvras»,

Erstbeleg bei Bernhard von Chartres 1124, neu in Umlauf gesetzt



piz : Publireportage

BERGE IM LICHT Der Engadiner Kunstmaler Lukas R. Vogel Lukas R. Vogel, geboren 1959, Optiker, Kunstmaler, Bergsteiger und Organist, ist ein bekannter Landschaftsmaler in der Region Engadin/Bergell. In Zofingen/Kt. Aargau aufgewachsen, zog er nach der Berufsausbildung zum Augenoptiker 1980 ins Engadin, übernahm 1984 ein Optikerfachgeschäft in St. Moritz und gründete im Jahr 1989 die Galerie Palü in Pontresina, seit Herbst 2009 mit einem zweiten Ausstellungsraum in Samedan. Er wohnt im Oberengadin und im Bergell, in dem Atelier in Stampa entstehen die meisten seiner Gemälde. Aus verschiedenen malerischen Experimentierphasen entstand, immer rein autodidaktisch erlernt, sein eigener, naturalistischer Malstil, wie ihn die klassischen Bergmaler im 19. Jahrhundert pflegten. Vom Hobby Fotografieren her kommend, ist Vogels Absicht stets, die Landschaften so realistisch wie möglich darzustellen, durch diesen aufwendigen Malstil dauert die Vollendung eines grösseren Werkes dann auch bis zu einem Jahr, wobei er immer mehrere Leinwände parallel in Arbeit hat. Die Mehrzahl der Werke sind Gemälde mit Ansichten der Engadiner und Bergeller Alpenlandschaft; Berge, die er zum Teil auch selbst bestiegen hat. Sein Schaffen befasst sich aber auch mit Gipfeln anderer Regionen, aus den Berner Alpen, dem Wallis und auch aus dem Himalaya. Neben seinem Lieblingsberg Piz Palü, den er schon dreissigmal bestiegen und in allen Ansichten gemalt hat, kam in den Jahren 2007 bis 2009 auch die umfangreiche Gemäldereihe BADILE² – BADILE IM QUADRAT dazu: Es ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem berühmten Kletterberg im Bergell, in verschiedenen Ansichten und Wetterstimmungen, alle in quadratischen Formaten von 30 x 30 cm bis 150 x 150 cm. Aus der gleichen Idee arbeitet er jetzt an BERGE² – BERGE IM QUADRAT mit Gipfeln aus dem ganzen Alpenraum. Mit den «Momenti» und «Impressionen» entwickelte sich ein teilweise abstrahierender Malstil als Gegenstück oder Ergänzung zum Realismus: Hier werden die Berge auf die sonnenbeleuchtete Seite reduziert und schweben so über dem Tal im Himmel. Bei den «Momenti» sind die Flanken wie bei den realistischen Gemälden vollständig und detailgetreu fertiggemalt, während die Schattenseite ganz fehlt oder nur mit wenig Felsen angedeutet ist. Bei den «Impressionen» verwendet Vogel dazu echtes Weiss- oder Gelbgold, dessen Verarbeitung sehr heikel ist. Zur Verwendung kommen bei allen Varianten ausschliesslich die klassischen Ölfarben und die Alkydharzfarben, eine Form schneller trocknender Ölfarbe auf Basis der bewährten Pigmente; als Untergrund für die Gemälde dienen Leinwände auf Keilrahmen. Die aktuellen Öffnungszeiten entnehmen Sie bitte der Homepage www.vogel-gp.ch oder erfahren Sie per Telefon: 081 833 32 89 oder E-Mail: galerie.palue@vogel-gp.ch.


Elisabeth Costa Galerie 7504 Pontresina Telefon 081 842 76 70 www.elisabethcosta.ch Oeffnungszeiten Di - Fr 15.00 - 18.30 od. nach Vereinbarung

Guido Baselgia - LungoGuardo

Fotografien

28. Dezember – 4. März 2011 Im Archiv We r k e v o n : Elisabeth A r p a g a u s . M a y o B u c h e r . G i n a B u r d a s s . F l o r i o P ü n t e r . A d r i a n a B e r e t t a Corsin Fo n t a n a . A n d r e a M a l ä r . H a n s S c h w e i z e r . M a t i a s S p e s c h a . B i r g i t W i d m e r Gaspare O . M e l c h e r . G a u d e n z S i g n o r e l l . C r i s t i n a S p o e r r i . M i g u e l a Ta m ò . N o t Vi t a l


Warten bis die Alten aus dem Dorf sind Noch vor der berühmten Hoteliersfamilie Badrutt war es in St. Moritz Conradin de Flugi (1787– 1874), der daran glaubte, dass das vergessene Heilwasser Gäste ins Bauerndörfchen bringen werde. Dafür war ihm auch eine Nacht-und-Nebel-Aktion recht.

Text: Valeria Martina Badilatti Fotos: Kirill Golovchenko

C

onradin de Flugi wuchs in St. Moritz auf. Sein

digt geschieden, so mag es auch für Andere genügen.»

Name sagt es: Er stammte aus aristokratischen

Doch er und seine Freunde wollen den Fortschritt und

Kreisen und auch seine Mutter gehörte zur be-

entschliessen sich deshalb zu einer Nacht-und-Nebel-

kannten Familie der Planta-Wildenberg-Steinsberg.

Aktion: «Wir beschlossen, die Abwesenheit der meisten

Die alten Geschichten von den heilenden Quellen wa-

Alten abzuwarten, welche regelmässig zur Zeit des in Ti-

ren Conradin als Einheimischem sicher bekannt. Nach

rano stattfindenden Viehmarktes erfolgte, und sodann

wenigen Schuljahren in Ftan und Chur beginnt er, erst

Hand anzulegen. Zu diesem Ende wurde im Stillen mit

14 Jahre alt, eine Lehre in Lindau. Als Geschäftsmann

dem Strassenarbeiter Canobbi accordirt und ihm aufer-

und Gutsverwalter führt ihn seine Berufskarriere nach

legt, schon am Tage des Beschlusses mit einer hinläng-

Genua, Pisa und Livorno, und schon mit 22 Jahren ar-

lichen Anzahl Männer ans Werk zu gehen. Kaum waren

beitet er im Kriegsministerium des Königreichs Neapel.

unsere Gegner weg, so versammelte der mit uns einver-

Als König Joachim Murat – ein Schwager von Napoleon

standene Vorsteher die Bürger, und es wurde der Antrag

Bonaparte – dort fünf Jahre später abgesetzt wird, kehrt

mit grosser Mehrheit angenommen. Am zweiten Tage

Flugi in seine Heimat zurück. Zunächst lebt er im Val

schon war ein durchgehender Graben geöffnet, durch

Müstair und zieht dann nach Chur, wo er erst im hohen

welchen bereits der grössere Theil des Stromes floss. Die

Alter von 87 Jahren stirbt. Bereits während seiner er-

vom Markte Zurückkehrenden machten grosse Augen,

folgreichen Berufskarriere widmet er sich der Schrift-

und es fehlte nicht an Verwünschungen und an Protes-

stellerei und der Dichtung.

ten, allein – es war zu spät.»

Die Sommer verbringt er jeweils im elterlichen Haus in St. Moritz. Schon früh macht er sich dafür stark, dass

Keine Chance für die Trinktaxe

die in Vergessenheit geratene Mineralquelle neu gefasst

Die Quelle ist nun zwar wieder zugänglich, aber es dau-

wird: «Was würde Paracelsus sagen, welcher vor mehr

ert noch Jahrzehnte bis sie auch touristisch genutzt

denn drei Jahrhunderten diese, damals so sparsam

wird: 1854 bringt Flugi mit einer Aktiengesellschaft ei-

flies­sende Quelle so hoch belobte, wenn er dieselbe in

nen «Contract» zur Nutzung der Heilquellen durch, die

ihrer ungeahnten zweckmässigen Fassung und in einer

die Ausschöpfung für 50 Jahre festschreibt. Pathetisch

um 9/10 vermehrten Fülle sprudeln sähe?», fragt er in

schildert er die Umstände: «An der Stelle schlafend, wo

seinen Aufzeichnungen.1

40

ich geboren wurde, sah ich den Geist meiner würdigen Mutter vor meinem Bette stehen, und hörte ihre Worte:

Einig über die «Dringlichkeit»

‹Conradin, lass nicht nach, sondern hilf auf›». Als dann

Er versucht, die St. Moritzer für seine Idee zu gewinnen:

kurz darauf das Kurhaus eröffnet wird, blüht St. Moritz

«Bezüglich der Dringlichkeit dieser Arbeit waren mein

rasch auf.

selig. Bruder Johann und alle jüngeren Bürger mit mir

Conradin de Flugi denkt auch an die wirtschaftliche

einverstanden, aber leicht war es wahrzunehmen, dass

Seite. Er schlägt vor, eine «Trinktaxe» einzuführen, die

die Alten einen solchen Antrag mit Widerwillen zu-

jeder «Curgast» zu bezahlen hätte. Das Geld sollte «für

rückweisen würden.» Flugi weiss auch weshalb: «Ihre

Verbesserungen» eingesetzt werden. «Der Modus leuch-

Antwort war immer: wir haben noch schwere Schulden

tete ein, konnte jedoch nicht angewendet werden, in-

für den Bau der neuen Kirche zu tilgen – und übrigens

dem der Vorsteher bemerkte, dass laut Gesetz Wasser

sind schon Grafen und Barone hier gewesen und befrie-

und Steine bei uns noch ungetheilte Gegenstände seien,

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

41


und es uns nicht erlaubt sei, etwas dafür zu beziehen.»

schlichten Naturphänomene, sondern aktiv und eh-

Flugi ist nicht nur ein Pionier des Tourismus, sondern

renhaft agierende Ärzte. Es überrascht nicht, dass Flugi

auch ein Vorkämpfer für die romanische Sprache. Die

die Medizin als Propagandamittel einsetzt, denn ge-

Wissenschaft sieht in ihm den Wegbereiter der neuen

rade dem Kurarzt kommt zur damaligen Zeit eine zent-

Literatur im Engadin und den ersten Schriftsteller, der

rale Rolle zu. Seine Reputation und sein Wissen sind für

zur Erhaltung des bedrohten Romanisch aufruft.

die aufstrebenden Kurorte äusserst bedeutsam. Das Wissen der Ärzte findet sich auch in den Werbebroschü-

Sprachpionier

ren. So kann dieses Gedicht auch als Werbebotschaft

Flugi selbst sieht einen durchaus positiven Einfluss des

für die Mineralquelle verstanden werden. Bedenkt man,

aufkommenden Tourismus auf die gefährdete Sprache,

dass die Kurorte lange auch von Einheimischen be-

denn die Fremdenindustrie gebe wohl die Hoffnung,

sucht wurden, ist Romanisch als Propagandasprache

dass die engadinische Emigration gebremst werde, was

einleuchtend.

die negativen Wirkungen der Gästeinvasion aus aller Welt kompensiere. Flugi plädiert auch für die Mehrspra-

Frühe Werbung für St.  Moritz

chigkeit: «Alle gebildeten Engadiner wissen, dass ihre

Auch viele andere Gedichte des Aristokraten und Dich-

Muttersprache die Erlernung und besonders die rich-

ters Flugi verherrlichen die Region um St. Moritz. Schon

tige Betonung anderer Sprachen ihnen erleichtert.»

er verwendet die noch heute aktuellen Stereotypien be-

Der Pionier bringt sein Engagement für die Sprache

zogen auf die Natur und die Gesundheit. Seine romani-

und den Tourismus im Gedicht «Trais buns meidis» un-

schen Gedichte sind in erster Linie für die einheimi-

ter einen Hut. Es beginnt so:

2

sche Leserschaft bestimmt. Sie sprechen eine physisch und/oder finanziell schwache einheimische Klientel an

Eau nomn a vus trais meidis

und weisen auf die wirtschaftspolitische Idee hin, die

Chi löng paun’s conserver,

dieser Tourismuspionier verfolgte, damit «die Gäste

E quels ad ogni ura

herbeiströmen». Und doch finden wir in den Gedichten

Pudais vus consulter.

auch den tiefen Glauben. Sie verbinden religiös fun-

Ich nenne euch drei Ärzte

Propaganda.

diertes Lob der Natur mit auf Fortschritt ausgerichteter Die lange euch bewahren können, Und die zu jeder Stunde

1

Ihr konsultieren könnt.

Heilquellen von St. Moritz», Chur: Senti & Casanova 1868

Im Gedicht treten drei verschiedene «Ärzte» auf, die er

tedas», Pargätzi & Felix, Coira, 1861

2

nur weiterempfehlen könne: ova s-chietta, pures Wasser, il cher ajer, die liebe Luft und la buna regla, die gute Regel. Dieses Gedicht symbolisiert eine Anleitung zur richtigen Kur, die Linderung verschaffe. Den Klischees des «puren Wassers» und «der gesunden Luft» kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie sind hier keine 42

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

Conradin de Flugi, «Einst und Jetzt. Ein Beitrag zur Geschichte der

Conradin de Flugi, «Alchünas rimas romaunschas revisas et aumen



Il Don Camillo della Valtellina L'impronta di un prete sulla sua terra, ma non solo. Come un parroco di un paese sperduto delle Alpi ha aiutato i suo fedeli, in modi spesso poco ortodossi, conquistandosi così una fama che ha superato i confini locali lasciando un segno anche nella letteratura e nel cinema italiani.

