FILM-DIENST 16_2012

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www.film-dienst.de · 65. Jahrgang · 2. August 2012 · 4,50 Euro · 16/2012

DAS FILM MAGAZIN

THE DARK KNIGHT RISES

Alle Kinofilme vom 2.8. und 9.8. Alle Filme im Fernsehen thema: Serien

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Christopher Nolans „Batman“-Trilogie Peter O’Toole Ernest Borgnine


ALLE NEUEN KINOFILME VOM 2.8. UND 9.8.2012 44 36 46 42 41 34 37 44 38 47 33 40 42 39

Bavaria – Traumreise durch Bayern Entre Les Bras – 3 Sterne. 2 Generationen. 1 Küche Familientreffen mit Hindernissen Jeff, der noch zuhause lebt Merida – Legende der Highlands Prometheus – Dunkle Zeichen Red Lights Rum Diary Das Schwein von Gaza Ted The Dark Knight Rises Tom und Hacke Der Vorname Who Killed Marilyn?

thema: Serien 6

Erzählen mit Suchtfaktor Hommage an US-Fernsehserien Von Felicitas Kleiner

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Im Sog der Serie Zur Wiederentdeckung des Serienformats Von Dietrich Leder

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Abenteuer „Serie“ Tendenzen im US-Fernsehprogramm Von Franz Everschor

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„24“ „Nip/Tuck“ „The Wire“ „Deadwood“ „Firefly“ „The Sopranos“ „Breaking Bad“ „Dexter“

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Grenzüberschreitungen An den Grenzen des Zeigbaren Von Jörg Gerle

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Geadelt Blick auf britische Fernsehserien Von Michael Kohler

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Webcam-Ästhetik Zwischen Internet und Fernsehen: Die Webserie Von Thomas Klein

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Apologie des Kinos Was das Kino noch immer leistet Von Rüdiger Suchsland Suchtfaktor Serie: Zehn Beispiele „Boardwalk Empire“ „How I Met Your Mother“

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kino Der Held, den Gotham verdient Christopher Nolans „Batman“-Trilogie Von Felicitas Kleiner festival Mehr Handwerk als Seele Karlovy Vary Film Festival Von Bernd Buder porträt „Es wird schon reichen“ Begegnung mit Peter O’Toole Von Marc Hairapetian

personen neu im kino kino schweiz kinotipp impressum literatur nachspann

INHALT 16/2012

Serien-Highlight: „Breaking Bad“



Thema: Serien

ERZÄHLEN MIT SUCHTFAKTOR HOMMAGE AN US-FERNSEHSERIEN

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igentlich dürfte es nichts geben, was für eine eingefleischte Cineastin Priorität vor einem Kinobesuch hat. Trotzdem wachse ich seit einigen Jahren immer mal wieder vorm heimischen Bildschirm geradezu fest, schaffe es nicht bis zum nächsten Kinosaal, nicht ins Bett, nicht ans Telefon, nirgendwohin. Die Gründe dafür: USFernsehserien. Zum Teil bei Fernsehausstrahlungen konsumiert, lieber aber kompakt als DVD-Box, um mir die Qual des Wartens auf die nächste Sendung zu ersparen. Zum Beispiel „Prison Break“ (in den USA ab 2005, in Deutschland ab 2007 ausgestrahlt), eine vom Fox Channel im Fahrwasser von „24“ lancierte, clever konstruierte Story um einen Gefängnisausbruch und eine haarsträubende politische Intrige. Mit teuflisch spannenden Cliffhangern und einem Subtext, der (noch zu Zeiten der Bush-Regierung) ein äußerst fragwürdiges Bild der staatlichen Institutionen der USA entwirft. Erstaunlich für einen Sender, dessen Nachrichtenformate zur selben Zeit alles andere als regierungskritisch waren! Oder „Mad Men“ (in den USA seit 2007, in Deutschland seit 2009 ausgestrahlt), eine Serie um die Belegschaft einer hippen Werbeagentur in den Swinging Sixties. Nicht nur ein Stil-, sondern auch ein Erzählphänomen. Die Serie analysiert ebenso pointiert wie unterhaltsam die Nachkriegsgenese der modernen Konsum- und Warenwelt, ihrer Arbeitsbedingungen und der allmählich einsetzenden Erosion traditioneller Familien- und Geschlechterverhältnisse. Und umkreist damit Themen, die im seit Ende der 1990er-Jahre dominierenden MainstreamKino der Fantasy-lastigen Franchises außen vor sind oder in den gängigen KinoRomComs allenfalls in weichgespülter Form auftauchen. Was dazu führt, dass sogar eine in einer vergangenen Epoche spielende Serie wie „Mad Men“ mehr mit unseren aktuellen Lebensverhältnissen zu tun hat als ein Gros von Hollywoods Kinofilmen.

