FILM-DIENST 2_2013

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www.film-dienst.de · 66. Jahrgang · 17. Januar 2013 · 4,50 Euro · 2/2013

DAS FILM MAGAZIN Alle Kinofilme vom 17.1. und 24.1. Alle Filme im Fernsehen Animiertes Meisterwerk: „Frankenweenie“ Was Hollywood demnächst zu bieten hat Neue Reihe: „Musik liegt in der Luft“

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Andrej Tarkowski „Der rote Ballon“


„Frankenweenie“

ALLE NEUEN KINOFILME VOM 17.1. UND 24.1.2013 45 44 36 24 32 37 29 26 31 28 27 36 38 34 25 30 41 34 32 30 42 43 39 40

Bana Bir Soygün Yaz! – Schreibe mir ein Verbrechen Blancanieves (kino schweiz) Blank City Come together. Dresen und der 13. Februar Django Unchained Excision Flight Frankenweenie Frauensee Gibsy – Die Geschichte des Boxers Johann Trollmann House at the End of the Street Das Lied des Lebens Lincoln Mavericks Die Nacht der Giraffe Play – Nur ein Spiel Quartett Das schlafende Mädchen Sleepless Knights Stationspiraten Staub auf unserem Herzen Typ-F – Der Film Valley of Saints – Ein Tal in Kaschmir Yossi

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kino Von Ängsten und wie man sie überwindet In Stop-Motion-Filmen finden Zombies und Monster ein neues Zuhause Von Stefan Stiletto aus hollywood Things to Come Politische Filme werben in Hollywood um Aufmerksamkeit Von Franz Everschor musik Das gab's nur einmal „Musik liegt in der Luft“ (I): Geburt und Anfänge der Tonfilmoperette Von Judith Prokasky „Glückkinder“ ausstellung See the Music „ECM – Eine kulturelle Archäologie“ Von Ulrich Kriest porträt Capra bipolar Der amerikanische Regisseur David O. Russell Von Julia Teichmann dvd Gloriose Bastarde Der Italowestern und Quentin Tarantino Von Jörg Gerle

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INHALT 02/2013

magazin personen neu im kino kino schweiz impressum literatur/dvd nachspann


KINOSTART 24.1.2013 Come together. Dresden und der 13. Februar Deutschland 2012 Produktion Produzent Regie Buch

DIE KRITIKEN

Kamera

SEHENSWERT

Schnitt

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Come together. Dresden und der 13. Februar

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m 13. und 14. Februar 1945 legten alliierte Bomberverbände durch mehrere Angriffswellen die Stadt Dresden in Schutt und Asche. Ob diese Zerstörung kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs militärisch sinnvoll war, ist bis heute umstritten. Die NS-Propaganda gab die Angriffe umgehend als Beleg für die inhumane Kriegsführung der Gegner aus; die kommunistische Führung der jungen DDR stieß nahezu in dasselbe Horn und machte die Zerstörung Dresdens zum Symbol der imperialistischen Aggression. Nachdem das Datum mit dem Abflauen des Kalten Kriegs etwas in Vergessenheit geraten war, wählte in den 1980er-Jahren die DDRFriedensbewegung den 13. Februar, um gegen Krieg und Rüstung in Ost und West zu demonstrieren. Nach der Wende tauchten ganz neue Gruppierungen in der Elbmetropole auf, um an diesem Tag in martialischen Aufmärschen ihre braune Gesinnung öffentlich zur Schau zu stellen.

„Blancanieves“ Blancanieves (kino schweiz) Django Unchained Frankenweenie Lincoln Die Nacht der Giraffe Stationspiraten Staub auf unseren Herzen

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DISKUSSIONSWERT Blank City Come together. Dresden und der 13. Februar Gibsy Flight Das Lied des Lebens Play Das schlafende Mädchen Sleepless Knights