Testo: Adriano Pedrana Foto: Archivio Paolo Silvestri

D

on Camillo è davvero esistito. No, non si chia-

non un parroco così caparbio, il quale si mise subito

mava così, e no, Brescello e la Pianura Padana

all'opera, aiutando i suoi parrocchiani sia per i bisogni

non c'entrano nulla. Il suo vero nome (o, meglio,

dell'anima, sia per le necessità più materiali e portando

il nome di chi ha ispirato questo personaggio) era don

così un po' di modernità in questo angolo delle Alpi.

Alessandro Parenti, per oltre quarant'anni a capo di Tre-

44

palle, frazione di Livigno, considerata la parrocchia più

Un prete che si dà da fare

alta d'Europa. Solo che, proprio perché vera, la storia di

Aprì un negozio, il primo di Trepalle, per il quale pagò

don Parenti è forse più interessante di quella del suo «al-

di tasca propria le quote dei parrocchiani e garantì con

ter ego» letterario-cinematografico.

la propria firma le prime cambiali; al punto di vendita

«Don Lisander» (come veniva chiamato affettuosa-

si affiancò presto anche un forno per il pane. Suo anche

mente dai suoi conterranei) nacque nel 1903 a Lazzate,

il merito di aver costruito la scuola e l'asilo, così come

piccolo comune a 25 chilometri a nord di Milano. Fin

un distributore di benzina, che esiste ancora oggi. Nel

da piccolo dimostrò di avere un carattere molto esube-

1936 riuscì a far costruire un piccolo invaso, portando

rante e vivace; una cosa che lo mise nei guai non poche

così l'energia elettrica alla chiesa e alla canonica; du-

volte, come quando, da chierico, decise di trasportare

rante l'inverno, la forza dell'acqua era sostituita da un

per scommessa un paiolo da polenta pieno di acqua ap-

motore a scoppio, il quale però veniva spento alle 8 di

peso al manubrio di una bicicletta. Una ragazzata, que-

sera, segnando di fatto la fine di ogni attività in paese.

sta, che però gli valse l'espulsione dal Seminario di Se-

Con gli anni don Alessandro si creò numerosi rapporti

veso e lo obbligò a continuare gli studi a quello di Como,

di amicizia anche ad alti livelli, riuscendo così ad aiu-

dove diventò sacerdote.

tare ancora di più la sua gente. Per lui era facile entrare

Un luogo non proprio ospitale

per i propri parrocchiani, spesso portando a casa un fi-

Fresco di ordinazione, questo focoso giovane prete

nanziamento per opere pubbliche o la promessa di un

venne assegnato alla parrocchia più difficile di tutta la

maggior interessamento verso questa terra. Così il Mi-

diocesi: Trepalle. Un luogo a 2200 metri d'altitudine, al-

nistero dei Lavori Pubblici stanziò una somma per la co-

lora abitato da poco più di 200 anime dedite alla pasto-

struzione dell'acquedotto, per il quale non vennero in-

nei vari ministeri a Roma, per poter ottenere qualcosa

rizia e isolato dal resto del mondo per otto mesi l'anno.

caricate le autorità comunali, ma, caso più unico che

C'è chi vide in questa nomina una punizione, chi in-

raro, la parrocchia stessa. Suo anche il merito di convin-

vece un modo per salvare la vita al reverendo, il quale

cere le autorità dell'epoca ad autorizzare l'apertura in-

aveva già avuto vivaci scontri con un gerarca fascista,

vernale della strada che porta a Bormio; una cosa rite-

subito dopo la marcia su Roma. Fatto sta che, a fine lu-

nuta impensabile, ma che la focosa dialettica di don

glio del 1929, don Alessandro arrivò nel paesello. La

Parenti contribuì a rendere possibile, permettendo così

prima impressione fu desolante: la zona era ancora rico-

un collegamento carrozzabile aperto tutto l'anno, indi-

perta da neve e freddo nonostante fosse estate, mentre

spensabile per lo sviluppo turistico.

il tetto della canonica, rimasta disabitata per diversi

I contatti e le amicizie furono utili anche quando qual-

mesi, era sfondato e la pioggia colava all'interno delle

che abitante di Trepalle veniva preso a trasportare

stanze... Una situazione che avrebbe scoraggiato chiun-

merce di contrabbando. Infatti questo paesello, proprio

que (e che aveva fatto scappare i suoi predecessori), ma

come tutto il comune di Livigno, era (ed è tutt'ora) zona

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


1

2

3

extradoganale; un modo per permettere l'approvvigio-

don Parenti. Questi, invece di arrabbiarsi del brutto tiro,

namento all'estero di beni indispensabili da parte degli

ringraziò l'artigiano per avergli dato la possibilità di

abitanti, i quali, però, incominciarono a sfruttare que-

schiacciare a ogni passo lo stemma del PCI.

2,3 Villagio e Chiesa de Trepalle

da una parte all'altra della linea doganale. Si trattava

L'Ideale per Guareschi e Fernandel

Un ringraziamento a Paolo Sil-

sto status trasportando (di nascosto, s'intende) prodotti

1 Don Alessandro

un'attività certamente illegale, ma necessaria per la so-

Questo impegno politico di don Parenti fu tra gli ele-

vestri per le immagini d'epoca.

pravvivenza, e proprio per questo non condannata

menti che colpì Giovannino Guareschi durante una suo

www.grupposilvestri.eu

dalla Chiesa. Così don Parenti si trovò anche a fare da

viaggio in Alta Valtellina nel secondo dopoguerra,

avvocato per i propri parrocchiani più sfortunati, riu-

quando incontrò il vivace Parroco di Trepalle, da lui de-

scendo a tirar fuori di prigione molti di loro. Non era un

finito «il più bel monumento della Valtellina»; ed è pro-

«prete contrabbandiere», ma un «prete dei contrabban-

prio a lui che Guareschi si ispirò per il personaggio di

dieri», come precisò lui stesso.

Falce e martello entrano in chiesa

don Camillo. Infatti i primi racconti, pubblicati nel 1948, parlavano di un certo Don Candido, Arcivescovo di «un paese che sta lassù, a casa di Dio», chiamato Tre-

Sono tantissime le storie e gli aneddoti che testimoniano

bilie (un nome con un'assonanza fin troppo chiara con

il carattere burbero ma schietto e sincero di don Alessan-

quello della parrocchia più alta d'Europa); anche molte

dro; tra questi il fatto di chiudere i fedeli all'interno della

delle storie riflettevano la vita di questo paese.

chiesa prima delle funzioni, visto che «la messa è da as­-­

L'amicizia tra lo scrittore e il prete si incrinò, per poi

c­oltare tutta, dall'inizio alla fine». Famose anche le sue in­

rompersi del tutto, a causa di un articolo di Guareschi

vet­tive contro le «signorine» di Trepalle, accusate di

su Alcide De Gasperi e il bombardamento alleato di

avere costumi troppo libertini; sopra la canonica era

Roma. Fu forse per questo che il nome del prete prota-

stato messo un cartello stradale molto particolare, il

gonista del libro cambiò, assieme all'ambientazione dei

quale indicava il divieto di ingresso alle donne coi pan-

racconti, «trasferiti» dalle montagne alla Pianura Pa-

taloni. A loro aveva pure dedicato una predica dai toni

dana. Rimase invece l'impronta del carattere di don Pa-

poco ortodossi per un prelato, ma molto incisiva, tanto

renti, pure nel personaggio del film: infatti, secondo un

da essere ricordata ancora oggi, dopo oltre cinquant'anni.

suo cugino, l'attore Fernandel sarebbe stato per un paio

Altra categoria contro cui si era scagliato don Parenti era

di giorni a Trepalle con lo scopo di studiare il modo di

quella dei simpatizzanti del Partito Comunista. Una

fare del suo vivace parroco.

maestra delle scuole elementari, il ciabattino, la farma-

Di Guareschi oggi rimane anche una descrizione molto

cista; tutte persone con le quali si cimentava spesso in

chiara di don Parenti, definito «presidente della repub-

vivaci discussioni. A volte, però, il confronto superava

blica extradoganale di Trepalle. È lassù da 20 anni, è

le parole. Si racconta infatti di un inverno, durante il

secco e solido e quando parla, gesticola e urla. E così ogni

quale il Parroco di Trepalle lasciava dietro di sé nella

tanto si affaccia da una nuvola un angioletto e dice al par-

neve impronte con falce e martello... Il prelato si era di

roco della chiesa più alta d'Europa: 'Reverendo, per fa-

colpo convertito? Una simpatia nascosta verso Marx ed

vore, un po' più sottovoce. Qui su c'è gente che riposa'».

Engels? Nulla di tutto questo, solo lo scherzo del calzo-

Don Alessandro rimase nella sua parrocchia fino al

laio, il quale, durante una risuolatura, aveva provve-

1970, per poi tornare al suo paese d'origine, dove morì

duto a incidere questa immagine sotto gli scarponi di

il 16 ottobre 1980.

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

45


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1

2

Mehr als Bio Ganz wenige Landwirtschaftsbetriebe im Unterengadin arbeiten nach den strengen DemeterRichtlinien. Alesch und Maryse Vital begannen damit in Scuol schon vor Jahrzehnten. Kürzlich machten auch Gian Reto Lanfranchi und Simone Federspiel in Strada diesen Schritt.

Text: Mathias Balzer Fotos: Gabriella Disler

I

ch bin kein Provokateur, ich werde provoziert.» Das

künstler Urban Gwerder nennt das Leben und Wirken

ist eines der kernigen Zitate von Alesch Vital. Der

von Alesch und Maryse «ein naturbezogenes, realuto-

68-jährige Bauer und Künstler ist gerade dabei, vor

pisches Gesamtkunstwerk». Nach Studienaufenthal-

der Einfahrt seines Hauses in Scuol ein hölzernes

ten in London, Nigeria, den USA, Mexiko und Wien

Weinessigfass zu reinigen. Er hat es vom benachbarten

sorgte Alesch Ende der Sechzigerjahre mit prägnanten

Wirt erhalten, klaubt nun die alte Essigmutter heraus

Auftritten als Plastiker und Performer für Aufsehen in

und macht das Fässchen bereit, für den nächsten Apfel-

der Zürcher Kulturszene. «In dieser Szene war es dann

essig. «Sowas ist immer spannend», sagt er mit funkeln-

aber bald nicht mehr auszuhalten», sagt er rückbli-

dem Blick. Das Haus haben er und seine Frau Maryse

ckend und erzählt vom Ausstieg, der eben ein Einstieg

vor vier Jahren bezogen. Das zuvor halb verfallene Ge-

war in das Leben als Kleinbauernfamilie. «Da haben

bäude ist stil- und liebevoll umgebaut, in Eigenregie –

wir dann gelernt, dass die Rüebli nicht obsi, sondern

was bezeichnend ist für dieses Paar, das zeitlebens

nitzi wachsen», lacht er. Noch bevor es das Verteilnetz

seine eigenen Wege ging. Eisenplastiker, Industrial De-

mit Läden für Bioprodukte gab, belieferte er mit seiner

signer, Rotkreuzhelfer, Polit-Aktivist, Bergbauer und

3-Rad-Vespa Privatkunden in Zürich mit Fleisch und

«Agrartist» sind die Berufsbezeichnungen, die das Le-

Gemüse aus bio-dynamischer Produktion.

ben Alesch Vitals spiegeln. Ein Leben, das notabene

48

keine Einzelkür war. «Maryse ist die Innenministerin,

Einen Platz erkämpft

ich bin der Aussenminister. Es hat immer uns beide ge-

1980 zogen er und seine Familie auf den Hof Tanter

braucht, aber das ist gegen aussen schwer zu kommu-

Dossa hoch über Scuol, um dort nach den Regeln der

nizieren. Die Leute wollten immer den Ziegenkäse von

Demeter-Produktion Ziegen zu züchten, Käse zu ma-

Alesch, nicht den von Maryse und Alesch, obwohl Ma-

chen, Getreide und Gemüse anzubauen. Damals war

ryse ihn gemacht hat. Aber das scheint bereits zu kom-

«Bio» für weite Teile der Landbevölkerung wenn nicht

pliziert zu sein», lächelt der bärtige Mann mit der fei-

ein Fremd-, so doch ein Reizwort. «Wäre ich nicht ein

nen Stimme verschmitzt.

Vital, Sohn eines Ausgewanderten aus Sent, hätten wir

Blättert man im reich bebilderten Buch über Leben

das nie durchgestanden.» Einheimisch bleibt eben ein-

und Werk von Alesch Vital und seiner Familie, wird

heimisch, auch wenn einer den Schnee auf seiner Zu-

klar, dass all dies in keine Schublade passt. Der mit ihm

fahrtsstrasse mit einem aus alten Skiern gebauten Pfer-

befreundete Publizist, Performer, Lyriker und Lebens-

depflug räumt, mit Aktionen gegen Schneekanonen

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


3

und Eulenspiegeleien am 1. August irritiert oder dem

4

Die ganzheitliche Wirtschaftsweise beruht grundsätz-

1 Demeter-Landwirtschaft:

Bündner Regierungsrat vorschlägt, den Steinbock im

lich auf einem Leben mit der Natur, den kosmischen

Kühe mit Hörnern.

