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CHANGE MANAGEMENT
CHANGE MANAGEMENT – DEN WANDEL AKTIV GESTALTEN
Unsere Coverstory zum Thema Wandel wirft einen Blick auf gesellschaftliche Schieflagen und Chancen, auf Krisenmanagement, den Umgang mit Veränderung und natürlich auf die aktuellen Herausforderungen, denen wir uns als Hochschule aktiv stellen.
VON MARK HAMMER
Technische und gesellschaftliche Veränderungen stellen derzeit vieles auf den Kopf, was bisher als gegeben galt, und eröffnen Möglichkeiten, die vor 10, 20 Jahren noch niemand erträumt hätte. Wer wirtschaftlich am Ball bleiben möchte, muss sich heutzutage schon etwas einfallen lassen.
„Die einzige Konstante ist die Veränderung. Stabilität gab es im Wirtschaftsleben nie, und sie ist gerade heute eine Illusion. Traditionelle Geschäftsmodelle, Technologiestandards von heute und etablierte Produkte bzw. Dienstleistungen konnten immer nur entstehen, weil wir einem ständigen Transformationsdruck unterliegen“, sagt Susanne Roiser. Sie leitet das neue Department Digital Business und Innovation (ehemaliges Department Medien und Wirtschaft) an der FH St. Pölten. Es legt einen Fokus auf betriebswirtschaftliche Kernthemen in Zusammenhang mit Digitalisierung und Innovation.
Vorherrschende Designs und Lösungen sind Roiser zufolge nur so lange „State of the Art“, bis eine bessere ZweckMittelKombination den Markt (aus ökonomischer Sicht der Zweck) oder die Problemlösung (Mittel) gänzlich umstrukturieren. Jedes (etablierte) Unternehmen sei daher über kurz oder lang von Umstrukturierungen – einem „Change“ – betroffen.
Daraus ergeben sich auch neue Möglichkeiten. Aber: „Eine Krise ist nicht automatisch die vielzitierte Chance, sie zeigt jedoch auf, was möglich ist“, sagt Gerd Valchars. Der Politikwissenschaftler hat gemeinsam mit der
Eine Krise zeigt auf, was möglich ist.
Dr. Gerd Valchars, Politikwissenschaftler und Mitgründer von umbruch.at
Kulturwissenschaftlerin Judith Kohlenberger, dem Rechtswissenschaftler AdelNaim Reyhani und dem Sozialunternehmer Adib Reyhani die OnlineDiskursplattform umbruch.at gegründet. Die Idee zu dieser Initiative entstand während einer TwitterDiskussion der genannten vier. Sie wollten das Zeitfenster der Krise nutzen, um ein breit angelegtes Gespräch über gesellschaftliche Visionen und Utopien in Gang zu bringen. Das Forum umbruch.at will dazu Kräfte aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft,
FEUER Seit wann der Mensch das Feuer nutzt, ist nicht sicher geklärt, aber die ältesten Funde von Feuerstellen dürften 1,5 Mio. Jahre alt sein, erste Zündutensilien gab es vor 35.000 Jahren.
Zum Thema „Innovationen, die die Menschheit veränderten“, „die Top-10-Innovationen der Geschichte“ oder „bahnbrechende Erfindungen, an die keiner geglaubt hat“ gibt es unzählige Sammlungen. Hier ein kleiner Ausschnitt.
DAMPFMASCHINE Veränderte die Welt ab dem 18. Jahrhundert.
COMPUTER Die mechanische Rechenmaschine „Analytical Engine“ von Charles Babbage und Ada Lovelace aus dem Jahr 1837 gilt als Vorläufer heutiger Computer. LANDWIRTSCHAFT Der systematische Anbau von Pflanzen begann wahrscheinlich vor 9.000 bis 12.000 Jahren.
BUCHDRUCK Entwickelt 1458 von Johannes Gutenberg. RAD Vermutlich bereits 3500 v. Chr. von den in Mesopotamien lebenden Sumerern genutzt.