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Eine Dokumentation über die Querelen rund um einen Gedenktag mag man sich bestenfalls informativ, kaum aber spannend vorstellen, doch Barbara Lubich ist das Kunststück gelungen, aus diesem Stoff einen Film zu machen, der bis zur letzten Sequenz keine Sekunde langweilt. Dabei spielt der Luftangriff selbst kaum eine Rolle, und auch der Umgang der DDR-Oberen mit dem Ereignis wird lediglich zu Beginn mit Hilfe von Archiv-Bildern aus dem offiziellen Propagandareservoir des „anglo-amerikanischen Bombenterrors“ ins Bild gerückt. Größeren Raum nimmt die Geschichte der Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ ein, wobei hier auch die ursprünglichen Initiatoren der Friedensdemos am 13. Februar zu Wort kommen, die gar nicht glücklich sind, in welcher Form ihre mehr oder minder spontanen Aktionen von der Kirche vereinnahmt wurden. Das Hauptaugenmerk des Films liegt eindeutig auf der

Länge FSK Verleih

hechtfilm Michael Sommermeyer Barbara Lubich Barbara Lubich, Claudia Jezak, Michael Sommermeyer Ralf Jakubski, Barbara Lubich, Erik Schimschar, Michael Sommermeyer, René Liebert, Philipp Grimm Barbara Lubich, Ralf Jakubski, Michael Sommermeyer 99 Min. ab 12; f Barnsteiner

Dokumentarfilm über das Gedenken an die Bombardierung Dresdens im Februar 1945. Von der unmittelbaren Reaktion im NSDeutschland über die Bewertung der Bombardierung als „imperialistischer Akt“ in der DDR beleuchtet er die Formen den Gedenkens, legt den Schwerpunkt aber auf die Bemühungen nach der Wiedervereinigung, der Vereinnahmung des Jahrestags durch Neonazis eine andere Gedenkkultur entgegen zu halten. Dabei beeindruckt er nicht nur durch seine Fülle an Material, sondern vor allem auch durch seine klug durchdachte, jederzeit spannende filmische Aufarbeitung. – Sehenswert ab 14. Zeit nach der Wiedervereinigung und dem Bemühen unterschiedlicher Gruppierungen, aufgeschreckt durch die Aufmärsche der NeoNazis, so etwas wie eine andere Gedenkkultur zu entwickeln. In unzähligen Arbeitsgruppen von studentischen Bündnissen über städtische Gremien bis zu einer antifaschistischen Gruppe, die sich vor allem gegen die Mär von der Opferrolle der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zur Wehr setzt, ist so ziemlich alles vertreten. Dann sind da natürlich auch noch die NPD-Abgeordneten des sächsischen Landtags, die sich in ihren Statements gegenüber der Filmemacherin geradezu handzahm geben. Nur zu verständlich, dass die Vorsitzende der örtlichen Jüdischen Gemeinde nicht mit denen gemeinsam im Rahmen einer offiziellen Gedenkfeier auftreten möchte. Was den gänzlich unkommentierten Film letztlich so außergewöhnlich macht, ist weniger die Fleißarbeit, in der hier unzählige Archivbilder und Aussagen von Beteiligten zusammengetragen wurden, als der in jeder Hinsicht kluge und durchdachte Umgang mit der Materialfülle. Das beginnt mit originellen Kameraeinstellungen, geht über den Blick für Kuriositäten wie etwa ein Plakat, das zum „Sitzblockaden-Training“ in einem Seminarraum einlädt, bis zur souveränen Montage, die all die einzelnen Momente zu einem facettenreichen Kaleidoskop fügt, das nicht zuletzt immer wieder auch Raum für Nebengeschichten und Brüche lässt. Reinhard Lüke