Wappen gegen eine heimische Geiss auszutauschen.

Kräften und eben nicht auf Ausbeutung der Ressour-

Alesch, Maryse und ihre drei Kinder mussten sich ih-

cen.» Das Label Demeter, 1928 eingeführt, ist das äl-

ren Platz unter den Unterengadiner Bauern erkämpfen.

teste Qualitätssiegel für biologische Produktion und ga-

«Das kann einen einsam machen und braucht Hartnä-

rantiert weltweit qualitativ hochstehende Produkte.

ckigkeit», meint Alesch ohne Verbitterung. Die Ent-

Dabei gilt es, einige Regeln einzuhalten: Die Verrottung

2 Alesch Vital, der Pionier.

3 Der Natur Sorge tragen …

scheidung, ein Leben «mit und für Mutter Erde» zu le-

des Komposts wird mit Brennnessel-, Löwenzahn-, Ka-

4 … und seltene Tiere züchten:

ben, hat er nie bereut: «Im landläufigen Sinne, also

mille-, Eichenrinde- und Schafgarbepräparaten ge-

Capra Grigia.

materiell, zahlt sich das nicht aus. Dafür wurden wir

lenkt. Dies, nachdem diese pflanzlichen Stoffe in einer

vom Leben reich beschenkt, brauchten keine Ferien,

ihnen zugeordneten tierischen Hülle wie zum Beispiel

haben mit den Sternen, der Erde und den Tieren gelebt.

einer Hirschblase oder einem Kuhschädel in der Erde

Es ist ja nicht so, dass ich den Geissen helfe zu leben.

vergraben und dort «verdichtet» worden sind. Dazu gibt

Sie helfen mir.»

es zwei Spritzpräparate, den Hornmist und den Horn-

Produkte entstehen aus dem Kreislauf Auf dem wunderbar gepflegten Hof Tanter Dossa oberhalb Scuol wirtschaften heute Alesch und Maryses

kiesel. In Kuhhörnern in der Erde gelagerter Mist oder gemahlener Bergkristall werden in homöopathischer Dosis über die Felder und Pflanzen ausgebracht.

Sohn Not und dessen Partnerin Jorinde. Der gelernte

Kühe mit Hörnern

Schmied hat, nach einigem Zögern, das Anwesen der

Demeter-Betriebe erkennt man auch an einem durch-

Eltern vor vier Jahren übernommen und führt deren

aus ästhetischen Kriterium: Demeter-Kühe sind bald

Werk weiter. Das Paar züchtet Engadiner Schafe, eine

die einzigen, die noch Hörner tragen dürfen respektive

rare Rasse, ebenfalls nach den Leitlinien der Demeter-

müssen. Denn – so die Lehre – die Hörner sind nicht

Produktion. Not hat die entsprechende berufliche Aus-

einfach nutzloser Kopfschmuck, sondern in verschie-

bildung absolviert.

dener Weise ein wichtiges Organ der Kühe. Man sieht

Diese biologisch-dynamische Wirtschaftsweise beruht

das an Lotti, einem prächtigen Exemplar Rätischen

auf Vorträgen, die der Anthroposophiebegründer Ru-

Grauviehs, das stolz behornt vor Nots Hof weidet.

dolph Steiner 1924 in Vorträgen formuliert hat. Dies

Die Wirkung der Demeter-Präparate ist in wissen-

tat er auf Wunsch von Landwirten, die bereits damals

schaftlichen Kreisen umstritten. Der sogenannte

festgestellt hatten, dass die industrielle landwirtschaft-

DOK-Langzeitversuch in der Nähe von Basel attestiert

liche Produktion die Böden auslaugt und qualitativ

dem biologischen Landbau, dass dieser bei deutlich ge-

schlechtere Produkte hervorbringt. «Eigentlich geht es

ringeren Aufwendungen trotz tieferer Erträge eine res-

darum, dass der landwirtschaftliche Betrieb einen

sourcenschonende Produktion ermögliche. Eine mate-

Kreislauf bildet, in dem die bewirtschaftete Fläche ge-

riell messbare Wirkung der Präparate könne jedoch

nug Futter erbringt für die Tiere und diese wiederum

schwer nachgewiesen werden. Anthroposophienahe

genug Dung, um damit Acker und Wiesen zu düngen»,

Institute wie der Forschungsring für biologisch-dyna-

erklären Not und Jorinde. «Das heisst, es werden mög-

mische Wirtschaftsweise, mit einem Lehrstuhl an der

lichst wenig fremde Stoffe von aussen zugeführt.

Universität Kassel, attestieren der biologisch-dynami-


5

5 Gian Reto Lanfranchi und

schen Methode, eine zukunftsfähige Methode zu sein.

6

staunen bereits, weil unsere Kinder die Steinerschule

Simone Federspiel bewirtschaf-

Die Entscheidung für diese Wirtschaftsweise ist eine

in Scuol besuchen. Andere begegnen der Idee mit Res-

ten einen Demeter-Hof in Strada.

Entscheidung für eine Lebensweise, die ganzheitli-

pekt. Denn es ist allen klar, dass es in Zukunft Ideen

ches Denken vor materielle Werte stellt. «Man muss

braucht, um als Bauer in dieser Region zu überleben.»

6 Glückliche Hühner legen

kein Anthroposoph sein, um Demeter-Produkte her-

gesunde Eier.

zustellen. Aber es ist nicht einfach, damit zu überle-

«Das Gute ist schön»

ben. Wir mit unseren Schafen sind in gewissem Sinne

Auch Simone und Gian Reto betonen, dass es eben um

ja mehr Landschaftsgärtner als Lebensmittelprodu-

mehr geht als nur um die Produktion von Lebensmit-

zenten», gestehen Jorinde und Not nüchtern ein. «Das

teln. Es geht ihnen um ein Leben, in dem Wirtschafts-

liegt aber auch an den beschränkten Landressourcen.

form und Privatleben harmonieren und ein Ganzes

Der Druck auf diese ist gross, und mancher Bauer im

bilden. Statt eines Fernsehers haben die Kinder eine Bi-

Nebenerwerb schneidet sich eben auch noch ein Stück

bliothek und den grossen Hof mit all seinen Tieren als

vom Kuchen ab.»

Spielmöglichkeit. Gian Reto hat da seine eigene Theo-

Eine Idee konsequent durchziehen

50

rie: «Das Gute ist schön.» Das könne man an leuchtenden Kinderaugen ebenso ablesen wie an Hühnereiern,

Nahe Strada, auf der Ebene am Inn, steht ein Bauern-

deren Schale eben nicht matt, sondern glänzend sein

haus mit regenbogenverzierter Fassade. Hier führen

müsse. «Hier, fern vom Dorf, siehst du noch einen rich-

Gian Reto Lanfranchi und seine Partnerin Simone Fe-

tigen Sternenhimmel. Auch wenn er dauernd von blin-

derspiel mit vier Kindern ihren Familienbetrieb. Gian

kenden Flugzeugen verunstaltet wird.»

Reto, ein heimischer Bauernsohn aus Strada, ist vor

Sein für hiesige Verhältnisse grosser Hof steht auf

14 Jahren hierhergezogen. «Ich hatte mir vorgenom-

fruchtbarer Erde. Die riesigen Kohlrabi im Garten zeu-

men, mit spätestens dreissig von zuhause weg zu sein.

gen davon. Die Anthroposophie ist für ihn, der das klas-

Und so hab ich am Vorabend meines dreissigsten Ge-

sische Bauernmetier am Plantahof in Chur erlernt hat,

burtstags mein Bett hierhergebracht», erzählt der ge-

ein neues Erfahrungsfeld, das er entspannt angeht.

lernte Landwirt lachend. Ideen konsequent durchzu-

«Die Auseinandersetzung damit erweitert meinen Hori-

ziehen, ist eine Eigenschaft von Gian Reto. Bereits

zont.» Umgekehrt absolviert seine Frau, die gelernte Er-

1996 stellte er seinen Hof auf Bio-Produktion um und

nährungswissenschafterin, die klassische Schule am

nun, inspiriert von seiner Partnerin Simone, wagt er

Plantahof, um mit ihrem Mann auf Augenhöhe disku-

den Schritt und stellt den Biosuisse-Knospenhof auf

tieren zu können. Beide sind zuversichtlich, dass die

Demeter-Produktion um. Zusätzlich gründen die bei-

Umstellung der Produktion Zukunft hat. Sie wollen

den innovativen Mitdreissiger einen Archehof, auf

ihre Tiere in der Region schlachten lassen und die Pro-

dem rare Tierrassen und Pflanzensorten in Zukunft

dukte, die eben etwas teurer, dafür umso besser sind, an

überleben und gedeihen sollen. Dazu gehören seltene

individuelle Kundschaft verkaufen.

Obstsorten, Wollschweine, Appenzeller Barthühner,

Qualität setzt sich durch. Davon sind sie überzeugt, und

Rätisches Grauvieh und die stolze Capra Grigia, eine

das ist eigentlich uns allen zu wünschen. Vielleicht

seltene Ziegenrasse.

sind die Kuhhörner, in denen sie ihre Präparate berei-

Die Reaktionen im Tal, von anderen Bauern oder in der

ten, ja doch eine Art Füllhorn, das mythologische Sym-

Gemeinde, nimmt Gian Reto gelassen: «Ach, die einen

bol für Glück.

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


Fettabsaugen: Pölsterchen an Bauch, Oberschenkel, Gesäss, Hüften, Arme oder Hals können mit einer feinen Saugkanüle entfernt werden. Neu sind dabei feinere Absaugtechniken und die örtliche Betäubung. Sie gehen sofort wieder nach Hause und können nach wenigen Tagen normal aktiv sein. Die Resultate sind glatt und regelmässig. Natürlich kann damit nicht Übergewicht korrigiert werden. Das Absaugen von einzelnen Fettüberschüssen kann eine gute Motivation zum Abnehmen sein. Spezielle Fettpolster sind in den Lidern zu finden (Tränensäcke). LidpLastik: Am häufigsten fühlen sich Menschen durch Falten im Augenbereich gestört. Vier verschiedene Eingriffe im Ober- und Unterlid bieten sich an. Diese werden ambulant durchgeführt und sind mit wenig Risiko behaftet. Sie führen zu einer Beeinträchtigung, die ein paar Tage andauert. Natürlich werden sie damit nicht jünger, aber sie schauen sich wieder lieber im Spiegel an. nasenpLastik: Die Nasenform kann zu einem ständigen Unbehagen führen. Auch die Korrektur der Nase geschieht ambulant. Höcker, Ballonspitzen oder Unfallfolgen. Eine perfekte Nase gibt es nicht.

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Betten für Büezer und Bewegte Ferien für alle, auch für Wenigverdienende. Zweimal gelang es dem linken Zürcher Buchhändler Theo Pinkus, eine touristische Vision umzusetzen: im Krieg mit dem Alpinisten Mathis Margadant und den Naturfreunden, nach 1968 mit seiner Frau Amalie im Zentrum Salecina.

Text: Jürg Frischknecht Fotos: Archive

M

itten im Krieg, am Karfreitag 1943, stiegen in

sche Intellektuelle wurden Freunde fürs Leben und

St. Moritz und Umgebung gegen 1000 Unter-

ein unschlagbares Power Couple. Beide waren über-

länder aus einem Extrazug. In langen Kolon-

zeugte Kommunisten. Mit Margadants Kopf auf dem

nen marschierten sie mit geschulterten Skiern den Ho-

Plakat buhlten die Zürcher Kommunisten bei den Na-

tels entgegen, die zu dieser Zeit leer standen, und

tionalratswahlen 1935 um Stimmen. In den Augen der

bezogen für vier Ostertage Quartier, das sie sich gleich

Partei dachten und agierten die beiden Genossen aller-

selber einrichteten. Sie schoben Betten an die Wände,

dings zu selbständig; beide wurden ausgeschlossen.

legten doppelte Matratzen einzeln auf den Boden und breiteten ihre Schlafsäcke aus, kochten selber und

Naturfreunde – Pioniere des Skitourismus

machten vor der Abreise wieder alles sauber. Volkstou-

Mit den Naturfreundelagern verfolgte das starke Dop-

rismus nannte sich das. Das Volk waren Naturfreunde-

pel konsequent die Vision Volkstourismus, kurz: Fe-

Mitglieder, die Hotels enterten, die sie sich in Friedens-

rien für alle, nicht nur für Vermögende. Von Jahr zu

zeiten nie hätten leisten können.

