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Bildung an Schule und Hochschule im Kontext gesellschaftlicher Diversität von Susanne Burren

Bildung an Schule und Hochschule im Kontext gesellschaftlicher Diversität

Pädagogisches Handeln ist stets auch ein Handeln in Differenz- und Ungleichheitsverhältnissen. Dem gilt es sowohl in der Schule als auch bei der Ausbildung von Lehrpersonen und pädagogischen Fachpersonen Rechnung zu tragen.

Von Susanne Burren

Gesellschaft ist heute in verschiedener Hinsicht durch Diversität geprägt. Der Begriff der Migrationsgesellschaft verweist darauf, dass die gegenwärtige gesellschaftliche und individuelle Wirklichkeit grundlegend durch Migration beeinflusst ist und Menschen sich zunehmend in transnationalen sozialen Räumen bewegen. In die damit beschriebenen gesellschaftlichen Verhältnisse ist die Schule strukturell eingebunden. Differenzverhältnisse aufgrund von Migration, Geschlecht, sozialer Herkunft, Behinderung und anderen Ungleichheitskategorien wirken auf Bildungsprozesse ein, wobei die jeweiligen Kategorien zueinander in Wechselwirkung stehen und sich gegenseitig verstärken oder allenfalls auch reduzieren können (Intersektionalität). Mit Ungleichheitskategorien sind dabei nicht Verschiedenheiten generell gemeint, sondern solche, die in besonderem Masse Diskriminierungspotenziale und Chancenungleichheit nach sich ziehen.

Fachunterricht und Fachdidaktiken im Fokus

Die bildungswissenschaftliche Genderforschung zeigt, wie Geschlechtervorstellungen auch unintendiert in den Fachunterricht einfliessen können. Schulisches Lernen ist oftmals nicht geschlechtsneutral, sondern stützt geschlechtsbezogene Normierungen, Hierarchisierungen und Ausschlüsse. Dies beispielsweise, wenn in naturwissenschaftlichen Lehrmitteln weibliche Vorbilder weitgehend fehlen oder wenn Geschlechterstereotypen die Leistungserwartungen im Mathematikunterricht beeinflussen. Ungleichheiten und Differenzvorstellungen prägen demnach sowohl das fachliche Lernen als auch die in der Schule weitervermittelten Wissensbestände und werden auf diese Weise sozialisationsrelevant. Dies steht im Widerspruch zum pädagogischen Gleichstellungsauftrag. Um hier Veränderungen zu bewirken, wäre auch bei der fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Ausbildung zukünftiger Lehrpersonen anzusetzen. Im Themenfeld Gender und MINT werden zunehmend Überlegungen hierzu angestellt. In anderen Bereichen steht diese Diskussion noch eher in den Anfängen. Die Dozentinnen Karolin Heckemeyer und Susanne Störch Mehring stellen in diesem HEFT eine von ihnen durchgeführte Seminarveranstaltung vor, die dieser Frage für die Sportdidaktik genauer nachging. In Projektarbeiten setzten sich die Studierenden damit auseinander, wie Körperkonzepte und Leistungsvorstellungen im Sportunterricht mit Normalitätsvorstellungen über Geschlecht und Behinderung verbunden sind (vgl. Box Seite 46).

Fragen zum pädagogischen Können

Wie die Geschlechterforscherin Barbara Rendtorff im Buch «Bildung – Geschlecht – Gesellschaft» bemerkt, birgt Bildung nicht nur die Problematik in sich, traditionelle Rollenbilder weiter zu transportieren, sondern auch die Möglichkeit, diese zu verändern. Um solche Veränderungen bewirken zu können, sei es notwendig, Denkgewohnheiten zu durchbrechen und damit zusammenhängende Routinen der Vereindeutigung in Frage zu stellen. Darüber, was dies für die Lehrpersonenausbildung bedeuten könnte, wird zurzeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln diskutiert.

Präzisierungen hierzu finden sich beispielsweise im Sammelband «Pädagogisches Können in der Migrationsgesellschaft» von Aysun Dog˘mus¸, Yasemin Karakas¸og˘lu und Paul Mecheril. Die darin ausgeführten migrationspädagogischen Überlegungen erlauben Einsichten, die auch für die Übertragung auf weitere Ungleichheitskategorien aufschlussreich sind. Zwei Aspekte sind hierbei zentral: Zum einen beurteilen die Autor*innen Ansätze als problematisch, die auf eine Förderung von «Menschen mit Migrationshintergrund» abzielen. Diese seien oftmals auf Defizitkompensation ausgerichtet und würden damit einer elementaren Anforderung nicht gerecht: Veränderung sollte nicht bei der jeweiligen Zielgruppe (beispielsweise Mädchen, Migrant*innen, Kinder mit Behinderungen) ansetzen, sondern alle Beteiligten sowie den jeweiligen institutionellen Rahmen miteinschliessen.

«Ungleichheiten und Differenzvorstellungen prägen sowohl das fachliche Lernen als auch die in der Schule weitervermittelten Wissensbestände.»

Zum anderen wird auf die Anforderung verwiesen, Differenzverhältnisse als strukturierende Grösse von Bildungsprozessen zu erkennen. Lehrpersonen sollten über kritisch-reflexive Fähigkeiten verfügen, die es ihnen erlauben, zu rekonstruieren, wie Kinder und Jugendliche in pädagogischen Settings zu «Anderen» gemacht werden. Dies bedeutet auch, zu erkennen, welche Muster den eigenen Unterscheidungen zugrunde liegen und diese immer wieder auf deren Angemessenheit hin zu befragen.

Im Kontext von Diversität sind Lehrpersonen dazu aufgefordert, Normalitätsannahmen kritisch zu hinterfragen und daraus zu gewinnende Irritationen für Lern- und Bildungsprozesse fruchtbar zu machen. Solche Perspektiven sowie das damit verbundene pädagogische Können sind elementar für eine am Prinzip der Chancengerechtigkeit ausgerichtete pädagogische Praxis.

SUSANNE BURREN ist Leiterin Fachstelle Gleichstellung und Diversity der PH FHNW.

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