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Sleepless Knights

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in schattiger Innenhof im Sommer. Ein junger Mann sitzt an einem Tisch und liest. Ein alter Mann schaut die Wand an, lässt seinen Blick über die grünen Pflanzen auf dem weißen Putz schweifen. Zögernd geht er zum Ausgang. Der junge Mann eilt ihm nach: „Papa, siehst Du nicht, dass Du keine Schuhe anhast?“ Wie all die Jahre zuvor verbringt Carlos den Sommer im Haus seiner Eltern in der südspanischen Extremadura. Aber diesmal ist alles anders, denn er weiß nicht, wie lange er bleiben wird: Spanien wird von der Wirtschaftskrise geschüttelt, und Carlos findet in Madrid keine Arbeit mehr. Der Vater wird zunehmend senil; Carlos möchte ihm bei der Arbeit mit den Schafen helfen. „Sleeping Knights“ führt in einen ländlichen Mikrokosmos; er zeigt Rituale und Verfallsprozesse im Familien- und Dorfleben von der Disco bis zur Fronleichnamsprozession oder dem Bad im Stausee. Im langsamen Rhythmus und in den ruhigen Einstellungen und Plansequenzen wird deutlich, dass Carlos hier seine Wurzeln hat und sich gleichzeitig fremd fühlt. Auch Juan wirkt wie ein Fremdkörper innerhalb seiner Kameraden von der Guardia Civil. Juan und Carlos kommen sich näher, werden ein Paar. Das erzählen Stefan Butzmühlen und Cristina Diz in ihrem Debütfilm lakonisch, beiläufig; sie betten die Liebe der beiden Männer

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zwischen distanzierte Leichtigkeit und Melancholie in einen bukolisch sinnlichen Sommer, zwischen Trägheit und plötzlicher Lebendigkeit. Nur spärlich sickern die Nachrichten aus dem fernen Madrid hierher: Krise, Arbeitslosigkeit, die Massenproteste gegen die Banken und die Regierung. Die politische und soziale Gegenwart des Landes wirkt so unwirklich wie die archaischen Legenden der Vergangenheit, an die das Dorf mit historischen Kostümen erinnert. Immer wieder tauchen, fast ein surreales Moment, ältere Männer in Ritterrüstungen auf, halb Kreuzzug, halb Wallfahrt oder Passionsspiel. Es geht um eine Episode aus dem Kampf der Christen gegen die Mauren, der so genannten „Reconquista“. Die Burg über dem Dorf war einst von Mauren besetzt. Den zahlenmäßig unterlegen christlichen Truppen gelangten nur durch eine List zum Sieg, so die Legende: Sie trieben alle Schafböcke der Umgebung zusammen und banden ihnen Fackeln an die Hörner. In der Dunkelheit führten sie die Herde auf die Burg zu. Die Mauren vermuteten ein großes christliches Heer und ergriffen die Flucht. Bis heute wird im Dorf an diese Legende erinnert; eine der visuell stärksten Filmszenen ist der Marsch der Herde mit ihren Fackeln im Dunkeln der beginnenden Nacht. „Sleeping Knights“ zeichnet eine interessante Mischung von alltäg-

lichen, fast dokumentarischen Elementen mit geheimnisvollen, poetischen Szenen aus, eine lakonische, fast elliptische Form, wortkarg, aber ausdrucksstark. Der Film erzählt zwischen greller Mittagssonne und den geheimnisvollen schwarz-blauen Dunkel der Nacht primär nicht narrativ, sondern atmosphärisch, fast kontemplativ. Ein beeindruckender Film über das Verrinnen der Zeit, mit einem nahezu verfremdeten Spiel der Laiendarsteller und brillant komponierten Bildern; beispielsweise die Schlussszene, in der eine Band vor nahezu leerem Festzelt einen letzten Bolero spielt: „Bitte versteh’, dass ich Dich vergessen muss. Ich will nicht mehr leiden, Dich nicht noch mal verlieren.“ Aber keiner hört mehr zu. Wolfgang Hamdorf KINOSTART 17.1.2013 Sleepless Knights Deutschland 2012 Produktion

Produzenten Regie und Buch Kamera Musik Schnitt Darsteller

Länge FSK Verleih

Salzgeber & Co. Medien/ Stefan Butzmühlen/ Cristina Diz Björn Koll, Stefan Butz mühlen, Cristina Diz Stefan Butzmühlen, Cristina Diz Stefan Neuberger Nikolaus Feinig, Johannes Weißschnur Cristina Diz, Stefan Butzmühlen Raúl Godoy (Carlos), Jaime Pedruelo (Juan), Ángel Muñoz Ruiz (Vater), Pepa Durán Sánchez (Mutter), David Ruiz Mi randa (Bruder), Alícia Muñoz Núñez 84 Min. o.A. (DVD) Salzgeber (O.m.d.U.)

