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Das Zusammenspiel der Interessen in Brüssel

Samwald M. Lisa

©Stefanie Ostermann Andreas Lieb, EU-Korrespondent der „Kleinen Zeitung“ und der „Wiener Zeitung“, zeichnet ein Bild des journalistischen Geschehens in Brüssel.

Lisa M. Samwald: Sie sind schon seit langem journalistisch tätig und seit einiger Zeit in Brüssel. Wie hat sich Ihrer Meinung dieser Bereich in den letzten Jahren verändert?

Andreas Lieb: Da müsste man sich zunächst die Personalstände von vor 20 Jahren und heute anschauen. Ich habe nicht unbedingt das Gefühl, dass es so wirklich ausgedünnt ist, im Gegenteil. Wir haben viele neue KollegInnen in der Redaktion. Ich glaube, was sich wirklich verändert hat ist, dass die Anforderungen pro Journalist/ in deutlich gewachsen sind. Es ist noch nicht so lange her, da ging es in der Branche jeweils um ein einzelnes Produkt, beispielsweise eine Fernsehsendung oder eine Tageszeitung, und die Leute, die dort gearbeitet haben, haben dieses eine Produkt bespielt und sich darauf konzentriert. Inzwischen ist es aber so, dass man als Journalist/in quasi auf allen Plattformen gleichzeitig präsent sein sollte oder für alle Plattformen arbeiten sollte; beziehungsweise die Plattformen vermischen sich untereinander. Und das erhöht die Anforderungen natürlich schon enorm. Ich glaube, die Personalstände sind nicht so schlecht, nur die Arbeitsanforderungen haben zugenommen. Auch die Geschwindigkeit hat sehr zugenommen. Man kann sich also nicht mehr sehr lange wie früher einmal mit einzelnen Dingen beschäftigen, weil viele andere Dinge auch noch warten, die zu erledigen sind.

Samwald: Sind Abhängigkeiten zwischen PR und Medien in Brüssel zu beobachten? Ist ein Bereich dominanter?

Lieb: Überall, wo jemand an Medien etwas weitervermitteln will versucht man das möglichst gut hinzukriegen. Und umgekehrt, wir JournalistInnen suchen natürlich nach Informationen und sind dankbar, wenn wir wissen, wo wir die bekommen können oder wen man fragen kann. Also ich würde es nicht so negativ besetzen, als Abhängigkeiten. Es ist ein Zusammenspiel von vielen Interessen, die sich im Idealfall irgendwo miteinander treffen. Ein Unterschied, der mir im Vergleich zu Österreich aufgefallen ist: Ich habe ein bisschen den Eindruck, man müsste in Österreich manchen Dingen etwas länger nachlaufen, bis man beispielsweise eine/n Gesprächspartner/in bekommt. In Brüssel ist das fast eher umgekehrt, da bekommt man relativ oft Angebote für ein Interview oder ein Gespräch, etwa von Abgeordneten. Wenn ich das nur auf den politischen Bereich beschränke: Wenn ein Minister aus einem EU-Land nach Brüssel reist, ist er sozusagen in diesen ein bis zwei Tagen in seinem Heimatland von der Bildfläche verschwunden. Das heißt, er hat dort keinen Presseauftritt, er ist froh, wenn er hier vor eine Kamera treten oder mit JournalistInnen reden kann, um seine Arbeit zu dokumentieren. Wir tun uns da ein bisschen leichter, Kontakt zu haben und Möglichkeiten zu finden für Gespräche.

Samwald: Das heißt, die Initiative in Brüssel geht oft stärker von der PR oder wenn man so will von den handelnden Personen aus als von den JournalistInnen.

Lieb: Es ist sehr proaktiv. Es gibt hier Heerscharen von PressemitarbeiterInnen. Jede/r einzelne Abgeordnete, jede Delegation, jede Fraktion und jede der vielen Institutionen hat im Prinzip eigene PressemitarbeiterInnen und man wird gelegentlich von der Informationsflut überrollt. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir die Entscheidung, welche Themen wir aufgreifen und wie wir das machen, aus der Hand geben. Aber es ist gleichzeitig relativ gut strukturiert und relativ offen. Allein durch die Vielfalt, es sind ja alle Parteien und Gruppierungen hier vertreten. In dem Augenblick, wo eine Seite etwas macht kommt eine Stunde später von der anderen sicher eine Reaktion darauf. Das ist relativ gut geölt, finde ich.

Samwald: Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach in diesem Themengebiet die sozialen Medien? Benötigen Unternehmen, Organisationen, Institutionen überhaupt noch JournalistInnen?