Wenn es darum geht, so etwas wie eine Mentalitätsgeschichte des jungen 21. Jahrhunderts zu entwerfen, eine Chronik von Reizthemen und Menschenbildern, dann ist das serielle Erzählen zum dominanten, diskursprägenden Medium geworden, an dem man auch als Cineast kaum vorbei kommt. Während z.B. im Kino das im Zuge des „Kriegs gegen den Terror“ zum Skandalon gewordene Thema Folter zunächst allenfalls im wenig gesellschaftsfähigen Genre des so genannten Torture Porn abgehandelt wurde und in den Sicherheitsabstand fiktiver Szenarien bzw. abgelegener Weltgegenden verbannt wurde (z.B. in „Hostel“), packte die Actionserie „24“ (in den USA seit 2001, in Deutschland seit 2003 ausgestrahlt) den Stier bei den Hörnern, indem sie ihre Hauptfigur Jack Bauer im Namen der inneren Sicherheit zum Folterknecht werden ließ. „24“ machte sich damit angreifbar für die Kritik, der Legitimierung der Folter im Dienst der Terrorabwehr Vorschub zu leisten, war aber immerhin so mutig, das Thema überhaupt zur Debatte zu stellen, wofür das US-Mainstream-Kino mit Filmen wie „Machtlos“ (2007) noch einige Jahre brauchte. Figuren wie Jack Bauer („24“) oder Donald Draper („Mad Men“) sind vielschichtiger und ambivalenter, als es den meisten MainstreamKino-Heroen je zugestanden wird, und die epischen Erzählungen des „Quality TV“, wie es seit nun gut zehn Jahren von den USA aus auch deutsche Bildschirme erobert, geben ihnen den Raum, sich zu entwickeln, und sie betten sie ein in Figuren-Ensembles, die ihre Standpunkte vielstimmig ergänzen und konterkarieren. Der folgende Themenschwerpunkt widmet sich dem neuen „Goldenen Zeitalter“ des seriellen Erzählens in mehreren Beiträgen, die Entwicklungslinien, narrative Formen und Trends aufzeigen – oder einfach den Serien huldigen, für die es sich lohnt, sich regelmäßig an den Fernseher fesseln oder nächtelang den DVD-Player heiß laufen zu lassen. Felicitas Kleiner

„Mad Men“ film-dienst 16/2012

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Thema: Serien

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ennen Sie noch „Nucky“ Thompson? Oder Al Capone, Lucky Luciano, Meyer Lansky? Die letzten drei sind für Fans amerikanischer Gangsterfilme ganz gewiss alte Bekannte, der erste ist es dagegen kaum. Dabei gehörte er zum Umfeld der Heroen aus der Unterwelt: Nucky Thompson (18831968) war Stadtkämmerer von Atlantic City. Der republikanische Politiker zog im Hintergrund die Fäden vieler politischer Aktionen und nutzte dabei mehr oder weniger stark seine persönlichen Verbindungen zur Unterwelt, aber auch zur US-Regierung in Washington. Sein Bruder war als Sheriff von Atlantic City für die Sicherheit verantwortlich, und wer der Bürgermeister wurde, entschied Nucky im Hintergrund. Eine schillernde Persönlichkeit. Man wundert sich, warum er erst heute zur Zentralgestalt einer fiktionalen Fernsehserie wurde. In „Boardwalk Empire“ sieht man ihn immer wieder stolz auf dem Boardwalk von Atlantic City in seinen Lackschuhen promenieren, eine schöne Frau an seiner Seite, rechts und links viele Bekannte