Jahr nahmen mehr Naturfreunde an den Lagern teil,

Die Seele dieser Osterskilager war der Bündner Mathis

besonders an Ostern, wenn auch Arbeitnehmer ohne

Margadant, 1903 als Sohn eines Briefträgers in Chur

geregelte Ferien vier Tage frei hatten. Bald waren die

geboren. Er hatte in Zürich Gärtner gelernt und war ein

Naturfreundehäuser zu klein. Margadant und Pinkus

Werbung der Naturfreunde

erfolgreicher Bergsteiger und Tourengänger. 1927 or-

mieteten günstige Pensionen und später auch Hotels.

in den Jahren des Zweiten Welt-

ganisierte er das erste Osterskilager im Fondei und im

Die Naturfreunde waren Pioniere des Skitourismus.

kriegs: «Tote (Hotel-)pracht»

Jahr danach in Brambrüesch mit 40 jungen Männern

Bereits 1931 liessen sie den Skifilm «Empor zur Sonne»

oder die Luxushäuser für das

und auch ein paar Frauen. Margadant war die zentrale

drehen. Unter der Woche übten die angehenden Ski­

einfache Volk öffnen? Repro­

Figur in der «Lagerleitung» der Ortsgruppe Zürich des

kanonen im Sägemehl der Zürcher Reithalle «das Ge-

duktion aus dem Buch von

«Touristenvereins die Naturfreunde», wie die Freizeit-

hen im Schnee sowie das Biegen und Drehen und

Beatrice Schumacher: «enga-

organisation der Arbeiterbewegung offiziell hiess. Sie

Schwingen, um dann am Sonntag im Schnee weiterzu-

giert unterwegs. 100 Jahre Naturfreunde Schweiz 1905–2005», Verlag hier + jetzt, 2005

52

zählte in der Schweiz rund 10'000 Mitglieder.

üben», wie sich ein Naturfreund erinnerte. Beliebte

1934 lernte Margadant den Buchhändler Theo Pinkus

Destinationen waren Tschiertschen, St. Antönien und

kennen. Der Bündner Naturbursche und der städti-

1938 das Bodenhaus in Splügen.

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Dann änderte der Krieg alles. Er stürzte die Hotellerie

Die vier Ostertage in St. Moritz und Umgebung koste-

in die Krise und ermöglichte nie geahnte Partnerschaf-

ten – alles inbegriffen – je nach Kategorie 35 bis 59 Fran-

ten. «Wir sagten den Hoteliers», schilderte Pinkus die

ken. Ein separates Programm gab es für Sils Maria: «Ma-

Verhandlungen, «Personal brauchen wir keines, alles,

tratzenlager im Hotel Waldhaus, einfache, gute

was wir brauchen, ist die Küche, notfalls halt die Perso-

Hotelverpflegung, Postauto ab St. Moritz inbegriffen».

nalküche. Und das hat geklappt.» Im grossen Stil zum

Nicht-Skifahrer konnten für fünf Franken einen Vierta-

ersten Mal an Ostern 1941, ausgerechnet im exklusi-

gepass der Berninabahn in der 3. Klasse kaufen und in

ven Zermatt. «Mit de Zürcher uf Zermatt», warben Pla-

den Puschlaver Frühling fahren. Im Pauschalpreis war

kate. 460 packten die Chance. Diese «Eroberung von

ein Solidaritätsfranken inbegriffen, damit Emigranten

Zermatt» wurde für eine ganze Generation von

eingeladen werden konnten, die sich am kulturellen

Naturfreun­d innen und -freunden zur Legende.

Programm beteiligten.

Zermatt und St. Moritz werden erobert

Unterhaltungsabend in der Tennishalle

Die Naturfreunde reisten mit einem Extrazug der SBB

Am Samstagabend trafen sich alle in der festlich ge-

an, und die Zermatter Bahn war so angetan, dass sie

schmückten Tennishalle im Nobelhotel «Palace» zum

den Plakataushang in Zürich bezahlte. Nur der Zer-

gemeinsamen Fest. Das war damals der grösste Saal in

matter Hoteldynastie Seiler habe «die Arbeiterinva-

St. Moritz (heute ist dort der King’s Club untergebracht).

sion überhaupt nicht gepasst», erinnerte sich Pinkus.

Der Unterhaltungsabend habe «die Naturfreunde und

Man habe aber den Direktor des gemeindeeigenen Ho-

Einheimischen in froher Geselligkeit vereint», schrieb

tels gewinnen können. Zum Programm gehörte auch

die «Engadiner Post». Die Gäste wurden im Namen von

eine Fahrt mit der Gornergratbahn. Mathis Margadant

Gemeinde und Kurverein begrüsst, der Chor sang und

führte 160 Tourenfahrer auf den Theodulpass. Und der

«der offizielle Redner der Naturfreunde formulierte den

sozialistische Walliser Nationalrat Karl Dellberg hielt

Begriff und die Bedeutung des Volkstourismus».

eine Festrede.

Das war wohl Theo Pinkus, der unermüdliche Propa-

Zwei Jahre später ging es ins Oberengadin, 900 bis 1200

gandist der Vision Volkstourismus. Nach dem Engadi-

kamen (die Zahlen schwanken, je nachdem, ob auch

ner Lager schrieb er in der «Naturfreunde Illustrier-

Sils Maria mitgezählt wurde). Die «Weltwoche» wid-

ten», in Anspielung auch auf die programmatische

mete dem Massenphänomen und Mathis Margadant –

Schrift «Die neue Schweiz» der SPS: «Die Osterlager der

dem Mann im Mittelpunkt – eine prominente Vorschau:

Naturfreunde sind erst ein bescheidener Anfang. Un-

«Heuer wird in St. Moritz und Sils Maria kampiert», mit

sere ganze Tätigkeit steht im Zeichen dieser neuen

Matratzenlagern und Eigenregie-Küche im Bären

Epoche. Die Osterlager erbrachten den Beweis, dass

St. Moritz und einem weiteren Matratzenlager mit Ho-

die vorhandenen Möglichkeiten ausgenützt und selbst

telverpflegung in Celerina. Auch Hotels in Samedan

Arbeiter und Angestellte dem notleidenden St. Moritz

und Pontresina würden belegt. Alles sei perfekt organi-

eine viertägige Ostersaison verschaffen könnten.» Die

siert, mit eigenen Sanitätsleuten und Skiinstruktoren,

Chanterella- und die Corviglia-Bahn beförderten

schwärmte die «Weltwoche»: «Margadant ist nicht nur

während dieser Ostertage 2400 Passagiere. «Besonders

vorbereitender Organisator, Lagerleiter, Tourenob-

günstig waren die Schneeverhältnisse für Tourenfah-

mann und Vergnügungspräsident, sondern auch Kü-

rer in den Skigebieten hinter Corviglia, Fuorcla Schlat-

chenchef und Hauptkassier.» Eine «echt proletarische

tain, Fuorcla Grischa, Fuorcla Valetta», meldete die

Autorität», wie es Theo Pinkus formulierte.

«Engadiner Post».

POWER COUPLE Sie waren die treibenden Kräfte des Volkstourismus, der an Ostern 1943 tausend Skibegeisterte ins Engadin brachte: Der linke Buchhändler Theo Pinkus (stehend) und der aus Graubünden stammenden Alpinist Mathis Margadant (sitzend). Foto: Archiv Bruno Margadant


1

1 Naturfreunde unterwegs:

Im ersten Friedensjahr 1946 war der Zuspruch noch

2

ten Migros-Gesellschaften für rund vier Jahrzehnte mit

grösser. Schon eine Woche vor Ostern waren alle 3000

unterschiedlichem Erfolg das Zuozer Hotel «Castell».

ohne Hemd) und Mathis

Plätze der Lager in den verschiedenen Landesteilen aus­

Die Kriegsjahre hatten dem Volkstourismus der Natur-

Margadant, Toscani rauchend.

verkauft. Im Engadin mit dabei war die heute 89-jäh-

freunde einen Boom beschert, jener Sparte im Touris-

rige Margrit Moritzi aus St. Gallen, langjährige Natur-

ten-Verein, die stark von Kommunisten geprägt war.

freundin und eine der ersten Skiinstruktorinnen.

1945 wurden Theo Pinkus und Mathis Margadant in die

Noch heute erinnert sie sich lebhaft an die Tage im En-

Landesleitung gewählt, als Verantwortliche für die Res-

Mit dabei Theo Pinkus (stehend

2 Amalie und Theo Pinkus.

gadin. Schon am Karfreitagnachmittag seien sie die

sorts Volkstourismus und Kurswesen.

end­losen Treppenstufen neben der Corviglia-Bahn, die

Umgehend erschienen von Theo Pinkus Zeitungsarti-

aus irgendeinem Grund nicht fuhr, hochgestiegen.

kel, die den Volkstourismus als «untrennbaren Bestand-

«Das gab etliche Muskelkater.» Immerhin fuhr die

teil jeder fortschrittlichen Sozialpolitik» bezeichneten:

Muottas-Muragl-Bahn, von wo die Skitour auf den Piz

«Für uns Naturfreunde ist er aber mehr als das, er ist,

Muragl führte. Beliebt war auch die Diavolezza (noch

wie unsere gesamte Tätigkeit als sozialistische Kulturor-

ohne Bahn) mit Abfahrten über Isla Pers oder zurück

ganisation, ein wesentlicher Beitrag bei der Schaffung

nach Berninahäuser.

einer ‹neuen Schweiz›.»

Für eine Skitour auf den Corvatsch, die sie führte, hät-

SELBER LESEN Weitere Informationen zum Thema dieses Artikels findet man in folgenden zwei Büchern: Rudolf M. Lüscher, Werner Schweizer: «Amalie und Theo Pinkus-De Sassi. Leben im Widerspruch.» Limmat Verlag, Zürich 1994. Beatrice Schumacher: «engagiert unterwegs. 100 Jahre Naturfreunde Schweiz», 1905–2005. hier + jetzt, Baden 2005.

54

ten sich 40 Teilnehmende eingefunden, erinnert sich

Rauswurf im Kalten Krieg

Margrit Moritzi. «Zehn schafften es bis zur Fuorcla Sur-

Obschon die Naturfreunde sozialdemokratisch domi-

lej und noch sechs auf den Piz Corvatsch, darunter eine

niert waren, konnten Kommunisten aktiv mitarbeiten.

Ovomaltine-Angestellte, die uns Müsterchen verteilte.»

Ende 1949 erschien unter dem Titel «Ferien für alle»

Logiert habe sie im Hotel «Bernina» in St. Moritz Bad.

eine umfangreiche Denkschrift zum Volkstourismus,

Zu den Sitzungen mit der Lagerleitung musste sie hin-

verfasst von einem (nicht erwähnten) Wissenschafter

auf ins Dorf, ins «Steffani».

der Universität Leipzig und mit einem Geleitwort des

Die beneidenswert rüstige Naturfreundin hat Mathis

sozialdemokratischen Bundesrats Ernst Nobs. Aber

Margadant sowohl im Winter in Zermatt wie im Som-

schon wenige Monate später war Schluss mit der inner-

mer bei einer Kletterwoche auf der Furka erlebt. Sie

linken Zusammenarbeit.

spricht mit grossem Respekt über ihn: «Mathis war ein

Erneut änderte ein Krieg schlagartig alles, dieses Mal

glänzender Fels- und Eiskletterer, der sich auch im Ret-

der Kalte Krieg. Der öffentliche und auch der interne

tungswesen auskannte und ein sicheres Gespür für Ge-

Druck wurden bei den Naturfreunden so gross, dass sie

fahren hatte.»

Vision des Volkstourismus

die Kommunisten aus all ihren Gremien ausschlossen. Als Mitglieder aber blieben Amalie und Theo Pinkus der Naturfreundebewegung, der sie früh beigetreten waren,

Begriff und Vision des Volkstourismus waren in den

weiterhin treu.

Dreissigerjahren entstanden, als der Ruf nach «Ferien

Und der Volkstourismus? Die Naturfreunde boten wei-

für alle» rundum erschallte, auch bei den totalitären

terhin ein breit gefächertes Reiseprogramm an, auch

Nachbarn. Zu den Pionieren in der Schweiz gehörte ne-

ins Ausland. Doch das Volk entdeckte das Reisen und

ben den Naturfreunden die Migros von Gottlieb Dutt-

die Ferien, die es sich vermehrt leisten konnte, zuneh-

weiler, der 1935 Hotelplan gründete. Nach 1955 führ­

mend auch auf eigene Faust.

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


Die Vision eines günstigen Tourismus für Wenigverdie-

damals mit Matratzenlager, heute mit Mehrbettzim-

SALECINA

nende war indessen nicht begraben. Die 68er-Bewe-

mern. Die Stimmung war ausgelassen bis übermütig,

gung schuf ein zweites Mal eine günstige Konstellation.

man platzierte Strassenschilder wie «Ho-Chi-Minh-

Amalie und Theo fanden rasch Anschluss an die Neue

Pfad» oder «Strasse der Revolution» und eine ungewöhn-

Linke, Amalie an die Frauenbefreiungsbewegung.

liche Flagge auf dem Dach, was dank der Kolumne «Rote

Was heute im Tagungszentrum Salecina in Maloja stattfindet, erfährt man bei einem Augenschein vor Ort, zum Beispiel bei einer Wanderung zum CavlocSee oder unter: www.salecina.ch

Salecina, die vorgezogene Utopie

Fahne im Malojawind» des späteren Bundesrats Rudolf Friedrich bald die ganze Schweiz wusste.

