Stereotypisiert und unterre präsentiert? Wie Kinderbücher das Denken prägen HeldInnen aus Kinderbüchern prägen die Kindheit wie kaum etwas anderes – im Guten wie im Schlechten. Hier besteht die Möglichkeit, Stereotype für die nächste Generation aufzubrechen und mit Vorurteilen aufzuräumen. Ob und wie wir diese Chance als Gesellschaft bereits nutzen und was wir beitragen können, wollte SUMO im Gespräch mit Katrin Feiner, Kinderbuchlektorin beim Tyrolia-Verlag und mit Franz Orghandl, Autorin des Buches „Der Katze ist es ganz egal“ herausfinden.
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Mit seiner Schrift „Émile oder Über die Erziehung“ ebnet Jean-Jacques Rousseau im Jahre 1762 der kindgerechten Betrachtung und Behandlung von jungen Menschen und damit der modernen Pädagogik den Weg. Bis zu diesem Zeitpunkt ist Jugendliteratur kaum vorhanden und im besten Fall an „kleine Erwachsene“ adressiert. Auch in den folgenden Jahrzehnten bleibt die Moral weiter im Vordergrund und wird erst Ende des 18. Jahrhunderts – mit Beginn der Romantik – durch eine romantisierte Vorstellung der kindlichen Unschuld und Reinheit abgelöst. Ein jähes Ende findet diese Epoche mit der Veröffentlichung des „Struwwelpeter“ im Jahre 1845 – gerade rechtzeitig für die Revolutionswelle, die viele europäische Staaten in den darauffolgenden Jahren erfasst. Grotesk und makaber bricht dieses Buch von Heinrich Hoffmann mit allen Traditionen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bringt die Auflösung der Ständegesellschaft die bürgerliche Gesellschaft hervor, die auch in der Jugendliteratur Niederschlag findet: Mit „Max und Moritz“ macht sich Wilhelm Busch 1865 über die spießbürgerliche Moral seiner Zeit lustig. Nur etwa zehn Jahre später erschafft Mark Twain mit „Tom Sawyer“ einen der ersten realistischen Helden der Kinderliteratur. Zum ersten Mal steht die Moral nicht an vorderster Stelle, sondern ein abenteuerlustiges Kind, das man neugierig ein Stück begleiten darf. Für Mädchen ist die Literatur zu dieser Zeit hingegen sehr geprägt von Moral und der Anleitung zum Angepasstsein. Mit der sogenannten Backfischliteratur („Der Trotzkopf“) wird den gutbürgerlichen Töchtern ein kleines Stück Freiheit vorgegaukelt, das am Ende doch nur in der standesgemäßen Heirat enden darf. Mit der fortschreitenden Industriali-
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Stereotypisiert und unterrepräsentiert?
sierung erobern zivilisationskritische Werke den Kinderbuchmarkt. „Heidi“, „Das Dschungelbuch“ oder auch „Biene Maja“ haben als zentrales Thema den Gegensatz von Zivilisation und Natur und die Folgen für den Menschen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden die Erzählungen sachlicher, handeln von echten Kindern in Städten und zeigen zum ersten Mal soziale Probleme auf. „Emil und die Detektive“ beschreibt die Geldsorgen der alleinerziehenden Mutter und das „Doppelte Lottchen“ beschäftigt sich erstmals mit den Sorgen von Scheidungskindern. Die Nachkriegsjahre sind geprägt von Büchern, in denen Kinder das Sagen haben und ihre Welt selbst gestalten können, allen voran „Pippi Langstrumpf“ und „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. In Österreich versucht man den Nationalsozialismus aufzuarbeiten und hinter sich zu lassen. Das gelingt bei den Kinderbüchern, ähnlich wie im echten Leben, eher schwer. Offensichtlich Nationalsozialistisches wird rasch verbannt, andere Formen von Rassismus fallen aber erst viel später auf. So bleibt zum Beispiel „Hatschi Bratschis Luftballon“ lange Zeit als Kinderbuch bestehen, trotz abwertender Darstellung von Menschen anderer Kulturen. Selbst die Überarbeitungen des Buches in den 60er Jahren („Menschenfresser“ werden Affen) ändert nichts am Grundgedanken des Buches: Das Fremde ist Böse. Es etablieren sich zu dieser Zeit aber auch Autoren und vor allem Autorinnen, die mit ihren Werken den Kinderbuchmarkt für Jahrzehnte positiv prägen werden: Vera Ferra-Mikura, Mira Lobe, Käthe Recheis, Christine Nöstlinger, um nur einige zu nennen. In den folgenden Jahren, begünstigt durch die 68er-Studentenbewegung,