INTERNET 1969 startete das Internet mit dem ARPANET (Advanced Research Projects Agency), das zunächst die Großrechner von Universitäten und Forschungseinrichtungen vernetzte. Die Grundlagen des World Wide Web entwickelte der Forscher Tim Berners-Lee 1989 am Forschungszentrum CERN.
Weitere Angebote aus dem historischen Innovationsladen mit bahnbrechendem Potenzial sind Brille, Textilien, Schießpulver, Glühlampe, Kompass, Fernseher, Telefon, Elektrizität, Flugzeug, Automobil, Keramik, Schrift, Papier, Kalender, Wein und Brot. INSTAGRAM UND TIKTOK Die Küken der Social Media – aus dem Ei gekrochen 2010 bzw. 2016
Medien, Kunst und Kultur bündeln. Mit Erfolg: Über 30 Beiträge mit Gedanken zur aktuellen Situation, utopischen Entwürfen und Visionen für die Zeit nach Corona sind bereits erschienen.
„Wie ein Vergrößerungsglas zeigt eine Krise Probleme, die es auch vorher schon gab, die aber deutlicher zutage treten, zum Beispiel Ungleichheiten“, sagt Valchars. Als konkretes Beispiel nennt er das Homeoffice: Wer eine große Wohnung, Garten oder Balkon hat, kann leichter im Homeoffice arbeiten; wer vor der Krise schon beengt wohnte, tut sich schwerer. Dazu kommt: Wer im Homeoffice arbeiten kann (oder muss), ist oft ohnehin schon privilegiert. Andere, die zum Erhalt gesellschaftlicher Systeme vor Ort gebraucht werden, setzen sich einem Gesundheitsrisiko aus. Beim Homeoffice schließt sich auch der Kreis zwischen verschiedenen Veränderungstendenzen: Das Arbeiten daheim wird erst durch digitale Technik möglich und liefert nun einen Digitalisierungsschub, mehr Homeoffice entlastet das Klima durch weniger Verkehr, führt aber auch zu sozialer Distanz (siehe auch Interview Seite 20).
DER WANDEL AN HOCHSCHULEN
Hochschulen waren von Corona stark betroffen. Es war und ist kein Leichtes, die Fernlehre ohne Mitarbeiter*innen vor Ort über längere Zeit aufrechtzuerhalten. Mit Digitalisierung, Wandel und Veränderungsprozessen befassen sich Hochschulen ständig. Sie erforschen
Hochschulmanagement ist ein ständiger Change. Auch von den Lehrenden braucht es eine große Bereitschaft, sich selbst ständig zu verändern, sich didaktisch und technisch weiterzuentwickeln. Traditionelle Geschäftsmodelle, Technologiestandards von heute und etablierte Produkte bzw. Dienstleistungen konnten immer nur entstehen, weil wir einem ständigen Transformationsdruck unterliegen.
Mag. Dr. Susanne Roiser, MA, Leiterin des Departments Digital Business und Innovation sowie stellvertretende Kollegiumsleiterin der FH St. Pölten
Lösungen für gesellschaftliche Probleme, passen sich an internationale Entwicklungen und technische Neuerungen an und müssen ihre Lehre und Forschung ständig hinterfragen und adaptieren.
Laut Gernot Kohl, dem Geschäftsführer der FH St. Pölten, stehen Hochschulen aktuell auch unabhängig von Corona vor einer Reihe an Herausforderungen. Eine davon ist der „War of Talents“: Das heißt, ausgezeichnete Mitarbeiter*innen zu finden, zu halten und ihnen Perspektiven zu geben. Die FH St. Pölten unternimmt vieles in diese Richtung. Sie hat ein EmployerBrandingProjekt gestartet, nimmt an der europäischen Human Resources Strategy for Researchers (HRS4R) teil und unterstützt Doktorats und Habilitationsprojekte. Auch der Wettbewerb um Forschungsmittel werde härter. Werden die Töpfe neu und gleich hoch dotiert, wenn Regierungen nach Corona sparen müssen? „Finanziell stehen Fachhochschulen schon jetzt vor großen Herausforderungen. Eine Anpassung der Studienplatzfinanzierung ist überfällig. Im Hochschulvergleich ist der FHSektor deutlich unterfinanziert. In den nächsten Jahren wird der Wettbewerb um die besten Studierenden härter werden: Die Angebote werden immer mehr, die Studierendenzahlen gehen zurück“, erklärt Kohl.