Ein junger Mann verbringt den Sommer bei seiner Familie in der ländlichen Extremadura, wo er sich sich in einen anderen Mann verliebt . Der Film oszilliert zwischen scharfem Tageslicht und Nachtszenen, dokumentarischen Einblicken ins Dorfleben und geheimnisvollen, poetischen Szenen. Elliptisch und wortkarg, lebt er vor allem von seiner Atmosphäre, weniger von der Handlung, und entwirft ein ausdrucksstarkes Bild Spaniens zwischen stolzen Traditionen und gegenwärtiger Krise. – Ab 16.

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Django Unchained

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twa nach einer halben Stunde findet „Django Unchained“ zu Sekunden reinen, von aller Narration losgelösten Bewegungskinos. Die zwei Hauptfiguren, Dr. King Schultz und Titelheld Django, ein von Schultz befreiter Negersklave, die sich im Winter 1858/59 zum Kopfgeldjäger-Männerbund zusammengeschlossen haben – diese beiden Helden von Quentin Tarantinos neuem Film schwingen sich aufs Pferd und reiten in eine mythische Westernlandschaft. Es kostet nur einen mit Überblendung kombinierten Kameraschwenk, schon sind sie aus der Stadt heraus und auf dem Weg in eine flirrende Wüste, in deren Hintergrund man ein schneebedecktes Gebirge sieht. Dann reiten sie im gemächlichen, aber bestimmten Tempo durch einen Wald, eine tiefe Schneelandschaft, an einem See vorbei: archaische Schönheit unberührter Natur, kombiniert mit der Eleganz der Kamerabewegung, perfekter Schnitte und der Musik – eine ästhetische Einheit, die den klassischen Western beschwört und sich doch seines Endes völlig bewusst bleibt. Die Bilder des Spaghetti-Western werden ebenso zitiert wie New Hollywoods aufgeklärte Western-Revivals, etwa Robert Altmans „Mc Cabe & Mrs. Miller“ (fd 17 634). Immer wieder gönnt Tarantino sich und seinem Publikum Augenblicke solcher Losgelöstheit und gibt seinen Film hin an die Macht der Bilder. Die beiden Hauptfiguren, um die herum Tarantino eine Reihe in wenigen Bildern und Sätzen präzise charakterisierter Nebenfiguren versammelt, sind im Grunde sich selbst genug. „Django Unchained“ ist die Geschichte zweier Individuen, die sich zusammentun für eine gemeinsame Reise, in der der eine zum Lehrer des anderen wird und in der sie beide, auf ganz unterschiedliche Art, am Ende Befreiung und Er-


KINO seine Brunhilde aus der Gefangenschaft zu befreien. Derart ließen sich viele der unzähligen Dialogpassagen des 165Minuten-Films in ihren zweiten und dritten Bedeutungsebenen entfalten. Doch Tarantinos Film ist weit mehr als ein Spiel mit Referenzen aus Hoch- wie Popkultur. „Django Unchained“ ist Dialogkino im zwischen Komödie, Genre- und Autorenfilm angesiedelten Stil dieses Regisseurs. Es ist zugleich Bewegungskino mit rasanten Actionpassagen, elegischen Kamerafahrten und -perspektiven. Selbstverständlich zitiert er die „Django“-Filmreihe und mit ihr die Tradition des Spaghetti-Western sowie des 1960er-Jahre-Kinos wie auch des „Blaxploitation“-Films der frühen 1970er-Jahre, und er überschreitet sie auch von Anfang an.