Bald wälzten sie erneut ein touristisches Projekt: ein

Selbstorganisation hiess erneut die Losung, also jenes

Haus der Begegnung für die neuen Bewegungen, mög-

Prinzip, das in den Kriegsjahren die unschlagbar güns-

lichst in den Bergen. In einer Zeit, in der sich die ver-

tigen Osterlager der Naturfreunde ermöglicht hatte

schiedensten linken und ultralinken Parteien und

und jetzt das selbst verwaltete Zentrum Salecina in Ma-

Grüppchen um die richtige Generallinie stritten, reali-

loja mit jährlich 9000 bis 10'000 Übernachtungen.

sierten die beiden mit grossem Weitblick ein Haus mit

Das Prinzip Selbstorganisation ist bis heute «heilig».

einem breiten Dach, «ein Ort des organisierten Zufalls»,

Die Gäste kochen und putzen selbst und lassen sich das

wie sie es nannten, eine Stätte des Austauschs im Priva-

nicht nehmen, weil sie sich so schneller kennen lernen

ten wie im Politischen, kurzum: ein Stück vorgezogene

als in einem Hotel. Ein Leitungsteam besorgt das Admi-

Utopie. «Wir verfolgten auch das Ziel, der Zersplitte-

nistrative und sorgt für Kontinuität.

rung der 68er-Bewegung entgegenzuwirken», sagen sie in ihrer Biografie «Leben im Widerspruch».

Austausch mit kritischem Geist

Dass sie dieses Projekt in Maloja realisieren konnten,

Die ersten zwanzig Salecina-Jahre waren vom rastlosen

verdankten sie ihrem Freund Gaudenzio Giovanoli,

Vernetzer und Anreisser Theo Pinkus geprägt, der Max

Lehrer und Sozialist in Maloja. Der Landwirt in Orden

Frisch und Herbert Marcuse und Robert Jungk und

dent, dem letzten Bauernhof am Weg von Maloja zum

viele andere kritische Geister nach Salecina holte, der

Cavloc-­See, müsse aus gesundheitlichen Gründen auf-

unzählige Wochen mitinitiierte wie die Ernst-Bloch-

geben, die Liegenschaft sei zu haben, teilte er den bei-

Seminare, Tagungen zur Geschichte von unten oder zur

den mit. Der Besitzer, ein ausgewanderter Bergeller, war

Selbstverwaltungsszene, nachzulesen im Buch «Inseln

zum Verkauf des Hofs mit seinen vier Gebäuden bereit,

der Zukunft» (eines von zahlreichen Büchern, die aus

sofern dort weder Kirche noch Kino noch Kiosk ent-

Salecina-Wochen hervorgegangen sind). «25 Jahre

stünden. Ende 1971 wurde der Kauf besiegelt. In den

frech, links und ökologisch» hiess das Motto beim letz-

beiden folgenden Sommern bauten Freiwillige, darun-

ten grossen Jubiläumsfest. 2012 steht das vierzigjährige

ter viele Deutsche, die Liegenschaft in Fronarbeit zu ei-

Jubiläum an: rund zwanzig mit Theo und Amalie, rund

nem Bildungs- und Ferienzentrum mit 56 Plätzen aus,

zwanzig ohne die beiden Visionäre. Werbung

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

55


Im Sammelfieber Wenn andere diskutieren, man müsse Kulturgüter schützen, ist Giuliano Pedretti, Bildhauer und Mitinitiant des Kulturarchivs Oberengadin, schon lange auf Estrichen auf der Jagd nach alten Zeitzeugen. Dabei, so sagt er, könne er den Leuten auch richtig auf den Pelz rücken.

Text: Gallus Hufenus Fotos: Gabriella Disler

U

nbezwingbar und mächtig wie eine Trutzburg

nachlässigtes Kulturgut: von Mäusen angefressene

hockt die Chesa Planta im alten Dorfkern von

Briefe oder halbvermoderte Fotos in feuchten Kellern.

Samedan. Gleichzeitig strahlt sie – eine Dame

«Der Engadiner ist leider kein emotionaler Mensch»,

von Welt – Grandezza aus. In diesem Palazzo walten Be-

sagt der Mitbegründer des Kulturarchivs. Für viele sei

wahrer und wirken Geschichtenerzähler: Das Kulturar-

das einfach «alter Plunder» gewesen, den man sowieso

chiv Oberengadin ist kein Heimatmuseum, sondern

gerne los wird.

ein Fenster nach draussen, überall dorthin, wo die un-

«Doch meine Vorfahren sind Etrusker, mir geben die

terschiedlichsten und mehrsprachigen Menschen aus

Briefe, Bilder, Stiche, Fotos oder Werkzeuge viel Energie.

dem Tal über die Jahrhunderte ihre Drähte spannten:

Im Archiv werde ich regelrecht mit Kraft aufgepumpt»,

von St. Moritz bis Russland, von Zuoz nach Italien oder

schildert Pedretti. Ihn faszinieren die Menschen, die in

von Bever nach Deutschland. Dora Lardelli und Giuli-

einer ruhigeren und langsameren Epoche und in der

ano Pedretti haben das Kulturarchiv «erfunden», ge-

Abgeschiedenheit ihre Werke schufen. Heute ist ihm

gründet und leiten es seit gut 20 Jahren. In dieser Zeit

vieles zu oberflächlich. Dass die meisten Engadiner

haben sie Nachlässe mit Tausenden von Briefen von

über die «alten Dinge» ganz pragmatisch denken, ver-

Engadinern im Ausland, 80 Jugendstil-Plakate aus der

urteilt er trotzdem nicht. Im Leben eines Berglers gehe

GIULIANO PEDRETTI

frühen Tourismus-Zeit, unzählige 150-jährige Press-

es schlicht ums Überleben. Man finde deshalb in den al-

stammt aus einer Künstlerfamilie und arbeitet selber an Skulpturen. Unter anderem von Alberto Giacometti inspiriert, schafft er bizarre Formen, Elemente mit schrundigem und zerfranstem Aussehen. Er zeigt beispielsweise die Sonnenseite eines Charakters und im Gengenzug düstere Facetten. Die Skulpturen werden in Lehm geschaffen, über einen Gipsabguss entstehen dann Bronzefiguren. Trotz abstrahierenden oder surrealistischen Anspielungen bleiben die Arbeiten dem Vorbild verbunden.

blumen aus dem Alpenraum, Zehntausende von Foto-

ten Dokumenten selten Gefühle. Diese zu zeigen, wäre

platten, Architekturpläne, aber auch wertvolle Dekora-

eine Schande gewesen. «Die Engadiner waren knall-

tionsmalereien archiviert.

harte Chrampfer.» Pedretti erzählt von einer kaltherzi-

56

Vom Sammelvirus erfasst 1984 bekamen der Künstler Giuliano Pedretti und die

gen Frau, die nach dem Tod ihres Vaters das Gemälde, das er von ihr malen liess, aus dem Rahmen riss, die Farben am Dorfbrunnen aus der Leinwand wusch und das

Kunsthistorikerin Dora Lardelli – damals beide im Se-

Leinen als Schürze verwendete.

gantini-Museum St. Moritz tätig – den Auftrag des Ver-

Viele Emotionen stecken dafür in den Übersetzungen

kehrsvereins Oberengadin, eine Ausstellung über die

des Bielers Hans Mühlestein, der in Celerina lebte (vgl.

Landschaftsmalerei aus der Region zusammenzustel-

«Sie wollten ihn mundtot machen», piz 36, Winter

len. «Besessen, zu retten» wühlte Pedretti in Estrichen

2008/2009). Einen Teil seines Nachlasses hat Giuliano

und entdeckte neben den gesuchten Bildern viel ver-

Pedretti 1995 für das Kulturarchiv Oberengadin in Zü-

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


rich abgeholt: Mühlestein übersetzte unter anderem

standsmitglied des Kulturarchivs Oberengadin. Aber in

Dichtungen der Renaissance ins Deutsche, auch Dante

Chur sässen eben die Kantonsangestellten hauptsäch-

und Michelangelo. Die Umdichtungen sind «wortge-

lich in den Büros. Anders Giuliano Pedretti. Er steigt in

waltig, voller Schönheit und bringen den verborgenen

Mulden und kommt am Abend schwarz von Staub und

Sinn der Originale ans Licht», kommentieren Fachleute.

Dreck nach Hause. «Das ist zwar manchmal unappetit-

Mühlesteins Schreibkunst erschütterte wiederum Tho-

lich, aber jeder Fund macht mich stolz.» Er hat auch

mas Mann. In einem Tagebuch-Eintrag vom Juli 1950

schon Nachlässe von Architekten eigenhändig aus dem

beschreibt der damals 75-jährige Dichter im Suvretta-

Schnee ausgegraben. So wie er es schon in jungen Jah-

Haus in St. Moritz, wie ihn die Übersetzung Mühle-

ren mit dem eigenen Hab und Gut machen musste, als

steins ermutigte, seine Liebe zu einem Kellner im Zür-

das Haus der Pedrettis im Januar 1951 in Samedan von

cher Hotel Dolder zu akzeptieren. Thomas Mann

einer Lawine verschüttet wurde. «Damals bekam ich

schrieb darauf den Essay «Die Erotik Michelangelo's».

Sammler im Aussendienst

ein zweites Leben geschenkt, das ich bis heute und so lange wie möglich nutzen will.»

Giuliano Pedretti öffnet eine wuchtige Holztüre nach

Konservativ oder Visionär?

der nächsten und zeigt volle Regale. 1989 begannen er

Ist ein Mann, der seit mehr als 20 Jahren ehrenamtlich

und die Mitgründer des Kulturarchivs Materialien und

Kulturgut zusammensucht, ein Utopist, ein Visionär? –

Dokumente im ehemaligen Sterbezimmer des Alten

«Nein, eher ein Konservativer. Aber nicht negativ reak-

Spitals in Samedan aufzubewahren. Die Resonanz war

tionär, sondern respektvoll gegenüber der Kultur und

gross, und schon nach zwei Jahren war der Raum zu

den Ahnen.» Seine Fundstücke bewertet er nicht selber,

klein geworden. Man konnte sich kaum mehr drin be-

dies sei Aufgabe der Wissenschaftler. Er wolle bloss ei-

wegen. Die Regale drohten einzustürzen. Seit 1991 ist

nen Blick zurückwerfen – und einen mutigen Blick in

das Oberengadiner Kulturarchiv nun in der Chesa

die Zukunft. Das macht er auch als Bildhauer. Seine

Planta zu Hause. Unterstützt wird die Institution von den

Skulpturen zeigen nie ein heimatlich-kitschiges Bild.

Gemeinden, dem Kanton und Bund, von Vereinsmitglie-

«Doch ohne Vergangenheit kann ich keine Geschichten

dern und Gönnern. «Ich bekomme Gänsehaut beim Ge-

erzählen. Jeder Baum braucht starke Wurzeln», sinniert

danken, dass dieses Archiv unsere Geschichte auf der-

er. Ein Baum, der weiter wachsen will: «Forschen hält

massen zuverlässige Art dokumentiert», sagt Pedretti.

mich fit im Kopf.»

Fürs Kulturarchiv ist er der Sammler, unterwegs, im

So ist Pedretti nach wie vor präsent, wenn Häuser abge-

«Aussendienst». Die Einheimischen vertrauen ihm. Er

rissen werden, redet an Beerdigungen mit den Angehö-

erinnert sich, wie er als Kind bei allen Familien im Dorf

rigen, sie sollten ja nichts wegwerfen, er schreibt oft

ein- und ausgegangen war. «Heute kenne ich allerdings

Kondolenzbriefe und überreicht Blumen oder Nusstor-

bald nur noch jene auf dem Friedhof.»

ten mit dem Vermerk, dass es das Oberengadiner Kultur-

Solche direkten Kontakte erfordern unzählige persön-

archiv gebe, das sich für Nachlässe sehr interessiere.

liche Beziehungen. Das könne sich eine grosse Institu-

«Hin und wieder erinnere ich sogar die eine oder den

tion wie das Staatsarchiv in Chur nicht leisten, ver-

anderen auf der Strasse daran, sie sollten langsam ans

gleicht er. Man arbeite aber gut zusammen und Silvio

Testament denken», schmunzelt Pedretti – immerhin

Margadant, der Leiter des Staatsarchivs, ist auch Vor-

selber auch schon 86 Jahre alt.


Das Magazin und seine Pionierin Vor 20 Jahren, im Winter 1990 / 1991, erschien piz als begleitende Programmzeitschrift des Lokalradios Piz Corvatsch. Sechs Jahre später übernahm Urezza Famos das Heft und veränderte es zu einem Kulturmagazin. Ein Besuch bei der engagierten Verlegerin.

Text: Angelika Overath Fotos: piz Archiv

I

n der Mitte des grossen Raums ein Küchenkubus: Wer

ckerhandel, eine Ziegenzucht mit Käseproduktion. Die

hier kocht, sieht gegen Süden auf die Schneegipfel der

Angestellten kamen aus Italien, Portugal, Jugoslawien.