Große Veränderungen brauchen laut Kohl eine klare Vision und Strategie sowie eine konsequente Umsetzung. „Die FH St. Pölten hat sich in den letzten Jahren qualitativ und quantitativ stark entwickelt, unter anderem durch die Beteiligung am weltweit größten Blockchain Zentrum, dem Austrian Blockchain Center (ABC)“, sagt
Buchtipp
Wie Transformation gelingt
Ökologische und soziale Probleme gibt es heutzutage viele. Aber wer kann sie lösen, und warum? Das Buch der deutschen Transformationsforscherin Kora Kristof untersucht Erfolgsfaktoren für den nachhaltigen Wandel und erläutert, wie diese praktisch genutzt werden können. Dabei geht es ihr zum einen um (Selbst-)Reflexion als wichtige Grundhaltung und um zentrale Kompetenzen – beispielsweise Widerstände zu nutzen, statt sie zu bekämpfen, oder adäquat mit Zeitaspekten umgehen zu können. Zum anderen stellt Kristof Muster erfolgreicher Veränderungsprozesse ins Zentrum. Sinnvoll kann es zum Beispiel sein, Veränderungen zunächst in kleinem Maßstab zu testen oder Innovationen mit Exnovationen zu verbinden, also Neues mit dem Ausstieg aus Altem.
Die Dipl.-Volkswirtin Kora Kristof leitet die Abteilung „Nachhaltigkeitsstrategien, Ressourcenschonung und Instrumente“ am deutschen Umweltbundesamt.
Wie Transformation gelingt: Erfolgsfaktoren für den gesellschaftlichen Wandel. Kora Kristof, 2020 Oekom, München, 216 Seiten, ISBN 978-3-96238-132-5 Buch 26,00 €, PDF 20,99 €, auch als E-Book erhältlich
Kohl. Solche Kooperationen finden jetzt ganz neue Rahmenbedingungen und neue Vertragskonstellationen mit anderen Hochschulen, die laut Kohl zukünftig verstärkt auftreten werden. Auch die Bedeutung der Zusammenarbeit mit Unternehmen wird demnach zunehmen. Duale Studiengänge und KombiAngebote aus Studium und Lehre werden immer beliebter. Laut dem deutschen Change ManagementExperten Ulrich Wehrlin sind Hochschulmanager*innen eigentlich permanente ChangeManager. „Hochschulmanagement ist ein ständiger Change. In der Lehre geht es weniger um ChangeManagement. Aber es braucht von den Lehrenden eine große Bereitschaft, sich selbst ständig zu verändern, sich didaktisch und technisch weiterzuentwickeln“, so Kohl.
Laut Wehrlin bilden Hochschulen junge Menschen für Berufe aus, die es noch nicht gibt und in denen sie Probleme lösen werden, die man heute noch nicht kennt – Stichwort Digitalisierung. Mit diesen sogenannten Future Work Skills beschäftigt sich die FH St. Pölten auch langfristig besonders intensiv (siehe Schwerpunkt „future“ Ausgabe 12). In Firmenbeiräten liefern Vertreter*innen von Unternehmen wichtige Informationen. Sie können abschätzen, was zukünftig gebraucht wird. Und auch Hochschulmanager *innen benötigen laut Kohl ein gutes Gespür für das, was kommen wird. „Als wir vor circa 15 Jahren unseren Studiengang zum Thema IT Security beantragt haben, war es schwer, andere davon zu überzeugen, dass dieser Bereich wichtig ist. Heute ist das selbstverständlich. Man muss den Mut haben, auf Themen zu setzen, von denen man denkt, dass sie aufgehen“, sagt Kohl. Aber auch bestehende Berufsfelder können wichtig bleiben oder wichtiger werden – so wie aktuell der Bereich der Pflege vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung.