lösung finden werden. Der eine ist Django selbst, gespielt von Jamie Foxx: ein Sklave, der die „Sünde“ beging zu heiraten. Zur Strafe wurden er wie seine Braut verkauft. Jetzt hat er nur das Ziel, die Frau, die er liebt, zu befreien und sich an denen zu rächen, die sie und ihn gequält haben. Das Frauenbild ist diesmal das schwächste aller bisherigen Tarantino-Filme: Diesmal gibt es schlichtweg keine wehrhaften, „starken“ Frauen. Der andere, die komplexere Figur der beiden, ist der kaltblütig-zynische Kopfgeldjäger Schultz, der Django zunächst befreit, weil er ihn braucht, um eine lukrative Beute aufzuspüren, bald aber dessen „Naturtalent“ erkennt und ihn den Beruf des Kopfgeldjägers lehrt. Schultz, gespielt von Christoph Waltz als im Gestus ähnliche, aber ins Positive gewendete Version des „Judenjägers“ Landa in „Inglourious Basterds“ (fd

39 417), ist Deutscher. Ihm ist Django sympathisch, und im Zuge dieser wachsenden Freundschaft verändert sich Schultz selbst: Er taut emotional auf. Wenn dieser deutsche Doktor aus dem talentierten Schwarzen eine perfekte Killermaschine formt, ihn dabei das Leben als freier Mann lehrt, während dieses Geschöpf sich zugleich verselbständigt und seinen Schöpfer verändert, fühlt man sich mitunter an die Geschichte von Doktor Frankenstein erinnert. Auch andere Mythen zitiert der Regisseur: Djangos Braut wurde von ihren deutschen Sklavenhaltern auf den Namen „Broomhilda“/Brunhilde getauft – das ist nicht nur ein Witz des germanophilen Tarantino; Schultz enthüllt auch die tiefere Bedeutung, als er Django den NibelungenMythos erzählt und in ihm einen neuen Siegfried entdeckt, der durch die Hölle gehen muss, um

Noch viel mehr, als man das über manchen „Django“-Film und Werke von Leone und Corbucci sagen kann, ist „Django Unchained“ hochpolitisch: Er ist auch ein Porträt der Lage schwarzer Sklaven und des allgegenwärtigen Rassismus in Nordamerika, wie man es im Blockbuster-Kino noch nicht gesehen hat. Ohne in Betroffenheitsgesten zu verfallen, zeigt Tarantino das Blut auf den Baumwollfeldern, die Brutalität der gerade auch durch Hollywood allzu oft beschworenen SüdstaatenIdylle – die überdies oft mit einem Spruch aus der Bibel (nicht nur dem Alten Testament) gerechtfertigt wird. Es sind die Bösen, die hier „Sweet Jesus“ anrufen. Tarantino klagt auch Bigotterie und Selbstgerechtigkeit an. Er zeigt die Versehrung der Körper schon im ersten Bild – die Narben ausgepeitschter Sklaven –, die Ketten, Halskränze mit Spitzen. Alles ist historisch. Der mitunter grobe Rundumschlag gilt auch der Kollaboration einiger Schwarzer. Die von Samuel L. Jackson gespielte Figur des dämonischen Stephen repräsentiert jene Mitschuld am „Black Holocaust“. Dies ist gerade im Obama-Amerika brisant – und wird in den USA auch so debattiert. Das ändert nichts daran, dass Ta-

KINOSTART 17.1.2013 Django Unchained Django Unchained Scope. USA 2012 Produktion

Produzenten Regie und Buch Kamera Schnitt Darsteller

Länge FSK Verleih

The Weinstein Company/Columbia Pic./Brown 26 Prod./Double Feature Films/Super Cool Man Shoe Too/Super Cool ManChu Too Reginald Hudlin, Pilar Savone, Stacey Sher Quentin Tarantino Robert Richardson Fred Raskin Jamie Foxx (Django), Christoph Waltz (Dr. King Schultz), Leonardo DiCaprio (Calvin Candie), Samuel L. Jackson (Stephen), Kerry Washington (Broomhilda), Walton Goggins (Billy Crash), Dennis Christopher (Leonide Moguy), James Remar (Butch Pooch / Ace Speck), David Steen (Mr. Stonesipher), Dana Gourrier (Cora), Don Johnson (Big Daddy), Franco Nero (Barbesitzer), James Russo (Dicky Speck), Don Stroud (Sheriff Bill Sharp), Russ Tamblyn, Amber Tamblyn, Bruce Dern, Quentin Tarantino 165 Min. ab 16; f Sony

