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Von Trüffelhund und Auerochs

Dokumentarfilme, die sich nicht über ihr Thema, sondern ihre Form definieren, sind eine gefährdete Spezies. Bei der

Einer der Jäger hat überhaupt keinen Spaß mehr an der Trüffelsuche. Als der Händler ihn auf seinem Hof besucht und zum Weitermachen überreden will, ist er nahe dran, ihm das Hackbeil nachzuwerfen. Denn er weiß genau, dass dieser die mühsam gefundene Knolle um den vielfachen Preis an reiche Unternehmer verkauft. Also an genau die Leute, die mit ihrer Gier seine Arbeit zu einem gefährlichen Geschäft gemacht haben – zumindest für seinen Hund, ohne dessen feine Nase keine Trüffel gefunden würden. Nur das Gift in den ausgelegten Ködern kann er nicht riechen. Später setzt sich der Verweigerer in seinem kargen Häuschen an den Tisch und hackt statt Holz eine letzte Erklärung in seine alte Schreibmaschine.

Keiner der Männer, die seit vielen Jahren mit ihren Hunden die Wälder des Piemont nach der begehrten weißen Alba-Trüf-

RUNDBLICK: MICHAEL PEKLER

„The Truffle Hunters“

Gartenbau: So, 1.11., 19 Uhr Blickle Kino / Le Studio / Admiralkino / Votiv / Filmcasino: So, 1.11., 20.30 Uhr Urania / Filmmuseum / Metro Kinokulturhaus / Stadtkino im Künstlerhaus: So, 1.11., 21 Uhr (OmU) fel durchstreifen, ist jünger als 70. Jedenfalls keiner von denen, die in „The Truffle Hunters“ als Protagonisten auftauchen. Und alle wirken sie erwartungsgemäß verschroben, als ob das Eigenbrötlerische die Voraussetzung für die Trüffeljagd sei.

Das macht „The Truffle Hunters“ zu einem melancholischen und gleichzeitig humorvollen Film, weil die Suche als ehrbare – und schon deshalb vom Aussterben bedrohte – Arbeit dargestellt wird; einem alten Handwerk gleich, bei dem die Verbundenheit zwischen Mensch und Tier den Ausschlag für den Erfolg gibt. Humorvoll deshalb, weil man den alten Käuzen gerne dabei zusieht, wie sie ihre Schrulligkeit ausleben.

Gerade weil die Viennale dazu übergegangen ist, Dokumentarfilme in ihrem Festivalprogramm nicht mehr als solche auszuweisen, ist es sinnvoll, auf diese besonders hinzuweisen. Während ein Großteil des Spielfilmprogramms nämlich gut und gerne auch einen regulären Kinostart erleben könnte, sehen sich Dokumentarfilme ebendort von fernsehtauglichen Dokumentationen über Klima, Globalisierung und Donald Trump längst an den Rand gedrängt.

Dabei ist ein Film wie „The Truffle Hunters“ keineswegs ein kleiner Film aus Norditalien, sondern – und das sieht man ihm auch an – eine von Sony Pictures vertriebene US-amerikanische Produktion (Regie: Michael Dweck, Gregory Kershaw), die sich auch deshalb bereits als internationaler Festivaldarling erwiesen hat. FOTOS: VIENNALE (3)Herausragende dokumentarische Arbeiten im Viennale-Programm, wie Frederick Wisemans viereinhalbstündiger neuer Film „City Hall“ über die Bostoner Stadtregierung oder John Gianvitos von der Schrift stellerin und Sozialistin Helen Keller ins-

Was „The Truffle Hunters“ (l.), „Her Name Was Europa“ (o.) und „The Two Sights“ (u.) verbindet, ist eine dokumentarische Vielfalt, wie sie nur noch im Kino zu finden ist

VON TRÜFFELHUND UND AUEROCHS

Viennale sind einige herausragende Beispiele zu sehen

piriertes Werk „Her Socialist Smile“, haben aufgrund ihrer sogenannten Sperrigkeit oder nicht kompatiblen Länge keine solche Chance.

Eben das trifft auch auf die kanadischbritische Produktion „An dà shealladh/The Two Sights“ von Joshua Bonnetta zu, gefilmt auf der vor der Westküste Schottlands gelegenen Inselgruppe der Äußeren Hebriden.

Wobei der Ausdruck „gefilmt“ nicht so recht passen will zu diesen Bildern, die im Laufe zweier Jahre entstanden sind. Im Abspann bezeichnet Bonnetta, der auch für Kamera, Montage und Ton alleinverantwortlich zeichnet, das Ergebnis als „Sammlung“, und tatsächlich haben die rauen, mitunter nahezu experimentell anmutenden 16-mmLandschaftsaufnahmen von Buchten, Stränden, Klippen und Gräsern mit Aufnahmen, wie man sie aus konventionellen Naturdokus kennt, nichts zu tun. Hier geht es nicht um die Schönheit der Natur, sondern um ihr Wesen. Und ausnahmsweise nicht darum, was der Mensch aus der Natur macht, sondern sie mit ihm.