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n 22 Minuten alles sagen und doch nichts verraten: Das ist das Erfolgsrezept dieser Serie. Seit inzwischen sieben Jahren handelt das Format davon, wie ein Vater seinen halbwüchsigen Kindern erzählt, wie er Mama kennen gelernt hat, wobei die Serie die strukturelle Fusion zweier bis dahin übermächtiger, nach zehn bzw. sechs Staffeln 2004 abgesetzter TV-Comedy-Überflieger wagte: „Friends“ und „Sex and the City“. Anhand einer eingeschworenen Gruppe von Freunden wird retrospektiv erzählt, wie und in welchen Konstellationen sich die fünf Thirtysomethings durchs Beziehungsleben schlagen. Das oberflächliche „Verkaufsargument“ ist dabei, dass es in erster Linie (qua Dialog) um Sex geht und dass der Ort der Handlung die unverwüstliche Serienstadt New York (meistens die New Yorker Lieblingsbar der Gruppe) ist. Darin bestehen aber nicht das Geheimnis und das Originäre dieses Seriendauerbrenners. Dies ist vielmehr die Kunst der permanenten Rückblende: Da Hauptperson und Erzähler Ted Mosby seinen Kindern aus der Zukunft (es ist das Jahr 2030) berichtet, kann sich der Zuschauer an etlichen Wendungen in immer absurderen Handlungsellip-

Boardwalk Empire grüßend. Eine rote Nelke im Revers soll sein Kennzeichen gewesen sein. Die Stützen der Gesellschaft auf der Promenade – ein Idyll der 1920er-Jahre. „Boardwalk Empire“ entstand beim Kabelsender HBO nach einem Buch von Nelson Johnson. Als Creator der Serie fungierte Terence Winter, der zuvor in mehreren wesentlichen Funktionen bei „Sopranos“ mitgearbeitet hatte. Beide Serien stehen im Zusammenhang: „Sopranos“ erzählt von der Mafia im modernen New Jersey, „Boardwalk Empire“ von der Gangsterwelt in den Jahren der Prohibition. Eine weitere Verbindung: Steve Buscemi, der Nucky

Thompson ungeheuer einprägsam spielt, war Regisseur von vier „Sopranos“-Folgen und spielte eine kleine Rolle. Es muss für die Autoren nicht einfach gewesen sein, die drei verschiedenen Hauptschauplätze Atlantic City, Chicago und New York in eine überschaubare Handlung zu bringen. In New York sitzen die Ganoven in vornehmen Hotels und regeln ihre Geschäfte, in Chicago in den dunklen Hinterzimmern von Speak-Easy-Kneipen. Mitten unter ihnen Al Capone am Anfang seiner Karriere, ein unscheinbares Würstchen, das Probleme mit der Sprache zu haben scheint – ganz im Kontrast zu

How I Met Your Mother

fast allen Capone-Darstellungen früherer Jahre. Der Alkoholschmuggel spielt eine große Rolle, ebenfalls der Zweite Weltkrieg. Ganze Ströme von teurem Alkohol fließen bei den Partys der besseren Gesellschaft, und so mancher Gangster erzählt von seinen Erlebnissen auf dem europäischen Kriegsschauplatz. So spielt Jack Huston einen im Gesicht entstellten Kriegsveteranen, der sich erst durch die Beteiligung an Verbrechen aus seiner Isolation wagt. Martin Scorsese drehte die Pilotfolge und fungierte bei den folgenden (u.a. mit Schauspieler Mark Wahlberg) als Executive Producer. Die wahre Strandpromenade von Atlantic City war ursprünglich mehrere Kilometer lang. Da von ihr heute nichts mehr existiert, wurde ein wesentlich kürzerer Teil in Brooklyn für das Fernsehen nachgebaut. Die Serie soll recht teuer gewesen sein. Der Zuschauer sieht es. Michael Hanisch „Boardwalk Empire“. USA seit 2010. Bislang 24 Episoden à 60 Min. in zwei Staffeln. In Deutschland erschien Staffel 1 in einer Box auf DVD/Blu-ray. Anbieter: Warner Home. FSK: ab 16. In Großbritannien/USA erschienen die Staffeln 1 & 2 in zwei Boxen (ab September 2012 auch als Gesamtausgabe) auf DVD/Blu-ray (Warner bzw. HBO-Video).