Unterengadiner Dolomiten. Gegen Osten tiefe Sitz-

Und die Eltern sprangen zwischen Zucker und Ziegen,

möbel; nach Westen ein langer Esstisch mit alten Stuhl-

Küche und Direktion. Solch offenes, erfindungsreiches

persönlichkeiten, die einst an verschiedenen anderen

Arbeiten, bei dem alle mithalfen, muss die Tochter ge-

Tischen standen. Im abzweigenden Kinderzimmer eine

prägt haben. Heute sagt Urezza Famos: «Ich darf arbei-

freistehende, schalenförmige Badewanne; geknetete

ten. Arbeit ist Dasein, Leben, Familie, Freude.»

Elefanten liegen frischbemalt auf einer Bank. Der Raum

58

der Mutter ist kleiner, studentisch: ein Bett, ein Schreib-

Verkaufen, reisen und ein Neustart

tisch mit PC, aber von einem grossen, tiefblauen Bild

Sekundarschule in Tschlin, Gymnasium in Ftan, Ökono-

geht ein hypnotisierendes Strahlen aus. Es ist die japa-

miestudium in Zürich. «Mit 24 sollte ich in der von den

nische Lackarbeit eines Stipendiaten des Kunstzentrums

Eltern gegründeten «Acla da Fans» im Zollfreigebiet für

Nairs in Scuol. Durch immer wieder übermalte Schich-

drei Monate aushelfen. Aus den drei Monaten wurden 16

ten leuchten Gestirne tief aus dem Universum: Urezza

Jahre.» Sie sieht gegen die Berge. Ihre Augen sind eisblau,

Famos schläft unter dem Engadiner Nachthimmel.

die ungefassten Perlen in den Ohren schimmern.

In solchen Räumen ist alles möglich: Köchin sein, Mut-

«Aber ich bin immer gereist», sagt sie. «Weniger als Tou-

ter sein, Kulturmanagerin, Planerin, Editorin, Gastge-

ristin, ich war gerne auch Teilnehmende.» Mit Freun-

berin, Fundraiserin, Träumende.

den nach Afrika, Kenia, zu einem Wasserprojekt, in ein

Geboren 1962 in Martina, wuchs Urezza Famos als mitt-

Krankenhaus an den Victoriasee; nach Indien, weiter

leres von drei Kindern in einem vielnationalen, lebhaf-

nach Lhasa als Scout für ein anspruchsvolles Reiseun-

ten Familienbetrieb auf. «Martina, das war das Tor in die

ternehmen; Verkäuferin bei den Olympischen Spielen

Schweiz! Damals wurde die Grenze noch richtig zeleb-

in Los Angeles, mit einem Forscher durch Lappland auf

riert. Da kamen die grossen Busse aus Deutschland, Ös-

der Suche nach einem Käfer.

terreich; Reisende stiegen aus und kaufen sich hier ihre

Mit 40 Jahren entschied sie sich, aus dem Familienun-

ersten Schweizer Franken und atmeten Schweizer Luft.»

ternehmen «Acla da Fans» auszusteigen. «Ich wollte kei-

Am Grenzposten unterhielten Urezzas Eltern ein Hotel

nen Schnaps und kein Benzin mehr verkaufen. Oder

mit Restaurant, eine Wechselstube, einen zollfreien Zu-

Handcremes für 120 Franken. Ich hatte genug von die-

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011


sem Scheinluxus. Ich suchte Werte.» Sie begann ein

den USA. Und viele Sammler. «Qualität», sagt Urezza

Kulturmanagement-Studium in Basel. Mit 42 hatte sie

Famos, «wir müssen in diesem Land täglich um Quali-

den Master. Und war schon verabredet für ein Traum-

tät kämpfen.» piz soll formal wie inhaltlich an die Mass-

projekt in Zürich: die Leitung einer Agentur für Kultur

stäbe von guter Arbeit und nachhaltigen Werten erin-

und Kommunikation. Doch da wurde sie schwanger.

nern. Ihre Projekte bilden eine Familie. So kommuniziert

Das Glück hatte sie überrascht. Ihr langjähriger Le-

piz auch, was im Kultur-Hotel Vnà passiert, die Arbeit

benspartner und Kollege, der Architekt und bildende

der Stiftung Nairs in den historischen Trinkhallen oder

Künstler Christof Rösch, lebte wie sie damals schon in

Entwicklungen im Immobilienbereich. «piz schärft täg-

der Berggemeinde Sent oberhalb von Scuol. Doch das

lich meinen Blick auf die Region Südbünden neu», sagt

Paar behielt seine getrennten Wohnungen bei. «Wir

sie. Und Gäste, Stipendiaten, Kollegen, Freunde antwor-

brauchen viel Raum», sagt Urezza entschieden und lä-

ten auf piz, das immer wieder das Gespräch öffnet.

chelt unter dem exakt geschnittenen blonden Haar,

«Der Qualitätsverlust im Tal ist enorm. Da stehst du vor

und sie lasse sich auch gerne überraschen. Ein gemein-

einem neuen Haus, und es ist nur banal. Oder es wer-

samer Alltag stumpfe leicht ab.

den aus den besten Bauzellen Garagen gemacht.» Urezza Famos funkelt mit ihren gletscherblauen Augen:

Radioheft wird Kulturmagazin

«piz muss auch unangenehm sein können. Gerade

Urezza Famos ist keine Angestellte, keine Ehefrau, keine

denke ich an ein Heft mit dem Thema so nicht!»

Ja-Sagerin. Sie kann Widerstände aushalten, etwas wagen, beharrlich sein. «Ich möchte nicht mehr im Namen einer fremden Firma auftreten. Mit Christof, mit

Für Einheimische und Gäste

unserem Kind bin ich zu meinen Wurzeln ins Unteren-

«Wen interessiert das?» Verlag und Redaktion stellen

gadin zurückgekehrt. Hier möchte ich mit meiner

sich diese Frage immer wieder. Wenn wir zum Schluss

Stimme sprechen, für meine Projekte.»

kommen, dass ein Thema Einheimische und Gäste –

Früh erkannte Urezza Famos, dass im Radiomagazin piz,

am besten beide gleichzeitig – interessiert, packen wirs

erstmals erschienen im Winter 1990/91, ein Potenzial

an. Wir versuchen, die Messlatte hoch anzusetzen,

liegen könnte, Themen vorzustellen und zu diskutieren,

denn wir wissen: Es gibt viele Publikationen, die um

die spezifisch sind für die Tälerfamilie Südbünden. Als

Leserinnen- und Lesergunst buhlen – und um Werbe-

das Radio Piz Corvatsch keine programmbegleitende

gelder. Wir suchen neue Themen, abseits der touristi-

Zeitschrift mehr wünschte, übernahm sie das Label

schen Mainstream-Publikationen. Wir berichten we-

und strukturierte das Magazin um zu einem sozialpoli-

niger aus dem Ferienparadies, dafür mehr aus dem

tischen regionalen Kulturmagazin mit Porträts und

Lebensraum Südbünden, möglichst unabhängig. Hefte

Hintergrundreportagen. Es ist einzigartig in der Schwei-

voller PR- und Werbetexte gibt es genug. – Bekannte

zer Medienlandschaft. Urezza Famos, die sich vor allem

Autorinnen und Autoren unterstützen uns und wir

um Konzeption und Bildauswahl kümmert, arbeitet

sind stolz, dass wir immer wieder starke Bilder publi-

mit zwei Freelancern in Innsbruck und St. Gallen zu-

zieren dürfen, oft von namhaften Künstlern zur Verfü-

sammen, die für die Grafik und die Textredaktion zu-

gung gestellt – in dieser Nummer von Guido Baselgia.

ständig sind. Ein Verkaufsleiter in St. Moritz wirbt An-

Die Übernahme von piz war damals ein Sprung ins

zeigenkunden. piz, ein halbjährlich erscheinendes

kalte Wasser; dass wir uns 20 Jahre halten konnten,

Themenheft, hat heute eine Auflage von 30’000 Exem-

freut uns und wir danken: Ihnen, den vielen Inseren-

plaren; 1000 Abonnenten in der Schweiz und immer-

ten und der grossen Leserschaft.

hin 60 Abonnenten in Italien, Österreich, Holland und

Edition und Redaktion piz


BUCHER Geissenbub wird Geschäftsmann

Kranschiffwagenzieher

Arno Camenisch: Hinter dem Bahnhof, En-

Peter Schmid: Cla da Foggia – das Leben ei-

Peter Bichsel: La terra es raduonda. Übers.:

geler Editor, Fr. 25.–

nes Randulins, Südostschweiz Buchverlag.

Andry Dumenic, Illustr.: Rosemarie Schö-

Fr. 58.–

ningh. SJW-Hefte, Fr 6.–, www.sjw.ch

«Protocol, sagt mein

In der italienischen

Die Welt ist auch auf

Bruder. Bis wir durchs

Stadt Foggia führten

Vallader rund. Das wis-

ganze Dorf sind, haben

seine Eltern eine Patis-

sen wir alle. Auch der

wir fünfundzwanzig

serie. Doch Sohn Cla

ältere alleinstehende

Höuser gezählt, acht

war dort, im Süden, im-

Mann, von Peter Bich-

Heustalls, eine Autoga-

mer kränklich und so

sel erfunden, der sich

rascha, eine Töffgarascha, den Bahn-

beschloss die Familie, ihn bei den

die Zeit damit vertreibt, alles, was

hof mit der Poscht, zwei Brunnen mit

Grosseltern in Raschvella in der Ge-

er weiss, was er im Lauf seines

Jahreszahl, die Halla und die Buda

meinde Ramosch zu lassen. Fortan war

Lebens gelernt hat, noch einmal zu

vom Tat, eine Telefoncabina, den Ki-

er dort Cla da Foggia. Aus dem Jungen

überdenken. Beispielsweise die

osk der Mena und vier Abfallcontei-

wurde später ein Schmuggler, ein

Behauptung, dass die Erde rund sei.

ners.» – Der Autor Arno Camenisch,

Hotelier und schliesslich ein Geschäfts-

Bichsels Kindergeschichte erschien

*1978, aus der Surselva hat schon mit

mann. Cla Famos (1924–2007) war

erstmals 1969 und ist mittlerweile

seinem ersten Buch, dem zweisprachi-

aber auch ein begnadeter Geschichten-

ein Klassiker – nicht nur für Kinder.

gen «Sez Ner», für Aufsehen gesorgt.

erzähler. Der Publizist Peter Schmid

Nun gibt es sie auch als SJW- be-

Jetzt schreibt er Deutsch, so wie ihm

aus Vals setzt ihm mit einer Biografie

ziehungsweise als OSL-Heft. Andry

der Schnabel gewachsen ist. Oft muss

ein Denkmal. Er lässt Cla in der Ich-

Dumenic hat den Solothurner

man laut lesen, um die Wortbilder zu

Form erzählen und schiebt eigene Erleb-

Schriftstellerkollegen kongenial

entziffern: Cofferrums, Glasschiba,

nisse dazwischen. In den Randspalten

übersetzt – zungenbrecherische

Abcurzic und Cüalschrancs. Ein

erfährt man die zu den Kapiteln gehö-

deutsche Wortungetüme wie den

Buch, das von der Melodie der Spra-

renden Fakten. Illustriert ist das Buch

«Kranschiffwagenzieher» hat

che lebt und uns ins geliebte Bünd-

mit Fotos aus dem Leben von Cla und

er im romanischen Text in ganz

nerromanisch entführt.

mit Fotografien von Florio Pünter.

ordentliche Sätze aufgelöst. es

Die Stimmen des Windes

Auf dem fliegenden Teppich

In meinem Leben als Fuchs

Clà Riatsch: Die Stimmen des Windes. Zum

Dora Lardelli: The Magic Carpet – Kunstreise

Leta Semadeni: in mia vita da vuolp / In mei-

Engadin-Mythos bei Andri Peer, Societad Re-

zu den Oberengadiner Hotels, 1850–1914. Ins-

nem Leben als Fuchs. Chasa Editura Ru-

torumantscha, Cuira, Fr. 28.–

titut für Kulturforschung Graubünden und

mantscha, Cuira, 140 paginas, Fr. 32.–

Da cumprer: info@drg.ch ed illas librarias.

Kulturarchiv O’engadin, 2010, Fr. 119.–

Da cumprar in tuot las librarias.

Il cudesch «Die Stim-

Auf einem alten Pla-

Il nouv cudesch da poe-

men des Windes» da

kat, das auf einem

sias da Leta Semadeni,

Clà Riatsch preschainta

Engadiner Dachbo-

«In mia vita da vuolp»,

duos texts da prosa e

den lag, bereisen

reunescha 52 nouvas po-

nouv poesias dal

schön gekleidete

esias in rumantsch e

cuntschaint liriker en-

Hotelgäste die weite

tudais-ch. Scu cha il titel

giadinais Andri Peer (1921–1985).

