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Fran Lebowitz, Kultkolumnistin

Zigaretten rauchen und auf Rache sinnen

Ein Band mit frühen Kolumnen macht klar, warum die einst von Andy Warhol entdeckte Kolumnistin Fran Lebowitz Kult ist

Erinnern wir uns an den guten alten Mark Twain. Und zwar weniger an den Autor von „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“, als an jenen Twain, der – ähnlich seinem auf der europäischen Seite des Atlantiks in einem völlig anderen Metier wirkenden Pendant Winston Churchill – mit seinen bissigen Bemerkungen und geistreichen Seitenhieben ganze Humor-Anthologien im Alleingang hätte füllen können. Einen hoffnungsvollen Jungdichter, der ihn um einen Kommentar zu einem Zweizeiler gebeten hatte, ließ Mark Twain etwa wissen: „Sehr nett trotz einiger langatmiger Passagen.“

Jede Zeit und jeder Ort hat seine klugen Clowns und seine glühend verehrten Schandmäuler. Die USA des 19. Jahrhunderts hatten Mark Twain. Das New York der Gegenwart (und des halben Jahrhunderts davor) hat Fran Lebowitz. Stößt man auf ihren Namen, dann meist in Kombination mit den Attributen „Kult“ oder „Ikone“. Es gibt Anlass zur Vermutung, dass man das Zeug zur Ikone von vornherein in die Wiege gelegt bekommt und es sich nicht erst mühsam aneignen muss. Bei Fran Lebowitz, New Yorker Schri stellerin, Humoristin, Schauspielerin und heiß begehrter Talkshow-Gast, dür e das jedenfalls der Fall gewesen sein, wiewohl ihre Wiege bei ihrer Geburt im Jahr 1950 in der eher bescheidenen Umgebung einer jüdischen Möbelhändlerfamilie in New Jersey gestanden hatte.

Ihr Stern ging auf, als sie, gerade erst der High School entwachsen und in New York als Putzfrau und Taxifahrerin zugange, begann, Kolumnen für Andy Warhols legendäre Zeitschri Interview zu schreiben. Seither strahlt dieser Stern über New York und leuchtet aufs Unterhaltsamste aus, was es im Big Apple zu kommentieren gibt. Wer Lebowitz heutzutage zuhören will, schaut sich am besten Martin Scorseses wunderbare Netflix-Doku-Serie „Pretend It’s a City“ aus dem Jahr 2021 an, in der Scorseses langjährige Busenfreundin die meinungsstarke Hauptrolle spielt und im Gespräch mit anderen New Yorker Größen – Scorsese selbst, Alec Baldwin oder Regisseur Spike Lee – ihre Ansichten zu allem und jedem kundtut: ebenso selbstbewusst wie stets ikonisch todschick in breitschultrige Blazer und Cowboystiefel aller Art gewandet.

Wie sich umgekehrt die junge Fran Lebowitz anhört, lässt sich trefflich anhand des Bandes „New York und der Rest der Welt“ nachvollziehen. Er versammelt Kolumnen, die sie im Alter zwischen Anfang 20 und Anfang 30 verfasst hat, sprich in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren. Üppige Zeiten in New York, voller Raubrittertum und exzessiver Lebensentwürfe. Als Chronistin mittendrin: Fran Lebowitz, die inbrünstig ihren beiden größten Leidenscha en frönt – „Zigaretten rauchen und auf Rache sinnen“.

Ungestört Zigaretten zu rauchen ist in New York mittlerweile genauso schwierig geworden wie überall sonst auch. In Lebowitz’ alten Kolumnen hingegen wird allenthalben getschikt und ausgiebig bis weit in den Nachmittag hinein geschlafen. Es wird über die Natur und Pflanzen gelästert, wie man es von einer kunstaffinen, jüdischen Großstadtpflanze erwarten darf. New Yorker Schri steller, Agenten oder Presseleute kriegen ihr Fett ab, während sich Fran Lebowitz selbst zu einer Art schreibendem Oblomov stilisiert, dessen Hauptattribute gepflegte Untätigkeit, Lektüre und spätabendliches Ausgehen sind.

Kinder sind in dieser Peergroup naturgemäß selten, obwohl sich selbst „innerhalb der bohemistischen Kreise hartnäckig kleine Inseln der Häuslichkeit halten“, die Lebowitz dazu anregen, auch Teenager, Kinder und Eltern mit ihren Ratschlägen zu versorgen. Haustiere? Fehlanzeige. Anstelle eines Haustiers rät Lebowitz zu einer Entourage. „Eine Entourage müssen Sie nicht

In Martin Scorseses NetflixDoku-Serie „Pretend It’s a City“ spielt Lebowitz die Hauptrolle und tut ihre Meinung zu allem und jedem kund

Fran Lebowitz: New York und der Rest der Welt. Deutsch von Sabine Hedinger und Wili Winkler. Rowohlt Berlin, 347 S., € 23,30

spazierenführen, im Gegenteil, eine der wesentlichen Funktionen einer Entourage besteht darin, dass sie Sie spazieren führt.“ Die Unerschwinglichkeit von Wohnungen in Manhattan ist ebenso Dauerthema wie konstantes LA-Bashing. Warum steht vegetarische Ernährung in Los Angeles so hoch im Kurs? „Ursächlich dafür scheint der Glaube zu sein, dass Obst und Gemüse aus biologischem Anbau Kokain schneller wirken lassen.“

Was die Themenauswahl anbelangt, geht es bei Fran Lebowitz also genauso zu, wie man es erwarten darf und wie es das Handbuch für rechthaberischen, fein beobachtenden Witz in der hochgebildeten, hardboiled New-York-Variante erwarten lässt. Wenn es um die Machart ihrer Texte geht, erweist sich Stilikone Lebowitz als Freundin von Punktelisten und kleinen Zusammenstellungen mit wohlformulierten Ratschlägen für alle Lebenslagen: Von „Mit ärmeren Personen warm werden“ über „Tipps für Teenager“ bis hin zu „Jeder hat das Recht zu tun und zu lassen, was ich für richtig halte“; wobei für Letzteres noch drei Kriterien schlagend werden: „Ist es attraktiv?“, „Ist es amüsant?“ und „Weiß es, wo es hingehört?“.

Der klassische Lebowitz-Ductus sieht eine geistreiche Einleitung aus einer Reihe von Bonmots, scharfen Beobachtungen und spitzen Anmerkungen vor, die schließlich in einen prototypischen Satz wie diesen münden: „Angesichts all dessen habe ich eine kleine Liste erstellt ...“ Die Oberlehrerin als Humoristin! Dabei ist Lebowitz extrem kurzweilig und, wie man nostalgisch feststellen möchte, politisch erfrischend unkorrekt, gegen den Strich gebürstet, selbstironisch und so geistreich, dass man einzelne ihrer Sätze am liebsten in Schönschri abmalen, rahmen lassen und sich an die Wand hängen würde. ILLUSTRATION: GEORG FEIERFEIL

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