sen erfreuen. Nur wahren Serien-Junkies erschließt sich peu à peu das gesamte Puzzle – ohne dass auch sie je erfahren würden, wer denn eigentlich besagte Mutter ist, die der Serie den Titel gab. Vielleicht haben wir sie ja schon gesehen, vielleicht aber auch nicht! Seit 2011 haben sich zumindest die Kreativen der Serie festgelegt und hüten seither das Geheimnis, das in etlichen Foren im Internet heiß diskutiert wird. Damit wurde ein ähnliches Feuer entfacht wie seinerzeit bei der Frage nach dem Mörder von Laura Palmer in „Twin Peaks“. Spätestens hier hebt sich „How I Met Your Mother“ über das äußerst geglückte Pointen-Feuerwerk und die Gesetze der klassischen Sitcom hinweg. Man lacht… und hofft zugleich auf ein klärendes Indiz! Da die Produzenten bislang behaupten, „Mutter“ überhaupt nie gecastet zu haben, muss man mindestens noch bis zum Ende der achten Staffel warten – und hoffen, dass nicht irgendjemand vorher petzt. Jörg Gerle „How I Met Your Mother”. USA seit 2005. 116 Episoden à 22 Min. in sieben Staffeln. In Deutschland erschienen die Staffeln 1-6 in sechs Boxen (Anbieter: Fox Home, FSK: ab 12/Staffel 6: ab 16). In Großbritannien/USA erschienen die Staffeln 1-6 in sechs Boxen sowie in einer Gesamtausgabe (Fox Home); auf Blu-ray erschien bislang nur Staffel 4. film-dienst 16/2012

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DIE KRITIKEN SEHENSWERT Merida Das Schwein von Gaza Tom und Hacke Der Vorname Who Killed Marilyn?

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DISKUSSIONSWERT Familientreffen mit Hindernissen

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The Dark Knight Rises

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ch sehe mit Freuden, dass Sie wieder den Geschmack an mutwilliger Zerstörung gefunden haben“, bemerkt Butler Alfred, als Bruce Wayne im Gewand des „dunklen Ritters“ von einem neuerlichen Einsatz zurückkehrt. Acht Jahre war Batman aus Gotham City verschwunden, nachdem er, schwer verletzt, das Opfer auf sich genommen hatte, als Mörder des vermeintlichen „Saubermanns“ Harvey Dent geächtet und gejagt zu werden. Dadurch sollte die Stadt ein Idol bekommen, sollten Gesetz und Ordnung in die von Korruption und Bandenwesen beherrschte Metropole zurückkehren; acht Jahre lang funktionierte dies, die Bürger fassten Mut, die Gefängnisse füllten sich, die Straßen wurden wieder sicher. Doch nun droht Gotham City neues, weit größeres Ungemach – dies weniger von der raffinierten Diebin Selina Kyle, die im hautengen Katzenkostüm auf Beutezug geht und es nicht nur auf die Perlenkette von Waynes Mutter, sondern vor allem auf dessen Fingerabdrücke abgesehen hat. Diese soll sie für ein mächtiges Verbrecherimperium entwenden, dessen augenfälligster Protagonist der Söldner Bane ist – ein muskelbepackter Hüne, dessen Gesicht weitgehend von einer Maske verborgen wird, über die er seinem Körper eine aufputschende Droge zuführt. Seine Pläne, Gotham City ins nackte Chaos zu stürzen, stehen seiner enormen physischen Kraft in nichts nach. Banes sadistische Terrorangriffe auf die ökonomischen wie ideellen Schaltstellen der Stadt (Börse, Football-Stadion) dienen auch