Welt auf einem fliegenden Teppich.

indichescha, han las bes-chas ün’im-

Quists texts rumauntschs cun traduc-

Diese Darstellung gab dem Buch den

portanza particulara illa lirica da

ziun tudas-cha, per granda part dad

Titel. Es führt uns zu zahlreichen

Leta Semadeni. Adüna darcheu vain

Andri Peer svess, nun haun be ün

reich ausgestatteten, noch heute be-

observada e commentada quella

connex tematic cun l’Engiadina. Els

rühmten Hotels im Oberengadin

communicaziun mütta, divertenta,

stiliseschan la val chi dvainta uschè

zwischen Maloja und Zuoz. Wir er-

profuonda e difficila tanter ils umans

basa mitica d’üna lirica da la natüra

fahren, wie die Hotelpioniere für

e las bes-chas. Il muond poetic da

chi prouva da percepir ils suns e’ls

ihre anspruchsvollen Gäste die Häu-

Leta Semadeni es insolit, divertent e

messagis da las «vuschs dal vent e

ser ausstatten liessen. Wir erleben

vast. Sün e tanter las lingias as avran

vuschs da l’aua». I’l center da las ana-

eine Formenwelt, inspiriert von den

dimensiuns tranter il preschaint ed il

lisas sto la transfurmaziun d’üna

Griechen über die Römer, die Gotik,

passà, tanter zinslas d’algords, eveni-

mitologia tradiziunela dal paesagi in

die Renaissance, den Barock bis zum

maints reals e scenas da sömmi. La

üna mitologia poetica. Clà Riatsch

Jugendstil. Und wir erkennen auch

lectüra ans confruntescha cun il vast

demuossa scu cha l’ouvra dad Andri

zahlreiche Elemente aus der einhei-

dal muond e la stretta patria – ma

Peer oscillescha traunter tradiziun ed

mischen Tradition der Holzschnitze-

minchatant eir cun il stret dal muond

innovaziun. vmb

rei und der Sgraffitodekoration.

e la vastezza da la patria. rv

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

Illustration Rosemarie Schöningh

60

Dorfgeschichten


BUCHER Umziehen ins Ferienparadies

Starke Theaterbilder

Engadiner Geschichten

Ambitionierte Wanderungen

Angelika Overath: Alle Farben des Schnees.

Benjamin Hofer: La Regina da Saba. Foto-

Tiziana und Adriano Cavadini: Das

Peter Gujan, Gian Andrea Hartmann:

Senter Tagebuch. Luchterhand, München

dokumentation. Origen Festival Cultural,

Engadin – kurze Geschichte einer alpinen Welt.

Silvretta / Unterengadin / Münstertal.

2010, Fr. 32.90

7460 Savognin, 2010, Fr. 45.–

Verlag Desertina, Chur. Fr. 48.–

SAC Verlag, ca. Fr. 40.–

Alle haben wir Sehn-

Benjamin Hofer

Zuerst erschien «Pic-

Der neue Alpinführer

suchtsorte. Aber kann

(*1983) ist der

cola storia di un

der beiden bekannten

man dort zu Hause sein?

Hausfotograf des

mondo alpino» vor

Autoren und Alpinisten

Was geschieht, wenn

Origen Festivals.

zwei Jahren in Italie-

Peter Gujan und Andrea

eine Familie sich ent-

Seine Bilder ha-

nisch. Jetzt liegt das

Hartmann beschreibt

schliesst, von Tübingen

ben das Gesicht

Buch auch in Deutsch

die Berge der Silvretta

ins Unterengadin umzuziehen? Die

der Theater- und Konzertveranstalter

vor. Für die Autoren begann alles mit

von Klosters im Prättigau bis nach

hohen Berge, hinter denen schon

geprägt. Im Sommer 2010 spielte die

dem Kauf eines Hauses in Celerina.

Samnaun und ins österreichische

Italien liegt, sind nun Alltag, die Wie-

Truppe zuoberst auf dem Julierpass

Dieses Haus gehörte einst der Familie

Ischgl, die Unterengadiner Berge von

sen, die Bauernhäuser mit den Sgraf-

in der Freilichtaufführung «La Re-

Zaccaria Pallioppi und hat eine be-

Susch bis Martina, und er führt vom

fito-Fassaden, die alten Palazzi der

gina da Saba» – ein kraftvolles, nur

wegte Vergangenheit. Die Familie ist

Ofenpass nach Müstair. Dazu gehö-

Zuckerbäcker, die Brunnen. Sechs Mo-

von Musik und Geräuschen begleite-

weit über das Engadin hinaus bekannt,

ren auch die zahlreichen Wander-

nate im Jahr Schnee gehören ebenso

tes Tanzstück inmitten der wilden

Zaccaria und Sohn Emil veröffentlich-

möglichkeiten im Nationalpark. Die

dazu wie das Erlernen einer bedrohten

Natur. Hofer hat als Fotograf das Pro-

ten 1895 das «Dizioniari dels idioms

Auoren führen uns in oft unbe-

Sprache: Rätoromanisch. Wie buchsta-

jekt dokumentiert – von der ersten

Romauntschs». Das Buch beschränkt

kannte und unberührte Gebiete, zu

biert sich das Leben in der konkreten

Begehung über die Proben im

sich nicht auf die Geschichte des

einsamen Zielen in der wilden Na-

Utopie? Die Familie nimmt Neues

Schnee und die Aufführungen bis

Hauses und der Familie. Es schildert

tur. 327 Berggipfel und viele Pässe

wahr und wird neu wahrgenommen.

zum Verschwinden des ephemeren

auch das historische Umfeld: Von den

sind auf den 700 telefonbuchdünnen

Es ist möglich, sein Leben zu ändern.

Palastes. Eine Bildersammlung, ge-

Römern über die militärische Beset-

Seiten beschrieben. Alpines Wan-

Und vielleicht zeigt sich im andern

prägt von einem poetischen Blick

zung des Engadins und die Reforma-

dern vom Feinsten – samt Unter-

Land eine Schnittmenge Heimat.

und markanten Porträts.

tion bis zu den Auswanderungen.

kunftsmöglichkeiten.

piz 40 : Winter | Inviern 2010/2011

61


PIZZERIA Schulhaus ist jetzt Gemeindehaus Kaum hatten die Gemeinden im Bergell fusioniert, konnten Verwaltung und Politikerinnen und Politiker ins neue Gemeindehaus umziehen. In Bondo, wo früher Schüler und Schülerinnen unterrichtet wurden, werden nun die Tagesgeschäfte erledigt und hier tagt der Gemeinderat (Foto) unter dem Präsidium von Anna Giacometti. Aus den verstaubten Schulzimmern sind moderne Büros und Sitzungsräume geworden. Architekt Armando Ruinelli hat dem Schulhaus «die Novilon-Böden-Stimmung genommen», wie er kommentiert, und neue Elemente – zum Beispiel neue Türen – eingefügt, Alt und Neu gekonnt kombiniert.

Zuoz bekommt ein Theater Aus dem ehemaligen Hallenbad des Lyceums Zuoz wird ein öffentliches Theater. Die

den anonymen Studienauftrag. Ihr Projekt lehnt sich ans Shakespeare’sche «Globe Theatre» an. In das ehemalige Wasserbecken wird ein hölzernes Gerüst gestellt, das sowohl als Bühne als auch als Zuschauerraum funktioniert. Das Theater bekommt von der Strasse her einen neuen Eingang. An der Dachuntersicht sind die Werke Shakespeares reliefartig eingelassen.

Ehre für Scuoler Hotelier Hotelier Kurt Baumgartner ist «Bündner des Jahres 2010». Er wurde für sein «Charisma und seinen unbedingten Glauben an die Zukunft der Hotellerie im Alpengebiet» ausgezeichnet. Baumgartner führt und besitzt zusammen mit seiner Frau Julia seit 1999 die Hotels «Belvédère», «Belvair» und neu auch das

Grosse Projekte: Schloss Tarasp und die Wiederbelebung des Kur-Ensembles Nairs Die deutsche Familie von Hessen will Schloss Tarasp verkaufen. 15 Millionen Franken zirkulieren als Preis. Die Region Unterengadin will versuchen, dieses touristisch wichtige Gebäude zu kaufen. Dazu wurde im Herbst 2010 eine neue Stiftung gegründet. Präsidiert wird sie vom Churer Architekten Andrea Fanzun, einem Nachkommen der langjährigen Verwalterfamilie des Schlosses. Stiftungsräte sind Pietro Beritelli, Vizedirektor des Instituts für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus an der Universität St. Gallen, Grossrat Roland Conrad, Zernez, Guido Parolini, Präsident des Regionalverbandes Pro Engiadina Bassa (PEB), Hans Rutishauser, ehemaliger kantonaler Denkmalpfleger, und Mariangela Wallimann-Bornatico, frühere Generalsekretärin der Bundesversammlung. Die Stiftung erarbeitet zuerst ein Betriebskonzept, das nachhaltig und selbsttragend sein soll. Damit geht sie anschliessend auf Geldsuche. Die Gemeinde Tarasp hat dem Projekt bereits ihre finanzielle Unterstützung

Der rote Sekundenzeiger. Seit mehr als 20 Jahren ist die Uhrenmarke Mondaine für ihre hohe Qualität bekannt. Die Uhren mit dem roten Sekundenzeiger gehören zu den Designklassikern. Wer kennt sie nicht, die Schweizer Bahnhofsuhr. Obwohl technisch längst nicht mehr nötig, bleibt ihr Sekundenzeiger bis heute zu jeder vollen Minute kurz stehen – einst wurde so die Synchronisierung der Uhren erreicht. Seit einigen Jahren gibt es dieses Designstück auch als Armbanduhr oder Wecker. Die traditionsreiche Uhrenfirma Mondaine stellt sie exklusiv her. Die zwei neuen Modelle «Classic» und «Sport I» haben ein Edelstahlgehäuse mit strichmattierter Oberfläche und ein schwarzes Lederarmband. Beide neuen Modelle verfügen selbstverständlich über das Erkennungsmerkmal der Marke, den roten Sekundenzeiger. Mondaine-Uhren gibts im Fachhandel.

«Guarda Val» in Scuol.

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zugesichert. Bis im Mai 2012 muss die Stiftung der Familie von Hessen ein Angebot machen, andernfalls behalten sich die aktuellen Besitzer vor, das Schloss an Private zu verkaufen. In Nairs, dem Gebäude-Ensemble bestehend aus dem Kurhotel mit Bäderhaus und Trinkhalle, gab sich einst die europäische Haute-Volée die Klinke in die Hand. Adel und Bankiers, Industrielle und Ärzte erholten sich hier. Das Hotel heisst heute «Scuol Palace», das Kurmittelhaus ist zum Künstlerhaus und Kulturzentrum Nairs geworden und die Trinkhalle dämmert – von Steinschlag bedroht – geschlossen vor sich hin. Nun will die Region einen neuen Anlauf nehmen und das Gebäude-Ensemble reaktivieren. Für das Kulturzentrum und Künstlerhaus Nairs liegen Renovationspläne bereits vor. Dort soll auch das Kulturarchiv Unterengadin seinen Platz finden. Denkbar sind auch Veranstaltungen in der zurzeit geschlossenen Trinkhalle. Die Politiker und Touristiker haben es sich zum Ziel gesetzt, ans Thema «Wasser» und damit an die lange Tradition rund um die Quellen von Scuol und Tarasp anzuknüpfen.

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Zürcher Innenarchitekten Gasser, Derungs gewannen


PIZZERIA Hotel Waldhaus, Sils-Maria, Winterprogramm 2010/2011

Kinderkultur-Führer für St. Moritz

Details und Ergänzungen: www.waldhaus.ch 28. 12.

«Nietzsches Weihnachten und Neujahr».

9. 2.

Vortrag von Peter André Bloch. 3. 1.

«New York einfach». Cornelia Montani (Text, Akkor-

11. 2.

deon) und Daniel Schneider (Klarinette , Saxofon). 7. 1.

Chasper Ans Grass (1900–1963), Concierge im

18. 2.

Palace St. Moritz, Dichter und Prosa-Autor. Eine literarische Annäherung von Chasper Pult. 8. 1.

Blues und Jazz mit der Frankfurter Blues Blend.

10. 1.

Autorenlesung: Isabel Morf, «Schrottreif».

12. 1.

Streichquintette. Solisten des Sinfonieorchesters Engadin.

14. 1.

Film: «Glück am Abgrund». Dokumentation über

19. 2. 26. 2. 4. 3.

Burgunder Weingala mit Stefan Keller und

5. 3.

21. 1.

Buchpräsentation: Adriano Cavadini/Tiziana Cavadini

26. 1. 4. 2.

Sprachen den Jugendlichen

«Life is a Ball»: Jazz und Blues mit der Elias

den Ort und schildert was

Bernet Band aus der Ostschweiz.

Familien mit Kindern alles

Brahms, «Die schöne Magelone». Valentin Gloor (Tenor),

Interessantes unternehmen

Kathrin Bosshard (Erzählerin), Clau Scherrer (Klavier).

können. Der Leporello-

Chasper Pult begegnet Luis Stefan Stecher, dem

Führer kostet zehn Franken.

«Zürilieder». Samuel Zünd (Bariton), Rea Claudia Kos

Autorenlesung: Tim Krohn, «Der Geist am Berg».

Leben zwischen High Life und Pleiten». Musikalisch begleitet von Anna Trauffer. 18. 3.