Ein schwarzer Sklave wird von einem weißen Kopfgeldjäger freigekauft, wobei sich aus der Zweckgemeinschaft ein Schüler-Lehrer-Verhältnis sowie eine Freundschaft entwickeln. Zusammen wollen sie die Braut des ehemaligen Sklaven, die einem sadistischen Herrn gehört, befreien und Rache nehmen. Rückgreifend auf das Western-Genre, speziell den Italowestern, komponiert Quentin Tarantino eine zitat- und beziehungsreiche Ballade über den Kampf gegen Rassismus und mit Bigotterie verbrämte Grausamkeit, wobei sich exaltierte Gewaltspitzen mit anspielungsreichen Dialogen, rasante Actionszenen mit elegischen Passagen abwechseln. Dabei provoziert der Regisseur einmal mehr mit der Frage, ob und wann Gewaltanwendung und Rache legitim sein können. – Ab 16. rantino vor allem dem weißem Amerika den Spiegel vorhält, indem er vorführt, was die Weißen den Schwarzen einst antaten. Wie „Inglourious Basterds“ ist auch dieser Film ein Rachedrama nahe an der Wunschfantasie. Von Gewalt, von Explosionen und dem Sterben „der Richtigen“ verspricht sich Tarantino ästhetische Befreiung, wenigstens Erleichterung. Das ist fraglos provokativ. Die Kraft der philosophischen Frage, die der Regisseur stellt – wann Gewalt, wann Rache möglicherweise gerechtfertigt oder als letzter Ausweg legitim sind –, schwächt dieser Befund nicht ab. Rüdiger Suchsland film-dienst 2/2013

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DVD

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s ist nicht so, dass Quentin Tarantino selbst je einen Italowestern gedreht hätte. Dennoch sind die Filme, die der Regisseur von „Django Unchained“ (Kritik in dieser Ausgabe) seit seiner Jugend verschlungen hat, in seinem filmischen Œuvre omnipräsent – bis hin zum direkten Zitat im Verhältnis eins zu eins. Und das, obwohl diese Filme nach gängigen Bewertungskriterien vielleicht nicht immer „gut“, sondern eher laut, bunt, dreckig, auch brutal und gewalttätig sind – in jedem Fall aber unterhaltend. Sie handeln von Einzelgängern, Huren und anderen Antihelden, von der Fata Morgana „Gerechtigkeit“ und vom Gesetz des Stärkeren, und sie wurden von Regisseuren wie Sergio Corbucci, Sergio Leone, Sergio Sollima, Duccio Tessardi gedreht oder, wenn sie aus Tarantinos Heimatland stammen, von George A. 1. ZWEI GLORREICHE HALUNKEN Italien 1966, Regie Sergio Leone. Mit Clint Eastwood, Lee van Cleef, Eli Wallach.

Ein mysteriöser Fremder, ein mexikanischer Revolvermann und ein sadistischer Krimineller kämpfen um 200.000 Dollar. 2. FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR Deutschland/Italien/Spanien 1965. Regie: Sergio Leone. Mit Clint Eastwood, Lee van Cleef, Gian Maria Volonté, Klaus Kinski.

Ein ehemaliger Colonel überrumpelt mit Hilfe eines zweiten Kopfgeldjägers eine Verbrecherbande in Texas. 3. DJANGO Italien/Spanien 1966. Regie: Sergio Corbucci. Mit Franco Nero.

Im Grenzstreifen zwischen Mexiko und den USA bekämpfen sich zwei Banditenbanden, bis Django aufräumt. 4. DIE GEFÜRCHTETEN ZWEI Italien 1968. Regie: Sergio Corbucci. Mit Franco Nero, Tony Musante.

Ein idealistischer Minenarbeiter und ein ehemaliger polnischer Offizier entgehen der Verfolgung durch das mexikanische Militär.