dazu, Batman aus seinem Exil zu locken. Und tatsächlich bringt Bruce Wayne seinen arg lädierten Körper auf Vordermann und nimmt den Kampf auf – ohne auch nur im Geringsten zu ahnen, in welch weitreichende Ränkespiele er damit verstrickt wird. Seinem Widersacher Bane hoffnungslos unterlegen, führt Batmans Leidensweg ins tiefe Verlies eines archaisch anmutenden, gleichwohl mit modernster Technik ausgestatteten Gefängnisses, von dem aus er via Flachbildschirm mit ansehen muss, wie Gotham mit Terror, Zerstörung und Massenmord in die Knie gezwungen wird und der Vernichtung durch eine Neutronenbombe entgegen sieht. Der physisch wie seelisch schwer angeschlagene „dunkle Ritter“, der immer noch mit den Ängsten und Schuldgefühlen seiner Kindheit ringt, wird zudem ein weiteres Mal mit seinem einstigen Förderer und Widersacher Ra’s Al Ghul konfrontiert, aus dessen Liga der Schatten auch Bane hervorgegangen ist. Alles hängt auf dämonische Weise miteinander zusammen, jedes Verbrechen ist Mosaikstück einer umfassenden Attacke gegen Batman, die Zivilisation und deren Wertesystem – ein weitreichender Rachefeldzug, kaum vorherseh- oder gar veränderbar. Es ist ein bombastischer Wust aus Handlungsfäden, Figuren und Querverweisen auf diverse (Comic-)Legenden und Mythen, den Christopher Nolan im Schlussteil seiner „Batman“-Trilogie auftürmt. Nur allmählich steigert sich das vielfach parallel geführte Geschehen, nimmt zunächst eher dosiert Fahrt film-dienst 16/2012

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KINO auf, um später im ständigen Wechsel aus spektakulären Massenszenen und rasanten Verfolgungsjagden Batmans düstere „Passionsgeschichte“ zu entfalten, bei der sich die vertrauten Fantasy-, Abenteuer- und auch Liebesfilm-Elemente mit Anleihen aus Mystik, Esoterik und Okkultismus verweben. Insgesamt wirkt „The Dark Knight Rises“ wie der schmalere Seitenflügel eines visuell überbordenden Triptychons, dessen weitaus prächtigere Mitteltafel der Film „The Dark Knight“ (fd 38 851) um den schillernden BösewichtPhilosophen Joker darstellt, während der neue Film deutlich mit dem anderen Flügel des Triptychons korreliert, mit „Batman Begins“ (fd 37 111), in dem Batmans widersprüchlicher Weg zwischen Rache und Gerechtigkeit, Paranoia und Neurose begann und der nun zum Endpunkt geführt wird. Von Angst besetzten visuellen Motiven wie dem Fledermausschwarm oder dem tiefen Brunnenschacht, der im neuen Film als (fast) unüberwindbarer Gefängnisfluchtweg erneut auftaucht, reichen die Bezüge bis zur Rückkehr des arabischen Weltverbesserers und Öko-Terroristen Ra’s Al Ghul – visuell konkret in einer kurzen Traumvision Batmans, im metaphysischen Sinn aber in Entwicklungen von weit größerer (und überraschender) Tragweite, wenn Ra’s Al Ghuls verquaste „Philosophie“ zur Handlungsgrundlage für Bane und seine Bande wird, die die Korruption und Kriminalität in Gotham bekämpfen, indem sie ihrerseits nicht vor noch weit schlimmeren Verbrechen zurückschrecken. Dabei spiegelt sich in der Zwölf-MillionenMetropole Gotham immer auch das gegenwärtige New York, wenn Szenerien und Dialoge mehr oder weniger direkt auf das Trauma des 11. September verweisen; vor dieser Folie entfaltet Nolan seine Gedankenspiele um die Funktion gesellschaftlicher Strukturen, öffentlicher Moral und sozialer Verantwortung als reizvolles Planspiel, in das deutlich Bezüge zur Französischen Revolution einfließen – etwa wenn Bane und seine Bande quasi als moderne Jakobiner aus den städtischen Unterschichten ihre Terrorherrschaft entfalten und durch Massenhinrichtungen der (politischen) Gegner die blutige Unterdrückung jeder konterrevolutionären Bewegung betreiben. Man sollte dies vielleicht einmal genauer durchspielen und nach den (besonders visuellen) Bezügen zu Abel Gance’ Stummfilm „Napoleon“ (fd 23 937) fahnden: Während dort Napoleon auf dem offenen Meer einen Sturm überlebt, wird im Nationalkonvent tumultartig gestritten, fallen die Köpfe der Revolution der Terrorherrschaft zum Opfer – und während Batman im fernen Kerker schmort, stellt der sadistische Psychiater Crane (quasi als Saint-Just) im „Konvent“ von Gotham City nicht die Schuld,