Lieb: Das ist nicht ganz leicht zu beantworten. Soziale Medien spielen eine sehr, sehr große Rolle. Wobei das Hauptmedium hier in Brüssel ganz eindeutig „Twitter“ ist. In Österreich wird das in diesem Bereich nicht

© Andreas Lieb

Andreas Lieb ist EU-Korrespondent in Brüssel für die „Kleine Zeitung“ und die „Wiener Zeitung“ und Leiter des Brüsseler Büros der „Kleinen Zeitung“. Vor seiner Stelle in Brüssel war er in der Grazer Redaktion als ÖsterreichChef, stellvertretender News-Chef und als Deskchef für alle Plattformen (print und online) der „Kleinen Zeitung“ tätig.

anders sein. Für uns JournalistInnen ist „Twitter“ wahn- Samwald: Wie würden Sie einschätzen, zeichnet sich sinnig wichtig, weil man erstens schnell zu Dokumen- die Zukunft des Journalismus in Brüssel aus? ten kommt, die irgendwo herumschwirren, die man sonst Lieb: Was mir schon auffällt ist, dass in allen Bereichen die vielleicht nicht hätte. Und zweitens ist es so, dass …heute Geschwindigkeit zugenommen hat. Das heißt, das Tempo (Anm. zum Interviewzeitpunkt) wäre da ein klassischer ist sehr hoch und man muss aufpassen, dass man nicht zu Fall. Heute beginnt um 15:00 Uhr ein EU-Gipfel, der bis oberflächlich wird. Es vergeht beispielsweise kaum eine morgen dauert und das Ratsgebäude ist komplett abge- Woche, wo die EU-Kommission nicht eine große Strategie, sperrt wegen Corona. Das heißt, man kann dort im Ge- ein großes Papier oder ein großes Thema präsentiert, das gensatz zu normalen Zeiten derzeit nicht einmal arbeiten. alle betrifft. Das sind etwa Vorschläge für ein neues AsylDieser Gipfel tagt sozusagen hinter verschlossenen Türen. Migrationswesen, Klimaziele, Green Deal oder kürzlich hat Und da ist der Hauptkommunikationskanal „Twitter“. Das Von der Leyen dieses Bauhaus-Projekt präsentiert. Das sind heißt, bei den Leuten dort drinnen twittert immer eine/r sehr große, komplexe Dinge, wo es viele Grafiken, Sheets einmal über aktuelle Entwicklungen. Das ist sehr schnell und Websites gibt und das ist in dieser Menge in kurzer und da schauen natürlich alle drauf, lange, bevor es dann Zeit nicht leicht zu transportieren und die Hintergründe die Pressekonferenz gibt. Aber, erstens ist „Twitter“ eine auszuleuchten. Bubble. Das hilft meinem Leser, meiner Leserin nicht. Wenn ich da irgendwelche „Twitter“-Nachrichten lese in Brüssel, Samwald: Hätten Sie eine Idee, wie man dieses muss ich das, was da drinnen steht, auch umsetzen, ich muss Problem – komplexe Inhalte schnell vermitteln zu das interpretieren. Und man braucht nur an Donald Trump müssen – etwas mindern könnte? denken oder Leute, die das sozusagen als Spielzeug benut- Lieb: Nein, ehrlich gesagt nicht. Die Sachverhalte sind zen – umso eher würde ich meinen, dass auch interessierte eben sehr komplex. Und unser Job besteht ja darin, das zu Menschen, also sogar die, die selber mittun und die da mit- übersetzen. Bei diesem Transport muss man halt schauen, reinschauen, eine Interpretation oder eine Erklärung brau- dass man möglichst nichts liegen lässt oder völlig falsch chen und dafür glaube ich sind wir JournalistInnen auch da. interpretiert. In sozialen Medien ist schnell irgendwas Und das Zweite ist, dass diese ganzen Kurzmeldungen nichts getippt, das ist wie bei den Corona-Verschwörungen. helfen, wenn es um eine Debatte Also brauche ich ein Trägermegeht oder darum, etwas zuzuord- dium, dem ich auch als Kunde/ nen und auch Fragen zu stellen. „Wenn ich da irgendwelche ‚Twitter‘- in, als Leser/in halbwegs vertrauDa gibt es nach wie vor immer Nachrichten lese in Brüssel, muss ich das, en kann; dafür sind wir da. Ich und zu allen Themen Pressekonfe- was da drinnen steht, auch umsetzen, ich muss nicht immer einverstanden renzen und Pressetermine, wo die muss das interpretieren.“ sein mit dem, was da steht. Aber einzelnen Player versuchen, ihren ich brauche, glaube ich, eine MeStandpunkt darzulegen, weil sonst dienmarke, von der ich annehme, würde ja das Bild verzerrt werden. Hier und in vielen per- dass sie sich doch ernsthaft mit dem beschäftigt, auseinsönlichen Gesprächen fragen wir natürlich nach. Diese In- andersetzt und auch so viele Ressourcen hat, dass das, was teraktion ist wahnsinnig wichtig, um „on Track“ zu bleiben, herauskommt, halbwegs abgetestet und abgedichtet ist weil sonst ist man dem ausgeliefert, was irgendwer in 280 und nicht nur schnell, schnell irgendwas hinausgeschosZeichen schnell runtertippt, und das kann man so und so sen wird, bloß damit man Erster ist. auslegen… mit ein paar Emojis noch dazu.

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