NACHHALTIGKEIT: GEPLANTER WANDEL NACH DER KRISE
Börsencrashes, Klimawandel, begrenzte Ressourcen, soziale Ungleichheiten – es gibt viele Gründe, warum ein Wandel zu einer nachhaltigeren Gesellschaft gefordert wird.
Wandel hat dabei 2 Gesichter: das drohende der Katastrophe und das freundliche eines bewusst eingeleiteten Wandels zu einer besseren Welt.
Die deutsche Volkswirtin Kora Kristof widmet sich der Frage, wie der Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft gelingen kann. Eine wesentliche Voraussetzung ist für sie, dass die Menschen die Prozesse der Veränderung auch verstehen: „Wir wissen zwar viel darüber, was sich ändern sollte, scheitern aber oft kläglich an der konkreten Umsetzung. Es genügt also nicht, dass wir uns mit der Frage ‚Was soll sich verändern?‘ beschäftigen. Vielmehr wird es immer wichtiger, zu wissen, wie wir die anstehenden Veränderungen auch erfolgreich umsetzen können“, sagt Kristof.
„Wenn wir mit unseren Ideen aus der Nische in den Mainstream wachsen wollen, sind immer mehrere Akteur*innen betroffen. Wir müssen den Kreis der üblichen Beteiligten verlassen und gezielt auch Akteur*innen mit ganz anderen Perspektiven und Interessen einbinden – auch die expliziten ContraPlayer*innen der Veränderung“, so Kristof.
Linktipps
umbruch.at – Visionen und Utopien für die Zeit nach Corona umbruch.at
mind-changer.net – Revolutionäre Inspiration für die Gestaltung der Welt von morgen mind-changer.net
Wachstum im Wandel – Initiative und Konferenz zu Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität wachstumimwandel.at
Degrowth – Initiativen und Konferenzen zum Thema Postwachstum degrowth.info, www.degrowthvienna2020.org
Theory U: Ansatz des MIT-Forschers Otto Scharmer zum Thema Change ottoscharmer.com/theoryu, www.presencing.org
MEHR PARTIZIPATION, MEHR CHANGE
Mit dem Gedanken der Einbindung beschäftigt sich an der FH St. Pölten auch das Department Soziales. „Wir brauchen Partizipation, Mitbeteiligung der Menschen bei ChangeProzessen und ein gerechteres Wirtschaftssystem. Ohne ein Umdenken auf allen Ebenen wird es nicht gehen“, sagt Alois Huber, Dozent am Department. „Wir sehen, dass die Reichen reicher werden und die Armen ärmer. Natürlich gibt es auch Verlierer*innen. Die ideale Welt gibt es nicht, aber wir können versuchen, Veränderungen fairer zu gestalten. Die Soziale Arbeit ist hier gefordert, Kritik zu üben, denn wir wissen, wer auf der Strecke bleibt. Und diese Menschen haben in der Regel keine Lobby“, so Huber.
DSA Mag. (FH) Alois Huber, Dozent am Department Soziales der FH St. Pölten
Ist nun die Coronakrise eine Chance, mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der Gesellschaft zu etablieren? Krisen bieten laut Kristof oft einen Öffnungswinkel für Veränderungen – schon indem sie zeigen, wie schnell Umstellungen möglich sind, wenn sie plötzlich sein müssen. Und: Krisen schaffen veränderte Rahmenbedingungen. Sie holen neue Akteur*innen vor den Vorhang und beschleunigen die Suche nach neuen Ressourcen. Wer allerdings die Veränderung aktiv mitgestalten will, muss schnell handeln und gut vorbereitet sein. Denn, so gibt Kristof abschließend zu bedenken: „Die Windows of Opportunity schließen sich manchmal so schnell wieder, dass nicht genug Zeit bleibt, überhaupt Ideen und Lösungsvorschläge zu entwickeln.“