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sondern das Strafmaß seiner Opfer fest. Es ist gut, dass „The Dark Knight Rises“ in seiner randvollen Handlung immer noch Fenster zu solchen Gedankenspielen öffnet; und es verdient Respekt, das Nolan den weit besseren zweiten Teil nicht mit aller Gewalt zu toppen versucht, sondern sichtlich bemüht ist, lieber seine Trilogie angemessen zu runden. Dafür nimmt er freilich manches in Kauf: seltsame Ungereimtheiten, Brüche in der Erzähllogik, dramaturgisch ernüchternde Abstürze (besonders wenn im Finale die dämonisch starke Figur Bane geradezu lieblos entlassen wird), offene Handlungsfäden, die im Nichts der bombastischen Ereignisse zu enden scheinen – oder aber auf raffinierte Weise den Fuß in die Tür zu weiteren Fortsetzungen mit Catwoman, Robin und Co. stellen. Wie sagte Bane im Football-Stadion, bevor er die Bomben zündete: „Mögen die Spiele beginnen.“ Horst Peter Koll

KINOSTART 26.7.2012 The Dark Knight Rises The Dark Knight Rises Scope. USA/Großbritannien 2012 Produktion DC Entertainment/Legendary Pictures/ Syncopy / Warner Bros. Pictures Produzenten Emma Thomas, Christopher Nolan, Charles Roven, Jordan Goldberg Regie Christopher Nolan Buch Jonathan Nolan, Christopher Nolan, nach Charakteren von Bob Kane Kamera Wally Pfister Musik Hans Zimmer Schnitt Lee Smith Darsteller Christian Bale (Bruce Wayne/Batman), Michael Caine (Alfred), Gary Oldman Jim Gordon), Anne Hathaway (Selina Kyle/ Catwoman), Tom Hardy (Bane), Marion Cotillard (Miranda Tate),Joseph Gordon-Levitt (John Blake), Morgan Freeman (Lucius Fox), Liam Neeson (Ra’s Al Ghul), Juno Temple (Holly Robinson), Matthew Modine (Deputy Commissioner Foley) Länge 164 Min. FSK ab 12; f Verleih Warner Bros.

Acht Jahre nach den Ereignissen in „The Dark Knight“ ist die Metropole Gotham um einiges sicherer und scheint Batman nicht mehr zu brauchen. Bis der Söldner Bane auftaucht und eine gewaltsame „Revolution des Volkes“ anzettelt. Der körperlich und seelisch lädierte Batman scheint den perfiden Plan, die Stadt zu vernichten, nicht verhindern zu können. Bildgewaltiger Abschluss von Christopher Nolans „Batman“-Trilogie. Die spannungsvolle, auf aktuelle politische Verwerfungen rekurrierende Neuauflage des DC-Universums leidet an einigen wenig kohärenten Handlungsvolten; als Abschluss der „Heldenreise“ seiner Titelfigur bietet der Film dennoch eine mitreißende Mischung aus emotionalem Pathos und fulminanter Action. – Ab 16.

