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Sabine Scholl schreibt über Frauen im Krieg

Endlich deutsch sein in Grieskirchen!

In ihrem episodischen Roman „Die im Scha en, die im Licht“ erzählt Sabine Scholl von Frauen im NS-Regime

Aber stolz sind sie alle schon, dass ein Mann aus Oberösterreich der Allerwichtigste ist bei den Deutschen draußen“, denkt Traudi, bevor der Pfarrer sie dazu zwingt, ihren Vergewaltiger zu heiraten, weil der sie geschwängert hat.

Die Schneiderin Gretel wiederum wird am Tag des „Anschlusses“ von Euphorie ergriffen. „Endlich deutsch sein, sogar wir, hier in Grieskirchen, ohne was dafür zu tun.“

Es folgt ein harter Cut nach Paris: Die lebenslustige Francine kommt 1938 als Schauspielerin nach Babelsberg. Alle Juden werden vom Filmset entfernt, was sie vordergründig nervt, weil sie jetzt den nächsten Beleuchter für sich gewinnen muss. Die tiefer liegenden, widerständigen Motive des an die historische Figur der Arletty angelehnten Starlets entbergen sich erst im Lauf der Erzählung.

Über den Zweiten Weltkrieg ist auch literarisch schon viel gesagt worden. Scholls episodisch erzählter Roman lohnt die Lektüre nicht nur aus ästhetischen Gründen, sondern aufgrund seines Umgangs mit dem historischen Material. In vier Kapiteln legt die gebürtige Grieskirchnerin den Fokus auf neun Frauen, die zwischen 1938 und 1946 in den Mahlstrom der Geschichte geraten.

Bei allem Bekenntnis zum Feminismus geht sie dabei aber nicht so weit, ihre Protagonistinnen allesamt als Opfer darzustellen. So lässt sich etwa Huberta, eine angeheiratete Prinzessin, vom Gröfaz das Schloss Leopoldskron andienen, das man Max Reinhardt geraubt hat. Bei der Begegnung mit Hitler ist sie immerhin Snob genug, sich vor dessen schlechtem Deutsch, schlechtem Atem und schlechter Frisur zu ekeln. „Die im Schatten, die im Licht“ ist inspiriert von wahren Vorkommnissen und nahe an der historischen Realität, die Ausgestaltung verbleibt Fiktion. Dank akribischer Recherche kann Scholl bei der Zeichnung der Figuren und der Zeitumstände

Die Männer sind seitdem völlig rabiat. Als wären sie plötzlich noch wichtiger als sonst. Gibt’s jetzt mehr Freibier?“, fragt sich Traudi

Sabine Scholl: Die im Scha en, die im Licht. Roman. Weissbooks, 352 S., € 24,95

aber aus dem Vollen schöpfen. Die Episoden verbindet sie nach allen Regeln ihrer Kunst, etwa über die schmalzigen Filme und Schlager, die in immer härterem Kontrast zur Realität stehen.

Atmosphärisch dicht, mit gutem Blick für die Details, illustriert Scholl in den kurzen Texten die Lebensumstände der jeweiligen Erzählerin, und zwar stets im Präsens, denn keine ahnt, was kommt – auch nicht das verwöhnte, geliebte Kind Lotte, das noch gar nicht begriffen hat, warum es plötzlich rechtens ist, dass die Linzer Nachbarn ihr nach dem Leben trachten, und in Shanghai mit knapper Not die Kämpfe zwischen Japanern und Amerikanern überlebt.

Jede kann es treffen, auch die Schlossherrin und Goldhaubenfrau Vera, deren Mann in die Fänge der Gestapo gerät. Scholl erzählt von Opfern und Mitläuferinnen zwischen Grieskirchen, Texas und Shanghai, vom Schrecken und den Attraktionen des NS-Regimes.

Wobei der „Anschluss“ auch das Verhältnis der Geschlechter neu definieren wird: „Die Männer sind seitdem völlig rabiat. Als wären sie plötzlich noch wichtiger als sonst. Gibt’s jetzt mehr Freibier?“, fragt sich Traudi.

Gretel lässt sich zur KZ-Aufseherin ausbilden, weil im Krieg niemand mehr Geld für Näharbeiten ausgibt. „Aufpassen muss sie eh nur auf Frauen.“ Im KZ lernt sie die richtige Atemtechnik für das Brüllen von Befehlen, damit ist sie zuhause wieder wer. Anders die konvertierte Jüdin und Pastorenfrau Elsa, die ihren Selbstmord vorschützen muss, damit die Familie unbehelligt in Aussee leben kann – es ist nicht die Gestapo, die sie bedroht, es sind die Nachbarn.

Nach dem Krieg versuchen die Männer, ihr ramponiertes Selbstwertgefühl wiederzuerlangen, indem sie die Frauen demütigen. „So leben wir eben dahin mit Mördern“, stellt die Ausseer Widerstandskämpferin Rosi resigniert fest. Alle wollen im Widerstand gewesen sein, geredet wird nur über die Partisanen, die sich im Toten Gebirge versteckt haben, nicht aber über jene, die sie – o in weitaus größerer Gefahr – vom Tal aus versorgt hatten. „So sind wir Frauen nach und nach zu Schatten worden.“ Niemand hat etwas gewusst, jeder seine Pflicht getan, so wie Gretel, die zu Protokoll gibt: „Bei uns war o die gute Laune zu Haus.“

Scholl, die nach vielen Jahren in den USA, Japan, Portugal und Deutschland wieder in Wien lebt, ist eine Autorin, die Kunst und Engagement nicht trennen mag. Sie schreibt darüber, dass die Täter ungeschoren blieben, während man den von ihnen Ermordeten sogar noch das Andenken verweigert. Sie selbst ist Jahrgang 1959 und hat die eigene Wut über die Verschweigenszusammenhänge in ihre Programmatik einfließen lassen und unter dem Titel „Lebendiges Erinnern. Wie Geschichte in Literatur verwandelt wird“ in Form von Essays und Werkstattgesprächen vorgelegt.

Der Band empfiehlt sich als ergänzende Lektüre zum Roman. Wie es gelingt, Ethik und Ästhetik zusammenzubringen, erläutert Scholl anhand von 14 belletristischen Beispielen; etwa als Hommage an den großen Heimrad Bäcker, der sich als einer der Ersten poetisch mit der Tätersprache auseinandersetzte. Oder im Gespräch mit zeitgenössischen Autorinnen, die darüber Auskun geben, wie sie mit dem historischen Material umgehen.

Die Essays sind in klarer Sprache gehalten, das Fachpublikum hat davon wohl am meisten. Anders „Die im Schatten, die im Licht“: Es ist ein Buch, das man sich als Schullektüre im besten Sinne vorstellen möchte und am dringlichsten jenen empfohlen sei, die sich nicht zu deppert sind, sich gelbe „Ungeimp “-Sterne an die Brust zu he en.

DOMINIKA MEINDL

Dror Mishani

Ein verlassenes Neugeborenes, ein vom Erdboden verschluckter Mann und ein Ermittler, der entscheiden muss, was recht und was gut ist.

Der neue Krimi nach dem sensationellen Bestseller Drei.

Dror Mishani Vertrauen

Mehr auf: diogenes.ch/drormishani

Roman·Diogenes

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