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Gloriose Bastarde DER ITALOWESTERN UND QUENTIN TARANTINO


DVD

Romero, Tobe Hooper, Jack Hill, Michael Campus und Brian de Palma. Brian De Palma ist für Tarantino wichtig, weil er ihm vorgemacht hat, dass Zitieren nicht gleich Plagiieren ist. De Palma hat aus Filmen von Hitchcock, Antonioni oder Eisenstein ganze Sequenzen in seine Werke übertragen und ist zuallererst ein brillanter Handwerker, der sich der technischen und künstlerischen Produktionsweisen seiner Lieblingsfilme stets bewusst ist – Prozesse, die De Palma für seinen eigenen Inszenierungsstil verinnerlicht hat. Auch bei Tarantino, der das Filmsehen in der Videothek und das Filmemachen in Sundance gelernt hat, spürt man den großen Respekt gegenüber der Filmgeschichte (auch der unkanonisierten), und auch er zählt zu den 5. SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD

besten „Handwerkern“ seiner Generation. Was De Palma mit Sujets wie „Vertigo“ und „Blow up“ machte, das zelebriert Tarantino mit Filmen wie „Django“, „Ringo“, „Coffy“ und „Der Mann mit der Stahlkralle“. In „Django Unchained“ wendet er sich nach dem Blaxploitationund Grindhouse-Genre nun also explizit dem Italowestern zu. Auch „Django Unchained“ ist laut, bunt, dreckig, brutal, gewalttätig – und unterhaltsam. Tarantinos Leistung: Er „adaptiert“ stilsicher die technischen und künstlerischen Eigenschaften des Italowestern, der nicht nur Landschaften, sondern vor allem auch Gesichter „feierte“ und mit der Filmmusik noch offensiver umging, als es seine US-amerikanischen Genre-„Vorfahren“ taten. Während bei den Western von 9. NAVAJO JOE

John Ford Komponisten wie Max Steiner oder Alfred Newman die Landschaft, mithin „den Westen“ an sich, musikalisch regelrecht atmeten, waren in Italien die Western-Situationen sowie die Gesichter der Protagonisten eng mit den Kompositionen von Ennio Morricone, Ritz Ortolani und Luis Enriquez Bacalov verwoben. Der Held kommt darin nicht heldenhaft, sondern eher mit einem Übermaß an Pathos (gern als Gesang) oder mit einem augenzwinkernden Geräusch daher. Tarantino hat sich die Musik des Italowestern zu eigen gemacht und setzt mit ihr (nicht als Variation, sondern als deckungsgleiches Zitat) auch in seinen scheinbar genrefremden Filmen im Wortsinn schreiende Akzente. Es nimmt deshalb kaum wunder, dass er in „Django Unchained“ nun explizit die Musik von En13. ESCONDIDO

nio Morricone (aus „Die Grausamen“ und „Ein Fressen für die Geier“, der gar kein Italowestern ist) und Luis Enriquez Bacalov (selbstredend aus „Django“) einsetzt. Allerdings ist „Django Unchained“ kein wirklicher Italowestern geworden. Tarantino spielt einmal mehr lediglich mit seinen Lieblingsfilmen. Dabei verwässert er sie mit aufgesetzter Coolness und gewollten Pointen, macht sie hipp und weniger grimmig. „Django Unchained“ ist Mainstream-Kino, und das sind die Italowestern nie gewesen. In einer Art „Bestenliste“ hat Tarantino seine 20 „Lieblings“-Italowestern festgehalten, die damit (teilweise) vor dem Vergessen bewahrt werden, weil sich dank dieser Referenz auch die Rechteinhaber wieder an sie erinnern. Nachfolgend sind sie kurz vorgestellt. Jörg Gerle 17. TEPEPA

Italien/USA 1968. R: Sergio Leone. Mit Charles Bronson, Henry Fonda.

Italien 1966. Regie: Sergio Corbucci. Mit Burt Reynolds.

Italien 1967. Regie: Franco Rossetti. Mit Andrea Giordana.

Italien/Spanien 1968. Regie: Giulio Petroni. Mit Thomas Milan, Orson Welles.

Ein Mundharmonikaspieler rächt den lange zurückliegenden Mord an seinem Bruder.