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Prometheus – Dunkle Zeichen

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u Beginn von Ridley Scotts „Alien“ (fd 22 226) findet die Crew eines intergalaktischen Frachters Teile eines mysteriösen Raumschiffs und in dessen Pilotensitz die Überreste eines entfernt menschenähnlichen Wesens – eine faszinierende Kreation des Schweizer Surrealisten H.R. Giger. Zahlreiche Fans, die den Film mehrmals gesehen hatten, wunderten sich, dass die Figur hernach keine Rolle mehr spielte. Mit ihnen wunderte sich Ridley Scott, warum er nie nach Sinn und Bedeutung des rätselhaften, die Fantasie beflügelnden Wesens gefragt worden ist. Die Film-Crew hatte sogar einen Namen für die Figur erfunden: Space Jockey. Als solcher ist er in die Literatur eingegangen, undefiniert und wenig beachtet, mehr ein Fragezeichen für Analysten des Films als fürs Publikum. Auch die folgenden, nicht mehr von Scott inszenierten „Alien“-Filme hatten für ihn keine Verwendung. Scotts „Prometheus“ könnte auch „Auf den Spuren des Space Jockey“ heißen, denn ihm und seinem außerirdischen Geschlecht wird hier eine ausufernde, Gott und die Welt in Frage stellende Geschichte angedichtet, die einerseits von der optischen Faszination bildstarker Weltraum-Panoramen und beunruhigender Giger-Interieurs, andererseits von einer vor dem Fantastischen nicht zurückschreckenden Schöpfungssuche beherrscht ist. Zwei „Vorspiele“ gehen der wagnerianischen Space Opera voraus, die darauf einstimmen, dass es diesmal um mehr als die üblichen Weltraum-Abenteuer gehen soll: In einer unbehausten, öden Landschaft opfert sich ein alabasterner Riese für die Kreation des Lebens auf der Erde, und – Werner Herzog grüßt von fern – in einer entlegenen Felsenhöhle entdeckt ein Archäologen-Paar jahrhundertealte Zeichnungen, die es als Hinweise auf die Herkunft ihrer Urheber interpretiert. Weder Stanley Kubrick noch Erich von Däniken sind weit, als sich die beiden Wissenschaftler zur Teilnahme an einer superteuren Expedition zu fernen Galaxien entschließen und von einem Androiden namens David aus ihrem künstlich induzierten Schlaf geweckt werden. Vor allem die aus einer Missionarsfamilie stammende Archäologin hegt die Hoffnung, Aufschluss über die Ursprünge menschlichen Lebens zu finden. Die Landung auf einem wüsten, von Spuren einer verschollenen Zivilisation durchzogenen Planeten geht ohne Zwischenfälle vonstatten; als die Forscher in die Felsenwelt des erdähnlichen Gestirns vordringen, stoßen sie auf die


Katakomben einer alten Kultur, aber auch auf Zeichen prähistorischer Zerstörung der Schöpfung durch die Schöpfer. Je mehr sie der Neugier verfallen, die Restbestände des einstigen Lebens zu enträtseln, umso mehr gerät ihr eigenes Leben in Gefahr. Auch 30 Jahre nach seinem letzten ScienceFiction-Film „Blade Runner“ (fd 23 689) erweist sich Ridley Scott immer noch als ein visionärer, technisch ausgefuchster Regisseur futuristischer Konstellationen. Lange Zeit kommt man nicht aus dem Staunen heraus, mit welcher Akribie sich Scott auch das 3D-Verfahren zunutze macht, um Dimensionen und Perspektiven zu entwickeln, die einem immer wieder den Atem rauben und die in ihrer majestätischen Eindruckskraft – wie später auch in ihrer Schrecklichkeit – James Camerons „Avatar“ (fd 39 663) ins harmlose Märchenland verweisen. Es ist unverkennbar, dass „Prometheus“ mit seinen düsteren, klaustrophobischen Kreationen aus Scotts Sicht eine Art Antithese zum optimistischen „Star Trek“-Universum und dem Kult sein möchte, der sich daraus abgeleitet hat. Scott lotet mit diesem Film auch tiefer als mit „Alien“. Sein Ehrgeiz, ein kompliziertes Modell alles Werdens und Vergehens auszubreiten, ist unverkennbar, nicht zuletzt in den Anleihen, die er bei Miltons „Paradise Lost“ und Lovecrafts „At the Mountain of Madness“ macht. Sein Entwurf ist anspruchsvoll, wenn auch fantastisch, was im Zusammenhang eines Science-Fiction-Films durchaus gestattet ist. In die Schranken gewiesen wird er allerdings immer wieder durch seinen Autor Damon Lindelof, der mit „Cowboys & Aliens“ (fd 40 597) und der Fernsehserie „Lost“ bekannt wurde. Auch Lindelof besitzt fraglos ein Gespür für aufreizende, extreme Ideenentwürfe, aber er kann – wie sich schon früher erwiesen hat – einfach keine Geschichten erzählen und noch viel weni-