Weltmusik: Michele Croce, Jonathan Schaffner, Curdin Janett (Fränzlis da Tschlin) und Maurizio Grillo.

21. – 25. 3. Fünf Kellergespräche mit Weinexperte Stefan Keller, Waldhaus-Weinmann Johannes Ermler u. Felix Dietrich.

Jazz: Das Franticek Uhlíc Team aus Prag und Sänger Lee Andrew Davison aus Oklahoma.

24. 3.

Boogie-Woogie, Blues und Swing: Pianist Silvan Zingg.

Jazz Night mit dem Dani Felber Quartett

28. 3.

Kammerphilharmonie Graubünden mit Bariton Samuel Zünd: Tanzschlager aus den 20er-Jahren.

und der Sängerin Laxmi Easwaran. 7. 2.

entstanden. Er erklärt in vier

«Menschen am Berg – Geschichten vom Leben ganz oben».

14. 3.

Canonica, «Kurze Geschichte einer alpinen Welt». Historisches Engadinbuch neu auf Deutsch erschienen.

kultur-Führer St. Moritz

Chasper Pult spricht mit Melanie Mühl, Autorin v.

Autorenlesung: Urs Althaus, «Ich, der Neger – Mein

Kurtág und Paul Juon. Dazu Lyrik von Luisa Famos. 24. 1.

Museums ist der Kinder-

Trek in Südpersien. Live: Sven Bösiger u. Patrick Kessler.

7. 3.

Kathrin von Cube (Viola), Franco Mettler (Klarinette) u. Risch Biert (Klavier) spielen Mozart, Schumann, György

woche des Engadiner

Stummfilm, 1925, über einen dramatischen Nomaden-

(Mezzosopran), Daniel Fueter (Klavier und Rezitation).

14 innovativen Winzern. 16–18 Uhr öffentliche Degustation. Am Abend «Wine and Dine».

Im Rahmen einer Projekt-

Michael van Orsouw mit einem Bühnenstück.

Maler und Wortkünstler aus dem Vinschgau.

den Architekten Armando Ruinelli, Soglio. 18. 1.

«Vill Lachen – Ohnewitz». Judith Stadlin und

«Die Städte-Rallye». Performance der Autoren

31. 3.

Konzert der «Fränzlis da Tschlin».

Judith Stadlin und Michael van Orsouw.

2. 4.

Konzert: Pippo Pollina. – Mehr auf www.waldhaus.ch

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Preis für Engadiner Handwerker.

Wintergrillsaison. Frische, kühle Bergluft, ein Platz auf 1650 Meter über Meer auf der verschneiten Sonnenterrasse, begleitet von wohlriechenden GrillDüften – so erwartet das Hotel «Paradies» in Ftan seine Gäste. Egal ob nach der morgendlichen Winterwanderung oder nach der Skiabfahrt: Immer mittags wird eingefeuert, und zwar draussen, auf dem «Cactus Jack Grill». Chef de Cuisine Martin Göschel und sein Team bereiten auf der heissen Glut Spezialitäten aus der Region zu: Engadiner Weiderind, Lammchops oder Steaks. Dazu gibts hausgemachte Chutneys und knuspriges Brot. Gut eingepackt in die kuscheligen Lammfelle geniesst man die Sonnenstunden und den einmaligen Blick auf die weisse Berglandschaft. Hotel Paradies, 7551 Ftan, www.paradieshotel.ch

Ehre für den in Lavin tätigen Künstler und Korbflechter Bernard Verdet. Er gewann den mit 10’000 Franken dotierten «Prix Jumelles 2010». Die Jury lobte den «begnadeten Weidenflechter» und würdigte den Mut des erfahrenen Gestalters, «sich eines Themas anzunehmen, das in unserer Gesellschaft tabuisiert und auch im Bereich des Kunsthandwerks bisher weitgehend ignoriert wird». Mit dem geflochtenen Sarg «Sarco» schaffe Bernard Verdet nicht nur ein würdiges, ästhetisch schlichtes und ökologisch unbedenkliches Gebrauchsobjekt, sondern rege auch zum Überdenken bestehender Normen, Konventionen und Gewohnheiten an (unten rechts). Für einen Preis nominiert war auch Alexander Curtius aus Scuol. Er stellt hölzerne Wohnskulpturen her, darunter eine aus Stämmen gehauene Liege. Curtius arbeitet im Zwischenbereich von Skulpturen und angewandtem Design (unten links).

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PIZZERIA

Die «Biosfera Val Müstair – Parc Naziunal» hat im Oktober von der Unesco das Biosphären-Label erhalten. Gleichzeitig wurde der fusionierten Gemeinde Val Müstair das Label «Regionaler Naturpark von nationaler Bedeutung» überreicht. Das Bündner Südtal setzt damit noch stärker auf sanfte und nachhaltige

Architektur aus Samnaun.

Vor fast 30 Jahren gründete Eugen Jenal sein Architekturbüro in Samnaun. Daraus wurde später eine Aktiengesellschaft und 2008 «AT7 Architektur». Das Büro beschäftigt heute zehn Mitarbeitende und eine Auszubildende. Die Architekten sind international tätig und haben sich auf Hotellerie und Wellness spezialisiert. Eines der jüngsten Projekte von «AT7 Architektur» sind der Umbau und die Erweiterung des Hotels «Gams» im Vorarlberger Ort Bezau. Hier wurde ein «Kosmos für die gehobene Zweisamkeit» gebaut. Im «Da Vinci Spa» geniessen die Gäste zwei neue Pools, den «HotSpot» und den «Cool-Pool». «Blütenschloss» und «Blütenkokon» laden zum verweilen ein. Im Innenbereich liegt der zwei Stockwerke hohe «Feuerraum», in dessen Mitte sich Sitzkissen rund um die grosse Feuerschale gruppieren. Doch auch der begehbare Weinturm im Eingang (Foto) oder die Unisex-WC-Anlage geben bei den Gästen zu reden …

Entwicklung.

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Münstertal: Zwei neue Labels

Chillout Riding bedeutet bewusst relaxen, die Natur geniessen und mit Freude und Genuss Ski fahren und snowboarden. Es geht dabei nicht um langsames, sondern um kontrolliertes, den Verhältnissen angepasstes und rücksichtsvolles Skifahren und Boarden, damit sich alle auf der Piste wohlfühlen. Die Initiative ChilloutRiding fördert die neue Einstellung, bei der bewusstes Entspannen und Wahrnehmen der Natur wichtig sind und bei der der Skisport mit Genuss und Freude verbunden sein soll. Bergbahnen, Tourismusverbände, Hotellerie, Skischulen und Rental Shops schliessen sich dafür zusammen und unterstützen diese Initiative. Mit dabei sind auch die Destinationen Engadin St. Moritz und Davos Klosters.

Neue Talstation Languard Die alten Infrastrukturen bei der Talstation Ski- und Sesselbahn Languard in Pontresina waren in die Jahre gekommen und für Gäste und Mitarbeiter der Lifte sowie Ski- und Snowboardschule Pontresina nicht mehr zeitgemäss. Zudem fehlte es an allen Ecken und Enden an Platz. Im Frühling 2009 stimmten die Einwohner von Pontresina anlässlich der Gemeindeversammlung dem Antrag des Gemeindevorstandes zu, das alte Betriebsgebäude durch einen Neubau zu ersetzen. Im Sommer 2010 wurde nun ein modernes Gebäude mit Restaurant und Aussichtsterrasse sowie Büros und Lagerräume für die Liftbetriebe und die Skischule realisiert. Der Betreiber des neuen Restaurants «Talstation Languard Beizli» ist die Pontresina Sports AG, welche auch den Skischulbetrieb vor Ort führt. Mit ihrem neuen Konzept «Kinderland» soll der Kinderlehrbereich für die kleinen Skifahrer und Snowboarder optimiert und auf einem Gelände zusammengeführt werden. Somit hat die Kinderskischule künftig im Dorf Pontresina nur noch einen Standort sowie eine Mittagsstätte direkt vor Ort für die Skischulschüler. Die neue Talstation ist inzwischen eröffnet.

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www.pontresina.ch

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piz 36 : Tradition und Moderne piz 37 : Jagd | Chatscha

piz 38 : Holz | Lain piz 39 : Nachbarn | Vaschins

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VORSCHAU / PREVISTA So nicht! | Uschea na! Ohne Wachstum kein Weiterkommen – das gilt für die Industrie genauso wie für die Dienstleistungen, samt dem Tourismus. Entwicklungen sind wichtig und sie sind so lange auch richtig, als sie nachhaltig sind und nicht unsere Lebens- und Einkommensgrundlagen zerstören. Die weitgehend vom Tourismus abhängigen Regionen Südbündens kennen das Problem nur zu gut – vor allem das Oberengadin mit seinem Bauboom. Aber auch im Kleinen, im Detail wäre mitunter ein «Stopp» angesagt. Immer wieder erschallt deshalb ein uschea na!, so nicht! piz wird in der nächsten Ausgabe solchen Halt-Rufen nachgehen. Wir nennen Sündenfälle und lassen Menschen und Fachleute zu Wort kommen, die die Weichen neu stellen wollen, die sich für eine nachhaltige Entwicklung ebenso einsetzen wie für die Landschaft.

IMPRESSUM Herausgeberin – editura Edition piz, Urezza Famos, Center Augustin, CH-7550 Scuol Tel. +41 (0)81 864 72 88, info@pizmagazin.ch Redaktion – redacziun Urezza Famos, René Hornung (rhg), redaktion@pizmagazin.ch Anzeigenverkauf – inserats E. Deck Marketing Solutions, Edmund Deck, Via Giovanni Segantini 22, 7500 St. Moritz, Tel. +41 (0)81 832 12 93, e.deck@bluewin.ch Produktion – producziun René Hornung, Eva Lobenwein Artdirektion, Grafik – grafica Eva Lobenwein, Innsbruck, www.dieeva.com Bildredaktion – redacziun da las illustraziuns Urezza Famos Bildbearbeitung – elavuraziun grafica TIP – Tipografia Isepponi, Poschiavo Korrektorat – correctorat tudais-ch Helen Gysin, Uster Copyright Edition piz, Scuol Druck – stampa Grafica Editoriale Printing Srl, Bologna, Italia

Foto: joexx / photocase.com

Autorinnen und Autoren, Fotos – auturas ed auturs, fotografias Valeria Martina Badilatti, *1981, aufgewachsen in Zuoz. Rätoromanisch-Assistentin an der Universität Zürich. Guido Baselgia, *1953, Fotograf, aufgewachsen in Pontresina. Lebte lange in Zug und heute in Malans. Mathias Balzer, *1967, geboren in Chur, aufgewachsen in St. Moritz. Theaterproduzent, Dramaturg und freischaffender Journalist in Chur. Gabriella Dissler, *1963, Autorin und Fotografin in Basel. Jürg Frischknecht, *1947, Journalist und Autor in Zürich.

Magazin für das Engadin und die Bündner Südtäler Magazin per l'Engiadina ed il Grischun dal süd

Köbi Gantenbein, *1956, Chefredaktor von «Hochparterre», der Zeitschrift für Architektur und Design, Zürich. Gregor Gilg, *1964, visueller Gestalter und Comic-Zeichner in Bern.

www.pizmagazin.ch

Kirill Golovchenko, *1974, geboren in Odessa. Studium in Mainz, wo er heute auch lebt.

Nr. 40, Winter | Inviern 2010 / 2011.

Ralph Hauswirth, *1948, Freier Künstler in Basel.

Erscheint zweimal jährlich. Auflage: 30’000 Ex.

René Hornung, *1948, Redaktor des piz Magazins. Arbeitet als freier Jour­nalist im «Pressebüro St. Gallen» und für «Hochparterre».

Abonnemente: Edition piz, CH-7550 Scuol. Zweijahresabonnement: Fr. 35.–

Gallus Hufenus, *1979, Radiojournalist und «Kaffeehaus»-Betreiber. Lebt und arbeitet in St. Gallen.

(exkl. Versandkosten und MwSt.). Das Abonnement ist mit

Ralph Hug, *1954, arbeitet als freier Jour­nalist im «Pressebüro St. Gallen».

einer Frist von zwei Mo­na­ten vor Ablauf kündbar. Ohne schriftli-

Isabelle Jäger, *1968, Redaktorin bei der Televisiun Rumantscha. Arbeitet und lebt in Scuol.

che Kündigung erneuert es sich automatisch um zwei Jahre. info@pizmagazin.ch

Daniela Kuhn, *1969, freie Journalistin. Lebt und arbeitet in Zürich. Angelika Overath, *1957, freie Autorin und Literaturkritikerin in Sent.

Nächste Ausgabe: Juni 2011

Michael van Orsouw, *1965, «Literarischer Allgemeinpraktiker» in Zug.

Für unverlangt einge­sandtes Text-, Bild- und Tonmaterial über-

Adriano Pedrana, 35 anni, da Livigno, si occupa di promozione turistica, giornalismo e traduzioni.

nimmt der Verlag keine Haftung. – Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion.

Cla Riatsch, *1956, professur per litteratura rumantscha, Univ. Turich. Balz Theus, *1940, freier Autor und Journalist in Küssnacht am Rigi.




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