Ein Indianer verteidigt die Einwohner eines Städtchens gegen eine Bande von Kopfgeldjägern.

Ein Desperado vereitelt den Raub einer Regimentskasse, wird von den überlisteten Banditen gefangen und nimmt ausgiebig Rache.

Ein mexikanischer Rebell will den Aufstand neu entfachen, weil der neue Präsident die Revolutionsideale verraten hat.

6. FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR

Italien/Spanien 1965. Regie: Duccio Tessari. Mit Giuliano Gemma, George Martin.

10. RINGO KOMMT ZURÜCK Deutschland/Italien/Spanien 1964. Regie: Sergio Leone. Mit Clint Eastwood, Gian Maria Volonté.

Ein Revolvermann kommt in ein Nest, das von zwei Gangsterfamilien terrorisiert wird. 7. DER TOD RITT DIENSTAGS

Ein totgeglaubter Hauptmann befreit seine Vaterstadt von der Tyrannei mexikanischer Banditen. 11. DER GEHETZTE DER SIERRA MADRE

Deutschland/Italien 1967. Regie: Tonino Valerii. Mit Lee van Cleef, Giuliano Gemma.

Italien/Spanien 1966. Regie: Sergio Sollima. Mit Lee van Cleef, Thomas Milan.

Ein alternder Pistolenheld weiht in der Zeit nach dem Bürgerkrieg seinen Nachfolger in das Handwerk des Pistoleros ein.

Ein Kopfgeldjäger wird auf die Spur eines flüchtigen Mexikaners gesetzt. Er durchschaut die Zusammenhänge und stellt den wahren Täter.

8. DIE RECHNUNG WIRD MIT BLEI BEZAHLT

14. LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG Italien/Frankreich 1968. Regie: Sergio Corbucci. Mit Jean-Louis Trintignant, Klaus Kinski.

Ein Revolvermann, Personifikation des Racheengels, stellt sich gegen Räuber und Kopfgeldjäger, unterliegt aber der Übermacht. 15. DREI VATERUNSER FÜR VIER HALUNKEN Deutschland/Italien/Frankreich 1972. Regie: Giancarlo Santi. Mit Lee van Cleef, Horst Frank.

Ein Sheriff legt sein Amt nieder, hilft einem Unschuldigen und befreit eine Stadt von einer Verbrecherbande.

12. EINE PISTOLE FÜR RINGO 16. DER MÖRDER DES KLANS

Italien 1967. Regie: Giulio Petroni. Mit Lee van Cleef, John Phillip Law.

Italien/Spanien 1965. Regie: Duccio Tessari. Mit Giuliano Gemma, George Martin.

Italien 1971. R: Giuseppe Vari = Joseph Warren. Mit Klaus Kinski.

15 Jahre nach der Ermordung seiner Familie rächt sich ein Überlebender an den Tätern.

Ein des Mordes verdächtigter Revolverheld bringt mexikanische Bankräuberbande zur Strecke.

Nachdem seine Familie vom KuKlux-Klan umgebracht wurde, sinnt ein Abenteurer auf Rache.

18. OHNE DOLLAR KEINEN SARG Italien/Spanien 1966. Regie: Eugenio Martàn. Mit Thomas Milan.

Ein Kopfgeldjäger bringt einen gefürchteten Banditen zur Strecke und kassiert dafür 3000 Dollar. 19. DJANGO UND DIE BANDE DER GEHENKTEN Italien 1967. Regie: Ferdinando Baldi. Mit Terence Hill, Horst Frank.

Ein Henker in Arizona rettet unschuldig Verurteilte, indem er sie zum Schein erhängt und seiner Rächerbande, die gegen den skrupellosen Gouverneur kämpft, zuführt. 20. DJANGO SPRICHT KEIN VATERUNSER Italien/Spanien 1969. Regie: Paolo Bianchini. Mit Robert Woods.

Zur Zeit des Bürgerkriegs muss ein wegen Verrats zum Tod verurteilter Nordstaaten-Agent seine Unschuld beweisen.

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