PRaktivum Ausgabe 8: Die (Inter-)Dependenz zwischen Journalismus und PR

Page 30

Das Zusammenspiel der Interessen in Brüssel

Lisa M. Samwald

Andreas Lieb, EU-Korrespondent der „Kleinen Zeitung“ und der „Wiener Zeitung“, zeichnet ein Bild des journalistischen Geschehens in Brüssel.

©Stefanie Ostermann

Lisa M. Samwald: Sie sind schon seit langem journalistisch tätig und seit einiger Zeit in Brüssel. Wie hat sich Ihrer Meinung dieser Bereich in den letzten Jahren verändert?

Andreas Lieb: Da müsste man sich zunächst die Personalstände von vor 20 Jahren und heute anschauen. Ich habe nicht unbedingt das Gefühl, dass es so wirklich ausgedünnt ist, im Gegenteil. Wir haben viele neue KollegInnen in der Redaktion. Ich glaube, was sich wirklich verändert hat ist, dass die Anforderungen pro Journalist/ in deutlich gewachsen sind. Es ist noch nicht so lange her, da ging es in der Branche jeweils um ein einzelnes Produkt, beispielsweise eine Fernsehsendung oder eine Tageszeitung, und die Leute, die dort gearbeitet haben, haben dieses eine Produkt bespielt und sich darauf konzentriert. Inzwischen ist es aber so, dass man als Journalist/in quasi auf allen Plattformen gleichzeitig präsent sein sollte oder für alle Plattformen arbeiten sollte; beziehungsweise die Plattformen vermischen sich untereinander. Und das erhöht die Anforderungen natürlich schon enorm. Ich glaube, die Personalstände sind nicht so schlecht, nur die Arbeitsanforderungen haben zugenommen. Auch die Geschwindigkeit hat sehr zugenommen. Man kann sich also nicht mehr sehr lange wie früher einmal mit einzelnen Dingen beschäftigen, weil viele andere Dinge auch noch warten, die zu erledigen sind. Samwald: Sind Abhängigkeiten zwischen PR und Medien in Brüssel zu beobachten? Ist ein Bereich dominanter?

Lieb: Überall, wo jemand an Medien etwas weitervermitteln will versucht man das möglichst gut hinzukriegen. Und umgekehrt, wir JournalistInnen suchen natürlich nach Informationen und sind dankbar, wenn wir wissen, wo wir die bekommen können oder wen man fragen kann. Also ich würde es nicht so negativ besetzen, als Abhängigkeiten. Es ist ein Zusammenspiel von vielen Interessen, die sich im Idealfall irgendwo miteinander treffen. Ein Unterschied, der mir im Vergleich zu Österreich aufgefallen ist: Ich habe ein bisschen den 27

Eindruck, man müsste in Österreich manchen Dingen etwas länger nachlaufen, bis man beispielsweise eine/n Gesprächspartner/in bekommt. In Brüssel ist das fast eher umgekehrt, da bekommt man relativ oft Angebote für ein Interview oder ein Gespräch, etwa von Abgeordneten. Wenn ich das nur auf den politischen Bereich beschränke: Wenn ein Minister aus einem EU-Land nach Brüssel reist, ist er sozusagen in diesen ein bis zwei Tagen in seinem Heimatland von der Bildfläche verschwunden. Das heißt, er hat dort keinen Presseauftritt, er ist froh, wenn er hier vor eine Kamera treten oder mit JournalistInnen reden kann, um seine Arbeit zu dokumentieren. Wir tun uns da ein bisschen leichter, Kontakt zu haben und Möglichkeiten zu finden für Gespräche. Samwald: Das heißt, die Initiative in Brüssel geht oft stärker von der PR oder wenn man so will von den handelnden Personen aus als von den JournalistInnen.

Lieb: Es ist sehr proaktiv. Es gibt hier Heerscharen von PressemitarbeiterInnen. Jede/r einzelne Abgeordnete, jede Delegation, jede Fraktion und jede der vielen Institutionen hat im Prinzip eigene PressemitarbeiterInnen und man wird gelegentlich von der Informationsflut überrollt. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir die Entscheidung, welche Themen wir aufgreifen und wie wir das machen, aus der Hand geben. Aber es ist gleichzeitig relativ gut strukturiert und relativ offen. Allein durch die Vielfalt, es sind ja alle Parteien und Gruppierungen hier vertreten. In dem Augenblick, wo eine Seite etwas macht kommt eine Stunde später von der anderen sicher eine Reaktion darauf. Das ist relativ gut geölt, finde ich. Samwald: Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach in diesem Themengebiet die sozialen Medien? Benötigen Unternehmen, Organisationen, Institutionen überhaupt noch JournalistInnen?

Lieb: Das ist nicht ganz leicht zu beantworten. Soziale Medien spielen eine sehr, sehr große Rolle. Wobei das Hauptmedium hier in Brüssel ganz eindeutig „Twitter“ ist. In Österreich wird das in diesem Bereich nicht


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook

Articles inside

Zeitmangel und Qualitätsjournalismus: Determination der Nachrichtenselektion durch PR?

6min
pages 38-39

Im selben Strom, aber auf unterschiedlichen Seiten des Flusses fischend

6min
pages 42-43

Herausforderung Corona-Epidemie für Journalismus PR

5min
pages 34-35

Unabhängigkeit von PR in der Quellenbeschaffung

6min
pages 44-48

Der Einfluss von PR auf die redaktionellen Inhalte in Special-Interest-Zeitschriften

6min
pages 40-41

Wie viel Freundschaft verträgt Journalismus auf Reisen mit der Politik?

6min
pages 36-37

Der Weg aus PR in den Journalismus

5min
pages 32-33

PR und Journalismus im NPO-Sektor

6min
pages 26-27

Online-PR vs. Online-Journalismus

5min
pages 22-23

Das Zusammenspiel der Interessen in Brüssel

6min
pages 30-31

Wenn Marken Medien machen

5min
pages 28-29

Pressefotografie versus PR-Fotos

11min
pages 18-21

Ethik in Medien- und Kommunikationsbranchenmagazinen

5min
pages 16-17

Was brauchen Lifestyle-JournalistInnen von der PR?

5min
pages 24-25

Der Umgang des investigativen Journalismus mit der PR

5min
pages 14-15

PR vs. Journalismus 2030

5min
pages 12-13

Braucht es PR für Innovationsinformation?

5min
pages 8-9

Nimmt die PR-Branche dem Journalismus den Nachwuchs weg?

5min
pages 10-11

Advertorials als (problematische) Schnittstelle zwischen PR Journalismus

5min
pages 6-7

Die Schieflage der 4. Gewalt

5min
pages 4-5
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.