Zu Beginn des Films sieht man aus einiger Entfernung, wie Bonnetta ein riesiges Mikrofon auf einem windumtosten Hügel aufbaut (und am Ende wieder mitnimmt), so als ob die schiere Aufzeichnung der Töne und Geräusche ihr natürliches Geheimnis offenbaren könnte. Unweigerlich denkt man an Joris Ivens’ phänomenalen Versuch, mit „Eine Geschichte über den Wind“ die Unsichtbarkeit des Windes für das Kino festzuhalten.

Zum Gekreische der Möwen und dem Gemurmel des Wassers kommen bei Bonnetta die auf Gälisch und Englisch eingesprochenen Erzählungen der Bewohner hin-

„An dà shealladh / The Two Sights“

Le Studio: Fr, 23.10., 20.30 Uhr Blickle Kino: Mi, 28.10., 21 Uhr (OmU/ OmenglU)

„Her Name Was Europa“

Filmmuseum: Fr, 23.10., 21 Uhr Metro Kinokulturhaus: Sa, 24.10., 19.15 Uhr und So, 25.10., 19 Uhr (OmenglU) zu. Ohne sie zu Gesicht zu bekommen, hören wir ihre oft mysteriösen Geschichten, die auf das Geheimnis des titelgebenden „zweiten Blicks“, auf etwas Verborgenes verweisen: vom Dorf unter Wasser, aus dem die Taucher Stimmen zu vernehmen glauben; vom todkranken Mann, der noch ein letztes Mal mit seinem monatelang zur See fahrenden Sohn sprechen wollte; vom Mann, der mit Blei um den Hals ins Wasser ging; oder vom gestrandeten Wal, der an seinem eigenen Gewicht starb.

Vielleicht ist die größte Qualität dieses Films, dass er sich, anders als „The Truffle Hunters“, eines Themas im herkömmlichen Sinn entschlägt. „The Two Sights“ handelt nicht von der Natur oder den Bewohnern einer abgeschiedenen Inselgruppe, sondern von einer originär filmischen Idee: Farbe, Geräusch, Rhythmus, Licht und Bewegung.

Man könnte jetzt pathetisch formulieren und behaupten, dass Dokumentarfilme in Zeiten wie diesen, in denen die Unterscheidung zwischen falschen Wahrheiten und Tatsachen mancherorts eine unüberwindbare Hürde darstellt, wichtiger seien als je zuvor. Das würde aber nicht stimmen, denn der Dokumentarfilm verfährt mit der Wirklichkeit ähnlich wie der Steinmetz mit dem Granitblock, aus dem er etwas herausschlägt. Und es ist nicht Aufgabe des Dokumentarfilms, ein offensichtlich vorhandenes Bedürfnis nach Information – über Natur, Geschichte, Umweltschutz oder Politik – zu erfüllen. Denn das Kino dient nicht der Information, sondern der Reflexion.

In „Her Name Was Europa“ von Anja Dornieden und Juan David González Monroy ist es das Nachdenken darüber, wie man einen Film über etwas drehen kann, das unsichtbar, weil bereits verschwunden ist: den Auerochsen. Statt eines spektakulären Wiederansiedlungsprogramms beobachtet man also eine Handvoll Wissenschaftler auf genetischer Spurensuche.

Das klingt spannender, als es ist, weil Dornieden und González Monroy bewusst auf dramaturgische Entschleunigung setzen: zweckdienliche Hinweise werden auf 16-mm-Schwarzweißfilm mittels bedruckter Folie ins Bild geschoben. Und hat sich im niederländischen Labor zufällig Dreck auf dem Negativ festgesetzt, muss man sich dieselbe Szene eben noch einmal anschauen. „Her Name Was Europe“ verliert das „Tauros-Programm“ genannte Experiment denn auch irgendwann aus den Augen, besucht einen Modellator, der einen Auerochsen zusammenbaut, eine auf Rinderzeichnungen spezialisierte Illustratorin oder berichtet vom Berliner Zoodirektor Lutz Heck, einem Freund Hermann Görings, der in den 1920er-Jahren von einem „Rückzuchtprogramm“ fantasierte.

Was „The Truffle Hunters“, „The Two Sights“ und „Her Name Was Europa“ exemplarisch verbindet, ist eine dokumentarische Vielfalt, wie sie nur noch im Kino zu finden ist. Einem Trüffel suchenden Hund eine Kamera umzuschnallen, auf einer Atlantikinsel ein Mikrofon aufzubauen oder die Bullenparade im osthessischen Hilders zu besuchen ist weniger eine Frage des Themas als vielmehr eine des Zugangs zur Wirklichkeit. F

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