ger Dialoge schreiben. Will man den Erfindungsreichtum und die oft geradezu überwältigenden Set-Designs richtig genießen, muss man schon die Ohren verschließen. Wann immer in „Prometheus“ nämlich einer der Akteure den Mund aufmacht, kommen nur Sprechblasen und Naivitäten heraus, die den Film in Gefahr bringen, auf das Niveau jener billigen Science-Fiction-Hefte abzusacken, die einst von Schulkindern zu Millionen verschlungen wurden. Über Wasser hält Lindelof seine von lauter blutleeren Attrappen bevölkerte Story eigentlich nur mit der ironischen, an Spielbergs „A.I. – Künstliche Intelligenz“ (fd 35 041) erinnernden Figur des Androiden, die Michael Fassbender als doppelbödige Peter-O’Toole-Karikatur bis zum Schluss interessant macht. Schon in den frühesten Exemplaren des Science-Fiction-Films vermischten sich die Sci-FiElemente häufig mit Bestandteilen des Horrorfilms. Das ganze Konzept von „Alien“ war ebenfalls auf dieser Ambivalenz aufgebaut, und es ließ sich kaum anderes erwarten, als dass Ridley Scott den Faden wieder aufnehmen und in „Prometheus“ weiterspinnen würde. Aber Lindelof fühlt sich ganz offensichtlich wohler, die Topoi des Horror-Kinos zu bedienen, als der mit einiger Glaubhaftigkeit auszustattenden Science Fiction nachzugehen. Vermischt mit seinen unausgegorenen Sprüchen über Gott-Suche, Schöpfungsglauben und Darwinismus, die Scotts Konzept geradezu auf Hilfsschul-Niveau degradieren, entwickelt sich der so hoffnungsvoll beginnende Film mit fortschreitender Dauer zu einer kaum noch konsumierbaren Mixtur aus überstrapazierten Horror-Effekten und unsubstanziierter metaphysischer Unterfütterung. Das Erbe von Prometheus, dem Sagenhelden, auf den der Titel Bezug nimmt, bleibt dabei letztlich auf der Strecke.

KINOSTART 9.8.2012 Prometheus – Dunkle Zeichen Prometheus USA 2012 Produktion Produzenten Regie Buch Kamera Musik Schnitt Darsteller

Länge FSK Verleih

Brandywine Prod./Dune Ent./Scott Free Prod. David Giler, Walter Hill, Ridley Scott, Tony Scott, Nikolas Korda Ridley Scott Jon Spaihts, Damon Lindelof Dariusz Wolski Marc Streitenfeld Pietro Scalia Noomi Rapace (Elizabeth Shaw), Michael Fassbender (David), Charlize Theron (Meredith Vickers), Idris Elba (Janek), Guy Pearce (Peter Weyland), Logan MarshallGreen (Charlie Holloway), Sean Harris (Fifield), Rafe Spall (Millburn), Emun Elliott (Chance), Benedict Wong (Ravel), Kate Dickie (Ford) 124 Min. ab 16; f Twentieth Century Fox

Ein Forscherpaar schließt sich gegen Ende unseres Jahrhunderts einer Weltraum-Expedition an und versucht, dem Rätsel der Schöpfung näher zu kommen. Dazu breitet der Science-FictionFilm einen auf zahllose Vorbilder verweisenden fantastischen Entwurf allen Werdens und Vergehens aus. Regisseur Ridley Scott knüpft an Motive aus seinem Film „Alien“ (1979) an und versetzt mit verblüffenden Ideen und visionären Set-Designs in Staunen, während die Handlung zunehmend den Klischees des genreüblichen Horrorfilms verfällt. Die meisten Figuren bleiben blutleer, und der Dialog steht mit seiner auf bloße Worthülsen reduzierten Pseudo-Metaphysik der angestrebten Tiefgründigkeit und dem Genuss der großartigen optischen Schauwerte im Weg. – Ab 16.

Franz Everschor film-dienst 16/2012

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